Titel:
Kein Anspruch auf Ausbildungsförderung – mehrfacher Fachrichtungswechsel
Normenketten:
BAföG § 1, § 7 Abs. 3
BayHSchG Art. 99 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein unabweisbarer Grund liegt vor, wenn Umstände eintreten, die die Fortführung der bisherigen Ausbildung objektiv und subjektiv unmöglich machen; dabei können nur solche Umstände berücksichtigt werden, die zu einem Wegfall der Eignung des Auszubildenden für die künftige Ausübung des bisher angestrebten Berufs und die dahin zielende, noch zu absolvierende Ausbildung geführt haben, mangelnde Neigung für das bisherige Fach lässt den Wechsel der Fachrichtung nicht als unabweisbar erscheinen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinsichtlich des wichtigen Grundes ist darauf abzustellen, ob dem Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nach verständigem Urteil unter Berücksichtigung aller iRd BAföG erheblichen Umstände und der beiderseitigen, die Förderung berührenden Interessen nicht mehr zugemutet werden kann; hierunter fallen insbesondere Eignungs- und Neigungsmängel. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es obliegt den Auszubildenden, die Fachrichtung unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) – zu wechseln, sobald ihnen der wichtige oder unabweisbare Grund bekannt oder in seiner Bedeutung bewusst ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch auf Ausbildungsförderung nach zweimaligem Fachrichtungswechsel (verneint), widersprüchliche Angaben zum Grund des Fachrichtungswechsels (Neigungswandel, Eignungsmangel), Kausalität des wichtigen Grundes für den Entschluss zum Fachrichtungswechsel, Unverzüglichkeit des Fachrichtungswechsels, Darlegungs- und Beweislast des Auszubildenden, Ausbildungs- und Studienförderungsrecht, Fachrichtungswechsel, widersprüchliche Angaben, Neigungswandel, Eignungswandel, Kausalität des wichtigen Grundes, mehrfacher Fachrichtungswechsel
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46669
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung für den Studiengang Computational Engineering (Bachelor) an der … Die Klägerin war vom Wintersemester 2018/2019 bis zum Sommersemester 2019 im Studiengang … an der … immatrikuliert.
2
Vom Wintersemester 2019/2020 bis zum Sommersemester 2021 studierte sie im Studiengang Lehramt an Gymnasien in der Fächerkombination Mathematik/Informatik (Staatsexamen) an der … Am 9. August 2019 beantragte die Klägerin beim Beklagten erstmals Ausbildungsförderung für diesen Studiengang. In einer am 16. September 2019 eingegangenen „Formlosen[n] Erklärung zum Studiengangwechsel“ führte sie sinngemäß aus, ihre Interessen in der Schule hätten sich sowohl in Richtung … als auch in Richtung Mathematik entwickelt. Daher sei ihr die Wahl des Studiengangs nach ihrem Abitur 2018 nicht allzu leichtgefallen. Letzten Endes habe sie sich für das … in … entschieden, unter anderem aus Kostengründen, da sie weiterhin zu Hause habe wohnen können. Der Beginn des Studiums sei noch relativ gut verlaufen, jedoch habe sie nach und nach, gerade auch vor der Prüfungsphase, gemerkt, dass sie keinen Funken Leidenschaft für ihr Fach habe aufbringen können. Zudem habe besonders der Stoff der Vorlesungen „…“ und „…“ kein großes Interesse in ihr geweckt. Da sie die Abschlussprüfungen der jeweiligen Vorlesungsfächer erst bis zum 3. Semester habe bestehen müssen, habe sie ihre Prüfungen erst einmal aufgeschoben, um sich mit dem Stoff und den Themen zunächst näher vertraut zu machen. Als im 2. Semester der Bereich „…“ noch vertieft worden und sie auch mit den anderen Fächern nicht warm geworden sei, habe sie beschlossen, ihre Zeit nicht unnötig auf ein Studium zu vergeuden, das ihr nicht gefalle. Nach eingehender Recherche über Alternativen, einigen hilfreichen Gesprächen mit Mathematiklehrern und -lehramtsstudenten und zwei Wochen Orientierungspraktikum an einer Schule habe sie gemerkt, dass dieses Studium und der daraus resultierende Beruf eher ihren Vorstellungen entsprächen. Zudem habe sie in der Schule bei dem Projekt „…“ Nachhilfe in Mathematik gegeben, was ihr schon damals Spaß gemacht habe. Demnach habe sie sich für einen Neustart mit Mathematik und Informatik auf Lehramt in Erlangen entschieden. Der Ortswechsel sei nach einem aufschlussreichen Gespräch mit ihrer Oberstufen-Mathelehrerin zustande gekommen, die dort selbst studiert und ihr die … als „tolle Uni für Mathe“ empfohlen habe. Da die Fahrt zur Universität nun nicht mehr … km, sondern gleich … km betrage und demnach eine tägliche Anfahrt, so wie dies in … möglich gewesen sei, nicht mehr machbar sei, habe sie sich in … eine Wohnung suchen müssen. Da ihr die Finanzierung einer Unterkunft dort durch eigene Ersparnisse nicht möglich sei, habe sie beschlossen, Ausbildungsförderung zu beantragen.
3
Der Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin für ihr nunmehr durchgeführtes Studium mit Bescheid vom 28. November 2019 dem Grunde nach die Leistung von Ausbildungsförderung. Da der Fachwechsel aus wichtigem Grund erfolgt sei, könne weiterhin Ausbildungsförderung geleistet werden. Mit Bescheid vom 18. Dezember 2019 wurde der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2019 bis September 2020 abgelehnt. Die Berechnung ergebe keine Auszahlung. Für den Zeitraum Oktober 2020 bis September 2021 bewilligte der Beklagte ihr auf ihren Antrag hin mit Bescheid vom 8. Dezember 2020 Ausbildungsförderung i.H.v. 396,00 EUR monatlich und schließlich mit Bescheid vom 26. April 2021 Ausbildungsförderung i.H.v. 424,00 EUR monatlich.
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Zum Wintersemester 2021/2022 wechselte die Klägerin in den Studiengang Computational Engineering (…) (Bachelor of Science) an der … Noch vor dem Wechsel des Studienganges stellte sie am 22. Juni 2021 einen Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2021 bis September 2022. Das Antragsformular füllte sie wie folgt aus (Angaben der Klägerin kursiv):
5
Ausbildungsstätte und Ausbildungsort Universität … in … Klasse/Fachrichtung Lehramt an Gymnasien, ab WS21: Computational Engineering angestrebter Abschluss Bachelor of Science Am selben Tag ging beim Beklagten eine „Formlose Erklärung zum Fachwechsel“ der Klägerin ein. Darin führte sie sinngemäß aus, sie habe im Wintersemester 2019 begonnen, an der FAU Lehramt an Gymnasien in den Fächern Mathematik und Informatik zu studieren. Die ersten Semester seien normal verlaufen, jedoch habe sie nach dem 3. Semester festgestellt, dass sie sich an den Abstraktionsgrad der Mathematik-Module nicht gewöhnen könne und dass sie, unabhängig davon, wie viel Aufwand und Zeit sie in diese Module gesteckt habe, keine zufriedenstellenden Leistungen erzielt habe. Zunehmend habe sie die fehlende Anwendung der Mathematik gestört, die sie ursprünglich dazu veranlasst habe, dieses Fach zu studieren. Auf Grund der wachsenden Unzufriedenheit und hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades des Staatsexamens nach neun Semestern habe sie sich dazu entschieden, etwas zu studieren, das deutlich anwendungsbezogener sei. Da ihre Begeisterung für die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer nach wie vor vorhanden sei, habe sie beschlossen, zum kommenden Wintersemester 2021 in den Studiengang Computational Engineering zu wechseln. An diesem Fach habe sie ganz besonders die Vertiefung in ein technisches Anwendungsfach und die spätere Vielseitigkeit in der Berufswahl gereizt. Da auch in diesem Studiengang der Fokus auf Mathematik und Informatik liege, könne sie zudem für viele schon bestandene Module einen Anrechnungsantrag stellen.
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Ferner ging am 22. Juni 2021 beim Beklagten eine „Erklärung zum Studium im Sommersemester 2021“ der Klägerin ein. In dieser führte die Klägerin sinngemäß aus, nach einem Telefonat mit Herrn … beim Beklagten Anfang Juni 2021 habe sich herausgestellt, dass offiziell die Förderung für die restlichen Monate bis zum Wintersemester 2021 eingestellt werden müsste, da sie beschlossen habe, den Studiengang zu wechseln. Daher habe sie im Folgenden nochmals darlegen wollen, dass das Sommersemester 2021 keine nutzlos geförderte Studienzeit gewesen sei. Im Lehramtsstudium Informatik und im Studiengang Computational Engineering gebe es einige Pflichtmodule, die sich überschnitten, wie z.B. Systemprogrammierung, Algorithmen und Datenstrukturen. Ferner existiere ein freier Wahlbereich in Computational Engineering, bei dem man sich aus dem Informatik-Modulkatalog Module auswählen könne. Da sie das Sommersemester nicht habe ungenutzt lassen wollen, habe sie Systemprogrammierung und Rechnerkommunikation belegt, offiziell noch als Lehramtsstudentin, aber eigentlich, um es sich anrechnen zu lassen. Das Ziel sei gewesen, möglichst viele ECTS-Punkte schon im Vorhinein zu sammeln, um im neuen Studiengang keine sechs Semester mehr studieren zu müssen. Natürlich werde sie auch beim Lehrstuhl einen Antrag auf Semesteranrechnung stellen und werde somit hoffentlich schon in das 2. Semester eingestuft. Diesen Antrag könne man jedoch erst, genauso wie den Antrag auf Fachrichtungswechsel, ab 1. Juli 2021 stellen. Daher werde sie diese Anträge nachreichen, sobald sie bearbeitet worden seien.
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Am 10. September 2021 reichte die Klägerin beim Beklagten den Antrag auf Anerkennung von Qualifikationen, Studien- und Prüfungsleistungen für den Studiengang Computational Engineering ein, den sie mit Schreiben vom 24. Juni 2021 bei der … gestellt hatte. Ferner reichte sie ein Schreiben der … vom 10. September 2021 und eine Leistungsübersicht für den Studiengang Computational Engineering vom selben Tag ein, nach denen ihr Leistungen im Umfang von 20 ECTS anerkannt wurden. Nach dem Schreiben der … hätten „Lineare Algebra 1“ und „Analysis 1“ nicht anerkannt werden können.
8
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2021 stellte der Beklagte fest, für das zum Wintersemester 2021/2022 aufgenommene Studium Computational Engineering (Bachelor) an der … könne Ausbildungsförderung nach dem BAföG nicht geleistet werden. Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Klägerin sei vor Beginn des jetzigen Studiums vom Wintersemester 2019/2020 bis zum Sommersemester 2021 insgesamt vier Semester im Studiengang Lehramt an Gymnasien in der Fächerkombination Mathematik/Informatik (Staatsexamen) an der … immatrikuliert gewesen. Auf Grund der Regelung des Art. 99 Abs. 2 BayHSchG würden drei Fachsemester nicht berücksichtigt, sodass sie faktisch nur ein Semester in diesem Studiengang verbracht habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der damit übereinstimmenden Tz. 7.3.7 BAföG VwV sei ein wichtiger Grund dann gegeben, wenn dem Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nach verständigem Urteil unter Berücksichtigung aller im Rahmen des Gesetzes erheblichen Umstände einschließlich der mit der Förderung verbundenen persönlichen und öffentlichen Interessen nicht mehr zugemutet werden könne. In diesem Zusammenhang seien an den Begriff des wichtigen Grundes umso höhere Anforderungen zu stellen, je weiter das zunächst durchgeführte Studium bereits fortgeschritten gewesen sei. Ein Wandel der Neigung oder ein Irrtum über die Studieninhalte könnten nur dann als wichtiger Grund gewertet werden, wenn der Fachwechsel in der Anfangsphase des Erststudiums, die nach der Rechtsprechung mit dem 2. Semester ende, erfolgt sei. Deshalb könne die Klägerin sich beim zweiten Fachwechsel nicht auf einen einfachen Neigungswandel berufen. Mit der Feststellung, dass das Studium im Teilbereich Mathematik auf Grund der fehlenden Anwendung nicht ihren Vorstellungen und Neigungen entsprochen habe, mache die Klägerin jedoch einen einfachen Neigungswandel geltend. Das Vorliegen eines Eignungsmangels habe sie nicht hinreichend dargelegt. Ein solcher sei auch aus dem von ihr vorgelegten Fachwechselgesuch nicht ersichtlich und zudem nicht belegt. Dem Notenspiegel sei ein Eignungsmangel jedenfalls nicht zu entnehmen. Nur ergänzend werde darauf hingewiesen, dass auch keine Tatsachen vorgetragen oder ersichtlich seien, die einen Fachwechsel aus unabweisbarem Grund rechtfertigten. Unabweisbar sei nur ein Grund, der eine Wahl zwischen Alternativen eines Handelns nicht zulasse. Das Vorliegen eines unabweisbaren Grundes sei von der Rechtsprechung bis dato nur in wenigen Ausnahmefällen bejaht worden. So sei beispielsweise das Vorliegen eines unabweisbaren Grundes angenommen worden, wenn ein Sportstudent bei einem Autounfall ein Bein verliere oder bei einem krankheitsbedingten Verlust einer Hand bei der Ausbildung zum Violinisten oder Pianisten. In diesen eng begrenzten Ausnahmefällen sei es den Auszubildenden jeweils unmöglich gewesen, das bisherige Studium fortzusetzen, d.h. die Alternative, das zunächst betriebene Studium fortzuführen oder einen Studienfachwechsel zu vollziehen, habe definitiv nicht bestanden. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall.
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Mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Oktober 2021. Mit Schreiben vom 15. November 2021 begründete sie ihren Widerspruch. Sie wolle den erneuten Studiengangwechsel hiermit ausführlicher erklären und mit ärztlichem Gutachten belegen. Beim Einreichen der formlosen Erklärung zum Fachwechsel sei ihr nicht bewusst gewesen, dass der einzig erlaubte Neigungswechsel schon für den Abbruch des Studiums der … gezählt habe, da sie dort keine Ausbildungsförderung bezogen habe. Auch aus dem Telefonat vom 8. Juni 2021 mit dem zuständigen Sachbearbeiter des BAföG-Amtes, bei dem sie sich nach den nötigen Dokumenten bei einem etwaigen Wechsel erkundigt habe, sei diese Information nicht hervorgegangen. Aus persönlichen Gründen habe sie ihre gesundheitlichen Probleme nicht öffentlich benennen wollen und daher die Entscheidung, ein neues Studienfach anzufangen, nicht detaillierter begründet. Seit ihrem 6. Lebensjahr sei sie an Asthma bronchiale erkrankt und müsse deswegen jeden Morgen und Abend eine Dosis Kortison inhalieren. Zudem habe sie im Januar 2019 eine dreijährige Hypersensibilisierung gegen Hausstaubmilben in der Hoffnung angefangen, so dem allergischen Asthma entgegenzuwirken und nicht immer auf Medikamente angewiesen zu sein. Unerwartet seien seit April 2021 immer häufiger stimmliche Probleme aufgetreten. Diese hätten sich in Form von ständigem Räuspern, Heiserkeit, Stimmbrüchigkeit und vermehrter Sprechanstrengung geäußert. Auf Grund dessen habe sie sich Anfang Juni 2021 bei der erfahrenen Logopädin Frau … beraten lassen. Diese habe ihr zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen ihrer Bronchialerkrankung, der Kortisoneinnahme und ihrer stimmlichen Beschwerden aufgezeigt und von einem sprechintensiven Beruf abgeraten. Sie habe ihr geschildert, dass durch die langjährige Kortisoneinnahme die Stimmbänder zunehmend ausgetrocknet würden, was bei längerer Sprechbelastung zu häufigem Räuspern und zu Heiserkeit führe und es somit zu dauerhaften Stimmbandproblemen kommen könne. Da die Stimme im Lehrerberuf das wichtigste Werkzeug sei, liege es nahe, dass es im späteren Berufsleben häufig zu krankheitsbedingten Ausfällen mit nachfolgender langwieriger Stimmtherapie kommen und es im schlimmsten Fall zu einer Berufsuntauglichkeit führen könne. Zu den neu aufgetretenen gesundheitlichen Problemen und der gewonnenen Erkenntnis über die negativen Auswirkungen ihres Asthmas auf ihre Stimmqualität komme noch hinzu, dass die Hypersensibilisierung nach über zweieinhalb von drei Jahren nicht zum gewünschten Erfolg geführt habe. Sie werde weiterhin auf die tägliche Einnahme von Kortison angewiesen sein. Der somit entstehende Kreislauf von Medikation, Heiserkeit und dauerhafter Belastung des Stimmapparates lasse sich daher nicht vermeiden. Die genannten Fakten zu ihrem gesundheitlichen Zustand hätten zu dem eigentlichen Grund, ihren Studiengang zu wechseln, geführt. Nachdem ihr Anfang Juni 2021 bewusst geworden sei, dass ihre stimmlichen Voraussetzungen für den Lehrerberuf nicht geeignet seien, habe dies bei ihr unter anderem auch zu moralischen Konflikten geführt. Sie wolle ihren zukünftigen Beruf sehr ernst nehmen. Da die Gefahr bestehe, durch hohe Ausfallzeiten für Schüler, Kollegen und den Staat eine Belastung darzustellen, habe sie das weitere Studium mit ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren können und für ihren zukünftigen Werdegang als Lehrerin keine Perspektive gesehen.
10
Beigelegt war ein Schreiben von Dr. med. … vom … Februar 2021 an Dr. med. … Als Diagnosen sind dort aufgeführt: Asthma bronchiale allergisch (J45.0G), Allergische Rhinitis (J30.1G) und Spezifische subcutane Immuntherapie mit Depigoid seit Januar 2019. Ferner ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin im Dezember Prednisolon nicht gebraucht habe und es mit dem erhöhten Symbicort gut gegangen sei.
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Überdies beigelegt war eine Bestätigung der Lehrlogopädin … vom 14. Juni 2021 über einen Vorstellungstermin am 7. Juni 2021 zu einer logopädischen Beratung. In dem Gespräch habe die Klägerin von stimmlichen Beeinträchtigungen mit immer wiederkehrender Heiserkeit, Atemdefiziten und Sprechanstrengungen, insbesondere nach langen Redephasen, berichtet. Der durchgeführte Stimmbefund habe Hinweise auf eine primär hyperfunktionelle Dysphonie ergeben. Unter Umständen liege ein Zusammenhang mit bestehendem Asthma bronchiale und einer (medizinisch notwendigen) Dauermedikation mit cortisonhaltigen Substanzen vor. Der Zyklus der vorherrschenden Stimmbeeinträchtigungen und der Grunderkrankung sei ausführlich aus logopädischer Sicht dargelegt worden und solle im Folgenden nochmals kurz erläutert werden: Allergien führten sehr häufig zu Schwellungen der Schleimhaut im Kehlkopf und der Stimmlippen, welche in Folge die Befeuchtung der Schleimhaut nicht mehr gewährleisteten. Dies führe dazu, dass sich die Struktur der Stimmlippen verändere (Schwellungen träten auf). Dadurch gelinge die Stimmproduktion nicht mehr physiologisch, da regelmäßig mehr Kraft zum Phonieren benötigt werde. In der Folge träten Heiserkeit, Missempfindungen und andere Symptomatiken auf. Cortison, welches als Spray dauerhaft eingenommen werden müsse, zeige nachgewiesenermaßen stark schleimhautschädigende Wirkung. Die Stimme sei bzw. werde nicht mehr belastungs- und tragfähig. Die Klägerin habe erste Informationen hinsichtlich Stimmhygiene sowie präventiver Maßnahmen, sofern diese möglich seien, erhalten. Zum Ausschluss organischer Veränderungen sei eine Vorstellung beim HNO-Arzt mit ggf. weiteren Therapiemaßnahmen angeraten worden.
12
Ferner beigelegt war ein Attest zur Vorlage beim BAföG-Amt der HNO-Ärztin … vom *. November 2021, wonach die Klägerin bei ihr in ambulanter Therapie sei. Als Diagnosen sind Hyperfunktionelle Dysphonie (R 49.0, G), Asthma bronchiale und Milbenallergie angegeben. Die Klägerin leide seit der Kindheit unter einem allergischen Asthma. Dauermedikamente seien erforderlich. Durch die Sprechbelastung habe sich zusätzlich eine hyperfunktionelle Stimmstörung entwickelt. Aus diesem Grund sollte aus medizinischem Grund die Empfehlung ausgesprochen werden, keinen Sprechberuf mit dauerhafter Stimmbelastung zu wählen. Die Stimme werde nicht dauerhaft belastbar sein.
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Mit Bescheid vom 3. Februar 2022 wies der Beklagte den Widerspruch kostenfrei zurück. In der Schilderung des Sachverhaltes wurde ausgeführt, der zweite Fachrichtungswechsel sei mit Bescheid vom 4. Oktober 2021 mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes i.S.d. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG abgelehnt worden. Auf Grund der anzuwendenden Pandemieregelung des Art. 99 Abs. 2 BayHSchG habe bei der Klägerin § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG angewendet werden können. Hinsichtlich der rechtlichen Bewertung wurde ausgeführt, auch mit den im Widerspruch vorgetragenen Krankheitsgründen könne der Fachrichtungswechsel nicht bewilligt werden. Zwar könnten die vorgetragenen stimmlichen Probleme einen Eignungsmangel i.S.d. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG für die Berufsausübung als Lehrkraft darstellen, jedoch sei die weitere Voraussetzung für die Bewilligung des Fachrichtungswechsels nach § 7 Abs. 3 BAföG nicht erfüllt, dass dieser unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen müsse. Sobald der Auszubildende sich Gewissheit über den Hinderungsgrund für das bisher gewählte Fach verschafft habe, müsse er nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unverzüglich die notwendigen Konsequenzen ziehen und die bisherige Ausbildung aufgeben. Nach den Angaben der Klägerin in der Erklärung zum Fachrichtungswechsel sei ihr bereits zu Beginn des Sommersemesters 2021 klar gewesen, dass sie das Studium „Lehramt an Gymnasien“ auf Grund der Schwierigkeiten mit den Mathematik-Modulen nicht fortführen würde. Die Klägerin hätte also bereits unverzüglich nach Kenntnis dieses Hinderungsgrundes die Ausbildung aufgeben müssen, sei jedoch weiter eingeschrieben geblieben. Selbst wenn man die vorher genannten Ausführungen der Klägerin ignorieren könnte, was nicht möglich sei, und davon ausgehen würde, dass die geltend gemachten Stimmprobleme zu dem Abbruch des Lehramtsstudiums geführt hätten, so habe die Klägerin spätestens im Juni 2021 gewusst, dass sie das Studium nicht mehr fortführen könne. Dennoch sei sie bis zum Ende des Sommersemesters 2021 immatrikuliert geblieben.
14
Am 22. Februar 2022 hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage erhoben. Zur Begründung bringt der Prozessbevollmächtigte vor, auf Grund Art. 99 Abs. 2 BayHschG habe die Klägerin praktisch nur ein Semester im Lehramtsstudiengang verbracht. Der zweite Wechsel vom Studiengang Lehramt in den gegenwärtigen sei daher tatsächlich vor Beginn des 4. Semesters erfolgt. Auch habe sie einen wichtigen Grund. Sie sei seit dem 6. Lebensjahr an Asthma bronchiale erkrankt und müsse deswegen jeden Morgen und jeden Abend eine Dosis Cortison einnehmen. Im Januar 2019 habe sie außerdem eine dreijährige Hypersensibilisierung gegen Hausstaubmilben angefangen, um so dem allergischen Asthma entgegenzuwirken und nicht mehr (für immer) von Cortison abhängig zu sein. Als sie im Wintersemester 2019/2020 den Studiengang Lehramt aufgenommen habe, habe sie sich berechtigte Hoffnung gemacht, nach erfolgreichem Abschluss den Beruf der Lehrerin an Gymnasien ausführen zu können, zumal sie auch in der Hypersensibilisierungsmaßnahme (Immuntherapie) befindlich gewesen sei. So habe Frau Dr. … in der Einrichtung „…“ dem Hausarzt der Klägerin am … Februar 2021 berichtet, dass sie im Dezember 2020 die Arznei Prednisolon nicht gebraucht habe und es mit dem Mittel Symbicort in erhöhter Dosis gut gehe. Kurz danach hätten wiederkehrend und immer öfter Räuspern, Heiserkeit und ständige Probleme begonnen. Dies habe die Klägerin veranlasst, sich in die Behandlung einer erfahrenen Logopädin zu begeben. Diese habe dann festgestellt, dass ihre Stimme nicht mehr belastbar und tragfähig sei. Sie sei auf Grund des Rates der Logopädin in der HNOärztlichen Gemeinschaftspraxis … vorstellig geworden. Dort sei man – wie auch die Logopädin – zum Schluss gekommen, dass empfohlen werde, keinen Sprechberuf mit dauerhafter Stimmbelastung zu wählen. Die Stimme sei nicht dauerhaft belastbar. Diese Bestätigung trage deshalb ein so „spätes“ Datum, da sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht benötigt worden und erst im laufenden Verwaltungsverfahren akut geworden sei. Somit sei für die Klägerin frühestens mit Erhalt der Feststellungen der Logopädin aufgrund der Vorstellung am 7. Juni 2021 bzw. mit der schriftlichen Stellungnahme vom 14. Juni 2021 festgestanden, dass der Lehramtsberuf von ihr nicht ausgeübt werden könne. Fachlich beraten habe sie sich dann entschieden, den jetzt besuchten Studiengang aufzunehmen. Zu Recht nehme der Beklagte Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, gehe jedoch von dem Wissen bzw. der Gewissheit der Klägerin zu Beginn bzw. während des Sommersemesters 2021 aus. Zu diesem Zeitpunkt sei es der Klägerin bereits darum gegangen, das Lehramtsstudium aufzugeben. Es sei ihr Ziel gewesen, möglichst viele ECTS-Punkte zu sammeln, um dann zu wechseln. All dies sei jedoch falsch. Die beiden belegten Module seien Teil des Informatikstoffes für das Lehramt. Dass die hierbei im Sommersemester 2021 erlangten ECTS-Punkte für den jetzigen Studiengang hilfreich seien, werde nicht in Abrede gestellt, sei jedoch nicht Sinn und Zweck der Belegung gewesen. Maßgeblich sei die Gewissheit gewesen, nicht mehr den Beruf einer Lehrerin ausüben zu können. Dies sei frühestens mit der Untersuchung der Logopädin bzw. deren schriftlicher Stellungnahme der Fall gewesen. Wenn man es ganz genau nehme, habe die endgültige Gewissheit erst bei der darauffolgenden HNO-Untersuchung vorgelegen, in der eindeutig der Rat gegeben worden sei, einen Beruf auszuüben, bei dem die Stimme nicht benötigt werde. Da sie sofort nach dem ablaufenden Semester den Studiengang gewechselt habe, habe sie im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umsichtig und zügig das bis dahin gewählte Fach aufgegeben und sich dem aktuellen Studium zugewandt.
15
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagtenseite wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 04.10.2021 mit dem Az. … in der Form des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2022 mit der Förderungsnr. … der Klägerin für den Studiengang Computational Engineering (Bachelor) für die Zeit ab 01.10.2021 BAföG zu gewähren.
16
Der Beklagte beantragt,
17
Zur Begründung bezieht er sich auf den Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, es sei nicht möglich, die im Grundentscheidungsverfahren vorgetragenen Gründe komplett auszublenden. Die Klägerin habe bereits zu Beginn des 4. Semesters gewusst, dass sie den Studiengang „Lehramt an Gymnasien“ nicht berufsqualifizierend abschließen wolle. Dies habe sie bekräftigt, als sie – entgegen den jetzigen Ausführungen in der Klagebegründung – selbst dem Beklagten gegenüber schriftlich mitgeteilt habe, dass sie im Sommersemester 2021 Systemprogrammierung und Rechnerkommunikation belegt habe, mit dem Ziel, so viele ECTS-Punkte im Vornherein zu sammeln, um im neuen Studiengang keine sechs Semester mehr zu studieren. Sie habe somit gerade nicht für ihren Studiengang „Lehramt an Gymnasien“ die ECTS gesammelt, sondern für ihren neuen Studiengang.
18
Mit Schriftsatz vom 30. März 2022 lässt die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten erwidern, als die Feststellungen der Logopädin im Juni 2021 getroffen worden seien, habe sie sich zum Wechsel entschieden und sich mit dem BAföG-Amt in Verbindung gesetzt. Sie habe ihren Sachbearbeiter, Herrn …, erreicht und ihm die medizinischen Erkenntnisse und ihren Wechselentschluss mitgeteilt. Ihr sei gesagt worden, sie müsse einen formlosen Antrag stellen. Dann habe Herr … geäußert, er müsse mit sofortiger Wirkung die Ausbildungsförderung streichen, da sie nichts Sinnvolles (für den neuen Studiengang) machen würde. Da sie gewusst habe, dass die belegten Module auch für den neuen Studiengang geeignet wären, habe sie vorgetragen, die Auswahl der Module auch in diesem Hinblick getroffen zu haben. Dies sei jedoch so nicht zutreffend gewesen. Die im letzten Sommersemester belegten Module seien für das alte Studienfach vorgeschrieben gewesen. Bei der Auswahl zum Sommersemester habe sie nach wie vor die Hoffnung gehabt, Gymnasiallehrerin werden zu können. Erst mit den Feststellungen der Logopädin habe sie die Gewissheit gehabt, dass dies niemals möglich sein werde. Als der Antrag auf Ausbildungsförderung abgelehnt worden sei, habe sie zu der Ansicht gelangen müssen, dass die schriftliche Stellungnahme der Logopädin nicht ausreichen werde, um ihren berechtigten Anspruch untermauern zu können. Deshalb habe sie sich in die HNO-Praxis begeben, die dann am … November 2021 schriftlich bestätigt habe, dass sie keinen Sprechberuf ausüben könne bzw. dürfe.
19
Mit Schriftsatz vom 19. April 2022 bestreitet der Beklagte weiterhin, dass die Klägerin ihren Entschluss zum Fachrichtungswechsel erst im Juni 2021 getroffen habe. Der jetzige Vortrag widerspreche der eigenen Aussage der Klägerin in ihrer Begründung vom 22. Juni 2021 und ihrer „Erklärung zum Studium im Sommersemester 2021“ vom 22. Juni 2021. Beide schriftlich festgehaltenen Aussagen der Klägerin ließen keinen anderen Schluss zu, als dass sie bereits zu Beginn des Sommersemesters 2021 den Entschluss gefasst habe, das Studium nicht mehr fortführen zu wollen.
20
Mit Schriftsatz vom 26. April 2022 lässt die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten die Situation näher darlegen, als sie sich von Herrn … im Sommer 2021 Rat geholt habe, wie vorzugehen sei. Herr … habe gewusst, dass es sich um einen zweiten Wechsel gehandelt habe. Er habe es jedoch versäumt, ihr mitzuteilen, dass ein Neigungswechsel für diesen zweiten Wechsel des Studienfaches nicht ausreichen würde. Dennoch habe er ihr zunächst mitgeteilt, es würde ein einfacher Antrag ohne Begründung genügen. Im weiteren Verlauf des Gespräches habe er dann gemeint, dass sie in diesem Sommersemester nichts Förderliches für ihre Ausbildung mache. Deshalb müsse er die Ausbildungsförderung sofort streichen. Um dem zu entgehen, sei es dann zu den missverständlichen Äußerungen gekommen. Bei Antritt des Sommersemesters habe noch der Wunsch bestanden, den Studiengang Lehramt erfolgreich zu beenden. Erst viel später hätten gesundheitliche Gründe zum zweiten Wechsel gezwungen.
21
In der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2022 hat die Klägerin u.a. sinngemäß angegeben, ihre Angaben zum Neigungswandel hätten nicht der Wahrheit entsprochen. Sie habe das 3. Semester „normal angefangen“ und die entsprechenden Fächer belegt. Sie habe dann stimmliche Probleme bekommen. Das Interesse am Lehramtsstudium sei noch vorhanden gewesen, aber zwei bis drei Tage nach dem Besuch bei der Logopädin habe sie sich zum Fachrichtungswechsel entschlossen.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die Sitzungsniederschrift vom 7. Dezember 2022, und auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
23
I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung dem Grunde nach für ihr Studium Computational Engineering (Bachelor) an der …, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
24
1. Gem. § 1 BAföG besteht nach Maßgabe dieses Gesetzes ein Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung für eine der Neigung und Leistung entsprechende Ausbildung, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen.
25
a) Nach einem Ausbildungsabbruch oder einem Fachrichtungswechsel wird eine danach aufgenommene andere Ausbildung nur nach dem BAföG gefördert, wenn für den Abbruch oder den Fachrichtungswechsel ein wichtiger oder ein unabweisbarer Grund vorlag (vgl. Winkler in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 66. Edition Stand 1.9.2022, § 7 BAföG Rn. 42). Insoweit bestimmt § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BAföG, dass nach einem Ausbildungsabbruch oder einem Fachrichtungswechsel Ausbildungsförderung auch für eine andere Ausbildung geleistet wird, wenn der Abbruch oder Fachrichtungswechsel aus wichtigem (Nr. 1) oder unabweisbarem Grund (Nr. 2) erfolgt.
26
Bei Auszubildenden an Hochschulen gilt § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 Nr. 1 BAföG nur, wenn der Ausbildungsabbruch bzw. Fachrichtungswechsel bis zum 4. Fachsemester erfolgt (§ 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BAföG). Anschließend ist förderungsrechtlich ein unabweisbarer Grund erforderlich. Beim erstmaligen Fachrichtungswechsel wird nach § 7 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 1 BAföG in der Regel vermutet, dass die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG erfüllt sind. Bei Auszubildenden an Hochschulen gilt dies jedoch nur, wenn der Wechsel bis zum Beginn des 3. Fachsemesters erfolgt, § 7 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2 BAföG.
27
Ein Fachrichtungswechsel liegt nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BAföG vor, wenn Auszubildende einen anderen berufsqualifizierenden Abschluss oder ein anderes bestimmtes Ausbildungsziel eines rechtlich geregelten Ausbildungsganges an einer Ausbildungsstätte derselben Ausbildungsstättenart anstreben.
28
Ein unabweisbarer Grund liegt vor, wenn Umstände eintreten, die die Fortführung der bisherigen Ausbildung objektiv und subjektiv unmöglich machen. Dabei können nur solche Umstände berücksichtigt werden, die zu einem Wegfall der Eignung des Auszubildenden für die künftige Ausübung des bisher angestrebten Berufs und die dahin zielende, noch zu absolvierende Ausbildung geführt haben. Mangelnde Neigung für das bisherige Fach lässt den Wechsel der Fachrichtung nicht als unabweisbar erscheinen (vgl. hierzu im Ganzen BVerwG, U.v. 30.4.1981 – 5 C 36/79 – juris Rn. 26).
29
Hinsichtlich des wichtigen Grundes ist darauf abzustellen, ob dem Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nach verständigem Urteil unter Berücksichtigung aller im Rahmen des BAföG erheblichen Umstände und der beiderseitigen, die Förderung berührenden Interessen nicht mehr zugemutet werden kann (BVerwG, U.v. 12.2.1976 – V C 86.74 – BeckRS 1976, 30430044). Hierunter fallen insbesondere Eignungs- und Neigungsmängel (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 137 ff.). Ein Eignungsmangel bezieht sich auf die Erkenntnis Auszubildender, dass es – z.B. aus körperlichen oder intellektuellen Gründen – an ihrer Eignung für die Ausbildung selbst oder für die mit ihr angestrebte Berufsausübung mangelt (vgl. Buter in Rothe/Blanke, BAföG, Stand November 2021, § 7 Rn. 42.1). Ein solcher Eignungsmangel liegt vor, wenn Auszubildende trotz ausreichender Bemühungen keine ausreichenden Leistungen erzielen können (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 137). Naheliegend ist ein Eignungsmangel bei anhaltend schlechten Leistungen (Müller in Pdk-Bund J-6, BAföG, Stand August 2020, Ziff. 2.3.2.2.2). Dagegen liegt ein Neigungswandel vor, wenn Auszubildende während der Ausbildung die Erkenntnis gewinnen, die gewählte Fachrichtung entspreche nicht ihrer Neigung (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 140). Bezugspunkt des Neigungswandels bzw. der Unzumutbarkeit ist die alte Ausbildung. Entsprechend reicht es für die Annahme eines Neigungswandels nicht aus, wenn Studierende für ein anderes Fach eine zusätzliche oder stärkere Neigung entwickeln (vgl. so zum Ganzen Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 141).
30
Die Berücksichtigung eines Eignungsmangels setzt allerdings voraus, dass dieser für den Auszubildenden vor Beginn der Ausbildung nicht erkennbar war, er also vor Aufnahme der Ausbildung gewissenhaft geprüft hat, ob er den Anforderungen des Studiums voraussichtlich gewachsen sein wird (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 137). Ähnlich setzt die Berücksichtigung eines Neigungswandels grundsätzlich voraus, dass der Auszubildende vor Beginn der Ausbildung davon ausgegangen war, das gewählte Fach entspreche seiner Neigung (vgl. Buter in Rothe/Blanke, BAföG Stand November 2021, § 7 Rn. 42.2). Zudem ist vor dem Hintergrund des Grundsatzes, dass nur eine umsichtig geplante und zielstrebig durchgeführte Ausbildung gefördert werden soll, vom Auszubildenden zu verlangen, dass er die erforderlichen Informationen einholt, bevor er mit dem Studium beginnt, mithin sich ein Bild von dem angestrebten Beruf und seiner Neigung hierzu macht (vgl. Buter in Rothe/Blanke, BAföG, Stand November 2021, § 7 Rn. 42.2; Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 141).
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Des Weiteren ist anerkannt, dass es Auszubildenden obliegt, die Fachrichtung unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) – zu wechseln, sobald ihnen der wichtige oder unabweisbare Grund bekannt oder in seiner Bedeutung bewusst ist (vgl. Buter in Rothe/Blanke, BAföG, Stand November 2021, § 7 Rn. 48). Diese Obliegenheit ergibt sich aus der Pflicht des Auszubildenden, seine Ausbildung umsichtig zu planen und zügig und zielstrebig durchzuführen (vgl. Buter a.a.O., eine Verpflichtung annehmend). Für die Konkretisierung unverzüglichen Handelns sind objektive und subjektive Gesichtspunkte relevant, etwa ob ein Unterlassen des Fachrichtungswechsels vorwerfbar oder durch ausbildungsbezogene Umstände gerechtfertigt ist (vgl. Buter a.a.O.). Von fehlender Unverzüglichkeit wurde beispielsweise ausgegangen im Fall eines nach zwei Fachsemestern erkannten Neigungswandels im Studium der Rechtswissenschaften bei Fortführung dieses Studiums um ein weiteres Semester ohne den Willen, dieses noch berufsqualifizierend abzuschließen, um sodann das gewünschte Medizinstudium aufzunehmen (vgl. BVerwG NVwZ 1990, 1169; dazu Buter a.a.O.). Dagegen wurde die Versagung von Ausbildungsförderung mangels Unverzüglichkeit als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG in einer Fallgestaltung angesehen, sofern der Neigungswandel gegen Ende des 1. Fachsemesters erkannt wird, in diesem Zeitpunkt der Anmeldetermin für das neue Studium bereits verstrichen ist und sodann ein weiteres Semester bis zum Fachrichtungswechsel vergeht (vgl. BVerfG, B.v. 3.7.1985 – 1 BvR 1428/82 – NVwZ 1985, 731; vgl. auch Buter a.a.O.). So sei die Verzögerung des Studienabbruchs um einige Monate, um abzuwarten, ob eine Zulassung zum neuen Studium erfolge, nicht von solcher Art und solchem Gewicht, die näher ausgeführte Ungleichbehandlung zu rechtfertigen (BVerfG a.a.O.; dazu Buter a.a.O.).
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Ein mehrfacher Fachrichtungswechsel ist förderungsunschädlich möglich, wenn für jeden Wechsel ein wichtiger Grund vorlag, was jeweils gesondert und selbstständig zu überprüfen ist (Buter in Rothe/Blanke, BAföG, Stand November 2021, § 7 Rn. 39). Da nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG für eine andere Ausbildung nur dann Ausbildungsförderung gewährt wird, wenn der Auszubildende die Fachrichtung „aus“ wichtigem oder unabweisbarem Grund gewechselt hat, muss der fragliche Grund jeweils im Zeitpunkt des Fachrichtungswechsels vorgelegen haben und hierfür jeweils ursächlich gewesen sein (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2020 – 5 B 18/20 – juris Rn. 7). So kann etwa ein nachträglich auftretender Eignungsmangel dann keine Berücksichtigung nach § 7 Abs. 3 BAföG finden, wenn der Auszubildende zu diesem Zeitpunkt seiner Obliegenheit zum Fachrichtungswechsel aus einem zuvor zu Tage getretenen Neigungswandel nicht nachgekommen war (vgl. VG Frankfurt, Gerichtsbescheid v. 25.2.2022 – 3 K 3225/20.F – juris Leitsatz).
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Außerhalb der Vermutungsregelung nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG trägt der Auszubildende die materielle Beweislast bzw. Feststellungslast hinsichtlich des Vorliegens eines wichtigen bzw. unabweisbaren Grunds (vgl. Winkler in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, Beck‘scher Online-Kommentar Sozialrecht, 67. Edition Stand 1.12.2022, § 7 BAföG Rn. 46, 48). Dasselbe gilt außerhalb der Vermutungsregelung für die Fragen der Unverzüglichkeit des Fachrichtungswechsels und der Kausalität des wichtigen bzw. unabweisbaren Grunds für den Fachrichtungswechsel. Denn mangels gesetzlicher Vermutung gilt insoweit der allgemeine Grundsatz, wonach jeweils derjenige Beteiligte die materielle Beweislast bzw. die Feststellungslast trägt, für den sich das Vorliegen der in Frage stehenden Beweistatsache günstig auswirken würde (vgl. Terhechte in Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, 5. Aufl. 2021, § 108 Rn. 16).
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b) Nach diesen Maßstäben steht einem Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung für das streitgegenständliche Studium § 7 Abs. 3 BAföG entgegen. Für den Wechsel vom Studium der … zum Lehramtsstudium wird zwar ein wichtiger Grund vermutet (aa). Hinsichtlich des Wechsels vom Lehramtsstudium zum streitgegenständlichen Studiengang Computational Engineering (Bachelor) liegen die Voraussetzungen der genannten Norm dagegen nicht vor. Dies gilt zunächst hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin, die Fachrichtung aufgrund Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium gewechselt zu haben, da die Klägerin an diesem Vortrag zuletzt ausdrücklich nicht mehr festgehalten hat und zudem auf Grundlage dieses Vortrags jedenfalls kein unverzüglicher Fachrichtungswechsel vorläge (bb). Soweit die Klägerin vorgebracht hat, die Fachrichtung aus gesundheitlichen Gründen im Zusammenhang mit ihrer Stimme gewechselt zu haben, ist unter Berücksichtigung der materiellen Beweislast bzw. Feststellungslast jedenfalls nicht davon auszugehen, dass der erfolgte Fachrichtungswechsel kausal auf die genannten gesundheitlichen Umstände zurückgeht, sich die Klägerin also nicht bereits vor dem Bekanntwerden der gesundheitlichen Umstände aus anderen Gründen zum Fachrichtungswechsel entschieden hatte (cc). Entsprechend kann hier offenbleiben, ob die Klägerin nach dem 4. Fachsemester ihres Lehramtsstudiums förderungsunschädlich lediglich aus unabweisbarem (und kausalen) Grund die Fachrichtung hätte wechseln können oder ob insoweit (aufgrund von Sonderregelungen während der Coronapandemie) ein wichtiger Grund ausgereicht hätte (dd).
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aa) Hinsichtlich des Wechsels vom Studiengang der … zum Studiengang Lehramt an Gymnasien in der Fächerkombination Mathematik/Informatik (Staatsexamen) war das Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG zu vermuten, da die Klägerin diesen ersten Fachrichtungswechsel nach zwei Semestern vollzog. Überdies hat der Beklagte der Klägerin insoweit mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. November 2019 die Leistung von Ausbildungsförderung für das Lehramtsstudium bewilligt, da der Wechsel aus wichtigem Grund erfolgt sei.
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bb) Mit Blick auf das Vorbringen der Klägerin, die Fachrichtung aufgrund Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium gewechselt zu haben, liegen die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 3 BAföG nicht vor.
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Zum einen hat die Klägerin an diesem Vorbringen zuletzt nicht mehr festgehalten, sondern vielmehr im Termin zur mündlichen Verhandlung sinngemäß erklärt, dieser im Verwaltungsverfahren gehaltene Vortrag sei unrichtig gewesen. Als Erklärung hierfür hat die Klägerin vorgebracht, da ihr gesagt worden sei, ihre Ausbildungsförderung könne auch rückwirkend für ein Semester aberkannt werden, da sie nichts Sinnvolles mehr studiere, habe sie „Panik geschoben“ und wegen des Neigungswandels geschrieben.
38
Zum anderen wäre der geltend gemachte Fachrichtungswechsel auch auf Grundlage des ursprünglichen Vorbringens der Klägerin, die Fachrichtung aus Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium gewechselt zu haben, mangels Unverzüglichkeit förderungsschädlich gewesen. Denn insoweit hatte die Klägerin noch in ihrer formlosen Erklärung zum Fachrichtungswechsel sinngemäß ausgeführt, sie habe nach dem 3. Semester festgestellt, sich an den Abstraktionsgrad der Mathematik-Module nicht gewöhnen zu können und dass sie, unabhängig davon, wie viel Aufwand und Zeit sie in diese Module gesteckt habe, keine zufriedenstellenden Leistungen erzielt habe. Hinsichtlich des genannten Zeitpunkts „nach dem 3. Semester“ hat die Klägerin zudem im Termin zur mündlichen Verhandlung auf Nachfrage der Kammer sinngemäß klargestellt, wenn sie geschrieben habe, sie hätte nach dem 3. Semester gemerkt, dass das Lehramtsstudium nicht ihren Neigungen entspreche, dann habe sie damit den Zeitpunkt nach der Klausurenphase des 3. Semesters, also des Wintersemesters, gemeint. Das sei dann also in etwa der Zeitpunkt ab März. Auf dieser Grundlage hätte die Klägerin am Ende des 3. Fachsemesters – dem Wintersemester 2020/2021 – festgestellt gehabt, sich nicht an den Abstraktionsgrad der gelehrten Mathematik gewöhnen zu können, sodass es ihr oblegen hätte, das Lehramtsstudium nicht noch – wie geschehen – im Sommersemester 2021 fortzusetzen.
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cc) Auch hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin, sie habe die Fachrichtung aus gesundheitlichen Gründen im Zusammenhang mit ihrer Stimme gewechselt, liegen die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 3 BAföG nicht vor. Denn insoweit kann unter Berücksichtigung der materiellen Beweislast bzw. Feststellungslast nicht davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung zum Fachrichtungswechsel kausal auf die genannten gesundheitlichen Gründe zurückgeht.
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(1) Allgemein kommt der Erklärung des Auszubildenden zu den Beweggründen für einen Wechsel der Fachrichtung jedenfalls dann entscheidende Bedeutung im Hinblick auf seine eigentliche Motivation zu, wenn diese Erklärung in sich geschlossen, aus sich heraus verständlich und von daher nicht ergänzungsbedürftig erscheint. Denn nach allgemeiner Erfahrung werden die ersten Angaben eines Beteiligten der Wahrheit oft näherkommen als seine späteren, auf den jeweiligen Verfahrensstand zugeschnittenen Angaben. Jedoch muss das Gericht auch im Fall von § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG den Sachverhalt von Amts wegen erforschen und in freier Beweiswürdigung feststellen, welches die wahren Gründe eines Fachrichtungswechsels sind. Das Gericht hat daher einer später geänderten, modifizierten oder ergänzten Darstellung der Gründe des Fachrichtungswechsels nachzugehen und anhand der Umstände des Einzelfalles zu prüfen, was die Widersprüche in der Darstellung des Sachverhaltes veranlasst hat. Erst dann lässt sich abschließend beurteilen, welches im Einzelfall die wahren Gründe des Fachrichtungswechsels sind (vgl. hierzu im Ganzen VGH BW, U.v. 22.1.1996 – 7 S 2090/95 – juris Rn. 45).
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(2) Danach ist die Kammer auch nach Anhörung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass ihre Darstellung zutrifft, wonach sie die Entscheidung zum Fachrichtungswechsel erst aufgrund ihr im Juni 2021 bekannt gewordener gesundheitlicher Umstände im Zusammenhang mit ihrer Stimme getroffen hat, also die in Frage stehenden gesundheitlichen Umstände kausal für die Entscheidung zum Fachrichtungswechsel waren. Denn insoweit waren die Angaben der Klägerin zur Überzeugung der Kammer nicht hinreichend glaubhaft. Klargestellt werden kann in diesem Zusammenhang, dass die Kammer durchaus davon ausgeht, dass die Klägerin insbesondere unter den gesundheitlichen Einschränkungen betreffend ihre Stimme leidet, wie sie zuletzt auch ärztlich attestiert wurden. Entscheidend ist hier allerdings die Frage, wann bzw. aus welchem Grund sich die Klägerin zum Fachrichtungswechsel entschieden hat.
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(a) Im Ausgangspunkt ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren eine substantiierte, in sich geschlossene, aus sich heraus verständliche und von daher nicht ergänzungsbedürftig erscheinende Erklärung zum Fachrichtungswechsel vorgelegt hat, in der sie sich auf einen Neigungswandel dahingehend berief, aus verschiedenen Gründen mit dem Lehramtsstudium unzufrieden gewesen zu sein. Dagegen hat sie in der mündlichen Verhandlung sinngemäß angegeben, diese Ausführungen hätten nicht der Wahrheit entsprochen. Gegen Letzteres – also gegen die Unwahrheit der Angaben im Verwaltungsverfahren – spricht aber bereits, dass die Klägerin nicht etwa ihren vorangegangenen Vortrag ergänzt oder in Teilen ersetzt hat, sondern diesen letztlich vollständig ausgetauscht hat. Entsprechend müsste der zunächst gehaltene Vortrag zur Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium frei erfunden, also eine Phantasieleistung der Klägerin sein. Hiergegen spricht jedoch zunächst, dass dieser Vortrag durchaus Merkmale enthält, die für dessen Glaubhaftigkeit sprechen. So ist der im Tatbestand dargestellte Vortrag zur Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium substantiiert und enthält zahlreiche Details. Auch finden sich Details betreffend die eigene Gedankenwelt der Klägerin, deren Erfindung im Rahmen einer Phantasieleistung hier zwar möglich, aber vergleichsweise schwer erscheint, was für die Glaubhaftigkeit des Vorbringens spricht. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin sinngemäß angegeben hat, sie habe im Sommersemester 2021 die Veranstaltungen Systemprogrammierung und Rechnerkommunikation belegt, da sie das Sommersemester nicht ungenutzt habe verstreichen lassen wollen. Offiziell habe sie die Veranstaltungen noch als Lehramtsstudentin besucht, eigentlich aber, um sich diese anrechnen zu lassen. Zwar ist es abstrakt denkbar, dass die Klägerin auch dies frei erfunden hat und sie die Veranstaltungen in Wahrheit ohnehin und ohne vorangegangenen Entschluss zum Fachrichtungswechsel zum Beginn des Sommersemesters 2021 belegt hatte. Das freie Erfinden einer solchen Motivation – das Belegen der Veranstaltungen zu Beginn des Sommersemesters lediglich, um sich diese im neuen Studiengang anrechnen lassen zu können – würde jedoch eine nicht unerhebliche Phantasieleistung voraussetzen, was wiederum für die Glaubhaftigkeit des Vortrags der Klägerin betreffend ihre Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium spricht. Dies gilt umso mehr, als die von der Klägerin beschriebene Motivation, sich die gewählten Veranstaltungen in dem neuen Studium anrechnen zu lassen, ein stimmiges Bild mit dem übrigen Vortrag im Verwaltungsverfahren ergibt, wonach der Entschluss zum Fachrichtungswechsel bereits vor Beginn des Sommersemesters 2021 gefasst war. Zudem hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung auf Frage der Kammer, warum sie angegeben habe, Module im Hinblick auf das neue Studium belegt zu haben, lediglich erklärt, sie könne das heute nicht mehr richtig sagen. Hätte die Klägerin den Vortrag indes frei erfunden, hätte es nahegelegen, auch dies zu offenbaren, genauso wie die Klägerin zuvor erklärt hatte, ihr vorangegangener Vortrag zur Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium sei unzutreffend gewesen. Schließlich finden sich in dem Vortrag zur Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium auch weitere – teilweise miteinander verwobene – Details aus der Gedankenwelt der Klägerin, die ebenfalls für die Glaubhaftigkeit dieses Vortrags sprechen. So hat die Klägerin etwa ausgeführt, sie habe sich an den Abstraktionsgrad der Mathematik-Module nicht gewöhnen können und sie hätten fehlende Anwendungsbereiche der Mathematik gestört, die sie ursprünglich erst zum Mathematikstudium veranlasst hätten.
43
(b) Gegen die Annahme eines erfundenen Vortrags im Verwaltungsverfahren spricht auch, dass die dortigen Ausführungen der Klägerin, sie wolle künftig ein anwendungsbezogeneres Fach studieren, durch objektive Anhaltspunkte gestützt werden. So sind nach Anlage 1 der … – Fachprüfungsordnung für den Bachelor- und Masterstudiengang Computational Engineering (…) an der … – … – vom … 2007 in der Fassung vom … 2018 für den Studiengang Computational Engineering tatsächlich eigene Mathematik-Module sowie technische Anwendungsfelder zu belegen. Darüber hinaus hat sich die Klägerin gerade für den anwendungsbezogenen Bachelorstudiengang Computational Engineering entschieden, obwohl – was gleichfalls eine Abkehr vom Lehramtsstudium dargestellt hätte – auch die Möglichkeit bestanden hätte, den Lehramtsstudiengang Mathematik als Bachelorstudiengang fortzuführen bzw. aufzunehmen. So bestimmt etwa § 1 Satz 3 der Studien- und Prüfungsordnung für die Modulprüfungen im Rahmen der Ersten Lehramtsprüfung … (im Folgenden Prüfungsordnung Lehramt) in der Fassung vom … 2020, dass diese Studien- und Prüfungsordnung durch die jeweiligen Fachstudien- und Prüfungsordnungen ergänzt wird. In der Fachstudien- und Prüfungsordnung für den Bachelor- und Masterstudiengang Mathematik an der … – … – vom … 2015 in der Fassung vom … 2019 sind dann auch identische Module im Bachelorstudiengang Mathematik vorgesehen, wie sie von der Klägerin besucht wurden (Lineare Algebra I, Lineare Algebra II, Analysis I; vgl. Anlage … der …), während die Anrechnung der Mathematik-Module für den Studiengang Computational Engineering abgelehnt wurde. All dies legt – in Übereinstimmung der Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren – eine nachvollziehbare Motivation der Klägerin nahe, die Fachrichtung mit dem Ziel zu wechseln, ein anwendungsbezogeneres Studium aufzunehmen, nicht notwendig aber die Motivation, das Lehramtsstudium zu beenden.
44
(c) Die Kammer hat auch bedacht, dass die Klägerin sowohl mit Blick auf die (fehlende) Anwendungsbezogenheit als auch aus gesundheitlichen Gründen motiviert gewesen sein könnte, die Fachrichtung zu wechseln, zumal sie im Termin zur mündlichen Verhandlung Gründe für den angeblich unzutreffenden Vortrag im Verwaltungsverfahren angegeben hat. Insoweit hat die Klägerin – wie bereits ausgeführt – angegeben, sie habe die rückwirkende Streichung ihrer Ausbildungsförderung befürchtet und „Panik geschoben“, was allerdings nicht hinreichend erklärt, warum sie nicht den – auf Grundlage ihres zuletzt gehaltenen Vortrags – zutreffenden und damit naheliegenden Grund gesundheitlicher Einschränkungen vorgebracht hat. Jedoch hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt, sie habe die gesundheitlichen Gründe „[v]ielleicht mit Blick auf eine zukünftige Beschäftigung“ nicht aktenkundig machen wollen. Zwar ist nicht ersichtlich, inwieweit die Klägerin hierdurch berufliche Nacheile hätte erleiden können, zumal sie aufgrund des Fachrichtungswechsels den Lehrerberuf und eine entsprechende Verbeamtung gerade nicht mehr angestrebt hat. Jedoch mag der Klägerin zugestanden werden, dass sie als rechtliche Laiin schlecht abschätzen konnte, welche Auswirkungen die Aktenkundigkeit haben könnte. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin die eher vage gehaltene Erklärung hinsichtlich etwaiger beruflicher Nachteile erst auf weitere Nachfrage der Kammer angegeben hat, während sie zuvor sinngemäß ausgeführt hatte, sie habe nicht gewusst, dass der Sachverhalt förderungsrechtlich relevant sei und es sei einfacher gewesen, einen Neigungswandel geltend zu machen. Sofern aber unterstellt wird, die Klägerin habe die gesundheitlichen Gründe dem Beklagten aus (ggf. unbegründeter) Furcht vor etwaigen beruflichen Nachteilen nicht offenbaren wollen, hätte es nahe gelegen, diese Motivation ohne weiteres auf Frage des Gerichts darzulegen. Zudem erscheint es kaum nachvollziehbar, soweit die Klägerin angeben hat, sie habe nicht um die förderungsrechtliche Relevanz des gesundheitlichen Sachverhalts gewusst. Denn insofern muss davon ausgegangen werden, dass Studierenden wie jedermann als Selbstverständlichkeit bewusst ist, dass unzutreffende Angaben gegenüber Behörden rechtliche, ggf. auch strafrechtliche Konsequenzen haben können. Im Übrigen ist auch vorliegend in den Antragsformularen darauf hingewiesen, dass falsche oder unvollständige Angaben strafrechtlich verfolgt oder als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können (vgl. Bl. 176 der Behördenakte). Auch erschließt sich letztlich nicht, inwiefern es nach den Angaben der Klägerin einfacher gewesen sein soll, einen Neigungswandel frei zu erfinden, als wahrheitsgemäße Angaben zu machen.
45
(d) Hätte die Klägerin tatsächlich den Wunsch, Lehrerin zu werden, allein aus gesundheitlichen Gründe aufgeben, hätte es zudem tendenziell nahegelegen, bereits im Verwaltungsverfahren den Fachrichtungswechsel zumindest auch mit der beabsichtigten Aufgabe des Lehramtsstudiums als solchem – ggf. unter Nichtangabe der gesundheitlichen Probleme – zu begründen. Entsprechendes ist allerdings nicht geschehen.
46
(e) Gegen die Annahme eines frei erfundenen Vortrags im Verwaltungsverfahren spricht zudem in Teilen auch die von der Klägerin im Sommersemester 2021 belegten bzw. nicht belegten Lehrveranstaltungen im Fach Mathematik. Insoweit hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, im Sommersemester 2021 nicht nur zwei Informatikmodule, sondern – bis Juni 2021 – auch eine Psychologieveranstaltung besucht und eine zuvor nichtbestandene Mathematikklausur mitgeschrieben zu haben. Dabei dürfte die Wiederholung der Klausur auf § 27 Satz 4 der Prüfungsordnung Lehramt beruhen, nach dem Wiederholungsprüfungen zum nächstmöglichen Termin abzulegen sind. Zwar stützt der Vortrag der Klägerin, eine Psychologievorlesung besucht zu haben, ihren Vortrag, der Entschluss zum Fachrichtungswechsel sei erst im Juni 2021 gefasst worden. Denn der Besuch der genannten erziehungswissenschaftlichen Vorlesung dürfte für das Studium Computational Engineering nicht gewinnbringend gewesen sein. Zumindest auffällig ist jedoch, dass die Klägerin über die Wiederholungsklausur hinaus keine weiteren Mathematik-Veranstaltungen belegt hat, was jedoch zu erwarten gewesen wäre, hätte sie zu Beginn des Semesters noch keinen Entschluss gefasst, die Fachrichtung zu wechseln.
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(f) Auffällig erscheint schließlich auch, dass die Klägerin bereits wenige Tage nach dem Besuch der Logopädin am 7. Juni 2021 den Entschluss zum Fachrichtungswechsel gefasst haben will. So ist in dem vorgelegten Schreiben der Logopädin lediglich aufgeführt, der durchgeführte Stimmbefund ergebe Hinweise (Hervorhebung durch das Gericht) auf eine primär hyperfunktionelle Dysphonie und unter Umständen (Hervorhebung durch das Gericht) liege ein Zusammenhang mit bestehendem Asthma Bronchiale und einer (medizinisch notwendigen) Dauermedikation mit cortisonhaltigen Substanzen vor. Die Klägerin habe erste Informationen hinsichtlich Stimmhygiene sowie präventiver Maßnahmen erhalten, sofern diese möglich seien. Zum Ausschluss organischer Veränderungen sei eine Vorstellung beim HNO-Arzt mit ggf. weiteren Therapiemaßnahmen angeraten worden. Wenig nachvollziehbar erscheint es insoweit, dass die Klägerin – obwohl weiterhin Interesse am Lehramtsberuf bestanden haben soll – zunächst keinen HNO-Arzt aufgesucht hat, sondern bereits auf Grundlage eines reinen Beratungsgesprächs bei ihrer Logopädin den Entschluss zum Fachrichtungswechsel getroffen haben will. Insbesondere lag noch keine ärztliche Diagnose vor. Vielmehr hatte auch die Logopädin zu einem Arztbesuch geraten. Dieser erfolgte jedoch erst nach Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids und den dort enthaltenen Anforderungen an den Nachweis eines unabweisbaren Grundes.
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(g) Nach alldem bestehen zur Überzeugung der Kammer nicht ausräumbare Zweifel an der Darstellung der Klägerin, sie habe sich erst im Juni 2021 aus gesundheitlichen Gründen entschlossen, die Fachrichtung zu wechseln. So kann aus den oben genannten Gründen keineswegs ausgeschlossen werden, dass sich die Klägerin bereits vor dem Bekanntwerden der Auswirkungen ihrer Erkrankung im Juni 2021 – wie zunächst substantiiert vorgetragen – aufgrund Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium entschlossen hatte, die Fachrichtung zu wechseln. Mit anderen Worten vermag die Kammer nicht auszuschließen, dass die Klägerin auch dann die Fachrichtung gewechselt hätte, wären die Auswirkungen ihrer Erkrankung nicht bekannt geworden. Damit ist die Kausalität gesundheitlicher Gründe für den Fachrichtungswechsel nicht belegt, was sich nach der dargestellten Verteilung der materiellen Beweislast bzw. Feststellungslast zum Nachteil der Klägerin auswirkt.
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dd) Da der Bewilligung von Ausbildungsförderung vorliegend bereits § 7 Abs. 3 BAföG dahingehend entgegensteht, dass die Klägerin zuletzt nicht mehr geltend gemacht hat, die Fachrichtung aus Unzufriedenheit mit dem Lehramtsstudium gewechselt zu haben, und es hinsichtlich des geltend gemachten Fachrichtungswechsels aus gesundheitlichen Gründen an der erforderlichen Kausalität fehlt, kann hier offenbleiben, ob die Klägerin nach dem 4. Fachsemester ihres Lehramtsstudiums förderungsunschädlich lediglich aus unabweisbarem (und kausalen) Grund die Fachrichtung hätte wechseln können oder ob insoweit ein wichtiger Grund ausgereicht hätte. Genauer stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob und ggf. inwieweit mit Blick auf die Coronapandemie und den hierzu ergangenen hochschulrechtlichen Regelungen auf den Wortlaut von § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 BAföG abgestellt werden kann, wonach für einen Fachrichtungswechsel im Hochschulbereich nur bis zu Beginn des 4. Fachsemesters ein wichtiger Grund ausreicht, also anschließend ein unabweisbarer Grund erforderlich ist. So sieht Art. 99 Abs. 1, Abs. 2 Bayerisches Hochschulgesetz (BayHSchG) in der Fassung vom 1. Oktober 2021 Sonderregelungen für die von der Coronapandemie betroffenen Semester vor, nämlich für das Sommersemester 2020, das Wintersemester 2020/2021, das Sommersemester 2021 und das Wintersemester 2021/2022. Insoweit hat die Beklagtenvertreterin im Termin zur mündlichen Verhandlung die aktuelle Weisungslage dahingehend dargestellt, dass aufgrund der genannten Sonderregelungen vorliegend ausnahmsweise ein wichtiger Grund ausreichen würde. Hierfür dürfte letztlich sprechen, dass sich Studierende in den von der Coronapandemie betroffenen Semestern insbesondere mangels Präsenzveranstaltungen und regulären Prüfungsbetriebs lediglich eingeschränkt Klarheit darüber verschaffen konnten, ob sie für das aufgenommene Studium geeignet sind und dieses ihrer Neigung entspricht.
50
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO gerichtskostenfrei. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, §§ 711, 713 ZPO.