Titel:
Rückerstattung von Flugnebenkosten bei Nichtantritt einer Flugreise
Normenketten:
VO (EU) Nr. 1215/2012 Art. 7 Nr. 1 lit. a, Art. 17 Abs. 1, Abs. 3
Luftverkehrsdienste-VO Art. 23
BGB § 126 Abs. 3, § 126a, § 410 Abs. 1, § 648, § 812 Abs. 1, § 818 Abs. 2
ZPO § 371 Abs. 1 S. 2, § 420
Leitsätze:
1. Für die Begründung der Zuständigkeit eines Gerichts nach VO (EU) Nr. 1215/2012 genügt ein Kausalzusammenhang zwischen dem Rückgewähranspruch und der vertraglichen Beziehung, wobei es zur effektiven Durchsetzung der europarechtlichen Vorgaben keinen Unterschied machen kann, ob der beförderungsrechtliche Rückerstattungsanspruch nach nationalem Recht vertraglich oder bereicherungsrechtlich ausgestaltet ist. (Rn. 9 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der § 420 ZPO ist weiterhin streng auszulegen, so dass nicht einmal die Vorlage von beglaubigten Abschriften die Vorlage eines Originals ersetzen kann. (Rn. 16 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 648 BGB gewährt schon nach dem Wortlaut dem Werkbesteller keine eigenständige Anspruchsgrundlage, schließt aber genauso wenig bereicherungsrechtliche Rückabwicklungsansprüche aus. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei anfallenden Gebühren und Steuern handelt es sich nicht um mit der Flugdurchführung in zwingendem Zusammenhang stehende Fixkosten, welche unabhängig von der Buchung und der Beförderung des einzelnen Passagiers anfallen. Sie können bei lebensnaher Betrachtung nur aus den Einnahmen beglichen werden. (Rn. 26 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Passagierentgelt, Flugnebenkosten, Abtretungsverbot, Originalabtretungsurkunde, internationale Zuständigkeit, Abtretungsurkunde
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47107
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10,63 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.09.2022 zu zahlen, Zug um Zug entweder gegen Vorlage der Originalabtretungsurkunde betreffend die Abtretung des Zedenten M vom 15.08.2022 oder gegen Vorlage einer Abtretungsanzeige des Zedenten M gerichtet an die Beklagte.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 10,63 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Rückerstattung von Flugnebenkosten.
2
Herr M, wohnhaft in Stuttgart, buchte über ein Buchungsportal bei der Beklagten einen Flug für den 15.08.2022 mit der Flugnummer F von Palma de Mallorca nach Nürnberg zu einem Preis von 73,99 €. Für den streitgegenständlichen Flug fielen pro befördertem Passagier ein Passagierentgelt für die Abfertigung am Startflughafen in Höhe von 5,92 €, Gebühren für Sicherheitskontrollen am Startflughafen in Höhe von 3,38 €, ein Sicherheitsentgelt am Startflughafen von 0,62 € und eine PRM-Umlage am Startflughafen in Höhe von 0,71 €, mithin insgesamt 10,63 €, an. Herr M trat den Flug nicht an. Rückzahlungen seitens der Beklagten erfolgten bis dato nicht.
3
Die Klägerin behauptet, dass Herr M der Klägerin die Abtretung seiner Ansprüche am 15.08.2022 auf deren Website anbot. Die Klägerin habe dieses Angebot kurz darauf per E-Mail angenommen. In der Folge habe Herr M die Abtretung noch einmal schriftlich mit Unterzeichnung des als Anlage K1 vorgelegten Formblattes bestätigt. Auf den Inhalt dieses Schreibens wird vollumfänglich Bezug genommen. Die Klägerin meint, dass das Amtsgericht Nürnberg international und örtlich zuständig sei. Sie ist der Ansicht, dass ihr in Bezug auf die Flugnebenkosten Rückerstattungsansprüche aus § 648 i.V.m. § 812 BGB zustünden.
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Die Klägerin beantragt deshalb:
Die Beklagte wird verurteilt, 10,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2022 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte behauptet, dass die aufgeführten Flugnebenkosten nicht im Ticketpreis enthalten seien. Sie seien deshalb nicht zu erstatten. Die Beklagte ist der Ansicht, dass ihre AGB Vertragsbestandteil geworden seien. Aus diesen AGB ergebe sich die Anwendbarkeit irischen Rechtes sowie ein Abtretungsverbot. Weiter rügt die Beklagte die mangelnde Vorlage einer Originalabtretungsurkunde.
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Hinsichtlich des weiteren Rechtsvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig.
9
Das Amtsgericht Nürnberg ist international und örtlich zuständig.
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Die Zuständigkeit folgt aus Art. 17 I, III, 7 Nr. 1a) VO (EU) Nr. 1215/2012.
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Es genügt hierfür ein Kausalzusammenhang zwischen dem Rückgewähranspruch und der vertraglichen Beziehung. Der Begriff des Vertrages ist europareechtlich autonom auszulegen (EuGH, Urt. v. 20.4.2016, Rs. C-366/13, Rn. 53 – 55).
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Denn es kann zur effektiven Durchsetzung der europarechtlichen Vorgaben keinen Unterschied machen, ob der beförderungsrechtliche Rückerstattungsanspruch nach nationalem Recht vertraglich oder bereicherungsrechtlich ausgestaltet ist. Nur dies entspricht dem vom Europäischen Gerichtshof geprägten Grundsatz des effet utile.
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II. Die Klage ist zudem begründet.
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1. Deutsches, nicht irisches Recht ist nach der überzeugenden Rechtsprechung des Landgerichts Nürnberg-Fürth anzuwenden (vgl. nur Beschlüsse vom 30.07.2018, Az. 5 S 8340/17 und vom 05.10.2022, Az. 5 S 2442/22). Die durch allgemeine Geschäftsbedingungen vorgesehene Anwendbarkeit von irischen Recht klommt nicht zum Tragen. Die diesbezüglichen Klauseln sind bereits aus ihrem Wortlaut heraus so intransparent und irreführend, dass sie selbst den Mindestanforderungen der RL 93/13/EWG (sog. „Klauselrichtlinie“) nicht genügen. Diesbezüglich kann auf die umfangreichen Ausführungen in den o.g. Beschlüssen des Landgerichts Nürnberg-Fürth Bezug genommen werden.
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2. Die Klägerin ist aktivlegitimiert.
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Die Abtretung selbst wurde mit Nichtwissen bestritten. Die Klägerin hat deshalb die Abtretungsbestätigung in Anlage K1 in Kopie vorgelegt. Die Vorlage der Kopie ist insoweit ausreichend, denn deren Echtheit wurde nicht angezweifelt (vgl. insoweit MüKoZPO/Schreiber, 6. Aufl. 2020, ZPO § 420 Rn. 3).
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Bestritten wurde lediglich, dass sich der Zedent der Abtretungsumstände bewusst gewesen sei. Gegenteiliges ergibt sich aber aus der Anlage K1. Hier ist sowohl ausdrücklich und ausführlich die Abtretung thematisiert (“Vollerwerb mit Übernahme des Bonitätsrisikos“) wie auch auf die Risiken einer Mehrfachabtretung hingewiesen. Die Formulierungen sind auch für einen Rechtslaien verständlich. Das Gericht gelangt deshalb zu der Überzeugung, dass dem Zedenten die Umstände und Folgen seines Handelns am 17.08.2022 bewusst waren.
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Eine Verurteilung zur Leistung Zug-um-Zug hat nach § 410 I BGB zu erfolgen. Die Abtretungsurkunde selbst wurde bislang nicht, auch nicht in Kopie, vorgelegt.
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Selbst wenn das Bestätigungsschreiben in Anlage K1 entgegen dem Wortlaut als Abtretungsurkunde ausgelegt werden sollte, würde die Vorlage von Kopien nicht genügen.
20
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Vorlage von Kopien zur Führung des Urkundsbeweises ausreicht, ist nicht ohne Weiteres übertragbar. Der Bundesgerichtshof hat es bislang – offenkundig bewusst – vermieden, diese seit langem schwelende Streitfrage zu entscheiden (vgl. nur Urteil v. 23.08.2012 – VII ZR 242/11). Somit gilt die bis dato ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (z.B. Urteil vom 16. 11. 1979 – V ZR 93/77), wonach nicht einmal die Vorlage von beglaubigten Abschriften die Vorlage des Originals ersetzt. Es ist also § 420 ZPO weiterhin streng auszulegen und die Vorlage des Originals zwingend erforderlich.
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Auch wenn diese Vorgaben auf den ersten Blick aus der Zeit gefallen zu sein scheinen, ist die Vorlage des Originals nach dem Wortlaut zwingend. Nicht übersehen werden darf ohnehin, dass Originale auch in digitaler Form nach Maßgabe der §§ 126 III, 126a BGB existieren können. Ferner könnte bspw. der im Moment der Datenerfassung in die Eingabemaske der Klägerin angelegte und signierte Datensatz in seinem ursprünglichen und unveränderten Dateiformat herausgegeben und als Augenscheinsobjekt nach § 371 I 2 ZPO vorgelegt werden (vgl. insoweit auch (H. Müller in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 371 ZPO, Stand: 01.09.2022, Rn. 61).
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Alternativ ist weiterhin immer die Vorlage einer Abtretungsanzeige des Gläubigers gegen den Schuldner nach §§ 410 II, 409 I 1 BGB möglich. Dann besteht keine schützenswertes Interesses auf Schuldnerseite mehr. Der Zedent könnte sich insoweit auch des Zessionars als Bote oder Stellvertreter bedienen (Lieder in BeckOGK, 01.09.2022, BGB § 409 Rn. 24).
23
Der Antrag auf Verurteilung Zug um Zug ist als rechtliches Minus zum unbedingten Zahlungsantrag in diesem mitenthalten. Eine entsprechende Tenorierung hat daher nach § 308 I ZPO erfolgen.
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2. Der Klägerin steht ein Anspruch nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 818 II BGB zu.
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§ 648 BGB gewährt schon nach dem Wortlaut dem Werkbesteller keine eigenständige Anspruchsgrundlage, schließt aber genausowenig bereicherungsrechtliche Rückabwicklungsansprüche aus.
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Der Zedent hat den Ticketpreis beglichen und den entsprechenden Geldbetrag an die Beklagte geleistet.
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Ob im Ticketpreis die Aufwendungen gesondert ausgewiesen waren, kann mit Hinblick auf das Gebot eines europaweiten effektiven Verbraucherschutzes keine Rolle spielen.
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Das Kündigungsrecht nach § 648 BGB soll sicherstellen, dass der Unternehmer durch die Nichtvollendung oder Nichtabnahme des in Auftrag gegebenen Werks keine Nachteile erleidet, aber hieraus auch keine Vorteile zieht. Dem liegt der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung zugrunde, der auf dem Gerechtigkeitsgebot beruht und darauf abzielt, zwischen den widerstreitenden Interessen des Unternehmers und des Bestellers einen gerechten Ausgleich herbeizuführen (vgl. BGH, Urteil vom 20.03.2018, Az. X ZR 25/17, Rn. 20, zitiert nach BeckOnline).
29
In der betriebswirtschaftlichen Kalkulation der Beklagten müssen die anfallenden Gebühren und Steuern als Ausgaben eine Rolle spielen. Diese Ausgaben können bei lebensnaher Betrachtung nur aus den Einnahmen beglichen werden. Die Behauptung, diese Kosten würden von der Beklagten „selbst“ getragen ist betriebswirtschaftlich undenkbar.
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Auch handelt es sich gerade nicht um mit der Flugdurchführung in zwingendem Zusammenhang stehende Fixkosten, welche unabhängig von der Buchung und der Beförderung des einzelnen Passagiers anfallen (zu diesen Fixkosten vgl. BGH, Urteil vom 20.03.2018, aaO, Rn. 21 ff.).
31
Wenn die Beklagte vom Mitflug des einzelnen Passagiers abhängige Kosten entgegen den Vorgaben des Art. 23 VO (EG) Nr. 1008/2008 nicht gesondert ausweist, kann dies nicht zu Lasten des Verbrauchers gehen.
32
Die Leistungskondiktion i.S.v. § 812 I 1 Alt. 1 BGB ist bei Geldleistungen regelmäßig wegen Vermischung nach § 948 BGB auf Wertersatz nach § 818 II BGB gerichtet.
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3. Eine Aufrechnung scheitert bereits an einer fälligen Gegenforderung. Nach eindeutiger obergerichtlicher Rechtsprechung sind Bearbeitungsgebühren für die Berechnung ersparter Aufwendugen nach § 307 I BGB unwirksam (BGH, Beschluss vom 21.04.2016, Az. I ZR 220/14, Rn. 23, zitiert nach BeckOnline).
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4. Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 II Nr. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Zulassung der Berufung erfolgt gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO. Die streitigen Rechtsfragen wurden von diversen Gerichten bereits den Instanzgerichten vorgelegt. Eine obergerichtliche Rechtsprechung zu diesen Themen ist jedoch noch nicht ergangen.