Titel:
Aussetzung des Sofortvollzugs der Abschiebungsandrohung wegen ernstlicher Zweifel an der Asylablehnung als offensichtlich unbegründet
Normenketten:
GG Art. 16a Abs. 4
AsylG § 29 Abs. 1, § 30, § 36 Abs. 3, 4
Leitsätze:
1. Im Fall der qualifizierten Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet darf nach Art. 16a Abs. 4 S. 1 GG, § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG BeckRS 1996, 119716). Dabei muss das Verwaltungsgericht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes diese Prüfung auch auf das Merkmal der Offensichtlichkeit erstrecken (BVerfG BeckRS 2003, 21072). (Rn. 23) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Systemische Schachstellen des Asylsystems eines Mitgliedstaats können nur dann die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Diese ist dann überschritten, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH BeckRS 2019, 28304 Hamed Omar). (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Asylbewerbers sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden. (Rn. 27) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Für die Erfüllung der Grundbedürfnisse des Asylbewerbers gelten – gerade bei nichtvulnerablen Personen – nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (VGH Mannheim BeckRS 2021, 34836). (Rn. 29) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Irak, Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, Gewährung internationalen Schutzes in Griechenland, Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in den Irak, offene Erfolgsaussichten in der Hauptsache, irakischer Asylbewerber, Griechenland, Schutzgewähr, Sekundärmigration, offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Abschiebungsandrohung, Sofortvollzug, ernstliche Zweifel, vorläufiger Rechtsschutz, systemische Mängel, unmenschliche erniedrigende Behandlung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46969
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: Au 9 K 22.30853) wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege einstweiligen Rechtschutzes gegen eine Abschiebungsandrohung in den Irak bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat.
2
Der am * in * (Irak) geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischem Glauben.
3
Der Antragsteller reiste seinen eigenen Angaben im Oktober 2021 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 26. Oktober 2021 bzw. dem 1. Dezember 2021 Asylantrag stellte. Eine Beschränkung des Asylantrags gem. § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) erfolgte im Verfahren nicht.
4
Der Antragsteller hat bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt. Im Rahmen des dortigen Asylverfahrens wurden dem Antragsteller internationaler Schutz i.S.v. Art. 2 Buchst. i) (der RL 2013/32/EU) gewährt.
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Die persönliche Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) erfolgte am 13. Dezember 2021. Der Antragsteller machte hierbei im Wesentlichen geltend, er sei homosexuell. Aufgrund dessen habe es Probleme mit Verwandten gegeben. Den Irak habe er im Jahr 2019 verlassen und sei zunächst nach Griechenland gelangt. Zur Finanzierung der Reisen nach Griechenland bzw. Deutschland führte der Antragsteller aus, dass er in Griechenland staatliche Leistungen erhalten habe. 70,00 EUR monatlich seien ihm zugewiesen worden. Die letzten zwei Monate vor der Weiterreise nach Deutschland habe er in Griechenland gearbeitet. Auf die Frage, warum er Griechenland verlassen habe, führte der Antragsteller aus, dass er sich dort nicht wohlgefühlt habe. Er habe in einem Caravan gelebt. Die allgemeine Situation in Griechenland sei schlecht.
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Für den weiteren Vortrag des Antragstellers anlässlich seiner persönlichen Anhörung wird auf die hierüber vom Bundesamt gefertigte Niederschrift verwiesen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 19. Juli 2022 (Gz.: *) wurde der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Nr. 1. und 2. des Bescheids). In Nr. 3. Des Bescheids wird auch der weitergehende Antrag auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen nicht vor (Nr. 4.). In Nr. 5. des Bescheids wird der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Antragsteller die Abschiebung in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 6. ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt u.a. aus, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 19. März 2019 (Az.: C-297/17) festgestellt habe, dass Art. 33 Abs. 2a der RL 2013/32/EU dahingehend auszulegen sei, dass es einem Mitgliedsstaat dann verwehrt sei, von der durch diese Vorschrift eingeräumte Befugnis einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, Gebrauch zu machen, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem Mitgliedsstaat erwarten würden, der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union GRCh) bzw. i.S.v. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu erfahren. Eine Ablehnung des Antrags als unzulässig sei dann nicht möglich, wenn angesichts der zu erwartenden Lebensverhältnisse in Griechenland der Eintritt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich sei. Die im Falle des Antragstellers vorliegenden Erkenntnisse erlaubten keine andere Einschätzung. Der Asylantrag des Antragstellers sei als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Es dränge sich der Eindruck auf, dass der asylrechterhebliche Verfolgungsgrund der Homosexualität vorsätzlich nur aus asyltaktischen Gründen geltend gemacht werde. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die Abschiebungsandrohung sei gem. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergäbe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 19. Juli 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde dem Antragsteller mit Postzustellungsurkunde am 4. August 2022 bekannt gegeben.
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Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid am 9. August 2022 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg zur Niederschrift Klage (Az.: Au 9 K 22.30853) erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist.
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Ebenfalls zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg wurde am 9. August 2022 beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung wurde auf den gestellten Asylantrag und die persönliche Anhörung des Antragstellers am 13. Dezember 2021 Bezug genommen.
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Das Bundesamt hat für die Antragsgegnerin die einschlägige Verfahrensakte in elektronischer Form vorgelegt und mit Schriftsatz vom 16. August 2022 beantragt,
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den Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) abzulehnen.
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Zur Begründung wurde auf die mit der Klage angegriffene Entscheidung verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes hat Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist statthaft, weil die Klage des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung hat (§ 75 AsylG). Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG können Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe gestellt werden. Die Antragsfrist wurde hier nach Aktenlage eingehalten.
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2. Der Antrag gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 36 Abs. 3 AsylG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist begründet. Es bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in Nr. 5 des mit der Klage angegriffenen Bescheids erlassenen Abschiebungsandrohung des Antragstellers in den Irak.
23
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Nachdem diese Regelung und die damit verbundene Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) die Folgerung aus der qualifizierten Asylablehnung sind, ist Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Überlegungen zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs die Prüfung, ob die für eine Aussetzung der Abschiebung erforderlichen ernstlichen Zweifel bezogen auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes vorliegen. Nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies bedeutet, dass die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nur dann ausgesetzt werden darf, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93 – DVBl 1996, 729). Dabei muss das Verwaltungsgericht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes diese Prüfung auch auf das Merkmal der Offensichtlichkeit erstrecken (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.2003 – 2 BvR 153/02 – InfAuslR 2003, 244).
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Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylG). Insbesondere ist ein Asylantrag dann offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalls offensichtlich ist, dass sich der Ausländer aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält (§ 30 Abs. 2 AsylG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146).
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Vorliegend bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 19. Juli 2022 im Hinblick darauf, dass das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers vom 26. Oktober 2021 bzw. 1. Dezember 2021 nochmals vollständig inhaltlich geprüft hat, diesen als offensichtlich unbegründet i.S.d. § 30 AsylG abgelehnt hat und in seiner defizitären Bescheidsbegründung kein Vorgehen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG mit der Folge der Unzulässigkeit des Asylantrags und einer Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG nach Griechenland erwogen hat.
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Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Urteil vom 19. März 2019 (Az.: C-297/17) hat das Bundesamt in seiner Bescheidsbegründung lediglich ausgeführt, dass eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig dann nicht möglich ist, wenn angesichts der zu erwartenden Lebensverhältnisse im Zielstaat (Griechenland) der Eintritt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (i.S.v. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCh) beachtlich wahrscheinlich ist. Diese Voraussetzungen hat das Bundesamt beim Antragsteller ohne nähere Begründung für den Zielstaat Griechenland angenommen.
27
Im Zusammenhang mit der Beurteilung eines ernsthaften Risikos einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK ist stets von dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten auszugehen, der im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht, und der von jedem Mitgliedstaat verlangt, dass dieser, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 [ECLI:ECLI:EU:C:2019:218], Jawo – Rn. 81 m.w.N. und – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 [ECLI:ECLI:EU:C:2019:219], Ibrahim u.a. – Rn. 84). Damit gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die widerlegliche Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht (EuGH, U. v. 19.3. 2019 – C-163/17 – Rn. 82 m.w.N. und – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 85). Diese Vermutung beansprucht nur dann keine Geltung, wenn systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass die betreffende Person im Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U. v. 19. März 2019 – C-163/17 – Rn. 85 und 88 m.w.N. und – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 86 f.). Verfügt das Gericht über Angaben, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem betreffenden Mitgliedstaat nachzuweisen, so ist es verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, U. v. 19.3. 2019 – C-163/17 – Rn. 90 m.w.N. und – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 88). Hierbei fallen nur solche Schwachstellen ins Gewicht, die eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U. v. 19.3. 2019 – C-163/17 – Rn. 91 f. m.w.N. und – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 89 f. und B. v. 13. 11. 2019 – C-540/17 und C-541/17 [ECLI:ECLI:EU:C:2019:964], Hamed und Omar – Rn. 39). Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U. v. 19.3. 2019 – C-163/17 – Rn. 93 und – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 91 und B. v. 13.11. 2019 – C-540/17 und C-541/17 – Rn. 39). Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden.
28
Diese Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen, hinsichtlich derer die Feststellung, sie seien vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängig und befänden sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not, im Lichte des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich gesteigerten Anforderungen an die Entkräftung der Vermutung der Vereinbarkeit der Behandlung solcher Personen in dem betreffenden Mitgliedstaat mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere aus Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK, unterliegt (EuGH, U. v. 19.3. 2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 93; BVerwG, U. v. 7.9. 2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 20 und 23). Der Umstand, dass die betreffende Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, genügt dem regelmäßig nicht.
29
Für die Erfüllung der vorbezeichneten Grundbedürfnisse gelten – gerade bei nichtvulnerablen Personen – nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (so auch VGH BW, B. v. 8. 11. 2021 – A 4 S 2850/21 – juris Rn. 10; vgl. ferner BVerwG, U. v. 7.9. 2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 22; zum Ganzen BVerwG, B.v.7.3.2022 -1 B 21/22 – juris Rn. 13-15).
30
Diese Rechtsprechung zugrunde gelegt bestehen vorliegend ernsthafte Zweifel, ob gegenüber dem Antragsteller eine vollständige erneute Prüfung seines Asylantrags mit der hieraus folgenden Abschiebungsandrohung in den Heimatstaat Irak erfolgen durfte, oder ob nicht vielmehr beim Antragsteller die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorliegen, mit der Folge, dass ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland als unzulässig zu beurteilen ist und einer materiell-rechtlichen Prüfung nicht zugänglich ist. Im letztgenannten Fall wäre dem Antragsteller nach § 35 AsylG die Abschiebung in den Staat anzudrohen, in dem er vor Verfolgung sicher war, d.h. hier nach Griechenland.
31
Beim Antragsteller liegen erhebliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um eine nicht vulnerable Person handelt, die bei einer Rückkehr nach Griechenland gerade keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh ausgesetzt ist. Hiervon ist das Bundesamt in seiner Bescheidsbegründung ohne nähere Prüfung ausgegangen. Es bestanden hier jedoch bereits nach der persönlichen Anhörung des Antragstellers im Dezember 2021 Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller eine Rückkehr nach Griechenland durchaus zumutbar ist. So hat der Antragsteller auf die ausdrückliche Frage, wie er die Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland finanziert hat, ausgeführt, dass er in Griechenland staatliche Leistungen im Umfang von 70,00 EUR monatlich bezogen habe und in Griechenland auch die letzten zwei Monate vor der Ausreise einer Arbeit nachgegangen sei. Weiter hat der Antragsteller lediglich vorgetragen, dass er sich in Griechenland nicht wohlgefühlt habe. Er habe in einem Caravan übernachten müssen. Die Situation in Griechenland sei allgemein schlecht gewesen.
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Nach Überzeugung des Gerichts kann jedoch aus diesen Ausführungen des Antragstellers gerade nicht geschlossen werden, dass dieser zwangsläufig bei einer Rückkehr nach Griechenland einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre und er ohne sein Zutun und unabhängig von seinem Willen einer extremen materiellen Notlage ausgesetzt wäre. Hierbei gilt es nämlich auch zu berücksichtigen, dass es sich beim Antragsteller um eine alleinstehende, weitgehend gesunde Person handelt. Folglich bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit der Klage angegriffenen Bescheids des Bundesamts vom 19. Juli 2022.
33
3. Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).