Inhalt

VG München, Urteil v. 09.02.2022 – M 16 K 21.2040
Titel:

Klage gegen Untersagung der Ausübung eines Gewerbes

Normenkette:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden und der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung kommt es nicht darauf an, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens weiterentwickelt haben. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus dem ausschließlich sicherheitsrechtlichen, zukunftsbezogenen Regelungszweck von § 35 GewO folgt, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht ankommt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Prüfung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit ist auch bei einer strafrechtlichen Verurteilung eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts vorzunehmen. Eine Unzuverlässigkeit kann bei rechtswidrigem Verhalten des Gewerbetreibenden nicht ausnahmslos in jedem Fall bejaht werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung (erweitert), gewerberechtliche Unzuverlässigkeit, gewerbebezogene Straftat (u.a. Insolvenzverschleppung)
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.04.2023 – 22 ZB 22.1451
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47263

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die zum Teil zwangsmittelbewehrten Verfügungen aus dem Bescheid der Beklagten vom 26. März 2021, mit denen ihm die Ausübung des Gewerbes „Vermittlung und Beratung von Personal“ als selbstständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe untersagt wurde (Nr. 1 des Bescheidstenors) sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe (Nr. 2 des Bescheidstenors).
2
Der Kläger zeigte zum 19. März 2018 die Ausübung der Tätigkeit „Vermittlung und Beratung von Personal“ bei der Beklagten an.
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Durch Mitteilung der Staatsanwaltschaft M. I vom 1. Februar 2021 wurde die Beklagte davon in Kenntnis gesetzt, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der … … GmbH strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom … November 2019 (Az.: ...) wurde gegen den Kläger wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Tatmehrheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 12 Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen verhängt. Infolge des vom Kläger hiergegen eingelegten (auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten) Einspruchs wurde vom Amtsgericht München mit Urteil vom … Oktober 2020 gegen den Kläger eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt. Hinsichtlich des Schuldspruchs ist der Strafbefehl seit 28. Oktober 2020 rechtskräftig, im Übrigen ist die Entscheidung seit 5. November 2020 rechtskräftig.
4
Das Gewerbezentralregister enthielt nach den aktenkundigen Ermittlungen der Beklagten mit Stand 11. Februar 2021 eine Eintragung:
Entscheidung vom: …7.2018
Geschäftsnummer: …
Erkennende Stelle: Bundesagentur für Arbeit Agentur für Arbeit … unanfechtbar seit: 28.12.2018 Ablehnung der Zulassung zu: Arbeitnehmerüberlassung angewendete Rechtsvorschriften: Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 als vertretungsberechtigter einer juristischen Person (§ 151 Abs. 1 Nr. 1 GewO)
5
Auf dieser Grundlage hörte die Beklagte den Kläger sowie die Industrie- und Handelskammer für M. und O. jeweils mit Schreiben vom 1. März 2021 zur beabsichtigten (erweiterten) Gewerbeuntersagung an.
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Der Kläger äußerte sich auf das Anhörungsschreiben, welches ihm am 4. März 2021 zugestellt wurde, nicht.
7
Die Industrie- und Handelskammer erhob keine Einwände. Der Kläger werde (ebenso wie die … … GmbH) zum I...-Beitrag veranlagt, Beitragsrückstände bestünden keine.
8
Am 26. März 2021 erließ die Beklagte den angefochtenen Bescheid, der dem Kläger am 31. März 2021 zugestellt wurde.
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Zur Begründung beruft sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen im Strafbefehl bzw. -urteil.
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Mit Schreiben vom … April 2021, bei Gericht eingegangen am 14. April 2021, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 26. März 2021 aufzuheben.
11
Zur Begründung führte der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen aus, dass der Kläger für die (insolvente) … … GmbH lediglich pro forma als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen gewesen sei. Die Tätigkeit des Klägers habe sich darauf beschränkt, im Außendienst zu arbeiten. Tatsächliche und faktische Geschäftsführerin sei Frau N. C. gewesen, gegen die vor dem Amtsgericht München derzeit auch ein Strafverfahren anhängig sei (Az.: ...). Im Gegensatz zum Kläger sei Frau C. stets vor Ort in den Geschäftsräumen präsent gewesen, habe die Arbeitsverträge unterzeichnet und sich um sämtliche administrative Angelegenheiten gekümmert. Dies werde auch durch die Ausführungen des Insolvenzverwalters der … … GmbH im vorgelegten Sachstandsbericht vom 5. August 2020 (Az.: ...) bestätigt. Der gutgläubige und geschäftlich unerfahrene Kläger sei Opfer des arglistigen und betrügerischen Verhaltens von Frau C. geworden. Der Kläger sehe sich jetzt einer Vielzahl von Forderungen und Ersatzansprüchen Dritter ausgesetzt; er sei gesundheitlich stark angegriffen und wirtschaftlich ruiniert. Von den Machenschaften von Frau C. habe der Kläger keinerlei Kenntnis gehabt. Vielmehr habe der Kläger auf deren Erfahrung und nicht zu beanstandende Reputation vertraut. Die angeordnete Gewerbeuntersagung sei zudem auch unverhältnismäßig, da der Beklagten mildere Mittel wie etwa eine Abmahnung, die Überwachung oder Erteilung von Auflagen zur Verfügung gestanden hätten. Zu berücksichtigten sei auch, dass wegen geringer Schuld lediglich eine Strafe von 90 Tagessätzen verhängt worden sei. Der Kläger gelte damit nicht als vorbestraft. Angesichts der enormen Schwierigkeiten, der fatalen wirtschaftlichen Nachteile und (straf) rechtlichen Konsequenzen, sei nicht anzunehmen, dass der Kläger eine solche Situation nochmals riskieren würde und die Administration einer und Leitung einer von ihm geführten Gesellschaft abermals einer dritten Person überlassen würde. Auch die erweiterte Gewerbeuntersagung sei nicht erforderlich gewesen. Die Arbeit als Personalvermittler übe der Kläger derzeit nicht mehr aus. Er beabsichtige vielmehr, eine unselbstständige Tätigkeit als Handelsvertreter zu übernehmen. Schließlich habe die Beklagte auch nicht die Sperrwirkung des § 12 Gewerbeordnung beachtet. Über das Vermögen der … … GmbH ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Regelung des § 12 Gewerbeordnung sei auch in dem gegen den Kläger persönlich gerichteten Untersagungsverfahren anzuwenden.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
13
Auf die Stellungnahme der Beklagten im gerichtlichen Verfahren vom 14. Juni 2021 wird Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 23. Dezember 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Bescheid der Beklagten vom 26. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht die weitere Ausübung des Gewerbes „Vermittlung und Beratung von Personal“ im stehenden Gewerbe nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) untersagt.
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Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit u.a. des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Diese Voraussetzungen lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des angefochtenen Bescheids vor (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG).
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1.1 Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Unzuverlässigkeit bestehen bei einem Gewerbetreibenden mit erheblichen Steuerrückständen sowie Zahlungsrückständen bei den Trägern der Sozialversicherung oder bei Straftaten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung. Überschuldung und wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden. Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden und der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung kommt es dabei nicht darauf an, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens weiterentwickelt haben.
Haben sich die tatsächlichen Umstände geändert, muss vielmehr die Initiative zur Wiederzulassung nach § 35 Abs. 6 GewO vom Gewerbetreibenden ausgehen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 13 ff. m.w.N.).
21
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen (vgl. BVerwG, B.v. 26.2.1997 – 1 B 34.97 – juris Rn. 8).
22
Aus dem ausschließlich sicherheitsrechtlichen, zukunftsbezogenen Regelungszweck von § 35 GewO folgt, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht ankommt (st. Rspr., vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2014 – 8 PKH 7.14 – juris Rn. 4; BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26.98 – juris Rn. 4 m.w.N.; BVerwG, B.v. 9.3.1988 – 1 B 17.88 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 8.5.2015 – 22 C 15.760 – juris Rn. 20). Dies bedeutet aber nicht, dass die die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände bei rechtswidrigem Verhalten des Gewerbetreibenden ausnahmslos in jedem Fall bejaht werden können, ohne dass hierbei die Frage in den Blick genommen würde, inwieweit Pflichtverletzungen vorsätzlich bzw. fahrlässig begangen wurden. Ist ein strafrechtlich geahndetes persönliches Fehlverhalten des Gewerbetreibenden Anlass für die Prüfung einer Gewerbeuntersagung, so kann die Prüfung, ob sich der Gewerbetreibende künftig erneut falsch verhalten und damit die Allgemeinheit oder die im Betrieb Beschäftigten gefährden wird, regelmäßig nicht zutreffend beurteilt werden, ohne zum Einen die Gründe für das Verhalten des Gewerbetreibenden zu kennen und zum Andern zu berücksichtigen, ob sich der Betreffende der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bewusst war. Nicht das Strafurteil, sondern nur das Verhalten des Gewerbetreibenden, das zu dem Urteil geführt hat, kann eine Gewerbeuntersagung erfordern. Die Gewerbebehörden und die Verwaltungsgerichte müssen sich selbst davon überzeugen, welcher Sachverhalt einer Bestrafung zu Grunde gelegen hat – wobei sie i.d.R. von den tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts ausgehen dürfen –, und in eigener Verantwortung prüfen, ob die der Bestrafung zu Grunde liegenden Tatsachen eine Verneinung der Zuverlässigkeit rechtfertigen. Hierbei können schuldmindernde Umstände eine Rolle spielen (BayVGH, B.v. 20.7.2016 – 22 ZB 16.284 – juris Rn. 9 f.; BayVGH, B.v. 6.4.2016 – 22 ZB 16.366 – juris Rn. 20 jeweils m.w.N.).
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Daran gemessen war der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des angefochtenen Bescheids gewerberechtlich unzuverlässig und die Prognose der Beklagten gerechtfertigt, dass der Kläger sein Gewerbe auch künftig nicht ordnungsgemäß ausüben wird.
24
Die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers rechtfertigt dessen zur strafrechtlichen Verurteilung führende Verhalten.
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Der Kläger wurde rechtskräftig wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Tatmehrheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 12 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt (vgl. Entscheidungen des Amtsgerichts München vom …11.2019 und …11.2020, jeweils Az.: ...).
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Dem Strafbefehl zufolge war der Kläger seit dem 12. Mai 2015 Geschäftsführer der … … GmbH. Spätestens seit dem 29. Januar 2018 sei die Gesellschaft zahlungsunfähig gewesen. In der Folgezeit hätten sich die Verbindlichkeiten der Gesellschaft kontinuierlich erhöht. Am 29. Mai 2019 hätten gegenüber dem Finanzamt München fällige Verbindlichkeiten in einer Gesamthöhe von 390.498,88 Euro bestanden. Dennoch habe es der Kläger unterlassen, innerhalb der gesetzlichen Frist einen Insolvenzantrag für die von ihm vertretene Gesellschaft zu stellen. Vielmehr wurde ein Eigeninsolvenzantrag nie gestellt. Ein Insolvenzantrag der Knappschaft- … vom 15. Juni 2018 (wohl Az.: ...) sei am 7. September 2018 für erledigt erklärt worden. Des Weiteren führte der Kläger als Geschäftsführer der GmbH dem Strafbefehl zufolge für den Zeitraum Februar 2017 bis Dezember 2018 Arbeitnehmeranteile von insgesamt 6.901,36 Euro nicht bzw. 35.226,45 Euro nicht fristgerecht an die gesetzlichen Krankenkassen ab.
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Bei der Strafzumessung wurde im Urteil des Amtsgerichts München vom … November 2020 insbesondere berücksichtigt, dass der (bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene) Kläger von der faktischen Geschäftsführerin Frau C. betrogen und in dem Glauben gelassen worden sei, die Geschäfte würden ordnungsgemäß laufen. Auch habe der Kläger erhebliche eigene finanzielle Einbußen durch die Geschäftsführertätigkeit erlitten.
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Diese Straftaten stehen sämtlich im Zusammenhang mit einer Betätigung des Klägers in seiner Funktion als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer gewerblich tätigen Gesellschaft, weisen also den zu fordernden gewerblichen Bezug auf.
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Die Tatsachen, die auf die Unzuverlässigkeit schließen lassen, brauchen dabei nicht im Rahmen des im Zeitpunkt des Erlasses des Gewerbeuntersagungsbescheids betriebenen Gewerbes eingetreten sein. Es kommt lediglich darauf an, ob sich die betreffenden Tatsachen auf die ordnungsgemäße Führung des in Rede stehenden Gewerbes auswirken (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1994 – 1 B 234.94 – juris Rn. 6). Dies ist hier der Fall; dass der Kläger offenbar nur formal als Geschäftsführer eingesetzt war, entbindet ihn nicht von den rechtlich bestehenden Verpflichtungen als Geschäftsführer. Deshalb ist gegen den Kläger auch wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung ein (insoweit rechtskräftiger) Strafbefehl erlassen und die Rolle von Frau C. lediglich strafmildernd berücksichtigt worden. Auch der Straftatbestand des § 266a Abs. 1 Strafgesetzbuch (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) ist ein Vorsatzdelikt. Die Eintragung im Handelsregister als Geschäftsführer und mithin gesetzlicher Vertreter der GmbH (§ 35 GmbHG) begründet insbesondere auch die Einstandspflicht für die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten wie das Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen. Das gilt auch dann, wenn für die Gesellschaft eine Person mit so weitreichenden Handlungskompetenzen auftritt, dass sie ihrerseits als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist (vgl. BGH, B.v. 13.10.2016 – 3 StR 352/16 – juris). Ein Geschäftsführer braucht die in sein Ressort fallenden Pflichten grundsätzlich nicht in eigener Person erfüllen, er kann sie auch delegieren. Jedenfalls nach einer angemessenen und beanstandungsfreien Einarbeitungszeit darf er sich dann grundsätzlich auf die Erledigung dieser Aufgaben durch den von ihm Betrauten verlassen, solange zu Zweifeln kein Anlass besteht. Es trifft ihn dann jedoch eine Überwachungspflicht. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Geschäftsführer eine Person mit so weitreichenden Handlungsvollmachten gewähren lässt, dass diese ihrerseits als faktischer Geschäftsführer zu qualifizieren ist (vgl. BGH, B.v. 3.3.2020 – 5 StR 595/19 – juris Rn. 9; BGH, B.v. 28.5.2022 – 5 StR 16/02 – juris Rn. 25 f.; Rn. 19 ff.; BGH, U.v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95 – juris jeweils m.w.N.). Die Richtigkeit der Feststellungen im Strafbefehl und der Prognose der Beklagten werden durch die Einwände der Klagepartei nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.
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Für die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers sprechen aber nicht nur, die Tatsache, dass er sich bereit erklärt hat, (so auch die Klagepartei selbst) rein formal für eine Gesellschaft die Geschäftsführerstellung zu übernehmen, dann seinen dennoch bestehenden o.g. gesetzlichen (Überwachungs-)Pflichten nicht ausreichend nachgekommen ist, was zu seiner strafrechtlichen Ahndung führte, sondern auch die Ausführungen des Insolvenzverwalters, in dem von der Klagepartei vorgelegten Sachstandsbericht vom 5. August 2020 (Az.: ...).
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Der Strafbefehl vom 20. November 2019 zeigt die finanzielle Lage der … … GmbH bis Ende Mai 2019 auf. Dem Sachstandsbericht des Insolvenzverwalters zufolge wurden sodann im September 2019 sechs Fremdinsolvenzanträge (u.a. durch das Finanzamt München, die AOK Bayern und die Betriebskrankenkasse Mobil Oil) über das Vermögen der GmbH gestellt. Der Insolvenzverwalter berichtet über „fortwährend erfolglose Versuche der Kontaktaufnahme zur Schuldnerin“ und seiner Anregung, den Kläger zur Durchsetzung seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gemäß §§ 97, 98 Insolvenzordnung (InsO) i.V.m. § 101 InsO zwangsweise vorführen zu lassen. Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom … November 2019 sei dem Kläger daraufhin unter Androhung von Zwangsmitteln (Vorführung und Haft) auferlegt worden bis spätestens 10. Dezember 2019 mit dem Insolvenzverwalter Kontakt aufzunehmen und sämtliche erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die geforderten Unterlagen und Belege auszuhändigen. Ein Fristverlängerungsgesuch des Klägers sei abgelehnt und vom Amtsgericht die zwangsweise Vorführung des Klägers beschlossen worden. An der zwangsweisen Vorführung des Klägers sei erst nicht mehr festgehalten worden, als von der anwaltlichen Vertreterin des Klägers ein gemeinsamer Besprechungstermin für den 22. Januar 2020 vorgeschlagen worden sei (vgl. Sachstandsbericht, S. 9). Mit Schreiben vom *. Februar 2020 stellte der Kläger für die … … GmbH einen Eigeninsolvenzantrag. Mit Beschluss vom 15. Mai 2020 (Az.: … … …*) wurde über das Vermögen der … … GmbH, deren Alleingesellschafter der Kläger ist, das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach den Ausführungen des Insolvenzverwalters wurde der Geschäftsbetrieb der GmbH wohl bereits zum 31. Dezember 2018 eingestellt, da die für das Geschäftsmodell der GmbH erforderliche Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung ausgelaufen und eine entsprechende Neuerteilung offenbar versagt wurde (vgl. Sachstandsbericht, S. 8, 13 ff. sowie Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 11.7.2018). Es bestünden erhebliche Indizien für eine faktische Geschäftsführung durch Frau C. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Kläger wohl insbesondere in den letzten Monaten vor der endgültigen Betriebsstillegung aus den Geschäften der GmbH völlig zurückgezogen habe (vgl. Sachstandsbericht, S. 18).
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Der Kläger hat durch sein Verhalten und die Nichtbeachtung der Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH gezeigt, dass er seine eigenen Belange über die geltenden Vorschriften, die auch dem Schutz des Vermögens anderer dienen, stellt. Als Einzelgewerbetreibender unterliegt er vergleichbaren Pflichten. Es ist weder nachvollziehbar dargelegt noch ersichtlich, dass die vom Kläger begangenen Pflichtverstöße keine Auswirkung auf die Zuverlässigkeit als Einzelgewerbetreibender haben sollten. Allein auf die Höhe der dem Kläger auferlegten Strafe und insbesondere darauf, ob die Verurteilung im Führungszeugnis nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a BZRG einzutragen ist, kann nicht abgestellt werden. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden kommt es nicht auf die Strafurteile als solche und die ausgesprochene strafrechtliche Sanktion, sondern auf das Verhalten des Gewerbetreibenden, das zur Verurteilung geführt hat, an (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2021 – 22 ZB 21.1302 – juris Rn. 15 m.w.N.).
33
Hiervon ausgehend ist die prognostische Bewertung der Beklagten, das bisherige Verhalten des Klägers biete keine Gewähr für die künftige ordnungsgemäße Ausübung eines Gewerbes, gerechtfertigt.
34
Je länger das zuvor gezeigte Fehlverhalten andauerte, desto mehr müssen sich auch die Tatsachen auf einen längeren Zeitraum erstrecken, sozusagen nachhaltig sein, um die Grundlage für die Annahme eines geläuterten Verhaltens zu sein. Rückschlüsse aus einem Wohlverhalten während des laufenden Strafverfahrens und eines Untersagungsverfahrens sind dabei nicht ohne weiteres möglich (BayVGH, B.v. 17.8.2020 – 22 ZB 20.1037 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 22 CS 19.1417 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 3.8.2015 – 22 ZB 15.1271 – juris Rn. 9 jeweils m.w.N.).
35
Auch § 12 GewO entfaltet vorliegend keine Sperrwirkung. Nach § 12 Satz 1 GewO sind die Vorschriften, welche die Untersagung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ermöglichen, während der Zeit unter anderem eines Insolvenzverfahrens nicht anzuwenden, in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde. Dies gilt nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nur, wenn die Unzuverlässigkeit auf ungeordnete Vermögensverhältnisse gestützt wird. Die Untersagung wegen anderen Zuverlässigkeitsgründen bleibt grundsätzlich möglich. Vorliegend wurde bereits nicht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers, also des Gewerbetreibenden, sondern über das Vermögen der von ihm ursprünglich vertretenen GmbH eröffnet. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war der Kläger darüber hinaus nicht einmal mehr Geschäftsführer der GmbH. Der Kläger wurde infolge der rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung und des damit einhergehenden Tätigkeitsverbots nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 GmbHG von Amts wegen als Geschäftsführer der GmbH aus dem Handelsregister gelöscht.
Schließlich weisen die Pflichtverstöße und das Verhalten des Klägers auch einen Unwertgehalt auf, der über eine bloße Nichtzahlung von Forderungen hinausgeht (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 8.5.2020 – 22 ZB 20.127 – juris Rn. 21 ff. m.w.N.; BayVGH, U.v. 14.8.2014 – 22 B 14.880 – juris Rn. 24).
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1.2 Die Gewerbeuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5.94 – juris Rn. 8). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
37
2. Auch die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auf eine Tätigkeit des Klägers als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für den Erlass einer erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Untersagungsverfügung vor. Die Beklagte hat das ihr insoweit eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt.
38
2.1 Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Gewerbeuntersagung auf die vorgenannten Tätigkeiten erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Insoweit müssen Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf die „Ausweichtätigkeit“ dartun („gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit“).
39
Dies ist hier der Fall. Der Kläger ist gewerbeübergreifend unzuverlässig, weil er mit den ihm zur Last gelegten Verfehlungen Pflichten verletzt hat, die für jeden Gewerbetreibenden, jeden Vertretungsberechtigten eines Gewerbetreibenden und jeden mit der Leitung eines Gewerbebetriebs Beauftragten gelten und sich nicht auf eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit beschränken. Das rechtfertigt die Annahme der Beklagten, dass der Kläger ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes an den Tag legen wird (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 27.8.2018 – 22 ZB 18.1562 – juris Rn. 22, 26, jeweils m.w.N.).
40
2.2 Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist auch erforderlich, weil eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein Ausweichen des Gewerbetreibenden vorliegt.
41
Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat, wodurch er seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt, eine anderweitige Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 17 m.w.N.). Besondere Umstände im Einzelfall, die hier eine andere Bewertung hätten zulassen können, lagen nicht vor; dies hat die Beklagte zutreffend erkannt.
42
2.3 Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Abs. 1 VwGO.
43
Ist ein Gewerbetreibender in Bezug auf andere – nicht ausgeübte – gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und ist die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 18 m.w.N.).
44
Eine Ermessenserwägung dieser Art lässt sich der angefochtenen Untersagungsverfügung entnehmen.
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2.4 Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig.
46
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 Grundgesetz im Einklang steht. Sind die Voraussetzungen auch der erweiterten Gewerbeuntersagung erfüllt, kann die Untersagung grundsätzlich nicht hinsichtlich der Folgen unverhältnismäßig sein (BVerwG, B.v. 12.1.1993 – 1 B 1.93 – juris Rn. 5). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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3. Gegen die dem Kläger eingeräumte Abwicklungsfrist von zehn Tagen nach Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung (Nr. 3 des Bescheidstenors) bestehen im Ergebnis ebenso wenig Bedenken wie gegen die Androhung des unmittelbaren Zwangs (Nr. 4 des Bescheidstenors). Auch die behördliche Kostenentscheidung der Beklagten (Nr. 5 des Bescheidstenors) ist nicht zu beanstanden.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.