Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 23.05.2022 – 11 T 1500/22
Titel:

Voraussetzungen der Abgabe von Geboten durch sog. Bietergemeinschaften in der Immobiliarzwangsversteigerung

Normenkette:
ZVG § 71, § 81 Abs. 1, § 97
Leitsätze:
1. Ein Gebot mehrerer Personen zu gemeinschaftlichem Grundstückserwerb (sog. Bietergemeinschaft) ist zulässig. Es hat vor oder bei dem ersten Gebot das Beteiligungsverhältnis der Bieter in Bruchteilen oder das zwischen ihnen bestehende Gemeinschaftsverhältnis anzugeben. Für weitere Gebote der Bietergemeinschaft genügt deren Abgabe durch einen der Teilnehmer mit formloser, aber erkennbar signalisierter Zustimmung der anwesenden anderen Teilnehmer, deren Erwerbswille eindeutig feststehen muss (hier verneint). Für die nicht anwesenden Teilnehmer ist eine öffentlich beglaubigte Bietvollmacht vorzulegen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Ersteher in der Zwangsversteigerung kann gegen den Zuschlag einwenden, er sei nicht Meistbietender geworden, etwa weil sein Gebot unwirksam, angefochten bzw. erloschen sei oder der Zuschlag einem anderen hätte erteilt werden müssen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsversteigerung, Gebot, Bietergemeinschaft, Meistgebot, Zuschlag
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 23.02.2022 – 6 K 37/20
Fundstellen:
RPfleger 2023, 528
LSK 2022, 46619
BeckRS 2022, 46619

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten hin wird der mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 23.02.2022 erteilte Zuschlag aufgehoben und versagt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
3. Der Gegenstandswert im Beschwerdeverfahren beträgt 893.382,54 €.

Gründe

I.
1
Am 23.02.2022 fand im Zuge der von den Gläubigern betriebenen Zwangsversteigerung des Beschlagnahmeobjekts der öffentliche Versteigerungstermin statt.
2
Nachdem die Rechtspflegerin verschiedene Feststellungen getroffen, den wesentlichen Inhalt des Grundbuchs, die Festsetzung des Verkehrswerts auf 610.000 € und die „Formalitäten bei Abgabe von Geboten (z. B. Ausweisung zur Person, Vertretungsvollmacht, Bietvollmacht, Bietgemeinschaften, Erlöschen von Geboten)“ bekannt gegeben sowie das geringste Gebot und die Versteigerungsbedingungen gemäß den verlesenen Entwürfen festgestellt hatte, forderte sie um 08:50 Uhr zur Abgabe von Geboten auf.
3
Bezogen auf die Beschwerdeführer enthält die aufgenommene Niederschrift (Bl. 506 ff. d. A.) auf Seite 7 folgende Feststellungen:
Bietergemeinschaft (…), geb. (…), verh. gesetzl. Güterstand Erstes Gebot:
und 550.000,00 €
(…), geb. (…), verh. gesetzl. Güterstand beide wohnh. in (…) Letztes Gebot:
655.000,00 € zu je 1/2 Anteil – Sicherheitsleistung wurde verlangt von (…).
Sicherheit wurde geleistet mit:
vorheriger Überweisung an die Justizkasse, in Höhe von
61.000,00 €.
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Nachdem trotz Aufforderung durch die Rechtspflegerin keine weiteren Gebote mehr erfolgten, wurde das letzte Gebot durch dreimaligen Aufruf verkündet und die Versteigerung geschlossen.
5
Nachdem in der unmittelbar anschließenden Verhandlung über den Zuschlag von den anwesenden Beteiligten keine Erklärungen abgegeben worden sind und „d. Erschienene [die sofortige Zuschlagserteilung] an d. Meistbietenden“ (Seite 8 der Niederschrift vom 23.02.2022, Bl. 513 d. A.) beantragt hatte, verkündete die Rechtspflegerin um 09:35 Uhr den angefochtenen Zuschlagsbeschluss (Bl. 521 ff. d. A.).
6
In einem Aktenvermerk vom 23.02.2022, 10:00 Uhr (Bl. 554 d. A.) schilderte die Rechtspflegerin den äußeren Ablauf des Versteigerungstermins und das anschließende Geschehen wie folgt:
„Aufgrund der hohen Nachfrage im Vorfeld des Termins war auch zu diesem mit reger Beteiligung zu rechnen. Zur Gewährleistung einer ordnugnsgegmäßen [sic!] Sitzungsdurchführung wurde eine sitzungspolizeiliche Anordnung erlassen und in Absprache mit Herrn […], Leiter der Wachtmeisterei […], ein Gerichtswachtmeister vor dem Sitzungssaal postiert. Die Verhandlung wurde per Lautsprecher gut hörbar nach außen übertragen und konnte somit auch von den Außenstehenden gut verstanden werden. Eine entsprechende Hörprobe wurde vor dem Termin vorgenommen. Im Weiteren unterstützte Herr RPflAR […] den Termin, sodass ein geordneter Einlass zum Bieten gewährleistet war.
Nach Bekanntgabe des ZUschlagsbeschlusses [sic!] erlitt die Ersteherin, Frau (…) einen Kreislaufkollaps. Entsprechende Versorgung durch Ersthelfer des Gerichts und und [sic!] erste Hilfe durch Sanitäter wurde geleistet.“
7
Mit E-Mail vom 23.02.2022, 16:16 Uhr (Bl. 555 d. A.) wandten sich die Beschwerdeführer folgendermaßen an das Amtsgericht Nürnberg:
„Ich habe heute die Versteigerungsobjekt 0006 K 0037/2020 mit einem Geobt in Höhe von 655000 Euro ersteigert. aber der Gericht hat am Ende mir gesagt, dass man eigentlich noch c.a 250000 Euro zusätzliche bezahlen muss. Es ist ein Schock für mich und ich bin so schwindlich und sitze sofort auf dem Boden. Die Kollegin hat für mich den Notarzt gerufen. Vielen Dank! Ich bin zum ersten mal zu einer Versteigerung. und heute gibt es so viel Leute und wir stehen außer dem Raum und haben nicht mitgehört, dass es hier noch eine zusätzliche 250000 Euro gibt. dieser letzte Gebot habe ich allein gesagt. mein Man ist nicht dabei, er steht außer dem Raum und weiss nicht, dass ich einen neuen Gebot gegeben habe. Ich weiss, alles ist mein Schuld. es tut mir sehr sehr leid!!! da wir die gesamten Kosten in Höhe von über 900000 Euro nicht leisten, wäre ich Ihnen sehr dankbar wenn Sie uns helfen könnten.
Wäre es möglich, dass man den untere Anbieter, der weniger als ich anbietete fragen und kontaktiert und es macht vielleicht für andere Familien glücklich. oder wäre es möglich, dass man mit dem Gläubiger oder Eigentümer reden, ob sie diese Objekt neu versteigern könnten. oder gibt es noch andere Möglichkeiten? Wir sind jetzt total in chaos und wissen nicht wie wir weitergehen. bitte helfen Sie uns! Wir bedanke uns für Ihre Hilfe und Unterstürtzung voraus Tausend mals!!! mit herzlichen Dank und freundlichen Grüßen!
(…) und (…)“
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Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 09.03.2022 (Bl. 567 ff. d. A.), der am selben Tag beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen ist, haben die Beschwerdeführer gegen den Zuschlagsbeschluss sofortige Beschwerde eingelegt und diese zum einen darauf gestützt, sie seien irrigerweise davon ausgegangen, dass die bestehenbleibenden Rechte im Gesamtbetrag von 655.000 € enthalten seien. Zum anderen seien sie nur bei ihrem ersten Gebot über 550.000 € als Bietergemeinschaft aufgetreten, wohingegen das Gebot über 665.000 € alleine von der Beschwerdeführerin ohne eine entsprechende Zustimmung des Beschwerdeführers abgegeben worden sei.
9
Die Gläubiger zu 1 bis 4 haben mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 10.03.2022 (Bl. 572 ff. d. A.) die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde beantragt und zum Versteigerungsgeschehen u. a. Folgendes vorgetragen:
„[…] Herr (…) war mit Frau (…) nicht auf dem Gerichtsflur, sondern in dem zweiten mit einem großen Durchlass mit dem Hauptraum verbundenen Raum. Die Ansagen der Rechtspflegerin erfolgten über Mikrofon und waren daher gut vernehmbar.
Das Ausgebot erfolgte mehrfach und zu keiner Zeit hat Herr (…) Einspruch erhoben, dass er das Gebot nicht abgeben will.“
10
Sie sind der Auffassung, von einer Genehmigung (des Höchstgebots) durch den anwesenden und nicht widersprechenden Beschwerdeführer sei aufgrund der gemeinsamen Abgabe des Erstgebots und der dabei erfolgten Abklärung des Anteilsverhältnisses auszugehen. Jedenfalls müsse der Zuschlag aber der Beschwerdeführerin erteilt werden, falls diese das Höchstgebot allein abgegeben haben sollte.
11
Mit Beschluss vom 15.03.2022 (Bl. 578 ff. d. A.) hat das Amtsgericht Nürnberg der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es u. a. Folgendes ausgeführt:
„[…] Herr (…) und Frau (…) gaben ihr erstes Gebot in Höhe von 550.000,00 € als Bietergemeinschaft ab. Die geforderte Sicherheitsleistung wurde schon per Einzahlung an die Landesjustizkasse Bamberg im Vorfeld erbracht […]. Das Gebot war zugelassen und laut und deutlich aufgerufen. Die Erhöhung des Gebots auf 655.000,00 € erfolgte durch Frau (…) allein, was durchaus üblich ist. Es gab keinerlei Hinweise, dass Frau (…) nunmehr als alleinige Bieterin auftritt. Frau (…) erhöhte das Gebot ohne jeglichen Kommentar zu einer Änderung der bisherigen Gebotsabgabe. Im Anschluss wurde das Gebot laut vernehmlich aufgerufen unter Angabe des vollständigen Namens beider Bieter, dem Anteilsverhältnis und des Betrages. Spätestens jetzt hätte der Widerspruch von Frau (…) bzw. Herrn (…) kommen sollen, dass dies nicht in ihrem Sinne ist. Eine Berichtigung hätte zu diesem Zeitpunkt durchaus erfolgen können. Vor Ende der Bietstunde wird das Meistgebot nochmals dreimal aufgerufen; auch hier erfolgte kein Einspruch der Ersteher. Sie hatten zusammenfassend 4 Mal die Gelegenheit, das Gericht in seiner vermeintlich irrigen Annahme zu berichtigen. Keine Gelegenheit wurde wahrgehnommen.“
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Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 22.03.2022 (Bl. 585 f. d. A.) haben die Beschwerdeführer ihr Vorbringen vertieft und u. a. geltend gemacht, sie hätten aufgrund der herrschenden Coronamaßnahmen bei der Versteigerung nicht selbst im Sitzungssaal anwesend sein können und seien – wie andere Bieter auch – vor der Tür gestanden, wo sie dem Verfahren nur über einen Lautsprecher hätten folgen können.
13
Mit Beschluss des Einzelrichters vom 30.03.2022 (Bl. 588 f. d. A.) ist das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO der Kammer zur Entscheidung übertragen worden.
14
Mit Beschluss der Kammer vom 01.04.2022 (Bl. 591 f. d. A.) sind die Gläubiger zu 1 bis 4 sowie die Schuldnerin gemäß § 99 Abs. 1 ZVG als Gegner der Beschwerdeführer zugezogen worden.
15
Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 06.04.2022 (Bl. 596 d. A.) haben die Gläubiger u. a. darauf hingewiesen, dass ein Gebot durch einen Vertreter des Bieters zurückzuweisen sei (§ 71 Abs. 2 ZVG), wenn nicht die Vertretungsmacht oder die Zustimmung für das Gericht offenkundig sei oder durch eine öffentlich beglaubigte Urkunde sofort nachgewiesen werde. Vorliegend habe sich eine offenkundige Vertretungsmacht der Beschwerdeführerin nachvollziehbar und logisch aus dem Schweigen der Beschwerdeführer zum insgesamt viermaligen Ausgebot ergeben. Die Beschwerdeführerin hätte einwenden müssen, nur für sich und nicht mit ihrem Ehemann in Bietergemeinschaft erstehen zu wollen. Der Beschwerdeführer hätte einwenden müssen, er wolle gar nicht erstehen.
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Mit Schreiben vom 19.04.2022 (Bl. 598 f. d. A.) hat sich die Schuldnerin zum Beschwerdeverfahren geäußert und u. a. mitgeteilt, dass sie selbst im Versteigerungstermin nicht anwesend gewesen sei, sie jedoch eine grobe Fahrlässigkeit bei der Beschwerdeführerin sehe. Eine Erteilung des Zuschlags an nachfolgende Bieter lehne sie ab. Sie wolle parallel zu einer neuen Zwangsversteigerung mit Interessenten über einen Verkauf verhandeln, um nicht noch größeren finanziellen Schaden zu nehmen.
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Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 05.05.2022 (Bl. 604 f. d. A.) haben die Beschwerdeführer ihr Vorbringen vertieft und eine Prüfung angeregt, ob aus Gründen der Wirtschaftlichkeit im Wege eines Vergleichs unter Beitritt der das dritthöchste Gebot abgebenden Bietergemeinschaft der erteilte Zuschlag aufgehoben und den Beitretenden erteilt werden könne. Der Beschwerdeführer habe im Rahmen der Abgabe des Höchstgebots keine Erklärung abgegeben und bei diesem sei auch nicht nachgefragt worden, ob er mit dem Gebot einverstanden sei. Bloßes Schweigen sei im Rechtssinne keine Willenserklärung. An einem konkludenten Verhalten des Beschwerdeführers, das als (nachträgliche) Zustimmung verstanden werden könne, fehle es.
18
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die genannten Schriftsätze, Schreiben und Entscheidungen Bezug genommen.
II.
19
Da das Amtsgericht der Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss nicht abgeholfen hat, ist nach § 572 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 ZPO die Kammer zur Entscheidung berufen.
20
1. Die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten gegen den Zuschlagsbeschluss ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 1, § 793 ZPO, §§ 96 ff. ZVG, § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdeführer sind als Ersteher beschwerdeberechtigt (§ 97 Abs. 1 ZVG). Soweit sich die Beschwerde der Sache nach auf eine Verletzung des § 81 Abs. 1 ZVG stützt (§ 100 Abs. 1 ZVG), ist auch das für die Geltendmachung dieses Beschwerdegrunds nach § 100 Abs. 2 ZVG erforderliche rechtliche Interesse gegeben. Denn die Beschwerdeführer sind aufgrund des Zuschlagsbeschlusses zur Zahlung des (vermeintlichen) Meistgebots verpflichtet. Sie können deshalb gegen den Zuschlag einwenden, sie seien nicht Meistbietende geworden, etwa weil ihr Gebot unwirksam, angefochten bzw. erloschen sei oder der Zuschlag einem anderen hätte erteilt werden müssen (Hintzen in: Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG-Kommentar, 16. Auflage, § 97 Rn. 4; Michelsen in: Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Auflage, § 97 ZVG Rn. 5).
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2. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Denn den Beschwerdeführern durfte der Zuschlag auf ihr vermeintliches Meistgebot hin nicht erteilt werden.
22
Der Zuschlag darf nach § 81 Abs. 1 ZVG nur auf das wirksame Gebot des Meistbietenden erteilt werden. Die Entscheidung über die Wirksamkeit eines Gebots ist zwar grundsätzlich bereits im Versteigerungstermin zu treffen, weil das Vollstreckungsgericht dies von Amts wegen zu prüfen und unwirksame Gebote nach § 71 Abs. 1 ZVG zurückzuweisen hat. Ist das jedoch – wie hier – unterblieben, muss diese Prüfung bei der Entscheidung über den Zuschlag nachgeholt werden (BGH, Beschluss vom 05.06.2008 – V ZB 150/07, juris Rn. 8 mwN).
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Das dem angefochtenen Zuschlag zugrunde liegende Meistgebot haben die Beschwerdeführer als Bietergemeinschaft nicht wirksam abgegeben.
24
a. Zwar können mehrere Personen auch in der Zwangsversteigerung Eigentum an einem Grundstück gemeinschaftlich erwerben. Ein Gebot mehrerer Personen zu gemeinschaftlichem Grundstückserwerb ist daher zulässig. Es hat vor oder bei dem ersten Gebot das Beteiligungsverhältnis der Bieter in Bruchteilen oder das zwischen ihnen bestehende Gemeinschaftsverhältnis anzugeben. Für weitere Gebote der Bietergemeinschaft genügt deren Abgabe durch einen der Teilnehmer mit formloser, aber erkennbar signalisierter Zustimmung (z. B. durch Kopfnicken oder eindeutiges Handzeichen) der anwesenden anderen Teilnehmer, deren Erwerbswille eindeutig feststehen muss. Für die nicht anwesenden Teilnehmer ist eine öffentlich beglaubigte Bietvollmacht vorzulegen (vgl. Bachmann in: Depré, ZVG, 2. Auflage, § 71 Rn. 25; Becker in: Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 22. Auflage, § 71 Rn. 7 f.; Böttcher, ZVG, 7. Auflage, § 71 Rn. 48; Hintzen in: Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG-Kommentar, 16. Auflage, § 71 Rn. 5; Traub in: Schneider, ZVG-Kommentar, § 71 Rn. 24).
25
b. Gemessen an diesem rechtlichen Maßstab existiert ein Gebot der Beschwerdeführer, das auf den Erwerb des Beschlagnahmeobjekts zu jeweils hälftigen Miteigentumsanteilen für den bar zu zahlenden Betrag von 655.000 € gerichtet ist, nicht.
26
aa. Soweit die der Auslegung unterliegende (Abramenko in: Schneider, ZVG-Kommentar, § 80 Rn. 8) Niederschrift vom 23.02.2022 so verstanden werden könnte, im Versteigerungstermin sei von den Beschwerdeführern ein auf einen gemeinschaftlichen Grundstückserwerb gerichtetes Gebot über 655.000 € auf die Weise abgegeben worden, dass sie entweder beide (gleichlautend) geboten hätten oder dass ein Mitglied der Bietergemeinschaft dem aktiven Gebot des anderen Mitglieds konkludent zugestimmt hätte, gäbe sie den tatsächlichen Bietvorgang nicht zutreffend wieder. Denn nach den im entscheidenden Punkt übereinstimmenden Schilderungen des Geschehensablaufs durch die Rechtspflegerin, die Beschwerdeführer und die Verfahrensbevollmächtigte der Gläubiger wurde das Gebot allein von der Beschwerdeführerin und ohne Zustimmung des Beschwerdeführers abgegeben.
27
(1) Die Rechtspflegerin hat in der Nichtabhilfeentscheidung ausgeführt, dass die Erhöhung des Gebots auf 655.000 € allein durch die Beschwerdeführerin erfolgt sei. Ihre weiteren Ausführungen zur Üblichkeit des Ablaufs, zu fehlenden einschränkenden Hinweisen der Beschwerdeführerin bei Abgabe des Gebots und zu einem ausgebliebenen Widerspruch (insbesondere) des Beschwerdeführers auf mehrfache Aufrufe zeigen, dass eine auf einen eindeutigen Erwerbswillen hindeutende Zustimmung oder Verhaltensweise des Beschwerdeführers nicht stattgefunden hat.
28
(2) Auch die Beschwerdeführer haben dargetan, der Beschwerdeführer habe bei der Abgabe des Höchstgebots keine Erklärung abgegeben und es sei auch nicht bei ihm nachgefragt worden, ob er mit dem Gebot einverstanden sei. Auch an einem konkludenten Verhalten des Beschwerdeführers, das als Zustimmung verstanden werden könne, fehle es. In ihrer E-Mail vom 23.02.2022 haben die Beschwerdeführer zudem mitgeteilt, der Beschwerdeführer sei bei Abgabe des Höchstgebots gar nicht (mehr) im Sitzungssaal gewesen.
29
(3) Schließlich schildert auch die im Versteigerungstermin anwesende Verfahrensbevollmächtigte der Gläubigerin weder eine Abgabe des Höchstgebots durch den Beschwerdeführer noch ein Verhalten desselben, mit dem er seine Zustimmung zum Höchstgebot für das Vollstreckungsgericht erkennbar zum Ausdruck gebracht hätte.
30
(4) Soweit sich die geschilderten Vorgänge nicht aus der Niederschrift vom 23.02.2022 ergeben, sind sie nicht nach § 80 ZVG unbeachtlich. Denn die nach dieser Vorschrift bestehende Ausschlusswirkung erfasst nur Vorgänge, die nicht im Protokoll festgestellt sind. Nicht erfasst sind dagegen positive Verlautbarungen des Protokolls, weshalb jedem Beteiligten auch im Zwangsversteigerungsverfahren der Nachweis offen steht, dass bestimmte Tatsachen zu Unrecht in das Protokoll aufgenommen wurden (vgl. Abramenko in: Schneider, ZVG-Kommentar, § 80 Rn. 5). Soweit auf Seite 7 der Niederschrift überhaupt ein konkreter Ablauf und nicht nur das Ergebnis einer rechtlichen Bewertung der Bietvorgänge dokumentiert sein sollte, wäre die Tatsache eines von beiden Beschwerdeführern abgegebenen Gebots über 655.000 € zum gemeinschaftlichen Erwerb zu Unrecht protokolliert worden und könnte für die Entscheidung über den Zuschlag nicht maßgeblich sein (vgl. Schneider aaO sowie Böttcher, ZVG, 7. Auflage, § 80 Rn. 1).
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bb. Das Vollstreckungsgericht durfte auch nicht deshalb von einer Zustimmung des Beschwerdeführers zum Gebot über 655.000 € ausgehen, weil dieser auch nach mehrfachem Aufruf untätig geblieben ist und einem entgegenstehenden Willen keinen Ausdruck verliehen hat.
32
(1) Zum einen stellt bloßes Schweigen für sich allein noch keine Erklärung dar; wer schweigt, gibt im Allgemeinen gerade keine Erklärung ab. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, damit dem Schweigen die Bedeutung eines Erklärungsmittels beigemessen werden kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beteiligten das Schweigen in einer bestimmten Situation als besonderes Erklärungszeichen (beredtes Schweigen) individuell vereinbart haben (Wendtland in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 61. Edition, § 133 Rn. 10). Letzteres ist im vorliegenden Zusammenhang nicht der Fall. Mit der Abgabe eines ersten Gebots einer Bietergemeinschaft unter Nennung des Beteiligungsverhältnisses der Bieter in Bruchteilen kommt keine Übereinkunft dahingehend zustande, dass das Schweigen eines Mitglieds der Bietergemeinschaft zu einem späteren aktiven Gebot eines anderen Mitglieds der Bietergemeinschaft als Zustimmung verstanden werden dürfe. Denn auch für weitere Gebote einer Bietergemeinschaft können keine geringeren Wirksamkeitsvoraussetzungen als für deren erstes Gebot gelten, zumal jedes höhere Gebot weitergehende rechtliche Verpflichtungen nach sich ziehen kann.
33
(2) Der Untätigkeit des Beschwerdeführers kann auch nicht deshalb der Erklärungswert einer Zustimmung beigemessen werden, weil jener selbst zu einer Rechtsunsicherheit beigetragen hat (§ 242 BGB; vgl. etwa Maultzsch in: Münchener Kommentar zum HGB, 5. Auflage, § 346 Rn. 33), indem er zuvor als Mitglied einer Bietergemeinschaft in Erscheinung getreten ist und es unterlassen hat, seinen nicht über das ursprüngliche Gebot hinausreichenden Erwerbswillen eindeutig offenzulegen, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre. Nachdem das ursprüngliche Gebot der Bietergemeinschaft – hier in Höhe von 550.000 € – aufgrund eines Übergebots erloschen ist (§ 72 Abs. 1 Satz 1 ZVG), setzt die Abgabe eines erneuten Gebots der Bietergemeinschaft einen – ggf. von deren Mitgliedern auch vorbesprochenen – hierauf gerichteten Willensbildungsprozess der Bietgenossen voraus. Für die eindeutige Feststellung des dem erneuerten Gebot zugrunde liegenden modifizierten Erwerbswillens sämtlicher Mitglieder der Bietergemeinschaft durch das Vollstreckungsgericht gelten nicht etwa deshalb geringere Voraussetzungen, weil das frühere Verhalten der Mitglieder der Bietergemeinschaft den Schluss auf einen Erwerbswillen zu noch anderen Konditionen zugelassen hat.
34
(3) Sofern entgegen der hier vertretenen Auffassung der Untätigkeit eines Mitglieds der Bietergemeinschaft bei Abgabe eines weiteren Gebots der Erklärungswert einer Zustimmung beigemessen werden müsste, könnte dies jedoch nur unter der zusätzlichen Voraussetzung erfolgen, dass die in Kenntnis des erneuerten Gebots ausbleibende Reaktion des anwesenden Bietgenossen vom Vollstreckungsgericht tatsächlich festgestellt worden ist. Letzteres war vorliegend nicht der Fall, nachdem aufgrund der Schilderungen der Beschwerdeführer und der Verfahrensbevollmächtigten der Gläubiger davon auszugehen ist, dass sich der Beschwerdeführer bei Abgabe des Höchstgebots nicht im Sitzungssaal, sondern in einem Vorraum befunden hat, und auch die Rechtspflegerin nicht schildert, den Beschwerdeführer bei Abgabe des Gebots durch die Beschwerdeführerin gesehen zu haben. Dem von vornherein nicht anwesenden Bietgenossen, für den eine öffentlich beglaubigte Bietvollmacht vorzulegen ist, steht der Bietgenosse gleich, der die Versteigerung nach Abgabe eines ersten und aufgrund eines Übergebots erloschenen Gebots verlässt. Auch für ihn könnten andere Mitglieder der Bietergemeinschaft weitere Gebote nur aufgrund einer wirksam erteilten und nachgewiesenen Vollmacht abgeben. Die Bietergemeinschaft selbst hat keine Rechtspersönlichkeit und beschreibt begrifflich lediglich eine Mehrheit von Personen, die in der Zwangsversteigerung das Eigentum an einem Grundstück gemeinschaftlich erwerben wollen. Sind alle Teilnehmer der Bietergemeinschaft im Versteigerungstermin anwesend, bedarf es einer Vertretung der Bietgenossen (§§ 164 ff. BGB) durch den das Gebot aktiv abgebenden Teilnehmer nicht, da alle Teilnehmer – ggf. auf die erforderliche Nachfrage des Vollstreckungsgerichts hin – ihren Erwerbswillen selbst ausdrücklich oder konkludent äußern können. Der (allein) aktiv bietende Teilnehmer der Bietergemeinschaft gibt sein Gebot daher regelmäßig weder ausdrücklich noch aufgrund der Umstände (§ 164 Abs. 1 Satz 2 BGB) im Namen der anderen Teilnehmer ab. Hiervon zu unterscheiden liegt auch die Annahme fern, die Bietgenossen hätten einander – ggf. nur im Innenverhältnis, § 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB – eine entsprechende Vertretungsmacht erteilt. Schließlich kann auch nicht mit den Gläubigern davon ausgegangen werden, dass vorliegend – ein Handeln der Beschwerdeführerin im Namen des Beschwerdeführers einmal unterstellt – eine Vertretungsmacht der Beschwerdeführerin offenkundig (vgl. § 81 Abs. 3 ZVG für den Fall der verdeckten Vertretung sowie § 291 ZPO) gewesen sei. Dem Vollstreckungsgericht konnte eine solche Vertretungsmacht nicht kraft Amtes als gerichtskundige Tatsache aufgrund früherer Verfahren bekannt gewesen sein, und auch aus dem tatsächlichen Ablauf des Versteigerungstermins ergab sich nicht eine (unbeschränkte) Bevollmächtigung der Beschwerdeführerin durch den Beschwerdeführer als allgemeinkundige Tatsache.
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3. Im Rahmen der dem Beschwerdegericht obliegenden Entscheidung in der Sache (§ 101 Abs. 1 ZVG) kommt es weder in Betracht, den Zuschlag nur der Beschwerdeführerin zu erteilen (a.), noch kann auf einen Vergleich hingewirkt werden, der die Erteilung des Zuschlags an einen anderen Bieter zum Gegenstand hat (b.).
36
a. Der Beschwerdeführerin kann das Beschlagnahmeobjekt nicht als alleinige Erwerberin zu einem Höchstgebot von 655.000 € zugeschlagen werden. Denn die Beschwerdeführerin hat ein solches Gebot nicht abgegeben. Der von ihr geäußerte und in die Niederschrift vom 23.02.2022 aufgenommene Erwerbswille war auf den Erwerb des Beschlagnahmeobjekts gemeinsam mit dem Beschwerdeführer zu hälftigen Miteigentumsanteilen gerichtet. Von einem auf den alleinigen Eigentumserwerb gerichteten Gebot der Beschwerdeführerin kann schon nach § 80 ZVG nicht ausgegangen werden.
37
b. Der von Amts wegen dem Meistbietenden – mit der Folge des unmittelbaren Eigentumserwerbs durch staatlichen Hoheitsakt (§ 90 Abs. 1 ZVG) – zu erteilende (§ 81 Abs. 1 ZVG) oder zu versagende (§§ 83 ff. ZVG) Zuschlag ist einer einvernehmlichen Regelung durch Parteivereinbarung entzogen.
38
Hinzu kommt, dass die abgegebenen Gebote weiterer Bieter nach § 72 Abs. 1 ZVG erloschen sind, nachdem die Beschwerdeführer für ihr Übergebot auch die zu erbringende Sicherheitsleistung geleistet haben (§ 72 Abs. 4 ZVG). Wird – wie hier – ein Übergebot ohne Widerspruch zugelassen, erlischt das vorherige Gebot selbst dann, wenn das Übergebot sich als unwirksam herausstellt und ihm nicht der Zuschlag erteilt werden kann (Böttcher, ZVG, 7. Auflage, § 72 Rn. 2). Nachdem mitunter keine wirksamen Gebote vorliegen, auf die hin der Zuschlag erteilt werden könnte, sind die beteiligten Gläubiger, Schuldner und Erwerbsinteressenten darauf zu verweisen, eine etwa gewünschte einvernehmliche Regelung außerhalb der Zwangsversteigerung zu treffen.
39
4. Darauf, dass die Beschwerdeführer nicht mit Erfolg geltend machen können, einer Fehlvorstellung über den Umfang der nach den Versteigerungsbedingungen bestehen bleibenden Rechte unterlegen zu sein (vgl. BGH, Beschluss vom 05.06.2008 – V ZB 150/07, juris Rn. 20), kommt es nicht an, weil das Rechtsmittel bereits aus anderen Gründen Erfolg hat.
III.
40
1. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 ZPO zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Abgabe von Geboten durch Bietergemeinschaften erscheinen höchstrichterlich nicht geklärt und im Hinblick auf die hohe Relevanz für die Praxis der Versteigerungsgerichte klärungsbedürftig.
41
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Eine Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten nach § 97 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Betracht, weil sich die Beteiligten in dem Verfahren über die Zuschlagsbeschwerde grundsätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüberstehen (BGH, Beschluss vom 21.06.2007 – V ZB 3/07, juris Rn. 9).
42
3. Der Gegenstandswert einer Zuschlagsbeschwerde ist – nach Maßgabe der Anträge der Rechtsmittelführer (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG) – nach dem Wert des Zuschlagsbeschlusses gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 GKG zu bemessen (vgl. BGH, Beschluss vom 05.10.2006 – V ZB 168/05, juris Rn. 2). Dieser beträgt hier 893.382,54 € und entspricht dem Bargebot zuzüglich bestehen bleibender Rechte.