Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster
Normenketten:
BGB § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Da in Literatur und Rechtsprechung umstritten war, ob ein Thermofenster eine im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2007/715 unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht und hat der Fahrzeughersteller zum Zeitpunkt der Implementierung des Thermofensters die Zulässigkeit des Thermofensters aufgrund einer ohne weiteres vertretbaren, nicht per se von der Hand zu weisenden Argumentation bejaht, ist in dem Vorhandensein des Thermofensters jedenfalls keine verwerfliche, im Sinne des § 826 BGB sittenwidrige Handlung des Fahrzeughersteller erkennbar. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 288, Thermofenster, vertretbare Auslegung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 05.04.2023 – 37 U 5639/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47055
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 25.147,93 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht gegenüber der Beklagten Ansprüche im Rahmen des sog. „Abgasskandal“ geltend.
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Die Klagepartei erwarb von einem privaten Verkäufer im März 2020 ein Fahrzeug der Marke VW, Golf VII GTD 2.0 TDI mit dem Motortyp EA 288, EURO 6, Modelljahr 2015 und der FIN …79 zu dem Kaufpreis von: 22.000,00 EUR und einem Kilometerstand von 95.000 km. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Anlage K1 verwiesen. Der Kilometerstand im Zeitpunkt der Klage betrug 120.613 km.
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Die Finanzierung des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfolgte durch ein Darlehen bei der S. C. Bank AG zur Vertragsnummer 1...0 mit einem Gesamtdarlehensbetrag in Höhe von 28.783,33 EUR. Das vorgenannte Darlehensverhältnis läuft noch. Im Zeitpunkt der Klageerhebung hat die Klagepartei Darlehensraten in Höhe von insgesamt 7.675,33 EUR gezahlt.
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In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein NOx-Speicherkatalysator verbaut.
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Für das streitgegenständliche Fahrzeug existiert kein amtlicher Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) im Zusammenhang mit ihrem Emissionsverhalten – insbesondere nicht wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
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Am 30.06.2022 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 12.7706 km auf.
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Der Dieselmotor des streitgegenständlichen Fahrzeugs weise eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der VO (EG) 715/2007 auf. Das Fahrzeug sei so programmiert, dass es den NEFZ-Prüfzyklus erkenne. Diese Zykluserkennung veranlasse, dass die NOx-Emissionen anders und besser reduziert würden als im Normalbetrieb. Der Regenerationsprozess fände nur teilweise oder gar nicht statt.
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Per Software würde im Straßenbetrieb entsprechend für die Abgasreinigung nachteilig auf den Regenerationsprozess des NOx-Speicherkatalysators eingewirkt. Auf diese Weise würde die Lebensdauer des Partikelfilters verlängert, was für die Beklagte wirtschaftlich vorteilhaft sei.
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Die Betriebssoftware des Motors sei so gestaltet, dass sie anhand verschiedener Parameter (z.B. Entwicklung der Fahrgeschwindigkeit oder Fehlen von Lenkradbewegungen) sicher erkennen könne, ob das Fahrzeug den NEFZ durchlaufen würden oder ob es sich im Straßenbetrieb befände. Die Software schalte, sobald die Prüfstandsituation erkannt würde, in einen besonderen Modus mit einer optimierten Abgasaufbereitung, bei der möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstünden.
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Dabei habe sie durch Verschweigen von unzulässigen Abschalteinrichtungen gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) scheinbar zulässige Emissionswerte vorgespiegelt und sich die EG-Typengenehmigung erschlichen.
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Die Klagepartei hätte das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, wenn sie die Hintergründe gekannt hätte. Hierdurch sei ein Schaden entstanden. Dieser bestehe bereits in dem Abschluss des Kaufvertrags.
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Die Klagepartei ist der Ansicht, ein Anspruch auf Schadenersatz ergäbe sich aus § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EGFGV, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 UAbs. 2, Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 sowie aus § 831 BGB.
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Die Klägerseite hat den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 30.06.2022, bei Gericht am selben Tag eingegangen, teilweise für erledigt erklärt. Die Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen.
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Die Klägerseite beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 24.141,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …79 nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft und Übertragung des dem Kläger gegenüber der S. C. Bank AG zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.
2. Die Beklagte wird hilfsweise verurteilt, an den Kläger 4.848,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und den Kläger von weiteren Verbindlichkeiten in Höhe von 19.293,00 EUR aus dem Darlehensvertrag mit der Darlehensnummer 1...0 mit der S. C. Bank AG freizustellen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …79 nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft und Übertragung des dem Kläger gegenüber der S. C. Bank AG zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem vorgenannten Klageantrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.728,48 EUR freizustellen.
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung. Das KBA habe zahlreiche Fahrzeuge mit dem Motortyp EA288 untersucht. Das KBA sei zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass Fahrzeuge mit diesem Motoraggregat keine unzulässige Abschalteinrichtung enthielten. Der Vortrag der Klagepartei hierzu ist unsubstantiiert und erfolgt ins Blaue hinein.
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Eine Fahrkurvenerkennung als solche stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da sie zur Erhaltung des gesetzlichen Nox-Emissiongrenzwerte im Zeitpunkt der EG-Typengenehmigung nicht erforderlich war. Das Vorhandensein einer Fahrkurvenerkennung bei anderen Fahrzeugen mit dem Motortyp EA288 sei dem KBA bereits 2015 mitgeteilt worden.
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Das Gericht hat mit Beschluss vom 02.06.2022 mit Zustimmung der Parteien das schriftliche Verfahren angeordnet. Als Zeitpunkt, welcher der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, ist der 30.06.2022 bestimmt worden. Zur weiteren Ergänzung wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst den jeweiligen Anlagen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Kempten (Allgäu) sachlich gemäß §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gemäß § 32 ZPO zuständig. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klageparteiin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Schadensersatz zu, insbesondere bestehen keine Ansprüche gemäß §§ 826 BGB i.V.m. 31 BGB analog, nachdem eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung nicht hinreichend dargelegt wurde.
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Die Klage ist unbegründet, da der Klagepartei keine wie auch immer gearteten Ansprüche gegen die Beklagte zustehen.
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Der Klagepartei steht kein Anspruch gemäß § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB analog zu.
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Die Klagepartei trägt im Rahmen der genannten Anspruchsgrundlage die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen, nicht im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 2007/715 notwendigen Abschalteinrichtung. Die Klagepartei muss also darlegen und beweisen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug jedenfalls eine von ihm behauptete, unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist und die Beklagte durch die Verwendung einer solchen Abschalteinrichtung die Klagepartei vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat.
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Einen solchen Nachweis hat die Klagepartei nicht zur Überzeugung des Gerichts geführt. Die Beklagte zu Recht darauf, dass auf der Grundlage des klägerischen Vortrags keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beim hier streitgegenständlichen, also konkret durch den Kläger erworbenen Fahrzeug bestehen.
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Hinsichtlich der Anforderungen an einen Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs wird auf die folgenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 28.01.2020, Aktenzeichen VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Bezug genommen:
„Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934 Rn. 43; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 Rn. 6 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 11 m.w.N.). Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (BGH NJW-RR 2017, 22 Rn. 27). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa BGH WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939, jew. m.w.N.).
Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (stRspr; vgl. BGH NJW-RR 2004, 337 unter II 1 m.w.N.; Beschl. v. 9.11.2010 – VIII ZR 209/08, BeckRS 2010, 29314 Rn. 15). Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich – wie hier der Kl. – nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 13). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (stRspr; vgl. etwa BGH NJW-RR 2004, 337; NZG 2016, 658 = WM 2016, 974 Rn. 20; Beschl. v. 9.11.2010 – VIII ZR 209/08, BeckRS 2010, 29314; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 13, jew. mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH NJW-RR 2004, 337 m.w.N.).“
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1. Gemessen an diesen Anforderungen stellen die Behauptungen der Klagepartei hinsichtlich unzulässiger Abschalteinrichtungen als Behauptungen „ins Blaue hinein“ dar.
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aa) Die Klagepartei trägt keine Anhaltspunkte vor, weshalb sie der Auffassung ist, dass in dem Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung in Bezug auf den Umfang des mengenmäßigen Abgasausstoßes während des Betriebs auf einem Prüfstand verbaut ist. Darüber hinaus werden auch keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen, dass die öffentlich-rechtliche Zulassung zum Betrieb des Motors in Verkehr erschlichen worden ist, obwohl die dazu erforderliche Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte nicht gegeben war.
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Die Klagepartei trägt nicht vor, dass vom Kraftfahrtbundesamt ein Rückruf der Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs angeordnet worden ist, weil die gesetzlich geforderten Abgasgrenzwerte für die Zulassung zum Verkehr tatsächlich nicht eingehalten werden und die Zulassung zum öffentlichen Verkehr durch das Kraftfahrtbundesamt aufgrund der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für den normalen Betrieb während des Prüfzyklus ist auf dem Prüfstand gesetzeswidrig erschlichen wurde oder zumindest das Kraftfahrtbundesamt dies noch tun wird, weil es zum Beispiel noch nicht zu einer Prüfung unter dem spezifischen Gesichtspunkt einer den Prüfstand erkennenden Abschalteinrichtung in der Software Zeit gefunden hat. Es wird auch nicht vorgetragen, dass überhaupt ein Rückruf des gegenständlichen Fahrzeugtyps oder andere Maßnahmen angeordnet wurden, weil die Abgaswerte im täglichen Betrieb die gesetzlich vorgegebenen Werte nicht einhalten.
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Darüber hinaus wird lediglich pauschal vorgetragen, es habe für einige Fahrzeuge mit einem EA288 Motor Rückrufe gegeben. Dieser Vortrag erfolgt jedoch ohne konkreten Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug und ein Eingehen auf den substantiierten Vortrag der Beklagten. So trägt die Klagepartei vor, dass das KBA einen verpflichtenden Rückruf von VW T6 Fahrzeugen mit einem EA Motor 288 mit dem Herstellercode „23Z7“ angeordnet habe. Dabei bleibt völlig unklar, worin der Bezug zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug, einem VW Golf, liegen soll. Für das hier streitgegenständliche Fahrzeug wurde der Motor weder durch das KBA noch durch das Bundesministerium für Verkehr beanstandet und war auch nicht von Rückrufaktionen betroffen. In dem Bericht der Untersuchungskommission heißt es dazu: „Hinweise, die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 (Euro 6) seien ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen, haben sich hierbei auf Grundlage der Überprüfungen als unbegründet erwiesen.“ Auch nach der Einreichung der Klage ist seitens des KBA noch keine Rückrufaktion oder sonstige Maßnahme betreffend das klägerische Fahrzeug vorgenommen oder zumindest angekündigt worden ist.
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Dies spricht dagegen, dass die Behörde sich hinsichtlich dieses Fahrzeugtyps getäuscht sieht oder aus sonstigen Gründen von einer Rechtswidrigkeit der erteilten Typengenehmigung ausgeht und deshalb Beschränkungen drohen.
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Die Klagepartei trägt konsequenterweise auch nicht vor, dass von ihr entweder durch das Kraftfahrtbundesamt oder durch die Beklagte gefordert wurde, ihr Fahrzeug in eine Werkstatt zu bringen, damit eine die unzulässige Abschalteinrichtung behebende Software aufgespielt wird.
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Sieht also die zuständige Behörde die Funktionsweise des Motors als zulässig an, sind die Fahrzeughalter nicht der Gefahr einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung ausgesetzt (OLG Brandenburg Hinweisbeschluss v. 20.4.2020 – 1 U 103/19, BeckRS 2020, 10519 Rn. 20, beck-online).
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bb) Dass der Vortrag der Klagepartei offenbar nicht auf das streitgegenständliche Fahrzeug zugeschnitten ist und damit unsubstantiiert, zeigt sich auch daran, dass im Rahmen der Klageschrift zur Rückrufmaßnahme bei den Fahrzeugen VW Tiguan, Audi A6 und zu Manipulationen im Hinblick auf den SCR Katalysator vorgetragen wird, obwohl streitgegenständlich ein VW Golf ist, der unstrittig nicht über einen solchen verfügt. Aus welchen Gründen die Ausführungen auch auf einen VW Golf mit NOx-Speicherkatalysator zutreffen sollen, wird nicht dargelegt.
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cc) Auch der weitere Vortrag zu unzulässigen Abschalteinrichtungen lässt nach den dargestellten Grundsätzen des BGH ausreichend substantiierten Vortrag vermissen.
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Die Klagepartei kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Ausführungen des BGH zur Substantiierungspflicht und zum Vortrag ins Blaue hinein im Beschluss vom 28.01.2020, Az, VIII ZR 57/19 stützen. „Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist“ (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az, VIII ZR 57/19). Genau dies ist angesichts obiger Ausführungen der Fall.
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Der klägerische Vortrag hinsichtlich des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung ist demnach ins Blaue hinein aufgestellt, unbeachtlich und rechtfertigt keine Beweiserhebung, sodass die Klagepartei den Nachweis einer sittenwidrigen Handlung nicht erbracht hat.
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2. Unabhängig von der Frage, ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein sogenanntes Thermofenster verbaut ist, kommt es hierauf nicht an, da das Vorhandensein eines Thermofensters jedenfalls nicht den Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung erfüllt. Allein das Vorliegen eines pflichtwidrigen Handelns genügt nicht, sondern vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit hinzutreten.
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Unter Berücksichtigung dessen kann das Vorhandensein eines Thermofensters nicht den Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Täuschung erfüllen.
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Dies macht ein Vergleich zur Umschaltlogik, wie sie vom Motor-Typ EA189 bekannt ist, deutlich. Bei der in EA189-Motoren verbauten Umschaltlogik erkennt das Fahrzeug, wenn es auf dem Prüfstand für den NEFZ ist, und schaltet hier in einen anderen Abgasrückführungsmodus als außerhalb einer solchen Prüfstandssituation. Das Abgasreinigungsverhalten auf dem Prüfstand war damit stets ein anderes als im normalen Fahrbetrieb. Dies wurde jedoch weder gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt noch gegenüber den Erwerbern der Fahrzeuge offengelegt, sodass bis zum Bekanntwerden der Implementierung dieser Software sowohl das Kraftfahrt-Bundesamt als auch der Verbraucher davon ausgehen konnte und durfte, dass im Grundsatz das Abgasreinigungsverhalten im normalen Fahrbetrieb demjenigen auf dem Prüfstand entspricht, was jedoch nicht der Fall war. Hingegen ist die Situation beim Thermofenster eine andere. Die Klagepartei behauptet nicht, dass das Thermofenster sich auf dem Prüfstand anders verhält als im normalen Fahrbetrieb. Vielmehr ist der Vortrag lediglich, dass ein solches Thermofenster verbaut ist und aufgrund dessen in bestimmten Temperaturbereichen keine oder eine geringere Abgasreinigung stattfinde. Damit ist für das vorliegende Verfahren jedoch zugrunde zu legen, dass sich das Thermofenster auf dem Prüfstand genauso verhält wie im normalen Fahrbetrieb. Ein „Schummeln“ wie bei der Umschaltlogik des EA189 Motors ist in Bezug auf das Thermofenster somit nicht gegeben, sodass auch keine gegebenenfalls als sittenwidrig zu qualifizierende Verschleierung gegeben ist. Dass und welche Angaben die Beklagte im Hinblick auf das Thermofenster gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt falsch oder nicht gemacht haben soll, wurde klägerseits nicht dargestellt. Die Beklagte führt dagegen aus, dass dem KBA die temeraturbasierte Abgasrückführung seit Jahren bekannt sei und dass dem KBA alle für das Verfahren nötigen Angaben in der erforderlichen Form gemacht wurden. Eine arglistige Täuschung scheidet jedenfalls hinsichtlich Tatsachen aus, über die das KBA keine Angaben erwartet und auch keine entsprechenden Nachfragen stellt.
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Weiterhin ist hinsichtlich des Thermofensters zu berücksichtigen, dass in Literatur und Rechtsprechung umstritten war, ob ein Thermofenster eine im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2007/715 unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Die Beklagte führt an, dass die Verwendung des Thermofensters aus Gründen des Motorschutzes und des sicheren Fahrzeugbetriebs technisch erforderlich sei und stützt sich insoweit auf Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) der VO (EG) Nr. 2007/715, in der diese Zielrichtung unionsrechtlich ausdrücklich anerkannt ist und das allgemeine Verbot des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 2007/715 begrenzt. Die Bestimmungen sind jedoch nicht so unmissverständlich und eindeutig formuliert, dass ein Thermofenster eindeutig und für jedermann auf den ersten Blick erkennbar unzulässig ist. Vielmehr können Motorschutz und sicherer Fahrzeugbetrieb ernsthaft und vertretbar als Rechtfertigung für die Implementierung eines Thermofensters angeführt werden. Selbst, wenn nun im Nachhinein das Thermofenster von der Klagepartei oder von einem Gericht als unzulässig im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2007/715 qualifizieren werden würde, wäre zu beachten, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Implementierung des Thermofensters die Zulässigkeit des Thermofensters aufgrund einer ohne weiteres vertretbaren, nicht per se von der Hand zu weisenden Argumentation bejaht hat, sodass in dem Vorhandensein des Thermofensters jedenfalls keine verwerfliche, im Sinne des § 826 BGB sittenwidrige Handlung der Beklagten erkennbar ist. Insoweit wird auch auf OLG München, Urteil vom 01.07.2020, Az. 27 U 6782/19 m.w.N. verwiesen.
41
Der Klagepartei stehen auch keine Ansprüche aus § 831 BGB zu, da es, wie unter II. dargestellt, an einer hinreichenden Darlegung für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung fehlt.
42
Der Klagepartei stehen auch keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu, da vor dem Hintergrund des fehlenden Nachweises eines sittenwidrigen täuschenden Verhaltens der Beklagten kein Raum für eine deliktische Haftung der Beklagten nachweisbar ist.
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Der Klagepartei steht auch kein Anspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV zu, da es sich bei §§ 6, 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB handelt (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 11.05.2020, BeckRS 2020, 9863).
44
Die geltend gemachten Nebenansprüche teilen das Schicksal der Hauptforderung.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
46
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S.1, 2 ZPO