Inhalt

AG Coburg, Beschluss v. 19.01.2022 – 17 C 3384/21
Titel:

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Berufung, Abtretung, Streitwert, Ermessen, Schadensersatzforderung, Vollstreckung, Auslegung, Klausel, Anspruch, Erstattung, Honorar, Sicherheitsleistung, Kosten des Rechtsstreits, unangemessene Benachteiligung, Treu und Glauben

Schlagworte:
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Berufung, Abtretung, Streitwert, Ermessen, Schadensersatzforderung, Vollstreckung, Auslegung, Klausel, Anspruch, Erstattung, Honorar, Sicherheitsleistung, Kosten des Rechtsstreits, unangemessene Benachteiligung, Treu und Glauben
Vorinstanz:
AG Coburg, Endurteil vom 19.01.2022 – 17 C 3384/21
Rechtsmittelinstanzen:
LG Coburg, Endurteil vom 08.04.2022 – 33 S 17/22
BGH Karlsruhe, Urteil vom 07.02.2023 – VI ZR 137/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47149

Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 01.12.2021 wird aufrechterhalten.
2. Die Klägerin hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet. 
4. Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 77,08 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche, konkret um restliche Sachverständigenkosten aufgrund eines Verkehrsunfalles am 01.08.2018 aus abgetretenem Recht.
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Am 01.08.2018 kam es zwischen dem Fahrzeug des Geschädigten und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug zu einem Verkehrsunfall, bei welchem das Fahrzeug des Geschädigten erheblich beschädigt wurde. Hierauf beauftragte der Geschädigte die Klägerin mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Diese ermittelte netto-Reparaturkosten in Höhe von 1.599,65 €. Für die Erstellung des Gutachtens berechnete die Klägerin mit Rechnung vom 02.08.2018 einen Betrag von 576,08 €. Die Beklagte regulierte hierauf 499,00 €.
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Abtretungserklärungen wirksam seien. Ferner seinen die geltend gemachten Kosten erforderlich.
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Die Klägerin beantragt daher
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 77,08 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.08.2021 zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 76,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist – gegebenenfalls gegen Sicherheitsleistung – vorläufig vollstreckbar.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin bereits nicht aktivlegitimiert sei. Beide unter Bezug genommene Abtretungserklärungen seien unwirksam, insbesondere da ein Verstoß gegen das Transparanzgebot vorliegen würde. Darüber hinaus seien die Gutachterkosten überhöht. Die von der Beklagten vorgenommenen Kürzungen seien berechtigt.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen.

Gründe

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Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Das Verfahren war auf die Rüge der Klägerin hin fortzusetzen. Jedoch bleibt die zulässige Klage im Ergebnis unbegründet, sodass das ergangene Endurteil aufrechtzuerhalten war.
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Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten gemäß §§ 7, 17 StVG, 823, 249, 398 BGB, 115 Absatz 1 VVG kein Anspruch auf Schadensersatz aus abgetretenem Recht zu.
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Die Klägerin ist nicht aktivlegitimiert. Sowohl die Abtretungserklärung vom 01.08.2018 (Anlage K1) als auch die Erklärung vom 20.10.2020 (Anlage K7) sind unwirksam.
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1. Die vorgelegte Abtretungserklärung vom 01.08.2018 (Anlage K 1) ist unter Zugrundelegung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 277/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 274/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 275/17) unwirksam. a)
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Grundsätzlich kann sich die Beklagte auch noch im laufenden Verfahren bei vorgerichtlicher überwiegender Regulierung auf die fehlende Aktivlegtimation berufen (so auch BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 277/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 274/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 275/17 oder auch BGH 7. 6. 2011, AZ: VI ZR 260/10).
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b) Es liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen vor. Diese verstoßen gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 BGB. Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners auch daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist (BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 277/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 274/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 275/17). Der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Er muss folglich einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen.
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Andererseits soll der Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen können, damit er nicht von deren Durchsetzung abgehalten wird. Entscheidend ist dabei die Verständnis- und Erkenntnismöglichkeit eines typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden (BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 277/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 274/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 275/17).
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Diesen Anforderungen wird die hier streitgegenständliche Abtretungserklärung unter Zugrundelegung der genannten aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht.
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Insbesondere wird bereits nicht klar deutlich, welche Rechte dem Geschädigten gegenüber dem Sachverständigen zustehen sollen, wenn der Sachverständige nach erfolgter Abtretung den ihm zustehenden, nicht abgetretenen vertraglichen Honoraranspruch geltend macht. Die hier streitgegenständliche Abtretungserklärung ist mit der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.07.2018 zugrundeliegenden Abtretungserklärung vergleichbar. Der Bundesgerichtshof stellt darauf ab, dass aufgrund der Möglichkeit, dass der Sachverständige aus seinem eigenen Honoraranspruch weiterhin gegen den Geschädigten vorgehen kann, nicht klar erkennbar ist, welche Rechte dem Geschädigten dann zustehen, wenn der Sachverständige möglicherweise Leistungen von dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung erhalten hat bzw. diese keine Zahlung geleistet haben. Insbesondere die Formulierung, der Sachverständige kann gegen den Geschädigten seinen Honoraranspruch geltend machen, wenn und soweit der regulierungspflichtige Versicherer keine Zahlung oder lediglich eine Teilzahlung geleistet hat, ist unverständlich. Der BGH weist in seiner Entscheidung zutreffend darauf hin, dass der Wortlaut nahelegt, der Sachverständige habe bei Inanspruchnahme der Geschädigten gegenüber den Schuldnern der Schadensersatzanforderung, also gegenüber Schädiger und Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer, auf die Schadensersatzforderung zu verzichten. Wie genau dies letztlich in der Praxis aussieht, kann jedoch von einem durchschnittlichen Unfallgeschädigten nicht erwartet werden, insbesondere da nicht klar ist, ob der Sachverständige lediglich auf die Ausübung seiner Rechte verzichtet oder aber hier eine Rückabtretung vereinbart sein soll.
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Diese Argumentation ist auf den vorliegenden Fall übertragbar.
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Hier ist überhaupt keine Regelung dazu getroffen. Insbesondere erfolgt die Abtretung ausdrücklich nicht an Erfüllung statt. Der Geschädigte bleibt damit den Forderungen des Sachverständigen ausgesetzt, ohne zu wissen, wie mit seinem adäquaten Schadensersatzanspruch verfahren wird. Der Bundesgerichtshof stellt im Ergebnis in seine Entscheidung klar, dass ohne eine klar verständliche und eindeutige Regelung hinsichtlich des abgetretenen Schadensersatzanspruchs eine Benachteiligung des Geschädigten vorliegt, die zur Unwirksamkeit der Erklärung führt.
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Die damit intransparent (oder wie hier nicht geregelte) Frage, was mit der abgetretenen Schadensersatzforderung im Falle der Inanspruchnahme des Geschädigten durch den Sachverständigen werden soll, führt zur Unwirksamkeit der Vereinbarung (BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 277/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 274/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 275/17). c)
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Ferner stellt der Bundesgerichtshof klar, dass sich die in der Abtretungserklärung enthaltene „Anweisung“ an die Anspruchsgegner, den Forderungsbetrag aus der Rechnung unmittelbar durch Zahlung an den Sachverständigen zu begleichen, auf die Wirksamkeit der Klausel auswirken könnte (BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 277/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 274/17; BGH 17.07.2018, AZ: VI ZR 275/17).
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Es erscheint nach Ansicht des Bundesgerichtshofs jedenfalls nicht fernliegend, in dieser Regelung eine den Schadensersatzanspruch der Geschädigten betreffende Einwilligung nach §§ 365 Abs. 2, 185 BGB in Höhe des vom Sachverständigen abgerechneten Betrages zu erblicken. Wäre sie wirksam, ermöglichte sie es dem Schädiger bzw. dessen KraftfahrzeugHaftpflichtversicherer, den in der jeweiligen Rechnung des Gläubigers ausgewiesenen Betrag mit Tilgungswirkung auch für den Schadensersatzanspruch der Geschädigten zu bezahlen. Da das Honorar jedoch nicht notwendigerweise in voller Höhe nach § 269 BGB erstattungsfähig ist (vgl. Senatsurteil vom 21.06.2016, BGH Aktenzeichen VI ZR 475/15) und deshalb den nach der Klausel an den Sachverständigen abgetretenen Anspruch auf Erstattung des Sachverständigenhonorars übersteigen kann, könnte dies zu einer die Schadensposition Sachverständigenkosten übersteigende Tilgung der Schadensersatzforderung des Geschädigten führen. Die Regelung ist deshalb überraschend im Sinne von § 305 c Abs. 1 BGB und stellt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.
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Das Gericht folgt der Ansicht des Bundesgerichtshofs, womit auch aufgrund der enthaltenen Zahlungsanweisung die Abtretungserklärung unwirksam ist.
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2. Darüber hinaus ist auch die Abtretungserklärung vom 20.10.2020 (Anlage K7) unwirksam. Auch bei dieser Erklärung handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, auf die die §§ 305 ff. BGB anzuwenden sind. Die Vereinbarung ist nicht klar und verständlich und stellt daher einen Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 307 Absatz 1, Satz 2 BGB dar. In der Erklärung heißt es:
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Der Auftraggeber / Zedent tritt hiermit seinen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gegenüber der Haftpflichtversicherung an die/ Zessionarin ab und ermächtigt die / Zessionarin diese Kosten gerichtlich geltend zu machen.
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Im Zeitpunkt der Abtretung erlischt der Anspruch der auf Erfüllung ihres Werklohnanspruchs gegenüber dem Auftraggeber. Die Abtretung erfolgt somit an Erfüllung statt.
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Die Klausel verwendet zum einen das typische Vokabular einer Abtretung, nämlich „Zedent, Zessionar, tritt ab“. Dies deutet darauf hin, dass die Auftraggeberin der Geschädigte seine Gläubigerstellung vollumfänglich aufgeben und diese auf die Klägerin übergehen soll. Andererseits spricht die Klausel auch davon, dass die Klägerin ermächtigt wird, die Kosten gerichtlich geltend zu machen. Einer Ermächtigung für eine gerichtliche Geltendmachung ist jedoch nur dann erforderlich, wenn die Klägerin fremde Rechte im eigenen Namen geltend machen soll. Der zweite Halbsatz der Klausel legt deshalb eine Auslegung nahe, dass die Auftraggeberin ihre Rechtsstellung als Gläubigerin gerade nicht vollumfänglich aufgeben soll.
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Gemäß § 307 Absatz 1, Satz 2 BGB muss bei der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Regelung möglichst konkret dargestellt werden. Dies dient dazu, dass der Vertragspartner seine Rechte und Pflichten dem Vertragstext hinreichend bestimmt entnehmen kann. Es dürfen keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Genau dies ist jedoch vorliegend der Fall. Die Klausel ist dahingehend unklar, ob mit der Erklärung eine vollständige Aufgabe der Rechtsposition, nämlich hier der Inhaberschaft des streitgegenständlichen Schadensersatzanspruchs oder aber lediglich eine Ermächtigung zur gerichtlichen Geltendmachung vereinbart werden soll. Bei den jeweiligen Möglichkeiten handelt es sich um völlig unterschiedliche rechtliche Konsequenzen. In einem Fall gibt der Zedent seine Rechtsposition vollständig auf. In dem anderen Fall ermächtigt der Anspruchsinhaber lediglich einen Dritten zur gerichtlichen Geltendmachung, bleibt jedoch Anspruchsinhaber. Da die hier streitgegenständliche Klausel dahingehend nicht eindeutig ist, welche rechtlichen Konsequenzen an die Erklärung geknüpft werden, ist sie intransparent und damit unwirksam. Auch der zweite Satz der Klausel, dass damit der Anspruch der Klägerin gegen die Auftraggeberin erlösche und die Abtretung an Erfüllung statt erfolge, legt zwar nahe, dass eine Abtretung gewollt ist, zwingend ist diese Auslegung jedoch nicht, da nach § 364 Abs. 1 BGB der Gläubiger jede andere Leistung anstelle der geschuldeten annehmen kann, also auch eine bloße Ermächtigung. Es genügt für die Intransparenz, dass eine andere Auslegung zugunsten des Verwenders zumindest möglich ist.
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Letzten Endes lässt die Klausel zugunsten der Klägerin zwei Auslegungsvarianten zu uns ist deshalb zu unbestimmt und intransparent. Mithin ist die Klausel nicht dahingehend eindeutig, ob der Verfügende seine Rechtsposition vollumfänglich aufgibt oder nicht (so auch AG Aschaffenburg, Urteil vom 06.10.2021, Aktenzeichen 130 C 181/21).
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Hieran ändert auch unter Berücksichtigung des § 306 Abs. 1 BGB der zweite Absatz der Erklärung nichts, aus welchem sich ergibt, dass mit einer möglichen Abtretung der Werklohnanspruch gegenüber der Klägerin durch den Auftraggeber (Geschädigter) erfüllt sein soll. Eine einmal intransparent geregelte Vereinbarung wird auch nicht dadurch wirksam, dass weitere Erklärungen die ein oder andere Auslegung vermuten lassen. Im Ergebnis bleiben zwei Auslegungsvarianten, die zur Unwirksamkeit der Erklärung führen. Weiterhin würde das ersatzlose Streichen des intransparenten ersten Absatzes zur Unbestimmtheit der Abtretungserklärung im zweiten Absatz führen, da der „Werklohnanspruch des Auftraggebers“ als Gegenstand der Abtretung im ersten Absatz als „Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten“ definiert wird. Ohne diese Definition ist der Inhalt der Abtretung zu unbestimmt bzw. nicht bestimmbar und damit unwirksam.
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Die Klage war mithin vollumfänglich abzuweisen.
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Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf die Zinsforderung aus Verzugsgesichtspunkten. Entsprechendes gilt für die mit dem Antrag zu 2) eingeforderten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.