Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Audi A3 Sportback, 1.6 TDI)
Normenketten:
BGB § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Bamberg BeckRS 2023, 12830; BeckRS 2023, 13603; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG Braunschweig BeckRS 2021, 51097; OLG Jena BeckRS 2022, 20451; BeckRS 2022, 23405; BeckRS 2022, 26587; BeckRS 2022, 33405; BeckRS 2023, 1381; BeckRS 2022, 25339; OLG Schleswig BeckRS 2021, 23055; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 1382; BeckRS 2021, 52460; BeckRS 2023, 706; OLG München BeckRS 2023, 9206; BeckRS 2023, 10878; BeckRS 2023, 13938; BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es gibt keinen Erfahrungssatz, der einen Generalverdacht gegenüber sämtlichen Dieselmotoren eines Konzerns begründen kann, so dass nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden kann, dass eine bestimmte illegale Manipulationssoftware vorhanden ist, weil die Vorgängergeneration über eine solche verfügt hat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rahmen der Beurteilung, ob der Herstellerin bei dem Einsatz einer Fahrkurvenerkennung sittenwidriges Handeln zur Last liegt, ist maßgeblich nicht darauf abzustellen, ob die Fahrkurvenerkennung auch zur Reduzierung der Emissionen auf dem Prüfstand beiträgt, sondern ob sie von der Herstellerin systematisch und bewusst eingesetzt wurde, um die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5 bzw. Euro 6 – Norm nur im Prüfbetrieb einzuhalten. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Selbst wenn das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sein sollte, geht damit keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung einher. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Prüfstand, KBA, OBD, ins Blaue hinein
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 11.04.2023 – 34 U 7675/22 e
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46970
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 18.241,66 € festgesetzt
Tatbestand
1
Die Klagepartei begehrt Rückzahlung des Kaufpreises für ein angeblich mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenes Fahrzeug nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte.
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Die Klagepartei erwarb am 25.05.2017 ein Fahrzeug Audi A3 Sportback, 1.6 TDI, 81 kW, FIN: …, Schadstoffklasse EURO 6, von einer Privatperson in K. zu einem Kaufpreis von 22.837,- Euro. Das Fahrzeug war ein Gebrauchtwagen und wies zum Kaufzeitpunkt eine Laufleistung von 5.800 Kilometern auf (Anlage K1, Anlage K2).
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Das Fahrzeug wies am 09.12.2022 eine Laufleistung von 64.399 Kilometern auf (Anlage KM1, nach Bl. 408).
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Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA288 ausgestattet, welchen die Beklagte entwickelt und hergestellt hat. Bei der Baureihe EA288 handelt es sich um die Nachfolgebaureihe zu der vom sog. Abgasskandal betroffenen Baureihe EA189. Betreffend die Baureihe EA288 gibt es – anders als betreffend die Baureihe EA189 – keinen Bescheid des Kraftfahrtbundesamts (KBA) bzw. einer anderen zuständigen Genehmigungsbehörde, der das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung feststellt. Das Fahrzeug ist dementsprechend auch von keiner Maßnahme betroffen und unterliegt auch keinem Rückruf.
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In der Fahrzeugsoftware zur Motorsteuerung bzw. Abgasnachbehandlung ist ein sog. Thermofenster implementiert.
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Das Bundesministerium für Verkehr und digitale lnfrastruktur twitterte im September 2019, dass das KBA bereits 2016 eigene Messungen, Untersuchungen & Analysen durchgeführt habe und unzulässige Abschalteinrichtungen in Modellen mit dem Motor EA288 nicht hätten festgestellt werden können (Anlage B2).
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Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.08.2022 (Anlage K4) forderte die Klagepartei die Beklagte – erfolglos – unter Fristsetzung von einem Monat zur deliktischen Rückabwicklung auf.
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Die Klageschrift vom 09.09.2022 wurde der Beklagten am 27.09.2022 zugestellt (zu Bl. 114).
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Die Klagepartei behauptet im Wesentlichen, das Fahrzeug sei vom sog. Abgasskandal betroffen. Es sei mit mehreren illegalen Abschalteinrichtungen versehen, um im Falle eines Abgastests die zulässigen Abgaswerte zu erreichen. Insoweit habe die Beklagte sowohl das KBA als auch ihre Kunden systematisch getäuscht. Insbesondere sei auch das in der Baureihe EA288 vorhandene sog. Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung einzuordnen. Die Klagepartei habe darauf vertraut, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Anhaltspunkte für das Vorliegen der unzulässigen Abschalteinrichtung bei den EA288 – Motoren ergäben sich zudem aus Unterlagen der Beklagten zu den EA288 – Motoren. Der Kläger ist in rechtlicher Hinsicht der Auffassung, dass ihm Ansprüche aus § 826 BGB, §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 zustünden.
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Die Klagepartei beantragt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 18.241,66 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageeinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 300.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen aus dem sich dadurch ergebenden Klageforderungsbetrag in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi A3 Sportback mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ….
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.214,99 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass der Motor des Fahrzeugs keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte. Der Vortrag der Klagepartei sei insoweit unsubstantiiert und ins Blaue hinein. Das KBA habe die EA288 – Motoren mehrfach untersucht und festgestellt, dass diese nicht die aus den EA189 – Motoren bekannte Umschaltlogik enthielten. Es werde auf dem Prüfstand auch kein optimierter Modus angewendet. Auch das eingesetzte Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar.
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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Kläger wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.12.2022 informatorisch angehört. Wegen der Einzelheiten der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 12.12.2022 (Bl. 411/414) verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber vollumfänglich unbegründet.
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Die Klage ist zulässig. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Ingolstadt folgt aus § 32 ZPO.
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Die Klage ist aber unbegründet. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, auch nicht Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Anrechnung einer Nutzungsentschädigung.
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Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte mithin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer mangels vertraglicher Beziehung zwischen den Parteien allein denkbaren deliktischen Haftung der Beklagten sind von der Klagepartei nicht schlüssig vorgetragen. Aus diesem Grund befindet sich die Beklagte auch nicht mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug. Die Klagepartei hat deswegen auch keinen Anspruch auf Erstattung angefallener außergerichtlicher Anwaltskosten.
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I. Ein Anspruch auf Schadenersatz nach § 826 BGB besteht nicht.
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Nach § 826 BGB ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt.
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Die Klagepartei hat die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Anspruchs nach § 826 BGB nicht schlüssig vorgetragen. Sowohl der Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, als auch der Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug enthalte ein unzulässiges Thermofenster, begründen keine Ansprüche gegen die Beklagte, weil er als Vortrag „ins Blaue hinein“ anzusehen ist bzw. weil die Klagepartei den Vorsatz der Beklagten nicht dargelegt hat.
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1. Die Klagepartei bringt vor, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs enthalte mehrere illegale Abschalteinrichtungen.
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Hierzu verweist die Klagepartei auf die Funktionsweise einer Software, die den Schadstoffausstoß gezielt manipuliere, in dem sie erkenne, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im allgemeinen Straßenverkehr betrieben werde, und bei einer Fahrzeugnutzung auf einem Prüfstand den Schadstoffausstoß zur gezielten Veränderung des Prüfergebnisses durch Umschaltung auf einen hierfür programmierten Modus verringere. Die Klagepartei verkennt dabei, dass es auch begründet zulässige Zykluserkennungen und Abschalteinrichtungen geben kann. Eine mit einer Fahrkurve verbundene Prüfzykluserkennung ist mithin nicht per se unzulässig, sondern nur dann, wenn sie dazu benutzt wird, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu verändern, dass dessen Wirksamkeit im normalen Fahrbetrieb verringert wird (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 13.09.2001 – 12 U 26/21 Rn. 50; OLG Dresden, Urteil vom 01.07.2021 – 11a U 1085/20 Rn. 28; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 07.10.2020 – 4 U 171/18 Rn. 45).
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Der Sachvortrag der Klagepartei weist diesbezüglich keine Substanz auf und ist willkürlich aus der Luft gegriffen. Er rechtfertigt daher nicht die Veranlassung einer Beweisaufnahme (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Urt. v.18.06.2019, Az. 3 U 416/19 m.w.N.). Es wird seitens der Klagepartei nicht belastbar aufgezeigt, dass es sich bei der von ihr thematisierten Funktionen um solche handelt, die dazu dienen, das Emissionskontrollsystem zu manipulieren. Bei einer Funktion ohne Einfluss auf die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte handelt es sich nach den normativen Vorgaben (Art. 3 Nr. 10 i.V.m. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007) nicht um eine (unzulässige) Abschalteinrichtung.
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Grundsätzlich ist zwar zu konstatieren, dass bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht. Es muss einer Partei möglich sein, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt und jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für diese Behauptung fehlen (vgl. etwa BGH NJW-RR 2003, 69, 70).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da jeglicher tatsächliche Anhaltspunkt für den Einsatz einer unzulässigen Manipulationssoftware, wie z.B. aus den EA189 – Motoren bekannt, in dem EA288 – Motor im Fahrzeug der Klagepartei fehlt.
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Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei den EA 288- Motoren folgen auch nicht aus dem weiteren Vorbringen der Klagepartei.
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1.1. Es kann auch nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass eine bestimmte illegale Manipulationssoftware vorhanden ist, weil die Vorgängergeneration über eine solche verfügt hat (vgl. dazu auch OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az. 3 U 148/18). Es gibt keinen Erfahrungssatz, der einen Generalverdacht gegenüber sämtlichen Dieselmotoren eines Konzerns begründen kann. Dagegen spricht auch, dass das KBA eine Rückrufaktion für den streitgegenständlichen Motor nicht angeordnet hat.
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1.2. Die von der Klagepartei angeführte und in Anlage K3 vorgelegte Entscheidungsvorlage der Beklagten vom 18.11.2015 „Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288“ betrifft zwar das streitgegenständliche Fahrzeug mit der Schadstoffklasse Euro 6.
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Allerdings folgen daraus keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Es gehen aus der Entscheidungsvorlage bestimmte Zielwerte im NEFZ sowie in anderen Prüfzyklen sowie Applikationsanweisungen hervor. Eine unzulässige Abschalteinrichtung ist daraus aber nicht ersichtlich.
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Auch daraus, dass es dort auf Seite 5 unter,Applikationsanweisungen Diesel“ heißt: „SCR Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Erkennung des Precon und NEFZ, um die Umschaltung der Rohemissionsbedatung (AGR-High/Low) streckengesteuert auszulösen (bis Erreichung SCR-Arbeitstemperatur und OBD-Schwellwert)“ folgt nicht ohne weiteres das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
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Vielmehr hat die Beklagte im Schriftsatz vom 11.10.2022 (dort ab S.17) detailliert ausgeführt, dass dies insoweit keinerlei Einfluss auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte hatte. Die in der Software des Motors EA288 vor KW 22/16 hinterlegten Fahrkurven führten insoweit nicht zu einer Optimierung der NOx – Emissionen im Prüfstandbetrieb wie beim EA189. Ferner hat das KBA nach eingehender Überprüfung bestätigt habe, dass in den Motoren EA288 mit SCR-Technologie keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Insoweit ist zu sehen, dass trotz Vorlage der Applikationsrichtlinie an das KBA dort bis heute keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt bzw. ein entsprechender Rückrufbescheid erlassen worden wäre (vgl. insbesondere Anlage B11 bis Anlage B62).
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Im Rahmen der Beurteilung, ob der Beklagten bei dem Einsatz einer Fahrkurvenerkennung sittenwidriges Handeln zur Last liegt, ist maßgeblich nicht darauf abzustellen, ob die Fahrkurvenerkennung auch zur Reduzierung der Emissionen auf dem Prüfstand beiträgt, sondern ob sie vond er Beklagten systematisch und bewusst eingesetzt wurde, um die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5 bzw. Euro 6 – Norm nur im Prüfbetrieb einzuhalten (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – Rn. 25, 27) und sich auf diese Weise durch arglistige Täuschung des KBA die Typgenehmigung zu erschleichen und die entsprechenden Fahrzeuge unter weiterer Täuschung der Käufe in den Verkehr zu bringen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts vorliegend nicht der Fall. Die beklagtenseits vorgelegten Auskünfte des KBA bestätigen vielmehr, dass die Grenzwerte auf dem Prüfstand auch ohne Aktivierung der Fahrkurvenerkennung eingehalten werden.
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1.3. Auch aus einer möglichen Überschreitung der Grenzwerte auf der Straße folgt ebenfalls nicht das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Es ist gerichtsbekannt, dass Emissionswerte wie auch Kraftstoffverbrauch branchenweit im normalen Fahrbetrieb höher sind als im NEFZ-Prüfzyklus. Der NEFZ-Prüfzyklus soll insofern vor allem ein Vergleichbarkeit verschiedener Fahrzeugmodelle und Motoren gewährleisten. Dies war auch der Grund für die Einführung anderer, normalbetriebsähnlicherer Prüfzyklen wie RDE und WLTP.
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In diesem Zusammenhang ist ferner der Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen, wonach hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs bzw. der streitgegenständlichen Motorenbaureihe kein Rückruf vorliege. Schließlich hat die Beklagte vorgetragen, dass der streitgegenständliche Fahrzeugtyp einschließlich des Motors nach Bekanntwerden des Abgasskandals beim KBA vorgestellt und untersucht worden sei und dass es gleichwohl zur Anordnung eines Rückrufs nicht gekommen sei. Auch dies hat die Klagepartei nicht substantiiert widerlegt.
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Nach alledem liegen die strengen Anforderungen eines rechtsmissbräuchlichen und damit unzureichenden Sachvortrags vor (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Urt. v. 18.06.2019, Az.3 U 416/19 m.w.N.).
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1.4. Der Vortrag des Klägers zum sog. On-Board-Diagnose-System (OBD) ist bereits nicht schlüssig. Es handelt sich mithin nach dem Vortrag bereits nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. „Abschalteinrichtung“ ist gemäß Art. 3 Nr. 10 VO 2007/715/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Dies ist nach dem Vortrag des Klägers jedoch schon nicht erkennbar. Einfluss auf das Emissionskontrollsystem nimmt das OBD-System hiernach jedenfalls nicht (vgl. im Ergebnis auch im Hinblick auf unzureichende Darlegung OLG Koblenz Urt. v. 8.2.2021 – 12 U 471/20, BeckRS 2021, 1241 = juris Rn. 88 ff. – NZB zurückgewiesen: BGH Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 179/21, BeckRS 2021, 38634).
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2. Auch der Vorwurf der Klagepartei, das Fahrzeug sei mit einem als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehenden sog. Thermofenster ausgestattet, begründet keinen Anspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte.
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Ob es sich bei dem konkreten Thermofenster des streitgegenständlichen Fahrzeugs um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, kann dahinstehen. Ebenfalls dahinstehen kann die Frage, ob das Thermofenster unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 17.12.2020 – C 693/18 in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt.
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Selbst wenn das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sein sollte, geht damit keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung einher. Thermofenster sind allgemein anerkannte und von sämtlichen Herstellern eingesetzte technische Einrichtungen. Sie werden branchenweit bei allen Dieselmotoren eingesetzt. Ihr Zweck besteht darin, eine „Versottung“ zu verhindern. Sie dienen daher dem Motorschutz und können auch zulässig sein. Nicht jedes Thermofenster stellt zwingend eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Von der Manipulationssoftware beim Motortyp EA189 unterscheidet sich das von der Klagepartei behauptete Thermofenster zudem grundlegend. Beim Thermofenster handelt es sich anders als bei der Manipulationssoftware der EA189 – Motoren nicht um eine Programmierung zum Erkennen des Betriebs des Fahrzeugs auf dem Prüfstand. Das Thermofenster arbeitet gleichermaßen im Straßenbetrieb und auf dem Prüfstand.
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Zudem fehlt es in diesem Zusammenhang an einer Darlegung der subjektiven
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Haftungsvoraussetzungen. Das bloße Vorhandensein einer (behaupteten) objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung allein ist nicht geeignet, Ansprüche der Klagepartei aus § 826 BGB zu begründen. Ein Schädigungsvorsatz kann nur dann angenommen werden, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde.
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Es ist aber weder ersichtlich noch von der Klagepartei dargelegt, dass die Beklagte mit der Unzulässigkeit des eingesetzten Thermofensters gerechnet hätte. Ein Thermofenster kann durchaus zulässig sein. Bei der gegebenen Sachlage kann – anders als beim Einsatz einer versteckten Software – nicht ohne weiteres von einem vorsätzlichen Rechtsverstoß ausgegangen werden. Im vorliegenden Fall kann insofern bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte ein Vorsatz der Beklagten nicht ohne weiteres unterstellt werden. Vielmehr kann dann eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden. Eine Verkennung der Rechtslage begründet aber selbst im Falle eines fahrlässigen oder gar grob fahrlässigen Handelns keinen Schädigungsvorsatz.
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II. Auch andere deliktische Anspruchsgrundlagen kommen vor dem Hintergrund der vorgenannten Ausführungen nicht in Betracht.
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III. Mangels Anspruchs in der Hauptsache liegt kein Annahmeverzug vor bzw. ist auch der Antrag der Klagepartei, ihr vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten, unbegründet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Klagepartei hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.
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Der Streitwert wurde gem. §§ 39, 40, 48 GKG, § 3 ZPO festgesetzt.