Titel:
Rechtsschutzbedürfnis, Bestandskraft, Klagefrist, Zustellung, Heilung, Zugang, Vollstreckung von fälligem Zwangsgeld, Bestimmtheit eines Zwangsmittels, Frist zur Erfüllung, Erfüllung von kumulativ zu erfüllenden zwangsgeldbewehrten Anordnungen
Normenketten:
VwGO § 74 Abs. 1 S. 2
VwZVG Art. 9
VwZVG Art. 19 ff.
Schlagworte:
Rechtsschutzbedürfnis, Bestandskraft, Klagefrist, Zustellung, Heilung, Zugang, Vollstreckung von fälligem Zwangsgeld, Bestimmtheit eines Zwangsmittels, Frist zur Erfüllung, Erfüllung von kumulativ zu erfüllenden zwangsgeldbewehrten Anordnungen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47064
Tenor
1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 10.500,00 EUR festgesetzt, wobei auf die Antragsteller zu 1) und 2) jeweils 5.250,00 EUR entfallen.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen ein Inverkehrbringungsverbot des von ihnen vertriebenen Produkts „…“, einer Auskunft- sowie Informationserteilungspflicht, gegen angedrohte Zwangsgelder und die Fälligkeitsmitteilungen vom 11.10.2022.
2
1. Der Antragsteller zu 1) betreibt unter der Firma „…“ einen „…“, die Antragstellerin zu 2) unter der Firma „…“ einen „…“ (vgl. Behördenakte [im Folgenden: BA] Bl. 73 ff.). Aufgrund einer RASFF-Meldung … (SWS/US …) hat das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz der Regierung von … mitgeteilt, dass verschiedene Produkte als Zusatzstoff in Verkehr gebracht worden sei, für den keine Zulassung bestehe und der einem Verkehrsverbot unterliege. Im Zuständigkeitsbereich der Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen gebe es u.a. den Betrieb „…“, der als Lohnhersteller eines der Produkte weiterverarbeite und auch an Firmen im Zuständigkeitsbereich der Regierung von … weitervertreibe (vgl. BA Bl. 1). Darunter fiel konkret ein Produkt der Firma „…“, mit Sitz im Landkreis …, mit dem Namen „…“ mit der Chargen- bzw. Auftragsnummer … (vgl. BA Bl. 68), bei dem es sich um ein, von den Antragstellern, online vertriebenes Nahrungsergänzungsmittel handelt. Die Regierung von … bat die „Lebensmittelüberwachung“ um Kenntnisnahme dieses Sachverhalts und weitere Veranlassung.
3
Mit E-Mail vom 30.09.2022 (vgl. BA Bl. 69) äußerte der Antragsteller zu 1), dass er erfahren habe, dass die Antragsteller eines ihrer Produkte vom Markt nehmen sollen und bat um Zusendung eindeutiger Anordnungen. Das Landratsamt … teilte im Nachgang zu der E-Mail des Antragstellers mit E-Mail vom 30.09.2022 (vgl. BA Bl. 70 ff.) schriftlich das zunächst mündlich angeordnete „sofortige Verkaufsverbot“ hinsichtlich des o.g. Artikels (vgl. BA Bl. 70 ff.) mit. Dieses Schreiben adressierte es an die Antragstellerin zu 2) und hielt darin fest, dass der Artikel bis zu einer neuen Chargenlieferung von der Homepage der Antragstellerin zu 2) zu nehmen bzw. auf nicht lieferbar zu setzen sei. Zudem bat es um Mitteilung weiterer Informationen.
4
In einer E-Mail vom 04.10.2022 um 16:08 Uhr (vgl. BA Bl. 82) des Landratsamts … an den Antragsteller zu 1) teilte dieses mit, dass, wie bereits am 30.09.2022 mitgeteilt, bis zum 04.10.2022 um 18 Uhr folgende Informationen benötigt würden: Lieferschein der betroffenen Charge; Menge der verpackten Produkte mit Charge und MHD; Lagerbestand (sowohl Kapseln als auch Fertigverpackungen); Produktions- bzw. Verpackungsstandort und Lagerstandorte, wenn vorhanden; entsprechende Lieferlisten, wenn der Artikel nicht nur an den Endverbraucher gegangen sei.
5
2. Am 05.10.2022 hat das Landratsamt … gegenüber den Antragstellern jeweils folgende Anordnung erlassen:
1. Die vom Lebensmittelkontrolleur am Landratsamt … (…) am 30.09.2022 telefonisch und schriftlich Ihnen gegenüber (bei dem Antragsteller zu 2]; und beim Antragsteller zu 1]: gegenüber dem Antragsteller zu 2]) mündlich angeordnete sofortige Sperrung des Produktes mit der Bezeichnung „…“ wird bestätigt. Es wird Ihnen untersagt, das vorgenannte Produkt in den Verkehr zu bringen, indem Sie das Produkt entgeltlich oder unentgeltlich an Dritte abgeben.
2. Sie haben umgehend, spätestens 24 Stunden nach Zustellung dieser Anordnung folgende Auskünfte gegenüber dem Landratsamt … zu erteilen bzw. die erforderlichen Unterlagen vorzulegen:
a) Menge der verpackten Produkte mit Charge und Mindesthaltbarkeitsdatum
b) Lieferscheine des betroffenen Produktes bzw. Charge c) Menge des Produktes bzw. Charge im Lagerbestand, sowohl Kapseln als auch Fertigverpackung d) bei Abgabe an Nichtendverbraucher die einschlägigen Lieferlisten
3. Für die Zuwiderhandlung gegen das in Ziffer 1 dieses Bescheides angeordnete Vertriebsverbot wird ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500,00 EUR zur Zahlung fällig.
4. Für den Fall, dass Sie (beim Antragsteller zu 2]; und beim Antragsteller zu 1]: der Antragsteller zu 1]) den unter Ziffer 2 Buchstabe a bis d dieses Bescheides genannten Verpflichtungen nicht nachkommt, wird ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR zur Zahlung fällig.
5. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 dieses Bescheides wird angeordnet.
6
Durch die jeweilige Anordnung hat das Landratsamt … die angeordnete Sperrung der Ware einschließlich des ausgesprochenen Inverkehrbringungsverbots schriftlich bestätigt (zur Begründung des Bescheids wird vertieft ausgeführt). Die Anordnung enthält jeweils eine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Landratsamt hat als Adressat der Anordnung die Antragsteller unter der Anschrift ihrer Betriebsstätte in … erfasst und zusätzlich jeweils eine Ausfertigung mit der privaten Wohnanschrift adressiert.
7
Das Landratsamt … hat im Entwurf der jeweiligen Anordnung eine Zustellung gegen Empfangsbestätigung verfügt. Unter der Anschrift der Betriebsstätte der Antragsteller in … haben die Beamten die Briefe lediglich der Mutter des Antragstellers zu 1) mit der Bitte um Weitergabe an die Antragsteller übergeben. An der Wohnung der Antragsteller in … haben die Beamten – nachdem Sie die Anordnungen dem Antragsteller zu 1) nicht überreichen konnten – diese der Antragstellerin zu 2) persönlich übergeben, die mit den Bescheiden in das Haus gegangen ist. Sie hat ein Empfangsbekenntnis (vgl. Bl. 100 der BA) persönlich unterschrieben. Am Nachmittag des 05.10.2022 um 17:09 Uhr hat der Antragsteller zu 1) eine E-Mail an das Landratsamt (Bl. 106 der BA) geschrieben, in der er den „Auftritt“ vom 05.10.2022 erwähnt und ausdrücklich Bezug auf „die Anordnung“ nimmt und ankündigt, dass er gegen sie vorgehen werde.
8
Aus der Behördenakte ergibt sich, dass der streitgegenständliche Artikel aus dem Verkehr genommen wurde (vgl. BA Bl. 129).
9
Mit Schreiben vom 11.10.2022 – jeweils gerichtet an die Antragsteller – hat das Landratsamt … gegenüber den Antragstellern jeweils die Fälligkeit des Zwangsgelds i.H.v. 250,00 EUR mitgeteilt, weil die Antragsteller trotz der Aufforderung in Nr. 2 der Anordnung vom 05.10.2022 bisher keine Auskünfte erteilt bzw. Unterlagen vorgelegt haben.
10
Ein mit Datum vom 16.10.2022 (BA Bl. 160) bezeichnetes Dokument, gerichtet an das Amtsgericht …, enthält eine sofortige Beschwerde gegen das erhobene Zwangsgeld, in der der Antragsteller mitteilt, dass die Antragsteller gerade mit der Firma umziehen würden und somit weder liefern, noch die gewünschten Daten in dieser Zeit parat haben könnten. Mit E-Mail vom 17.10.2022 (BA Bl. 157) hat der Antragsteller sofortige Beschwerde bzw. Widerspruch gegen das Zwangsgeld eingelegt und das Landratsamt … über folgendes informiert:
„Wir haben keine Fertigprodukte von der angeblich betroffenen Charge, diese Kapseln wurde als Bulg geliefert. Ein Zählen der einzelnen Kapseln ist unmöglich. Ich schätze von der angeblich betroffenen Charge haben wir 30-40 kg lose Kapseln.“
11
Auf diese Beschwerde des Antragstellers hat das Landratsamt … mit Schreiben vom 21.10.2022 (Bl. 169 f. d. BA) den Antragstellern mitgeteilt, dass es von der Einziehung des Zwangsgeldes nicht absehe.
12
4. Mit Schriftsatz vom 28.10.2022 – eingegangen bei Gericht am 18.11.2022 – haben die Antragsteller einen Eilantrag gestellt und beantragt,
- 1.
-
Ich beantrage, das pauschale Verbot des Produkts „…)“ aufzuheben oder ggf. nur auf die angeblich betroffene Charge zu begrenzen.
- 2.
-
Ich beantrage, dass das Produkt an sich weiterhin „online“ bleiben kann und beworben werden darf, sowohl in … (...) als auch bei …
- 3.
-
Ich beantrage die Anordnung (Zeichen …) komplett wegen Rechtswidrigkeit und mangelnder Verhältnismäßigkeit und zahlreicher Rechtsfehler aufzuheben.
- 4.
-
Die Fristsetzung von 24 Stunden für die gewünschten Informationen als unangemessen kurz und das angedrohte Zwangsgeld als rechtswidrig zu erklären.
- 5.
-
Den Vollzug der Anordnung auf unbegrenzte Zeit auszusetzen.
- 6.
-
Die Antragsgegnerin trägt alle Kosten des Verfahrens.
- 7.
-
Die Antragstellerin ist schadensersatzpflichtig.
13
Weiter legen wir gegen das von … rechtswidrig erhobene Bußgeld „Beschwerde bzw. Widerspruch“ ein und beantragen FESTZUSTELLEN, dass dieses Bußgeld rechtswidrig erhoben wurde Aktenzeichen … Ihren Eilantrag begründen die Antragsteller im Wesentlichen damit, dass sich die Dringlichkeit daraus ergebe, dass ein Hauptverfahren zu lange dauern und die Mindesthaltbarkeit der streitgegenständlichen Produkte unwiderruflich ablaufe. Damit werde das Produkt Tag für Tag wertloser. Der Schaden müsse begrenzt werden können. Die Antragsteller sind der Meinung, dass die Anordnung rechtswidrig sei (wird ausgeführt). Die Durchsetzung der Anordnung sei ebenfalls völlig rechtswidrig erfolgt. Die Antragsteller hätten am 17.10.2022 die gewünschten Informationen, die sie hätten, zukommen lassen. Zu der bekannten Charge seien alle Informationen zur Verfügung gestellt worden, die die Antragsteller selbst hätten. Die Fragen seien alle beantwortet worden. Die Antragsteller hätten mitgewirkt und das gesamte Produkt aus allen Shops entfernt.
14
Das Landratsamt … hat für den Antragsgegner beantragt,
Die Anträge werden abgewiesen.
15
Im Wesentlichen begründet das Landratsamt seinen Antrag damit, dass der Antrag der Antragsteller als verfristet abzuweisen sei, da die angegriffenen Bescheide bereits bestandskräftig seien. Der Antrag sei auch unbegründet. Die Anordnung vom 05.10.2022 – Sperrung der Ware – beziehe sich nur auf die betroffene Charge. Es sei zu keiner Zeit gefordert worden, dass das betreffende Produkt nicht mehr beworben werden dürfe. Die Fristsetzung sei aufgrund § 44 Abs. 3 Satz 2 LFGB nicht unangemessen kurz. Gem. § 1 NemV i.V.m. Art. 2 und 4 Nr. 1 der VO (EG) 178/2002 i.V.m. Art. 6 Nr. 2 der VO (EG) 852/2004 seien die Antragsteller verpflichtet, der zuständigen Behörde mitzuteilen, wo und unter welchen Bedingungen die Nahrungsergänzungsmittel lagern, hergestellt und/oder verpackt würden.
16
Das Gericht hat, soweit die Antragsteller die Feststellung einer Schadensersatzpflicht beantragt und gegen das Bußgeld „Beschwerde bzw. Widerspruch“ eingelegt und beantragt haben, festzustellen, dass dieses Bußgeld rechtswidrig erhoben worden sei (Az. … und …), diese Verfahren mit Beschluss vom 01.12.2022 abgetrennt und führt sie unter den Aktenzeichen B 7 E 22.1105 und B 7 E 22.1106.
17
Entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO nimmt das Gericht hinsichtlich der Einzelheiten Bezug auf die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten sowie auf die Behördenakte.
18
Die Anträge haben keinen Erfolg. Die Anträge, die gegen die Grundverfügungen und Zwangsgeldandrohungen der jeweiligen Anordnung gerichtet sind, sind bereits unzulässig. Soweit sich die Anträge gegen das fällige Zwangsgeld richten, haben sie jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
19
1. Die Anträge der Antragsteller werden gem. § 122 Abs. 1, § 88 VwGO dahingehend ausgelegt, dass die Antragsteller jeweils hinsichtlich Nr. 1 und 2 der Anordnung vom 05.10.2022 einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer noch einzulegenden Anfechtungsklage gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO gestellt haben. Soweit die Antragsteller jeweils die Nr. 3 und 4 der Anordnung vom 05.10.2022 angreifen, haben sie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch einzulegenden Anfechtungsklage gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG gestellt, da Zwangsgeldandrohungen von Gesetzes wegen sofort vollziehbar sind. Darüber hinaus legt das Gericht das Begehren, das angedrohte Zwangsgeld als rechtswidrig zu erklären, im Interesse der Antragsteller jeweils dahingehend aus, dass sie sich gegen die Beitreibung des fälligen Zwangsgelds von jeweils 250,00 EUR im Wege eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO wehren wollen, nachdem sie gegen die Zwangsgelder Einspruch bzw. Beschwerde eingelegt haben.
20
2. Soweit die Antragsteller Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt haben, sind diese bereits unzulässig. Die Antragsteller haben kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Grundverfügungen und Zwangsgeldandrohungen, die das Landratsamt … mit Anordnung vom 05.10.2022 bestätigt bzw. erlassen hat, in Bestandskraft erwachsen sind. Eine Klage in der Hauptsache gegen die jeweilige Anordnung wäre verfristet und deshalb offensichtlich unzulässig. Da ein Eilantrag nicht mehr gewährt als die Hauptsache selbst, ist die o.g. Bestandskraft deshalb dahingehend zu berücksichtigen, dass die Antragsteller kein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich ihrer Eilanträge haben.
21
a. Die in der Hauptsache zu erhebenden Klagen sind verfristet. Gem. § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die – in diesem Fall einschlägige – Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.
22
Ein Verwaltungsakt ist gemäß Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Nach Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 2 Abs. 3 Satz 1 VwZVG hat die Behörde, wenn sie sich für die Bekanntgabe durch Zustellung entscheidet, die Wahl zwischen den einzelnen Zustellungsarten. Wenn sich die Behörde dazu entscheidet, eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis durchzuführen, richtet sich die Zustellung nach Art. 5 VwZVG. Mit der jeweiligen Zustellung beginnt in diesem Fall die Frist zur Einlegung etwaiger Rechtsbehelfe zu laufen.
23
Vorliegend kann dahinstehen, ob die Anordnung in … (Übergabe der Anordnung an die Mutter des Antragstellers zu 1]) oder in … (nur Unterschrift eines Empfangsbekenntnisses durch die Antragstellerin zu 2], evtl. Annahmeverweigerung der Anordnung durch den Antragsteller zu 1]) formgerecht zugestellt wurde, da etwaige Zustellungsmängel geheilt sind. Nach Art. 9 VwZVG gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Tatsächlicher Zugang bedeutet dabei, dass das Dokument so in den Machtbereich des Empfangsberechtigten gelangt ist, dass er unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2021 – 11 CS 21.1465 – juris Rn. 13). Die Rechtsfolgen, die durch die förmliche Zustellung ausgelöst werden sollten, treten danach in dem Zeitpunkt ein, in dem der Zweck der förmlichen Zustellung durch den Zugang des Schriftstücks erreicht wurde (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2017 – 22 ZB 17.245 – juris Rn. 12). Den Nachweis des Zugangs hat die Behörde zu führen (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2007 – 7 CE 07.2317 – juris Rn. 8).
24
Gemessen daran ist den Antragstellern die jeweilige Anordnung am 05.10.2022 zugegangen. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) wird der Zugang durch die Unterschrift auf einem Empfangsbekenntnis bestätigt (vgl. BA Bl. 100). Hinsichtlich des Antragstellers zu 1) wird der Zugang durch die E-Mail des Antragstellers zu 1) am Abend des 05.10.2022 (vgl. BA Bl. 106) belegt, in der er Bezug auf die Anordnung und den Zustellungsvorgang nimmt. Beiden Antragstellern ist die jeweilige Anordnung in ihren Machtbereich gelangt und sie haben – zur Überzeugung des Gerichts – Kenntnis vom Inhalt der jeweiligen Anordnung am 05.10.2022 erlangt, sodass die jeweilige Anordnung den Antragstellern zugegangen ist.
25
Die Klagefrist beginnt deshalb aufgrund des Zugang vom 05.10.2022 gem. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB am 06.10.2022 um 0 Uhr zu laufen. Die ein Monat dauernde Frist endet gem. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 1 und 2 BGB am 07.11.2022 um 24 Uhr, da der 05.11.2022 ein Samstag ist und die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktags (07.11.2022, 24 Uhr) endet. Der erst am 18.11.2022 bei Gericht eingegangene Eilantrag – ein anderer Eilantrag der Antragsteller zu einem früheren Zeitpunkt ist dem Gericht nicht zugegangen, insbesondere nicht das in der Behördenakte aufgeführte Schreiben vom 03.11.2022 (vgl. u.a. BA Bl. 180) – ist deshalb verfristet.
26
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass zunächst lediglich eine mündliche Verfügung durch das Landratsamt ergangen ist. Fügt die Behörde – wie im vorliegenden Fall – der schriftlichen Bestätigung eines mündlich erlassenen Verwaltungsakts eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrungbei, wird die zunächst nach §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO in Lauf gesetzte Jahresfrist durch die einmonatige Rechtsbehelfsfrist gleichsam „überholt“ (vgl. BayVGH, B.v. 14.6.2021 – 12 CS 21.1400 – juris Rn. 18). Daraus folgt, dass der am 18.11.2022 eingegangene Eilantrag verfristet ist, weil nach dem gerade Gesagten die Klageerhebungsfrist am 07.11.2022 um 24 Uhr geendet hat. b. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 60 VwGO – dass die Antragsteller ohne Verschulden verhindert waren, die gesetzliche Frist einzuhalten – haben sie nicht dargelegt und nicht gem. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht.
27
c. Nach alledem fehlt den Antragstellern das Rechtsschutzbedürfnis, sodass ihre Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen sind.
28
3. Soweit die Antragsteller gegen das fällig gestellte Zwangsgeld i.H.v. 250,00 EUR Anträge nach § 123 VwGO gestellt haben, haben diese jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
29
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach Satz 2 der genannten Vorschrift auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Dabei müssen ein Anordnungsgrund und das Bestehen eines Anordnungsanspruchs geltend und die zur Begründung notwendigen Tatsachen glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 ZPO).
30
Die Antragsteller haben keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da sie der Nr. 2 der Anordnung vom 05.10.2022 jeweils – auch im Nachhinein – nicht vollumfänglich nachgekommen sind und das Zwangsgeld fällig geworden ist.
31
Die Zwangsgeldforderung wird fällig (Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG), wenn die durch Grundverwaltungsakt auferlegte Pflicht nach Art. 31 Abs. 1 VwZVG nicht erfüllt ist (Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG). Weiter müssen die allgemeinen (Art. 19 VwZVG) und die besonderen (Art. 29 ff. VwZVG) Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sein, und es darf kein Vollstreckungshindernis nach Art. 22 VwZVG vorliegen (BayVGH, B.v. 4.7.2012 – 22 ZB 12.204 – juris Rn. 12; B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – juris Rn. 14 f.).
32
Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor, Vollstreckungshindernisse bestehen keine, und die Antragsteller haben die ihnen auferlegte Verpflichtung aus der Anordnung vom 05.10.2022 nicht im vollen Umfang – wie aufgegeben – erfüllt.
33
a) Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen, Art. 19 VwZVG, liegen vor. Die in Nr. 2 der jeweiligen Anordnung vom 05.10.2022 ist ein wirksamer und vollstreckbarer Verwaltungsakt mit vollstreckungsfähigem Inhalt. Die Verfügung ist vollstreckbar, weil sie im Zeitpunkt des Fälligkeitseintritts sofort vollziehbar war, vgl. Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG.
34
b) Die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (Art. 29 ff. VwZVG) sind ebenfalls gegeben. Das Zwangsgeld ist ein zulässiges Zwangsmittel zur Vollstreckung eines Verwaltungsakts, mit dem eine Handlung gefordert wird (Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 VwZVG). In der Anordnung vom 05.10.2022 wurde jeweils ein bestimmtes Zwangsmittel (Art. 36 Abs. 3 Satz 1 VwZVG) – das Zwangsgeld – in bestimmter Höhe (Art. 36 Abs. 5 VwZVG), hier 250,00 EUR, angedroht. Bei den angeordneten streitgegenständlichen Pflichten handelt es sich um die Erteilung von Auskünften gegenüber dem Landratsamt … bzw. die Vorlage diverser Unterlagen. Dabei wird das Zwangsgeld dann fällig, wenn eine der vier kumulativ zu erfüllenden Pflichten von den Antragstellern nicht erfüllt worden ist. Diese Pflichten konnten ersichtlich – unabhängig davon, dass die Zwangsgeldandrohung bereits bestandskräftig ist – innerhalb von 24 Stunden ab Zustellung der Anordnung durch Hinzuziehung der maßgeblichen Unterlagen umgesetzt werden (und können auch weiterhin umgesetzt werden), zumal den Antragstellern seit dem 30.09.2022 der Großteil dieser Pflichten bekannt war (vgl. BA Bl. 71).
35
Die Antragsteller haben die o.g. Pflichten nicht vollumfänglich innerhalb der Frist erfüllt, darüber hinaus ist die Beitreibung des Zwangsgeldes nach dem Stand der Dinge aber auch nicht im Sinne des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG einzustellen, weil die Antragsteller ihren Verpflichtungen nicht vollumfänglich nachgekommen sind. Insoweit sind die Antragsteller bisher der Pflicht aus Nr. 2b) der Anordnung vom 05.10.2022 nicht nachgekommen, die Pflichten nach Nr. 2a), c) und d) dürften sie nach summarischer Prüfung erfüllt haben.
36
Soweit das Landratsamt den Antragstellern aufgegeben hat, Auskünfte zu erteilen oder erforderliche Unterlagen vorzulegen, die die Menge der verpackten Produkte mit Charge und Mindesthaltbarkeitsdatum betreffen (Nr. 2a] der jeweiligen Anordnung) bzw. die Menge des Produktes bzw. der Charge im Lagerbestand, sowohl der Kapsel als auch Fertigverpackungen (Nr. 2c] der jeweiligen Anordnung), hat der Antragsteller zu 1) dem Landratsamt … mit E-Mail vom 17.10.2022 mitgeteilt, dass die Antragsteller keine Fertigprodukte von der angeblich betroffenen Charge hätten, diese Kapseln seien als „Bulg“ geliefert worden. Der Antragsteller zu 1) schätze, dass die Antragsteller von der angeblich betroffenen Charge 30 bis 40 kg lose Kapseln hätten. Dadurch hat der Antragsteller zu 1) eine Angabe zu der Menge (Kilogramm als Mengenangabe) und dass es sich um lose Kapseln handeln würde, auch mit Wirkung für die Antragstellerin zu 2), gemacht. Mehr erscheint nach dem Wortlaut der jeweiligen Anordnung nicht erforderlich, sodass diese Pflicht erfüllt wäre.
37
Indem der Antragsteller zu 1) keine weiteren Informationen mitgeteilt hat, dürfte auch keine Nichterfüllung von Nr. 2d) beider Anordnungen vom 05.10.2022 vorliegen, da der Wortlaut „bei Abgabe an Nichtendverbraucher“ so zu lesen ist, dass selbst das Landratsamt davon ausgegangen ist, dass eine Handlungspflicht nur insoweit besteht, als überhaupt eine Abgabe an Nichtendverbraucher erfolgt ist. Das Schweigen des Antragstellers zu 1) ist nach alledem so zu verstehen, dass die Antragsteller Produkte der betroffenen Charge nicht an etwaige „Zwischenhändler“ geliefert haben.
38
Die Antragsteller haben lediglich die gem. Nr. 2b) der jeweiligen Anordnung vom 05.10.2022 geforderten Lieferscheine des betroffenen Produktes bzw. der Charge dem Landratsamt nicht vorgelegt, sodass das Zwangsgeld nur – aber schon – aus diesem Grund fällig geworden ist. Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass, sobald die Antragsteller auch diese Pflicht erfüllen, der Antragsgegner die Anwendung des Zwangsmittels gem. Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG einstellen müsste.
39
Das Zwangsmittel ist auch bestimmt, vgl. Art. 36 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 VwZVG, da offensichtlich ist, dass die angedrohten 250,00 EUR nur dann und auch nur einmal je Antragsteller fällig werden, wenn die Antragsteller jeweils – lediglich – einer der in Nr. 2 a) bis d) genannten Handlungspflichten nicht (vollständig) nachkommen.
40
c) Nachdem die Antragsteller der Pflicht in Nr. 2 der Anordnung vom 05.10.2022 nicht vollumfänglich nachgekommen sind (s.o.) kann der Antragsgegner das fällig gewordene Zwangsgeld beitreiben.
41
4. Soweit die Antragsteller mit ihrem Eilantrag das Ziel verfolgen, dass das Produkt an sich weiterhin „online“ bleiben kann und beworben werden darf, sowohl in … „…“ als auch bei …, fehlt hier ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Landratsamt … ein entsprechendes Verbot nicht verfügt und nicht zuletzt in seiner Antragserwiderung vom 25.11.2022 darauf hingewiesen hat, dass es zu keiner Zeit gefordert hat, dass das betreffende Produkt nicht mehr beworben werden darf.
42
5. Nach alledem sind die Anträge mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 Satz 2 und 1.7.1 Satz 1 Halbs. 1, 1.7.2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).