Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 11.11.2022 – B 1 S 22.1047
Titel:

Anordnung eines Platzverweises und eines Kontaktverbots i.R. häuslicher Gewalt, Vorliegen einer konkreten Gefahr

Normenketten:
PAG Art. 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
PAG Art. 16 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Schlagworte:
Anordnung eines Platzverweises und eines Kontaktverbots i.R. häuslicher Gewalt, Vorliegen einer konkreten Gefahr
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.04.2023 – 10 C 22.2488
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47254

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
4. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten des Antragstellers wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen von Polizeivollzugsbeamten erteilten befristeten Platzverweis und ein befristetes Kontaktverbot.
2
Der Antragsteller und Frau L. sind verheiratet und wohnen beide in der …, … Am 6. November 2022 erreichte die Polizeiinspektion (PI) …-Stadt über die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums … ein Anruf einer Nachbarin des Ehepaars. Sie gab an, dass sich Frau L. nach einer Streitigkeit mit ihrem Ehemann, dem Antragsteller, aus dem Keller zu ihr in die Wohnung geflüchtet habe. Frau L. sei nicht in der Lage gewesen, selbst mit dem Notruf zu sprechen. Daraufhin erfolgte die Anfahrt von zwei Streifenwagenbesatzungen an die Wohnadresse des Ehepaars. Im Rahmen des Einsatzes wurde gegenüber dem Antragsteller eine Gefährderansprache und des Weiteren ein Platzverweis bezüglich der gemeinsamen Wohnung sowie ein Kontaktverbot zu seiner Ehefrau jeweils für die Zeit von 6. November 2022 bis einschließlich 18. November 2022 ausgesprochen.
3
Mit Schriftsatz vom 8. November 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tage, ließ der Antragsteller Klage erheben und beantragen,
1.
die aufschiebende Wirkung der in Ziffer 1. (Platzverweis) und 2. (Kontaktverbot) genannten polizeilichen Maßnahmen anzuordnen,
2.
dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwälte … zu bewilligen.
4
Am 6. November 2022 sei der Antragsteller von vier Beamten der PI …-Land aufgesucht worden. Auch auf Nachfrage des Antragstellers seien ihm die Vorwürfe gegen ihn von den Polizeibeamten nicht eröffnet worden. Der Antragsteller vermute, dass ein „Vorfall“ zwischen ihm und seiner Ehefrau etwa 10 bis 15 Minuten zuvor im Keller des Anwesens Auslöser des Polizeieinsatzes gewesen sei. Dabei sei der Antragsteller in die Kellerräume gegangen, ohne zu wissen, dass sich seine Frau ebenfalls dort befinde. Diese sei beim Hinzutreten ihres Mannes sichtlich erschrocken, woraufhin der Antragsteller gesagt habe, dass sich nur Leute mit schlechtem Gewissen erschrecken würden. Daraufhin habe ihn seine Ehefrau fest am Kragen gepackt. Er habe daraufhin ebenfalls den Kragen der Kleidung seiner Ehefrau ergriffen und sie beiseitegeschoben. Infolgedessen habe seine Frau um Hilfe gerufen und sei hysterisch weinend die Treppe hoch gerannt.
5
Der Antragsteller sei in ständiger Begleitung aller vier Beamten dazu aufgefordert worden, binnen weniger Minuten seine Sachen zu packen. Dabei sei ihm sowohl ein Platzverweis für die gemeinsame Wohnung als auch ein Kontaktverbot zu seiner Ehefrau jeweils für die Zeit von 6. November 2022 bis einschließlich 18. November 2022 ausgesprochen worden. Der Antragsteller habe entgegnet, er wisse nicht, wohin er solle, da er keine Möglichkeit habe, in … bei Freunden oder Verwandten unterzukommen, woraufhin die Beamten ihm mitgeteilt hätten, dies sei irrelevant.
6
Die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Platzverweises nach Art. 16 Abs. 1 Polizeiaufgabengesetz (PAG) lägen nicht vor, da bereits eine Gefahr oder drohende Gefahr fehle. Für den Fall, dass der oben geschilderte Vorfall Auslöser des Polizeieinsatzes war, sei festzustellen, dass zunächst die Ehefrau des Antragstellers handgreiflich geworden sei, indem sie diesen am Kragen gepackt habe. Auch daraufhin sei der Antragsteller nicht gewalttätig geworden, sondern habe lediglich versucht, die Situation zu beenden. Eine Gefahr sei vom Antragsteller nicht ausgegangen. Auch habe keine Gefahr von Seiten des Antragstellers für ein bedeutendes Rechtsgut gedroht. Aus diesen Gründen sei auch das ausgesprochene Kontaktverbot rechtswidrig, da die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 PAG ebenfalls nicht vorlägen. Darüber hinaus seien die getroffenen polizeilichen Maßnahmen nicht verhältnismäßig. Der Antragsteller sei insbesondere infolge des ausgesprochenen Platzverweises quasi obdachlos und habe sich nur mit Mühe und den letzten finanziellen Reserven in einem Hotel einmieten können. Die getroffenen polizeilichen Maßnahmen seien offensichtlich rechtswidrig erfolgt, womit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sei.
7
Der Antragsteller sei nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten des vorliegenden Rechtsstreits selbst zu tragen. Es werde auf die beigefügte Erklärung des Antragstellers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen verwiesen. Weitere Belege könne der Antragsteller derzeit nicht vorlegen, da er keinen Zugang zu seiner Wohnung und den sich darin befindlichen Dokumenten habe.
8
Mit Schreiben vom 9. November 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tage, beantragte der Antragsgegner,
1.
den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen,
2.
den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.
9
Beim Antreffen von Frau L. am 6. November 2022 in der Wohnung der Nachbarin, die die Einsatzkräfte gerufen hatte, habe Frau L. sichtlich emotional aufgelöst gewirkt und sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Die Nachbarin habe angegeben, aus dem Keller Frau L. um Hilfe schreien gehört zu haben, woraufhin sich Frau L. in die Wohnung der Nachbarin geflüchtet habe. Frau L. habe dargelegt, sich in Trennung von ihrem Mann, dem Antragsteller, zu befinden; man habe hinsichtlich einer Scheidung beidseitig schon Rechtsanwälte konsultiert. Sie habe bereits einen neuen Partner, wovon der Antragsteller auch wisse und den der Antragsteller auch bedrohe. Der Antragsteller würde die Trennung nicht akzeptieren. Frau L. habe Angst vor diesem, da er ein hohes Aggressionspotential an den Tag legen könnte, sich jedoch gut zu verstellen wisse. Jene Streitigkeiten bestünden seit längerem. An diesem Tag sei die Situation mal wieder eskaliert. Der Antragsteller habe sie im Keller angegangen und in die Ecke gestoßen, wodurch sie nun Schmerzen verspüre.
10
Anschließend sei der Antragsteller von den Beamten in der gemeinsamen Wohnung aufgesucht worden. Der Antragsteller habe die Tür geöffnet und gefasst erschienen. Ihm sei der Grund der Anwesenheit der Beamten, der Vorfall im Keller, umgehend bekannt gegeben worden. Der Antragsteller habe angegeben, es gäbe innereheliche Probleme und habe einen Streit im Keller eingeräumt. Verletzungen habe er seinerseits nicht geltend gemacht. Es hätten die genannten polizeilichen Maßnahmen gefolgt, da eine räumliche Trennung des Ehepaars in der gemeinsamen Wohnung nicht geeignet erschien, um die Gefahr ausreichend abzuwehren. Dem Antragsteller sei ausreichend Zeit eingeräumt worden, um die notwendigen Habseligkeiten zusammenzusuchen, wobei darauf geachtet worden sei, dass er seinen Geldbeutel nebst EC-Karte mitgeführt habe. Ihm sei mehrfach die Möglichkeit erläutert worden, über die Polizei eine Übernachtungsmöglichkeit, sog. Notschlafstätte, zu erhalten, was der Antragsteller abgelehnt habe.
11
Im Anschluss habe Frau L. über Schmerzen geklagt, die jedoch nicht so schwer erschienen, dass sofortige medizinische Maßnahmen nahe gelegen hätten. Die Beamten hätten ihr jedoch geraten, einen Arzt aufzusuchen. Frau L. habe das Zusammenleben der Eheleute in letzter Zeit geschildert, wonach es seit der Trennung zu ständigen Reibereien gekommen sei. Der Antragsteller würde ihr nachstellen und versuchen, sie zu kontrollieren. Sie habe bereits die Telefonnummer gewechselt, da der Antragsteller diese missbräuchlich verwendet habe. Schließlich sei die Tochter von Frau L. am Einsatzort erschienen, womit von polizeilicher Seite keine weiteren Maßnahmen angezeigt gewesen seien.
12
Weiter wurde in der Antragserwiderung darauf hingewiesen, dass Frau L. am 5. September 2022 bei der PI …-Stadt erschienen sei und um ein Beratungsgespräch bei der Sachbearbeiterin für häusliche Gewalt gebeten habe. Ihr Ehemann übe seit zwei Jahren eine gewisse Kontrolle über ihr Leben aus. Er habe geäußert, dass er ihr das Leben zur Hölle machen würde, sofern sie sich von ihm trennen würde. Sie befürchte insoweit Straftaten. Am 9. November 2022 habe sie auf Nachfrage angegeben, einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz beim Amtsgericht … gestellt zu haben.
13
Der Antrag des Antragstellers sei unbegründet, da das angeordnete Kontaktverbot sowie der Platzverweis vom 6. November 2022 rechtmäßig gewesen seien und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzten. Die Rechtsgrundlage für das Kontaktverbot sei in Art. 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PAG, für den Platzverweis in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG zu sehen. Im Zeitpunkt der Anordnung habe eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Frau L. bestanden. Aufgrund der Schilderungen der Frau L. und deren Nachbarin sowie aufgrund des bereits zuvor aktenkundig gewordenen Vorfalls vom 5. September 2022 habe für die Beamten eine konkrete Gefahr in diesem Sinne vorgelegen. Die Nachbarin habe geschildert, wie sie den Streit bzw. die Schreie der Frau L. am 6. November 2022 wahrgenommen hatte. Aufgrund der erzwungenen persönlichen Nähe durch die gemeinsame Wohnung trotz Trennung sei auf andere Weise als durch die erfolgten Anordnungen keine Schaffung von Distanz zwischen den Beteiligten möglich gewesen. Der Ausspruch der Maßnahmen sei auch das mildeste Mittel und mithin verhältnismäßig gewesen. Eine Gefährderansprache sei angesichts der in Gefahr des Schadenseintritts befindlichen Rechtsgüter Leib und Leben nicht in gleicher Weise geeignet gewesen, die Gefahr abzuwenden. Die Gesamtumstände hätten es erforderlich gemacht, unmittelbar den Kontakt zwischen den Eheleuten zu unterbinden. Auch seien die angeordneten Maßnahmen nur von geringer Dauer. Innerhalb der Geltungsdauer der Anordnungen sei Schutz nach dem Gewaltschutzgesetz erreichbar. Sofern das hinsichtlich des Gewaltschutzes angerufene Gericht einen entsprechenden Beschluss mit präventiven Schutzmaßnahmen für Frau L. erlassen sollte, würden die polizeilichen Maßnahmen unverzüglich aufgehoben. Das Vorbringen des Antragstellers zur Obdachlosigkeit sei nicht nachvollziehbar.
14
Auch die Tatsache, dass die Maßnahmen kumuliert getroffen worden seien, führe nicht zu deren Rechtswidrigkeit. Der Platzverweis sei aufgrund der erzwungenen Nähe in der Wohnung geboten gewesen. Das Kontaktverbot sei erfolgt, da Frau L. angegeben habe, vom Antragsteller kontrolliert zu werden. Daneben könne es sonst auch außerhalb der Wohnung zu einem Zusammentreffen der Eheleute kommen.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
16
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
17
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers mit Schriftsatz vom 8. November 2022 entfällt vorliegend kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO, weil er sich gegen eine unaufschiebbare Anordnung von Polizeivollzugsbeamten wendet. In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
18
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der vorliegende Antrag keinen Erfolg, da die Klage gegen den erlassenen Platzverweis und das Kontaktverbot vom 6. November 2022 gegen den Antragsteller als befristete polizeiliche Anordnungen bei summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg hat.
19
a. Der Antrag ist zulässig. Der Antrag ist im wohlverstandenen Sinne des anwaltlich vertretenen Antragstellers dahingehend auszulegen, dass dieser die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Schriftsatz vom 8. November 2022 gegen die polizeilichen Anordnungen des Platzverweises und des Kontaktverbots begehrt.
20
b. Gegen die Rechtmäßigkeit des verfügten Platzverweises sowie des Kontaktverbots bezüglich der Ehefrau des Antragstellers bestehen im Rahmen einer summarischen Prüfung keine durchgreifenden Bedenken.
21
aa. Die getroffenen Maßnahmen ergingen formell rechtmäßig.
22
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Anhörung stattgefunden hat. Selbst wenn, wie der Antragsteller vorträgt, er nicht angehört worden wäre, wäre eine Anhörung jedenfalls nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 BayVwVfG entbehrlich, da Gefahr in Verzug vorlag. Gefahr in Verzug meint hierbei, dass aus ex-ante-Sicht selbst sehr kurze Fristen zu einem Zeitverlust führen würden und dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr besteht, den Zweck der eigentlich beabsichtigten Maßnahmen nicht mehr erreichen zu können. Umfasst sind dabei neben tatsächlich vorliegenden Gefahrensituationen auch Fälle der Anscheinsgefahr (vgl. Pautsch in Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Auflage 2016, § 28 Rn. 33 m. w. N.).
23
bb. Nach summarischer Prüfung spricht für das Gericht die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der ausgesprochene Platzverweis auch materiell rechtmäßig erfolgte.
24
Gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG kann die Polizei zur Abwehr von Gefahren eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Orts verbieten. Der vorübergehende Platzverweis eines Wohnungsinhabers aus seiner eigenen Wohnung ist zulässig, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr erforderlich ist. Unter einer konkreten Gefahr ist eine Sachlage zu verstehen, die im konkreten Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führt. Diese Voraussetzungen sind bei Gewalttaten im sozialen Nahraum erfüllt, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine Fortsetzung häuslicher Gewalt zu befürchten ist. Die Gefahrenprognose muss auf erkennbaren Umständen, also Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen greifbaren Anhaltspunkten beruhen, ein bloßer Verdacht oder bloße Vermutungen reichen nicht (vgl. Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 4. Auflage 2014, Art. 16 a.F. Rn. 14, 41, 43; VG Würzburg, B.v. 25.9.2017 – W 5 S 17.1094 – juris Rn. 8; VG München, B.v. 29.2.2016 – M 7 K0 15.1383 – juris Rn. 21; VG München, B.v. 18.7.2018 – M 7 E 18.3382 – juris Rn. 22 m. w. N.). Dabei ist für die gerichtliche Beurteilung der Gefahrenlage auf eine ex-ante-Sicht abzustellen. Hat der handelnde Amtsträger die Lage – ex-ante gesehen – zutreffend eingeschätzt, dann wird die getroffene Maßnahme – ex-post betrachtet – nicht dadurch rechtswidrig, dass die Entwicklung anders als prognostiziert verlaufen ist. Stellt sich nachträglich heraus, dass keine wirkliche Gefahr vorlag, sondern nur der Anschein einer Gefahr erweckt wurde, kommt es darauf an, ob die Gefahreinschätzung dem Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Amtswalters entspricht. Die bei verständiger Würdigung der erkennbaren Umstände bestehende Anscheinsgefahr steht einer objektiven Gefahr gleich und rechtfertigt ein polizeiliches Einschreiten (vgl. BayVGH, U.v. 2.12.1991 – 21 B 90.1066 – juris Rn. 54).
25
Die Tatsachen, die dem Gericht derzeit vorliegen und die im Rahmen des Eilverfahrens zu würdigen sind, lassen den gegenüber dem Antragsteller ausgesprochenen Platzverweis nach diesen Grundsätzen als rechtmäßig erscheinen. Die Ehefrau des Antragstellers erschien erstmals am 5. September 2022 bei der Polizei und schilderte, dass der Antragsteller seit zwei Jahren eine gewisse Kontrolle über ihr Leben ausübe und geäußert habe, er würde ihr das Leben zur Hölle machen, wenn sie sich von ihm trennen würde. Sie befürchtete zu diesem Zeitpunkt konkrete Straftaten und bat um ein Beratungsgespräch bei der Sachbearbeiterin für häusliche Gewalt. Auf Nachfrage gab sie an, zwischenzeitlich einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz beim Amtsgericht … gestellt zu haben. Am Einsatzort am 6. November 2022 wirkte Frau L. emotional sehr angegriffen und in einer psychischen Ausnahmesituation infolge eines vom Antragsteller zugestandenen Streits mit demselben. Dieser hatte sie augenscheinlich dazu bewegt, Zuflucht bei ihrer Nachbarin zu suchen, welche die Situation als so bedrohlich einschätzte, dass sie es für erforderlich erachtete, die Polizei zu rufen. Frau L. gab am 6. November 2022 an, körperliche Schmerzen aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Antragsteller an diesem Tag im Keller – sie sei von diesem angegangen und in die Ecke gestoßen worden – zu haben. Auch verwies sie auf ein hohes Aggressionspotential des Antragstellers, der sich gut zu verstellen wisse. Anzeichen einer körperlichen Verletzung des Antragstellers durch erfolgte potentielle Angriffe durch Frau L., wie von diesem vorgetragen, waren hingegen nicht ersichtlich.
26
Zwar werden über den Streit am 6. November 2022 im Rahmen bestehender innerehelicher Probleme hinaus von Seiten des Antragstellers keine Angaben zum Zusammenleben der Eheleute, insbesondere nach einer Trennung, gemacht. Gegen den Antragsteller spricht aber, dass bereits am 5. September 2022 seine Ehefrau nachweislich in Verbindung mit häuslicher Gewalt die Polizei aufsuchte. Die plausiblen Schilderungen des Zusammenlebens der Eheleute in der gemeinsamen Wohnung nach der erfolgten Trennung mit seither ständigen Auseinandersetzungen durch Frau L. im Zusammenspiel mit der Meldung durch diese am 5. September 2022 legen ein gewisses dauerhaftes Konfliktpotential in der Räumlichkeit unter Anwesenheit beider Eheleute nahe, das jedenfalls am 6. November 2022 eskalierte. Jener Vorfall geschah ausweislich des Anrufs bei der Polizei an diesem Tag sowie des Akteninhalts unter Anwesenheit einer dritten Person, der Nachbarin, welche gegenüber dem Antragsgegner den Vortrag der Frau L. bekräftigende Aussagen getätigt haben soll. Damit sprechen der derzeit vorliegende Akteninhalt sowie die Aussagen der Beteiligten für das Vorliegen einer Gefahrensituation im Zeitpunkt der erfolgten polizeilichen Anordnungen. Auch wenn dies im summarischen Verfahren noch nicht durch die Vernehmung von Zeugen verifizierbar bzw. noch nicht mit letzter Sicherheit feststellbar ist, spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Gefahrensituation bzw. sind mehr Indizien, die den Vortrag der Frau L. stützen, erkennbar.
27
Jedenfalls führt eine Interessensabwägung dazu, dass dem Antrag nicht entsprochen werden kann. Es überwiegt hier vorliegend das öffentliche Interesse an einem wirksamen Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Frau L. Durch die angeordnete Entfernung des Antragstellers aus der gemeinsamen Wohnung und damit aus der Konfliktsituation können zumindest weitere potentielle Angriffe bzw. Bedrohungen durch den Antragsteller zu Lasten der Frau L. verhindert werden. Demgegenüber hat das Interesse des Antragstellers, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in der gemeinsamen Ehewohnung zu bleiben, zurückzutreten. Die Sicherstellung des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, die sich im Nachhinein eventuell als nicht erforderlich erweisen mag, wiegt schwerer als eine möglicherweise zu Unrecht angeordnete vorübergehende Verweisung aus der Wohnung, zumal für diesen kurzen Zeitraum diverse Unterbringungsmöglichkeiten für jedermann verfügbar sind.
28
Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ist die Annahme einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit – nicht bloß einer Anscheinsgefahr – im Zeitpunkt des Erlasses des vorübergehenden Platzverweises im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht zu beanstanden. Die handelnden Polizeibeamten stützten den Platzverweis auf Tatsachen, die nach ex-ante-Betrachtung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens für die Unversehrtheit der Rechtsordnung begründeten, da konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass es künftig zu weiteren Angriffen und Drohungen durch den Antragsteller zu Lasten von Frau L. kommen wird.
29
Aufgrund dieser Gesamtumstände war zum Zeitpunkt des Erlasses des Platzverweises damit zu rechnen, dass es in absehbarer Zeit zu weiteren Angriffen und Bedrohungen durch den Antragsteller, solange sich beide Eheleute in der gleichen Wohnung befinden, kommen wird. Die den handelnden Polizisten damals bekannten Tatsachen deuteten bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die Unversehrtheit der Rechtsordnung (§§ 223, 241 StGB) hin. Dass es sich bei den geschilderten Vorfällen um rein private Auseinandersetzungen gehandelt hat und daher kein öffentliches Interesse bestand, mag zwar im repressiven Bereich im Rahmen einer Strafverfolgung einschlägig sein, im Rahmen des Polizeirechts und der präventiven Gefahrenabwehr sollen hingegen künftige Straftaten gerade durch ein Einschreiten im Vorfeld vermieden werden, sodass auch im Rahmen privater Auseinandersetzungen polizeiliche Maßnahmen geboten sind.
30
Der erteilte Platzverweis ist in zeitlicher und örtlicher Hinsicht hinreichend bestimmt. Er enthält die konkrete Adresse, die der Antragsteller zu meiden hatte und bestimmt tagesgenau den Zeitraum des Platzverweises.
31
Die Dauer der angeordneten Platzverweisung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Grundsätzlich endet die konkrete Gefahr in dem Zeitpunkt, in dem nach dem Gewaltschutzgesetz eine Eilverfügung durch das Zivilgericht gegen den Störer ergehen kann. Erfahrungsgemäß kann der Zeitraum bis zur gerichtlichen Verfügung zwischen 10 und 14 Tagen betragen (vgl. VG München, B.v. 18.7.2018 – M 7 E 18.3382 – juris Rn. 22 m. w. N.). Daher bestehen gegen den Platzverweis vom 6. November 2022 bis 18. November 2022 keinerlei Bedenken. Der Zeitraum diente zudem der Deeskalation der Situation zwischen den Eheleuten. Der Antragsgegner verwies bereits darauf, dass die Anordnungen aufgehoben würden, sobald eine entsprechende Anordnung des Amtsgerichts ergehen würde.
32
Auch ein sonstiger Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 4 PAG ist nicht ersichtlich. Insbesondere stand den handelnden Beamten kein milderes Mittel zur Verfügung, das zur Verhütung künftiger Angriffe gegen Frau L. durch den Antragsteller gleich geeignet war. Eine Beschränkung auf eine Gefährderansprache oder Verwarnung durch die Polizei wäre nicht gleich geeignet gewesen. Ausweislich der Akten erfolgte eine Gefährderansprache gegenüber dem Antragsteller am 6. November 2022 in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass weiterer polizeilicher Anordnungen. Offensichtlich zeitigte die Gefährderansprache hier keinen Erfolg. Auch führt die Maßnahme nicht zu einem Nachteil, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht (Art. 4 Abs. 2 PAG). Die mit der Maßnahme für den Antragsteller verbundene Härte, die gemeinsame Wohnung mit der Ehefrau vorübergehend nicht aufzusuchen, steht nicht außer Verhältnis zu dem mit dem Platzverweis erstrebten Erfolg des Schutzes der Rechtsordnung. Vielmehr war es nicht möglich, auf andere Weise als eine Entfernung des Antragstellers aus der gemeinsamen Wohnung eine räumliche Trennung der Eheleute herbeizuführen.
33
Soweit der Antragsteller vorträgt, infolge des ausgesprochenen Platzverweises quasi obdachlos geworden zu sein und sich nur mit Mühe und Not sowie den letzten finanziellen Reserven in einem Hotel einzumieten, ist zu entgegnen, dass der Antragsteller jedenfalls seinen Geldbeutel mit EC-Karte bei sich führt. Ausweislich der eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe ist die EC-Karte mit Blick auf eine vorübergehend andere Unterkunft auch ausreichend gedeckt. Der Antragsteller wäre insoweit darüber hinaus auf kommunale bzw. staatliche Hilfsangebote zu verweisen (VG Würzburg, B.v. 25.9.2017 – W 5 S 17.1094 – juris Rn. 14). Nach der plausiblen Darstellung des Antragsgegners wurde der Antragsteller am 6. November 2022 außerdem auch auf über die Polizei zu erreichende Notschlafstätten hingewiesen.
34
Ein Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO, Art. 5 PAG ist nicht ersichtlich.
35
cc. Auch hinsichtlich des erteilten Kontaktverbots spricht für das Gericht angesichts der oben dargelegten Umstände die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme der rechtmäßigen Anordnung. Nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PAG kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut einer Person verbieten, ohne polizeiliche Erlaubnis zu bestimmten Personen oder zu Personen einer bestimmten Gruppe Kontakt zu suchen oder aufzunehmen (Kontaktverbot). Entsprechend des Wortlauts „Abwehr einer Gefahr“ und aufgrund der Gesetzeshistorie, wonach ein Kontaktverbot vor der Normierung in Art. 16 Abs. 2 PAG auf Basis der Generalklausel des Art. 11 Abs. 1 und Abs. 2 PAG möglich gewesen ist, genügt auch für den Erlass dieser Maßnahme das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Die Annahme einer solchen Gefahr, dass weitere Angriffe von Seiten des Antragstellers gegenüber Frau L. erfolgen werden, ist nicht zu beanstanden (vgl. oben).
36
Die Maßnahme steht ebenso wie der Platzverweis mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG) in Einklang und war ermessensfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO, Art. 5 PAG). Auch das verfügte Kontaktverbot bezweckte die Deeskalation der Situation zwischen dem Antragsteller und Frau L. Zudem ergänzt ein Kontaktverbot regelmäßig den Platzverweis des Störers. Ohne die Anordnung des Kontaktverbots neben dem Platzverweis könnte der dadurch bezweckte Schutz der Frau L. bis zur Gewährung einer zivilrechtlichen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz nicht gewährleistet werden, da der Antragsteller sie andernfalls insbesondere bei zufälligen Begegnungen außerhalb ihrer Wohnung angreifen könnte. Auch gegen die Befristung vom 6. November 2022 bis einschließlich 18. November 2022, damit auf zwölf Tage, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Diese Zeit war notwendig, um Angriffen durch den Antragsteller bei einer sonst möglichen Kontaktaufnahme mit Frau L. vorzubeugen.
37
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt.
38
3. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 35.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).
39
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls abzulehnen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO voraus, dass die betreffende Partei außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten, die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen jedoch ergibt, kann der Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht zugesprochen werden, weswegen Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden kann, ohne dass es noch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ankäme.
I.
40
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth,
Hausanschrift: Friedrichstraße 16, 95444 Bayreuth oder Postfachanschrift: Postfach 110321, 9..5422 Bayreuth,
einzulegen.
41
Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwig straße 23, 80539 München oder Postfachanschrift in München: Postfach 340148, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach,
eingeht.
42
Über die Beschwerde entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
43
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht erster Instanz. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in den § 3 und § 5 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz bezeichneten Personen und Organisationen.
44
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen.
45
Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.
46
Die Beschwerde ist nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR nicht übersteigt.
II.
47
Für die Streitwertfestsetzung gilt diese Rechtsmittelbelehrungmit der Maßgabe, dass Vertretungszwang nicht besteht und die Beschwerde innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen ist. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Beschlusses eingelegt werden. Diese Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.