Inhalt

VG München, Urteil v. 15.12.2022 – M 10 K 20.6307
Titel:

Rechtmäßigkeit einer Kurbeitragssatzung: Bestimmtheitsgebot bei Abgrenzung verschiedener Kurbezirke; pauschaler Jahreskurbeitrag für Zweitwohnungsinhaber

Normenketten:
VwGO § 81 Abs. 1 S. 1
KAG Art. 7
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:
1. Ist es für den Normunterworfenen aufgrund der Eigenart des zu regelnden Sachgebiets und des konkreten Einzelfalls klar, wie die Zuordnung zu den Kurbezirken I und II einer gemeindlichen Kurbeitragssatzung ist, weil die derzeit im Gemeindegebiet vorhandene Bebauung abseits der Grenzlinie der Kurbezirke liegt - der Bereich der Grenzlinie sowie die angrenzenden Flächen waren nicht bebaut, sondern es befinden sich dort nur Gewässer, Wald und Gebirge - genügt dies den Anforderungen an das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot.(Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Aufenthalt aus familiären Gründen und zu Wohnzwecken schließt die Kurbeitragspflicht nicht aus. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Teilweise Unzulässigkeit der Klage, Keine schriftformwahrende Klageerhebung eines Ehegatten innerhalb der Klagefrist, Pauschaler Jahreskurbeitrag für Zweitwohnungsinhaber, Abgrenzung der Kurbezirke in Karte, Keine gesonderte Ausfertigung der Karte, Gedankliche Schnur zwischen Satzungstext und Karte, Bestimmtheit der Abgrenzung der Kurbezirke, Faktisches Vollzugsdefizit bei Tagesgästen, Aufenthalt im Kurgebiet aus familiären Gründen sowie zu Wohnzwecken, teilweise Unzulässigkeit der Klage, keine schriftformwahrende Klageerhebung eines Ehegatten innerhalb der Klagefrist, pauschaler Jahreskurbeitrag für Zweitwohnungsinhaber, keine gesonderte Ausfertigung der Karte, gedankliche Schnur zwischen Satzungstext und Karte, faktisches Vollzugsdefizit bei Tagesgästen, Kurbeitrag, Jahreskurbeitrag, Zweitwohunungsinhaber, Wohnzwecke, familiäre Gründe, Grenzlinie, Bestimmtheitsgebot, Abgrenzung, verschiedene Kurbezirke, unbebautes Gebiet, Kurbeitragspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2022, 47017

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zum pauschalen Jahreskurbeitrag für Zweitwohnungsinhaber durch die Beklagte.
2
Die Kläger sind Eheleute und mit Hauptwohnung in … gemeldet. Sie sind Eigentümer einer Zweitwohnung in der …straße 2 im Gemeindegebiet der Beklagten.
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Die Beklagte ist ein anerkannter Luftkurort. Sie erhebt aufgrund ihrer Satzung für die Erhebung eines Kurbeitrages (Kurbeitragssatzung – KBS) vom 28. Oktober 2019 einen Kurbeitrag nach § 1 KBS für Personen, die sich zu Kur- oder Erholungszwecken im Kurgebiet der Gemeinde aufhalten, ohne dort ihre Hauptwohnung im Sinne des Melderechts zu haben, und denen die Möglichkeit zur Benutzung der Kureinrichtungen und zur Teilnahme an den Veranstaltungen geboten wird. Das Kurgebiet ist nach § 2 Abs. 2 KBS in zwei Kurbezirke unterteilt, deren genaue Abgrenzung sich durch Eintragung einer Grenzlinie in einer Karte im Maßstab 1:100.000 ergibt, die Bestandteil der Satzung ist. Nach § 7 Abs. 1 KBS haben Personen, die eine zweite oder weitere Wohnung in der Gemeinde innehaben und die nach § 1 KBS kurbeitragspflichtig sind, einen jährlichen pauschalen Kurbeitrag zu entrichten. Dieser beträgt nach § 7 Abs. 2 KBS im Kurbezirk I 75 EUR, im Kurbezirk II 65 EUR.
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Auf Aufforderung der Beklagten gab der Kläger mit Schreiben vom 3. Mai 2020 zur Nutzung der Zweitwohnung Auskunft: Die Zweitwohnung werde ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt. Seine Ehefrau und er seien nie zu Kur- oder Erholungszwecken im Gemeindegebiet und nutzten „Läden, Einrichtungen oder Veranstaltungen so wie üblich, nämlich gegen entsprechende Entgelte“. Grund für ihre Aufenthalte im Gemeindegebiet sei, dass ihre Tochter mit ihrer Familie in G. wohne. Sie wohnten daher zeitweise im Gemeindegebiet, um Zeit für die Familie (insbesondere Kinderbetreuung, Familienhilfe) zu haben. Dies sei keine Erholung.
5
Mit Bescheid vom 2. Juli 2020 zog die Beklagte die Kläger als Zweitwohnungsinhaber zu einem pauschalen Jahreskurbeitrag für das Jahr 2020 in Höhe von 75 EUR pro Person, insgesamt 150 EUR, heran. Ferner wurde angeordnet, dass für 2021 und die Folgejahre ebenso Zahlungen zu leisten seien, und hierfür ein Fälligkeitstag sowie der jeweils fällige Betrag festgesetzt.
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Mit Schreiben vom 5. Juli 2020, das als Absender den Kläger angibt, lediglich vom Kläger unterschrieben ist und bei der Beklagten am 8. Juli 2020 einging, wurde Widerspruch erhoben. Zur Begründung wurde auf das Schreiben vom 3. Mai 2020 verwiesen. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2020 ergänzte der Kläger seinen Vortrag auf Nachfrage dahingehend, dass seine Frau und er ihre 3-jährige Enkelin nicht beaufsichtigen müssten, sondern dies „auch“ machten, wenn sie im Gemeindegebiet seien.
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Nach Nichtabhilfe und Vorlage des Widerspruchs an die Widerspruchsbehörde wies das Landratsamt … … mit Bescheid vom 10. November 2020, den Klägern ausweislich der Postzustellungsurkunde am 11. November 2020 zugestellt, den Widerspruch zurück. Auf die Gründe des Bescheids wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 28. November 2020, das in den Absenderangaben die Namen beider Ehegatten nennt, aber nur vom Kläger unterschrieben worden ist, und das am 3. Dezember 2020 bei dem Verwaltungsgericht München eingegangen ist, haben die Kläger („wir“) Klage erhoben. Es wird sinngemäß beantragt,
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den Bescheid vom 2. Juli 2020 sowie den Widerspruchsbescheid vom 11. November 2020 aufzuheben.
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Zur Begründung wird vorgetragen, dass in § 1 KBS abschließend definiert sei, welcher Personenkreis zu Beiträgen herangezogen werden könne. Es gebe auch Personen, die sich nicht zu Kur- oder Erholungszwecken im Gemeindegebiet aufhielten, zum Beispiel um eine Gaststätte zu besuchen oder (wie die Kläger) „zeitweilig schlicht ihren Nachtschlaf zu genießen“. Irrelevant sei, dass diese Personen natürlich auch die Möglichkeit zur Nutzung der gemeindlichen Einrichtungen hätten. § 7 Abs. 1 KBS beziehe sich gerade auf § 1 KBS, so dass es auch Personen geben müsse, die zwar Zweitwohnungsinhaber, aber nicht kurbeitragspflichtig seien. Die Gemeinde wolle offensichtlich alle Zweitwohnungsinhaber satzungswidrig pauschal zum Kurbeitrag heranziehen. Wegen des Aufenthaltszwecks der Kläger wird auf das Schreiben vom 3. Mai 2020 verwiesen. Jedenfalls sei die Satzung nicht rechtmäßig. Der Umgang mit Tagesgästen werde in der Satzung nicht geregelt. Insoweit bestehe ein erhebliches Vollzugsdefizit. Übernachtungsgäste und Zweitwohnungsinhaber würden zum Kurbeitrag herangezogen; dies gelte jedoch nicht für die zahlreichen Tagesgäste, die sich aber gerade zu Kur- oder Erholungszwecken im Gemeindegebiet aufhielten. Dies verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
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Auf richterlichen Hinweis haben die Kläger in einem von beiden unterschriebenen Schreiben vom 14. Dezember 2020, eingegangen am 21. Dezember 2020, bestätigt, dass die Klage von beiden Ehegatten erhoben werde. Insofern werde die Klageerhebung durch den Kläger von der Klägerin genehmigt. Im Übrigen werde auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2021 beantragt die Beklagte:
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Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Kläger kurbeitragspflichtig im Sinne des § 1 KBS seien. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) spreche eine widerlegliche Vermutung für den Kuraufenthalt, wenn die Umstände des Verweilens im Gemeindegebiet nicht genau feststellbar seien, z.B. bei einem Aufenthalt aus beruflichen oder familiären Gründen. Diese Vermutung hätten die Kläger vorliegend nicht widerlegt. Der Vortrag, sich zu familiären Besuchs- und Wohnzwecken aufzuhalten, lasse keinen Aufenthaltszweck erkennen, der die Kurbeitragspflicht ausschließe. Dieser Zweck stehe im Übrigen der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Erholungseinrichtungen nicht entgegen. Die Beklagte sei gemäß der Rechtsprechung des BayVGH auch nicht zur Erhebung des Kurbeitrags von ihren Tagesgästen verpflichtet. Im vorliegenden Fall gebe es einen rechtfertigenden Grund für die unterschiedliche Behandlung von Tages- und Übernachtungsgästen, da die Beklagte ihre Übernachtungsgäste mithilfe der Beherbergungsbetriebe und damit ohne wesentlichen Verwaltungsaufwand erfassen könne. Diese verfahrensmäßige Erleichterung könne bei Tagesgästen nicht greifen, da im Kurgebiet keine Kuranstalten vorhanden seien. Eine Beitragserhebung bei Tagesgästen würde auch angesichts der Geringfügigkeit des Jahreskurbeitrags zu einer unverhältnismäßigen Belastung der Beklagten führen, was einen sachlichen Differenzierungsgrund darstelle, der eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ausschließe. Im Übrigen werde auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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Auf gerichtliche Nachfrage vom 22. Juni 2022 hat die Beklagte die Satzungsunterlagen im Original sowie einen Beschlussbuchauszug über die Gemeinderatssitzung vom 28. Oktober 2019 in Kopie übermittelt. Mit Schriftsatz vom 25. August 2022 hat sie zu den gerichtlichen Fragen ausgeführt, dass die notwendige Verbindung zwischen Text der Kurbeitragssatzung und der die Abgrenzung der Kurbezirke beinhaltenden Anlage (Karte) nicht bereits deshalb fehle, weil die Anlage nicht gesondert ausgefertigt worden sei. Es sei ausreichend, dass – wie hier – zwischen dem Text der Kurbeitragssatzung und der Anlage eine „gedankliche Schnur“ bestehe. Die Anlage nehme durch ihre Überschrift unmissverständlich Bezug auf die Satzung und im Satzungstext sei die Karte erwähnt. Durch die Anlage werde der räumliche Geltungsbereich der Kurbeitragssatzung auch hinreichend bestimmt festgelegt. Im Bereich der zur Abgrenzung der Kurbezirke in der Karte gezogenen Grenzlinie befinde sich in Natur keinerlei relevante Bebauung, die eine Kurbeitragspflicht auslösen könne. Aus den vorgelegten Luftbildern ergebe sich, dass sich im Bereich der Grenzlinie nur Gewässer, Wald und Gebirge befänden. Bei der Festlegung des pauschalen Jahreskurbeitrags in § 7 KBS habe die Beklagte auf (teilweise) Befreiungen für Schwerbehinderte wie in § 4 Abs. 2 und Abs. 3 KBS verzichtet. Bei der Regelung solcher Befreiungen habe die Beklagte einen weiten Ermessensspielraum. Ein Rechtsanspruch auf derartige Befreiungen bestehe nicht. Sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung sei die Pauschalierung des Jahreskurbeitrags für Zweitwohnungsinhaber, die der Verwaltungsvereinfachung dienen solle.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klagen kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
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Die Klagen bleiben erfolglos. Die Klage der Klägerin ist bereits unzulässig; diejenige des Klägers ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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1. Die Klage der Klägerin ist unzulässig, da die Klägerin innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht formgerecht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO schriftlich Klage erhoben hat.
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a) Die Klageschrift vom 28. November 2020, die am 3. Dezember 2020 bei Gericht eingegangen ist, wahrt zwar die (bis 11.12.2020 laufende) Klagefrist, enthält aber keine schriftformwahrende Klageerhebung durch die Klägerin. Auch wenn ausweislich der Absenderangaben sowie der Formulierung der Klageschrift („wir“) beide Kläger Klage erheben wollten, ist die Klageschrift lediglich vom Kläger, nicht aber von der Klägerin unterschrieben worden.
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b) Die Genehmigung der Klageerhebung durch die Klägerin vom 14. Dezember 2020 genügt zwar den Anforderungen an die Schriftform, ging jedoch erst am 21. Dezember 2020 und damit nach Ablauf der Klagefrist bei Gericht ein. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
22
Auf die Einhaltung der Klagefrist kommt es vorliegend auch entscheidend an, da es um die Wahrung der Schriftform geht. Es geht nicht um eine – auch außerhalb der Klagefrist mögliche – nachträgliche Genehmigung einer Klageerhebung eines ohne Vertretungsmacht handelnden Vertreters (vgl. § 177 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Denn der Kläger wollte nicht als Vertreter für seine Ehefrau Klage erheben, wie sich aus der Formulierung der Klageschrift ergibt.
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2. Die Klage des Klägers ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … … vom 10. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
24
a) Rechtsgrundlage für die Erhebung des pauschalen Jahreskurbeitrags durch die streitgegenständlichen Bescheide ist die Kurbeitragssatzung der Beklagten vom 28. Oktober 2019.
25
Diese Kurbeitragssatzung beruht auf Art. 7 Kommunalabgabengesetz (KAG). Gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 KAG können Gemeinden, die ganz oder teilweise u.a. als Luftkurort anerkannt sind, im Rahmen der Anerkennung zur Deckung ihres Aufwands für Einrichtungen und Veranstaltungen, die Kur- oder Erholungszwecken der Kurgäste dienen, einen Beitrag erheben. Danach ist die beklagte Gemeinde als Luftkurort grundsätzlich befugt, einen Kurbeitrag zu erheben.
26
Die Kurbeitragssatzung ist auch formell und materiell rechtmäßig.
27
aa) Die Kurbeitragssatzung ist formell wirksam. Fehler im Satzungserlassverfahren sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Erste Bürgermeister fertigte die am 28. Oktober 2019 durch den Gemeinderat einstimmig beschlossene Kurbeitragssatzung am gleichen Tag gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Gemeindeordnung (GO) aus. Die amtliche Bekanntmachung im Sinne von Art. 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 GO erfolgte durch Niederlegung im Rathaus sowie durch Bekanntgabe dieser Niederlegung durch Anschlag an den Amtstafeln der Beklagten im Zeitraum vom 30. Oktober bis 19. November 2019. Die Satzung trat am 1. November 2019 in Kraft.
28
Der formellen Wirksamkeit der Kurbeitragssatzung steht nicht entgegen, dass ihre Anlage, die Karte zur Abgrenzung der Kurbezirke, die Bestandteil der Satzung ist, nicht gesondert ausgefertigt worden ist, wie sich aus den originalen Satzungsunterlagen ergibt und von der Beklagten eingeräumt wurde.
29
Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs muss eine Karte, die zum Normbestandteil wird, eindeutig bestimmbar sein. Dies erfordert im Regelfall eine gesonderte Ausfertigung der Karte. Eine fehlende gesonderte Ausfertigung ist jedoch unschädlich, wenn Zweifel an der Identität der in Bezug genommenen Karte auf andere Weise ausgeschlossen sind. Dies ist dann der Fall, wenn alle Seiten der Satzung fest miteinander verbunden sind oder wenn zwischen dem ausgefertigten Teil der Satzung und der nicht ausgefertigten Anlage eine „gedankliche Schnur“ besteht (vgl. statt vieler: BayVGH, B.v. 20.1.2021 – 15 CS 20.2892 – juris Rn. 19 ff.; B.v. 25.4.2002 – 1 ZB 00.859 – juris Rn. 12 jew. m.w.N.).
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Diesen Anforderungen genügt die Kurbeitragssatzung hier, weil nach der vorgelegten originalen Satzungsurkunde der ausgefertigte Satzungstext mit der nicht ausgefertigten Anlage durch eine Heftklammer körperlich fest verbunden ist. Jedenfalls besteht eine hinreichende „gedankliche Schnur“ zwischen ausgefertigtem Satzungstext und der nicht ausgefertigten Karte. Denn die Karte hat die Überschrift „Anlage zur Kurbeitragssatzung der Gemeinde … vom 28. Oktober 2019 – Abgrenzung der Kurbezirke“ und im Satzungstext wird in § 2 Abs. 2 KBS auf die Karte als Bestandteil der Satzung Bezug genommen (s. zu einer vergleichbaren Konstellation: BayVGH, U.v. 5.10.2021 – 15 N 21.1470 – juris Rn. 42; vgl. auch: BayVGH, B.v. 25.4.2002, a.a.O., Rn. 13).
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bb) Die Kurbeitragssatzung ist materiell rechtmäßig.
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(1) Trotz gewisser Unschärfen lässt sich die räumliche Abgrenzung der Kurbezirke I und II aus § 2 Abs. 2 KBS in Verbindung mit der der Satzung als Anlage beigefügten Karte hinreichend bestimmt entnehmen.
33
Im vorliegenden Fall werden die räumlichen Geltungsbereiche der Kurbezirke I und II in der Satzung nicht textlich umschrieben. Es wird in § 2 Abs. 2 KBS lediglich auf eine Karte verwiesen, in die zur Abgrenzung der Kurbezirke eine Grenzlinie eingetragen und die Bestandteil der Satzung ist. Die Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs der verschiedenen Kurbezirke durch Eintragung einer Grenzlinie in einer Karte ist grundsätzlich zulässig (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1994 – 4 C 2.94 – juris).
34
Allerdings erfordert das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG), dass der räumliche Geltungsbereich der verschiedenen Kurbezirke, an die unterschiedliche Beitragssätze geknüpft werden (§ 4, § 7 KBS), eindeutig bestimmt wird. Denn eine Norm, der nicht eindeutig entnommen werden kann, wo sie gilt, lässt den Betroffenen über die Rechtslage im Unklaren. Aus dem Inhalt der Vorschrift muss sich mit ausreichender Bestimmtheit ermitteln lassen, was von den pflichtigen Personen verlangt wird. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift lässt noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit entfallen. Das Ausmaß der geforderten Bestimmtheit lässt sich dabei nicht allgemein festlegen. In erster Linie ist die Eigenart des zu regelnden Sachgebiets maßgebend (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 16.6.1994, a.a.O.; BayVGH, U.v. 28.11.2008 – 22 N 05.332, 22 N 05.3310 – juris Rn. 14).
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Diesen rechtsstaatlichen Erfordernissen wird § 2 Abs. 2 KBS in Verbindung mit der Karte mit Blick auf die Eigenart des zu regelnden Sachgebiets (noch) gerecht.
36
Zwar hat die Karte einen sehr kleinen Maßstab (1:100.000), was eine Zuordnung der Flächen zu den verschiedenen Kurbezirken entlang der gezogenen Grenzlinie schwierig machen dürfte. In der Mustersatzung für die Erhebung eines Kurbeitrags (Bek. des BayStMI v. 22.10.1974, Az.: IB4-3024-44/2, MABl. 1974 S. 815, zuletzt geändert durch Bek. v. 11.9.1985, MABl. S. 502) wird bei Abgrenzung des Kurgebiets in einer Karte empfohlen, eine Karte im Maßstab 1:25.000 zu verwenden. Auch Art. 51 Abs. 2 Satz 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz verlangt bei der Verwendung einer Karte zur Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs einer Verordnung eine Karte im Maßstab von mindestens 1:25.000. Hinzu kommt im konkreten Fall, dass die Grenzlinie in der Karte sehr breit eingetragen ist, nämlich ca. 0,25 cm (vgl. die Karte der originalen Satzungsurkunde). Dies entspricht bei dem gewählten Maßstab in Wirklichkeit einem Bereich mit einer Breite von 250 m, der weder dem Kurbezirk I noch dem Kurbezirk II zugeordnet werden kann. Überdies sind „Anfangs- und Endpunkt“ der Grenzlinie nicht in der Satzung anhand topographischer Gegebenheiten definiert. Insbesondere für einen nicht ortskundigen Normadressaten dürfte daher die Abgrenzung der Kurbezirke entlang bzw. im Bereich der gezogenen Grenzlinie nur schwer nachvollziehbar sein.
37
Aber nach den von der Beklagten mit Schriftsatz vom 25. August 2022 vorgelegten Luftbildern, in denen die Grenzlinie eingetragen ist, sind der Bereich der Grenzlinie sowie die angrenzenden Flächen nicht bebaut. In diesem Bereich befindet sich nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten, der sich mit den Luftbildern deckt, nur Gewässer, Wald und Gebirge. Die derzeit im Gemeindegebiet vorhandene Bebauung, insbesondere in den Ortsteilen, befindet sich eindeutig abseits der gezogenen Grenzlinie, so dass im Ergebnis für den Normunterworfenen klar ist, wie die Zuordnung zu den Kurbezirken I und II ist. Angesichts der Eigenart des zu regelnden Sachgebiets und des konkreten Einzelfalls genügt dies den Anforderungen an das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Strengere Anforderungen, wie etwa eine parzellenscharfe Abgrenzung der Geltungsbereiche, die beispielsweise für Bebauungspläne verlangt werden, sind hier mit Blick auf die geschilderten tatsächlichen Gegebenheiten nicht zu stellen (so aber: VGH Baden-Württemberg, B.v. 23.4.1992 – 14 S 802/90 – juris für eine Kurtaxsatzung, bei der allerdings – anders als hier – die Abgrenzung der Kurzonen durch bewohntes Gebiet verlief).
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(2) Die Kurbeitragssatzung der Beklagten vom 28. Oktober 2019 ist nicht wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nichtig. Der klägerseits vorgebrachte Einwand, der Umgang mit Tagesgästen sei in der Satzung nicht geregelt, weswegen diese anders als Übernachtungsgäste und Zweitwohnungsinhaber in gleichheitswidriger Weise nicht zum Kurbeitrag herangezogen würden, greift nicht durch.
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aa) Dies ergibt sich zum einen daraus, dass Tagesgäste ebenso wie Übernachtungsgäste und Zweitwohnungsinhaber grundsätzlich unter den Voraussetzungen des § 1 Satz 1 KBS kurbeitragspflichtig sind. Denn § 1 Satz 1 KBS, der dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 Satz 1 KAG entspricht, differenziert nicht nach Tages- und Übernachtungsgästen (vgl. hierzu: BayVGH, U.v. 1.8.2016 – 4 BV 15.844 – juris Rn. 25).
40
bb) Zum anderen ist nach ständiger Rechtsprechung die faktisch unterschiedliche Behandlung von Übernachtungsgästen (§ 6 KBS) und Zweitwohnungsinhabern (§ 7 KBS) einerseits und Tagesgästen andererseits sachlich gerechtfertigt, wenn – wie hier nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Beklagten – keine abgrenzbaren bzw. tatsächlich abgegrenzten Kureinrichtungen oder Veranstaltungen im Gemeindegebiet vorhanden sind. Denn dann ist der Gemeinde ein Vollzug der Satzung für Tagesgäste in zumutbarer Weise nicht möglich. Es besteht für die Erfassung der Tagesgäste angesichts der Infrastruktur der Gemeinde kein geeigneter Anknüpfungspunkt (vgl. hierzu: BayVGH, U.v. 1.8.2016, a.a.O., Rn. 26 ff.; BayVGH, U.v. 30.9.2016 – 4 N 14.546 – juris Rn. 39). Etwas Anderes ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass Tagesgäste nach der Satzung nicht verpflichtet sind, ihren Aufenthalt zu melden (§ 5 KBS) und diese Konzeption die tatsächliche Erfassung der Tagesgäste erschwert. Aus praktischen Vollzugsschwierigkeiten ist dies rechtlich nicht zu beanstanden, zumal hierdurch die rechtliche Kurbeitragspflicht nach § 1 KBS unberührt bleibt (vgl. hierzu: BayVGH, U.v. 30.9.2016, a.a.O., Rn. 38 f.).
41
(3) Die pauschale Erhebung eines Jahreskurbeitrags für Zweitwohnungsinhaber gemäß § 7 KBS ist rechtlich zulässig (vgl. grundlegend hierzu: BayVGH, U.v. 13.8.1999 – 4 B 97.973 – juris; zu einer – abgesehen von der Einbeziehung von Ehegatten und Kindern – im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelung: BayVGH, U.v. 30.9.2016, a.a.O.). Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 7 Abs. 2 Satz 5 KAG. Die Beklagte hat sich bei der Höhe des pauschalen Jahreskurbeitrags auch an der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer eines Zweitwohnungsinhabers im Gemeindegebiet orientiert. Sie hat dabei 50 Tage zugrunde gelegt, was vorliegend weder gerügt worden ist noch unangemessen erscheint (zur Zulässigkeit der Annahme einer Aufenthaltsdauer von 50 Tagen: BayVGH, U.v. 13.8.1999, a.a.O., Rn. 35 ff. und von 46 Tagen: BayVGH, U.v. 30.9.2016, a.a.O., Rn. 53 ff.).
42
(4) Die Staffelung der Kurbeitragssätze gemäß § 4 Abs. 2, Abs. 3 KBS, § 7 Abs. 2 KBS ist rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass für den Kurbezirk I höhere Beitragssätze als für den Kurbezirk II verlangt werden. Im Kurbezirk I liegt der Hauptort, in dessen Bereich sich die Kureinrichtungen überwiegend befinden dürften.
43
Ob die in § 7 KBS fehlende Ermäßigung bzw. Befreiung für minderjährige und/oder schwerbehinderte Zweitwohnungsinhaber- wie in § 4 Abs. 2, Abs. 3 KBS – rechtmäßig ist, kann an dieser Stelle offenbleiben, da eine etwaige Rechtswidrigkeit allenfalls zu einer (hier nicht entscheidungserheblichen) Teilnichtigkeit für diese Personengruppen führen würde. Denn die Ermäßigung bzw. Befreiung für Minderjährige und Schwerbehinderte ist rechtlich nicht zwingend und eine Kostenüberdeckung steht nicht zu befürchten, da die Erhebung des Kurbeitrags regelmäßig nicht kostendeckend ist.
44
b) Der formell rechtmäßige Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … … vom 10. November 2020 ist auch materiell rechtmäßig. Die Beklagte hat ihre Kurbeitragssatzung auf den konkreten Fall zutreffend angewandt.
45
aa) Der Kläger unterliegt – zusammen mit seiner Ehefrau – dem personellen Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Satz 1 KBS. Er ist Zweitwohnungsinhaber und kurbeitragspflichtig nach § 1 Satz 1 KBS.
46
Nach § 1 Satz 1 KBS ist kurbeitragspflichtig, wer sich zu Kur- oder Erholungszwecken im Kurgebiet der Gemeinde aufhält, ohne dort seine Hauptwohnung im Sinne des Melderechts zu haben, und wem die Möglichkeit zur Benutzung der Kureinrichtungen und zur Teilnahme an den Veranstaltungen geboten wird.
47
Für einen Aufenthalt zu Kur- oder Erholungszwecken ist es nach der Rechtsprechung nicht notwendig, dass der Kur- oder Erholungszweck das ausschließliche Motiv für den Aufenthalt ist, dieses darf nur nicht völlig in den Hintergrund treten. Wenn sich jemand nicht nur ganz vorübergehend an einem Kurort aufhält und damit die Möglichkeit der Inanspruchnahme der gemeindlichen Einrichtungen hat, ist im Regelfall davon auszugehen, dass ein Aufenthalt auch Kur- oder Erholungszwecken dient. Sind die Umstände des Verweilens nicht genau feststellbar, was etwa bei einem Aufenthalt ausschließlich aus beruflichen oder familiären Gründen anzunehmen ist, spricht eine widerlegbare Vermutung für den Kuraufenthalt (s. BayVGH, U.v. 4.5.2006 – 4 BV 06.341 – juris Rn. 21 f.; U.v. 1.8.2016 – 4 BV 15.844 – juris Rn. 25).
48
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist ein Aufenthalt des Klägers zu Kur- oder Erholungszwecken im Gemeindegebiet der Beklagten in der Zeit anzunehmen, in der er sich in der Zweitwohnung aufhält. Da der Kläger familiäre sowie Wohnzwecke geltend macht, spricht vorliegend gerade eine Vermutung für den Kuraufenthalt (s. eine vergleichbare Konstellation: BayVGH, U.v. 4.5.2006, a.a.O., Rn. 22). Der Aufenthalt aus familiären Gründen und zu Wohnzwecken schließt die Kurbeitragspflicht nicht aus, da die Möglichkeit besteht, die Kureinrichtungen (auch mit der Familie bzw. der Enkelin zusammen) zu nutzen. Auf den subjektiven Willen, die Kureinrichtungen auch tatsächlich zu nutzen, kommt es nach dem Wesen des (Kur-)Beitrags nicht an (s. auch: BayVGH, U.v. 4.5.2006, a.a.O., Rn. 22).
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Diese Vermutung für den Kuraufenthalt hat die Klagepartei nicht widerlegt. Vielmehr sprechen ihre Ausführungen gerade dafür, dass es im konkreten Fall zumindest auch um einen Aufenthalt zu Erholungszwecken geht. In der Klageschrift (S. 2) wird nämlich angegeben, dass es auch um das Genießen des Nachtschlafs gehe. Das Ausspannen gehört aber gerade zur Erholung (vgl. BayVGH, U.v. 4.5.2006, a.a.O., Rn. 21). Ferner wird vorgetragen, dass Einrichtungen oder Veranstaltungen im Gemeindegebiet so wie üblich genutzt würden (vgl. das Schreiben vom 3.5.2020 und Klageschrift, S. 3). Dies zeigt, dass es der Klagepartei nicht nur um die (ausreichende) abstrakte Möglichkeit der Inanspruchnahme der Kureinrichtungen und -veranstaltungen geht, sondern diese sogar tatsächlich genutzt werden. Diese Annahme wird gestützt durch die Äußerung im Schreiben vom 11. Oktober 2020, nach der die Betreuung der Enkelin nicht der ausschließliche Grund des Besuchs sei.
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bb) Der jährliche pauschale Kurbeitrag wurde für die Wohnung im Kurbezirk I in zutreffender Weise in Höhe von 75 EUR (pro Person) gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 KBS festgesetzt.
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cc) Die Regelungen über das Entstehen sowie die Fälligkeit des Beitrags nach § 7 Abs. 4, Abs. 5 KBS wurden beachtet.
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dd) Schließlich begegnet die Anordnung für die Folgejahre nach Art. 12 Abs. 1 KAG keinen rechtlichen Bedenken. Im Bescheid wurden für die Folgejahre auch Fälligkeitstag und jeweils fälliger Betrag festgelegt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.