Titel:
Grenzen der Meinungsfreiheit - (aufgehobene) Vorentscheidung zu BayObLG, BeckRS 2023, 10629
Normenkette:
StGB § 185
Leitsatz:
Schmähkritik liegt vor, wenn die Diffamierung des Geschädigten im Vordergrund steht (im Einzelfall bejaht). (Rn. 18) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Beleidigung, Meinungsfreiheit, berechtigte Interessen, Corona-Impfung, Schmähkritik
Vorinstanz:
AG Miesbach, Urteil vom 18.01.2022 – 3 2 Cs 17 Js 31812/21
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 15.05.2023 – 207 StRR 128/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47437
Tenor
1. Die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 18.01.2022 werden als unbegründet verworfen.
2. Die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft veranlassten Kosten und notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Im Übrigen hat die Angeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens und ihre Auslagen zu tragen.
Entscheidungsgründe
1
I. Mit Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 18.01.2022 wurde die Angeklagten der Beleidigung schuldig gesprochen und deswegen zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20,00 € verurteilt.
2
Gegen dieses Urteil haben die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft jeweils form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist mit der Einlegung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden.
3
II. Die statthaften Berufungen sind zulässig, §§ 312, 314 Abs. 1 StPO. In der Sache waren beide Berufungen ohne Erfolg.
4
III. Die Berufungsverhandlung hat ergeben:
1. Persönliche Verhältnisse:
5
Der Angeklagte wurde am ....1972 geboren, zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung war sie 50 Jahre alt. Die Angeklagte ist verheiratet, mit ihrem Ehemann hat sie eine 13jährige Tochter, die im Haushalt der Familie lebt. Die Angeklagte hat Einkünfte aus zwei Minijobs in Höhe von 570 € und 160 €. Der Ehemann der Angeklagten hat eigene Einkünfte. Die Mietkosten der Familie betragen 1800 € und werden vom Ehemann getragen. Die Angeklagte hat keine Schulden. Die Angeklagte ist strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.
6
Am 30.06.2021 erließ das Amtsgericht Miesbach einen Strafbefehl gegen die Angeklagte (Az. 3 2 Cs 17 Js 4228/21), weil sie auf der Internetplattform F. den dort Geschädigten mittels eines öffentlichen Kommentars als „Lump“ bezeichnet hatte. Am 21.03.2021 war die Angeklagte deswegen als Beschuldigte vernommen worden. Im Einspruchstermin am 31.08.2021 wurde dieses Verfahren nach § 153 StPO eingestellt.
7
a) Am 01.08.2021 erschien in der „...“ unter der Überschrift „Impfung ist für diesen Arzt Bürgerpflicht – 'Ich behandle keine Impfverweigerer'“ ein Artikel mit folgendem Wortlaut über den Geschädigten Dr. ...:
Er kennt die Krankheit, viele seiner Patienten hatten schwere Verläufe nach einer Corona-Infektion. Deshalb hat sich Dr. ... ...(37) aus W. (N.) zu einer harten Maßnahme entschlossen: Er behandelt keine ImpfVerweigerer mehr!
„Wer sich nicht impfen lassen will und meine Praxis betritt, gefährdet mein Personal und meine Patienten. Das kann ich nicht verantworten“, sagt der Internist und Hausarzt. Seit sieben Jahren betreibt Dr. ... seine Praxis und behandelt mit seinem Team täglich rund 100 Patienten. Er impft selbst gegen Corona und rät seinen Patienten eindringlich zum Piks:
„Aber Leuten, die sich total verweigern, sage ich, dass ich sie nicht mehr behandeln kann.“
Der Arzt hat die bösen Seiten der Pandemie mehrfach erlebt. „Einige meiner Patienten sind an Corona gestorben. Das sind Eindrücke, die mich nicht loslassen“, berichtet er.
Für ihn steht fest: „Die Impfung ist eine Bürgerpflicht. Jeder, der sich weigert, gefährdet Kinder oder kranke Menschen, die auf den Schutz der Gesellschaft angewiesen sind.“ Und weiter: „Verweigerer sind unsolidarisch und feige. Sie schädigen andere gesundheitlich und wirtschaftlich.“ Sein Alleingang sorgt für heftige Reaktionen. Es gibt meist Zustimmung und Lob, aber auch böse Kritik. „Anonyme Anrufer beschimpfen meine Mitarbeiterinnen. Im Internet gab es üble Drohungen, Anfeindungen und Beleidigungen. Ich wurde sogar als Mörder bezeichnet. Bei der Ärztekammer und beim Ordnungsamt wurde ich anonym angezeigt“, schildert er.
Trotzdem gibt er nicht nach und wischt die Befürchtungen der Impfgegner vom Tisch. „Die Impfstoffe sind ausreichend getestet. Alle Testpatienten sind für mich Helden. Um die Pandemie zu stoppen, haben wir kein anderes Mittel als die Impfung“, steht für ihn fest.
8
b) Die Angeklagte hatte diesen Artikel gelesen und nahm ihn zum Anlass, von ihrem Wohnsitz in der ... in H. aus am 01.08.2021 um 11:24 Uhr folgende E-Mail unter dem Betreff „Beitrag bei ...“ an den Geschädigten unter dessen Praxis-E-Mail-Adresse @....de zu senden:
Eine bodenlose Unverschämtheit was sie da vom Stapel lassen! Ich bin überzeugt sie hätten H. damals auch großgemacht! Ich hoffe Ihre Praxis geht pleite! Was sie da betreiben ist höchst asozial und gefährlich für eine demokratische Gesellschaft! Dass sie sich nicht schämen! Pfui Deiwel
9
Die Angeklagte beabsichtigte, durch diese E-Mail ihre Missachtung auszudrücken und den Geschädigten in seiner Ehre herabzuwürdigen.
10
c) Mit Schreiben seiner anwaltlichen Vertreter vom 10.08.2021, bei der PI O. eingegangen am 11.08.2021, stellte der Geschädigte Strafantrag.
11
a) Der Angeklagte wollte sich zunächst nicht zum Tatvorwurf äußern. Im Lauf der Berufungshauptverhandlung räumte sie ein, die E-Mail geschrieben zu haben.
12
b) Die Feststellungen beruhen im Übrigen aus der verlesenen E-Mail, aus deren Betreff sich der Bezug zu dem ebenfalls verlesenen Artikel aus der „...“ ergibt. Der Strafantrag des Geschädigten wurde ebenfalls durch Verlesen festgestellt.
13
Die Absicht der Angeklagten, den Geschädigten in seiner Ehre herabzusetzen, liegt angesichts der von ihr verwendeten Wortwahl auf der Hand. Aufgrund des vorangegangenen Verfahrens wegen des Kommentars auf F. war der Angeklagten auch bekannt, dass derartige Äußerungen strafrechtliche Folgen haben können.
14
c) Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den verlesenen Feststellungen aus dem amtsgerichtlichen Urteil hierzu. Deren Richtigkeit wurden von der Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung bestätigt. Aus dem Bundeszentralregister wurde festgestellt, dass die Angeklagte nicht vorbestraft ist.
15
Die Feststellungen zum Verfahren 17 Js 4228/21 beruhen auf der Verlesung von Unterlagen aus dieser Verfahrensakte (Strafbefehl, Protokoll des Einspruchstermins).
16
Der Angeklagte hat sich der Beleidigung (§ 185 StGB) schuldig gemacht.
17
Die Äußerung der Angeklagten ist nicht nach § 193 StGB gerechtfertigt: Insbesondere handelte die Angeklagte weder zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen. Denn zwischen der Angeklagten und dem Geschädigten bestand vor der Tat keinerlei Beziehung. Es bestanden keine eigenen Interessen der Klägerin, die sie gegenüber dem Geschädigten hätte wahren können, insbesondere da sie – schon aufgrund der räumlichen Entfernung – keine (mögliche) Patientin von ihm war und nicht befürchten musste, von ihm nicht behandelt zu werden.
18
Die Angeklagten kann sich auch nicht auf Wahrnehmung allgemeiner Interessen als Rechtfertigung ihrer Äußerung im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung (mithin auf die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 GG) berufen. Hiergegen spricht bereits, dass die Äußerung der Angeklagten nicht im öffentlichen Meinungskampf erfolgte, sondern in einer privaten, nur an den Geschädigten gerichteten E-Mail. Insbesondere aber handelt es sich bei der Äußerung der Angeklagten um sog. Schmähkritik, weil die Diffamierung des Geschädigten im Vordergrund steht: Indem die Angeklagten den Geschädigten mit Personen, die „H. damals (…) großgemacht“ haben gleichsetzt, bezeichnet sie ihn als eine Person, die sich mit den Ansichten H. und damit dem Nationalsozialismus identifiziert. (Dass die Angeklagte ihre Äußerung differenzierter auf Personen bezogen hat, die in den Jahren vor 1933 „H. großgemacht“ haben, ohne Nationalsozialisten zu sein, ist ihrer E-Mail nicht zu entnehmen und im Übrigen fernliegend.) Sie stellt den Geschädigten damit in eine Reihe mit Massenmördern, Rassisten und Antisemiten und als potentiellen Unterstützer eines Unrechtsregimes. Hierfür gibt der in Bezug genommene Zeitungsartikel keinen Anlass, in welchem vergleichsweise sachlich berichtet und – auch in Zitaten des Geschädigten – argumentativ begründet wird, weshalb er keine ungeimpften Personen in seiner Praxis behandelt. Dass es der Angeklagten im Wesentlichen auf die Herabsetzung der Ehre des Geschädigten ankam, ergibt sich auch daraus, dass die Angeklagte in ihrer Mail auf den Inhalt des Artikels überhaupt nicht argumentativ eingeht. Die E-Mail erschöpft sich im Wesentlichen in der gegenständlichen Beleidigung, einem bösen Wunsch und der – allerdings nicht ausgeführten und aus dem Inhalt des Zeitungsberichts auch nicht nachvollziehbaren – Bemerkung, sein Vorgehen sei asozial und gefährlich für eine demokratische Gesellschaft. Eine Absicht, mit dem Geschädigten oder vor der Öffentlichkeit in einen Meinungsaustausch zu treten, ist der E-Mail nicht zu entnehmen. Vielmehr diente die E-Mail nach ihrem Wortlaut und im Geschehenszusammenhang alleine dem Zweck, den Geschädigten in beleidigender Weise anzugreifen.
19
Bei der Strafzumessung war vom Strafrahmen des § 185 StGB auszugehen.
20
Zugunsten der Angeklagten wurde berücksichtigt, dass sie den – allerdings durch die schriftlichen Unterlagen weitgehend ohnehin belegten – Sachverhalt einräumte, wobei sie allerdings keine Schuldeinsicht erkennen ließ. Zugunsten wurde weiter berücksichtigt, dass die Angeklagte nicht vorbestraft ist, und dass die Tat spontan begangen wurde.
21
Zu Lasten wurde berücksichtigt, dass der Geschädigte keinerlei Anlass für die Beleidigung gesetzt hatte, denn er hatte zur Angeklagten vorher keinen Kontakt. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Geschädigte die Berichterstattung in der „...“ lanciert hätte. Des Weiteren ist die Beleidigung aufgrund des Nazi-Vergleichs als eher gravierend zu werten. Schließlich wertete die Kammer zu Lasten der Angeklagten, dass sie sich mit ihrer Beleidigung in eine größere Menge von Personen einreihte, die den Geschädigten in einer Art „Shitstorm“ über das Internet beleidigten und bedrohten (was der Angeklagten aufgrund des Zeitungsartikels auch bekannt war).
22
Unter Gesamtabwägung der genannten Strafzumessungskriterien hielt auch die Kammer die bereits vom Amtsgericht verhängte Geldstrafe von 50 Tagessätzen ebenfalls für tat- und schuldangemessen. Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten war auch die Tagessatzhöhe von 20,00 € ebenfalls bereits vom Amtsgericht angemessen bestimmt.
23
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.