Titel:
Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege, Pflegeerlaubnis, Gewährleistung des Kindeswohls, ausreichend erzieherische Fähigkeiten, Darlegungs- und Beweislast
Normenketten:
SGB VIII § 44
SGB VIII § 72a Abs. 1
AGSG Art. 35
Schlagworte:
Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege, Pflegeerlaubnis, Gewährleistung des Kindeswohls, ausreichend erzieherische Fähigkeiten, Darlegungs- und Beweislast
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47061
Tenor
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 01.07.2020 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 29.03.2021 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die am 09.12.2019 für das Kind …, geboren am …, beantragte Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 SGB VIII zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Zuziehung der Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Tatbestand
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Die Kläger begehren die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) für das am … geborene Kind … (im Folgenden: R.).
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Seit Dezember 2015 befindet sich R. bei Frau … (im Folgenden: Frau H.) und Herrn … (im Folgenden: Herr H.), den Eltern der Klägerin zu 2, in Pflege. Aufgrund des Alters der Pflegeeltern haben sich die Kläger mit Fragebogen für Pflege- und Adoptionsbewerber vom 09.12.2019 beim Landratsamt … – Fachbereich Jugend und Familie – um die Aufnahme des R. als Pflegekind beworben (Beklagtenakte, Bl. 15 ff.). Aus dem Fragebogen geht hervor, dass der Kläger zu 1 am … geboren wurde, erfolgreich eine Berufsausbildung zum Stuckateur absolviert hat und als Lagerist mit einem monatlichen Nettogehalt von ca. 1.600 € netto arbeitet. Die Klägerin zu 2 wurde am … geboren, hat erfolgreich Berufsausbildungen zur Heilerziehungspflegerin, Heilpädagogin und Integrationserzieherin absolviert und arbeitet als Erzieherin in einem Kindergarten mit einem monatlichen Nettogehalt von ca. 1.900 €. Die gemeinsamen monatlichen Fixkosten belaufen sich auf ca. 1.500 €. Die Partnerschaft der Kläger besteht seit 2012. Die standesamtliche Eheschließung erfolgte am … Die Kläger bewohnen gemeinsam eine ca. 96 m² große Drei-Zimmer-Wohnung, in der R. in einem eigenen Zimmer untergebracht werden soll.
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Um die Eignung der Bewerber prüfen zu können, wurden durch das Landratsamt … – Fachbereich Jugend und Familie – folgende Nachweise und Auskünfte eingeholt:
- Erweiterte Führungszeugnisse nach § 30a Bundeszentralregistergesetz (BZRG),
- Anfragen im Vollstreckungsportal der Länder,
- Anfragen bei der Kriminalpolizei …,
- Anfragen bei der Staatsanwaltschaft …,
- Anfragen bei der Direktion des Amtsgerichts …
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Ferner wurde der freie Jugendhilfeträger Mobile Betreuung … (...) mit der fachlichen Überprüfung bzw. Einschätzung der Eignung als Pflegefamilie beauftragt.
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Aus den ärztlichen Unterlagen des Klägers zu 1 vom 10.12.2019 geht hervor, dass ärztlicherseits hinsichtlich der Eignung als Pflegeeltern keine Bedenken bestehen. Aus den ärztlichen Unterlagen der Klägerin zu 2 vom 10.12.2019 ergibt sich, dass diese keine Medikamente einnimmt, dass kein Befund hinsichtlich des Nervensystems vorliegt und keine psychischen Auffälligkeiten oder der Verdacht auf psychosomatische Störungen gegeben sind. Auch bei ihr bestehen ärztlicherseits aufgrund der Untersuchung keine Bedenken bezüglich der Eignung als Pflegeeltern. Hinsichtlich des Klägers zu 1 ergibt sich aus den ärztlichen Unterlagen vom 15.03.2020, dass keine schilddrüsenspezifische Medikamention notwendig ist. Erforderlich ist allerdings eine weitere Kontrolle der Schilddrüse nach ca. sechs Monaten. Aufgrund der Untersuchungen bestehen ärztlicherseits hinsichtlich der Eignung als Pflegeeltern weiterhin keine Bedenken. Aus den ärztlichen Unterlagen für die Klägerin zu 2 vom 15.03.2020 geht jedoch erstmals hervor, dass diese das Medikament Paroxetin 10 mg einnimmt und dieses schleichend absetzt. Darüber hinaus ist unter dem Punkt Nervensystem nun eine leichte Angststörung vermerkt. Aufgrund der Untersuchung bestehen weiterhin ärztlicherseits keine Bedenken bezüglich der Eignung als Pflegeeltern (Beklagtenakte, Bl. 36 ff.).
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Weder das erweiterte Führungszeugnis zur Vorlage bei einer Behörde nach § 30a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) vom 10.12.2019 der Klägerin zu 2 noch das des Klägers zu 1 vom 11.12.2019 enthalten Eintragungen (Beklagtenakte, Bl. 48 f.).
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Aus der fachlichen Einschätzung von … vom 18.03.2020 ergibt sich, dass aus Sicht von … weiterhin Bedenken bezüglich der Eignung der Kläger als Pflegeeltern bestünden. Besonders dem Kläger zu 1 scheine grundlegendes Erziehungswissen zu fehlen und er könne – wie auch die Klägerin zu 2 – keine gesellschaftlich relevanten Erziehungsziele benennen. Die unehrliche Vorgehensweise wie z.B. das Verschweigen der Medikamente gegen Angststörungen, die offenbar fehlende Kommunikation der Familienmitglieder untereinander, die unvollständig ausgefüllten Unterlagen sowie die teilweise gegensätzlichen Aussagen der Bewerber würden die Eignung absprechen, ein Kind adäquat erziehen zu können. Die Dauerpflegschaft eines Kindes mit erhöhtem Erziehungsaufwand verlange von Pflegeeltern ein hohes Maß an Geduld, Verständnis, vorausschauendes Denken sowie eine hohe psychische und physische Belastbarkeit. Diese erforderlichen Persönlichkeitsaspekte eines Anforderungsprofils für die Eignung als Pflegeeltern, wie sie im SGB VIII gefordert würden, würden von den Klägern nur bedingt erfüllt (Beklagtenakte, Bl. 10 f.).
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Die Schuldnerverzeichnisabfrage vom 01.04.2020 ergab hinsichtlich des Klägers zu 1 keine Eintragungen. Hinsichtlich einer Frau … mit Anschrift in … lag eine Eintragung vom 21.11.2017 vor, bei der die Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen ist (* …*) (Beklagtenankte, Bl. 50 f.).
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Die Kriminalpolizei … teilte mit E-Mail vom 06.04.2020 mit, dass bezüglich des Klägers zu 1 Erkenntnisse bezüglich einer Vergewaltigung/sexuellen Nötigung am 30.04.2001 vorlägen. Das Verfahren sei am 30.07.2002 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden (Widerspruchsakte, Bl. 129). Die Staatsanwaltschaft … teilte mit Schreiben vom 13.05.2020 mit, dass der Kläger zu 1 bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Aus dem beiliegenden Auszug aus dem Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister ergaben sich zwei erledigte Verfahren (Vergewaltigung/sexuelle Nötigung (Az.: …*) und Vergewaltigung (Az.: …*)) (Beklagtenakte, Bl. 56 f.). Auch aus den beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft … ergibt sich, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren mit dem Az.: … durch Verfügung vom 30.07.2002 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde (Ermittlungsakte, Bl. 71). Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren mit dem Az.: … wurde ebenfalls durch Verfügung vom 04.02.2013 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Ermittlungsakte, Bl. 19).
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Das … Klinikum … berichtete mit Schreiben vom 07.05.2020, dass bei R. unverändert eine Posttraumatische Belastungsstörung auf dem Boden einer Bindungsstörung vorliege. Aus kinderpsychiatrischer Sicht werde bei R. trotz schwerwiegender Grundprobleme, die seine Persönlichkeitsentwicklung auch weiterhin maßgeblich prägen würden, gerade im letzten Jahr eine sehr positive Gesamtentwicklung gesehen. Aus kinderpsychiatrischer Sicht erscheine dabei neben der absolut vertrauenswürdigen und belastbaren Beziehungserfahrung in der Pflegefamilie vor allem die aktuell emotional unterstützende Haltung der Kindesmutter der Pflegesituation gegenüber maßgeblich für seine beginnende emotionale Stabilisierung verantwortlich zu sein. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters der aktuellen Pflegeeltern müsse die innerfamiliäre Lösung der weiteren Betreuung des R. bei ihrer Tochter als ausgesprochen positive Lösung für eine kontinuierliche Betreuung ohne Beziehungsabbrüche gewertet werden. Die seelische Gesundheit des R. weiche länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter des Kindes typischen Zustand ab, daher sei die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt und demnach die Anwendung des § 35a SGB VIII indiziert.
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Laut Bericht des Landratsamts … – Fachbereich Jugend und Familie – über die Eignung zur Aufnahme eines Pflegekindes vom 27.05.2020 werden die Kläger nicht als geeignet angesehen, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen. Dies basiere auf der fachlichen Eignungsprüfung durch … Besonders die zuweilen unehrliche Vorgehensweise des Paares, die offenbar fehlende Kommunikation untereinander, die teilweise unvollständig ausgefüllten Unterlagen sowie die teilweise gegensätzlichen Aussagen des Ehepaares sprächen gegen eine Eignung. Ebenso sei der Kläger zu 1 strafrechtlich aufgefallen und die Klägerin zu 2 habe einen Eintrag im Schuldenregister. Die formale und persönliche Geeignetheit als Pflegeeltern erscheine zusammenfassend nach fachlicher Einschätzung der beiden Bewerber nicht gegeben (Widerspruchsakte, Bl. 224 ff.).
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Mit Schreiben vom 28.05.2020 teilte das Landratsamt … – Fachbereich Jugend und Familie – den Klägern mit, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf Anerkennung als Pflegefamilie und auf Erteilung einer Pflegeerlaubnis gemäß § 44 SGB VIII abzulehnen, da die erforderlichen Voraussetzungen aus folgenden Gründen nicht gegeben seien:
- Verschweigen einer Medikation gegen Angststörungen der Klägerin zu 2,
- strafrechtliche Verfahren wegen Vergewaltigung bzw. sexueller Nötigung gegen den Kläger zu 1 in den Jahren 2001 und 2012,
- unterschiedliche Aussagen der Pflegeelternbewerber im Bewerbungsprozess.
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Gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wurde den Klägern bis zum 23.06.2020 Gelegenheit gegeben, sich zu dieser Entscheidung zu äußern und Einwände geltend zu machen (Widerspruchsakte, Bl. 214).
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Mit Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020 wurde den Klägern durch das Landratsamt … – Fachbereich Jugend und Familie – mitgeteilt, dass die Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht erteilt werde. Die zwei Ermittlungsverfahren gegen den Kläger zu 1 würden zeigen, dass bei diesem die nötige Eignung für die Aufnahme eines Pflegekindes im Rahmen der Vollzeitpflege nicht gegeben sei. Hier sei ein sehr enger Maßstab anzulegen, da das Wohl des Kindes absolut gewährleistet sein müsse. Von der Klägerin zu 2 sei zunächst nicht angegeben worden, dass sie Medikamente gegen eine diagnostizierte Angststörung benötige bzw. einnehme. Nach der letzten Angstattacke sei sie mehrere Monate nicht arbeitsfähig gewesen und hätte Schwierigkeiten gehabt, alleine zu bleiben. Daher nehme sie die Medikamente noch immer ein, plane jedoch, diese langsam abzusetzen. Es sei nicht einschätzbar, wie belastbar die Klägerin zu 2 nach dem Absetzen der Medikamente sein werde. Der entsprechende ärztliche Untersuchungsbogen sei nicht vollständig dem Arzt vorgelegt worden. Die erste Seite sei von der Klägerin zu 2 selbst ausgefüllt worden, hierbei sei zunächst sowohl die Angststörung als auch die Medikamenteneinnahme verschwiegen worden. Auf erneute Anforderung sei der Untersuchungsbogen vollständig vom Arzt ausgefüllt worden, dabei sei erstmals die „leichte Angststörung“ attestiert worden. Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber dem Jugendamt bzw. dem freien Träger seien jedoch Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle des Kindes. Dem Bericht des freien Jugendhilfeträgers sei auch zu entnehmen, dass die Kläger wichtige Entscheidungen eher einseitig verfolgen würden. Auch die Kommunikation zwischen den Eheleuten sei eher unzureichend. Eine vertrauensvolle und offene Zusammenarbeit bzw. Absprache der Pflegeeltern untereinander sei bei der Erziehung eines Kindes unabdingbar und daher eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege. Weiterhin seien die vom Kläger zu 1 angegebenen Charaktereigenschaften für die Erziehungsausübung eher als bedenklich einzustufen. Auch sei eine angemessene und pädagogisch sinnvolle Grenzsetzung für eine gelingende Erziehung unabdingbar. Die formulierten Erziehungsziele der Kläger hätten für ein siebenjähriges Kind pädagogisch keine Priorität, zu vermissen seien vor allem Liebe und Zuwendung sowie Geduld und Respekt. In der Gesamtbetrachtung der durchgeführten Überprüfung müsse festgestellt werden, dass die Kläger nicht geeignet seien, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen. Die Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII müsse daher versagt werden (Widerspruchsakte, Bl. 220 ff.).
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Aufgrund des Umstandes, dass die Kläger durch das Landratsamt … als Pflegeeltern geprüft und als ungeeignet bewertet wurden, stellte sich das Jugendamt Marzahn-Hellersdorf dem Umzug des R. nach Bayern ausdrücklich entgegen. Das Jugendamt hatte für die Kindesmutter und R. einen Platz in einem familienaktivierenden Projekt in Berlin reserviert und wollte, dass diese dort einziehen. Der Pflegevertrag mit Frau H. und Herrn H. wurde zum Juli 2020 gekündigt (Widerspruchsakte, Bl. 239).
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Das Amtsgericht … hat am 03.07.2020 den Verbleib des R. im Haushalt der bisherigen Pflegeeltern (Frau H. und Herr H.) angeordnet. Dies gelte auch für den Fall eines Umzugs nach … Frau H. und Herr H. wurden beauftragt sicherzustellen, dass sie die Versorgung des R. persönlich übernehmen und ihn nicht in die Obhut der Kläger geben. Dies gelte nicht, sofern die Kläger in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren als geeignete Pflegeeltern festgestellt würden (Widerspruchsakte, Bl. 238).
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Am 14.07.2020 wurde der Klägervertreterin sowohl Prozessvollmacht als auch Vollmacht zur außergerichtlichen Vertretung erteilt.
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Am 23.07.2020 zog R. zusammen mit seinen Pflegeeltern, Frau H. und Herr H., in den Landkreis … Zu Herrn H. und Frau H. wurde das Pflegeverhältnis nach § 33 SGB VIII vom Jugendamt … zum 23.07.2020 aufgelöst (Widerspruchsakte, Bl. 234).
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Mit Schreiben vom 31.07.2020 ihrer Bevollmächtigten legten die Kläger Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid des Landratsamtes … vom 01.07.2020 ein. Der Widerspruch wurde damit begründet, dass die Erlaubnis zur Vollzeitpflege des R. nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu erteilen sei, da das Wohl des Kindes in der Pflegefamilie gewährleistet sei. Im Hinblick auf den Kläger zu 1 sei es nie zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen. Für eine entsprechende Anwendung von § 44 Abs. 2 SGB VIII i.V.m. § 70 Abs. 1, 5 SGB VIII sei jedoch notwendig, dass derjenige rechtskräftig wegen einer dort aufgelisteten Straftat verurteilt worden sei. Die Klägerin zu 2 habe ihre Medikamenteneinnahme nicht absichtlich verschwiegen. Vielmehr habe sie von sich aus den Anstoß gegeben, dass noch einmal genau nachgesehen worden sei, was bezüglich ihrer Medikamente in den Akten vermerkt sei. Hätte sie absichtlich etwas verschweigen wollen, so hätte sie nicht dergestalt gehandelt, dass die Mitarbeiterin von … noch einmal nachsehen solle. Mittlerweile habe die Klägerin zu 2 die Medikamente abgesetzt. Sie habe auch keine Panikattacken mehr. Der Klägerin zu 2 sei durch ihren Hausarzt attestiert worden, dass sie in der Lage sei, ein Kind zu erziehen. Auch im Rahmen der ärztlichen Stellungnahme sei bestätigt worden, dass keine Bedenken hinsichtlich der Eignung als Pflegeeltern bestehen. Es verwundere sehr, dass obwohl alle Unterlagen vorgelegen hätten, noch zusätzliche Recherchen betrieben worden seien. Dies erwecke den Anschein, als ob gezielt etwas gesucht worden sei, um die Kläger in ein schlechtes Licht zu rücken und ihnen somit die beantragte Erlaubnis zur Vollzeitpflege zu versagen. Der angeblichen Aussage der Klägerin zu 2, keine eigenen Kinder zu wollen, werde ausdrücklich und vehement entgegengetreten. Vielmehr habe diese angegeben, dass es im Moment aufgrund ihrer Medikamenteneinnahme nicht möglich sei. In Zukunft könne sie sich mit ihrem Mann aber sehr wohl Kinder vorstellen. Dass der Kläger zu 1 nicht detailliert über jede einzelne Absprache zwischen seiner Ehefrau und deren Eltern informiert sei, erscheine nur menschlich, da es sich auch um unwichtigere Dinge handeln könne. Die Tatsache, dass die Kläger bereits jetzt Kontakt und eine Verbindung zu R. aufbauen konnten, sei sehr positiv für die Bewertung zur Übertragung der Vollzeitpflege zu werten. Sie hätten bereits eine vertraute Basis mit dem Kind herstellen können. Es erscheine insgesamt sehr fraglich, inwieweit die Tatsache, dass es den Klägern schwergefallen sei, den jeweils anderen zu beschreiben, eine Rolle in der vorliegenden Sache spiele. Es sei nicht erkennbar, inwiefern dies etwas über eine etwaige Eignung bezüglich der Stellung als Pflegeeltern aussage. Liebe und Zuwendung seien für die Kläger keine Erziehungsziele, sondern grundlegende Dinge, die ein Kind in diesem Alter ohne besondere Zielsetzung zu erfahren habe. Es seien Werte, die eine Selbstverständlichkeit für die Kläger darstellen würden. Darüber hinaus sei es sehr wohl von Bedeutung, in der Schule pünktlich zu erscheinen und den Lehrern aufmerksam zuzuhören. Auch gehöre es zu den Pflichten eines Schulkindes, ordentlich zu sein und Bücher und Hefte sauber zu halten. Die allgemeine Aussage, dass dies keine wichtigen oder relevanten Ziele seien, erscheine daher sehr fragwürdig. Schließlich sei die Klägerin zu 2 von Beruf Heilpädagogin und Integrationserzieherin. Es erscheine sehr gewagt, dieser zu unterstellen, sie wisse nicht, welche Ziele für die Erziehung eines Kindes wichtig seien und wie der Umgang mit einem Kind abzulaufen habe. Ebenso sei die Tatsache, dass die Klägerin zu 2 in einem sozialen Beruf arbeite, ein weiterer positiver Aspekt, der unterstreiche, dass sie dazu in der Lage sei, auf die Bedürfnisse anderer Menschen einzugehen. Bei dem Eintrag im Schuldnerportal hinsichtlich der Klägerin zu 2 handele es sich um eine Personenverwechslung. Es liege weder ein Eintrag im Schuldnerverzeichnis noch ein negativer Eintrag in der SCHUFA vor (Widerspruchsakte, Bl. 228 ff.).
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Das Jugendamt des Landkreises … half dem Widerspruch auch nach erneuter Prüfung nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom 18.02.2021 der Regierung von … zur Entscheidung vor (Widerspruchsakte, Bl. 6 ff.). Die Versagung der Pflegeerlaubnis sei aus mehreren Gründen erfolgt. Die Ermittlungsverfahren gegen den Kläger zu 1 seien gemäß § 170 StPO eingestellt worden. Somit blieben diese bei der Geeignetheitsprüfung unbeachtet. Da der Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020 jedoch auch aus weiteren Gründen erfolgt sei, ergebe die Gesamtbeurteilung dennoch, dass das Wohl des Kindes durch eine Aufnahme in die Pflegefamilie nicht gewährleistet werden könne.
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Durch Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 29.03.2021 wurde der Widerspruch der Kläger zurückgewiesen. Der Widerspruch sei unbegründet, da der Bescheid des Landkreises … rechtmäßig sei und die Kläger nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletze. Gemäß § 44 Abs. 2 SGB VIII sei die Erlaubnis zur Pflege zu versagen, wenn das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen in der Pflegestelle nicht gewährleistet sei. Persönlich geeignet sei eine Pflegeperson, welche die erforderlichen erzieherischen Fähigkeiten habe, verantwortungsbewusst sei, sich dem Kind bzw. der/dem Jugendlichen emotional zuwenden könne und bereit sei, mit dem Jugendamt zu kooperieren. Weiter müsse die Pflegeperson in der Lage sein, mit der Herkunftsfamilie zusammenzuarbeiten. Um die Eignung der Kläger als Pflegeeltern beurteilen zu können, habe das Jugendamt des Landratsamtes …, auch unter Einbeziehung des freien Jugendhilfeträgers …, an den die Pflegeelternakquise und -betreuung im Landkreis … ausgelagert sei, im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht Ermittlungen angestellt. Die danach getroffene Feststellung, wonach die Voraussetzungen für die Erteilung einer Pflegeerlaubnis nicht vorlägen, sei fachlich nicht zu beanstanden. Die vom Jugendamt vorgebrachten Versagungsgründe seien nach fachlichem Standard, der analogen Heranziehung der Ausschlussgründe nach Art. 35 Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) und den Empfehlungen des Bayerischen Landesjugendamtes gerechtfertigt. Eine mangelnde Kooperationsbereitschaft mit dem Auftrag gebenden Jugendamt, die in diesem Zusammenhang verschwiegene psychiatrische Erkrankung der Klägerin zu 2, die geringe Beteiligung des Klägers zu 1 an der Zusammenarbeit mit der aktuellen Pflegefamilie und die Aussagen des Klägers zu 1 über sich selbst, ließen wenigstens nicht unwesentliche Zweifel an den Erzieherpersönlichkeiten und den Erziehungsvorstellungen des Ehepaars zu. Eine Gewährleistung des Kindeswohls im Rahmen einer Hilfe zur Erziehung sei unter diesen Voraussetzungen nicht gegeben (Widerspruchsakte, Bl. 255 ff.).
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Laut Empfangsbekenntnis ging der Widerspruchsbescheid der Bevollmächtigten der Kläger am 01.04.2021 zu (Widerspruchsakte, Bl. 273).
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Am 01.05.2021 bevollmächtigte die Kindesmutter und alleinige Sorgeberechtigte des R. die Kläger zur weiteren Gewährleistung der erforderlichen Pflege und Erziehung des R. für den Fall, dass Frau H. und Herr H. aus irgendwelchen Gründen (z.B. Krankheit oder Tod) nicht mehr in der Lage seien, die erforderliche Pflege und Erziehung ihres Sohnes zu gewährleisten. In dringenden Fällen seien die Kläger berechtigt, ihren Sohn jederzeit aus der …-Schule abzuholen und zu betreuen. Sie lehne eine Unterbringung ihres Sohnes R. in einer Noteinrichtung und bei fremden Pflegeeltern ab und betone ausdrücklich, dass R. seinen Lebensmittelpunkt seit 2015 in der Familie H. und bei den Klägern habe und es so bleiben solle. Sie lege weiterhin fest, dass alle von ihr ausgestellten Vollmachten für die Pflegeeltern auf die Kläger übergehen würden, bis eine andere Entscheidung getroffen werde.
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Mit Schriftsatz vom 03.05.2021, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, haben die Kläger durch ihre Bevollmächtigte Klage erheben lassen. Zuletzt haben sie beantragt,
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Der Bescheid des Landratsamtes … vom 01.07.2020 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von … vom 29.03.2021 werden aufgehoben.
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Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die am 09.12.2019 beantragte Pflegeerlaubnis zu erteilen.
Darüber hinaus ist beantragt worden:
Die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten der Kläger im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege vorliegen würden. Es sei kein Grund ersichtlich, der eine Versagung der Vollzeitpflege nach § 44 Abs. 2 SGB VIII rechtfertige. Insbesondere sei das Wohl des Kindes in der Familie gewährleistet. Nach gängiger Auslegung und unter Berücksichtigung ergänzender landesrechtlicher Vorschriften setze eine Eignung passende äußere Rahmenbedingungen ebenso voraus wie die persönliche Eignung einer Pflegeperson. Zu den äußeren Rahmenbedingungen würden ausreichende kindgerechte Räumlichkeiten sowie stabile wirtschaftliche und familiäre Verhältnisse zählen; zu den Anforderungen an die Persönlichkeit würden erzieherische Kompetenz und Erfahrung, Reflexionsfähigkeit, Toleranzbereitschaft sowie die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Kooperation mit dem Jugendamt, der Herkunftsfamilie und allen am Pflegeverhältnis Beteiligten gehören. Diese Punkte seien bei den Klägern gegeben. Es handle sich um ein verantwortungsvolles Ehepaar, welches sich dem Kind auch bereits emotional zugewandt habe und auch in der Lage sei, mit der Mutter des Kindes zu arbeiten. Die Klägerin zu 2 sei Erzieherin und bringe damit sogar mehr erzieherische Erfahrung mit als manch anderer. Darüber hinaus werde eine Erlaubnis zur Vollzeitpflege nicht als allgemeine Erlaubnis erteilt, sondern immer nur in Bezug auf ein bestimmtes Kind bzw. einen bestimmten Jugendlichen. Daher orientiere sich die Prüfung der Geeignetheit nicht nur an den bestehenden Verhältnissen und Eigenschaften der Pflegeperson, sondern stets auch an den Bedürfnissen des betroffenen Kindes. Es müsse eine Prüfung an den individuellen Bedingungen des Einzelfalles durchgeführt werden. Das Kind habe bereits Kontakt zu den Klägern und sei mit diesen vertraut. Es sei im Moment in Vollzeitpflege bei den Eltern der Klägerin zu 2 und dort lebe das Kind seit es sechs Monate alt sei. Seit diesem Moment hätten die Kläger auch Kontakt zu dem Kind gehabt. Sie würden dieses regelmäßig besuchen, mindestens einmal pro Woche sowie am Wochenende. Vor der Corona Pandemie hätten sie zusammen mit den momentanen Pflegeeltern Ausflüge unternommen und seien auch gemeinsam im Urlaub gewesen. Die Kläger seien für das Kind ein wichtiger Bestandteil seines Lebens geworden. Das Kind genieße diese Zeit sehr und signalisiere gegenüber den Klägern auch, dass es sie gern habe, z.B. indem es zu ihnen sage, dass es sie lieb habe oder sie umarme. Die Klägerin zu 2 nehme außerdem zusammen mit der momentanen Pflegemutter regelmäßig an den Elternabenden der Schule teil. Außerdem seien die beiden Kläger auch in der Schule abholberechtigt, wenn mit dem Kind einmal etwas wäre. Dies alles zeige, dass die Kläger bereits jetzt ein wichtiger Bestandteil des Lebens des Kindes seien. Dies sei ein sehr wichtiger Faktor, da das Kind schwierig auf Veränderungen reagiere und sehr lange brauche, bis es Vertrauen zu neuen, fremden Menschen fasse. Auch die Kindsmutter sei damit einverstanden, dass die Kläger R. in Zukunft komplett bei sich aufnehmen würden. Keiner der Versagungsgründe in Art. 35 AGSG sei einschlägig. Weder mangelnde erzieherische Fähigkeiten noch nicht geordnete wirtschaftliche Verhältnisse oder nicht ausreichend Wohnraum seien vorliegend einschlägig. Den Klägern könne auch keine mangelnde Kooperationsbereitschaft mit dem Jugendamt vorgeworfen werden. Vielmehr sei es so gewesen, dass sich die Kläger sehr darum bemüht hätten, Kontakt sowohl zum Jugendamt als auch zu dem freien Jugendhilfeträger … aufzunehmen. Ein weiterer sehr wichtiger Grund, welcher vom Beklagten außer Acht gelassen worden sei, sei, dass R. sehr viel Stabilität und emotionalen Rückhalt in seinem Leben benötige. Dies habe zuletzt der Arztbericht des … Klinikums … vom 07.05.2020 bestätigt. Es sei sehr wichtig für das Kind, dass es zu keinem erneuten Beziehungsabbruch komme, ein solcher habe zu der bereits vorhandenen Posttraumatischen Belastungsstörung geführt. Es mache vorliegend eher den Eindruck, als würde mit allen Mitteln versucht werden, einen Grund zu finden, warum das Kind nicht als Pflegekind zu den Klägern dürfe. Dies werde insbesondere dadurch hervorgerufen, dass die Begründung des Landratsamtes, warum eine Ablehnung erfolge, sich von Schreiben zu Schreiben auf andere, teils neue Gründe stütze. Auf die Ausführungen im Widerspruch vom 31.07.2020 werde Bezug genommen. Aufgrund der Gesamtumstände habe eine Aufhebung der Bescheide zu erfolgen.
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Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 18.05.2021 beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Als Begründung wurde vorgetragen, dass nach Abschluss der Eignungsprüfung und Abwägung aller Tatsachen erhebliche Zweifel bestanden hätten, dass das Wohl des Kindes bei den Klägern gewährleistet sei. Die Pflegeerlaubnis sei aus mehreren Gründen versagt worden. Die Anfragen bei der Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft … hätten ergeben, dass in den Jahren 2001 und 2012 Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung bzw. sexueller Nötigung geführt worden seien. Diese seien gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Somit würden diese beiden Ermittlungsverfahren bei der Geeignetheitsprüfung unbeachtet bleiben. Der Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020 sei jedoch auch aus weiteren Gründen ergangen, weshalb die Gesamtbeurteilung dennoch ergebe, dass das Wohl des Kindes bei einer Aufnahme in die Pflegefamilie nicht gewährleistet werden könne. So habe die Klägerin zu 2 bei der Überprüfung durch … zunächst ihre Medikamenteneinnahme gegen eine Angststörung verschwiegen. Zwar sei die Erkrankung einige Jahre her, aber die Klägerin zu 2 habe die Medikamente zum Zeitpunkt der Überprüfung weiterhin eingenommen, da sie Angst gehabt habe, diese abzusetzen. Der Kläger habe in diesem Zusammenhang angegeben, dass seine Frau nach der letzten Attacke mehrere Monate nicht arbeitsfähig gewesen sei und nicht habe alleine bleiben können. Die erste Seite des ärztlichen Untersuchungsbogens sei von der Klägerin selbst und nicht vom Arzt ausgefüllt worden, dabei seien sowohl das Medikament als auch die Angststörung verschwiegen worden. Erst als die Unterlagen erneut angefordert worden seien, habe diese der Hausarzt vollständig ausgefüllt. Diesmal sei eine „leichte Angststörung“ vermerkt gewesen, was bei den vorherigen Unterlagen gefehlt habe. Bei der Aufnahme eines Pflegekindes sei eine der wichtigsten Voraussetzungen, dass die Beteiligten offen miteinander umgehen. Eine umfassende Kooperationsbereitschaft sei eine wichtige Eigenschaft von Pflegeeltern. Wegen des Verschweigens von gesundheitlichen Problemen zum Zeitpunkt der ersten Überprüfung bestünden an dieser Kooperationsbereitschaft erhebliche Zweifel. Gerade wenn ein Pflegekind mit seinen ureigenen Problemen in die Familie aufgenommen werden soll, sei es von elementarer Wichtigkeit, dass auftretende Schwierigkeiten, egal ob auf Seiten der aufnehmenden Familie oder des Kindes, unmittelbar mit dem Pflegekinderdienst besprochen würden, damit frühzeitig die Hilfe entsprechend gesteuert werden könne. Dem Bericht von … sei zu entnehmen, dass die Kläger wichtige Entscheidungen eher einseitig verfolgen würden. So gab die Klägerin zu 2 an, keine eigenen Kinder zu wollen. Der Kläger zu 1 teilte mit, dass er sich dies durchaus vorstellen könne. Auch sei es den Eheleuten schwer möglich gewesen, den anderen Ehepartner zu beschreiben. Die Kommunikation zwischen den Klägern sei eher unzureichend. Der Kläger zu 1 gab an, über die Absprachen seiner Ehefrau mit den derzeitigen Pflegeeltern (seinen Schwiegereltern) nicht Bescheid zu wissen. Eine vertrauensvolle und offene Zusammenarbeit bzw. Absprache der Pflegeeltern untereinander sei bei der Erziehung eines Kindes unabdingbar und daher eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis zu Vollzeitpflege. Weiterhin habe der Kläger zu 1 bei den Gesprächen mehrfach angegeben, wegen Kleinigkeiten sehr impulsiv zu reagieren. Er habe sich selbst als stur, dickköpfig und impulsiv beschrieben. Diese Charaktereigenschaften seien jedoch für die Erziehungsausübung eher als bedenklich einzustufen. Bei der Abfrage seines Erzieherverhaltens gab der Kläger zu 1 an, dass er autoritäre Erziehungsmethoden ablehne. Er selbst halte Verbote für nicht sinnvoll. Eine angemessene und pädagogisch sinnvolle Grenzsetzung sei nach Ansicht des Beklagten für eine gelingende Erziehung jedoch unabdingbar. Auf Nachfrage hätten die Kläger Haushaltsführung, Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Zuhören, selbstständiges Einkaufen, Wahrnehmung der Bedürfnisse anderer und guter Umgang mit Geld als Erziehungsziele für das Pflegekind benannt. Diese Erziehungsziele hätten für ein siebenjähriges Kind pädagogisch keine Priorität, zu vermissen seien hier vor allem Liebe und Zuwendung sowie Geduld und Respekt. Es bestünden somit erhebliche Zweifel an einer ausreichenden, dem Kind gerecht werdenden Erziehungsfähigkeit. Mit der Klageschrift sei dem Beklagten erstmals der Arztbericht des … Klinikums … vom 07.05.2020 vorgelegt worden. Das Datum des Arztberichts liege vor dem Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020 und der Anhörung vom 28.05.2020. Wenn dieser Arztbericht nunmehr in der Klage als wichtiger Grund vorgetragen werde, erschließe sich nicht, weshalb er im Rahmen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht unmittelbar nach Erstellung eingebracht worden sei. Dies verdeutliche erneut die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Kläger mit dem Beklagten.
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Mit Schriftsatz vom 02.07.2021 wurde seitens der Kläger angemerkt, dass die Klägerin zu 2 zunächst davon ausgegangen sei, dass sie den ärztlichen Aufklärungsbogen selbst ausfüllen müsse. Nach Erhalt eines weiteren Bogens, habe der Arzt diesen ausgefüllt. Die leichte Angststörung sei vermerkt und somit nicht verschwiegen worden. Es werde sehr auf eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Kläger gepocht. Jedoch scheine es eher so, als würde man nicht mit ihnen kooperieren wollen. Es sei nicht so gewesen, dass die Kläger sich der Kooperation verweigert hätten oder Informationen absichtlich zurückgehalten hätten. Vielmehr seien sie teilweise verunsichert gewesen, was genau angegeben werden müsse. Dies betreffe auch den Arztbericht des … Klinikums. Die Kläger hätten nicht gewusst, dass dieser dem Jugendamt vorzulegen sei. Die Kläger hätten sich ähnlich einer Prüfungssituation in kurzer Zeit gegenseitig beschreiben sollen. Es sei schwierig, die richtigen Worte zu finden, wenn man sich in so einer Stresssituation befinde. Zudem erscheine es sehr verwunderlich, den Klägern anzukreiden, dass die Klägerin zu 2 sich etwas mehr um Termine etc. kümmere als ihr Mann. Es sei nicht unnormal, dass gewisse Bereiche von einem der Eheleute übernommen würden, da schon aus zeitlichen Gründen nicht immer alles von beiden wahrgenommen werden könne. Zudem habe die Klägerin des Öfteren bei Terminen mit … oder dem Jugendamt nachgefragt, ob sie und ihr Mann erscheinen sollten. Hierbei habe es in der Mehrheit der Fälle geheißen, es würde genügen, wenn sie komme. Es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin nie die Aussage getätigt habe, dass sie keine Kinder wolle. Vorliegend handle es sich um ein Kind, welches seit es ein halbes Jahr alt ist, Kontakt zu den Klägern habe. Dies sei eigentlich eine perfekte Konstellation. Das Kind sei sehr auf ein bestehendes Umfeld angewiesen, das ihm Sicherheit und Stabilität gebe.
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Hierauf erwiderte der Beklagte mit Schriftsatz vom 22.07.2021, dass die Klägerin zu 2 dem Pflegekinderdienst des freien Trägers … zunächst einen dreiseitigen ärztlichen Untersuchungsbogen vom 10.12.2019 vorgelegt habe, dessen erste Seite sie selbst ausgefüllt habe. Später sei das gleiche Formular, nun vollständig vom Arzt Dr. … ausgefüllt und von ihm am 15.03.2020 unterschrieben, erneut eingereicht worden. Erst auf dem zweiten ärztlichen Untersuchungsbogen seien eine „leichte Angststörung“ und das Medikament „Paroxetin 10 mg mit schleichender Absetzung“ angegeben worden. Nach der fachlichen Einschätzung zur Eignungsprüfung durch … vom 18.03.2020 (Ziffer 8 Gesundheitszustand) äußerte die Klägerin zu 2, geglaubt zu haben, dass sie aufgrund des Medikaments gegen die Panikattacken nicht als Pflegemutter in Frage komme. Dass … in einer Gesamtbetrachtung der Umstände dazu komme, der Klägerin zu 2 eine unehrliche Vorgehensweise zuzuschreiben, sei aus Sicht des Beklagten richtig und liege innerhalb des pädagogischen Beurteilungsspielraums, der dem Pflegekinderdienst zugestanden werden müsse. Dem Verhalten der Kläger habe bereits im Überprüfungsverfahren die notwendige Offenheit und Transparenz gefehlt. Falls es Unsicherheiten gegeben habe, welche Unterlagen vorzulegen seien, sei nicht nachvollziehbar, warum diese nicht gegenüber dem Pflegekinderdienst oder dem Beklagten transparent gemacht worden seien. Die Kläger hätten sich bei der Überprüfung durch den Pflegekinderdienst nur schwer gegenseitig beschreiben können. Dass dies auch auf einen erhöhten Stressfaktor bzw. auf eine Prüfungssituation zurückzuführen sei, sei durchaus möglich. Jedoch würden die Gespräche von erfahrenem und ausgebildetem Fachpersonal geführt, dem die Situation, in der sich die potentiellen Bewerber befänden, durchaus bewusst sei. Die mit der Überprüfung betraute Fachkraft teile (stressbedingte) Kommunikationsschwierigkeiten deshalb im Bericht nur mit, wenn sie eine zusätzliche Auffälligkeit darstellen würden. Nach dem Bericht des Pflegekinderdienstes sei die Klägerin zu 2 besonders engagiert, ihr Ehemann habe teilweise von Absprachen zwischen ihr und ihren Eltern nur bedingt Kenntnis. Der Kläger zu 1 habe des Öfteren geäußert, dass er keine Ahnung habe, was vereinbart worden sei. Weiterhin sei im Bericht auf Seite 2 zu finden:
„Auf Nachfrage, warum denn beide keine eigenen Kinder möchten, antwortet Frau … auch für ihren Ehemann. Sie wären sich einig, momentan keinen eigenen Nachwuchs zu wollen.“
30
Im weiteren Berichtsverlauf werde festgehalten, dass sich Herr … von dieser strikten Aussage distanziert und sie mit folgenden Worten relativiert habe:
„Heutzutage kann man Kindern ja nichts mehr bieten. Gegen eigene Kinder habe er nichts, wenn es passiert, dann passiert es halt.“
31
Eine vertrauensvolle und offene Zusammenarbeit bzw. Absprache der Pflegeeltern untereinander sei bei der Erziehung eines Kindes unabdingbar und stelle eine Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege dar. Auch aufgrund der zitierten Aussagen des Pflegekinderdienstes habe der Beklagte erhebliche Zweifel an einer ausreichenden, den besonderen Bedürfnissen des R. gerecht werdenden Erziehungsfähigkeit.
32
Mit Schriftsatz vom 11.08.2021 teilten die Kläger mit, dass die Klägerin zu 2 zwar geäußert habe:
„Sie wären sich einig, momentan keinen eigenen Nachwuchs zu wollen.“
33
Danach sei jedoch noch ergänzt worden:
„Da sie sich momentan voll und ganz auf … und die Pflegeerlaubnis konzentrieren möchten.“
34
Es sei keinesfalls so, dass die Kläger keine Kinder möchten. Vielmehr seien sich die Kläger bewusst, dass ein Pflegekind viel Arbeit bedeute. Dies zeige einmal mehr, dass von Seiten des Beklagten alles Mögliche versucht werde, um zu verhindern, dass den Klägern die Pflegeerlaubnis erteilt werde.
35
Der Beklagte äußerte mit Schriftsatz vom 06.09.2021, dass auf die Sätze „Auf Nachfrage, warum denn beide keine eigenen Kinder möchten, antwortet Frau … auch für ihren Ehemann. Sie wären sich einig, momentan keinen eigenen Nachwuchs bekommen zu wollen.“ basierend auf den vorliegenden Akten der Satz gefolgt sei:
„Im Einzelgespräch distanzierte sich Herr … von dieser strikten Aussage und relativierte […]“.
36
Somit sei nicht nachvollziehbar, wo die Äußerung „Da sie sich momentan voll und ganz auf … und die Pflegeerlaubnis konzentrieren möchten.“ getätigt worden sein soll. Dieser angeblich folgende Satz sei beim Landratsamt … – Fachbereich Jugend und Familie – nicht aktenkundig.
37
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichtsakte samt Protokoll über die mündliche Verhandlung am 16.11.2022 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
38
Die zulässige Klage (I.) ist begründet (II.) und hat daher Erfolg. Die Kläger haben gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und werden deswegen durch den Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020 und den Widerspruchsbescheid vom 29.03.2021 in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
39
I. Die Klage ist zulässig.
40
1. Da klägerseits die Erteilung der versagten Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII und damit die Erteilung eines Verwaltungsakts i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X (vgl. Sybille Nonninger/Jan Kepert, SGB VIII, 8. Auflage 2022, § 44 Rn. 1) begehrt wird, ist statthafte Klageart vorliegend die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage gemäß § 42 Abs. 2 Alt. 2 VwGO. Zwar wurde in der Klageschrift vom 03.05.2021 zunächst nur ein Anfechtungsantrag gestellt (Ziffer 1), mit Schriftsatz vom 20.10.2022 wurde die Klage jedoch um den vorliegend statthaften Verpflichtungsantrag (Ziffer 2) erweitert. Diese Klageänderung, die der endgültigen Ausräumung des sachlichen Streits zwischen den Parteien im laufenden Verfahren dient, ist sachdienlich (vgl. Eyermann/Wöckel, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 91 Rn. 31) und daher gemäß § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO zulässig.
41
2. Die Klage wurde fristgerecht erhoben. Vorliegend wurde ein fakultatives Widerspruchsverfahren gemäß § 68 VwGO i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) im Bereich des Kinder- und Jugendhilferechts durchgeführt. Demnach muss die Klage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden, § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 29.03.2021 erfolgte am 01.04.2021 gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 5 Abs. 1, 7 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) gegen Empfangsbekenntnis an die Bevollmächtigte der Kläger. Dementsprechend lief die Klagefrist vom 02.04.2021 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB) bis 03.05.2021, da es sich bei dem 01.05.2021 um einen gesetzlichen Feiertag und dem 02.05.2021 um einen Sonntag handelte (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1, 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Die Klageerhebung am 03.05.2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erfolgte somit fristwahrend.
42
II. Die Klage ist begründet
43
Die Kläger haben gegenüber dem Beklagten im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis zu Vollzeitpflege nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Versagungsgründe nach § 44 Abs. 2 SGB VIII i.V.m. Art. 35 AGSG liegen nicht vor.
44
1. Da es sich vorliegend um eine Verpflichtungsklage handelt (vgl. Auführungen unter I.1.) ist als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Bestehens des geltend gemachten Anspruchs der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung anzusetzen (Eyermann/Schübel-Pfister, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 57).
45
2. Die Kläger bedürfen für die Aufnahme des R. einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, für deren Erteilung der Beklagte zuständig ist.
46
a. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII stellt Pflegeverhältnisse, die auf die Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen über Tag und Nacht in den Haushalt einer Pflegeperson angelegt sind, unter den Vorbehalt einer Erlaubnis dazu. § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII bestimmt eine Reihe von Ausnahmen von diesem grundsätzlichen Erlaubnisvorbehalt. Dadurch wird präzisiert, welche Vollzeitpflegeverhältnisse erlaubnispflichtig sind. Eine Pflegeerlaubnis wird nur dann erforderlich, wenn die Kriterien erfüllt sind, die Satz 1 enthält, und wenn keine der Ausnahmen nach Satz 2 vorliegt (vgl. Sybille Nonninger/Jan Kepert, SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 44 Rn. 4). Wie von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorausgesetzt, begehren die Kläger vorliegend die dauerhafte Aufnahme des R. in ihren Haushalt und keine der in § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII normierten Ausnahmen ist einschlägig. Die Kläger nehmen R. nicht im Rahmen von Hilfe zur Erziehung oder von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche aufgrund einer Vermittlung durch das Jugendamt auf (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII). Die insbesondere in Betracht kommende Leistung der Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII wurde von den Klägern gerade (noch) nicht beantragt, sondern die Erlaubnis zur Vollzeitpflege nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Auch sind die Kläger weder verwandt noch verschwägert mit R., weshalb die Ausnahme nach § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VIII ebenfalls nicht greift.
47
b. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Landratsamtes … für die Erteilung der Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII ergibt sich aus § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, Art. 15 Satz 1 AGSG, da die Kläger ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis … haben.
48
3. Die Erteilung der Erlaubnis zur Vollzeitpflege ist nicht nach § 44 Abs. 2 SGB VIII i.V.m. Art. 35 AGSG zu versagen.
49
Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist die Erlaubnis zu versagen, wenn das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die Erlaubnis erteilt werden muss, wenn das Kindeswohl gewährleistet ist (vgl. Sybille Nonninger/Jan Kepert, SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 44 Rn. 13). § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist nicht etwa so zu verstehen, dass das Wohl des Kindes nur dann nicht gewährleistet ist, wenn die Voraussetzungen einer konkreten Kindeswohlgefährdung gegeben sind. Vielmehr ist aus der Formulierung des § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zu folgern, dass bei der zu treffenden Prognoseentscheidung genügend Anhaltspunkte vorliegen müssen, die eine positive Entwicklung („Wohl des Kindes“) mit großer Sicherheit („Gewährleistung“) erwarten lassen (VG Augsburg, U.v. 28.11.2017 – Au 3 K 16.793 – juris Rn. 18). Um dem präventiven Charakter der Regelung zu genügen, darf die Pflegeerlaubnis nicht erst im Falle einer konkreten Gefahr versagt werden. Es muss ausreichen, wenn die Persönlichkeitsentwicklung, die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, das seelische Wohl und andere geschützte Rechte des Kindes durch die Pflegeperson und deren Lebenssituation und Umfeld abstrakt beeinträchtigt werden kann (Wiesner/Wapler/Wiesner, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 44 Rn. 17c). Da die Pflegeerlaubnis einer bestimmten Person im Hinblick auf die Pflege eines bestimmten Kindes oder Jugendlichen erteilt wird (doppelter Personenbezug), erfolgt die Prüfung bezogen auf das konkrete Kind (vgl. Wiesner/Wapler/Wiesner, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 44 Rn. 16c). Sie hat sich also nicht an abstrakten Erwägungen, sondern konkret an der Eignung der Pflegeperson für das bestimmte Kind zu orientieren (Wiesner/Wapler/Wiesner, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 44 Rn. 17d). Falls das Jugendamt davon ausgeht, dass das Wohl des Kindes in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist, trägt es die Darlegungs- und Beweislast (VG Lüneburg, U.v. 14.11.2017 – 4 A 16/16 – juris Rn. 22; VG München, U.v.11.12.2013 – M 18 K 12.5685 – juris Rn. 23). Die Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis sind von der antragstellenden Person, Versagungsgründe hingegen vom Jugendamt als der die Erlaubnis erteilende Behörde darzulegen und zu beweisen. Behördliche Bedenken hinsichtlich der Eignung einer Pflegeperson müssen substantiiert und mit konkreten Ereignissen belegt werden, um tragfähig zu sein. Das Jugendamt trägt im Hinblick darauf, ob das Wohl des Kindes in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist, grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast. Das Jugendamt hat daher konkrete Umstände darzulegen und zu beweisen, die darauf schließen lassen, dass eine positive Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen in der Pflegefamilie nicht mit Sicherheit zu erwarten ist. Ob solche Umstände vorliegen, ist gemäß § 20 SGB X von Amts wegen zu ermitteln. Allein die Tatsache, dass die Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege für die konkrete Pflegeperson in der Vergangenheit schon einmal versagt worden ist, lässt nicht darauf schließen, dass die Versagungsgründe weiterhin vorliegen (BayVGH, U.v. 9.3.2020 – 12 B 19.795 – juris). Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis. Andererseits findet bei der Interessenabwägung die Formel „in dubio pro infante“ Anwendung (VG München 2.5.2012 – M 18 K 11.1341 – juris Rn. 34; VG Würzburg 17.1.2019 – 3 K 18.67 – juris Rn. 48; Wiesner/Wapler/Wiesner, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 44 Rn. 18a).
50
Bei den Termini in § 44 Abs. 2 SGB VIII („Wohl des Kindes… nicht gewährleistet“) handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe. Es besteht kein kontrollfreier Beurteilungsspielraum der Erlaubnisbehörde, sodass das Verwaltungsgericht in vollem Umfang überprüfen kann, ob diese Versagungsgründe vorliegen (Wiesner/Wapler/Wiesner, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 44 Rn. 16c).
51
Nach § 49 SGB VIII können durch Landesrecht konkretisierende Kriterienkataloge aufgestellt werden. Einen detaillierten Katalog von Versagensgründen enthält Art. 35 AGSG (Wiesner/Wapler/Wiesner, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 44 Rn. 17d). Das bayerische Landesrecht sieht in Art. 35 Satz 1 AGSG die Versagung der Pflegeerlaubnis nach § 44 Abs. 1 SGB VIII vor, wenn das Wohl des Kindes oder des bzw. der Jugendlichen in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist, konkretisiert dies jedoch insofern, dass nach Art. 35 Satz 2 AGSG die Pflegeerlaubnis insbesondere zu versagen ist, wenn eine Pflegeperson nicht über ausreichende erzieherische Fähigkeiten verfügt, die dem Entwicklungsstand und den jeweiligen erzieherischen Bedürfnissen des Kindes oder des bzw. der Jugendlichen gerecht werden (Nr. 1); die Aufnahme des Pflegekindes nicht mit dem Wohl aller in der Familie einer Pflegeperson lebender Kinder und Jugendlicher vereinbar oder eine Pflegeperson mit der Betreuung eines bzw. einer weiteren Jugendlichen überfordert ist, wovon in der Regel auszugehen ist, wenn sich bereits drei Pflegekinder in der Pflegestelle befinden (Nr. 2); eine Pflegeperson nicht die Gewähr dafür bietet, dass die von den Personensorgeberechtigten bestimmte Grundrichtung der Erziehung einschließlich der religiösen oder weltanschaulichen Erziehung beachtet wird (Nr. 3); Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Person oder eine in ihrem Haushalt lebende Person das sittliche Wohl des Kindes oder des bzw. der Jugendlichen gefährden könnte (Nr. 4); die wirtschaftlichen Verhältnisse einer Pflegeperson und ihre Haushaltsführung offensichtlich nicht geordnet sind (Nr. 5); eine Pflegeperson oder die in ihrem Haushalt lebenden Personen an einer Krankheit leiden, die das Wohl des Kindes oder des bzw. der Jugendlichen nicht nur unerheblich gefährdet (Nr. 6) oder nicht ausreichender Wohnraum für die Kinder oder Jugendlichen und die im Haushalt lebenden Personen vorhanden ist (Nr. 7).
52
Darüber hinaus wird durch den Verweis in § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII auf § 72a Abs. 1 SGB VIII klargestellt, dass eine Pflegerlaubnis keiner Person erteilt werden darf, die wegen einer in § 72a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII genannten Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe soll sich zu diesem Zweck ein Führungszeugnis nach § 30 Abs. 5 und § 30a Abs. 1 BZRG vorlegen lassen (vgl. Sybille Nonninger/Jan Kepert, SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 44 Rn. 14).
53
a. Die Erlaubnis zur Vollzeitpflege ist den Klägern nicht nach §§ 44 Abs. 2 Satz 2, 72a Abs. 1 SGB VIII zu versagen.
54
Die eingeholten erweiterten Führungszeugnisse nach § 30a BZRG (Beklagtenakte, Bl. 48 f.) enthalten keine Eintragungen. Soweit der Kläger zu 1 in der Vergangenheit bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, ist anzuführen, dass diese Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 30.07.2002 und 04.02.2013 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Es liegt somit keine – wie von § 72a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorausgesetzt – rechtskräftige Verurteilung wegen einer der in der Vorschrift aufgezählten Straftaten vor, sodass die Ermittlungsverfahren im Hinblick auf §§ 44 Abs. 2 Satz 2, 72a Abs. 1 SGB VIII nicht zu berücksichtigen sind. Diesbezüglich sei angemerkt, dass der Beklagte bereits selbst zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Denn im Vorlageschreiben des Landratsamtes … – Fachbereich Jugend und Familie – vom 18.02.2021 an die Widerspruchsbehörde wird ausgeführt, dass die Ermittlungsverfahren bei der Geeignetheitsprüfung aufgrund der Einstellung unbeachtet bleiben (Widerspruchsakte, Bl. 7). Anders als im Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020, der unter anderem noch damit begründet wurde, dass die Ermittlungsverfahren gegen die Eignung des Klägers zu 1 für die Aufnahme eines Pflegekindes im Rahmen der Vollzeitpflege sprechen, wurde im Widerspruchsbescheid vom 29.03.2021 auch nicht mehr auf die Ermittlungsverfahren eingegangen.
55
b. Die Erlaubnis zur Vollzeitpflege ist den Klägern auch nicht nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII i.V.m. Art. 35 Satz 2 AGSG zu versagen.
56
aa. Aus gerichtlicher Sicht ist seitens des Beklagten nicht ausreichend dargelegt und bewiesen, dass die Kläger nicht über ausreichende erzieherische Fähigkeiten verfügen, die dem Entwicklungsstand und den jeweiligen erzieherischen Bedürfnissen des R. gerecht werden (Art. 35 Satz 2 Nr. 1 AGSG).
57
Die Versagung der Pflegerlaubnis wird unter Berücksichtigung der durch … erstellten fachlichen Einschätzung vom 18.03.2020 im Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020 bzw. dem Widerspruchsbescheid vom 29.03.2021 zusammengefasst mit einer mangelnden Kooperationsbereitschaft mit dem Auftrag gebenden Jugendamt, der verschwiegenen psychiatrischen Erkrankung der Klägerin zu 2 und daraus resultierenden Zweifeln an deren Belastbarkeit, der eher einseitigen Entscheidungsfindung der Kläger, der unzureichenden Kommunikation zwischen den Klägern und der geringen Beteiligung des Klägers zu 1 an der Zusammenarbeit mit der aktuellen Pflegefamilie, den Angaben des Klägers zu 1 bezüglich seiner Charaktereigenschaften sowie seines Erzieherverhaltens und den von den Klägern benannten Erziehungszielen begründet, die wenigstens nicht unwesentliche Zweifel an den Erzieherpersönlichkeiten und den Erziehungsvorstellungen des Ehepaars zuließen.
58
Bezüglich der durch … erstellten fachlichen Einschätzung sei zunächst hervorgehoben, dass diese bereits vom 18.03.2020 stammt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Bestehens des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung der Pflegeerlaubnis nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist jedoch der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Die vorliegend einzige mündliche Verhandlung fand jedoch erst am 16.11.2022 statt, sodass seit der Einschätzung durch … mehr als zweieinhalb Jahre vergangen sind. Aufgrund des mittlerweile vergangenen Zeitraums, in dem sich die Sachlage teilweise geändert hat, neuer Erkenntnisse sowie des Umstands, dass Versagungsgründe vom Jugendamt als der die Erlaubnis erteilende Behörde darzulegen und zu beweisen sind, gelangt das Gericht nachfolgend zu einer anderen Einschätzung als der Beklagte und die Widerspruchsbehörde.
59
Wie bereits erwähnt, ist bei der Beurteilung nicht allgemein auf die erzieherischen Fähigkeiten der Pflegeperson abzustellen; vielmehr wird das in Pflege zu nehmende Kind oder der Jugendliche in den Mittelpunkt gerückt und seine erzieherischen Bedürfnisse und sein Entwicklungsstand werden zum Maßstab für die erzieherische Fähigkeit der Pflegeperson gemacht. Damit ist sichergestellt, dass ganz konkret das Wohl des jeweiligen Kindes oder Jugendlichen berücksichtigt wird (VG Augsburg, B.v. 23.10.2015 – Au 3 K 15.1172 – juris Rn. 42).
60
Bei R. handelt es sich um ein anspruchsvolles Pflegekind, bei dem laut Bericht des … Klinikums … vom 07.05.2020 eine Posttraumatische Belastungsstörung auf dem Boden einer Bindungsstörung vorliegt. Seine seelische Gesundheit weicht länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter des Kindes typischen Zustand ab, weshalb eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt und demnach die Anwendung des § 35a SGB VIII (Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung oder drohender seelischer Behinderung) indiziert ist.
61
Bezüglich der Klägerin zu 2 ist festzustellen, dass diese über abgeschlossene Ausbildungen zur Heilerziehungspflegerin, Heilpädagogin und Integrationserzieherin verfügt. Bei der Klägerin zu 2 handelt es sich folglich um eine Fachkraft, die speziell im Umgang mit Kindern – auch mit besonderen Bedürfnissen – geschult ist. Sie ist momentan in dem Kindergarten, in dem sie arbeitet, sogar als stellvertretende Leitung tätig (Protokoll, S. 7), was wiederum auf ihre Kompetenz hindeutet. Das Fachwissen der Klägerin zu 2 spricht im konkret vorliegenden Fall gerade für ihre erzieherischen Fähigkeiten in Bezug auf R., der ausgehend von den gestellten Diagnosen wohl ein Kind mit erhöhtem Erziehungsaufwand darstellen dürfte.
62
Auch die zunächst nicht angegebene Einnahme des Medikaments Paroxetin 10 mg und der früheren leichten Angststörung der Klägerin zu 2 vermögen das Gericht nicht von Gegenteiligem zu überzeugen. Zunächst ist festzustellen, dass von der Klägerin zu 2 lediglich die erste Seite des ärztlichen Untersuchungsbogens vom 10.12.2019 selbst ausgefüllt wurde (Beklagtenakte, Bl. 33). Auf dieser Seite befand sich nur die Zeile, in der anzugeben war, welche Medikamente zur Zeit eingenommen werden. Angaben zu eventuellen psychischen Erkrankungen waren auf der zweiten Seite des ärztlichen Untersuchungsbogens vom 10.12.2019 zu machen. Diese Seite wurde jedoch von vornherein vom Hausarzt (Protokoll, S. 5) ausgefüllt, sodass der Klägerin zu 2 diesbezüglich kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Dass die Einnahme des Medikaments Paroxetin 10 mg von ihr nicht im ärztlichen Untersuchungsbogen vom 10.12.2019 erwähnt wurde, hat die Klägerin zu 2 … selbst mitgeteilt (Protokoll, S. 5) und die Medikamenteneinnahme wurde letztendlich im zweiten ärztlichen Untersuchungsbogen vom 15.03.2020, der vollständig vom Hausarzt ausgefüllt wurde, korrekt angegeben (Beklagtenakte, Bl. 36). Im Übrigen wurde das Medikament laut Attest vom 19.06.2020 (Widerspruchsakte, Bl. 115) seit Mai 2020 ohnehin nicht mehr eingenommen. Aus diesem Attest geht auch hervor, dass die Klägerin zu 2 voll in der Lage ist, ein Kind zu erziehen. Damit bestätigt das Attest vom 19.06.2020 die vorherige ärztliche Stellungnahme vom 15.03.2020, nach welcher aufgrund der Untersuchung hinsichtlich der Eignung als Pflegeeltern bei der Klägerin zu 2 – trotz Angabe der Medikamenteneinnahme und der leichten Angststörung – ärztlicherseits keine Bedenken bestehen (Beklagtenakte, Bl. 38). Seit die Klägerin zu 2 das Medikament Paroxetin 10 mg abgesetzt hat, sind bereits mehr als zwei Jahre vergangen. Sie ist stellvertretende Leitung des Kindergartens, in dem sie arbeitet, was gerade für ihre Belastbarkeit spricht. Auch hat sie nach eigenen Angaben in Berlin eine Behandlung bei einem Psychologen erfolgreich beendet und hatte seit ihrem Umzug in den Landkreis … keine Panikattacken mehr (Protokoll, S. 4 f.).
63
Der Kläger zu 1 beschrieb sich laut der fachlichen Einschätzung von … vom 18.03.2020 zwar als sturen und dickköpfigen Zeitgenossen und äußerte, dass Verbote für Kinder übertrieben seien und Kinder sich ausleben müssten, allerdings gab er auch schon damals an, dass er seine Frau frage, wenn er nicht weiter wisse (Beklagtenakte, Bl. 4), was aufgrund deren Erziehungswissen als positive Vorgehensweise zu bewerten ist. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 16.11.2022 überzeugte der Kläger zu 1 das Gericht auch davon, dass er den erzieherischen Bedürfnissen des R. gerecht werden kann. Der Kläger zu 1 kennt R. bereits seit vielen Jahren und sieht ihn mit seiner Frau regelmäßig an den Wochenenden, freitags oder sonntags bei seinen Schwiegereltern zu Hause. Die Kläger verbringen auch Urlaube oder unternehmen Tagesauflüge mit den Schwiegereltern und R. zusammen. Aufgrund der gemeinsam verbrachten Zeit hat der Kläger zu 1 bereits einen guten Überblick gewinnen können, wie in verschiedenen Situationen mit R. umzugehen ist. Während eines Gaststättenbesuchs hätte die Familie R. beispielsweise die nötige Zeit gelassen, sich wieder zu beruhigen als R. sich unter einem Tisch zurückgezogen hat (Protokoll, S. 2). Für seine erzieherischen Fähigkeiten spricht überdies, dass dem Kläger bewusst ist, dass es R. nicht gut tut, wenn mehrere Personen auf ihn einreden und er in diesen Situationen den Schwiegereltern als aktuellen Pflegeeltern den Vortritt bezüglich etwaiger Verbote lässt (Protokoll, S. 3). Insgesamt zeigte der Kläger zu 1 im Rahmen der mündlichen Verhandlung, bei der es sich sicherlich für die Kläger um eine belastende Situation gehandelt haben muss, keinerlei bedenkliche Charaktereigenschaften, sondern vermochte von seinem Verständnis für die Situation und dem Verhalten des R. zu überzeugen (z.B. folgende Ausführungen des Klägers zu 1 (Protokoll, S. 2): „Aufgrund seiner Erfahrungen traut sich R. manchmal nicht, männliche Bezugspersonen anzusprechen“ und „Er weiß in der Schule oft nicht, wann er aufhören soll. Es kommt ihm auch oft hinterher, dass er Mist gebaut hat“). Er vermittelte dem Gericht, dass auch er sich Gedanken macht, wie dem Verhalten des R. erzieherisch angemessen zu begegnen ist. Insbesondere ist der Kläger zu 1 – zumindest mittlerweile – der Ansicht, dass Kindern auch Grenzen aufgezeigt werden müssten (Protokoll, S. 3). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Kläger zu 1 zwar – anders als die Klägerin zu 2 – nicht aufgrund seines Berufes über besondere Kenntnisse hinsichtlich der Erziehung von Kindern verfügt, konkret in Bezug auf R. hat er jedoch bereits mehrjährig Erfahrungen sammeln können und miterlebt, wie dem Verhalten des R. erzieherisch entgegenzutreten ist. Er zeigt sich zudem offen, Hilfe bei der Erziehung durch die Klägerin zu 2 in Anspruch zu nehmen und ist bestrebt, einheitlich gegenüber R. aufzutreten, was alles in allem jedenfalls für ausreichende erzieherische Fähigkeiten seinerseits spricht.
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Soweit den Klägern eine einseitige Verfolgung von wichtigen Entscheidungen vorgehalten wird, da sie sich bezüglich der Frage nach eigenen Kindern uneinheitlich geäußert hätten, ist anzuführen, dass laut der fachlichen Einschätzung von … vom 18.03.2020 die Klägerin zu 2 gesagt haben soll, dass sie und ihr Mann sich einig wären, momentan keinen eigenen Nachwuchs bekommen zu wollen. Im Einzelgespräch habe der Kläger zu 1 gesagt: „Gegen eigene Kinder habe ich nichts, wenn es passiert, dann passiert es halt.“ Zunächst ist festzuhalten, dass sich diese Aussagen nach Auffassung des Gerichts nicht eindeutig widersprechen. Die Klägerin zu 2 äußerte sich lediglich bezüglich der momentanen Situation und nicht, dass sie generell keine eigenen Kinder möchte. Im Einzelgespräch äußerte der Kläger zu 1 sich hingegen allgemein dazu, dass er nichts gegen eigene Kinder habe. Einen konkreten Zeitpunkt hat er dabei nicht benannt. Hinzu kommt, dass die Kläger mit Schriftsatz vom 11.08.2021 vorgetragen haben, die Klägerin zu 2 habe gesagt, dass sie keinen eigenen Nachwuchs möchten, „da sie sich momentan voll und ganz auf R. und die Pflegeerlaubnis konzentrieren möchten.“ Der Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 06.09.2021, dass dieser angeblich folgende Satz nicht aktenkundig sei. Da neben der fachlichen Einschätzung vom 18.03.2020, die nur geringfügig wörtliche Zitate enthält, kein Wortlautprotokoll des Gesprächs der Kläger mit … vorliegt, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, welche Äußerungen konkret getätigt wurden. Der Darlegungs- und Beweislast, die dem Jugendamt hinsichtlich der Versagungsgründe obliegt, wird der Beklagte vorliegend daher nicht gerecht.
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Auch eine unzureichende Kommunikation zwischen den Klägern wurde seitens des Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht überzeugend dargelegt. Laut Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020 gab der Kläger zu 1 an, über die Absprachen der Klägerin zu 2 mit den derzeitigen Pflegeeltern des R. nicht Bescheid zu wissen. Eine vertrauensvolle und offene Zusammenarbeit bzw. Absprache der Pflegeeltern untereinander sei bei der Erziehung eines Kindes unabdingbar und daher eine wichtige Grundvoraussetzung. Auch diese Begründung basiert noch auf der fachlichen Einschätzung von … vom 18.03.2020. Das Gericht gewann in der mündlichen Verhandlung am 16.11.2022 allerdings einen anderen Eindruck. Wie bereits dargestellt, ziehen die Kläger bezüglich der Pflegschaft durchaus an einem Strang und der Kläger zu 1 wird in Themen, die R. betreffen, auch eingebunden. So gab der Kläger zu 1 an, zu seinen Schwiegereltern, den aktuellen Pflegeeltern des R., sogar einen besseren Kontakt als zu seinen eigenen Eltern zu haben (Protokoll, S. 3). Die Kläger würden sich regelmäßig an den Wochenenden mit den aktuellen Pflegeeltern und R. treffen und gemeinsam Zeit verbringen (Protokoll, S. 1). Dies bestätigte die Klägerin zu 2, die insbesondere äußerte, dem Kläger zu 1 zu erzählen, was sie mit ihren Eltern bespreche. An den regelmäßigen Treffen am Freitag werde alles besprochen, was in der Schule vorgefallen sei und auch sonstige Themen, die R. beträfen (Protokoll, S. 7). Dass der Kläger zu 1 tatsächlich bezüglich R. eingebunden wird, zeigt sich an seinen Aussagen, dass R. Tabletten verschrieben bekommen habe und R. in der Schule oft nicht wisse, wann er aufhören soll. Der Kläger zu 1 bekomme das vorallem dann mit, wenn sich seine Schwiegermutter und seine Frau über diese Probleme unterhalten würden (Protokoll, S. 2). Auch teilte der Kläger zu 1 mit, dass eine Schulpsychologin kürzlich das Jugendamt in Berlin ohne vorherige Absprache mit den aktuellen Pflegeeltern angerufen hat. Darüber, dass das so nicht gehe, hätten sich die Kläger mit den Pflegeeltern unterhalten (Protokoll, S. 3 f.). Zudem konnte der Kläger zu 1 darüber berichten, dass R. bei einem Besuch der Caritas in … geäußert habe, auf keinen Fall ins Heim zu wollen (Protokoll, S. 4) und er erinnerte die Klägerin zu 1 daran, dass bei R. auch eine Posttraumatische Belastungsstörung festgestellt worden sei (Protokoll, S. 6).
66
Auch die von den Klägern gegenüber … benannten Erziehungsziele Haushaltsführung, Zuhören, Bedürfnisse anderer wahrnehmen können, Anleitung zum selbständigen Einkaufen, Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit und guter Umgang mit Geld belegen nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend, dass diese nicht über ausreichende erzieherische Fähigkeiten verfügen. Insofern führt die Klägerbevollmächtigte im Widerspruch vom 31.07.2020 (Widerspruchsakte, Bl. 137) zutreffend aus, dass es für ein Schulkind sehr wohl von Bedeutung sei, pünktlich zu erscheinen und aufmerksam zuzuhören. Auch gehöre es zu den Pflichten eines Schulkindes, Ordnung und Bücher und Hefte sauber zu halten. Vor diesem Hintergrund sei nicht nachvollziehbar, dass im Bescheid vom 01.07.2020 angeführt sei, die genannten Erziehungsziele hätten für ein siebenjähriges Kind pädagogisch keine Priorität und dass vor allem Liebe und Zuwendung sowie Geduld und Respekt zu vermissen seien. Insofern heißt es im Widerspruch vom 31.07.2020, dass Liebe und Zuwendung für die Kläger keine Erziehungsziele seien, sondern grundlegende Dinge, die ein Kind in diesem Alter ohne besondere Zielsetzung zu erfahren habe. Hiervon konnten die Kläger das Gericht in der mündlichen Verhandlung am 16.11.2022 überzeugen. Der Kläger zu 1 bestätigte, dass Liebe und Zuneigung wichtig seien (Protokoll, S. 3) und untermauerte dies, indem er sich trotz der belastenden Situation ruhig, besonnen und fürsorglich gegenüber der Klägerin zu 2 sowie im Hinblick auf R. zeigte. Auf Nachfrage, warum er Pflegevater werden wolle, äußerte er, dass er vermeiden wolle, dass R. in eine andere Familie oder ins Heim komme. Er könne R. ein besseres Zuhause als bei seinen leiblichen Eltern geben (Protokoll, S. 4).
67
Soweit im Widerspruchsbescheid vom 29.03.2021 eine mangelnde Kooperation der Kläger mit dem Auftrag gebenden Jugendamt angeführt wird, wurde dies nicht ausreichend dargelegt und bewiesen. Die Klägerin zu 2 äußerte in der mündlichen Verhandlung am 16.11.2022, dass sie nicht verstehe, wie … darauf komme. … habe zweimal kurzfristig Termine abgesagt, die während der Arbeitszeit der Kläger hätten stattfinden sollen. Die Klägerin zu 2 hätte daraufhin geäußert, dass Termine während der Arbeitszeit schwierig seien. Es habe dann abends ein ca. 20-minütiges Gespräch stattgefunden. Am nächsten Tag habe schon das Interview stattgefunden. Auch diesen Termin habe die Klägerin zu 2 während ihrer Arbeitszeit wahrgenommen (Protokoll, S. 6 f.). Die Bereitschaft der Kläger, Termine mit dem Jugendamt oder … während der Arbeitszeit wahrzunehmen, spricht nach Ansicht des Gerichts bereits gegen eine mangelnde Kooperationsbereitschaft. Ausgehend von den Informationen aus der Beklagtenakte reichten die Kläger die für das Überprüfungsverfahren erforderlichen Unterlagen ein, wobei das Gericht nicht verkennt, dass die Angststörung sowie die Medikamenteneinnahme der Klägerin zu 2 zunächst nicht angegeben wurden, was aber im Laufe des Überprüfungsverfahrens noch nachgeholt wurde. Insbesondere besteht seitens der Klägerin zu 2 auch die Bereitschaft, ihre Arbeitszeit auf bis zu 30 Wochenstunden zu reduzieren. Offenbleiben kann daher, ob eine Reduzierung der Arbeitszeit überhaupt notwendig ist, da R. eine Ganztagsschule besucht (Protokoll, S. 7). Nicht zuletzt äußerten die Kläger bereits gegenüber … den Wunsch, sich in Zukunft mit anderen Pflegeeltern zu vernetzen und Fortbildungsangebote des Trägers in Anspruch zu nehmen (Beklagtenakte, Bl. 11).
68
Im Ergebnis vermochte der Beklagte im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht, ausreichend darzulegen und zu beweisen, dass die Kläger nicht über ausreichende erzieherische Fähigkeiten verfügen, die dem Entwicklungsstand und den jeweiligen erzieherischen Bedürfnissen des R. gerecht werden. Insbesondere wurden vom Beklagten überwiegend die teilweise überholten Erkenntnisse aus der fachlichen Einschätzung durch … vom 18.03.2020 herangezogen, neuere Entwicklungen wurden nicht berücksichtigt.
69
bb. Die Versagung der Pflegeerlaubnis kann auch nicht damit begründet werden, dass eine Pflegeperson oder eine in ihrem Haushalt lebende Person das sittliche Wohl des Kindes oder des bzw. der Jugendlichen gefährden könnte (Art. 35 Satz 2 Nr. 4 AGSG).
70
Hervorzuheben ist, dass selbst der Beklagte hinsichtlich der nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren gegen den Kläger zu 1 davon ausgeht, dass diese bei der Geeignetheitsprüfung unbeachtet zu bleiben haben (Widerspruchsakte, Bl. 7). Auch das Gericht gelangt zu keiner anderen Einschätzung.
71
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die fehlende Verurteilung aufgrund von Straftaten nach § 72a SGB VIII nur eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die persönliche Eignung im Sinne von § 44 SGB VIII ist. Die Annahme der fehlenden Eignung einer Pflegeperson setzt für sich genommen keine Anklageerhebung oder gar eine Verurteilung im strafrechtlichen Sinne voraus. Im Rahmen der Eignungsprüfung gemäß § 44 SGB VIII geht es entsprechend der präventiven, auf die Vermeidung eines künftigen Schadenseintritts gerichteten und daher vom Zweck des strafgerichtlichen Verfahrens abweichenden Zielsetzung des Erlaubnisvorbehalts um eine Risikoeinschätzung für eine jugendhilferechtliche Entscheidung, die grundsätzlich auch aufgrund deutlich niedrigschwelligerer Hinweise und Anhaltspunkte für eine Gefährdung der betreuten Kinder getroffen werden kann. Nicht jedes Verhalten, das kindeswohlgefährdend ist, ist auch strafbar. Ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, ist eine Frage der prognostischen Wahrscheinlichkeit, bei der nicht der strafrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ („Im Zweifel für den Angeklagten“) Anwendung findet, sondern die Formel „in dubio pro infante“ („Im Zweifel für das (Klein-)Kind“). Die Beurteilung der Kindeswohlgefährdung ist damit nicht notwendig abhängig von dem Ausgang eines etwaigen strafrechtlichen Verfahrens vorzunehmen. Der Träger öffentlicher Jugendhilfe und das Gericht müssen im Rahmen des § 44 SGB VIII prüfen, ob sich entweder aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder der Bewertung der vorliegenden Anhaltspunkte Verdachtsmomente von einigem Gewicht ergeben, die es ausschließen, den Kindern die Pflegeeltern als „ohne Risiken und Gefahren für Kinder geeignet“ zuzumuten. Die hierfür erforderliche und verschuldensunabhängige Gefahrenabschätzung ist anhand der Gesamtumstände zu treffen. Dabei sind nach Auffassung des erkennenden Gerichts keine zu hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts zu stellen, weil das Wohl der zu betreuenden Kinder und der Schutz von deren körperlicher Unversehrtheit besonders hoch zu gewichten sind (VG Würzburg, U.v. 17.01.2022 – W 3 K 18.67 – juris Rn. 48).
72
Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für Verdachtsmomente von einigem Gewicht, die eine Versagung der Pflegerlaubnis nach Art. 35 Satz 2 Nr. 4 AGSG begründen. Dabei berücksichtigt das Gericht insbesondere, dass den eingestellten Ermittlungsverfahren gegen den Kläger zu 1 Vorwürfe zu Grunde lagen, die keinerlei Kindbezug hatten und diese bereits 21 bzw. zehn Jahre zurückliegen. Insbesondere wurde eines der Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da Zweifel bestanden, ob das Opfer die Wahrheit gesagt hat. Mehrere Widersprüche rechtfertigten es laut Staatsanwaltschaft, an der Glaubhaftigkeit der Aussagen zu zweifeln. In dem weiteren Ermittlungsverfahren gab das Opfer gegenüber der Polizei an, keine Aussage machen und auch keine Anzeige erstatten zu wollen. Laut Staatsanwaltschaft bestanden keine hinreichenden Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen gegen den Kläger zu 1, weshalb auch diesbezüglich eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgte. Das Gericht hat nach Durchsicht der Akten, die von der Staatsanwaltschaft vorgelegt wurden, keine Zweifel an den Feststellungen der Staatsanwaltschaft. Der Beklagte hat nicht ausgeführt, warum den Sachverhalten trotz unglaubhafter bzw. fehlender Angaben weiter nachzugehen gewesen wäre. Das Gericht sieht deshalb keine Veranlassung zur weiteren Sachverhaltsaufklärung, zumal der Kläger zu 1 darüber hinaus strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Zudem hat der Kläger zu 1 bereits seit Jahren engen Kontakt zu R., ohne dass etwaige Vorfälle bekannt geworden sind, die auf eine Gefährdung des sittlichen Wohls des R. hindeuten.
73
cc. Die Versagung der Pflegeerlaubnis kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse einer Pflegeperson und ihre Haushaltsführung offensichtlich nicht geordnet sind (Art. 35 Satz 2 Nr. 5 AGSG).
74
Beide Kläger sind berufstätig und die vorgenommene Schuldnerverzeichnisabfrage ergab keine Einträge hinsichtlich der Kläger (Beklagtenakte, Bl. 50 ff.). Soweit das Landratsamt … – Fachbereich Jugend und Familie – in seinem Bericht über die Aufnahme eines Pflegekindes vom 27.05.2020 (Widerspruchsakte, Bl. 139 ff.) davon ausgeht, dass bezüglich der Klägerin zu 2 ein Eintrag im Schuldnerportal vorliegt, nach welchem die Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen ist, ist anzuführen, dass es sich dabei um eine Personenverwechslung handelt, da hinsichtlich der abgefragten Person eine andere Anschrift als die der Klägerin zu 2 vermerkt ist.
75
dd. Die Pflegeerlaubnis ist auch nicht deswegen zu versagen, weil eine Pflegeperson oder die in ihrem Haushalt lebenden Personen an einer Krankheit leiden, die das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen nicht nur unerheblich gefährdet (Art. 35 Satz 2 Nr. 6 AGSG).
76
Laut ärztlichem Untersuchungsbogen vom 10.12.2019 und vom 15.03.2020 (Beklagtenakte, Bl. 30 ff.) bestehen ärztlicherseits bezüglich beider Kläger aufgrund der Untersuchungen keine Bedenken hinsichtlich der Eignung als Pflegeeltern. Bezüglich der Klägerin zu 2 wurde mit Attest vom 19.06.2020 nach dem Absetzen des Medikaments Paroxetin 10 mg ein weiteres Mal bestätigt, dass sich bei der hausärztlichen Untersuchung weder physische noch psychische Auffälligkeiten ergaben und die Klägerin zu 2 voll in der Lage sei, ein Kind zu erziehen.
77
ee. Die Pflegeerlaubnis ist auch nicht mangels ausreichendem Wohnraums für die Kinder oder Jugendlichen und die im Haushalt lebenden Personen zu versagen (Art. 35 Satz 2 Nr. 7 AGSG).
78
Die Kläger leben in einer 3-Zimmer Wohnung mit insgesamt 96 m² Wohnfläche. Für R. ist ein eigenes Zimmer vorgesehen.
79
c. Im Übrigen ist die Erlaubnis zur Vollzeitpflege auch nicht nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII i.V.m. Art. 35 Satz 1 AGSG zu versagen, weil das Wohl des Kindes oder Jugendlichen in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist.
80
Wie bereits dargestellt trägt das Jugendamt im Hinblick darauf, ob das Wohl des Kindes in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist, grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast. Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. oben). Die Erwägungen, auf die sich der Ablehnungsbescheid vom 01.07.2020 und der Widerspruchsbescheid vom 29.03.2021 stützen ergeben sich jedoch im Wesentlichen aus der fachlichen Einschätzung von … vom 18.03.2020. Auf Grund der voranstehenden Ausführungen, des Berichts des … Klinikums … vom 07.05.2020 und den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung am 16.11.2022, erachtet das Gericht jedoch eine Gefährdung des Wohls des R. bei den Klägern nicht als hinreichend belegt.
81
Insbesondere geht aus dem Bericht des … Klinikums vom 07.05.2020 hervor, dass bei R. zwar unverändert eine Posttraumatische Belastungsstörung auf dem Boden einer Bindungsstörung vorliegt, aus kinderpsychiatrischer Sicht werde aber trotz schwerwiegender Grundprobleme, welche die Persönlichkeitsentwicklung des R. auch weiterhin maßgeblich prägen werden, gerade im letzten Jahr eine sehr positive Gesamtentwicklung gesehen. Aus kinderpsychiatrischer Sicht erscheine dabei neben der absolut vertrauenswürdigen und belastbaren Beziehungserfahrung in der Pflegefamilie vor allem die aktuell unterstützende Haltung der Kindsmutter der Pflegesituation gegenüber maßgeblich für seine beginnende emotionale Stabilisierung verantwortlich zu sein. Auf Grund des fortgeschrittenen Alters der aktuellen Pflegeeltern müsse die innerfamiliäre Lösung der weiteren Betreuung des R. bei ihrer Tochter als ausgesprochen positive Lösung für eine kontinuierliche Betreuung ohne Beziehungsabbrüche gewertet werden. Eine ähnliche Intention – nämlich die kurzfristige Vermeidung von Beziehungsabbrüchen – ergibt sich auch aus dem Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 03.07.2020 in dem festgestellt wurde, dass sich die Situation des R. durch eine Herausnahme aus dem Haushalt keineswegs verbessern, sondern verschlechtern und zu weiterem Leid bei dem bereits stark belasteten Kind führen würde. Sobald R. mit seinen Pflegeeltern in Bayern und an seiner neuen Schule angekommen sei, könnten längerfristige Perspektiven für ihn mit einem ausreichend langem Vorlauf erarbeitet und das Kind hierauf vorbereitet werden (Widerspruchsakte, Bl. 243). Dass dies erfolgt ist, wurde seitens des Beklagten jedoch nicht vorgetragen. Stattdessen hat sich die Beziehung des R. zu den Klägern durch regelmäßigen Kontakt weiterhin verfestigt. Auch unterstützt die Kindsmutter den Verbleib des R. bei Frau H. und Herrn H. sowie den Klägern und betonte in der den Klägern am 01.05.2021 ausgestellten Vollmacht ausdrücklich, dass R. seinen Lebensmittelpunkt seit 2015 in diesen Familien habe und es auch so bleiben solle. Unter Berücksichtigung, dass die aktuellen Pflegeeltern bereits 72 und 68 Jahre alt sind (Protokoll, S. 7) und R. deswegen nicht weiter dauerhaft betreuen können, der Vermeidung eines Beziehungsabbruchs durch das gute Verhältnis der Kläger zu den aktuellen Pflegeeltern, der Kooperation und dem Verhältnis zur Kindsmutter, der bereits zwischen den Klägern und R. bestehenden Beziehung und gerade dem erzieherischen Fachwissen der Klägerin zu 2 ergibt die durch das Gericht zu treffende Prognoseentscheidung, dass genügend Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine positive Entwicklung des R. bei einer Aufnahme in den Haushalt der Kläger mit großer Sicherheit zu erwarten ist. Anderweitiges wurde durch den Beklagten im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht überzeugend dargelegt und bewiesen.
82
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 VwGO nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
83
IV. Die Zuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig, da die Kläger der rechtskundigen Unterstützung bedurften, um ihre Rechte und Ansichten gegenüber dem Beklagten ausreichend zu vertreten.