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LG Traunstein, Endurteil v. 31.05.2022 – 1 O 264/21
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen

Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Soweit in einem Dieselverfahren klägerseits eine Reduktion der Abgasreinigung außerhalb des Bereiches von 20 Grad Celsius bis 30 Grad Celsius vorgetragen wird, jedoch Angaben dazu fehlen, woher sich diese Erkenntnis erschließt, handelt es sich um Behauptungen ins Blaue hinein. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein weit gefasstes Thermofenster ist zum Schutz des Motors und des Fahrzeuges erforderlich und damit keine unzulässige Abschalteinrichtung. Sollte das Thermofenster etwas zu eng gesetzt sein, so stellt sich dies bei einer objektiven Betrachtung dergestalt dar, dass dies auf einer versehentlichen Fehleinschätzung oder versehentlichen falschen Berechnung der hierfür zuständigen Mitarbeiter des Herstellers beruht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Behauptung ins Blaue hinein
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 18.04.2023 – 3 U 3704/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46744

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 20.961,90 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger erwarb am 14.02.2019 bei … den im Klageantrag genannten Pkw als Gebrauchtwagen zum Preis von 24.000,00 Euro. Der Kilometerstand war 73.303 Kilometer. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die als Anlage K1 vorgelegte Bestellung Bezug genommen.
2
Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA288 ausgestattet.
3
Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 22.02.2022 war der Kilometerstand 123.215.
4
Es gibt keinen Rückruf bezüglich dieses Fahrzeuges.
5
Der Kläger trägt vor, das Fahrzeug sei mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen hinsichtlich der Abgasreinigung ausgestattet: Es besitze ein Thermofenster, bei dem außerhalb des Temperaturfensters von 20 Grad Celsius bis 30 Grad Celsius die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems sinke und die Stickoxid-Emissionen stiegen. Hinsichtlich des SCR-Katalysators hänge die Wirksamkeit von der Menge der zugeführten Harnstofflösung AdBlue ab. Diese Menge werde ebenfalls durch das Thermofenster beeinflusst. Ab einer bestimmten Drehzahl würden die Abgasreinigung und der SCR-Katalysator abgeschaltet bzw. deren Leistung reduziert, so dass es zu einem unzulässigen Anstieg der Stickoxid-Emissionen komme. Es sei eine Prüfstandserkennung vorhanden Diese Abschalteinrichtungen seien von der Beklagten zur Steigerung des Gewinns, somit in vorsätzlich sittenwidrig schädigender Weise eingebaut worden. Ein Nutzungsersatz sei ausgehend von einer Gesamtfahrleistung von 300.000 km zu bestimmen.
6
Der Kläger beantragt:
1.1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 18.721,20 €zzgl Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Golf mit der Fahrzeug – Identifizierungsnummer ….
In Höhe von (24.000,00 € – 18.721,20 €) wird der Klageantrag teilweise für erledigt erklärt.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.175,00 € freizustellen.
7
Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
8
Sie trägt vor, Thermofenster würden von allen Dieselfahrzeugherstellern verwendet und dienten dem Fahrzeugschutz. Die Abgasrückführung sei bei Außentemperaturen zwischen minus 24 Grad Celsius bis plus 70 Grad Celsius zu 100 % aktiv. Das Thermofenster sei vom Kraftfahrtbundesamt überprüft und hierbei eine unzulässige Abschalteinrichtung verneint worden. Ein Nutzungsersatz sei, sofern dieser Punkt relevant sei, ausgehend von einer Gesamtlaufleistung von nicht mehr als 250.000 km zu bestimmen.
9
Es wird Bezug genommen auf das Protokoll der Hauptverhandlung vom 22.02.2022 (Bl. 337/339), sämtliche von den Parteien eingereichten Schriftsätze sowie den übrigen Akteninhalt.

Entscheidungsgründe

10
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
11
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keine vertraglichen Ansprüche, da zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis bezüglich des hier zugrunde liegenden Fahrzeugs besteht. Vertragspartner des Klägers ist unstreitig das ….
12
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 826 BGB.
13
a) Der hierfür darlegungsbelastete Kläger konnte das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bereits nicht substantiiert darlegen. Soweit er eine außentemperaturabhängige Steuerung der eingesetzten AdBlue-Menge und eine Abschaltung der Abgasreinigung und des SCR-Katalysators ab einer bestimmten Drehzahl vorträgt, fehlt es bereits an der Angabe konkreter Daten, ab wann dies der Fall sein soll. Soweit er eine Reduktion der Abgasreinigung außerhalb des Bereiches von 20 Grad Celsius bis 30 Grad Celsius vorträgt, beinhaltet dies zwar die Angabe eines konkreten Temperaturbereiches, jedoch ebenso, wie bei den beiden vorgenannten Punkten, keine Angabe dazu, woher er sich diese Erkenntnis erschließt. Dies gilt auch für die behauptete Prüfstandserkennung. Es stellen sich somit alle vorgetragenen Behauptungen als Behauptungen ins Blaue hinein dar. Eine Beweiserhebung diesbezüglich durch Sachverständigengutachten würde eine reine Ausforschung bedeuten, welche im Zivilprozess nicht zulässig ist.
14
b) Es besteht im vorliegenden Fall keine sekundäre Darlegungs- und Beweislast der Beklagten, da konkrete Anhaltspunkte für ein Vorhandensein von Abschalteinrichtungen, welche ein Maß erreichen, welches eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begründen könnte, nicht vorhanden sind. Solche Anhaltspunkte ergeben sich nicht allein daraus, dass eine andere Motorbaureihe der Beklagten eine in vorsätzlich sittenwidrig schädigender Absicht eingebaute Abschalteinrichtung enthalten hat. Solche Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus einem Rückruf betreffend dieses Fahrzeuges, denn einen solchen gibt es unstreitig nicht. Letzterer Punkt bildet gerade einen gegen das Vorliegen einer solch schwerwiegenden unzulässigen Abschalteinrichtung sprechenden Gesichtspunkt. Angesichts der Manipulation der Beklagten bei einer anderen Motorbaureihe (EA189), bestand für das Kraftfahrtbundesamt Anlass, die von der Beklagten produzierten Fahrzeugreihen gründlich zu prüfen. Es haben sich dabei offenbar keine so starken Abweichungen vom Zulässigen ergeben, welche ein Einschreiten durch einen verpflichtenden Rückruf geboten sein ließen.
15
c) Es ergeben sich ferner keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein vorsätzlich sittenwidrig schädigendes Verhalten der Beklagten. Dies wäre selbst dann der Fall, wenn ein etwas zu eng gesetztes Thermofenster für die Abgasreinigung vorliegen würde. Nach ganz überwiegender Auffassung ist ein weit gefasstes Thermofenster zum Schutz des Motors und des Fahrzeuges erforderlich und damit keine unzulässige Abschalteinrichtung. Sollte dies etwas zu eng gesetzt sein, so stellt sich dies bei einer objektiven Betrachtung dergestalt dar, dass dies auf einer versehentlichen Fehleinschätzung oder versehentlichen falschen Berechnung der hierfür zuständigen Mitarbeiter der Beklagten beruht. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine eventuelle Abweichung des Bereiches des Thermofensters vom technisch möglichen Bereich ein Ausmaß erreichte, welches einen Schluss auf eine vorsätzliche Abweichung vom Vorgeschriebenen in sittenwidrig schädigender Absicht zuließe. Vielmehr spricht das Absehen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt gegen einen solchen Sachverhalt.
16
Auch diesbezüglich durfte keine Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten erfolgen, da dies eine im Zivilprozess unzulässige Ausforschung darstellen würde.
3. Die Beklagte ist nicht in Annahmeverzug hinsichtlich des hier zugrunde liegenden Fahrzeuges, da sie wie ausgeführt, nicht zu einer Schadensersatzleistung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges verpflichtet ist.
17
4. Ein Anspruch auf Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten besteht aus den in Ziffer 2 genannten Gründen ebenfalls nicht.
18
5. Kosten: § 91 ZPO.
19
6. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.