Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 13.12.2022 – Au 3 K 22.645
Titel:

Kein BAföG für Wunschstudium nach abgeschlossenem "Parkstudium"

Normenketten:
VwGO § 52 Abs. 3 S. 2, S. 5, § 58 Abs. 1, Abs. 2, § 70
BAföG § 7 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
SGB X § 26
Leitsätze:
1. Die einem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig, wenn sie im Fall eines fakultativen Widerspruchs im Hinblick auf die Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage oder einer Klage unmittelbar gegen den Bescheid ein örtlich unzuständiges Gericht angegeben wird (hier: Beklagte ist für mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke zuständig). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verbrauch des Förderungsanspruchs aus § 7 Abs. 1 BAföG durch Erwerb eines Hochschulabschlusses tritt auch dann ein, wenn für das erste Studium Ausbildungsförderung nicht in Anspruch genommen worden ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Wechsel vom Alternativ- zum Wunschstudium stellt keinen unabweisbaren Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BAföG für einen Fachrichtungswechsel dar. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerspruchsfrist, unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung:bei fakultativem Widerspruchsverfahren, Aufnahme des Wunschstudiums nach abgeschlossenem Alternativstudium, Verbrauch des Grundanspruchs auf Ausbildungsförderung, Förderung einer weiteren Ausbildung (verneint), kein Fall des Fachrichtungswechsels, Frist für Fachrichtungswechsel, BAföG, Parkstudium, Alternativstudium, Wunschstudium, Fachrichtungswechsel, Rechtsbehelfsbelehrung, unrichtig
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47191

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Gewährung von Ausbildungsförderung für ihr Studium im Studiengang Humanmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck.
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1. Die am ... geborene Klägerin studierte nach dem Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife nach eigenen Angaben von September 2016 bis September 2020 an der Hochschule K. im Studiengang Soziale Arbeit und schloss dieses Studium mit dem Abschluss Bachelor of Arts (B.A.) ab. Seit dem Wintersemester 2020/21 studiert sie im Studiengang Humanmedizin an der Medizinischen Universität ... in Österreich. Hierfür beantragte sie mit Antrag vom 6. Januar 2021 Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum Januar 2021 bis September 2021.
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2. Mit Bescheid vom 18. Januar 2021 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1, 2 BAföG würden nicht vorliegen, da die Klägerin mit ihrem Studium der Sozialpädagogik und dem Abschluss Bachelor of Arts den Grundanspruch bereits ausgeschöpft habe. Ausnahmetatbestände im Sinne des § 7 Abs. 2 BAföG lägen nicht vor; besondere Umstände des Einzelfalls nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG seien nicht ersichtlich. Der Bescheid wurde am 19. Januar 2021 zur Post gegeben.
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Gegen den Bescheid vom 18. Januar 2021 legte die Klägerin „Einspruch“ ein, der bei der Beklagten am 25. Februar 2021 einging. Aufgrund ihres Studiums, das sie im Ausland absolviere und der Pandemie-Situation sei es ihr nicht möglich gewesen, früher Einspruch einzulegen. Es sei stets ihr Wunsch gewesen, Medizin zu studieren. Sie habe mehrfach keinen Studienplatz erhalten, obwohl sie alle Kriterien für das Studium in Deutschland erfüllt habe. Daher habe sie das Studium der Sozialen Arbeit in K. absolviert, hierfür habe sie kein BAföG erhalten, obwohl sie zwei Geschwister habe. Nun habe sie die Möglichkeit, im Ausland Medizin zu studieren und müsse die Gelegenheit ergreifen. Sie habe vor, nach dem Studium in Deutschland als Ärztin tätig zu sein, wo medizinisches Personal nötig sei. Deshalb solle die Ausbildung im Ausland gefördert werden.
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3. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2021 zurückgewiesen. Der Widerspruch sei unzulässig, weil er nicht rechtzeitig eingelegt worden sei. Der Bescheid vom 18. Januar 2021 sei am Folgetag zur Post gegeben worden, womit er nach dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post am 22. Januar 2021 als zugestellt gelte. Damit habe die Widerspruchsfrist mit Ablauf des 22. Februar 2021 geendet. Der Widerspruchsbescheid sei am 26. Februar 2021 und damit nach Ablauf der Widerspruchsfrist bei der Beklagten eingegangen. Die Pandemie sei kein ausreichender Grund für das Überschreiten der Widerspruchsfrist, da die Postwege weiterhin funktioniert hätten.
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Lediglich zur Information sei darauf hinzuweisen, dass der Widerspruch auch inhaltlich unbegründet sei. Ein Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung bestehe nur für eine Ausbildung. Weil es zu verhindern gelte, dass teure Ausbildungskapazitäten nutzlos in Anspruch genommen würden, sei für die Frage der Förderungsmöglichkeit eines weiteren Studiengangs nicht relevant, ob die Klägerin für den Bachelorstudiengang Leistungen nach dem BAföG erhalten habe. Die Voraussetzungen für die Förderung eines weiteren Studiengangs nach Abschluss eines abgeschlossenen Studiengangs seien offensichtlich nicht erfüllt. Gleiches gelte für die Ausnahmeregelung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1-5 BAföG. Es seien keine unabweisbaren Gründe ersichtlich, weshalb die Ausübung des Berufs, zu dem das erste Studium qualifiziert habe, nicht möglich sein solle. Die Aufnahme des Studiums der Medizin sei der Klägerin ggf. schon früher möglich gewesen. Die in Österreich anfallenden Aufnahmeprüfungen zu absolvieren, sei zumutbar gewesen.
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4. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2021, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 20. Dezember 2021, legte die Klägerin „Einspruch“ gegen den Bescheid der Regierung von ... vom 17. November 2021 ein. Sie beantragt mit ihrer Klage vom 20. Dezember 2021 (sinngemäß),
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die Beklagte zu verpflichten, ihr für den Bewilligungszeitraum Januar 2021 bis September 2021 Ausbildungsförderung für ihr Studium im Studiengang Humanmedizin an der Medizinischen Universität ... zu gewähren.
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Sie habe nach ihrem Abitur im Jahre 2016 trotz Bemühungen keinen Studienplatz im Studiengang Medizin in Deutschland erhalten. Auch die Bewerbung mit Aufnahmetest in ... im Jahr 2016 habe keinen Erfolg gebracht. Daher habe sie in K. ein Studium der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Gesundheitsförderung und Prävention angefangen und im September 2020 mit der Note 1,9 den Abschluss Bachelor of Arts abgeschlossen. Da der Wunsch nach einem Medizinstudium weiterhin bestanden habe, habe sie jedes Jahr am Aufnahmeverfahren in Deutschland und Österreich teilgenommen. Sie könne Ablehnungsbescheide für die Vergabe eines Studienplatzes im Fach Medizin aus den Jahren 2016 und 2017, Nachweise über die Bezahlung der Gebühr für die Teilnahme am Aufnahmetest in Österreich für die Jahre 2016, 2017 und 2019 und das Testergebnis des Tests für medizinische Studiengänge 2017 vorlegen. Die Aufnahme ihres Medizinstudiums in Österreich stelle einen Fachrichtungswechsel gem. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG dar, für den ein wichtiger Grund nach Tz. 7.3.12 b), Tz. 7.3.12 c) BAföG VwV gegeben sei. Weiter zitiert die Klägerin aus einem Rundschreiben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 3. März 2022 „Grundsätze der Parkausbildung im Rahmen des Fachrichtungswechsels nach § 7 Abs. 3 BAföG“.
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5. Mit Beschluss vom 28. Februar 2022 hat das Verwaltungsgericht München wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Verwaltungsgericht Augsburg verwiesen.
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6. Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Klage sei schon unzulässig, da der Widerspruch nicht innerhalb der Widerspruchsfrist erhoben worden sei. Die Klage sei auch unbegründet. Es bestehe kein Anspruch auf Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Der Grundanspruch sei durch das Studium der Sozialen Arbeit ausgeschöpft. Die Fördervoraussetzungen für die Förderung einer weiteren Ausbildung lägen nicht vor. Die Regelung des § 7 Abs. 3 BAföG sei nicht einschlägig, weil die Klägerin ihr Studium in Kempten abgeschlossen habe und deshalb kein Fachrichtungswechsel im Sinne der Vorschrift vorliege.
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Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Klägerin an der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2022 teilgenommen hat, weil die Klägerin mit der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Klägerin wurde am 11. November 2022 ordnungsgemäß geladen.
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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I. Die Klage ist zulässig. Es fehlt nicht an der Durchführung eines ordnungsgemäßen Widerspruchsverfahrens. Die Klägerin hat ihren Widerspruch, der bei der Beklagten am 25. Februar 2021 einging, fristgerecht eingelegt, weil im vorliegenden Fall die Jahresfrist nach § 70 Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO zum Tragen kommt und der Klägerin nicht die Versäumung der Monatsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 26 SGB X entgegengehalten werden kann. Der Lauf der Monatsfrist wurde vorliegend gemäß § 58 Abs. 1 VwGO nicht in Gang gesetzt, weil die dem Ausgangsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung(vgl. Bl. 56 der Verwaltungsakte) unrichtig war. Die Belehrung wies zwar richtig auf die Möglichkeit des fakultativen Widerspruchs und die für dessen Einlegung geltenden Modalitäten hin. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage oder einer Klage unmittelbar gegen den Ausgangsbescheid wurde die Klägerin jedoch unrichtig dahingehend belehrt, dass Klage beim Verwaltungsgericht München erhoben werden könne, obwohl für diese Klagen tatsächlich das Verwaltungsgericht Augsburg zuständig war und sie deshalb dort einzulegen waren. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Augsburg ergibt sich daraus, dass die Beklagte im Bereich der Ausbildungsförderung für das Studium im Ausland eine Zuständigkeit hat, die sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt und die Klägerin ihren Wohnsitz im Bezirk des Verwaltungsgerichts Augsburg hat (vgl. § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO). Zu den weiteren Einzelheiten der Begründung der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Augsburg wird auf den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2022 Bezug genommen, dessen Begründung sich die Kammer anschließt.
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II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Versagung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum von Januar 2021 bis September 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung für ihr Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Universität ...
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Zwar ist eine Förderung der von der Klägerin betriebenen Ausbildung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil diese im Ausland erfolgt (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 BAföG). Einer Förderung der von der Klägerin betriebenen Ausbildung stehen jedoch die Vorgaben aus § 7 BAföG entgegen.
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1. Die Beklagte ist zurecht davon ausgegangen, dass sich ein Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung für die Klägerin nicht aus § 7 Abs. 1 BAföG ergibt. Nach dieser Vorschrift besteht ein Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung nur für eine geplante und zielstrebig betriebene Ausbildung. Dieser Grundanspruch auf Förderung der sogenannten Erstausbildung besteht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG bei einer berufsbildenden Ausbildung nur bis zu einem berufsqualifizierenden Abschluss, längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses. Im Fall der Klägerin ist dieser Grundanspruch auf Förderung einer Erstausbildung dadurch verbraucht, dass sie in Form des Bachelor of Arts (B.A.) im Fach Soziale Arbeit bereits einen Hochschulabschluss auf Grundlage eines insgesamt vier Jahre dauernden Studiums erlangt hat. Der Verbrauch des Förderungsanspruchs aus § 7 Abs. 1 BAföG durch Erwerb eines Hochschulabschlusses tritt – verbunden mit der Folge, dass die Förderung einer späteren Ausbildung ausgeschlossen ist – auch dann ein, wenn für das erste Studium Ausbildungsförderung nicht in Anspruch genommen worden ist. Zweck des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ist es nämlich nicht, jedem Auszubildenden für eine von ihm und seiner Familie nicht selbst finanzierbare Ausbildung Förderungsmittel zu gewähren, sondern lediglich sicherzustellen, dass jeder Auszubildende eine Ausbildung im Sinne des BAföG durchführen kann. Wer eine erste Ausbildung aus eigenen Mitteln durchführen konnte und für eine weitere Ausbildung keine eigenen Mittel mehr hat, soll deshalb nach der Zielsetzung des BAföG für die zweite Ausbildung keine Förderungsmittel erhalten, sofern nicht die Voraussetzungen für die Förderung einer weiteren Ausbildung nach § 7 Abs. 1a, Abs. 1b oder Abs. 2 BAföG vorliegen (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Auflage 2020 § 7 Rn. 7).
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2. Ein Anspruch auf Förderung ergibt sich für die Klägerin weder aus § 7 Abs. 1a noch aus § 7 Abs. 1b BAföG. Bei dem von der Klägerin betriebenen Studium der Humanmedizin handelt es sich weder um einen Master- oder Magisterstudiengang oder einen vergleichbaren postgradualen Studiengang im Sinne des § 7 Abs. 1a BAföG noch um einen in einen Staatsexamensstudiengang integrierten Bachelor- oder Bakkalaureus-Studiengang im Sinne des § 7 Abs. 1b BAföG.
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3. Die Klägerin hat für ihr Studium auch keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung nach § 7 Abs. 2 BAföG. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise eine weitere Ausbildung gefördert werden kann. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 BAföG liegen nicht vor. Insbesondere ist das von der Klägerin betriebene Studium der Humanmedizin nicht im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 2 BAföG erforderlich, um das abgeschlossene Studium der Klägerin zu ergänzen. Ebenso wenig geht es um eine Weiterführung der Ausbildung in derselben Fachrichtung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 BAföG. Auch § 7 Abs. 2 Nr. 4 und 5 BAföG betreffen schon nach ihrem Wortlaut nicht die Ausbildungssituation der Klägerin.
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Schließlich liegen auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG nicht vor. Nach dieser Härtefallregelung wird Ausbildungsförderung für eine einzige weitere Ausbildung nur geleistet, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere das angestrebte Ausbildungsziel, dies erfordern. Derartige besondere Umstände des Einzelfalls bestehen im Fall der Klägerin nicht.
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Insbesondere liegt kein Fall vor, in dem das angestrebte Ausbildungsziel eine weitere Ausbildung erfordert. Das angestrebte Ausbildungsziel erfordert eine weitere Ausbildung nämlich dann, wenn eine zweite Ausbildung für den angestrebten Beruf gesetzlich vorgeschrieben oder in Studien-, Prüfungs- oder Laufbahnbestimmungen vorgesehen ist. Maßgeblich kommt es darauf an, dass ein objektives Erfordernis mehrerer Ausbildungen besteht, das angestrebte Ausbildungsziel also objektiv nicht auf andere Weise als durch mehrere Ausbildungen erreicht werden kann (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG 7. Auflage 2020 Rn. 98 f.). Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall. Denn das angestrebte Ausbildungsziel der Klägerin, als Ärztin tätig zu werden, erfordert nicht die Kombination der Studiengänge Soziale Arbeit und Humanmedizin.
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Ebenso wenig sind sonstige besondere Umstände des Einzelfalls erkennbar, die eine weitere Ausbildung erforderlich machen. Solche sonstigen besonderen Umstände werden dann bejaht, wenn sich ein Auszubildender eine bereits berufsqualifizierende abgeschlossene Ausbildung nicht mehr zu Nutze machen kann (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Auflage 2020 Rn. 103 m.w.N.). Auch dies trifft im Fall der Klägerin nicht zu. Es ist nicht ersichtlich, dass ihr nicht möglich wäre, den erlangten Abschluss im Bereich Soziale Arbeit beruflich nutzbar zu machen.
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4. Schließlich ergibt sich ein Anspruch auf Ausbildungsförderung der Klägerin für das Studium der Humanmedizin auch nicht aus § 7 Abs. 3 BAföG. Diese Vorschrift regelt, unter welchen besonderen Voraussetzungen Ausbildungsförderung geleistet wird, wenn der Auszubildende die Ausbildung abgebrochen oder die Fachrichtung gewechselt hat. Regelungsgegenstand der Vorschrift ist ein Ausbildungsabbruch oder Fachrichtungswechsel ohne Erwerb eines berufsqualifizierenden Abschlusses, insbesondere eines Hochschulabschlusses im ersten Studium. Die Klägerin hat indes nicht ohne Erwerb eines Hochschulabschlusses im Fach Soziale Arbeit die Fachrichtung gewechselt, sondern vielmehr nach Erwerb des Hochschulabschlusses eine weitere Ausbildung begonnen. Daher ist § 7 Abs. 3 BAföG auf ihren Fall schon gar nicht anwendbar.
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Aber selbst dann, wenn man § 7 Abs. 3 BAföG grundsätzlich auf den Fall der Klägerin anwendbar erachten wollte, steht einem Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung entgegen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 3 BAföG nicht vorliegen. Zwar ist der Wechsel von einem zunächst begonnenen sogenannten „Parkstudium“ bzw. Alternativstudium zum Wunschstudium zunächst eine anerkannte Konstellation des Fachrichtungswechsels. Allerdings sind hier zeitliche Grenzen zu berücksichtigen, die bewirken, dass die Klägerin sich nicht auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG für einen Fachrichtungswechsel berufen kann. Denn nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BAföG ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes für den Fall eines Wechsels nach Beginn des vierten Fachsemesters explizit ausgeschlossen. Die Klägerin hat die Fachrichtung indes erst weit nach Beginn des vierten Fachsemesters ihres ersten Studiums gewechselt. Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Klägerin angeführten Rundschreiben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 3. März 2022 „Grundsätze der Parkausbildung im Rahmen des Fachrichtungswechsels nach § 7 Abs. 3 BAföG“. Denn darin ist ausdrücklich festgehalten, dass sich an den Vorgaben zur Frist zur Vornahme des Wechsels nichts ändern soll.
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Ebenso wenig stellt der Wechsel vom Alternativzum Wunschstudium einen unabweisbaren Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG für einen Fachrichtungswechsel dar. Ein unabweisbarer Grund für einen Fachrichtungswechsel zeichnet sich dadurch aus, dass er eine Wahl zwischen der Fortsetzung der bisherigen Ausbildung und dem Wechsel in eine andere Fachrichtung nicht zulässt oder der es bei der gebotenen Interessenabwägung jedenfalls schlechterdings unerträglich erscheinen ließe, den Auszubildenden unter den gegebenen Umständen an der zunächst aufgenommenen Ausbildung festhalten zu lassen (Steinweg in Ramsauer/ Stallbaum, BAföG, 7. Auflage 2020 § 7 Rn. 162). Dies ist bei der Aufgabe eines sogenannten „Parkstudiums“ bzw. Alternativstudiums zugunsten eines Wunschstudiums nicht der Fall. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers stellt die Absicht, das Wunschstudium anzufangen und deswegen das zunächst begonnene Alternativstudium aufzugeben, allenfalls einen wichtigen, nicht aber einen unabweisbaren Grund dar. Dass der Gesetzgeber diese Art von Grund für einen Fachrichtungswechsel dem Bereich der wichtigen Gründe, nicht aber den unabweisbaren Gründen zuordnet, zeigt sich daran, dass er hierfür in § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BAföG ausdrücklich eine auf die wichtigen Gründe des Nr. 1 bezogene Zeitschranke eingeführt hat (vgl. Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Auflage 2020 § 7 Rn. 164).
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III. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Kostenentscheidung war gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.