Titel:
Bayerisches Oberstes Landesgericht, Nachprüfungsverfahren, Entscheidungen der Vergabekammer, Angebotswertung, Vergabenachprüfungsverfahren, Erstattungsfähigkeit, Verhandlungsverfahren, Rechtsmittelbelehrung, Zuschlagskriterien, Mitwirkungsverbot, Gewährung von Akteneinsicht, Sofortige Beschwerde, Dokumentationspflicht, Beschwerdebegründung, Vergabevermerk, Zweckentsprechende Rechtsverteidigung, Vergabeverstoß, Ablauf der Beschwerdefrist, Öffentlicher Auftraggeber, Verfahren vor der Vergabekammer
Normenkette:
GWB § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 3
Leitsätze:
1. Das Unterlassen einer Fachlosvergabe ist auch dann ein in tatsächlicher Hinsicht erkennbarer Vergabeverstoß iSd § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 3 GWB, wenn die Gründe für eine gemeinsame Vergabe mehrerer Fachlose nicht in den Vergabeunterlagen aufgeführt sind. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verhandlung iSd § 17 Abs. 10 S. 1 VgV liegt nur dann vor, wenn eine Interaktion zwischen Bieter und Auftraggeber stattfindet, die mit dem Ziel durchgeführt wird, die Angebote inhaltlich zu verbessern. (redaktioneller Leitsatz)
3. Das bloße Anhören und Bewertung einer Präsentation stellt keine Verhandlung im Rechtssinne dar. Wurden aber darüber hinaus im Termin Hinweise und Präzisierungen zu den Grundlagen der Honorarermittlung gegeben, die auch in die finalen Angebote der Bieter eingeflossen sind, lag eine Verhandlung vor. (redaktioneller Leitsatz)
4. Enthält ein finales Angebot iSd § 17 Abs. 14 S. 1 VgV nicht die geforderten Preisangaben, ist es gem. § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV auszuschließen. Der Ausschluss verletzt einen Bieter nicht deshalb in seinen Rechten, weil der Auftraggeber die Erstangebote unzureichend geprüft hat und den Bieter nicht auf die bereits in seinem Erstangebot von den Vorgaben des Auftraggebers abweichenden Preisangaben hingewiesen hat. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rügeobliegenheit, Verhandlungsverfahren, Angebotsausschluss
Fundstellen:
LSK 2022, 46675
ZfBR 2023, 511
BeckRS 2022, 46675
Tenor
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin. Die Beigeladene trägt ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen selbst.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.
Gründe
1
Die Antragsgegnerin hatte mit Auftragsbekanntmachung vom 17.03.2021 Ingenieurleistungen nach HOAI 2021 für die Erweiterung und Neukonzeption der biologischen Reinigungsstufen mit Membran-Belebungsverfahren ihres Klärwerks in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben. Unter Ziffer II der Auftragsbekanntmachung war angegeben, dass der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium ist. Die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung wurden im Formular III.16.1 (Zuschlagskriterien) wie folgt mit 30% Preis und 70% Qualitätskriterien aufgelistet. Unter Ziffer IV.1.5) der Auftragsbekanntmachung hatte sich die Antragsgegnerin das Recht vorbehalten, den Auftrag auf der Grundlage der ursprünglichen Angebote zu vergeben, ohne Verhandlungen durchzuführen.
2
Bei den Planungsleistungen handelte es sich um die Objektplanung für Ingenieurbauwerke und um die Tragwerksplanung und die Fachplanung für Technische Ausrüstung. Neben den Grundleistungen nach HOAI 2021 wurden auch besondere Leistungen nach der Anlage 12 und 14 der HOAI 2021 angefragt. Für diese besonderen Leistungen war im Rahmen des Auftrags ein pauschaler Mehraufwand von Seiten des Ingenieurbüros einzuplanen, der auf Nachweis zu den angebotenen Stundensätzen abgerechnet werden sollte. Dieser Mehraufwand an Ingenieurleistung sollte für das Thema „Energiemanagement“ und für die “Optimierung der Schlammbehandlung“ eingesetzt werden. Dazu erwartete der Auftraggeber einen innovativen und nachhaltigen Ansatz des Energiemanagements zur Steigerung der Effizienz und Wirtschaftlichkeit bei Produktion und Nutzung im Klärwerk L… In diesem Zusammenhang sollten auch geeignete Fördermöglichkeiten zu diesem Thema erschlossen werden. Zusätzlich wurde eine Machbarkeitsstudie für die Implementierung der 4. Reinigungsstufe ausgeschrieben, die ebenfalls für die Beantragung von Fördergeldern benötigt würde.
3
Nachdem die Antragstellerin den Teilnahmewettbewerb erfolgreich durchlaufen hat, wurde sie zur Abgabe eines Angebots aufgefordert, welches sie am 21.05.2021 fristgerecht einreichte. Am 10.06.2021 fand ein Gespräch der Antragsgegnerin mit der Antragstellerin statt, in welchem die Antragstellerin ihr Angebot präsentierte. Mit Schreiben vom 11.06.2021 wurden die Bieter zur Abgabe der finalen Angebote aufgefordert, welches die Antragstellerin am 18.06.2021 fristgerecht abgab. Im Begleitschreiben zum Angebot führte die Antragstellerin aus, dass sie „die Hinweise und Anregungen aus dem Verhandlungsgespräch aufgenommen und diese ebenso wie alle übergebenen Unterlagen einschließlich der in Anlage zum Schreiben vom 11.06.2021 übergebenen Grundlagen der Honorarermittlung eingehend und gewissenhaft geprüft“ habe. „Aufbauend auf den übergebenen Unterlagen und den Hinweisen beim Verhandlungsgespräch am 10.06.2021 [habe sie] für das finale Angebot eine Gesamtkalkulation der Beratungs- und Ingenieurleistungen aufgestellt und hierbei den Mitarbeitereinsatz und die Einsatzzeiten mit den notwendigen projektspezifischen Ansätzen berücksichtigt.“ Außerdem habe die Antragstellerin nach den Hinweisen im Verhandlungsgespräch am 10.06.2021 zu den von ihr angebotenen Honoraren für die beiden Studien nochmals ihre Kalkulationssätze überprüft.
4
Am 07.07.2021 erfolgte eine Preisaufklärung gemäß § 60 VgV durch die Antragsgegnerin. Unter anderem fragte die Antragsgegnerin zu Position 5.2.6 weshalb der Stundensatz derart niedrig angesetzt worden sei und wie sich der Preis für die Reisekosten erkläre.
5
Mit fristgerechtem Schreiben vom 13.07.2021 kam die Antragstellerin dem Aufklärungsverlangen der Antragsgegnerin in allen benannten Positionen nach. Sie erklärte, auf Grund ihres großen Interesses an dem Auftrag insbesondere die besonderen Leistungen im Wesentlichen ohne Deckungsbeitrag kalkuliert zu haben. Zu Position 5.2.6 gab die Antragstellerin an, dass sie den Stundensatz ohne Deckungsbeitrag und nur mit einem Allgemeinkostenzuschlag kalkuliert habe, in dem auch die Kosten für Fahrten zu den Einsatzorten und die üblichen Aufwendungen für Außendienst und Baustellentermine enthalten seien, daraus würde sich auch der angebotene Preis für die Reisekosten erklären.
6
Die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 16.07.2021, dass ihr Angebot gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen der Abweichung von den Kalkulationsvorgaben und gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV wegen des Risikos eines Unterkostenangebots von der Wertung ausgeschlossen wurde. Die Antragstellerin rügte daraufhin mit Schreiben vom 23.07.2021 ihren Ausschluss als rechtswidrig. Die Antragsgegnerin antwortete mit Schreiben vom 26.07.2021 auf die Rüge der Antragstellerin und erklärte, dass sie der Rüge nicht abhelfen werde.
7
Die Antragstellerin rügte daraufhin mit Schreiben vom 26.07.2021, dass die Antragsgegnerin die Vorbefasstheit der Beigeladenen nicht ordnungsgemäß ausgeglichen habe, was zur besseren Bewertung der Beigeladenen geführt habe und dass die Angebotswertung ihres eigenen Angebots fehlerhaft gewesen sei. Diese Rüge erweiterte die Antragstellerin mit Schreiben vom 27.07.2021 und erklärte, dass die Wertung außerdem fehlerhaft gewesen sei, da sie in jedem Zuschlagskriterium die volle Punktzahl hätte erhalten müssen und damit auf Rang 1 hätte liegen müssen. Die Antragsgegnerin erklärte mit Schreiben vom 27.07.2021, dass der Rüge nicht abgeholfen werde.
8
Mit Schreiben vom 28.07.2021 erweiterte die Antragstellerin ihre Rüge erneut und erklärte nunmehr, dass ein Interessenkonflikt vorliege, der darin liege, dass die am Vergabeverfahren beteiligte Fr. Dr. B… ein Beratungsunternehmen mit Herrn Prof. H… habe und dieser wiederum Geschäftsführer der Beigeladenen sei. Der Antragsgegner antwortete darauf mit Schreiben vom 28.07.2021, dass der Rüge nach wie vor nicht abgeholfen werden würde, da kein Interessenskonflikt bestehe. Das Beratungsunternehmen sei ein Einzelunternehmen von Frau Dr. B… gewesen und habe seine Geschäftstätigkeit bereits Mitte 2019 eingestellt bevor es Mitte 2020 vollständig aufgelöst wurde. Herr Prof. H… sei zu keiner Zeit an diesem Unternehmen beteiligt gewesen, Frau Dr. B… und Herr Prof. H… hätten lediglich bei einigen vereinzelten Veranstaltungen zusammengearbeitet.
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Nachdem der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 29.07.2021 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
10
Die Antragstellerin trägt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei.
11
Ein Ausschluss ihres Angebots gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV komme nicht in Frage, sie habe keine Mischkalkulation vorgenommen, als sie die Reisekosten in den Stundensatz einkalkulierte. Die bloße Aufschlüsselung von Preisangaben sei keine verbindliche Kalkulationsvorgabe. Auch ein Ausschluss ihres Angebots gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV komme nicht in Frage, da die Zweifel an der vertragsgemäßen Ausführung auf sachfremde Erwägungen gestützt seien. Die Antragstellerin habe lediglich von ihrem Recht Gebrauch gemacht unter dem Basishonorarsatz anzubieten, sie werde die Leistung selbstverständlich vertragsgerecht erfüllen, das Risiko eines Nachtragsmanagements bestehe hier gerade nicht.
12
Die Antragstellerin bemängelt auch die Wahl der Verfahrensart. Zunächst trägt sie vor, dass dieser Vergabeverstoß nicht präkludiert sei, da die Antragstellerin erst im Rahmen der Akteneinsicht Kenntnis erlangen haben könne. Die Antragstellerin macht geltend, dass die Antragsgegnerin keine innovativen oder konzeptionellen Leistungen abgefragt habe über die verhandelt werden hätte können, deshalb könne eine Ausnahme nach § 74 VgV nicht in Betracht kommen, jedenfalls fände sich hierzu keine Begründung im Vergabevermerk.
13
Auch für die unterlassene Losaufteilung hätten keine technischen oder wirtschaftlichen Gründe vorgelegen. Auch diesen Vergabeverstoß habe die Antragstellerin erst im Rahmen der Akteneinsicht erkennen können, deshalb sei er nicht präkludiert. Wäre der Auftrag in Lose aufgeteilt worden, hätte die Antragstellerin größere Chancen zumindest einen der Aufträge zu erhalten, insbesondere da sie das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe.
14
Ferner trägt die Antragstellerin vor, dass die Wertung der Erstangebot fehlerhaft war. Zunächst könne die Antragstellerin nicht nachvollziehen, wer die Bewertung durchgeführt habe, also ob überhaupt das zuständige Gremium die Wertung vorgenommen habe und nicht der VgV-Betreuer. Auch sei die Wertung wohl anhand des Preises und nicht der vorgegebenen Wertungskriterien erfolgt. Die Bewertung der finalen Angebote sei zudem fehlerhaft anhand von nicht veröffentlichten Unterkriterien erfolgt und deshalb zu wiederholen, außerdem könne die Antragstellerin nicht erkennen ob ihr Angebot im Vergleich zu den anderen Angeboten besser oder schlechter abschneide.
15
Auch habe die Antragstellerin im Rahmen der Akteneinsicht erkennen können, dass das Bewertungsgremium falsch besetzt war, dieser Vergabeverstoß sei deshalb auch nicht präkludiert gewesen. Die Bewertung sei nicht ausschließlich durch Mitarbeiter der Antragsgegnerin erfolgt, ein externer Berater sei Mitglied des Bewertungsgremiums gewesen. Die Antragsgegnerin hätte die Wertungsentscheidung jedoch eigenständig treffen müssen, da externe Berater nur unterstützend am Vergabeverfahren mitwirken dürften. Das Vergabeverfahren sei in den Stand vor Aufforderung zur Einreichung der Erstangebot zurückzuversetzen und den Bietern müsse das Vorgehen des Auftraggebers transparent mitgeteilt werden.
16
Die Preisprüfung sei ebenfalls fehlerhaft erfolgt. Die Antragsgegnerin hätte die Preisaufklärung in Textform vor den Verhandlungen durchführen müssen und mitteilen müssen, warum sie die Preise der Antragstellerin für unauskömmlich halte. Die Antragstellerin hätte so die Chance gehabt ihr finales Angebot inhaltlich zu verbessern. Es treffe auch nicht zu, dass der Antragstellerin während der Verhandlungen Gelegenheit gegeben wurde ihr Angebot zu verbessern. Überhaupt hätten die Verhandlungen gemäß dem Vergabevermerk mit keinem Bieter stattgefunden. Die Darstellung der Antragsgegnerin weiche maßgeblich von der Darstellung im Vergabevermerk ab, was die Antragstellerin erst im Rahmen der Akteneinsicht habe erkennen können, deshalb sei auch dieser Vergabeverstoß nicht präkludiert.
17
Weiter trägt die Antragstellerin vor, dass für Frau Dr. B… ein Mitwirkungsverbot nach § 6 Abs. 1 VgV bestehe. Frau Dr. B… sei an der Angebotsprüfung und -wertung beteiligt gewesen, führe jedoch ein Beratungsunternehmen mit dem Geschäftsführer der Beigeladenen Herrn Professor H… Die Wertung sei ohne die Mitwirkung von Frau Dr. B… zu wiederholen.
18
Die Antragstellerin bemängelt zudem, dass die gesamte Dokumentation der Antragsgegnerin gravierende Mängel aufweise. Insbesondere enthalte die Vergabedokumentation keine Begründung zur Losaufteilung oder Wahl der Verfahrensart. Diese seien jedoch als Mindestinhalte von § 8 Abs. 2 VgV gefordert. Auch die Wertung der Erstangebote und die Verhandlungen habe die Antragsgegnerin nicht dokumentiert. Durch die fehlerhafte Dokumentation sei das Vergabeverfahren nicht hinreichend transparent und der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, dies wirke sich auf die Verfahrensart, die Losbildung und die Angebotswertung aus und damit auch auf die Rechtstellung der Antragstellerin.
19
Die Antragstellerin beantragt
1. Der Nachprüfungsantrag ist gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 GWB an die Antragsgegnerin zu übermitteln.
2. Gemäß § 168 Abs. 1 GWB geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.
3. Hilfsweise andere geeignete Maßnahmen anzuordnen um die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens herzustellen.
4. Der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren.
5. Dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.
6. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
20
Die Antragsgegnerin beantragt
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners.
3. Der Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht wird zurückgewiesen.
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsgegner war notwendig.
21
Die Antragsgegnerin trägt vor, dass das Angebot der Antragstellerin gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV auszuschließen gewesen sei, da sie unter Position 5.2.6 die Reisekosten, die getrennt von den Stundensätzen im Leistungsverzeichnis abgefragt wurden, in die Stundensätze mit einkalkuliert habe. Damit habe sie die Einheitspreise einzelner Positionen auf andere Leistungspositionen umgelegt, was eine unzulässige Mischkalkulation darstelle die den Ausschluss des Angebots zur Folge habe. Ferner sei ein Ausschluss des Angebots gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV geboten gewesen, da die Antragstellerin die Zweifel des Antragsgegners im Rahmen der Preisaufklärung nicht durch ihre pauschalen Aussagen habe ausräumen können. Der Auftraggeber müsse bei Zweifeln an der Angemessenheit der Kosten nicht auf die ordnungsgemäße Kalkulation des Bieters und dessen generelle Vertragstreue vertrauen, es obliege vielmehr dem Bieter die Indizien eines Unterkostenangebots zu wiederlegen. Dies sei der Antragstellerin nicht gelungen.
22
Die Antragsgegnerin erläutert, dass die Vorbefasstheit der Beigeladenen in die Entwurfsplanung eingegangen sei und dass das private Beratungsunternehmen von Dr. B… bereits Mitte 2019 seine Geschäftstätigkeit eingestellt habe bevor es Mitte 2020 aufgelöst wurde. Herr Professor H… sei zu keiner Zeit an diesem Unternehmen beteiligt gewesen, er habe lediglich bei vereinzelten Veranstaltungen mit Frau Dr. B… zusammengearbeitet. Ein Mitwirkungsverbot für Frau Dr. B… gemäß § 6 Abs. 1 VgV bestünde nicht.
23
Ferner trägt die Antragsgegnerin vor, dass das Verhandlungsverfahren gemäß § 74 VgV das Regelverfahren sei und das neben der Ausführungsplanung der Leistungsphase 5 als besondere Leistungen auch die Planung von Anlagen der Verfahrens- und Prozesstechnik, ein innovatives Konzept zum Energiemanagement und ein Konzept zur Optimierung der Schlammbehandlung Gegenstand des ausgeschriebenen Auftrags seien, so dass es sich um Ingenieursleistungen handle, deren Lösung vorab nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden könne. Auch die unterlassene Losaufteilung würde die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzen, da sie sich auf den Gesamtauftrag habe bewerben können, ferner sei der Antragstellerin auf Grund ihrer Fachkenntnis bekannt, dass eine Gesamtvergabe wegen der technischen Zusammenhänge des Auftrags alternativlos sei.
24
Auch sei nach Ansicht der Antragsgegnerin die Bewertung sowohl der Erstangebote als auch der finalen Angebote ordnungsgemäß erfolgt. Die Bewertung sei anhand der im Formblatt II.16.1 vorgegebenen Zuschlagskriterien erfolgt, lediglich die Bewertung der finalen Angebote hätten sich auf das überarbeitete Preisangebot beschränkt. Das Bewertungsgremium sei der Antragstellerin im Verhandlungstermin vorgestellt und nicht beanstandet worden. Die Antragstellerin sei unabhängig davon auch bei fehlerhafter Wertung nicht in ihren Rechten verletzt, da ihr Angebot rechtmäßig ausgeschlossen worden sei.
25
Die Antragsgegnerin erklärt, dass Verhandlungsgespräche auch stattgefunden hätten und neben der Präsentation über die angebotenen Preise gesprochen worden sei.
26
Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass selbst wenn sie Vergabevorschriften bei der Wahl der Verfahrensart, der unterlassenen Losaufteilung oder der angeblich fehlenden Verhandlungen verletzt hätte, diese nicht mehr von der Vergabekammer überprüft werden könnten, da dieses Vorbringen präkludiert sei. Insbesondere die Tatsache, dass eine Losaufteilung Standard sei, habe die Antragstellerin als erfahrene Bieterin wissen müssen und vor Angebotsabgabe rügen können. Ferner sei auch die Dokumentation ordnungsgemäß erfolgt und erfülle Anforderungen nach § 8 VgV, da das Vergabeverfahren von Beginn an fortlaufend und lückenlos dokumentiert worden sei. Auch könne der Antragsgegner nicht erkennen wo sich die angeblich unzureichende Dokumentation nachteilig auf die Rechtstellung der Antragstellerin auswirken würde.
27
Mit Beiladungsbeschluss vom 24.08.2021 wurde die Beigeladene beigeladen.
28
Die Beigeladene stellte keine Anträge und trug auch nicht zur Sach- und Rechtslage vor.
29
Mit Rechtlichem Hinweis vom 01.09.2021 teilte die Vergabekammer der Antragstellerin mit, dass sie nach vorläufiger Rechtsauffassung der Meinung sei, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin unbegründet sei, da das Angebot der Antragstellerin gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV rechtmäßig erfolausgeschlossen worden sei. Die Antragstellerin habe nicht die erforderlichen Preisangaben gemacht, da sie bei der Abfrage der Stundensätze und der Reisekosten diese nicht wie gefordert getrennt angegeben habe, sondern die Reisekosen in die Stundensätze einkalkuliert habe.
30
In der mündlichen Verhandlung vom 14.12.2021 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Vergabekammer teilte mit, dass sie nach wie vor an ihrer Rechtsauffassung aus dem rechtlichen Hinweises vom 01.09.2021 festhalte. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme. Zudem teilte die Vergabekammer mit, dass bezüglich der Frage, ob Verhandlungen stattgefunden hätten, eine genaue rechtliche Definition sich noch nicht durchgesetzt habe. Allerdings gehe derzeit die Rechtsprechung diesbezüglich davon aus, dass eine reine Bieterpräsentation nicht für ein Verhandeln ausreiche. Aus der Dokumentation der Antragstellerin sei jedoch nicht erkennbar, ob die durchgeführten Verhandlungsgespräche den Anforderungen der Rechtsprechung genügten. Jedoch sei der Aufforderung zur Abgabe des finalen Angebots und dem Anschreiben des finalen Angebots der Antragstellerin zu entnehmen, dass Verhandlungen stattgefunden hätten, die den Anforderungen genügen könnten. Zur Frage, was genau in den Verhandlungsgesprächen passiert sei, legte die Antragsgegnerin einen Fragenkatalog mit handschriftlichen Notizen vor, welcher sich bisher nicht bei den der Vergabekammer vorgelegten Unterlagen befunden hatte. Die Antragstellerin machte geltend, dass diese Fragen einen nicht veröffentlichten Teil der Wertungsmatrix darstellen würden.
31
Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang auf Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.
32
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
33
Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig aber soweit zulässig unbegründet.
34
1. Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig.
35
1.1. Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
36
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
37
Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 1GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 214.000 Euro erheblich.
38
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
39
1.2. Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
40
Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch den Ausschluss ihres Angebots geltend gemacht.
41
1.3. Die Antragstellerin ist mit dem geltend gemachten Verstoß gegen § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB bezüglich der unterlassenen Losaufteilung nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Die darüber hinaus von ihr beanstandeten Rechtsverstöße wurden hingegen rechtzeitig geltend gemacht.
42
1.3.1. Der geltende gemachte Verstoß gegen § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB bezüglich der unterlassenen Losaufteilung in mehrere Fachlose ist präkludiert. Hierzu wurde von der Antragstellerin im Schriftsatz vom 22.10.2021 erstmals vorgetragen, dass die zusammengefasste Vergabe verschiedener Planerdisziplinen vergaberechtswidrig sei, da die Antragsgegnerin keine technischen oder wirtschaftlichen Gründe habe, welche die Gesamtvergabe rechtfertigen. Dies sei erst durch die Akteneinsicht in den Vergabevermerk zu erkennen gewesen.
43
Ein Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden, § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB. Durch die Rüge erhält der Auftraggeber die Möglichkeit, einen Vergaberechtsfehler im frühestmöglichen Stadium zu erkennen und ggf. zu korrigieren. Darin liegt der wesentliche Sinn der Vorschrift und dies führt zu einer Obliegenheit des Bieters, die Verdingungsunterlagen auf etwaige Vergaberechtsverstöße zu prüfen und die erkennbaren Verstöße bis zu der vorgenannten Frist zu rügen.
44
Erkennbar ist ein Vergaberechtsverstoß dann, wenn sich zum einen der relevante Sachverhalt aus den Vergabeunterlagen ergibt und dieser Sachverhalt als Verstoß gegen Vergabevorschriften eingeordnet werden kann. Dabei ist der Maßstab eines durchschnittlich fachkundigen Bieters, der die übliche Sorgfalt anwendet, anzulegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Januar 2014 – Verg 26/13; EuGH, Urteil vom 12. März 2015 – C-538/13).
45
Die Erkennbarkeit muss sich auf die den Verstoß begründenden Tatsachen und auf deren rechtliche Beurteilung beziehen. Ein sorgfältig handelndes Unternehmen muss den Vergabeverstoß erkennen können, ohne besonderen Rechtsrat einholen zu müssen. Dafür müssen die Rechtsvorschriften, gegen die ggf. verstoßen wird, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (OLG München, Beschluss vom 22.10.2015 – Verg 5/15). Der Bieter ist jedoch in jedem Fall gehalten, sich bei der Erstellung der Angebote gründlich mit den Vergabeunterlagen auseinanderzusetzen.
46
Aus den Vergabeunterlagen, insbesondere aus Ziffer 2 der Aufgabenbeschreibung, war rein tatsächlich erkennbar, dass Leistungen der Objektplanung, Fachplanungsleistungen der Tragwerksplanung sowie Fachplanungsleistungen der Technischen Ausrüstung ausgeschrieben waren. Die tatsächliche Erkennbarkeit war nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Antragstellerin nicht bekannt war, ob eine Rechtfertigung für die gemeinsame Vergabe nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorlag. Die Aufteilung in Teil- oder Fachlose ist nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB der Grundsatz, von dem nur abgesehen werden kann, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Der Auftraggeber darf sich demnach nur dann für eine Gesamtvergabe entscheiden, wenn bei vertretbarer prognostischer und auf den Vertragszeitraum bezogener Sicht und Abwägung der für und gegen die losweise Vergabe sprechenden Gesichtspunkte die auftraggeberseitigen Vorteile aus den betrachteten wirtschaftlichen oder technischen Gründen gegenüber dem Aspekt des Mittelstandschutzes überwiegen (OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 – Verg 10/18).
47
Aus diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis folgt, dass ein Bieter bei einer fehlenden Losaufteilung auch dann einen Vergaberechtsverstoß erkennen kann, auch wenn die Gründe für eine gemeinsame Vergabe mehrere (Fach-) Lose nicht explizit in den Vergabeunterlagen aufgeführt sind. Ein Bieter darf sich in einem solchen Fall gerade nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass der Auftraggeber schon einen validen Grund für das Absehen von der Losbildung haben könnte. Vielmehr muss der Bieter auf Grund des Regel-Ausnahme-Verhältnisses und der erheblichen Anforderungen an eine Ausnahme davon ausgehen, dass kein Grund für eine Ausnahme vorliegt, wenn diese nicht in den Vergabeunterlagen explizit genannt ist, sich aus den gesamten Vergabeunterlagen auf sonstige Weise eindeutig ergibt oder auf Grund der besonderen Natur des Auftrags evident ist.
48
Auch die rechtliche Erkennbarkeit ist gegeben, da ein Durchschnittsbieter des hier einschlägigen Bieterkreises von Architekten und (Bau-) Ingenieuren regelmäßig mit der Losaufteilung nach Fachgewerken bei Bauaufträgen in Berührung kommen wird, da die Vorbereitung und Mitwirkung an Vergabeverfahren Grundleistungen der Leistungsphasen 6 und 7 unter anderem im Leistungsbild Ingenieurbauwerke und Technische Ausrüstung sind. Einem durchschnittlichen Anbieter von Ingenieur- und Architektenleistungen muss daher der Grundsatz der Losaufteilung des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB und die Anforderungen an eine Ausnahme nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB bekannt sein. Dieser ist nicht nur eindeutig aus der Lektüre des Gesetzeswortlaut zu entnehmen, sondern wird auch regelmäßig in Rechtsprechung und Fachliteratur behandelt, dass sich ein durchschnittliches Unternehmen, welches nicht völlig unerfahren auf dem maßgeblichen Markt ist und sich für einen größeren öffentlichen Auftrag interessiert, vor diesem Thema nicht verschließen kann (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 06.10.2021 – 1/SVK/030-21) und es deshalb für diese auch regelmäßig rechtlich erkennbar wäre.
49
1.3.2. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb kein im vorliegenden Fall zulässiges Verfahren sei, ist die Antragstellerin mit diesem Vortrag nicht präkludiert.
50
Bezüglich der Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens war der potentielle Vergaberechtsverstoß für die Antragstellerin nicht aus den Vergabeunterlagen erkennbar. Vielmehr durfte die Antragstellerin davon ausgehen, dass der ausdrückliche Wortlaut des § 74 VgV, welcher für Architekten- und Ingenieurleistungen unter anderem das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb als Regelfall vorsieht, diesbezüglich korrekt ist. Ein durchschnittlicher Bieter aus dem Bereich der Architekten und (Bau-) Ingenieure darf sich darauf verlassen, dass das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb in der Regel ein zulässiges Verfahren für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen ist. Es gehört derzeit nicht zum allgemeinen Wissen dieses Bieterkreises, dass die Vergaberichtlinie 2014/24/EU, die mit der VgV in deutsches Recht umgesetzt wurde, kein Sonderregelungsregime für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen vorsieht und § 74 VgV daher richtlinienkonform auszulegen ist. In Erwägungsgrund 43 geht die Richtlinie lediglich davon aus, dass es sich bei Architekten- und Ingenieurleistungen im Regelfall um einen Auftrag handelt, der konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst und so die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb erfüllt. Die Formulierung des § 74 VgV ist jedoch von einem durchschnittlichen Bieter nicht so zu verstehen, dass hierdurch lediglich angemerkt wird, dass in der Regel bei Architekten- und Ingenieurleistungen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 Nr. 2 VgV erfüllt sein werden. Vielmehr darf ein durchschnittlicher Bieter den Paragrafen so verstehen, dass bei Architekten- und Ingenieurleistungen ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb zulässig ist, unabhängig davon, ob eine der Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 VgV erfüllt ist, auch wenn dies nicht den Vorgaben des EU-Rechts entspricht.
51
1.3.3. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass im gewählten Vergabeverfahren nicht verhandelt wurde, ist die Antragstellerin mit diesem Vortrag ebenfalls nicht präkludiert.
52
Die Antragsgegnerin hat nach Abgabe der Angebote und Durchführung des Termins für die Bieterpräsentation und die Verhandlung am 10.06.2021 die Abgabe finaler Angebote gefordert. Die Streitfrage, ob in dem Termin am 10.06.2021 Verhandlungen stattgefunden hatten oder nicht, konnte sich erst mit Durchführung des Termins stellen und sich daher weder aus der Auftragsbekanntmachung noch aus den Vergabeunterlagen ergeben.
53
Denkbar ist daher nur eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB. Es liegen allerdings keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin vor der Akteneinsicht in das entsprechende Protokoll über den Termin positive Kenntnis von einem möglichen Verstoß gegen Vergabevorschriften durch die fehlende Verhandlung in einem Verhandlungsverfahren hatte. Insbesondere kann der Antragstellerin nicht unterstellt werden, dass sie nach der Teilnahme am Termin über diesen möglichen Vergabeverstoß Kenntnis erlangt haben hätte müssen. Die Abgrenzung, wann in einem Verhandlungsverfahren tatsächlich eine Verhandlung über die indikativen Angebote stattfindet ist, insbesondere in Abgrenzung zu einer Bieterpräsentation und einer Angebotsaufklärung, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt und für einen durchschnittlichen Bieter kaum zu beurteilen. Zu der Frage, wie Verhandlungen im Verhandlungsverfahren abzulaufen haben und wie sie definiert werden, findet sich auch in § 17 VgV keine hinreichend genaue Aussage, die einem durchschnittlichen Bieter diesbezüglich einen Anhaltspunkt geben. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin bereits nach Durchführung des Termins am 10.06.2021 hätte wissen müssen, ob in diesem Termin ausreichende und korrekte Verhandlungen im Sinne des § 17 VgV stattgefunden haben.
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2. Der Nachprüfungsantrag ist, soweit er zulässig ist, jedoch unbegründet.
55
2.1. Das Angebot der Antragstellerin ist nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV auszuschließen, da es nicht die erforderlichen Preisangaben enthält.
56
Ein Verstoß gegen § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV, wonach die Angebote die geforderten Preise enthalten müssen, liegt nicht nur dann vor, wenn eine Preisangabe im Sinne einer echten Lücke fehlt, sondern auch dann, wenn der angegebene Preis unzutreffend ist. Denn ein transparentes, auf der Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Vergabeverfahren ist nur zu erreichen, wenn in jeder sich aus den Vergabeunterlagen ergebender Hinsicht vergleichbare Angebote abgegeben werden. Damit ein Angebot gewertet werden kann, ist deshalb jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis so wie gefordert vollständig und mit dem Betrag anzugeben, der für die betreffende Leistung beansprucht wird (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.03.2016 – VII-Verg 48/15; BGH, Beschluss vom 18.05.2004 – X ZB 7/04).
57
In Bezug auf die Reisekosten für die örtliche Bauüberwachung liegt im Angebot der Antragstellerin keine vollständige Erklärung über den Preis vor, die den Betrag, der für die betreffende Leistung beansprucht wird, nach den Vorgaben der Antragsgegnerin benennt.
58
Das Angebot der Antragstellerin weist in der Position 5.2.6 „Örtliche Bauüberwachung die Reisekosten nicht gesondert aus, sondern kalkuliert diese Kosten über den Allgemeinkostenzuschlag in den anzugebenden Stundensatz ein. Die Antragstellerin räumt dies im Schreiben vom 13.07.2021 selbst ein.
59
Für die Abfrage der Stundensätze und der Reisekosten in der Position 5.2.6 ist aus Sicht eines objektiven Bieters eindeutig erkannbar, dass die Stundensätze und Reisekosten getrennt aufzuführen sind. Die Position 5.2.6 sah für beide Kostenarten explizit eine getrennte Angabe vor, in welcher die jeweiligen Preise einzutragen waren. Zudem hat die Antragsgegnerin ausdrücklich klargestellt, dass die Vergütung für notwendige Reisekosten nur bei Anfall, also bei Anwesenheit auf der Baustelle erfolgt. Damit musste einem verständigen Bieter klar sein, dass die gesonderte Angabe dieser Kosten für die Abrechnung bei Vertragsdurchführung notwendig ist und die Antragsgegnerin diese aus genau diesem Grund abgefragt hat. Es sind in den Vergabeunterlagen keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin einen „Pauschalpreis“ abgefragt hätte, bei welcher die Reisekosten in den Stundensatz eingerechnet werden dürfen. Vielmehr ist aus der ausdrücklichen Angabe, dass eventuell in dieser Position anfallende weitere Kosten entweder bei den Reisekosten oder bei den Stundensätzen einzurechnen sind, daraus zu folgern, dass im Umkehrschluss die Reisekosten gerade nicht bei den Stundensätzen eingepreist werden dürfen.
60
2.2. Die Antragsgegnerin durfte nach § 74 VgV i.V.m. 17 Abs. 3 Nr. 2 VgV den Auftrag im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vergeben, da es sich bei den ausgeschriebenen Planungsleistungen um einen Auftrag handelt, der konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst.
61
Nach Art. 26 Abs. 4 a) ii) der RL 24/2014/EU ist Voraussetzung für ein Verhandlungsverfahren oder einen Wettbewerblichen Dialog, dass der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst, wovon nach Erwägungsgrund 43 bei Architekten- und Ingenieurleistungen im Einzelfall ausgegangen werden kann. Wenn § 73 Abs. 1 VgV für die Anwendung des Abschnitts 6 voraussetzt, dass Ausschreibungsgegenstand eine Aufgabe ist, deren Lösung vorab nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann, bedeutet das im Ergebnis nichts Anderes, als dass eine konzeptionelle und/oder innovative Lösung ausgeschrieben ist. Deshalb ist ein Verhandlungsverfahren in der Regel zulässig, wie es § 74 VgV klarstellt (vgl. Schneider in Beck VergabeR, 3. Aufl. 2019, VgV § 74 Rn. 11).
62
Der vorliegende Auftrag umfasst zunächst die Planungsleistungen der Leistungsphase 5, welche als Ausführungsplanung noch zu den „kreativen“ Leistungsphasen gehört. In dieser waren auch Vorschläge zur Optimierung und Weiterentwicklung der bisherigen Planung sowie als besondere Leistungen eine objektübergreifende, integrierte Bauablaufplanung und die Planung von Anlagen der Verfahrens- und Prozesstechnik zu erbringen. Zudem hat die Antragstellerin ein innovatives Konzept zum Energiemanagement und ein Konzept zur Optimierung der Schlammbehandlung mit dem Auftrag ausgeschrieben. Es handelt sich daher auf Grund dieser Punkte um einen Auftrag, der konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst. Diese sind auch im Rahmen des Auftrags nicht unwesentlich, da bereits die besonderen Leistungen der Objektplanung sowie die beiden zu erstellenden Konzepte knapp 20% der Gesamtauftragssumme ausmachen.
63
2.3. Es ist im vorliegenden Fall zulässig, dass sich die Antragsgegnerin auf die im Schriftsatz vom 03.11.2021 erstmals vorgebrachten Argumente für die Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb nach § 74 VgV i.V.m. 17 Abs. 3 Nr. 2 VgV als nachträgliche Dokumentation ihrer Entscheidung für dieses Vergabeverfahren beruft.
64
Grundsätzlich ist im Vergabeverfahren gem. § 8 Abs. 1 VgV eine Dokumentation in Textform nach § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuches zu führen, soweit dies für die Begründung von Entscheidungen auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens erforderlich ist. Der nach § 8 Abs. 2 VgV zu führende Vergabevermerk umfasst bestimmte Mindestangaben. Fehlt die Dokumentation von Verfahrensschritten kann dies unter Umständen nachgeholt/geheilt werden. Grundsätzlich muss mit Blick auf die Dokumentationspflichten unterschieden werden zwischen dem, was im Vergabevermerk mindestens niederzulegen ist, und Erwägungen der Vergabestelle, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung außerdem nachträglich verteidigt werden soll. Solche Überlegungen auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen, kann dem öffentlichen Auftraggeber nicht generell unter dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation verwehrt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der öffentliche Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren nicht kategorisch mit allen Aspekten und Argumenten präkludiert werden, die nicht im Vergabevermerk zeitnah niedergelegt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 08.02.2011 – X ZB 4/10). Vielmehr ist, soweit es die Frage der möglichen Heilung von Dokumentationsmängeln im Vergabevermerk betrifft, einerseits zu berücksichtigen, dass insbesondere die zeitnahe Führung des Vergabevermerks die Transparenz des Vergabeverfahrens schützen und Manipulationsmöglichkeiten entgegenwirken soll. Andererseits gibt das GWB der Vergabekammer vor, bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird (sogenannter Beschleunigungsgrundsatz, § 163 Abs. 1 Satz 4 GWB). Hiermit wäre es nicht vereinbar, bei Mängeln der Dokumentation im Vergabevermerk generell und unabhängig von deren Gewicht und Stellenwert von einer Berücksichtigung im Nachprüfungsverfahren abzusehen und stattdessen eine Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen. Dieser Schritt soll nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vielmehr Fällen vorbehalten bleiben, in denen die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten.
65
Die Vergabestelle hat im Verfahren nicht eine „versäumte“ Dokumentation nachgeholt, sondern sie hat zu den Einwänden der Antragstellerin Stellung bezogen und sich in diesem Zusammenhang erstmals dokumentiert mit der Frage befasst, ob der Auftrag konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst und daher ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach § 74 VgV i.V.m. 17 Abs. 3 Nr. 2 VgV zulässig ist. Sie hat im Schriftsatz vom 03.11.2021 dargelegt, dass ein Teil des Auftrags konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst. Da sowohl § 74 VgV und auch die RL 24/2014/EU in Erwägungsgrund 43 eine Vermutung dahingehend aufstellt, es sich bei Planungsleistungen um einen Auftrag handelt, der konzeptionelle oder innovative Lösungen umfasst, handelt es sich in diesem Fall bereits durch die Regelvermutung des Gesetzes nicht um eine ergebnisoffene Abwägung. Die Gefahr der Manipulation durch eine nachträgliche Dokumentation ist in der vorliegenden Fallkonstellation nicht zu erkennen. Eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung ist auch mit der nachgeschobenen Dokumentation der objektiv vorliegenden Gründe, welche zur Verwirklichung der Regelvermutung für die Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb bei Planungsleistungen führen, gewährleistet.
66
2.4. Die Antragsgegnerin hat auch nicht gegen § 17 Abs. 10 VgV verstoßen, da den Vergabeunterlagen und dem finalen Angebot der Antragstellerin zu entnehmen ist, dass tatsächliche Verhandlungen über das Erstangebot der Antragstellerin stattgefunden haben müssen.
67
§ 119 Abs. 5 GWB besagt, dass sich der öffentliche Auftraggeber im Verhandlungsverfahren an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit diesen „über die Angebote zu verhandeln“. Es ist Sinn und Zweck des Verhandlungsverfahrens, mit den Bietern über deren Angebote und Vertragspreise zu verhandeln, um, ggf. durch Anpassung bereits abgegebener Angebote, das gemäß den Vergabeunterlagen wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln (BGH, Urteil vom 10.09.2009 – VII ZR 255/08). § 17 Abs. 10 VgV sieht es zudem explizit als Zweck der Verhandlungsrunden, die Angebote inhaltlich zu verbessern. Eine Verhandlung im Sinne des § 17 VgV ist damit als Interaktion zwischen Bieter und Auftraggeber zu klassifizieren, die mit dem Ziel durchgeführt wird, die Angebote inhaltlich zu verbessern.
68
Aus dem Protokoll des Gesprächs vom 10.06.2021 ist zumindest angedeutet, dass Verhandlungen über das Angebot stattgefunden haben. Die Antragsgegnerin vermerkt hier, dass über verschiedene Positionen im Angebot der Antragstellerin gesprochen wurde und dass angedacht sei, hinsichtlich der Position 5.2.2 und 5.2.6 Präzisierungen vorzunehmen, um ein finales Angebot anzufragen. In ihrem Begleitschreiben vom 18.036.2021 zu ihrem finalen Angebot geht die Antragstellerin an mehreren Stellen ebenfalls darauf ein, dass im Gespräch am 10.06.2021 Hinweise und Präzisierungen zu den Grundlagen der Honorarermittlung gegeben wurden und diese auch in das finale Angebot der Antragstellerin eingeflossen sind.
69
Damit ist insoweit hinreichend dokumentiert, dass zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin Gespräche geführt wurden, mit dem Ziel die Angebote inhaltlich zu verbessern.
70
2.5. Die Antragsgegnerin hätte nicht bereits hinsichtlich des Erstangebots der Antragstellerin eine Preisaufklärung in Textform wegen eines unangemessen niedrigen Angebots durchführen müssen. Insbesondere trägt die Antragstellerin selbst die Verantwortung für die Vollständigkeit ihres indikativen Angebots gemäß § 53 Abs. 7 Satz 2 VgV (vgl. VK Thüringen, Beschluss vom 29.03.2019 – 250-4003-10402/2019-E-002-SHL). Die gesetzlichen Regelungen zur Preisaufklärung im § 60 VgV begründen im Verhandlungsverfahren keine umfassende Prüf- und Hinweispflicht des öffentlichen Auftraggebers auf mögliche Unterkostenangebote, damit diese in künftigen Verhandlungsrunden verbessert werden könnten.
71
Die Regelungen über den Umgang mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten in § 60 VgV sollen in erster Linie dem Schutz des Auftraggebers dienen, der bei Zuschlagserteilung auf ein Angebot mit einem ungewöhnlich niedrigen Preis Gefahr läuft, dass der Bieter entweder in eine qualitativ schlechte Leistung erbringt oder aber in unberechtigte Nachforderungen auszuweichen versucht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12.9.2000 – Verg 4/00). Auch Mitbewerber haben einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber die in § 60 Abs. 2 VgV vorgesehene Prüfung vornimmt, wenn ein Angebotspreis aufgrund des signifikanten Abstands zum nächstgünstigen Gebot oder ähnlicher Anhaltspunkte, wie etwa der augenfälligen Abweichung von preislichen Erfahrungswerten aus anderen Beschaffungsvorgängen, ungewöhnlich niedrig erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2017 – X ZB 10/16). § 60 VgV begründet jedoch keinen Anspruch des Bieters darauf, dass ein öffentlicher Auftraggeber das eigene (Erst-) Angebot in einem Verhandlungsverfahren bezüglich eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises aufklärt, damit der Bieter die Chance hat, das Angebot diesbezüglich zu ändern, um einem Ausschluss seines immer noch zu niedrigen finalen Angebots zu entgehen.
72
Auch das Argument der Antragstellerin, die Antragsgegnerin hätte schon beim indikativen Erstangebot die Antragstellerin darauf hinweisen müssen, dass das Angebot nicht die erforderlichen Preise enthalte, damit die Antragstellerin dies für ihr finales Angebot hätte korrigieren können, verfängt nicht. Auch im Verhandlungsverfahren hätte die Antragstellerin ein vollständiges indikatives Erstangebot einreichen müssen. Bei einer ordnungsgemäßen Prüfung der indikativen Erstangebote hätte das Angebot der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV bereits ausgeschlossen werden müssen. Auch wenn in einem Verhandlungsverfahren nachträgliche Änderungen an den eingereichten Angeboten möglich sind, so können diese nicht unbegrenzt erfolgen. Der Ausschlusstatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV gilt auch im Verhandlungsverfahren bereits für das indikative Erstangebot, insbesondere wenn wie hier der Zuschlag auch auf das Erstangebot vorbehalten war. Die Antragstellerin ist daher durch die unterlassene frühere Prüfung der Vollständigkeit der Preisangaben nicht in ihren Rechten verletzt, da bereits ihr Erstangebot auf Grund desselben Formfehlers vom Verfahren hätte ausgeschossen werden müssen.
73
2.6. Bezüglich des Vortrags der Antragstellerin zur fehlerhaften Wertung ihres Angebots durch die Zusammensetzung des Bewertungsgremiums sowie der Anwendung der nichtpreislichen Zuschlagskriterien, ist die Antragstellerin bereits nicht in ihren Rechten verletzt. Das Angebot der Antragstellerin wurde zu Recht vom Verfahren ausgeschlossen, so dass auch bei einer Wiederholung der Angebotswertung hinsichtlich der nichtpreislichen Zuschlagskriterien durch die Antragsgegnerin die Antragstellerin keine Aussicht auf Erteilung des Zuschlags hätte.
74
2.7. Die Vergabekammer kann keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass für Frau Dr. B… ein Mitwirkungsverbot nach § 6 Abs. 1 VgV bestanden hätte. Die Antragsgegnerin hat den diesbezüglichen Vortrag der Antragstellerin in der Rügeantwort vom 28.07.2021 konkret und ausführlich beantwortet. Die Ausführungen der Antragsgegnerin sind plausibel und nachvollziehbar. Die Antragstellerin hat auf die konkreten Erklärungen der Antragsgegnerin zu den Kontakten von Frau Dr. B… zu Herrn Prof. H… auch nicht mit weiterem Vortrag entgegengetreten.
75
3. Kosten des Verfahrens
76
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragstellerin.
77
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt für den Regelfall einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro. Die konkrete Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Auf Grund der wirtschaftlichen Bedeutung des Nachprüfungsverfahrens wird eine Gebühr von…,00 € festgesetzt. Anhaltspunkte für eine Ermäßigung der Gebühr aus Gründen der Billigkeit liegen nicht vor, insbesondere hatte die Vergabekammer bei der Bearbeitung des Falles einen durchschnittlich hohen Aufwand.
78
Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraftverrechnet.
79
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen.
80
Wegen der Schwierigkeit des Vergaberechts, der kontradiktorischen Ausgestaltung des Nachprüfungsverfahrens und der Eilbedürftigkeit des Vortrags in Vergabesachen ist die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten nicht nur ausnahmsweise bei ungewöhnlichen Konstellationen als notwendig zu erachten. Vielmehr erfordert die Entscheidung über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen eine differenzierende Betrachtung des Einzelfalls (BGH, Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06). Dies gilt auch für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den Auftraggeber. Bei der Prüfung ist darauf abzustellen, ob der Beteiligte nach den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH, Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.10.2020 – Verg 36/19). Hierfür können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch persönliche Umstände, wie die sachliche und personelle Ausstattung der Beteiligten maßgeblich sein, zudem fließt der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung ein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.06.2020 – Verg 43/18 m.w.N.). Für den öffentlichen Auftraggeber gilt, dass dann, wenn das Nachprüfungsverfahren schwerpunktmäßig auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen zum Gegenstand hat, für ihn im Regelfall keine Notwendigkeit besteht, anwaltlichen Beistand hinzuzuziehen. Denn in seinem originären Aufgabenbereich muss der Auftraggeber sich die notwendige Sach- und Rechtskenntnis grundsätzlich selbst verschaffen (OLG München, Beschluss vom 11.06.2008 – Verg 6/08).
81
In dem vorliegenden Vergabenachprüfungsverfahren haben die Beteiligten neben der Frage über den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin auch über die Erkennbarkeit von Vergabeverstößen, über Fragen der Losaufteilung und der Wahl des Verhandlungsverfahrens, über die korrekte Durchführung der Angebotswertung in einem Verhandlungsverfahren, über die Abgrenzung zwischen einer Bieterpräsentation und einer Verhandlung sowie über die Dokumentationspflicht gestritten.
82
Diese Streitpunkte gehen insgesamt über einfach gelagerte, auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen hinaus. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin zwar Große Kreisstadt ist, mit ca. 25.000 Einwohnern jedoch nicht über eine umfangreiche Administration für Vergabeangelegenheiten und daher nicht über Mitarbeiter mit für ein Nachprüfungsverfahren zureichenden vergaberechtlichen oder prozessualen Kenntnissen verfügt.
83
Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden.
84
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09).
85
Die Beigeladene hat sich weder durch schriftsätzlichen noch mündlichen Vortrag oder die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt. Die Vergabekammer erachtet daher die Erstattung von zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen nicht als billig.