Inhalt

FG Nürnberg, Urteil v. 07.07.2022 – 6 K 1075/21
Titel:

Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung

Normenketten:
EStG § 35
AO § 121 Abs. 1, § 132 S. 1,§ 135 Abs. 1, § 143 Abs. 1, § 146b Abs. 1, § 162, § 164 Abs. 2, § 174 Abs. 4, § 193, § 194 Abs. 1 S. 2
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
FGO § 76 Abs. 1 S. 1,§ 100 Abs. 1 S. 1, § 102
BpO § 4 Abs. 3, 2000 § 4
Leitsatz:
Für den Erlass einer Prüfungsanordnung lassen sich keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und zur Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln (vgl. BFH-Beschluss vom 15.10.2021 VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97). (Rn. 107) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einkommensteuerfestsetzung, Ermessen, Einspruchsverfahren, Einspruch, Einkommensteuer, Beweisantrag, Betriebsprüfungsordnung, Betriebsprüfungsbericht, Befähigung zum Richteramt, Prüfungsanordnung, Rechtsmittelbelehrung, Kostenentscheidung, Gewerbesteuermessbetrag, Widerspruch, Vortragsfähiger Gewerbeverlust
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47268

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung für den Zeitraum 2014 bis 2016.
2
Der Kläger betreibt seit 01.01.2012 das Restaurant und Hotel X in Stadt 1; er hatte es ab 01.01.2012 von seiner Mutter übernommen.
I.
3
Das beklagte Finanzamt führte ab Februar 2016 beim Kläger eine Außenprüfung (Prüfungsanordnung vom 19.01.2016) für die Jahre 2012 und 2013 durch. Der zunächst ergangene BP-Bericht vom 09.10.2018 wurde durch einen geänderten BP-Bericht vom 16.07.2019 ersetzt. Der Prüfer erhöhte u.a. die Entnahmen um einen zugeschätzten Gaststättenumsatz von … € (2012) und … € (2013). Der Gewinn aus Gewerbebetrieb erhöhte sich um … € (2012) und … € (2013). Streitig waren Schätzungsbefugnis und Höhe der Zuschätzung. Zentraler – und inzwischen einzig verbleibender – Streitpunkt war die Ordnungsmäßigkeit der Kassenaufzeichnungen bei Verwendung der Registrierkasse; das Finanzamt schloss aus vorhandenen Session-Lücken auf die Schätzungsbefugnis. Dies ist Gegenstand des Verfahrens 6 K 1293/20 (im Einzelnen siehe unten IV.)
4
Das Finanzamt änderte die ergangenen Erstbescheide hinsichtlich Einkommensteuer, Gewerbesteuermessbetrag und Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts 2012 und 2013 nach Betriebsprüfung durch Bescheide vom 16.08.2019.
II.
5
Für die Einkommensteuer 2014 bis 2016, Gewerbesteuermessbetrag 2014 bis 2016 und Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts 2014 und 2015 hatte das Finanzamt unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Bescheide erlassen, deren Besteuerungsgrundlagen geschätzt waren und gegen die Einspruch eingelegt worden war. Nach Abgabe von Steuererklärungen erließ das Finanzamt am 07.01.2019 geänderte Bescheide für Einkommensteuer, Gewerbesteuermessbetrag und Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts 2014 bis 2016; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Hinsichtlich der Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts 2016 erging ein negativer Feststellungsbescheid.
6
Zugleich mit den Bescheiden nach Betriebsprüfung für die Jahre 2012 und 2013 erließ das Finanzamt am 16.08.2019 auch für die Jahre 2014 bis 2016 Änderungsbescheide für

2014

Gewerbesteuermessbetrag und Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts

2015

Einkommensteuer, Gewerbesteuermessbetrag und Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts

2016

Einkommensteuer und Gewerbesteuermessbetrag

7
Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
8
Bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb bei der Einkommensteuer ergaben sich in den Jahren 2014 bis 2016 keine Veränderungen. Die Änderungsbescheide wurden ausgelöst durch den Wegfall des vortragsfähigen Gewerbeverlusts (der sich zuvor bis in das Jahr 2015 ausgewirkt hatte) für die Jahre 2012 und 2013 infolge der Feststellungen der Betriebsprüfung. Die so verminderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts 2014 wirkte sich erhöhend auf den Gewerbesteuermessbetrag 2015 aus und verursachte bei der Einkommensteuer 2015 eine Ermäßigung nach § 35 EStG. Der vortragsfähige Gewerbeverlust 2015 wurde auf … € festgestellt. Dies hatte eine Erhöhung des Gewerbesteuermessbetrags 2016 zur Folge und löste bei der Einkommensteuer 2016 eine höhere Ermäßigung nach § 35 EStG als zuvor aus.
III.
9
Gegen die Bescheide vom 16.08.2019 bezüglich Einkommensteuer, Gewerbesteuermessbetrag und Feststellung des Gewerbeverlusts 2012 bis 2016 wurde Einspruch eingelegt.
10
Die Einsprüche blieben erfolglos.
11
Mit Einspruchsentscheidungen vom 28.09.2020 wurden nach vorherigem Hinweis auf eine evtl. Verböserung
- die Einkommensteuerfestsetzungen 2012 bis 2016 erhöht und die Einsprüche im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Der Vorbehalt der Nachprüfung 2014 bis 2016 blieb bestehen.
- die Festsetzungen des Gewerbesteuermessbetrags 2012 bis 2016 erhöht, der Feststellungsbescheid Gewerbeverlust auf den 31.12.2014 aufgehoben und die Einsprüche im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Der Vorbehalt der Nachprüfung 2014 bis 2016 blieb bestehen.
12
Für die Jahre 2014 bis 2016 führen die Einspruchsentscheidungen wortgleich folgendes aus:
„Feststellungen für die Jahre 2014 – 2016:
Die Außenprüfung fand vom 02.02.2016 bis 28.06.2018 statt. Während dieser Zeit wurde von der Betriebsprüfung festgestellt, dass sich die Verhältnisse in den Jahren 2014 – 2016 nicht wesentlich verändert haben. Die Feststellungen hinsichtlich Aufzeichnungsmängeln, Differenzen im Geldverkehr, Schätzungsbefugnis, Nichterfassung von Hotelumsätzen, sowie die Grundlagen für die Nachkalkulation finden daher Anwendung und können in entsprechender Form auf diese Jahre übertragen werden. Letzteres insbesondere, da sich der wirtschaftliche Wareneinsatz kaum geändert hat (Vergleiche z.B. FG Nürnberg, Urteil vom 22.10.2015, 6 K 935/13, nachfolgend BFH vom 25.07.2016 und FG Bremen Urteil von 17.01.2007, 2 K 229/04 (5) und nachgehend BFH vom 07.02.2008, IV B 58 – 60/7).“
13
Es schließen sich Kalkulationen an zu den Umsätzen der Gaststätte 2014, 2015 und 2016, sowie Berechnungen zur Erhöhung der Gaststättenumsätze 19%, der Hotelumsätze 19% und der Hotelumsätze 7%, die jährlich aufsummiert werden.
14
Auf die Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen wird im Einzelnen verwiesen. Die Berechnung der Einkommensteuer bzw. Gewerbesteuermessbeträge ergibt sich aus den Anlagen zur Einspruchsentscheidung.
15
Mit Feststellungsbescheid vom 28.09.2020 wurde zudem der Feststellungsbescheid Gewerbesteuerverlust auf den 31.12.2012 vom 16.08.2019 aufgehoben.
IV.
16
Der Kläger erhob hiergegen Klage, die unter dem Az. 6 K 1293/20 geführt wird.
17
Hinsichtlich der Jahre 2014 bis 2016 führte der Kläger im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Verböserung aus, diese lägen nicht vor, weil die Veranlagungszeiträume 2014 – 2016 nie durch die BP geprüft worden seien, es gebe hierzu nicht einmal eine Prüfungsanordnung oder eine Prüfungserweiterung. Die Buchführung und die Belege und die sonstigen Aufzeichnungen seien nie eingesehen worden, sodass man sich schlechterdings auch zu diesen Veranlagungszeiträumen nicht hinsichtlich der Verwerfung der Buchführung seitens des Finanzamtes äußern könne (vgl. Schriftsatz vom 09.04.2021, S. 4). Mit seinen Ausführungen im Schreiben vom 08.07.2020 (wortgleich mit der oben zitierten Passage der Einspruchsentscheidung) räume der Beklagte unumwunden ein, dass es für 2014 – 2016 keine Feststellungen zu diesen Zeiträumen gegeben habe und natürlich auch keine Prüfungsanordnung und keine Prüfungserweiterung, sondern lediglich aufgrund äußerer Kennzeichen wie angeblich dem wirtschaftlichen Wareneinsatz auf dieselben Verhältnisse geschlossen worden sei (vgl. Schriftsatz vom 09.04.2021, S. 5).
18
Es müsse bei den ursprünglichen Festsetzungen für 2014 – 2016 verbleiben, zumal eine wirksame Prüfungsanordnung für diese Zeiträume fehle. Die Rechtsbehelfsstelle habe zwar diesen rechtlichen Fehler erkannt und gesehen, dass keine Prüfungsanordnung für die Veranlagungszeiträume 2014 – 2016 vorliege und habe dies dogmatisch interessant versucht dadurch zu retten, dass die Rechtsbehelfsstelle als unzuständige Stelle eine Prüfungsanordnung nachträglich erlassen habe, aber weder selbst die Prüfung durchgeführt habe, noch die BP, die dafür zuständig gewesen wäre, die Prüfung durchgeführt habe. Insoweit sei der Erlass der Prüfungsanordnung durch die Rechtsbehelfsstelle lediglich eine Scheinhandlung, die zudem durch Einspruch angefochten worden sei. Es gebe bis heute [Datum des Schriftsatzes: 09.04.2021] keine Entscheidung über diese Prüfungserweiterung durch die Rechtsbehelfsstelle.
19
Zwar habe die Rechtsbehelfsstelle die Kalkulation vorgenommen, wozu sie allerdings nicht berechtigt gewesen sei, da sie weder eine Prüfungsanordnung habe erlassen können, noch die Voraussetzungen für eine Kalkulation vorgelegen hätten, weil die Buchführung nicht angesehen und nicht überprüft und auch nicht verworfen worden sei. Insoweit streite für die Veranlagungszeiträume 2014 – 2016 die Richtigkeit der Buchführung und die gesetzliche Richtigkeitsvermutung dieser Buchführung, sodass natürlich eine alternative Schätzung der Rechtsbehelfsstelle wieder [oder „weder“?] zulässig sei, noch irgendwie interessant oder rechtserheblich wäre. Erst wenn die BP nachgewiesen hätte, dass die Buchführung zu verwerfen sei und schlechterdings die erklärten Zahlen nicht sein könnten oder nicht prüfbar wären, was vorausgesetzt hätte, dass sie sich die Buchführung einmal angeschaut hätte, was nicht der Fall gewesen sei, hätte die Buchführung ganz oder teilweise verworfen werden können und erst dann wäre eine Schätzung nach § 162 AO erlaubt und möglich gewesen (vgl. Schriftsatz vom 09.04.2021, S. 32).
20
Das Finanzamt erklärte, für die Jahre 2014 bis 2016 werde zur abschließenden Klärung der streitigen Punkte eine Betriebsprüfung durchgeführt, die bezüglich Dauer und Umfang dem Umstand Rechnung trage, dass es sich um ein bereits gerichtshängiges Verfahren handele. Es werde beantragt, das Verfahren ruhen zu lassen.
21
In der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2021 erklärte der Beklagtenvertreter auf Anregung des Gerichts, die Einspruchsentscheidung vom 28.09.2020 mit der verbösernden Wirkung werde für die Jahre 2014 bis 2016 inklusive des Gewerbesteuermessbetrags sowie der gesonderten Feststellungen des Gewerbesteuerverlustes zum 31.12.2014, 31.12.2015 und 31.12.2016 aufgehoben. Aus technischen Gründen würden neue Bescheide ergehen müssen, denen die Werte der im Einspruchsverfahren angefochtenen Bescheide vom 16.08.2019 zugrunde gelegt würden. Für die laufende BP würden diese Bescheide ebenfalls unter Vorbehalt der Nachprüfung ergehen.
22
Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit für die genannten Streitgegenstände übereinstimmend für erledigt. Die genannten Streitgegenstände wurden nach Abtrennung unter dem Az. 6 K 1273/21 fortgeführt; es erging eine Kostenentscheidung.
23
Mit Bescheiden vom 17.11.2021 hob das Finanzamt die Einspruchsentscheidungen zur Einkommensteuer 2014 bis 2016, und zum Gewerbesteuermessbetrag 2014 bis 2016 sowie zur Feststellung des Gewerbeverlustes 31.12.2014 bis 31.12.2016 auf und erließ nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheide für Einkommensteuer 2014 bis 2016, zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlusts zur Einkommensteuer zum 31.12.2014 und 31.12.2015, Gewerbesteuermessbescheide 2014 bis 2016 und Bescheide über den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2014 und 31.12.2015. Gegen die Bescheide legte der Kläger Einspruch ein; das Rechtsbehelfsverfahren ist nicht abgeschlossen.
24
Auch das Klageverfahren 6 K 1293/20 für die Jahre 2012 und 2013 ist noch nicht abgeschlossen.
V.
25
Das Finanzamt erließ am 08.07.2021 die bereits genannte, streitgegenständliche Prüfungsanordnung, mit der beim Kläger eine Außenprüfung für den Zeitraum 2014 bis 2016 angeordnet wurde.
26
Der Kläger legte Einspruch ein. Er machte im Wesentlichen geltend, für die Zeiträume 2014 bis 2016 liege bereits ein BP-Bericht vor. Die Prüfung sei ohne Prüfungsanordnung durchgeführt worden und rechtswidrig. Wenn angeblich schon geprüft worden sei, sei eine neuerliche Prüfung unangemessen. Bei der neuen Prüfungsanordnung handele es sich um eine Scheinprüfung, mit dem Ziel, die versäumte damalige Prüfung zu umgehen, und das entstandene Verwertungsverbot durch ein rechtmäßiges Alternativverhalten auszuhebeln und Formfehler zu heilen. Es sei zu befürchten, dass der Beklagte bestrebt sei, die seinerzeit ins Blaue behaupteten Feststellungen nur noch bestätigen zu wollen.
27
Der Einspruch blieb erfolglos und wurde mit Einspruchsentscheidung vom 02.08.2021 als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzamt führte aus, es habe weder eine (frühere) Prüfungsanordnung noch einen Prüfungsbericht für 2014 bis 2016 gegeben. Es handele sich bei der Anschlussprüfung für 2014 bis 2016 um die erste Anschlussprüfung. Die Prüfungsanordnung sei keine Schein-Prüfungsanordnung.
28
Die Steuerfestsetzungen 2014 bis 2016 stünden unter dem Vorbehalt der Nachprüfung; die reguläre Festsetzungsfrist sei nicht abgelaufen. Der Beginn der Außenprüfung führe zur Ablaufhemmung nach § 174 Abs. 4 AO.
29
Das Auswahlermessen des Finanzamts halte die Verhältnismäßigkeit und das Willkür- und Schikaneverbot ein. Für den als Mittelbetrieb eingestuften Betrieb des Klägers indizierten die Feststellungen der Vorprüfung einen Prüfungsbedarf; bei der Erstprüfung seien nur 2 Veranlagungszeiträume geprüft worden. Das Finanzamt habe sich ausschließlich auf sachbezogene Erwägungen zu den steuerlichen Verhältnissen gestützt, da nach Auffassung des Finanzamts im Vorprüfungszeitraum erhebliche Buchführungsmängel Einnahmenzurechnungen erforderten und solche Feststellungen auch im streitigen Prüfungszeitraum zu erwarten seien. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege nicht vor.
30
Auf die Einspruchsentscheidung wird im Einzelnen verwiesen; hiernach war der Betrieb des Klägers für die Prüfung 2012/2013 als Kleinbetrieb und aktuell als Mittelbetrieb eingeordnet. Die Prüfung begann am 30.08.2021.
31
Der Kläger hat Klage erhoben. Er trägt vor, obwohl formal nur eine Betriebsprüfung für 2012 und 2013 erfolgt sei, sei offenbar indirekt eine weitere – rechtswidrige – Prüfung für 2014 bis 2016, allerdings ohne Prüfungsanordnung durchgeführt worden. Entsprechend seien am 16.08.2019 in Auswertung der bisherigen Prüfung nicht nur die geprüften Veranlagungszeiträume 2012 und 2013 geändert worden, sondern einheitlich am selben Tag die Veranlagungen 2012 bis 2016 aufgrund Betriebsprüfung. Das Finanzamt spreche in der Einspruchsentscheidung vom 28.09.2020 von Feststellungen für die Jahre 2014-2016 und berichte, dass von 02.02.2016 bis 28.06.2018 eine Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2014 bis 2016 stattgefunden habe. Der Einspruchsentscheidung seien Kalkulationsgrundlagen und Prüfberechnungen beigefügt worden. Wenn nun das Finanzamt beteuere, für 2014 bis 2016 habe keine Prüfung stattgefunden, setze es sich in Widerspruch zur eigenen Darstellung in der Einspruchsentscheidung.
32
Wegen der bestehenden Rechtshängigkeit sei eine reformatio in peius nicht möglich; der Sinn der Prüfungsanordnung lasse sich daher nur in der Heilung bzw. Kaschierung bisher ohne Prüfungsanordnung getätigter Prüfungsfeststellungen erklären; dies sei im Verfahrensrecht jedoch nicht vorgesehen, entspreche nicht Sinn und Zweck des § 193 AO und sei rechtswidrig. Wenn wegen des Verbots der reformatio in peius aus der Prüfung keine Folgen mehr gezogen werden dürften, sei die Prüfungsanordnung rechtswidrig.
33
Angesichts der besonderen Sachlage einer Zweitprüfung, also einer Prüfung eines für diesen Zeitraum bereits abschließend geprüften Betriebs, und zugleich einer Anschlussprüfung unmittelbar an eine Prüfung in den ersten beiden Betriebsjahren hätte die Prüfungsanordnung einer Begründung bedurft. Hierzu wird Kommentarliteratur angeführt; der Klägervertreter setzt sich mit der BFH-Rechtsprechung auseinander. Infrage stehe hier die Belastungsgleichheit der Betriebe durch Außenprüfungen, die durch die Verwaltung herzustellen und durch die Gerichte zu überprüfen sei (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG). Der Klägervertreter führt Zahlen des BMF zur Prüfungshäufigkeit von Betrieben im Jahr 2019 nach Größenklassen an. Hiernach seien nur 3% der Kleinbetriebe geprüft worden. Die Finanzverwaltung müsse strukturelle Vorkehrungen treffen, um entsprechend dem Legalitätsprinzip die Steuerpflichtigen auch tatsächlich gleichmäßig zu prüfen. Sie habe den gleichmäßigen Gesetzesvollzug in der Begründung darzulegen. Dieses strukturelle Vollzugsdefizit begründe aber die Willkürlichkeit der vorliegenden Prüfungsanordnung. Der Kläger habe nicht erkennen können, warum er im Anschluss an eine Prüfung für 2012 und 2013 für 2014 bis 2016 im Weg der Doppelprüfung geprüft werden solle. Der Beklagte habe seine Ermessenserwägungen nicht dargelegt. Ein Ermessensausfall liege vor; eine Begründung fehle. Die Anordnung einer Anschlussprüfung verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Willkürverbot. Es entspreche Art. 19 Abs. 4 GG, die Ermessenserwägungen, die die Finanzverwaltung getroffen habe, als es um die Auswahl seines Betriebes zur Prüfung gegangen sei, überprüfbar zu machen.
34
Zuletzt betont der Kläger, die Prüfungsanordnung sei nur zum Schein erlassen worden, da sie ausschließlich den Sinn habe, die bereits getroffenen und nicht verwertbaren Prüfungsfeststellungen für 2014 bis 2016 mit einer Wiederholung der Prüfung auf eine vermeintlich rechtmäßige Grundlage zu stellen. Wenn man den Wortlaut der Einspruchsentscheidungen vom 28.09.2020 zugrunde lege und davon ausgehe, dass die Rechtsbehelfsstelle wahrheitsgemäß vorgetragen habe, habe eine Prüfung für 2014 bis 2016 ohne Prüfungsanordnung stattgefunden – auch wenn der BP-Bericht keine Ausführungen hierzu enthalte – und müsse ein Prüfer die Buchführungsunterlagen für 2014 bis 2016 heimlich genommen, ausgewertet und die Feststellungen, wie von der Rechtsbehelfsstelle in der Einspruchsentscheidung wiedergegeben, getroffen haben. Die Heimlichkeit des Erschleichens und Einsichtnehmens führe zu einem Verwertungsverbot der gewonnenen Erkenntnisse. Nach dem Sinn und Zweck der §§ 193 ff. AO sei nicht Sinn und Zweck einer Prüfungsanordnung, ein Verwertungsverbot auszuhebeln oder zu umgehen.
35
Der Kläger beantragt, die Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 02.08.2021 aufzuheben.
36
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
37
Es trägt vor, die Einspruchsentscheidung vom 28.09.2020 enthalte nicht die Aussage, dass für 2014 bis 2016 eine Prüfung stattgefunden habe; eine solche Aussage wäre auch unzutreffend. Soweit in der Einspruchsentscheidung stehe „Während dieser Zeit wurde von der Betriebsprüfung festgestellt, dass sich die Verhältnisse in den Jahren 2014 – 2016 nicht wesentlich verändert haben.“, bedeute dies nur, dass der Prüfer nach dem äußeren Eindruck des Betriebs keine wesentlichen Veränderungen habe erkennen können.
38
Aus der Einspruchsentscheidung gehe hervor, dass sämtliche darin vorgenommenen Umsatzzuschätzungen für die Gaststätte für 2012 bis 2016 auf der Anwendung eines Rohaufschlagsatzes von 265% beruhten.
39
Diesen habe die Rechtsbehelfsstelle ausgehend von einem sich für 2012 und 2013 aus der Einzelkalkulation ergebenden Rohaufschlagsatz von 242,86% (Verweis auf die Anlage zum Schreiben des Beklagten vom 08.07.2020) und unter Anwendung des mittleren Wertes der Richtsatzsammlung (von 257%) mit der Folge der Erhöhung des Werts auf 255% und weiterer Erhöhung um einen Unsicherheitszuschlag von 10% auf 265% ermittelt. Letzteres sei zusätzlich mit den sich in den Jahren 2015 und 2016 aus den erklärten Werten ergebenden Rohaufschlagsätzen begründet worden.
40
Die Umsatzzuschätzungen in den Jahren 2014 bis 2016 seien ausschließlich aufgrund der vorstehend geschilderten Überlegungen der Rechtsbehelfsstelle erfolgt.
41
Maßgebend seien die tatsächlichen Umstände, also, ob tatsächlich eine Außenprüfung stattgefunden habe. Dies sei nicht der Fall gewesen. Der Versuch des Klägers, aus dem Text der Einspruchsentscheidung vom 28.09.2020 heraus eine Außenprüfung zu konstruieren, könne keinen Erfolg haben.
42
Für den Zeitraum 2014 bis 2016 habe es vor dem 08.07.2021 keine Prüfungsanordnung, kein Erscheinen eines Prüfers beim Kläger, weder eine Anforderung von digitalen oder Papier-Unterlagen noch die Vorlage solcher durch den Kläger, keine erkennbaren Prüfungshandlungen und keinen Prüfungsbericht gegeben.
43
Auch eine heimliche Einsichtnahme in Unterlagen der Jahre 2014 bis 2016 durch einen Prüfer habe nicht stattgefunden.
44
Die Steuerfestsetzungen für 2014 bis 2016 stünden noch immer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung; auf § 164 Abs. 3 Satz 3 AO werde verwiesen. Unter Zugrundelegung der vom BFH im Urteil vom 24.04.2003 VII R 3/02 herausgearbeiteten Merkmale sei vor der streitigen Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 keine Außenprüfung im Sinne von § 193 AO für den Zeitraum 2014 bis 2016 durchgeführt worden. Damit liege keine Zweitprüfung vor.
45
Zum Begründungserfordernis für die Prüfungsanordnung verweist das Finanzamt auf das BFH-Urteil IV R 255/82: Unter Bezugnahme auf § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO führe der BFH aus, den von § 193 Abs. 1 AO betroffenen Steuerpflichtigen sei bekannt, dass bei ihnen routinemäßig Prüfungen durchgeführt würden, so dass eine aus diesem Grunde erlassene Prüfungsanordnung nicht näher begründet zu werden brauche.
46
Mit Beschluss in der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2022 wurden die Akten der Verfahren 6 K 1293/20 und 6 K 1273/21 zum Verfahren beigezogen.
47
Auf die Schriftsätze der Beteiligten, die dem Gericht vorliegenden Akten sowie die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen am 05.05.2022 und am 07.07.2022 wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

48
I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
49
Die Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Nach § 102 FGO relevante Fehler in der Ermessensausübung liegen nicht vor.
50
1. Die Finanzbehörde kann nach Maßgabe der Vorschrift des § 193 Abgabenordnung (AO) u.a. bei Steuerpflichtigen mit gewerblichen Einkünften eine Außenprüfung durchführen. Die Außenprüfung dient der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen (§ 194 Abs. 1 Satz 1 AO). Sie kann eine oder mehrere Steuerarten, einen oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen oder sich auf bestimmte Sachverhalte beschränken (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AO). Außenprüfungen werden von den für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden durchgeführt (§ 195 Satz 1 AO).
51
2. Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 AO eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszweckes (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat (z.B. BFH-Urteil in BStBl II 2017, 25, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 15.10.2021 VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97).
52
Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung ist die Vorschrift in dem Sinne zu verstehen, dass das Gericht die angegriffene Ermessensentscheidung nur auf Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung, Ermessensfehlgebrauch und in Ausnahmefällen auf die Verletzung des Grundsatzes der Ermessensreduzierung hin überprüfen kann (vgl. Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 102, Rn. 1d m.w.N.).
53
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob ein solcher Ermessensfehler vorliegt, ist der Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung (BFH-Urteile vom 26.03.1991 VII R 66/90, BStBl II 1991, 545; vom 14.09.1993 VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677, und vom 19.08.1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7; BFH-Beschluss vom 27.10.2003 III B 13/03, BFH/NV 2004, 312). Bis dahin kann das Finanzamt gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 AO Ermessenserwägungen in vollem Umfang nachholen bzw. austauschen und ursprünglich entstandene Ermessensfehler damit heilen. Nach Abschluss des Einspruchsverfahrens kann gemäß § 102 Satz 2 FGO nur noch eine Ergänzung von Ermessenserwägungen erfolgen.
54
3. In Bezug auf die Ermessensausübung bei der Anordnung sowie der Durchführung einer Außenprüfung hat sich die Finanzverwaltung durch die Regelungen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung – Betriebsprüfungsordnung – vom 15.03.2000 (BpO 2000, BStBl I 2000, 368) eine Selbstbindung auferlegt (vgl. BFH-Urteile vom 19.08.1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7, und vom 28.06.2000 I R 20/99, BFH/NV 2000, 1447); dies gilt etwa für den Umfang der Außenprüfung (vgl. § 4 BpO 2000) sowie für die Abfassung und den Inhalt der Prüfungsanordnung (vgl. § 5 BpO 2000).
55
4. Nach § 4 Abs. 3 BpO soll bei anderen Betrieben als Großbetrieben und Unternehmen i.S.d. §§ 13 und 19 BpO der Prüfungszeitraum in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Der Prüfungszeitraum kann insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht. Anschlussprüfungen sind zulässig.
56
§ 4 Abs. 3 BpO ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH als ermessensgerecht einzustufen (vgl. etwa BFH-Urteil vom 23.02.2005 XI R 21/04, BFH/NV 2005, 1218; BFH-Beschluss vom 11.08.2005 XI B 207/04, BFH/NV 2006, 9; FG München, Beschluss vom 23.06.2010 10 V 328/10, juris).
57
Die BpO bewirkt eine auch im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Selbstbindung der Finanzverwaltung bei der Anordnung von Außenprüfungen. Sie ist eine auf §§ 193 ff. AO bezogene ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift; ihre Auslegung richtet sich aber nicht nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Maßstäben, sondern danach, wie die Verwaltung sie versteht und verstanden wissen will. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (BFH-Entscheidungen vom 03.02.2009 VIII B 114/08, BFH/NV 2009, 887; vom 15.06.2016 III R 8/15, BStBl II 2017, 25 und vom 13.12.2018 VIII B 114/18, BFH/NV 2019, 385).
58
5. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass § 193 Abs. 1 AO keine weiteren Anforderungen enthält; es handelt sich um eine tatbestandlich voraussetzungslose Prüfungsermächtigung. Im Rahmen des § 193 Abs. 1 AO sind daher Außenprüfungen in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig. Weder der AO noch der Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen dürfen (z.B. BFH-Urteil vom 15.06.2016 III R 8/15, BStBl II 2017, 25, m.w.N.). Dies gilt nicht nur für Großbetriebe, sondern auch für Mittelbetriebe (s. hierzu BFH-Urteil in BStBl II 2017, 25) sowie Klein- und Kleinstbetriebe (z.B. BFH-Beschlüsse vom 16.02.2011 VIII B 246/09, BFH/NV 2011, 748; vom 14.03.2006 IV B 14/05, BFH/NV 2006, 1253, und vom 14.07.2014 III B 8/14, BFH/NV 2014, 1880, m.w.N.; vgl. auch Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 194 Rz 30, m.w.N.).
59
Danach sind Anschlussprüfungen grundsätzlich zulässig. Weder die AO noch die BpO 2000 schließen weitere Anschlussprüfungen aus (vgl. zur Anschlussprüfung BFH-Beschlüsse vom 14.03.2006 IV B 14/05, BFH/NV 2006, 1253; vom 20.10.2003 IV B 67/02, BFH/NV 2004, 311 und vom 07.06.2022 VIII B 105/21, juris; vgl. jeweils zur zweiten Anschlussprüfung BFH-Beschluss vom 09.11.2010 VIII S 8/10, BFH/NV 2011, 297; BFH-Urteil in BStBl II 2017, 25; vgl. zur dritten Anschlussprüfung BFH-Beschluss vom 15.10.2021 VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97).
60
6. Als schriftlicher Verwaltungsakt ist die Prüfungsanordnung (§ 196 AO) nach § 121 Abs. 1 AO schriftlich zu begründen, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist.
61
7. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen.
62
Substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, dürfen weder abgelehnt noch übergangen werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, die in Frage stehende Tatsache zu Gunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist.
63
Unsubstantiierten Beweisanträgen muss das Gericht nicht nachgehen. Unsubstantiiert sind Beweisanträge dann, wenn sie entweder das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne bestimmte Tatsachen nicht hinreichend konkretisieren, sie also nicht angeben, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll oder wenn sie dazu dienen sollen, unsubstantiierte Behauptungen zu stützen, wie etwa solche, die ohne jegliche tatsächliche Grundlage aufgestellt werden (sog. „Behauptungen und Beweisanträge ins Blaue hinein“ oder Ausforschungsbeweisanträge).
64
In welchem Maß eine Substantiierung zu fordern ist, hängt von der im Einzelfall bestehenden Mitwirkungspflicht der Beteiligten ab (vgl. Stapperfend in Gräber, FGO, § 76, Rz 26-33 m.w.N.).
65
II. An den oben genannten Grundsätzen gemessen, ist die Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 rechtmäßig. Es sind keine Rechtsanwendungs- oder Ermessensfehler auf Seiten des Beklagten ersichtlich.
66
1. Mit der Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 wurde eine Anschlussprüfung für den Zeitraum 2014 bis 2016 angeordnet, die sich an die Betriebsprüfung für die Jahre 2012 und 2013 beim Kläger anschloss.
67
2. Bei der Anschlussprüfung handelt es sich um eine erstmalige Prüfung des betreffenden Zeitraums.
68
a) Der Senat legt zwar in Übereinstimmung mit dem Kläger die Formulierungen auf S. 13 der Einspruchsentscheidungen vom 28.09.2020 als Darstellung bzw. Behauptung einer Betriebsprüfung für die Jahre 2014 bis 2016 aus.
69
Die Verwendung der Formulierung „Feststellungen für die Jahre 2014 – 2016: Die Außenprüfung fand vom 02.02.2016 bis 28.06.2018 statt. Während dieser Zeit wurde von der Betriebsprüfung festgestellt, dass sich die Verhältnisse in den Jahren 2014 – 2016 nicht wesentlich verändert haben.“ führt bei einem unabhängigen Leser zum Verständnis, eine Außenprüfung habe stattgefunden. Dies gilt insbesondere für die Ausführung „Während dieser Zeit [02.02.2016 bis 28.06.2018] wurde von der Betriebsprüfung festgestellt, dass sich die Verhältnisse in den Jahren 2014 – 2016 nicht wesentlich verändert haben.“ Dies kann sowohl vom Wortsinn als auch vom inhaltlichen Gehalt der Aussage nur als Vortrag einer durchgeführten Prüfung verstanden werden.
70
Es trifft zwar zu – wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2022 darstellte – dass im anschließenden Satz 3 von einer Anwendung der Feststellungen hinsichtlich Aufzeichnungsmängeln, Differenzen im Geldverkehr, Schätzungsbefugnis, Nichterfassung von Hotelumsätzen, sowie der Grundlagen für die Nachkalkulation und einer Übertragung in entsprechender Form auf diese Jahre die Rede ist.
71
Aus diesem Satz und auch aus der Gesamtheit der genannten Sätze ist jedoch nicht etwa klar zu entnehmen, dass das Finanzamt prüfungslos die Feststellungen der Jahre 2012 und 2013 entsprechend auf die Jahre 2014 – 2016 überträgt. Vielmehr kann dieser Satz 3 im Zusammenhang mit den Sätzen 1 und 2 auch so verstanden werden, dass die Außenprüfung, die festgestellt hat, dass sich die Verhältnisse in den Jahren 2014 – 2016 nicht wesentlich verändert haben, Feststellungen zu Aufzeichnungsmängeln, Differenzen im Geldverkehr, Schätzungsbefugnis, Nichterfassung von Hotelumsätzen, sowie den Grundlagen für die Nachkalkulation getroffen hat und die Folgen gleichermaßen für diese Jahre gelten. Nach diesem Verständnis diente dieser Satz der Vermeidung einer erneuten umfangreichen Darstellung der Feststellungen und stilistisch als Bezugnahme auf die Ausführungen auf Seiten 6 bis 12 der Einspruchsentscheidungen.
72
Auch der Umstand, dass sich der fragliche Abschnitt unter II. der Einspruchsentscheidung und damit in den rechtlichen Erörterungen findet und nichts von einer Prüfung berichtet, führt aus Sicht des Senats zu keinem gegenteiligen Verständnis. Der knappe Tatbestand der Einspruchsentscheidung unter I. macht nicht deutlich, welche Jahre die Betriebsprüfung umfasste. Auch das systematische Argument greift nicht durch: unter II. der Einspruchsentscheidungen mischen sich auch in anderen Passagen Sachverhalt und rechtliche Würdigung (vgl. dort Seiten 7/8).
73
b) Der Senat folgt jedoch dem Kläger nicht mit dem Schluss, dass die Darstellung bzw. Behauptung einer Betriebsprüfung auch eine tatsächliche Prüfung belegt. Eine falsche bzw. sehr missverständliche Tatsachenbehauptung in einer Einspruchsentscheidung schafft keine Realität. Dies gilt sowohl zulasten des Staates wie umgekehrt zulasten des Steuerpflichtigen. Daher ist entscheidungserheblich, ob tatsächlich Prüfungshandlungen auf Veranlassung des Finanzamtes für die Streitjahre erfolgten.
74
c) Weder in der Prüfungsanordnung vom 19.01.2016 für 2012 und 2013, noch in den ergangenen BP-Berichten vom 09.10.2018 und 16.07.2019 finden sich Anordnungen bzw. Feststellungen für die Jahre 2014 bis 2016.
75
Die Prüfungsanordnung vom 19.01.2016 ist auch nicht auf die Jahre 2014 bis 2016 erweitert worden.
76
Der Kläger führt das Zeugnis der Frau D und das Zeugnis des Herrn E, zu laden über das Steuerberatungsbüro D, dafür an, dass eine Erweiterung der ursprünglichen Prüfungsanordnung nicht an den Kläger oder dessen damalige Steuerberatungsgesellschaft versandt worden bzw. dort auch nie eingegangen ist.
77
Der Senat unterstellt die in Frage stehende Tatsache – dass eine Erweiterung der ursprünglichen Prüfungsanordnung nicht an den Kläger oder dessen damalige Steuerberatungsgesellschaft versandt worden bzw. dort auch nie eingegangen ist – zu Gunsten des Beweisführenden als wahr. Einer Beweiserhebung und Einvernahme der genannten Personen als Zeugen bedarf es nicht.
78
d) Eine tatsächliche Prüfungstätigkeit vor der Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 ist nicht belegt. Weder aus den Handakten noch aus sonstigen Unterlagen der Betriebsprüfung bzw. aus Akten des Finanzamts oder weiteren Umständen ergeben sich offene oder heimliche Prüfungstätigkeiten eines Prüfers für die Streitjahre.
79
aa) Offene Prüfungshandlungen für 2014 bis 2016 während der Betriebsprüfung für 2012 und 2013 sind aus den Akten der Betriebsprüfung nicht ersichtlich.
80
Aus den Akten der Betriebsprüfung ist nicht zu entnehmen, dass der Prüfer aktiv Unterlagen für 2014 bis 2016 angefordert hätte. Feststellungen für 2014 bis 2016 oder ein Prüfbericht für 2014 bis 2016 sind nicht vorhanden.
81
In der Prüferakte finden sich für die Jahre 2014 – 2016 lediglich vom Kläger unaufgefordert vorgelegte Unterlagen, die Vorgänge der Jahre 2012 und 2013 erläutern sollen. Dies sind:
- Rechnungen vom 04.04.2014 und 15.03.2014 über Service Coaching, die in Zusammenhang mit der Anfrage des Prüfers vom 07.03.2016 und vom 18.04.2016 stehen und von Klägerseite mit Schreiben vom 19.05.2016 vorgelegt wurden. Die Frage des Prüfers hatte Betriebsausgaben aus dem Jahr 2013 für eine Zugfahrt von Stadt 1 nach Stadt 2 und zurück betroffen. Mit der Vorlage der Rechnungen aus 2014 erläuterte die Klägerseite, dass die aufgesuchte Person 2014 2 Coaching-Veranstaltungen für den Servicebereich durchgeführt hatte.
- Aufschlagskalkulation 2014-2016, datiert auf den 16.08.2017, die das Steuerberatungsbüro übersandt hatte, mit dem Ziel, von 2016 ausgehend, retrograd eine Rückrechnung in die Prüfungsjahre für 2012 und 2013 vorzunehmen,
- Vorlage klägerseits von Aufzeichnungen über den Getränkeverbrauch im Frühstücksbereich für die Jahre 2015, 2016, 2017 sowie von Oktober 2018 bis Juni 2019, die Bettenbelegung von Oktober 2018 bis September 2019 sowie die Personalgetränke von Oktober 2018 bis Juni 2019 mit dem Ziel, die mangels Aufzeichnungen für 2012 und 2013 fehlenden Werte unter Zuhilfenahme von Daten aus späteren Jahren zu ermitteln; die Vorlage dieser Unterlagen ist jedoch erst in der Einspruchsbegründung ersichtlich.
82
Außerhalb aller Prüfungszeiträume ist eine interne Finanzamts-Information abgelegt, nämlich die Kopie einer Veräußerungsanzeige der Notarin B an das Finanzamt (§ 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStG) vom 29.06.2017 über den Erwerb des Grundstücks Adresse 1, Stadt 1, von der Bank 1 durch den Kläger.
83
Ferner findet sich eine Kellnerliste vom 24.02.2016, die auf Bon-Papier der Kasse ausgedruckt ist; auf der Rückseite ist handschriftlich vermerkt: Version 4.7.0. Diese ist außerhalb des Prüfungszeitraumes 2012-2013 nach § 146b Abs. 1 AO zulässig zur rückblickenden Überprüfung der Kassenprogramme.
84
Die genannten Unterlagen belegen keine Ermittlungshandlungen für 2014 bis 2016 durch den Prüfer. Soweit klägerseits Unterlagen für Zeiten ab 2014 vorgelegt wurden, geschah dies, um Fragen betreffend 2012 bzw. 2013 zu beantworten, die Schätzung einzelner Werte (Mitarbeiterverköstigung, Frühstücksgetränke, Bereitstellung von Wasser für Hotelgäste) des Prüfers wegen fehlender Aufzeichnungen für 2012 und 2013 zu entkräften oder eine Gegenberechnung aufzustellen (so bei der retrograden Ermittlung des Aufschlagssatzes). Darin liegen keine Ermittlungshandlungen des Prüfers für spätere Zeiträume.
85
Auch aus den weiteren Akten des Finanzamts ist nicht ersichtlich, dass ein Prüfer Unterlagen für 2014 bis 2016 angefordert oder eingesehen, Feststellungen für 2014 bis 2016 getroffen oder einen Prüfbericht für 2014 bis 2016 erstellt hätte.
86
bb) Auch der Kläger trägt vor, Prüfungshandlungen habe es nicht gegeben.
87
Insbesondere in seinem Schriftsatz vom 27.04.2021 führt der Kläger aus, kein Prüfer habe sich die Buchführung für die Jahre 2014 bis 2016 angesehen; jedenfalls seien die Buchführungsunterlagen dem Prüfer C nicht vorgelegt und auch nie von ihm angefordert worden.
88
Der Kläger führt das Zeugnis der Frau D, das Zeugnis des Herrn E, zu laden über das Steuerberatungsbüro D, und das Zeugnis des Vaters F, der bezeugen wird, dass kein Prüfer die Unterlagen 2014-16 eingesehen oder abgeholt hat, als Beweismittel dafür an, dass kein Prüfer die Unterlagen 2014-16 eingesehen oder abgeholt hat.
89
Der Senat unterstellt die in Frage stehende Tatsache – dass kein Prüfer die Unterlagen 2014-16 eingesehen oder abgeholt hat – zu Gunsten des Beweisführenden als wahr. Einer Beweiserhebung und Einvernahme der genannten Personen als Zeugen bedarf es nicht.
90
cc) Auch heimliche oder verdeckte Handlungen ohne Kenntnis des Klägers sind nicht ersichtlich, insbesondere nicht das heimliche Erschleichen des Zugangs und das heimliche Einsichtnehmen in nicht vorgelegte Unterlagen außerhalb des Prüfungszeitraums.
91
Aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte für derartiges Tätigwerden.
92
Auch der Kläger macht hier keinen substantiierten Vortrag, sondern äußert, dies sei nicht bekannt.
93
Er folgert jedoch aus dem als wahrheitsgemäß unterstellten Vortrag der Rechtsbehelfsstelle zu Feststellungen hinsichtlich der nicht-wesentlichen Veränderung der Verhältnisse in den Jahren 2014 bis 2016, dass entweder Herr C oder ein anderer Prüfer sich heimlich die Buchführungsunterlagen für die Veranlagungszeiträume 2014 – 2016 genommen, diese angesehen und ausgewertet habe und die Feststellungen, wie von der Rechtsbehelfsstelle in der Einspruchsentscheidung vom 28.09.2020 (Seite 13, 2. Absatz) wiedergegeben, getroffen habe.
94
Der Senat vermag dieser Schlussfolgerung nicht zu folgen:
95
Zwar hat die Rechtsbehelfsstelle mit falschen oder zumindest sehr missverständlichen Tatsachenbehauptungen eine Betriebsprüfung behauptet; eine behauptete Betriebsprüfung ersetzt jedoch keine wirklich durchgeführte Prüfung.
96
Für Prüfungshandlungen oder eine durchgeführte Prüfung für 2014 bis 2016 gibt es im gesamten Aktenbestand keinen Beleg, so dass die Behauptung in der Einspruchsentscheidung falsch ist.
97
Wenn man sich nur an der fälschlichen Behauptung in der Einspruchsentscheidung als „wahrheitsgemäß“ orientiert und diese zum Maßstab des -wohl Geschehenen nimmt, setzt man sich in Widerspruch zum übrigen Akteninhalt. Eine aus den Akten nicht belegte Prüfung für 2014 bis 2016 kann nicht aus einem Erklärungsversuch der falschen Behauptung einer Betriebsprüfung hergeleitet werden; hierbei handelt es sich nach Auffassung des Senats um eine Spekulation.
98
dd) Der Senat hält den Vortrag des Finanzamts in den Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung, wonach es die Kalkulationen in den Einspruchsentscheidungen für 2014 bis 2016 aufgrund Erkenntnissen des Innendiensts erstellte, die auf den eingereichten Erklärungen und Unterlagen für die Veranlagungszeiträume 2014 ff beruhten, für nachvollziehbar. Hierfür spricht auch, dass die Zuschätzungen auf der Heranziehung eines (einheitlichen) Rohaufschlagsatzes von 265% beruhen.
99
Der Senat stellt jedoch ausdrücklich klar, dass er das Vorgehen des Finanzamts hinsichtlich der Kalkulationen 2014 bis 2016 in den Einspruchsentscheidungen vom 28.09.2020 methodisch und inhaltlich für untragbar hält. Aus diesem Grund hatte er in der mündlichen Verhandlung im Verfahren 6 K 1293/20 am 21.10.2021 auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidungen diesbezüglich hingewirkt.
100
e) Eine Zweitprüfung des Zeitraums 2014 – 2016 aufgrund der Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 liegt nicht vor. Eine „Erst“-Prüfung zeitgleich mit der Außenprüfung für 2012 und 2013 hat nicht stattgefunden; es handelt sich um die erstmalige Prüfung.
101
Ebenso kann der Senat auch nicht die Einschätzung des Klägers teilen, es läge eine Scheinprüfung vor, um bereits gewonnene Prüfungsfeststellungen auf eine vermeintlich rechtmäßige Grundlage zu stellen bzw. bisher ohne Prüfungsanordnung getätigte Prüfungsfeststellungen zu kaschieren. Frühere Prüfungshandlungen und -feststellungen sind, wie oben dargestellt, nach Einschätzung des Senats realiter nicht vorhanden.
102
3. Die Prüfungsanordnung ist ausreichend begründet.
103
Die Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 enthält zwar selbst keine Begründung bzw. Darstellung von Ermessenserwägungen. In der Einspruchsentscheidung vom 02.08.2021 erfolgt jedoch eine Begründung und es werden Ermessenserwägungen angestellt.
104
Das Finanzamt setzt sich mit der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkür- und Schikaneverbots auseinander. Es geht von einem Prüfungsbedarf aufgrund der Feststellungen der Vorprüfung aus, bei der nach Auffassung des Finanzamts erhebliche Buchführungsmängel Einnahmezurechnungen erforderten und die auch im Prüfungszeitraum zu erwarten gewesen seien.
105
4. Nach § 102 FGO relevante Fehler in der Ermessensausübung liegen nicht vor.
106
a) Das Finanzamt hat die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beim Erlass der Prüfungsanordnung vom 08.07.2021 nicht überschritten.
107
aa) Für den Erlass einer Prüfungsanordnung lassen sich keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und zur Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln (BFH-Beschluss vom 24.05.2022 VIII B 53/21, BFH/NV 2022, 804 und vom 15.10.2021 VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97). Die Frage, ob die Finanzbehörde bei Anordnung einer Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu überprüfen.
108
Gleiches gilt für die Frage, ob das Finanzamt im Streitfall konkreter hätte begründen müssen bzw. ob aufgrund der lückenlosen Anordnung von Anschlussprüfungen nach den Umständen des Streitfalls eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt (vgl. BFH-Beschluss vom 13.12.2018 VIII B 114/18, BFH/NV 2019, 385 und vom 15.10.2021 VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97 (zur dritten Anschlussprüfung).
109
bb) Das Finanzamt ist – in Anwendung der BpO als verwaltungsinterner Ermessensrichtlinie – von der Zulässigkeit einer Anschlussprüfung beim Betrieb des Klägers als Mittelbetrieb ausgegangen (§ 4 Abs. 3 Satz 3 BpO).
110
Es hat sich mit den Grenzen der Außenprüfung, Verhältnismäßigkeitsprinzip und Willkürverbot auseinandergesetzt und keinen Verstoß erkannt.
111
cc) Für den Senat sind Anhaltspunkte für eine willkürliche oder schikanöse Belastung des Klägers durch den Erlass der angefochtenen Prüfungsanordnung ebenfalls nicht ersichtlich.
112
Anhaltspunkte für sachfremde Motive für den Erlass der Prüfungsordnung gegenüber dem Kläger – etwa in der Person des Klägers liegende Gründe – hat der Kläger weder vorgetragen, noch sind sachfremde Motive für den Senat erkennbar.
113
Vielmehr hat das Finanzamt auf die Prüfungswürdigkeit des Betriebs des Klägers abgestellt: Es geht von einem Prüfungsbedarf aufgrund der Feststellungen der Vorprüfung aus, bei der nach Auffassung des Finanzamts erhebliche Buchführungsmängel Einnahmezurechnungen erforderten und die auch im Prüfungszeitraum zu erwarten gewesen seien.
114
Angesichts der Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht vom 16.07.2019 für die Jahre 2012 und 2013 mit Erhöhungen des Gewinns aus Gewerbebetriebs um über 100.000 €/Jahr konnte das Finanzamt -nach seiner Auffassung im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidunghiervon auch ausgehen. Insbesondere wegen der nach Auffassung des Finanzamts nicht den Vorschriften der AO entsprechenden Kassenaufzeichnungen wegen nicht durch Umbuchungen und Wiedereröffnungen von Tischen erklärbare Session-Lücken, wegen der festgestellten Kassenfehlbestände im Jahr 2013 und Abgleichsdifferenzen Hotelumsätze lt. Ausgangsrechnung mit unbaren Zahlung und Aufzeichnungen durfte das Finanzamt im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung davon ausgehen, dass wahrscheinlich auch im Anschlusszeitraum beim Betrieb des Klägers mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen bei Einkommensteuer und Gewerbesteuermessbetrag zu rechnen ist.
115
Damit durfte das Finanzamt von einer konkreten Prüfungsbedürftigkeit des Klägers ausgehen, weil sich aus der Vorprüfung Fragen und Unklarheiten mit ganz erheblichen steuerlichen Auswirkungen ergeben hatten (vgl. BFH-Beschluss vom 15.10.2021 VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97).
116
Es ist damit nicht erkennbar, dass sich das Finanzamt bei Erlass der Prüfungsanordnung maßgeblich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und der Zweck der Prüfung der steuerlichen Verhältnisse in den Hintergrund getreten ist.
117
dd) Ermessensfehler sind auch nicht aus der Darstellung des Klägers ersichtlich, wonach er nach Prüfung von zwei Jahren nach Gründung des Einzelunternehmens einer Anschlussprüfung mit einem Umfang von weiteren drei Jahren unterzogen werde und damit einer höheren Prüfungsintensität als andere (Gastronomie-)Betriebe unterliege, die weitaus seltener oder nie geprüft würden.
118
Zunächst liegt kein Fall einer Betriebsgründung, sondern einer Betriebsübernahme von der Mutter vor. Schon dies ist ein sachlicher Grund für eine Prüfung der Jahre 2012 und 2013. Für die Anschlussprüfung führt das Finanzamt ausreichende Ermessensgründe an.
119
Nach der Rechtsprechung des BFH sowie dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen der §§ 193 ff. AO und der BpO 2000 ist jenseits der Routine- und Zufallsprüfungen die Prüfungsbedürftigkeit das ausschlaggebende Kriterium für eine anlassbezogene Prüfung des Steuerpflichtigen. Ob im konkreten Streitfall eine hinreichende Prüfungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gegeben ist, kann nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BFH-Beschluss vom 15.10.2021 VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97).
120
Das Finanzamt ist im Streitfall nach den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung von der Prüfungsbedürftigkeit des Betriebs des Klägers für die drei Folgejahre aufgrund der Feststellungen aus der Prüfung der (zwei) Vorjahre ausgegangen und hat damit die Anordnung der Anschlussprüfung begründet.
121
Ermessensfehler i.S.v. § 102 FGO liegen hier nicht vor.
122
b) Ermessensfehler liegen auch nicht etwa darin, dass eine Prüfung angeordnet wurde, obwohl die Ergebnisse unter keinen Umständen für die Besteuerung erheblich sein können oder für die Besteuerung nicht verwertet werden dürfen. Hierfür gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt.
123
aa) Das Vorbringen des Klägers, diese ergäben sich daraus, dass eine Außenprüfung angeordnet worden sei, obwohl die Auswertung der Feststellung im Widerspruch zum Verböserungsverbot (Verbot der reformatio in peius) stünde, greift nicht durch.
124
Zwar trifft es zu, dass im Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung und der Einspruchsentscheidung hierzu die Klage 6 K 1293/20, die die Einkommensteuer 2012 bis 2016, Gewerbesteuermessbetrag 2012 bis 2016, gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31.12.2012, 31.12.2013, 31.12.2014, 31.12.205 und 31.12.2016 umfasste, anhängig war und damit (auch) hinsichtlich der Streitjahre 2014 bis 2016 das Verböserungsverbot zur Anwendung kommt.
125
Das Verbot der Verböserung besagt, dass das Gericht durch seine Entscheidung die Rechtsposition des Klägers nicht verschlechtern, also z.B. die Steuer nicht höher festsetzen darf, als sie in dem angefochtenen Steuerbescheid festgesetzt war. Dieses Verböserungsverbot ergibt sich aus der durch Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebenen Rechtsschutzfunktion des finanzgerichtlichen Verfahrens, mithin daraus, dass die FG dem Bürger, nicht der Verwaltung Rechtsschutz zu gewähren haben (so Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 [Entscheidungsgrundsätze], Rn. 101), teils wird es auch aus § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO gefolgert (vgl. Lange in: Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 96 [Entscheidungsgrundsätze], Rn. 196). Adressat ist das Gericht.
126
Vorliegend standen jedoch die o.g. Bescheide, soweit sie die Jahre 2014 bis 2016 betrafen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Damit konnte sie das Finanzamt nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO ändern und dabei Prüfungsfeststellungen ggf. auch zu Lasten des Klägers auswerten. Die Vorschriften über Rücknahme, Widerruf, Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten gelten auch während eines Einspruchsverfahrens und während eines finanzgerichtlichen Verfahrens (§ 132 Satz 1 AO).
127
bb) Hindernisse in der Verwertung der Prüfungsfeststellungen sind nicht ersichtlich.
128
Es handelt sich um die erste Anschlussprüfung.
129
Das Vorbringen von Klägerseite, wonach für 2014 bis 2016 bereits eine Prüfung ohne Prüfungsanordnung vorgelegen habe bzw. haben müsse, was der nunmehrigen Prüfungsanordnung die Rechtmäßigkeit nehme, da sie als Scheinprüfung dazu diene, die rechtswidrigen früheren Prüfungsmaßnahmen zu kaschieren und zu heilen, führt zu keiner anderen Einschätzung.
130
Frühere Prüfungshandlungen und -feststellungen sind, wie oben dargestellt, nach Einschätzung des Senats realiter nicht vorhanden.
131
III. Der Senat ist bereits auf die Beweisanträge des Klägers zur Zeugeneinvernahme von Frau D und Herrn E dafür, dass eine Erweiterung der ursprünglichen Prüfungsanordnung nicht an den Kläger oder dessen damalige Steuerberatungsgesellschaft versandt worden bzw. dort auch nie eingegangen ist, sowie zur Zeugeneinvernahme von Frau D, Herrn E und des Vaters F, die bezeugen werden, dass kein Prüfer die Unterlagen 2014-16 eingesehen oder abgeholt hat, als Beweismittel dafür an, dass kein Prüfer die Unterlagen 2014-16 eingesehen oder abgeholt hat, eingegangen (vgl. oben II.2.c) und II.2.d) bb)).
132
Weiteren Beweisanträgen braucht nicht nachgegangen zu werden.
133
1. Beweisbegehren in Bezug auf Akteninhalte des Verfahrens 6 K 1293/20 bzw. des hiervon abgetrennten Verfahrens 6 K 1273/21 sowie des vorliegenden Verfahrens
134
a) Soweit sich der Kläger auf die Akteninhalte des Verfahrens 6 K 1293/20 bzw. des hiervon abgetrennten Verfahrens 6 K 1273/21 und hier insbesondere auf die Einspruchsentscheidungen vom 28.09.2020 als „Beweis“ bezieht, ist bereits zweifelhaft, ob hierin ausreichend substantiierte Beweisanträge liegen. Eine hinreichende konkretisierte Benennung zumindest des voraussichtlichen Ergebnisses der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne bestimmte Tatsachen ist nicht ersichtlich. Vielmehr entsteht der Eindruck, hier handele es sich eher um die Angabe der Fundstelle oder die Verdeutlichung des Wortlauts.
135
b) Geht man bei wohlwollendem Verständnis von einem als ausreichend substantiiert anzusehenden Beweisantrag aus und versteht die Erklärung des Klägers dahingehend, als beantrage dieser die Inaugenscheinnahme der betreffenden Aktenbestandteile bzw. der Einspruchsentscheidungen bzw. deren Berücksichtigung im Weg des Urkundsbeweises zum Beweis der Tatsache, dass diese den angegebenen Inhalt haben, bedarf es dieser Beweiserhebung nicht. Aus Sicht des Senats kann diese in Frage stehende Tatsache zu Gunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden.
136
c) Für die Berücksichtigung von Urkunden als Beweismittel reicht es im Übrigen aus, dass sie dem Gericht vorliegen (grds. im Original BFH X B 132/02, BFH/NV 2004, 495). Ein formalisiertes Einführen in die mündliche Verhandlung oder gar eine Verlesung sind nicht erforderlich (BFH VII B 91/02, BFH/NV 2003, 192; VII B 260/03, BFH/NV 2004, 807; vgl. Gräber/Herbert, 9. Aufl. 2019, FGO § 82 Rn. 40).
137
d) Die Akten des Verfahrens 6 K 1293/20 bzw. des hiervon abgetrennten Verfahrens 6 K 1273/21 wurden mit Beschluss vom 05.05.2022 zum Verfahren beigezogen und sind damit ohnehin Grundlage für die Entscheidung des Senats.
138
Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten.
139
In diese Akten war dem Klägervertreter am 09.02.2021 Akteneinsicht beim Finanzamt Stadt 3 und elektronisch am 19.01.2021 (Gerichtsakte), 04.03.2021 und 25.03.2021 (Teile der Behördenakte) und 04.10.2021 (nachgereichte Teile der Behördenakte) gewährt worden. Am 03.05.2022 war dem Klägervertreter elektronisch Einsicht in die Gerichtsakte der genannten Verfahren und am 05.05.2022 dem Kläger und dem Klägervertreter im Sitzungssaal des Finanzgerichts Einsicht in die Behördenakten gewährt worden.
140
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass andere Aktenzeichen aus dem Verfahrenskomplex andere Streitgegenstände betreffen – so etwa die Verfahren 6 K 1292/20, 2 K 1294/20 und 2 K 1295/20 –, so dass deren Beiziehung nicht veranlasst war.
141
e) Gleiches (vgl. oben a) bis c)) gilt insbesondere, soweit sich der Kläger auf eigenen Vortrag als „Beweis“ bezieht, den er im Rahmen des Schriftverkehrs im Verwaltungs- und Klageverfahren der Verfahren 6 K 1293/20 bzw. des hiervon abgetrennten Verfahrens 6 K 1273/21 gemacht hat.
142
Gleiches gilt ebenfalls, wenn sich der Kläger auf eigenen Vortrag und weiteren Akteninhalt des vorliegenden Klageverfahrens einschließlich des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens als „Beweis“ bezieht.
143
Soweit sich der Kläger auf den Wortlaut von Gerichtsentscheidungen bezieht und deren Wortlaut wiedergibt, stellt die Angabe der Fundstelle mit „Beweis“ keinen substantiierten Beweisantrag dar.
144
2. Soweit der Kläger eine amtliche Auskunft des BMF sinngemäß darüber begehrt, (1) dass es bundesweit keinen anderen Betrieb gebe, der nicht Großbetrieb sei, dem Gleiches, also eine Prüfung für die ersten beiden Jahre seiner Öffnung und unmittelbar im Anschluss drei weitere Jahre Prüfung widerfahren sei,
(2) warum der Steuerpflichtige eine erneute Prüfung ohne Begründung und ohne Erläuterung hinnehmen müsse und
(3) welcher Betrieb, der nicht Großbetrieb ist, habe schon für die ersten fünf Jahre seines Bestehens 100% Prüfungsjahre? Keiner!, ist diesem nicht nachzugehen.
145
Es ist höchst fraglich, ob überhaupt substantiierte Beweisanträge vorliegen.
146
Das Begehren (1) stellt einen unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag dar. Die begehrte Auskunft ist nicht entscheidungserheblich.
147
Beweisermittlungs- oder Beweisausforschungsanträgen, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken soll, muss das Gericht regelmäßig nicht nachkommen (BFH-Urteil vom 14.03.2017 VIII R 32/14, BFH/NV 2017, 1174). Mit dem Beweisantrag will der Kläger keine Tatsache beweisen, sondern die von ihm aufgestellte These verifizieren und zur Tatsache werden lassen. Im Übrigen ist das angestrebte Ergebnis, eine Auskunft des BMF, für die zu treffende Entscheidung unerheblich. Der Senat hat oben unter II. die maßgeblichen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung dargestellt und hat die streitgegenständliche Prüfungsanordnung anhand dieser Anforderungen zu beurteilen.
148
Eine Auskunft des BMF gehört nicht zu diesen Anforderungen.
149
Das Begehren (3) stellt sich lediglich als rhetorische Frage und inhaltlich als Wiederholung von (1) dar; ein substantiierter Beweisantrag liegt nicht vor.
150
Das Begehren (2) betrifft letztlich die Rechtsfrage, die der Senat im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung zu klären hat. Es handelt sich bei der Frage, ob der Kläger eine erneute Prüfung -nach Angabe des Klägers ohne Begründung und ohne Erläuterunghinnehmen muss, nicht um eine Sachverhalts- bzw. Tatsachenfrage, sondern um eine rechtliche Beurteilung. Diese ist dem Beweis nicht zugänglich.
151
3. Dem Antrag des Klägers auf Beiziehung sämtlicher Prüfungsakten sämtlicher vergleichbarer Gastronomiebetriebe [im] Umkreis von 100 km des Klägers muss der Senat nicht nachkommen.
152
Der Kläger will hiermit die ungleiche Belastung und damit die willkürliche und unverhältnismäßige Prüfung des hier konkret betroffenen Betriebes belegen, da alle wüssten, dass die vergleichbaren Betriebe natürlich nicht genauso hart geprüft würden.
153
Es handelt sich wiederum um einen unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag. Der Kläger will nicht eine Tatsache beweisen, sondern seine Einschätzung, er würde ungleich belastet und willkürlich und unverhältnismäßig geprüft, mit aus diesen Akten zu gewinnenden Erkenntnissen unterlegen, bzw. hieraus Tatsachen entnehmen.
154
Das Ansinnen des Klägers steht zudem in Widerspruch zum Steuergeheimnis nach § 30 AO; das Beweismittel ist daher unzulässig.
155
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO.