Inhalt

VG München, Beschluss v. 20.12.2022 – M 29 SN 22.4964
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz eines Nachbarn gegen Baugenehmigung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3 S. 2, § 87b Abs. 3 S. 3
UmwRG § 6
VwVfG § 37 Abs. 1
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Die Klagefrist des § 6 Abs. 1 UmwRG steht nicht im Ermessen des Gerichts und ist damit ohne Vorliegen der Gründe des § 6 S. 4 UmwRG nicht verlängerbar. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Auslegung von § 87b Abs. 3 S. 3 VwGO, der eine klarstellende einfachgesetzliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt, ist der Regelungszweck des § 6 UmwRG maßgeblich zu berücksichtigen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Verletzung nachbarschützender Rechte kommt in Betracht, wenn der Nachbar infolge der Unbestimmtheit der Baugenehmigung bzw. der Unvollständigkeit, Unrichtigkeit bzw. Uneindeutigkeit der Bauvorlagen den Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig feststellen kann und ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften – insbesondere eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots – deswegen nicht ausgeschlossen werden kann. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarrechtsbehelf gegen Baugenehmigung, Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, Präklusion wegen verspäteter Vorlage der Klagebegründung (verneint), Unbestimmtheit der Baugenehmigung, Rücksichtnahmegebot, Lärmimmissionen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 05.05.2023 – 1 CS 23.34
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47249

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts … vom 8. Dezember 2021 wird angeordnet.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine der Beigeladenen erteilten Genehmigung zur Umnutzung und zum Umbau eines ehemaligen Stalls.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.Nr. 9, Gemarkung … Südlich angrenzend befindet sich das Grundstück der Beigeladenen mit der Fl.Nr. 2, ebenfalls Gemarkung … Das Grundstück ist mit einem Gebäude (ehemaliger Klosterhof …*) bebaut. Für die ehemalige landwirtschaftliche Remise im Süden des Grundstücks besteht eine Genehmigung vom 6. Dezember 2011 zur Nutzung des Erdgeschosses als Veranstaltungsräume zur Durchführung von Gemeinde- und Vereinsveranstaltungen sowie Ausstellungen. Teile des Gebäudes werden zudem von der Freiwilligen Feuerwehr und als Schützenheim des örtlichen Schützenvereins genutzt.
3
Mit zivilprozessualem Vergleich vom 15. Mai 2019 hat sich die Beigeladene gegenüber dem Antragsteller unter anderem dazu verpflichtet, in der Remise nur zwölf besondere Veranstaltungen jährlich zuzulassen, wobei Vermietungen ausschließlich an Einheimische für Feierlichkeiten und Vereinsveranstaltungen zulässig sein sollen.
4
Mit Formularantrag vom 11. Mai 2021 (Eingang beim Landratsamt) beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Umnutzung und zum Umbau des Erdgeschosses des ehemaligen Stalls im Klosterhof … zu einem Café (48 Gastplätze) mit Terrassenbetrieb (30 Gastplätze) und zu zwei Mehrzweckräumen (für Veranstaltungen, Seminare/Vorträge, Kurse u.ä.), Neuerrichtung des Anlieferstegs sowie Errichtung von sechs Pkw-Stellplätzen. Nach den beigefügten Plänen betrifft das Bauvorhaben den Querriegel des Bestandsgebäudes südlich des Grundstücks des Antragstellers, wobei der vorgesehene Kälteerzeuger, fünf Stellplätze, die Mülltonnen und Anliefersteg sowie Anlieferrampe nördlich des Gebäudes vorgesehen sind.
5
Der Antragsteller wandte sich mit E-Mail vom … Mai 2021 ebenfalls an das Landratsamt und teilte mit, über das Bauvorhaben informiert worden zu sein. Er wies darauf hin, dass das ehemalige Klosterareal, auf dem die Beigeladene das Bauvorhaben plane, bereits einige nicht unerhebliche Emissionen verursachende Einrichtungen beherberge und gerade im Bereich der Remise über viele Jahre Lärmbelastungen jenseits der durch das Landratsamt genehmigten Auflagen verursacht würden. Er habe dem Bürgermeister der Beigeladenen Vorschläge, insbesondere zu einer Verkürzung der Öffnungszeiten, unterbreitet. Er befürchte zu laute Musik bei geöffneten Fenstern, betrunkene und grölende Besucher auf dem Gelände sowie Lärm durch die Belade- und Entladezone und dem Kühlaggregat direkt vor dem Schlaf- und Kinderzimmer.
6
Mit Vermerk vom 7. Oktober 2021 nahm das Sachgebiet Immissionsschutz Stellung zum geplanten Bauvorhaben und schlug die Aufnahme (unter anderem) folgender Auflagen in die Baugenehmigung vor:
7
1. Hinsichtlich des Anlagen-Lärmschutzes sind die Bestimmungen der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm vom 26.08.1998, veröffentlicht im GMBl 1998, S. 503 ff.) einzuhalten.
8
2. Die Beurteilungspegel der vom gesamten Betriebsgelände (auf dem Grundstück Fl.Nr. 2 der Gemarkung …*) ausgehenden Geräusche durch Freischankflächennutzung, Fahrverkehr, Stellplatznutzung, Verladetätigkeiten, stationäre Anlagen usw. dürfen an den nächsten maßgeblichen Immissionsorten folgende Immissionsrichtwertanteile nicht überschreiten:

Immissionsort (Gemarkung …*)

Tags

(6.00 bis 22.00 Uhr)

Nachts

(22.00 bis 6.00 Uhr)

Lage des Immissionsortes in folgender Baugebietskategorie

Fl.Nr. 278/30

52 (55)

37 (40)

Allgemeines Wohngebiet

Fl.Nr. 9

57 (60)

42 (45)

Dorfgebiet

9
Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen die nicht reduzierten Immissionsrichtwerte am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) und nachts um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten. Maßgebend für die Beurteilung nachts ist die volle Nachtstunde (z. B. 22.00 bis 23.00 Uhr) mit dem höchsten Beurteilungspegel.
10
3. Lärmerzeugende Anlagen sind dem Stand der Lärmschutztechnik entsprechend auszuführen und zu warten. Körperschallabstrahlende Anlagen sind von luftschallabstrahlenden Gebäudeteilen zu entkoppeln (z.B. mittels elastischer Elemente oder durch lückenlos durchgehende Trennfugen). Die Geräusche der Anlagen dürfen weder tonhaltig (vgl. Anhang A.3.34.5 TA Lärm) noch tieffrequent (Ziffer 7.3 TA Lärm) sein.
11
4. Der Schalldruckpegel des Kälteerzeugers darf 55 dB(A) in einem Meter Entfernung nicht überschreiten. Dies ist durch entsprechende Schallschutzmaßnahmen (z.B. leises Aggregat, Einhausung) sicherzustellen. Auf Anforderung ist dem Landratsamt ein entsprechender Nachweis (z. B. Produktdatenblatt) dafür vorzulegen.
12
Der Kälteerzeuger ist gegen die Weiterleitung von Störschall zu isolieren.
13
Körperschallisolierung: Lagerung auf Schwingmetall
14
Luftschallisolierung: Luftschalldämmende Umkleidung des Aufstellungsortes (…)
15
6. Die Nutzung der Freischankfläche ist nur tagsüber (6.00 bis 22.00 Uhr) zulässig.
16
7. Die Schallschutzfenster und -türen auf der Nordseite des Gebäudes sind stets geschlossen zu halten. Davon ausgenommen ist das für den Betriebsablauf notwendige (kurzzeitige) Öffnen (z.B. für die An- und Ablieferung).
17
8. Musikveranstaltungen im Freien, die mit dem Café in unmittelbaren Zusammenhang stehen, sind im Rahmen seltener Ereignisse nach Nr. 7.2 TA Lärm an nicht mehr als zehn Tagen (6.00 Uhr bis 22 Uhr) eines Kalenderjahres und an nicht mehr als zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden zulässig.
18
9. Nach 22.00 Uhr ist durch organisatorische Maßnahmen des Personals dafür Sorge zu tragen, dass sich die Gäste im Freien (z.B. bei Verlassen der Gaststätte oder beim Rauchen) ruhig verhalten und lautstarke Unterhaltungen unterlassen.
(…)
19
Mit E-Mail vom 26. Oktober 2021 teilte der zuständige Mitarbeiter des Sachgebiets Immissionsschutz ferner mit, der Lärm des Tagescafés beurteile sich nach der TA Lärm, die Remise nach der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung). Beides sei aufgrund der unterschiedlichen Beurteilungsvorschriften getrennt voneinander zu beurteilen (keine Summenbildung). Dies gelte auch bei seltenen Ereignissen.
20
Am 15. November 2021 wandte sich das Landratsamt per E-Mail an den Bürgermeister der Beigeladenen und erklärte, man halte die geplanten fünf Stellplätze an der Grundstücksgrenze zum Antragsteller sowohl aus der Sicht des Einfügegebots nach § 34 BauGB als auch aus der Sicht des Rücksichtnahmegebots für äußerst bedenklich und empfehle, diese auf der Fl.Nr. 278/23 zu situieren. Mit E-Mail vom selben Tag lehnte der Bürgermeister der Beigeladenen den Vorschlag ab. Für eine weitere (immissionsschutzrechtliche) Einschränkung sehe er keine Notwendigkeit und halte dies auch nicht für bürgerfreundlich, da die geplanten Stellplätze den kürzesten Weg zu den neuen Räumen darstellten.
21
Die Beigeladene und der Antragsgegner einigten sich im Nachgang dahingehend, dass statt der vorgesehenen fünf Stellplätze nur drei Stellplätze errichtete werden, wobei zwei für gehbehinderte Personen vorgesehen sein sollen.
22
Mit Bescheid des Landratsamts … vom 8. Dezember 2021 wurde die Baugenehmigung antragsgemäß erteilt, wobei unter Ziffern 2.17 – 2.28 die bereits genannten immissionsschutzrechtlichen Auflagen aufgenommen worden sind.
23
Hiergegen hat der Kläger am .. Januar 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben.
24
Dem Klägerbevollmächtigten wurde am 24. Februar 2022 die Behördenakte zur Akteneinsicht übersandt. Der Klägerbevollmächtigte reichte die Akten am 30. April 2022 an das Gericht zurück. Bereits mit Verfügung vom 11. Januar 2022 wurde der Klägerbevollmächtigte aufgefordert, binnen zehn Wochen nach Akteneinsicht die Klage zu begründen. Mit Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom .. Mai 2022 beantragte dieser eine Verlängerung der Frist zur Vorlage einer Klagebegründung bis einschließlich 13. Mai 2022, die die Berichterstatterin mit Verfügung vom selben Tag gewährte.
25
Am 14. Mai 2022 übersandte der Bevollmächtigte des Antragstellers schließlich die Klagebegründung.
26
Darin führte er aus, das Bauvorhaben sei bereits nach der Art baulicher Nutzung unzulässig. Das Grundstück der Beigeladenen befinde sich wie das des Antragstellers in einem faktischen Dorfgebiet. Es sei zweifelhaft, ob es sich bei dem Vorhaben (noch) um eine Schank- und Speisewirtschaft handele oder ob der Veranstaltungscharakter überwiege. Es sei eher als Vergnügungsstätte einzustufen. Das Vorhaben sei auch rücksichtslos. Zwischen der Außenwand des Gebäudes und der Grundstücksgrenze zum Antragsteller befinde sich ein nur 7 m breiter Streifen. Dort solle zum einen eine Durchfahrt geschaffen werden, es würden drei Stellplätze hergestellt, die Müllentsorgungsanlagen installiert und ein Kälteerzeuger aufgestellt werden. Zudem sei eine Anlieferungsrampe geplant. Der Antragsgegner habe zu keinem Zeitpunkt ausreichende Lärmwerte ermittelt. Stattdessen sei das Vorhaben genehmigt worden, ohne auch nur ansatzweise Anhaltspunkte dahingehend zu haben, ob die im Bescheid genannten Lärmgrenzwerte auch nur annähernd eingehalten werden könnte. Bereits der im Jahr 2011 genehmigte Betrieb der Remise als Veranstaltungsort halte die in der damaligen Genehmigung enthaltenen Auflagen zum Lärmschutz nicht ein. Auch fänden keinerlei Kontrollen statt. Es sei schließlich nicht nachvollziehbar, warum das Kälteaggregat einen Lärmwert von 55 dB(A) einhalten müsse, während das weiter entfernte Gerät an der Remise nur 35 dB(A) einzuhalten habe. Hinsichtlich der genehmigten zehn Musikveranstaltungen im Freien als seltene Ereignisse werde verkannt, dass auch für den Betrieb der Remise bereits zwölf solcher Veranstaltungen genehmigt worden seien. Schließlich seien die vorgesehenen Stellplätze an der Grundstücksgrenze bauplanungsrechtlich unzulässig, weil sie sich nicht einfügten. Insgesamt seien zu wenige Stellplätze vorgesehen. Die Baugenehmigung verstoße zudem gegen den beim Landgericht München II geschlossenen Vergleich zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen.
27
Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2022 führte der Bevollmächtigte der Beigeladenen für diese aus, es handele sich bei dem Vorhaben nicht um eine Vergnügungsstätte, da eine kommerzielle Freizeitgestaltung nicht im Vordergrund stehe. Die Mehrzweckräume sollten nach der vorliegenden Betriebsbeschreibung vorwiegend der Erwachsenenbildung dienen. Es handele sich daher um eine Anlage, die kulturellen wie sozialen Zwecken diene. Vom streitgegenständlichen Vorhaben gingen auch keine unzumutbaren Lärmimmissionen aus. Das Landratsamt habe die entsprechenden Grenzwerte als Auflage festgesetzt. Die Frage, ob ausreichend Stellplätze vorhanden seien, betreffe den Antragsteller nicht in eigenen Rechten. Es sei auch nicht ersichtlich, inwiefern es zu einer unzumutbaren Situation für den Antragsteller kommen solle.
28
Mit Schriftsatz vom selben Tag ist auch der Antragsgegner der Klage entgegengetreten. Das Bauvorhaben sei als Schank- und Speisewirtschaft und Anlage für kulturelle und soziale Zwecke in einem faktischen Dorfgebiet bauplanungsrechtlich zulässig. Es sei auch nicht rücksichtslos. Der an der Grundstücksgrenze aufgrund der Stellplätze zu erwartende Publikumsverkehrs werde geringfügig sein, zumal es sich bei zwei der Stellplätze um Behindertenparkplätze handele. Auf eine zu geringe Anzahl an Stellplätzen könne sich der Antragsteller nicht berufen. Auch würde den immissionsschutzrechtlichen Bedenken durch die zahlreichen Auflagen der Baugenehmigung Rechnung getragen. Ein Lärmgutachten sei nicht erforderlich gewesen. Der zu erwartende Lärm sei unter anderem anhand der Betriebsbeschreibung durch das Landratsamt beurteilt worden. Schließlich führe auch das Kühlaggregat nicht zu einer Überschreitung der Lärmgrenzwerte, da am Immissionsort auf dem Grundstück des Antragstellers weniger als 35 dB(A) ankämen.
29
Mit Schriftsatz vom .. Oktober 2022 beantragte der Antragsteller,
30
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen,
31
und nimmt Bezug auf seine Ausführungen in der Klagebegründung. Ergänzend trägt er vor, die Beigeladene habe zwischenzeitlich mit Bauarbeiten begonnen, sodass Eile geboten sei.
32
Der Antragsgegner beantragt,
33
den Antrag abzulehnen.
34
Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Klagerwiderung im Hauptsacheverfahren und betont, die Lärmimmissionen der Gaststätte seien nicht gemeinsam mit denen der Remise zu beurteilen, da die Lärmbeurteilung der Remise nach der Sportanlagenlärmschutzverordnung erfolge.
35
Die Beigeladene beantragt,
36
den Antrag abzulehnen,
37
und verweist auf das Vorbringen im Klageverfahren. Ergänzend trägt sie vor, es sei Präklusion nach § 6 UmwRG eingetreten. Der Antragsteller habe innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung seiner Klage dienenden Tatsachen anzugeben. Da er dies nicht getan habe, sei er im Klageverfahren mit seinem Vorbringen präkludiert. Dies schlage auch auf das Eilverfahren durch.
38
Wegen weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren (M 29 K 22.66) Bezug genommen.
II.
39
Der zulässige Antrag gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 8. Dezember 2021 ist zulässig und begründet.
40
Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Genehmigung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse des Bauherrn oder das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
41
Der Antragsteller ist mit seinen vorgetragenen Tatsachen und abgegebenen Erklärungen nicht nach § 6 UmwRG präkludiert (hierzu unter 1.). Zudem ist nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung eine für den Erfolg der Anfechtungsklage erforderliche Verletzung von Rechten des Antragstellers, die zum Prüfungsumfang des Genehmigungsverfahrens gehören, wahrscheinlich (hierzu unter 2.), so dass das Suspensivinteresse des Antragstellers das Interesse des Antragsgegners und der Beigeladenen an der Vollziehung der Baugenehmigung überwiegt.
42
1. Gemäß § 6 Sätze 1 und 2 UmwRG hat eine Person oder eine Vereinigung innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben; Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind vorbehaltlich der Regelung in § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO nur zuzulassen, wenn die Verspätung entschuldigt ist. Die Frist kann nach § 6 Satz 4 UmwRG (nur) dann auf Antrag verlängert werden, wenn die Person oder die Vereinigung in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren keine Möglichkeit der Beteiligung hatte. Ein Verstoß gegen die durch § 6 UmwRG dem Kläger auferlegte Obliegenheit führt zur Unbegründetheit und nicht zur Unzulässigkeit der Klage (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 20; OVG Hamburg, U.v. 29.11.2019 – 1 E 23/18 – juris Rn. 137). Das Gericht ist durch die Vorschrift gehindert, verspätetes Vorbringen zuzulassen. Auf die Frage, ob eine Zulassung verspäteten Vorbringens das Verfahren konkret verzögern würde, kommt es dabei nicht an.
43
§ 6 UmwRG findet zwar im vorläufigen Rechtsschutzverfahren keine Anwendung. Allerdings ist eine mögliche Präklusion insoweit zu berücksichtigen, als die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes in der Hauptsache für den Ausgang des Eilverfahrens von Bedeutung sind (vgl. hierzu Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand April 2022, § 6 UmwRG Rn. 26).
44
Vorliegend ist § 6 UmwRG wegen § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG zu beachten. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist hiernach auf Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte anzuwenden, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden. Dass vorliegend der Antragsteller eine natürliche Person und keine anerkannte Vereinigung ist, ist für die Anwendbarkeit des Gesetzes nicht von Bedeutung; § 6 Satz 1 UmwRG stellt auf „eine Person (…) im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1“ und damit auf jede natürliche Person ab (vgl. VG Hannover, U.v. 12.1.2021 – 4 A 1902/20 – juris Rn. 52).
45
Dies vorausgeschickt steht der Berücksichtigung des entsprechenden Vortrags des Antragstellers im Klageverfahren entgegen der Rechtsauffassung der Beigeladenen § 6 UmwRG nicht entgegen.
46
Die am 17. März 2022 endende (gesetzliche) Frist zur Vorlage einer Klagebegründung hat der Antragsteller nicht gewahrt. Dass ihm daneben eine gerichtliche Frist zur Vorlage einer Klagebegründung gesetzt worden ist, vermag am Ablauf der gesetzlichen Frist nichts zu ändern. Insbesondere handelt es sich dabei nicht um eine Verlängerung der gesetzlichen Frist des § 6 UmwRG, denn zum einen fehlt es insoweit an einem Antrag des Antragstellers. Zum anderen liegen auch die weiteren Voraussetzungen, insbesondere eine fehlende Beteiligung im Genehmigungsverfahren, nicht vor, denn der Antragsteller ist als Nachbar Beteiligter baurechtlichen Genehmigungsverfahren (vgl. Art. 66 BayBO). Insbesondere konnte er als solcher Einsicht in die Genehmigungsakte nehmen (Art. 29 BayVwVfG).
47
Auch der Fristverlängerungsantrag des Antragstellerbevollmächtigten vom 9. Mai 2022 vermag am Ablauf der Klagebegründungsfrist des § 6 UmwRG nichts zu ändern, denn zu diesem Zeitpunkt war die gesetzliche Frist längst abgelaufen (vgl. BayVGH, U.v. 4.8.2022 – 22 A 20.40012 – juris Rn. 78). Dass dem Antragsteller dennoch Fristverlängerung gewährt worden ist, ist dabei unerheblich, denn zum einen handelte es sich hierbei um die Verlängerung der mit Schreiben des Gerichts vom 1. Februar 2022 gesetzten Frist zur Klagebegründung, wie der Antragstellerbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 9. Mai 2022 (…die am heutigen Tage ablaufende Begründungsfrist…“) deutlich gemacht hat. Zum anderen stünde die Klagefrist des § 6 Abs. 1 UmwRG auch nicht im Ermessen des Gerichts und wäre damit ohne Vorliegen der Gründe des § 6 Satz 4 UmwRG ohnehin nicht verlängerbar. Letztlich hat der Antragsteller, dessen Klagebegründung am 14. Mai 2022 bei Gericht eingegangen ist, aber auch diese, am 13. Mai 2022 ablaufende Frist nicht gewahrt.
48
Allerdings tritt gemäß § 6 Satz 3 UmwRG i.V.m. § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO eine Präklusion dann nicht ein, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Bei der Auslegung von § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO, der eine klarstellende einfachgesetzliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.1998 – 11 A 6.97 – NVwZ-RR 1998, 592), ist der Regelungszweck des § 6 UmwRG maßgeblich zu berücksichtigen. Ziel ist es, Rechtssicherheit für das Gericht und die Verfahrensbeteiligten durch frühzeitige Fixierung des Prozessstoffes zu erreichen und so zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen (BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8.17 – NVwZ 2019, 1202; OVG NW, B.v. 18.2.2020 – 11 B 13/20 – juris Rn. 17 ff., jeweils m.w.N). Damit soll für das Gericht und die übrigen Beteiligten klar und eindeutig feststehen, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird. Das schließt späteren lediglich vertiefenden Tatsachenvortrag nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2018 – 9 A 8/17 – juris Rn. 14; OVG NW, U.v. 5.2.2021 – 11 D 13/18.AK – juris Rn. 83). Eine Ausnahme von der Präklusionsregelung liegt daher nach § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO regelmäßig vor, wenn deutlich zu Tage tritt, unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten der Kläger die Entscheidung angreift, und die Klagebegründungsobliegenheit eine bloße Förmlichkeit wäre (BayVGH, B. v. 16.3.2021 – 8 ZB 20.1873 – juris Rn. 17). Dies ist vorliegend der Fall, denn der Antragsteller hat bereits in seiner Stellungnahme gegenüber dem Landratsamt schlüssig und substantiiert deutlich gemacht, dass er durch das Bauvorhaben der Beigeladenen insbesondere in Kombination mit dem bereits durch die vorhandene Nutzung entstehenden Lärm erhebliche Überschreitungen der zulässigen Lärmwerte befürchte.
49
2. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verletzt den Antragsteller nach summarischen Überprüfung durch das Gericht voraussichtlich in seinen Rechten.
50
Dritte – wie der Antragsteller – können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22; B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1831 – juris Rn. 17).
51
a) Es fehlt bereits an der hinreichenden Bestimmtheit der Baugenehmigung.
52
Baugenehmigungen müssen nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG inhaltlich hinreichend bestimmt sein, sodass sie vollständig, klar und unzweideutig sind. Dies bedeutet, dass die im Genehmigungsbescheid getroffene Regelung und damit auch der Inhalt, die Reichweite und der Umfang der genehmigten Nutzung für die Beteiligten des Verfahrens – gegebenenfalls nach Auslegung (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19) insbesondere unter Berücksichtigung des Bauantrags, der ihm beigefügten Bauvorlagen im Sinne von Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO sowie weiterer von der Bauaufsichtsbehörde zur Beurteilung des Vorhabens verlangter oder vom Bauherrn vorgelegter Unterlagen (vgl. VGH Mannheim, B.v. 30.1.2019 – 5 S 1913/18 – juris Rn. 35) – eindeutig zu erkennen sein müssen (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30). Der Bauherr muss die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen erkennen und Drittbetroffene müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2009 – 1 CS 09.221 – juris Rn. 20; B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris Rn. 6; VGH Kassel, B.v. 30.1.2012 – 4 B 2379/11 – juris Rn. 5).
53
Der Nachbar hat zwar keinen Anspruch darauf, dass der Bauherr „einwandfreie“ Bauvorlagen einreicht. Eine Verletzung seiner drittschützenden Rechte kommt aber in Betracht, wenn er infolge der Unbestimmtheit der Baugenehmigung bzw. der Unvollständigkeit, Unrichtigkeit bzw. Uneindeutigkeit der Bauvorlagen den Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig feststellen kann und ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften – insbesondere eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots – deswegen nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30; B.v. 25.7.2019 – 1 CS 19.821 – juris Rn. 14; U.v. 20.5.1996 – 2 B 94.1513 – BayVBl. 1997, 405 f.; B.v. 31.10.2016 – 15 B 16.1001 – juris Rn. 4). Die im Genehmigungsbescheid getroffene Regelung – d.h. insbesondere der Inhalt, die Reichweite und der Umfang der genehmigten Nutzung – müssen ggf. nach Auslegung eindeutig erkennbar sein (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.1998 – 4 C 9/97 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7). Der Nachbar muss insofern auch erkennen können, mit welchen Immissionen er zu rechnen hat und ob er gegebenenfalls schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 22). Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich dabei nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht (vgl. BVerwG, B.v. 15.11.2007 – 4 B 52.07 – juris Rn. 6; OVG Münster, U.v. 6.6.2014 – 2 A 2757/12 – juris Rn. 73; OVG Schleswig, B.v. 11.8.2014 – 1 MB 18.14 – juris Rn. 9; OVG Lüneburg, B.v. 26.1.2012 – 1 ME 226/11 – juris Rn. 22).
54
Das Vorliegen einer Betriebsbeschreibung ist dabei maßgeblich für den Inhalt der Baugenehmigung, sie wird regelmäßig zu deren Bestandteil erklärt und führt bei einer Unbestimmtheit oder Widersprüchlichkeit bereits zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 8.10.2015 – 1 CS 15.1876 – juris Rn. 3 f.). Zwar hat die Beigeladene im Genehmigungsverfahren Betriebsbeschreibungen vorgelegt, die auch zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt worden sind. Aus der immissionsschutzrechtlichen Betriebsbeschreibung vom 23. März 2021/7. April 2021 ergibt sich aber lediglich eine tägliche Betriebszeit von 8 Uhr bis 24 Uhr. Die Nutzungsbeschreibung Mehrzweckräume vom 3. November 2021 enthält demgegenüber eine Auflistung vorstellbarer Nutzungen der Mehrzweckräume, wobei unklar ist, ob auch insoweit eine tägliche Nutzungszeit von 8 Uhr bis 24 Uhr gilt. Überdies soll nach der Nutzungsbeschreibung „bei besonderem Bedarf“ auch der Mehrzweckraum für den Cafébetrieb genutzt werden, ohne dass klargestellt wird, in welchen Fällen und wie häufig dies der Fall sein soll. Auch fehlen Beschreibungen, ob und in welcher Form Musikdarbietungen (Hintergrundmusik, Tanzmusik, Live-Musik) erfolgen sollen (vgl. hierzu VG München, U. v. 14.11.2022 – M 8 K 21.3141 – juris Rn. 24), für die nach Auflage Ziffer 2.24 lediglich im Freien Einschränkungen bestehen sollen.
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b) Kann der Antragsteller als Nachbar bereits aufgrund der nicht hinreichend bestimmten Betriebsbeschreibung nicht erkennen, mit welchen Immissionen er zu rechnen hat und ob er gegebenenfalls schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 22), kommt vorliegend hinzu, dass auch der Antragsgegner im Genehmigungsverfahren nicht hinreichend geprüft hat, ob das Gebot der Rücksichtnahme hinsichtlich der vom Antragsteller gerügten Lärmimmissionen verletzt ist, ob also vom Vorhaben der Beigeladenen unzumutbare Belästigungen oder Störungen ausgehen. Stattdessen wurden pauschal Grenzwerte beauflagt, deren Ermittlung sich aus der Behördenakte ebenso wenig ergibt wie eine Prüfung, ob die Einhaltung der Grenzwerte durch das genehmigte Vorhaben überhaupt erfolgen kann.
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Die Bauaufsichtsbehörde hat bei der Prüfung, ob und inwieweit von einer geplanten Nutzung Immissionen ausgehen können, der Reichweite der Immissionen nachzugehen. Sie muss insbesondere prüfen, in welchem Umkreis die Immissionen noch zumutbar sind. Zwar reicht es sowohl im Hinblick auf die Anforderungen der Bestimmtheit der Baugenehmigung als auch des Rücksichtnahmegebots in der Regel aus, wenn dem Emittenten aufgegeben wird, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 5.11.1968 – I C 29.67 – juris Rn. 11; U.v. 24.6.1971 – I C 39.67 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris Rn. 31). Wenn indes hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Nutzung die maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze überschreitet, muss die genehmigte Nutzung weiter in der Baugenehmigung durch (weitere) konkrete Regelungen eingeschränkt werden (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2002 – 1 B 98.2945 – juris Leitsatz). An die prognostische Einschätzung der Einhaltung der Zumutbarkeitskriterien sind hohe Anforderungen zu stellen. Die Prognose hinsichtlich der Immissionsverträglichkeit des Vorhabens muss „auf der sicheren Seite“ liegen. Andernfalls würden die regelmäßig nicht zu vermeidenden Unsicherheiten bei der nachträglichen Kontrolle zulasten der zu schützenden Betroffenen gehen (BayVGH, B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 6).
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Der Antragsgegner hat vorliegend weder ein Lärmgutachten oder eine Lärmprognose der Beigeladenen angefordert noch ist eine solche prognostische Einschätzung der entstehenden Lärmwerte durch das Landratsamt als Genehmigungsbehörde selbst erfolgt. Die behördeninterne Stellungnahme des Sachgebiets Immissionsschutz beschränkt sich auf den Vorschlag, im Wesentlichen um 3 dB(A) reduzierte Grenzwerte der TA Lärm als Auflage festzusetzen, wenngleich aus der Vergangenheit bekannt gewesen ist, dass bereits die als Veranstaltungsräume genutzte Remise zu massiven Lärmbeschwerden geführt hat und die Beigeladene sich in diesem Zusammenhang zivilprozessual sogar zu Einschränkungen des Betriebs verpflichtet hat. Dass mit dem Hinzutreten einer Gaststätte mit 48 Gastplätzen, einer Freischankfläche mit weiteren 30 Gastplätzen sowie zweier Mehrzweckräume, die nach der Betriebsbeschreibung zumindest auch einer Erweiterung der Gaststätte dienen sollen, eine (weitere) Immissionsbelastung des Nachbarn durch Lärm nicht von vornherein auszuschließen ist, liegt dabei auf der Hand. Dennoch ist der durch bereits bestehende Anlagen entstehende Lärm als Vorbelastung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens offenbar gänzlich unberücksichtigt geblieben. Schließlich begegnet auch die Beschränkung der Anzahl seltener Ereignisse nach Ziffer 7.2 TA Lärm auf zehn Tage vor dem Hintergrund, dass für die sich ebenfalls auf dem Grundstück befindende Remise, genehmigt als Veranstaltungsräume zur Durchführung von Gemeinde- und Vereinsveranstaltungen, bereits zwölf solcher Ereignisse festgesetzt worden sind, erheblichen rechtlichen Bedenken.
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Bei Würdigung aller maßgeblichen Umstände ist daher im Rahmen der Interessenabwägung des Gerichts das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs höher einzuschätzen als das Interesse der Beigeladenen am Sofortvollzug der Baugenehmigung, zumal es bereits Aufgabe der Beigeladenen gewesen wäre, im Rahmen der Bauvorlage für eine hinreichend bestimmte Betriebsbeschreibung und gegebenenfalls für eine Klärung der Immissionsverträglichkeit ihres Bauvorhabens durch Vorlage einer Lärmprognose oder eines entsprechenden Gutachtens zu sorgen. Dies wäre im Genehmigungsverfahren zu prüfen gewesen.
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Nach alldem ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung anzuordnen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.