Inhalt

VG München, Urteil v. 28.11.2022 – M 8 K 20.1555
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Neubau eines Wohn- und Geschäftsgebäudes

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
BayBO Art. 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 s. 2, Art. 80 Abs. 4
Leitsätze:
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die auch dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind, wobei sich die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung aus einer Verletzung von Vorschriften ergeben muss, die Gegenstand des Prüfprogramms im einschlägigen Baugenehmigungsverfahren waren. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beim Gebot der Rücksichtnahme kommt es für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an und es ist kein Recht des Nachbarn abzuleiten, dass in seiner Nachbarschaft nur objektiv rechtmäßige Bauvorhaben entstehen. (Rn. 39-40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn es um die Lösung einer Immissionskonfliktlage geht, reicht es sowohl im Hinblick auf die Anforderungen der Bestimmtheit der Baugenehmigung als auch des Rücksichtnahmegebots in der Regel aus, wenn dem Emittenten aufgegeben wird, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Rücksichtnahmegebot wird aus bestimmten Regelungen des Bauplanungsrechts abgeleitet mit der Folge, dass sich eine entsprechende wehrfähige Position dessen, der sich gegen das Vorhaben seines Nachbarn wendet, nicht zB aus sicherheitsrechtlichen Gründen ergeben kann. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Baugenehmigung für den Neubau eines Wohn- und Geschäftsgebäudes (großflächiger Einzelhandel, Hotel sowie Wohnungen zum Zweck und für Zwecke der Altenpflege) mit Tiefgarage, Befreiungen von Festsetzungen eines qualifizierten Bebauungsplans, Drittschützende Wirkung der Festsetzung einer Gemeinschaftstiefgarage sowie der Festsetzung von Zu- und Ausfahrtsbereichen, Rücksichtnahmegebot, Erschließung, Entstehen eines Notwegerechts (verneint), Bauplanungsrecht, Drittschutz, qualifizierter Bebauungsplan, Grünordnung, Befreiung, beschränkte persönliche Dienstbarkeit, Durchfahrt, Radfahrrecht, Erschließungskonzept, Immissionswerte, Sonderbau
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46525

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte ohne, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.     
Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich als Nachbar gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Wohn- und Geschäftsgebäudes (großflächiger Einzelhandel, Hotel sowie Wohnungen zum Zweck und für Zwecke der Altenpflege) auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … (im Folgenden: Baugrundstück).
2
Der Kläger ist Eigentümer der unbebauten Grundstücke FlNr. … und … der Gemarkung … (im Folgenden: Nachbargrundstücke). Das Grundstück FlNr. … liegt westlich, das Grundstück FlNr. … nördlich des bislang ebenfalls unbebauten Baugrundstücks, unmittelbar an der von West nach Ost verlaufenden … Straße. Auf der Ostseite grenzen sowohl das Nachbargrundstück FlNr. … als auch das Baugrundstück unmittelbar an die …straße an. Südlich des Baugrundstücks befindet sich das Grundstück FlNr. …, auf dem ein Lebensmitteldiscounter mit Parkgarage errichtet ist, die von der …straße aus über den wiederum südlich gelegenen, als Stichstraße ausgestalteten …weg zu erreichen ist.
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Vgl. zur Lage der Grundstücke und ihrer Bebauung anliegenden Lageplan im Maßstab 1 : 1.000, welcher eine Darstellung des Vorhabens und eine Darstellung eines „geplanten Gebäudes“ auf dem – tatsächlich noch – unbebauten Grundstück des Klägers FlNr. … enthält:
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(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
5
Sowohl das Bau- als auch das Nachbargrundstück FlNr. … liegen im Geltungsbereich des rechtsverbindlichen, qualifizierten Bebauungsplans mit Grünordnung der Beklagten Nr. … „…weg, …straße (östlich), … Straße (südlich), …straße (westlich)“ vom 23. Oktober 2015 (Teiländerung des Bebauungsplan Nr. …). Das Nachbargrundstück FlNr. … liegt im Geltungsbereich eines anderweitigen Bebauungsplans und ist als Grünfläche festgesetzt.
6
Der Bebauungsplan Nr. … umfasst mehrere Baugebiete [MK (1), MK (2), MK (3), WA (3) ]. Das Baugrundstück liegt im MK (2), für das Nachbargrundstück FlNr. … ist im östlichen Teil ein Kerngebiet – MK (1) – und im westlichen Teil ein allgemeines Wohngebiet – WA (3) – festgesetzt. Ferner sieht der Bebauungsplan vor, dass die nach Art. 47 BayBO erforderlichen Stellplätze einschließlich der erforderlichen Besucherstellplätze für das allgemeine Wohngebiet WA (3) und die Teilgebiete MK (1) und MK (2), d.h. für das Bau- und das Nachbargrundstück FlNr. …, in einer Gemeinschaftstiefgarage im Bauraum unterzubringen sind (§ 10 Abs. 1 der textlichen Festsetzungen). An der … Straße ist nur eine Ein- und Ausfahrt für die Gemeinschaftstiefgarage anzuordnen (§ 10 Abs. 2 der textlichen Festsetzungen), wobei zur Gewährleistung eines Planungsspielraums (vgl. Begründung zum Bebauungsplan Ziffer 4.5., S.34) zwei zeichnerisch gekennzeichnete Ein- und Ausfahrtsbereiche im Planteil festgesetzt sind.
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Nach § 10 Abs. 5 der textlichen Festsetzungen ist im Teilgebiet MK (1), d.h. auf dem Grundstück FlNr. … des Klägers, eine einspurige Durchfahrt mit 4,0 m Breite und einer Höhe von 4,5 m (Durchfahrt von Süden) zwischen …weg und … Straße für die Herstellung von 15 oberirdischen Besucherstellplätzen (zusätzlich zu den nach BayBO erforderlichen Stellplätzen) zu errichten. In der Planzeichnung ist insoweit ein insgesamt 16,10 m breiter, von Süd nach Nord verlaufender Streifen an der östlichen Grenze des Grundstücks FlNr. … als „Flächen dinglich zu sichern zugunsten der Allgemeinheit und/oder (siehe Satzungstext)“ festgesetzt, der sich wie folgt zusammensetzt: Unmittelbar entlang der Grenze zum Baugrundstück verläuft eine 4 m breite Durchfahrt, die mit „F“ (Fahrrecht) und „R“ (Radfahrrecht) gekennzeichnet und für die durch Pfeilsymbol eine Fahrtrichtung von Süd nach Nord vorgesehen ist. Unmittelbar westlich an die 4 m breite Durchfahrt sind in der verbleibenden 12,10 m breiten Fläche Stellplätze (St) eingezeichnet, westlich daran anschließend die Pflanzung großer Bäume festgesetzt. Dieser Bereich ist mit „L“ (Leitungsrecht), „G“ (Gehrecht“) und „R“ (Radfahrrecht) gekennzeichnet.
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Zur Umsetzung dieser Bebauungsplanfestsetzung sind im Grundbuch zu Lasten der Grundstücke des Klägers eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Fuß- und Radwegerecht, Fahrtrecht, Stellplatzrecht sowie Leitungs- und Tiefbauanlagenrecht) sowie eine Reallast für die Beklagte und eine Grunddienstbarkeit (Fuß- und Radwegrecht, Fahrtrecht, Stellplatzrecht) für den jeweiligen Eigentümer des Baugrundstücks eingetragen, jeweils gemäß Bewilligung vom 21. April 2011, URNr. … des Notars Dr. …, … Der dortige § 7 enthält unter der Überschrift „Durchfahrt zwischen …weg und … Straße, Bewilligung und Eintragungsanträge für das Grundbuch, regelt den Inhalt der zu bestellenden Dienstbarkeiten und der Reallast und nimmt dabei auf einen als „Anlage 4“ bezeichneten Lageplan Bezug, der nachstehend – auszugsweise – dargestellt wird. Dabei stehen die Buchstaben „L, G, R“ für „Geh-, Radfahr- und Leitungsrecht“, die Buchstaben „F, R“ für „Fahr- und Radfahrrecht“ und „St“ für Besucherstellplätze:
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Dem Kläger wurde unter dem 5. September 2019 von der Beklagten eine Baugenehmigung für den Neubau von Mehrfamilienhäusern (Haus 1 bis 4 im WA (3)) sowie von Gebäuden mit Wohnungen in Form von Wohnen zum Zweck und für Zwecke der Altenpflege mit erdgeschossigem Gewerbe (Haus 5 bis 10 im MK 1) sowie einer Tiefgarage (in WA (3) und MK (1)) auf dem Grundstück FlNr. … erteilt, deren Geltungsdauer mit Bescheid der Beklagten vom 5. Mai 2021 verlängert wurde. Die Baugenehmigung ist bislang nicht umgesetzt.
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Unter dem 4. Juli 2018 erteilte die Beklagte der Beigeladenen einen Vorbescheid für den Neubau eines Wohn- und Geschäftsgebäudes mit großflächigem Einzelhandel, Hotel (175 Zimmer) oder Boardinghouse (175 Zimmer) sowie Wohnen zum Zweck und für Zwecke der Altenpflege und Tiefgarage nach Plan-Nr. … Nach den zugehörigen Bauvorlagen sollte die Zufahrt für die Warenanlieferung über den …weg und das Grundstück FlNr. … des Klägers auf das Baugrundstück erfolgen und von dort dann die Ausfahrt zur …straße hin. Die Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage war im westlichen Gebäudekomplex zur … Straße hin vorgesehen. Die Beklagte stellte im Vorbescheid eine Befreiung vom Erfordernis der Errichtung einer Gemeinschaftstiefgarage und der satzungsmäßigen Vorgabe, dass entlang der … Straße nur eine Ein- und Ausfahrt zu einer Tiefgarage (§ 10 Abs. 1 und 2 der textlichen Festsetzungen) angeordnet werden dürfe, in Aussicht. Eine Nachbarausfertigung wurde der Rechtsvorgängerin des Klägers am 12. Juli 2018 zugestellt. Klage wurde nicht erhoben.
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Mit Bauantrag vom 26. April 2019, bei der Beklagten eingegangen am 29. April 2019, beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Wohn- und Geschäftsgebäudes mit großflächigem Einzelhandel, Hotel sowie Wohnungen zum Zweck und für Zwecke der Altenpflege mit Tiefgarage auf dem Grundstück (Plan-Nr. …). Für die immissionsschutzrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens wurde seitens der Beigeladenen eine schalltechnische Untersuchung der … GmbH – Ingenieursgesellschaft für technische Akustik, Schall und Wärmeschutz mbH vom 11. April 2019 vorgelegt. Nach den Betriebsbeschreibungen sollen die Pkw-Stellplätze für den groß- und die kleinflächigen Einzelhandelsbetriebe und die Hotelgäste in einer an der Grundstücksgrenze zur FlNr. … geplanten Tiefgarage untergebracht werden, die über die …straße erschlossen werden soll. Insoweit wurden Befreiungen von § 10 Abs. 1 und Abs. 2 der textlichen Festsetzungen beantragt. Die Anlieferung für das Hotel soll nach der Betriebsbeschreibung ebenfalls über die Tiefgarage (vgl. insoweit auch Grundriss UG), diejenige für die Einzelhandelsnutzung „über den Innenhof“ erfolgen. Im Grundriss Erdgeschoss ist ein 18,5 m langer Sattelzug dargestellt, der vom …weg kommend (im Plan nicht zu sehen) auf der 4 m breiten Durchfahrt auf dem Grundstück FlNr. … zunächst in nördlicher Richtung fährt, sodann – wohl – auf der Durchfahrtsfläche zurücksetzt und rückwärts die auf dem Baugrundstück befindliche Laderampe anfährt, bevor er nach Abschluss des Ladevorgangs vorwärts über die Durchfahrt zur … Straße ausfährt.
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Mit Bescheid vom 6. März 2020 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung nach PlanNr. … sowie Freiflächengestaltungsplan nach PlanNr. … und Baumbestandsplan nach PlanNr. … mit Handeintragungen vom 23. Mai 2019 und 8. November 2019 als Sonderbau unter der aufschiebenden Bedingung, dass mit den Bauarbeiten erst begonnen werden dürfe, wenn der Standsicherheitsnachweis sowie die evtl. erforderlichen Konstruktionspläne bei der Lokalbaukommission vorgelegt und durch einen Prüfingenieur geprüft und freigegeben seien. Die Betriebsbeschreibungen Einzelhandel, Wohnen zum Zweck und für Zwecke der Altenpflege und Hotel, jeweils PlanNr. …, sowie der – bauaufsichtlich geprüfte – Brandschutznachweis vom 27. Mai 2019 Nr. 2019-9405 wurden zum Bestandteil des Bescheids erklärt. Die Baugenehmigung enthält u.a. auch mehrere Auflagen des Referates für Gesundheit und Umwelt zu den Bereichen Lärm und Luft. Ferner wurden in der Baugenehmigung mehrere, im Einzelnen mit näherer Begründung versehene Abweichungen (u.a. von Brandschutzanforderungen) und Befreiungen erteilt, darunter auch eine „Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 10 Abs. 1 und 2 des Bebauungsplans … wegen Errichtung einer autonomen Tiefgaragenzu- und -abfahrt in der …str.“ (vgl. S. 11 des streitgegenständlichen Bescheids, Nr. 2). Unter der Überschrift „Nachbarwürdigung“ wurde im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, die Nachbarn der FlNrn. …, … und … hätten den Baueingabeplan nicht unterschrieben; ihnen werde eine Ausfertigung der Baugenehmigung förmlich zugestellt. Das Vorhaben entspreche den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen seien, nachbarrechtlich geschützte Belange würden nicht beeinträchtigt.
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Eine Nachbarausfertigung der Baugenehmigung wurde dem Kläger am 11. März 2020 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 9. April 2020, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am gleichen Tag, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage gegen die vorgenannte Baugenehmigung und beantragt,
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Der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 6. März 2020, Az. …, wird aufgehoben.
16
Die Baugenehmigung vom 6. März 2020 verletze in mehrfacher Hinsicht Nachbarrechte des Klägers. Zur fachlichen Untermauerung des Vortrags wurde von den Prozessbevollmächtigte des Klägers eine „Verkehrliche Bewertung Zufahrt Anlieferung Bauprojekt …straße/ … Straße“ der … & Co. GmbH vom 29. Juni 2022 sowie eine Stellungnahme des Aufsichtsratsvorsitzenden eines Logistikdienstleisters, u.a. für verschiedene Einzelhändler, vom 11. Mai 2022 zur Entsorgung von Transportverpackungen vorgelegt, auf die Bezug genommen wird. Zur Begründung wurde im Wesentlichen geltend gemacht (vgl. Schriftsätze vom 19. April 2022, 5. Juli 2022 und 14. November 2022 sowie Einlassungen in den mündlichen Verhandlungen am 2. Mai 2022 und am 28. November 2022), das vorgesehene und genehmigte Erschließungskonzept der Beigeladenen verstoße insoweit gegen das Gebot der Rücksichtnahme, als die am östlichen Rand der FlNr. … gelegene Anlieferzone von lediglich 4 m Breite durch einen langen und komplexen Rückwärtsfahrvorgang der anliefernden Sattelzüge in Anspruch genommen werden solle. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung, insbesondere auch des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523), könne sich eine Rücksichtslosigkeit einer Grundstücksnutzung insbesondere dann ergeben, wenn sich die aus der Erschließung eines Vorhabengrundstücks ergebenden Beeinträchtigungen und Störungen aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse in der Umgebung des Baugrundstücks als unzumutbar darstellten, insbesondere wenn es aufgrund der örtlichen Verhältnisse zu chaotischen und gefährlichen Verkehrsverhältnissen im unmittelbaren Umgriff des Nachbargrundstück kommen werde. Dies sei hier der Fall, wie sich der vom Kläger eingeholten verkehrlichen Bewertung der … & Co. GmbH vom 29. Juni 2022 entnehmen lasse. Die Strecke, die der Lkw rückwärtsfahren müsse, betrage allein auf dem Grundstück FlNr. … 45 m. Bei einer durchschnittlichen Rückwärtsfahrgeschwindigkeit von 3 km/h (0,8 m/sec) sei mit einer Fahrzeit allein auf dem klägerischen Grundstück von 56 Sekunden zu rechnen. Tatsächlich sei aber von einer wesentlich längeren Fahrzeit auszugehen, da es sich um eine lange, sehr enge Strecke handle, auf der zudem Fußgänger- und Radfahrerverkehr, ferner Autoverkehr durch Besucher der FlNr. … oder Pkw, die die Besucherstellplätze ansteuern wollten, stattfinde. Der Lkw-Fahrer müsse seine Rückwärtsfahrt daher immer wieder unterbrechen. Zudem hänge die Dauer der Rückwärtsfahrt auch von den individuellen Fähigkeiten des Lkw-Fahrers ab, zumal es sich um eine schwierige, gesteigerte Fahrkünste erfordernde Fahrsituation handle.
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Ferner sei auf das Erfordernis eines Einweisers nach § 9 Abs. 5 StVO hinzuweisen, da hohes Potential an Gefährdungen für Leib und Leben von Menschen bestehe, die sich mit Zustimmung des Klägers auf der Dienstbarkeitsfläche befänden. Ein Einweiser sei jedoch weder im Betriebskonzept der Beigeladenen noch in der Baugenehmigung beauflagt worden. Im Übrigen dürfe dieser die Dienstbarkeitsfläche auch nicht betreten. Zu der reinen Fahrzeit und für Rangiervorgänge benötigten Zeit komme dann noch die Zeit dazu, die der Lkw-Fahrer brauche, um einen Einweiser zu organisieren. In dieser Zeit komme es zu ganz erheblichen Beeinträchtigungen des Verkehrs auf der FlNr. … und auch auf dem südlich gelegenen …weg. Zusätzlich müssten die Autofahrer, die sich bereits hinter dem Lkw auf der Durchfahrt befänden, selbst erst zurücksetzen, bevor dieser rückwärtsfahren könne. Darüber hinaus könne es zu Verkehrsproblemen kommen, wenn ein Pkw auf den Besucherstellplätzen nicht ideal eingeparkt sei und der Lkw daher nicht ausreichend rangieren könne. Mithin seien auf dem Grundstück des Klägers chaotische Zustände und eine für ihn nicht zumutbare Beeinträchtigung seines Grundstücks zu erwarten, zumal für die Beigeladene Alternativen bestünden und zwischen den Rechtsvorgängern des Klägers und der Beigeladenen bereits eine andere Lösung vereinbart gewesen sei.
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Während des Rückwärtsfahrvorgangs sei mit lauten Warngeräuschen des Lkw aufgrund der vorgeschriebenen Rückfahrwarneinrichtungen zu rechnen, die eine beträchtliche Lautstärke erreichen könnten. Dieses Piepsen müsse der Kläger sodann für die Dauer des gesamten Rangiervorgangs hinnehmen. Auch dies führe zur Unzumutbarkeit.
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Eine Verletzung von Nachbarrechten ergebe sich ferner aus den erteilten Befreiungen von der Festsetzung zur Herstellung einer gemeinsamen Tiefgarage und der Tiefgaragenzufahrt.
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Darüber hinaus würden die klägerischen Grundstücke in mehrfacher Hinsicht ohne rechtliche Grundlage in Anspruch genommen, so dass durch die Baugenehmigung mithin die Gefahr der Entstehung von Notwegerechten bestehe. Nach der zu Gunsten der Beigeladenen bestellten Grunddienstbarkeit i.V.m. § 7 Nr. 2 Abs. 2 der Bewilligung habe der Kläger nur zu dulden, dass die östliche, 4 m breite Fahrtfläche durch den jeweiligen Eigentümer des Baugrundstücks als Zu- und Abfahrt für die Einzelhandelseinrichtung auf dem Baugrundstück – jedoch ausschließlich für die Anlieferung – genutzt werde. Ferner sei ein Befahren der besagten Flächen durch Gäste des Baugrundstücks, welche die Besucherstellplätze benutzten wollten, zu dulden. Aus der lediglich zur Sicherung und zu Gunsten der Beklagten bestellten beschränkten persönlichen Dienstbarkeit, deren Inhalt sich bzgl. der östlichen Fahrtfläche aus § 7 Nr. 2 Abs. 3 ergebe (jederzeitige Benutzbarkeit der Fläche durch die Allgemeinheit als Zu- und Abfahrt für die Besucherstellplätze und zum Befahren mit Fahrrädern), könne die Beigeladene keine Rechte ableiten. Insoweit sei vom Umfang der zu Gunsten des Baugrundstücks bestellten Dienstbarkeiten nicht gedeckt, die Fahrtfläche zur Entsorgung von Müll der Einzelhandelseinrichtung sowie aus dem Müllraum des Altenpflegeheims zu nutzen, sie mit Fahrrädern zu befahren und von dort aus die nur über diesen Weg erreichbaren Fahrradabstellräume anzufahren, sie als Fluchtweg oder Sammelplatz für Rettungswege aus dem Gebäude der Beigeladenen und zur Herstellung eines Aufstellplatzes für die Feuerwehr zu nutzen sowie die westlich gelegenen Zugänge zum Gebäude der Beigeladenen über die Fahrtrechtsfläche fußläufig anzusteuern und zu betreten. Hinsichtlich der Rettungswege und der Aufstellfläche für die Feuerwehr könne sich die Beigeladene nicht auf § 904 BGB stützen. Hierzu sei auf die Entscheidung der Kammer vom 26. September 2016 (M 8 K 15.3757) zu verweisen. Zudem setzte § 904 BGB voraus, dass die Einwirkung notwendig sei, was vorliegend nicht der Fall sei.
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Überdies werde auch insoweit gegen die bestellte Dienstbarkeit i.V.m. § 7 Nr. 2 Abs. 2 der Bewilligung verstoßen, als die Beigeladene das klägerische Grundstück bei der Anlieferung für den großflächigen Einzelhandel nicht nur zur Durchfahrt, sondern auch zum Rangieren und Rückwärtsfahren von Lkw in Anspruch nehmen wolle. Die für die Anliefertätigkeit bestellte Dienstbarkeit umfasse ein Rückwärtsfahren nicht. Sie lasse nur ein Fahrtrecht von Süden nach Norden zu. Hinzu komme, dass ein rückwärtsfahrender Sattelschlepper bei einem Fahrvorgang, wie von der Beigeladenen vorgesehen, den 4 m breiten Dienstbarkeitsbereich verlassen werde. Dies belege die vom Kläger im Klageverfahren vorgelegte fachliche Bewertung der … & Co. GmbH vom 29. Juni 2022, der sich eine realistische Darstellung einer zu erwartenden Schleppkurve eines Bemessungsfahrzeugs (16,5 m langer Sattelzug) entnehmen lasse. Im Grundrissplan EG der Baugenehmigung seien nur die Fahrspuren eines vorwärtsfahrenden Fahrzeugs eingezeichnet. Auch die Einhaltung des notwendigen Sicherheitsabstands sei nur bei Verlassen der Dienstbarkeit möglich. Zur berücksichtigen sei auch, dass es sich bei der Darstellung der Schleppkurven in der vorgelegten Stellungnahme der … & Co. GmbH um eine abstrakte Darstellung an Hand eines Bemessungsfahrzeugs handle. Ein unerfahrener oder überlasteter Lkw-Fahrer werde noch wesentlich ausschweifendere Fahrtradien in Anspruch nehmen.
22
Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls
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Klageabweisung.
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Es sei fraglich, ob der Kläger eine unzumutbare Beeinträchtigung seiner Grundstücke – und damit eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots – durch die rückwärtige Andienung des durch die Baugenehmigung zugelassenen Einzelhandels durch Lkw überhaupt noch geltend machen könne. Diese Art der Anlieferung werde durch den Bebauungsplan selbst vorausgesetzt (vgl. S. 35 der Bebauungsplanbegründung) und sei bereits auf Ebene der Bauleitplanung abgewogen worden. Nach Auflage 6.1.3 der angefochtenen Baugenehmigung dürften pro Tag maximal fünf Anlieferungen mit Lkw und maximal zehn Anlieferungen mit Sprinter stattfinden. Die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Ingenieurbüros … & Partner beweise, dass eine solche Anlieferung tatsächlich möglich sei. Unter Zugrundelegung der Annahmen des Sachverständigen und der Baugenehmigung werde die Dienstbarkeitsfläche für einen Zeitraum von maximal fünf Minuten am Tag blockiert (wobei eine Anlieferung sonn- und feiertags bereits faktisch ausscheide). Bereits deswegen sei nicht erkennbar, woraus eine unzumutbare Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks folgen solle. Aus der gutachterlichen Stellungnahme ergebe sich ferner, dass mögliche Erschwernisse bei der Einfahrt der Lkw durch einen Einweiser behoben werden könnten, um den Sorgfaltsanforderungen des § 9 StVO zu genügen. Dass Lkw-Fahrer keinen Einweiser nutzten, sei eine Unterstellung des Klägers. Zu dieser Frage verhalte sich das Betriebskonzept der Beigeladenen nicht, weil sie unter genehmigungsrechtlichen Gesichtspunkten irrelevant sei. In der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März 2018 – 15 CS 17.2523 – gehe es erkennbar darum, dass durch eine Baugenehmigung keine Zustände geschaffen werden dürften, die dem Ziel der Zu- und Abfahrt von einem erschlossenen Grundstück entgegenstünden oder die Erschließung von Nachbargrundstücken unzumutbar beeinträchtigten. Dafür sei nichts vorgetragen. Auf eine Störung des allgemeinen Verkehrs auf der Dienstbarkeitsfläche könne sich der Kläger nicht berufen, weil die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (hier: Fußgänger und Radfahrer) keine subjektiv-öffentlich-rechtliche Rechtsposition des Klägers begründe. Zudem sei die Erschließungsmöglichkeit durch den Bebauungsplan vorgesehen.
27
Im Dienstbarkeitstext werde ausdrücklich von „Anlieferverkehr“ gesprochen, ohne dass eine bestimmte Fahrtrichtung vorgegeben wäre. Der Kläger sei zivilrechtlich verpflichtet, entsprechende Anlieferungen zu dulden. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die gelegentliche Anlieferung dazu führe, dass das Grundstück oder die Parkplätze dauerhaft oder überwiegend nicht zu benutzen sein könnten bzw. welche Auswirkungen auf das Grundstück des Klägers vorliegen sollten.
28
Auch aus den vom Gutachter eingezeichneten Schleppkurven ergebe sich keine Unzumutbarkeit. Die vom Kläger unterstellte Form der Anlieferung sei nicht zwingend. Der Sachverständige wende sich nicht dagegen, dass in der Baugenehmigung nur die Dienstbarkeitsfläche in Anspruch genommen werde. Sei diese Form der Anlieferung grds. möglich, könne sie auch – wie hier geschehen – einer durch Bauantragsunterlagen konkretisierten Erschließung zugrunde gelegt werden. Der Kläger unterstelle, dass sich der künftige Betreiber des Einzelhandelsbetriebs nicht an die Vorgaben halten werde. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, stünden dem Kläger sodann zivilrechtliche Befugnisse zur Seite.
29
Auch in Bezug auf die vom Kläger befürchtete Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme wegen Abholung von Verpackungsmaterialien gelte, dass die Anzahl der Anfahrten von Lkw durch die Baugenehmigung zeitlich und von der Anzahl her begrenzt sei. Wie genau die Abholung erfolge – zusammen mit dem Anliefervorgang oder nicht – sei zunächst Sache des künftigen Einzelhandelbetreibers. In der angefochtenen Baugenehmigung werde weder eine Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks vorausgesetzt noch unterstellt. Es sei Aufgabe des jeweiligen Betreibers, im konkreten Entsorgungskonzept entsprechende Vorgaben zu treffen. Die Frage, ob sich aus der im Rahmen der Nachbarvereinbarung bewilligten Dienstbarkeit nur die Zulässigkeit von Anlieferverkehr ergebe, betreffe die Auslegung der Dienstbarkeit, die der Kläger im Rahmen einer Feststellungsklage vor dem Zivilgericht klären lassen müsse. Darüber hinaus sei die Auffassung, dass im Anlieferverkehr eines Einzelhandels nicht auch die Entsorgung von Abfällen möglich sei, abwegig. Nur so sei ein Einzelhandelsbetrieb funktionsfähig. Die von der Klagepartei gebrachten Beispiele der einschränkenden Auslegung von Dienstbarkeiten bezögen sich auf nicht vergleichbar Fallgestaltungen. Schließlich sei auch keine unzumutbare Beeinträchtigung durch die Nutzung als Entfluchtungsfläche zu erwarten. Das Grundstück FlNr. … (gemeint ist wohl: FlNr. …) sei im Bebauungsplan als Grünfläche festgesetzt. Diese Fläche könne daher – unbeschadet der eigentumsrechtlichen Zuordnung – wie öffentliche Verkehrsflächen behandelt werden (vgl. auch Art. 6 Abs. 2 BayBO). Es entstehe auch kein Notwegerecht. Die Entfluchtung eines Gebäudes sei naturgemäß kein dauerhafter Zustand, sondern trete nur im Brandfall ein. Insoweit trete der zivilrechtliche Notstand nach § 904 BGB ein.
30
Das Gericht hat am 2. Mai 2022 eine erste, am 28. November 2022 – nach Gewährung einer Schriftsatzfrist an die Klagepartei – eine weitere mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Bevollmächtigten des Klägers insgesamt zehn unbedingte Beweisanträge gestellt haben, die von der erkennenden Kammer allesamt durch begründeten Beschluss abgelehnt wurden. Auf die jeweiligen Niederschriften wird Bezug genommen.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

32
I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
33
1. Die Unbegründetheit der Klage folgt dabei nicht bereits aus dem bestandskräftigen Vorbescheid vom 4. Juli 2018 (vgl. zur Einordnung dieses Umstands in die Begründetheits- und nicht in die Zulässigkeitsprüfung: BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 14/85 – juris Rn. 15; Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 147. EL August 2022, Art. 71 Rn. 98), weil diesem schon allein wegen der völlig anderen Erschließungssituation des abgefragten Vorhabens keine Bindungswirkung für das der Baugenehmigung vom 6. März 2020 zugrunde liegende Vorhaben zukommt. Eine Bindungswirkung kann nur eintreten, wenn es sich bei der dem Vorbescheid nachfolgenden Baugenehmigung um das gleiche Vorhaben handelt, eine isolierte Betrachtung der im Vorbescheidsverfahren gestellten und entschiedenen Fragen ist nicht möglich (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 7 f.).
34
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Kläger durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. März 2020 nicht in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
35
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zudem zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, also die gerügte Rechtsverletzung Gegenstand des Prüfprogramms im einschlägigen Baugenehmigungsverfahren war (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20; B.v. 8.8.2016 – 9 ZB 14.2808 – juris Rn. 9; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 23). Der Prüfungsumfang ergibt sich im vorliegenden Fall aus Art. 60 BayBO, da es sich bei Bauvorhaben um einen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt.
36
Vorliegend verletzt die erteilte Baugenehmigung keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die dem Schutze des Klägers als Nachbarn dienen. Insbesondere erweist sich das Vorhaben weder als rücksichtslos gegenüber dem Kläger (vgl. nachfolgend Ziffer 2.1.) noch werden seine Nachbarrechte durch die erteilten Befreiungen von § 10 Abs. 1 und Abs. 2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … verletzt (vgl. insoweit Ziffer 2.2.) noch ist mit der Umsetzung des Vorhabens die Entstehung eines Notwegerechts auf den klägerischen Grundstücken FlNr. … und … Gemarkung … verbunden (vgl. nachfolgend Ziffer 2.3.). Im Einzelnen:
37
2.1. Das Bauvorhaben, dessen planungsrechtliche Zulässigkeit sich gem. § 30 Abs. 1 BauGB nach den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … der Beklagten richtet, verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, § 15 Abs. 1 BauNVO. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die vom Kläger als rücksichtslos und unzumutbar erachtete Belieferung des durch die Baugenehmigung zugelassenen Einzelhandelsbetriebs.
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2.1.1. Dabei kann offen bleiben, ob die Art der Anlieferung für den großflächigen Einzelhandelsbetrieb, die nach Einzeichnung in den Planvorlagen (vgl. Grundriss Erdgeschoss) dergestalt erfolgen soll, dass anliefernde Fahrzeuge über den …weg zunächst über die auf dem Grundstück des Klägers FlNr. … geplante Durchfahrt Richtung Norden und sodann rückwärts zur Anlieferzone auf dem Baugrundstück fahren, im Bebauungsplan bereits angelegt ist und die angefochtene Baugenehmigung das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot aufgrund aller oder jedenfalls einzelner vom Kläger geltend gemachter Verstöße womöglich deshalb nicht verletzen kann, weil diese Fragen im Rahmen der Abwägung auf der Ebene der Bebauungsplanung bereits einer endgültigen Konfliktbewältigung zugeführt worden sind. Selbst wenn der Bebauungsplan hier für eine Konfliktbewältigung im Baugenehmigungsverfahren noch offen wäre, ist eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme im Baugenehmigungsverfahren jedenfalls nicht erfolgt.
39
2.1.2. Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 17; U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris Rn. 20; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m.w.N.). Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris Rn. 22).
40
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass auch aus dem Rücksichtnahmegebot kein Recht des Nachbarn abzuleiten ist, dass in seiner Nachbarschaft nur objektiv rechtmäßige Bauvorhaben entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 11; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 26). Das Rücksichtnahmegebot legt dem Bauherrn zudem auch keine Pflicht auf, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97/97 – juris Rn. 6). Denn eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B.v. 7.2.2012 – 15 CE 11.2865 – juris Rn. 14; B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 14; B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7).
41
2.1.2.1. Insbesondere im Hinblick auf die durch das Vorhaben verursachten (Lärm-)Immissionen ist keine Rücksichtslosigkeit ersichtlich.
42
(Lärm-) Immissionen sind grundsätzlich unzumutbar und verletzen das Rücksichtnahmegebot, wenn sie geeignet sind, erhebliche Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG für die Nachbarschaft hervorzurufen (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 5.98 – BauR 1999, 152 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 26). Bei der Erteilung einer Baugenehmigung ist sicherzustellen, dass bei der Nutzung des genehmigten Vorhabens keine derartigen Belästigungen entstehen. Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt auch in Bezug auf Lärmauswirkungen von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Gegeneinander abzuwägen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 24 m.w.N.; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 40).
43
Für die Beurteilung der betriebsbedingten Lärmimmissionen des zugelassenen Vorhabens sind die Vorgaben der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm, nunmehr in der Fassung vom 1. Juni 2017) maßgeblich. Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich zu beachtende Bindungswirkung zu (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 18 m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.1.2018 – 15 CS 17.2575 – juris Rn. 23).
44
Vorliegend sind keine erheblichen Belästigungen des Klägers zu erwarten.
45
Wenn es um die Lösung einer Immissionskonfliktlage geht, reicht es sowohl im Hinblick auf die Anforderungen der Bestimmtheit der Baugenehmigung als auch des Rücksichtnahmegebots in der Regel aus, wenn dem Emittenten aufgegeben wird, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 5.11.1968 – I C 29.67 – juris Rn. 11; U.v. 24.6.1971 – I C 39.67 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris Rn. 31; VG München, U.v. 12.10.2020 – M 8 K 18.3809 – juris Rn. 38). Eine solche zielorientierte Festlegung von Immissionsrichtwerten ist im streitgegenständlichen Bescheid erfolgt: In Ziffer 6.1.1. der in der Baugenehmigung vom 6. März 2020 enthaltenen Auflagen des Referates für Gesundheit um Umwelt zum Immissionsschutz ist festgelegt, dass die vom Bauvorhaben ausgehenden Geräusche am maßgeblichen Immissionsort nach Ziffer 2.3 der TA Lärm bestimmte Immissionsrichtwerte nicht überschreiten dürfen. Die Beklagte hat die sich aus Ziffer 6.1. Buchst. d) für ein Kerngebiet und e) für ein allgemeines Wohngebiet ergebenden Immissionsrichtwerte zudem um jeweils 6 dB(A) reduziert. Darüber hinaus ist im Bescheid festgelegt, dass einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen die Immissionsrichtwerte am Tag um nicht mehr als 30 dB(A) und in der Nacht um nicht mehr als 20 db(A) überschreiten dürfen (vgl. Nr. 6.1 Satz 2 TA Lärm).
46
Die Festlegung von Immissionsrichtwerten genügt zur Sicherung der Nachbarrechte allerdings nur, wenn sie geeignet und ausreichend ist, die Erfüllung der Anforderungen des Rücksichtnahmegebots auch für den Fall, dass von der Baugenehmigung im vollem Umfang Gebrauch gemacht wird, sicherzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 9.7.2012 – 22 CS 12.575 – juris Rn. 25), d.h. zu gewährleisten, dass die bei der Nutzung der Anlage entstehenden Immissionen die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze nicht überschreiten (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 5). Die Festlegung des maßgeblichen Immissionsrichtwerts ist insofern zur Sicherung der Nachbarrechte nur dann ausreichend, wenn feststeht, dass die bei der Nutzung der Anlage entstehenden Immissionen die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze nicht überschreiten (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 5; HessVGH, B.v. 30.1.2012 – 4 B 2379/11 – juris Rn. 8; VG München, U.v. 12.10.2020 – M 8 K 18.3809 – juris Rn. 38).
47
Daher muss, wenn die bei der Nutzung der Anlage entstehenden Immissionen bei regelmäßigem Betrieb die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze überschreiten, die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch (weitere) konkrete Regelungen eingeschränkt werden (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2002 – 1 B 98.2945 – juris Leitsatz, Rn. 53 ff., 58; B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris Rn. 31; HessVGH, B.v. 30.1.2012 – 4 B 2379/11 – juris Rn. 10; VG München, U.v. 12.10.2020 – M 8 K 18.3809 – juris Rn. 38). Ebenso wenig ist die bloße Festsetzung von Immissionsrichtwerten wegen der Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme bzw. das Rücksichtnahmegebot selbst ausreichend, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese bei regelmäßigem Betrieb der geplanten Anlage nicht eingehalten werden können. Denn in diesem Fall ist ebenso wenig sichergestellt, dass der Nachbar durch die geplante Anlage keinen unzumutbaren Immissionen ausgesetzt ist (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2002 – 1 B 98.2945 – juris Rn. 49; U.v. 16.11.2006 – 26 B 03.2486 – juris Rn. 30; B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 7 f.; HessVGH, B.v. 30.1.2012 – 4 B 2379/11 – juris Rn 7).
48
Die Beklagte hat sich im Baugenehmigungsverfahren mit den Auswirkungen des Betriebs befasst und im Genehmigungsbescheid neben der Festsetzung von Immissionsrichtwerten weitere betriebsbeschränkende Regelungen getroffen (vgl. Ziffern 6.1.2 und 6.1.3 der im streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen „Auflagen des Referats für Gesundheit und Umwelt“). So darf die Anlieferung nur im Tagzeitraum zwischen 06:00 und 22:00 Uhr erfolgen und pro Tag maximal fünf Anlieferungen mit Lkw und zehn Anlieferungen mit Sprinter stattfinden. Damit trifft die Baugenehmigung eine eindeutig bestimmbare Regelung zu Umfang bzw. Häufigkeit von Anlieferungsverkehr für den großflächigen Einzelhandelsbetrieb und konkretisiert insoweit den Nutzungsumfang.
49
Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die von der Beklagten vorgegebenen Immissionsrichtwerte zu Lasten des Klägers nicht eingehalten würden und sein Eigentum bei regelmäßigem Betrieb des Vorhabens unzumutbaren Beeinträchtigungen, v.a. durch Lärm, ausgesetzt wäre. Insbesondere vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass es bei Umsetzung der Baugenehmigung zu einer unzumutbaren Belastung des Klägers durch den, dem großflächigen Einzelhandelsbetrieb zuzurechnenden Anlieferverkehr kommen wird. Soweit die Klagepartei befürchtet, dass der von den akustischen Rückfahrwarneinrichtungen ausgehende Warnton eine beträchtliche Lautstärke erreichen könne und diese unzumutbar sei, ist der dahingehende Vortrag nicht substantiiert genug, einen konkreten Anhalt dafür zu liefern, dass eine Überschreitung des Spitzenpegelkriteriums zu erwarten ist. In (überplanten oder faktischen) Kerngebieten innerhalb eng besiedelter städtischer Lagen sind gewerbliche Nutzungen mit Park- und Anlieferverkehr von Objekten der geplanten Größe nichts Ungewöhnliches, so dass unter Berücksichtigung der im Genehmigungsbescheid festgesetzten Richtwerte und betriebsbeschränkenden Regelungen (Zeitfenster für und Anzahl der Anlieferungen) davon auszugehen ist, dass es zu keiner Nachbarrechtsverletzung im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme kommen wird.
50
2.1.2.2. Hinsichtlich einer Verschlechterung der allgemeinen Erschließungs- und Verkehrssituation durch ein Vorhaben ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dies grundsätzlich nicht zu dessen Rücksichtslosigkeit führt. Die mit einer Bebauung verbundenen Beeinträchtigungen und Unannehmlichkeiten durch den dadurch verursachten An- und Abfahrtsverkehr sind grundsätzlich – jedenfalls bei Einhaltung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte – im Regelfall hinzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn sich die verkehrliche Situation gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert (BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 15 CS 21.2447 – juris Rn. 25; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 32).
51
Die Grenze zur Rücksichtslosigkeit kann in Einzelfällen – unabhängig von Lärmbelastungen – dann überschritten sein, wenn es aufgrund der örtlichen Verhältnisse zu chaotischen Verkehrsverhältnissen im unmittelbaren Umgriff des Nachbargrundstücks kommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2021 a.a.O, Rn. 25; vgl. zum An- und Abfahrtverkehr einer Kindertagesstätte in einer beengten Sackgasse vgl. NdsOVG, B.v. 20.12.2013 – 1 ME 214/13 – NVwZ-RR 2014, 296 ff.; vgl. auch BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 15 ZB 19.1349 – juris Rn. 11 ff.; B.v. 20.3.2018 a,a.O. Rn. 36), weil mangels ausreichender Parkmöglichkeiten der durch das Vorhaben bewirkte Park- oder Parksuchverkehr die unmittelbaren Nachbarn unzumutbar beeinträchtigt oder weil die bestimmungsgemäße Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar eingeschränkt wird (BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 15 CS 19.1906 – juris Rn. 67 m.w.N.; B.v. 25.8.2009 – 1 CS 09.287 – juris Rn. 39 m.w.N.).
52
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Vorhaben im Hinblick auf das zu erwartende Verkehrsaufkommen nicht rücksichtlos zu Lasten des Klägers. Eine chaotische oder bzw. erhebliche Verschlechterung der Verkehrssituation durch den durch das Vorhaben ausgelösten, zusätzlichen Verkehr ist nicht zu befürchten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Anlieferung für den Einzelhandelsbetrieb.
53
Die Anlieferungen für das Hotel und der motorisierte Individualverkehr sollen über die Tiefgarage abgewickelt werden, deren Ein- und Ausfahrt an der …straße liegt. Mit Blick auf den Lieferverkehr für die Einzelhandelsnutzung enthält die angefochtene Baugenehmigung – wie oben dargelegt – sowohl zeitliche (Auflage Ziffer 6.1.2.) als auch quantitative (Auflage Ziffer 6.1.3) Einschränkungen der Anliefervorgänge, mit denen sichergestellt wird, dass es zu keinen unzumutbaren Beeinträchtigungen kommt. Nach der Darstellung im Grundriss Erdgeschoss werden die anliefernden Fahrzeuge die Durchfahrt nur für die Dauer des Rangiervorgangs blockieren, die Entladung soll an der Laderampe auf dem Baugrundstück erfolgen. Insoweit mag es während des Rückwärtsfahrens/des Rangiervorgangs der Anlieferfahrzeuge möglicherweise zu gewissen Verzögerungen bei der Benutzung der Durchfahrt kommen, die ein kurzfristiges Warten verlangen. Vor allem mit Blick auf die zahlenmäßige Begrenzung der Anliefervorgänge ist jedoch nicht davon auszugehen, dass ein Grad an Unzumutbarkeit und damit die Schwelle der Rücksichtslosigkeit erreicht wird.
54
Bestätigt wird dies auch durch das vom Kläger im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Gutachten der … & Co. GmbH vom 29. Juni 2022. Der Gutachter setzt dabei an, dass das Bemessungsfahrzeug – ein 16,5 m langer Sattelzug – eine Strecke von ca. 45 m auf dem klägerischen Grundstück FlNr. … zurücklegen müsse und setzt hierfür eine Rückwärtsfahrtgeschwindigkeit von 3 km/h (≈ 0,8 m/s) an. Auf dieser Grundlage errechnet er eine Dauer des Rückwärtsfahrvorgangs eines 16,5 m langen Sattelzugs auf der Dienstbarkeitsfläche von ≈ 56 Sekunden. Legt man zugrunde, dass pro Tag nur fünf Anlieferungen mit Lkw erfolgen dürfen, ist die Durchfahrt unter Zugrundelegung dieser Annahmen für ca. 5 Minuten am Tag nicht passierbar; bezieht man zusätzlich die auf zehn/Tag beschränkten Anlieferungen per „Sprinter“ mit ein – die jedoch deutlich kleiner und wendiger sind als das Bemessungsfahrzeug – wären es 14 Minuten/Tag.
55
Die Bevollmächtigten des Klägers wenden hierzu ein, es handle sich um eine bloße abstrakte Berechnung nach der einfachen Formel „Geschwindigkeit/Strecke“. Tatsächlich sei, bedingt durch verschiedenste Faktoren (lange und enge rückwärts zu befahrende Strecke, die gesteigerte Fahrkünste erfordere, so dass die Dauer vom individuellen Können des jeweiligen Fahrers abhänge; erforderliches Nachjustieren bei der Rückwärtsfahrt; Frequentierung der Durchfahrt auch von Fußgängern, Radfahrern, Pkw, die die Besucherstellplätze ansteuern oder die Querverbindung zur … Straße nutzen wollen; Erfordernis der Hinzuziehung eines Einweisers und zeitliche Verzögerungen hierdurch etc.), von einer deutlich längeren Dauer des Fahrvorgangs der anliefernden Fahrzeuge und einem hierdurch bedingten Rückstau auf den …weg auszugehen. In dieser Zeit könne der Kläger sein Grundstück nicht anfahren/befahren, was zur Unzumutbarkeit und Rücksichtslosigkeit führe.
56
Die Kammer folgt dem nicht. Selbst wenn es – bedingt durch verschiedene Umstände – zu gewissen Verzögerungen beim Rückwährtsfahren kommen sollte, werden diese kein Ausmaß erreichen, die zu einer Unzumutbarkeit führen könnten. Dabei ist zu sehen, dass die Situation – beengte Platzverhältnisse und Rückwärtsfahrvorgang – gerade im eng bebauten Stadtgebiet nicht untypisch ist. Es ist auch davon auszugehen, dass sich ein umsichtiger Lkw-Fahrer – schon im eigenen Interesse – zur Vermeidung von Schäden und Schadensersatzansprüchen einweisen lassen wird. Verzögerungen durch das Hinzuholen des Einweisers lassen sich durch organisatorische Maßnahmen vermeiden. Fußgänger und Radfahrer können bei Erkennen des Rückwärtsfahrvorgangs auf den westlichen Teil der insgesamt deutlichen breiteren Zufahrt ausweichen. Dieser Aspekt scheint auch in der vom Kläger vorgelegten verkehrlichen Bewertung vom 29. Juni 2022 nicht hinreichend berücksichtigt worden zu sein, wie sich an mehreren Stellen (S. 1, 5, 6) zeigt.
57
Hinzu kommt, dass die auf den Grundstücken des Klägers geplante Durchfahrt nicht die einzige Verbindung Richtung Norden – eine Durchfahrt nach Süden ist ohnehin nicht möglich – zur … Straße hin darstellt, sondern insoweit – gerade für den quartiersfremden Verkehr – weiterhin die …straße zur Verfügung steht. Erst recht dürfte dies gelten, wenn man – was angesichts der Vierspurigkeit der … Straße und deren Verkehrsbedeutung naheliegend ist – wie der der Gutachter des Klägers in der verkehrlichen Bewertung vom 29. Juni 2022 davon ausgeht (S. 1 f. + Abb. 1), dass die Ausfahrt der auf dem Grundstück FlNr. … zu errichtenden Durchfahrt an der … Straße ausschließlich in Richtung Osten erfolgen kann (Rechtseinbieger).
58
2.1.2.3. Soweit der Kläger eine Gefährdung von Radfahrern, Fußgängern und Nutzern der Besucherparkplätze befürchtet, folgt daraus ebenfalls keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots.
59
Insoweit handelt es sich nicht um einen städtebaulichen Belang, sondern um Fragen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Sicherheitsrechtliche Belange sind jedoch nicht in das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme einzubeziehen. Dieses Gebot ist weder ein dem Bauplanungsrecht vorgegebener allgemeiner Grundsatz, der die Genehmigungsbehörden verpflichtet, alle durch das konkrete Vorhaben betroffenen öffentlichen und privaten Belange bei der Erteilung der Genehmigung zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 6.6.2002 – 14 B 99.2545 – BayVBl. 2003, 342 = juris Rn. 14), noch stellt das Gebot der Rücksichtnahme eine allgemeine Härteklausel dar (vgl. VG München, U.v. 26.8.2004 – M 11 K 04.991 – juris Rn. 32 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – juris Rn. 6; vgl. auch VG München, U.v. 6.8.2002 – M 1 K 01.4339 – juris Rn. 28). Vielmehr wird das Rücksichtnahmegebot aus bestimmten Tatbestandsmerkmalen der § 30 ff. BauGB, also Regelungen des Bauplanungsrechts, abgeleitet. Daraus folgt, dass sich eine entsprechende wehrfähige Position dessen, der sich gegen das Vorhaben seines Nachbarn wendet, nicht z.B. aus sicherheitsrechtlichen Gründen ergeben kann (vgl. VG München, U.v. 26.8.2004, a.a.O. Rn. 32; Pützenbacher in: Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, 2. Auflage 2018, § 15 Rn. 179 ff; Henkel in: BeckOK BauNVO, 31. Edition 15.10.2022, § 15 Rn. 60).
60
2.2. Ebenso wenig ergibt sich eine Verletzung von Nachbarrechten im Hinblick auf die gem. § 31 Abs. 2 BauGB erteilten Befreiungen von § 10 Abs. 1 und Abs. 2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … (und der dazugehörigen Festsetzung im Planteil).
61
2.2.1. Hinsichtlich des Nachbarschutzes im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ist grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans oder von nicht drittschützenden Festsetzungen befreit wird. Handelt es sich um eine nachbarschützende Festsetzung, so hat der Nachbar einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (BayVGH, B. v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 3). Entscheidend ist damit nicht nur, ob die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, sondern auch, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB im konkreten Fall erfüllt sind. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht drittschützend ist, werden nachbarschützende Rechte nur verletzt, wenn der Nachbar durch die Erteilung der Baugenehmigung unzumutbar beeinträchtigt wird; eine Rechtsverletzung kommt insoweit nur in dem im Begriff der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ verankerten Rücksichtnahmegebot in Betracht (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 5 f.; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 13.10.2021 – 9 CS 21.2211 – juris Rn. 28; B.v. 11.8.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 9; B.v. 15.2.2019 – 9 CS 18.2638 – juris Rn. 19; B.v. 21.5.2019 – 1 CS 19.474 – juris Rn. 4; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 25 m.w.N.; B.v. 18.12.2017 – 9 CS 17.345 – juris Rn. 15; B.v. 6.8.2010 – 15 CS 09.3006 – juris Rn. 26; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 33). Nachbarrechte werden in diesem Fall also nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2021 – 9 CS 21.2211 – juris Rn. 28; B.v. 15.2.2019 – 9 CS 18.2638 – juris Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt, wenn von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans abgewichen wird, ohne dass die Baugenehmigungsbehörde eine Ausnahme oder Befreiung erteilt hat (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14/87 – juris; B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 7).
62
2.2.2. Hinsichtlich der drittschützenden Wirkung von Festsetzungen eines Bebauungsplanes ist zu beachten, dass diese – mit Ausnahme der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, die kraft Gesetzes Drittschutz vermitteln (grundlegend: BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151 = juris Ls. 2, Rn. 12) – nicht bereits kraft Gesetzes nachbarschützende Wirkung besitzen. Dies gilt auch für die in Rede stehenden Festsetzungen, die ihre Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB und § 9 Abs. 1 Nr. 11/§ 9 Abs. 1 Nr. 4 BauGB finden. Diesen kommt nicht schon kraft Bundesrechts drittschützende Wirkung zu (vgl. zu § 9 Abs. 1 Nr. 22 BauGB: OVG Hamburg, B.v. 17.12.1997 – Bs II 37/97 – juris Rn. 10 m.w.N.; zu § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB: OVG Bremen, B.v. 5.10.2021 – 1 B 310/21 – juris Rn. 16 ff.). Mögliche Immissionsreduzierungen zum Schutz der Anlieger können bei Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB eine eingetretene Nebenfolge sein. Sie sind aber im Unterschied zu § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB nicht Hauptzweck und eigentliche Zielrichtung der Festsetzung (vgl. OVG Bremen, B.v. 5.10.2021 – 1 B 310/21 – juris Rn. 18).
63
Die Frage der drittschützenden Wirkung einer solchen Festsetzung hängt vielmehr von der Auslegung des Bebauungsplanes ab und damit in erster Linie vom Willen der planenden Gemeinde (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 33).
64
Von einer neben die Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung einer Festsetzung ist ausnahmsweise dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden planerischen Willen erkennbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 11.08.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 13; B.v. 7.1.2014 – 2 ZB 12.1787 – juris Rn. 5). Maßgebend ist, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen worden ist oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll (vgl. BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 CS 21.817 – juris Rn. 17; B.v. 28.5.2014 – 9 CS 14.84 – juris Rn. 17; B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15; B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 11; OVG RhPf, B.v. 1.8.2016 – 8 A 10264/16 – juris Rn. 6).
65
Ob und inwieweit eine Norm des Bauplanungsrechts betroffenen Nachbarn Abwehrrechte einräumt, ist dabei anhand von Inhalt, Rechtsnatur und Schutzzweck der jeweiligen Festsetzung, ihrem Zusammenhang mit den anderen Regelungen des Plans, der Planbegründung oder den Akten über die Aufstellung des Bebauungsplans im konkreten Einzelfall im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst (etwa kraft ausdrücklicher Regelung von Drittschutz), aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben kann (BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – juris Rn. 11; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 14; B.v. 11.6.2019 – 4 B 5.19 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 11.08.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 13; B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23 m.w.N.; B. v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 16; B.v. 21.5.2019 – 1 CS 19.474 – juris Rn. 4; B.v. 7.10.2019 – 1 CS 19.1499 – juris Rn. 17).
66
2.2.2.1. Unter Anwendung dieser Grundsätze dient die im Bebauungsplan enthaltene Festsetzung in § 10 Abs. 1 (Schaffung einer Gemeinschaftstiefgarage für die nach Art. 47 BayBO erforderlichen Stellplätze) ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung und hat nicht (auch) den Zweck, die Rechte der Nachbarn, insbesondere des Klägers, zu schützen.
67
Weder aus der Formulierung der Festsetzung noch aus der Begründung des Bebauungsplans ergibt sich vorliegend der eindeutig erkennbare Wille der Beklagten, der Festsetzung dritt- bzw. nachbarschützende Wirkung zuzuschreiben. Vielmehr lassen die Ausführungen in der Bebauungsplanbegründung erkennen, dass die Plangeberin mit dieser Festsetzung das – ausschließlich – städtebauliche Ziel verfolgt hat, eine „leistungsstarke, sparsame Erschließung“ zu schaffen (S. 24), „die Bodenversiegelung zu begrenzen“ (S. 32) und „ausreichend große(r) Freiflächen“ zu schaffen (S. 33 f.).
68
Mithin kann sich der Kläger insoweit allenfalls auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen. Anhaltspunkte dafür, dass dieses durch die erteilte Befreiung von § 10 Abs. 1 der textlichen Festsetzungen zu Lasten des Klägers verletzt würde, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
69
2.2.2.2. Auch im Hinblick auf § 10 Abs. 2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … i.V.m. der zeichnerischen Festsetzung der Ein- und Ausfahrtsbereiche im Planteil ist für die Kammer nicht erkennbar, dass hiermit – neben den städtebaulichen Zielsetzungen – ausdrücklich nachbarschützende Interessen verfolgt werden sollen.
70
Eine – wie hier nur – ausnahmsweise drittschützende Zielrichtung einer Festsetzung muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Inhalt der erlassenen Vorschrift oder aus den übrigen, objektiv erkennbaren Umständen ergeben (vgl. zu diesen Anforderungen: BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 CS 21.817 – juris Rn. 18; B.v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – juris Rn. 8).
71
Auf der Grundlage der Begründung des Bebauungsplans Nr. … ist davon auszugehen, dass die Festsetzung städtebaulichen Zielsetzungen, nämlich der Ausgestaltung der Erschließung sowie der Lenkung des Verkehrs dienen soll. So soll die Erschließung der Wohngebiete WA (1), WA (2) und WA (3) und der im Kerngebiet (u.a. der im MK (3)) zulässigen Wohnnutzung störungsfrei gestaltet und eine funktionsfähige Steuerung des durch die Planung verursachten Verkehrsaufkommens im bestehenden Straßennetz gewährleistet werden (S. 34). Ferner soll die Festlegung der Ein- und Ausfahrtsbereiche der Tiefgarage ausschließlich zur … Straße hin dazu dienen, die Durchfahrt und die oberirdischen Besucherstellplätze verkehrlich gut nutzbar zu gestalten und vom Verkehrsaufkommen der Neubebauung freizuhalten (S. 34). Es geht der Beklagten mithin um die Steuerung der städtebaulichen Ordnung im Hinblick auf den Verkehrsfluss und die Erschließung.
72
Nichts anderes folgt daraus, dass in der Bebauungsplanbegründung auch ausgeführt wird, dass die Nutzungen im Wohngebiet WA (1), WA (2) und WA (3) und die im Kerngebiet (u.a. im MK (3)) zulässige Wohnnutzung durch Zu- und Abfahrtsverkehr nicht belastet werden sollen (S. 34) und dass die Freihaltung der Durchfahrt vom Verkehrsaufkommen der Neubebauung auch erfolgen soll, um unzumutbare Beeinträchtigungen der Bewohnerinnen und Bewohner in den Wohngebieten und im Kerngebiet zu vermeiden (S. 34 f.). Hieraus ergibt sich nur, dass dies ein (weiterer) Beweggrund für die Erschließung der Gemeinschaftstiefgarage über die … Straße gewesen ist. Es kommt aber nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass dieser Festsetzung nach dem Willen der Plangeberin auch drittschützende Wirkung zukommen und dem einzelnen Nachbarn eine wehrfähige Position eingeräumt werden sollte. Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes ebenso wenig aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2009 – 1 ZB 07.3058 juris Rn. 29; B.v. 23.11.2015 – 1 CS 15.2207 – juris Rn. 8), wie dass die Gemeinde ihrer Pflicht zur gerechten Abwägung aus § 1 Abs. 7 BauGB der betroffenen Belange nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 15.6.2021 – 9 CS 21.817 – juris Rn. 18; B.v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – juris Rn. 8).
73
Lässt sich eine solche drittschützende Zweckbestimmung aus dem Bebauungsplan jedoch nicht hinreichend erkennen, ist eine nachbarschaftsschützende Wirkung abzulehnen (BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.545 – juris Rn. 59; VG Würzburg U.v. 31.01.2017 – W 4 K 16.599 – juris Rn. 25).
74
Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts („Wannsee-Entscheidung“) zur Möglichkeit einer nachträglichen subjektiv-rechtlichen bzw. nachbarschützenden „Aufladung“ von Festsetzungen eines Bebauungsplans, die nicht die Art der baulichen Nutzung betreffen (höchstrichterlich entschieden hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris). Zum einen ist die mit dieser Rechtsprechung für möglich erachtete Ermittlung eines „objektivierten“ planerischen Willens nur bei (übergeleiteten) Bebauungsplänen aus einer Zeit vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 möglich, der hier nicht vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 11.08.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 17; vgl. auch B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 26 m.w.N.). Zum anderen ist auch dann eine drittschützende Wirkung nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn durch Auslegung des Bebauungsplans ein wechselseitiges Austauschverhältnis im Hinblick auf die in Rede stehende Fesetsetzung zu ermitteln ist (vgl. BayVGH, B. v. 22.6.2020 – 2 CS 20.1085 – n.v. Rn. 4). Dies ist hier nach dem vorstehend Ausgeführten gerade nicht der Fall.
75
Damit kann sich der Kläger auch hinsichtlich der Befreiung von § 10 Abs. 2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ausschließlich auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen. Dieses ist jedoch nicht verletzt. Die Zufahrt zur und Ausfahrt aus der Tiefgarage ist ausschließlich zur …straße hin ausgerichtet und beeinträchtigt die Belange des Klägers nicht.
76
2.2.2.3. Selbst wenn man der Festsetzung nach § 10 Abs. 2 BauGB nachbarschützende Wirkung beimessen wollte, wäre der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB sind vorliegend erfüllt. Ermessensfehler sind nicht erkennbar, § 114 Satz 1 VwGO.
77
2.3. Der Kläger kann schließlich auch nicht mit der Argumentation durchdringen, dass er aufgrund einer zivilrechtlichen Verpflichtung zur Duldung eines Notwegerechts wegen fehlender Erschließung des Baugrundstücks in seinen Rechten verletzt werde.
78
Das Gebot ausreichender wegemäßiger Erschließung des Baugrundstücks hat weder in bauplanungsrechtlicher noch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht nachbarschützende Funktion (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 10; B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 18.2316 – juris Rn. 7; U.v. 22.1.2010 – 14 B 08.887 – juris Rn. 20; vgl. – zur planungsrechtlichen Erschließung – auch BayVGH, B.v. 5.3.2018 – 2 ZB 15.1558 – juris Rn.4; B.v. 1.3.2016 – 1 ZB 15.1560 – juris Rn. 9).
79
Allenfalls in Fällen, in denen das genehmigte Bauvorhaben eine unmittelbar gegenständliche Inanspruchnahme des Nachbargrundstückes zur Folge hat, kann ausnahmsweise über Art. 14 GG ein Genehmigungsabwehranspruch begründet sein. So kann einem Nachbarn ein Abwehrrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG dann zustehen, wenn die Umsetzung der Baugenehmigung in Folge des Fehlens der wegemäßigen Erschließung des Baugrundstücks zur Begründung oder Ausweitung eines Notwegerechts nach § 917 Abs. 1 BGB an seinem Grundstück führt und damit gleichsam im Wege einer „Automatik“ eine unmittelbare Verschlechterung seiner Eigentumsrechte bewirkt, ohne dass ihm im Übrigen hiergegen ein sonstiger effektiver Rechtsschutz zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – BVerwGE 50, 282 = juris Rn. 20; U.v. 4.6.1996 – 4 C 15.95 – BauR 1996, 841 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 25.11.2013 – 2 CS 13.2267 – juris Rn. 6; B.v. 1.3.2016 – 15 CS 16.244 – juris Rn. 25; B.v. 3.1.2018 – 15 ZB 16.2309 – juris Rn. 14; B.v. 30.9.2019 – 9 CS 19.967 – juris Rn. 27; B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 30; B.v. 25.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 9).
80
§ 917 Abs. 1 Satz 1 BGB knüpft das Notwegerecht an die Voraussetzung, dass einem Grundstück die Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt, die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendig ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1996 – 4 C 15/95 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 25.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 10). Der Notweganspruch setzt also eine durch das Fehlen einer Verbindung nach außen hervorgerufene Notlage des Grundstücks voraus. Hinsichtlich dieser Notlage sind strenge Anforderungen zu stellen; eine solche besteht nicht, wenn andere Verbindungsmöglichkeiten bestehen, die ebenfalls eine ordnungsgemäße Grundstücksnutzung gewährleisten. Erschwernisse, z.B. eine umständlichere, weniger bequemere oder kostspieligere Verbindungsmöglichkeit, müssen hierbei regelmäßig hingenommen werden (BGH, U.v. 24.1.2020 – V ZR 155/18 – juris Rn. 22; U.v. 15.4.1964 – V ZR 134/62 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 25.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 10; Brückner in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 917 BGB Rn. 12 m.w.N.).
81
Ein Notwegerecht kann nicht nur dann entstehen, wenn eine dingliche Sicherung überhaupt nicht besteht, sondern – als ergänzendes Notwegerecht – auch dann, wenn die vorhandene Sicherung für das geplante Vorhaben und seine Nutzung nicht ausreicht. In allen diesen Fällen haben Verwaltungsbehörden und Gerichte als zivilrechtliche Vorfrage zu prüfen, ob die Zufahrt ausreichend gesichert und nicht auf ein Notwegerecht angewiesen ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – juris Rn. 20; VG München, B.v. 6.6.2006 – M 1 SN 06.1698 – juris Rn. 24; U.v. 6.12.1998 – M 8 K 98.5847 – juris Rn. 42).
82
Dies zugrunde gelegt, ist nicht erkennbar, dass durch die Umsetzung der streitgegenständlichen Baugenehmigung ein Notwegerecht zu Lasten des Klägers begründet würde.
83
2.3.1. Ein solches entsteht – auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags – insbesondere nicht durch den die Einzelhandelseinrichtung betreffenden Anlieferverkehr.
84
Bei einem Einzelhandelsbetrieb der vorgesehenen Größe ist die Anlieferung zur ordnungsgemäßen Nutzung des Betriebs notwendig (vgl. dazu auch: BayVGH, B.v. 5.3.2018 – 2 ZB 15.1558 – juris Rn. 4; BGH, U.v. 24.1.2020 – V ZR 155/18 – juris Rn. 23; Herrler in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 81. Auflage 2022, § 917 Rn. 6).
85
2.3.1.1. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Anlieferverkehr – auch was einen Rückwärtsfahrvorgang der Lieferfahrzeuge betrifft – von der bestellten Grunddienstbarkeit gedeckt.
86
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs orientiert sich die Auslegung einer Grundbucheintragung vorrangig am Wortlaut und Sinn, wie sie sich aus der Eintragung und der darin in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung bei objektiver Betrachtung für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergeben. Außerhalb dieser Urkunden liegende Umstände dürfen nur insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne Weiteres erkennbar sind (vgl. BGH, B.v. 6.11.2014 – V ZB 131/13 – NVwZ-RR 2015, 208/209 – juris Rn. 10; U.v. 7.7.2000 – V ZR 435/98 – NJW 2000, 3206/3207 – juris Rn. 10; U.v. 26.10.1984 – V ZR 67/83 – NJW 1985, 385/386 – juris Ls. 2, Rn. 14; vgl. auch: Mohr in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2013, § 1018 Rn. 18, 26, 60).
87
Die in Bezug genommene Bewilligung vom 21. April 2011 hat in § 7 „Durchfahrt zwischen …weg und … Straße“ – soweit hier von Bedeutung -folgenden Wortlaut:
88
„Der Bebauungsplanentwurf Nr. … sieht eine dinglich zugunsten der Allgemeinheit zu sichernde Fuß- und Radwegverbindung vom …weg zur … Straße und eine Durchfahrt von Süden nach Norden zwischen diesen vorgenannten Straßen, die auf dem außerhalb des Umgriffs des Bebauungsplanes Nr. … liegenden Flst. Nr. … ihre Fortsetzung findet, sowie 15 Besucherstellplätze vor.
89
1. Zur Sicherung dieser Verpflichtungen bewilligen und beantragen die Beteiligten die Eintragung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit und einer Reallast an den Grundstücken FlNrn. … und … im Grundbuch zu Gunsten der Landeshauptstadt M. an erster Rangstelle – die Eintragung an vorerst nächstoffener Rangstelle ist zulässig – und die Eintragung einer Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers der FlNr. … an nächstoffener Rangstelle (…).
90
Diese Dienstbarkeiten und die Reallast haben folgenden Inhalt:
91
2. Der jeweilige Eigentümer [Anmerkung: gemeint ist derjenige der FlNrn. … und …] lässt die im Lageplan (Anlage 4) mit „F, R“ bezeichnete, gelb dargestellte Fläche jederzeit durch den jeweiligen Eigentümer der FlNr. … als Zu- und Abfahrt für die auf FlNr. … errichtete Einzelhandelseinrichtung (ausschließlich für Anlieferung) und als Zu- und Abfahrt zu den auf FlNr. … zu errichtenden 15 oberirdischen Besucherstellplätzen benützen.“
92
Aus § 7 Nr. 2 Abs. 2 wird zunächst ersichtlich, dass die Anlieferung als solche vom Inhalt der Grunddienstbarkeit gedeckt ist. Dies stellt auch der Kläger nicht in Abrede. Entgegen seiner Auffassung ist jedoch auch das Rückwährtsfahren im Anliefervorgang vom Wortlaut der dem Fahrtrecht zugrundeliegenden Bewilligung mit umfasst. Zwar weisen die Bevollmächtigten des Klägers zutreffend darauf hin, dass in der Einleitung von § 7 – wie umseitig aufgeführt – tatsächlich eine Fahrtrichtung von Süden nach Norden vorgegeben und diese auch in der in Bezug genommenen Anlage 4 mittels eines Pfeilsymbols kenntlich gemacht worden ist. Daraus wird aber nur deutlich, dass auf der Fläche kein Begegnungsverkehr, d.h. keine Durchfahrt von Nord nach Süd stattfinden, sondern ein Einrichtungsverkehr sichergestellt werden soll. Ein Rangieren/Rückwärtsfahren hingegen ist nach dem Wortlaut der Bewilligung nicht ausgeschlossen. Auch bei den Parkvorgängen auf den Besucherstellplätzen wird es zu Rangiervorgängen kommen.
93
Hinzu kommt, dass die getroffenen Vereinbarungen in der Bewilligung vom 21. April 2011 der Umsetzung des Bebauungsplans Nr. … – damals noch im gebilligten Planentwurf (vgl. vom Kläger vorgelegte Anlage 1 zur Vereinbarung vom 21. April 2011 – dienen (vgl. § 2 des städtebaulichen Vertrags vom 21. April 2011). Im Planteil des vorgenannten Bebauungsplans ist mittels eines Pfeils die Fahrtrichtung auf der „Durchfahrtsfläche“ von Süd nach Nord kenntlich gemacht. Auf S. 35 der Bebauungsplanbegründung wird hierzu ausgeführt, dass hierdurch ein Schleichverkehr durch das Quartier verhindert werden soll.
94
2.3.1.2. Auch soweit der Kläger rügt, dass beim Rückwärtsfahrvorgang die 4 m breite Dienstbarkeitsfläche verlassen werde und hierzu auf die von ihm im Klageverfahren vorgelegte verkehrliche Bewertung der … & Co. GmbH und insbesondere die dort dargestellte Schleppkurve eines rückwärtsfahrenden Bemessungsfahrzeugs (Sattelzug mit 16,5 m Länge) und den zusätzlich zu berücksichtigenden Sicherheitsabstand verweist, vermag er damit nicht durchzudringen. Auch hieraus folgt keine Entstehung eines (ergänzenden) Notwegerechts durch die Baugenehmigung vom 6. März 2020.
95
Vom Regelungsgehalt der Baugenehmigung ist nur der Ort und die Zuwegung der Anlieferung, nicht aber die Art der Durchführung umfasst. Insbesondere ist nicht festgelegt, mit welchen Fahrzeugen (z.B. Klein-Lkw, Lkw mit Anhänger, Sattelzug mit 16,5 m oder 18,5 m Länge, „Sprinter“) diese zu erfolgen hat. Die Darstellung eines 18,5 m langen Sattelzugs im genehmigten Grundriss Erdgeschoss ist nach Auffassung der Kammer als beispielhaft anzusehen, da die Zulassung bestimmter Anlieferungsfahrzeuge regelmäßig nicht Inhalt der Plandarstellung einer Baugenehmigung ist. Ein baurechtliches Regelungsbedürfnis zur Mindestgröße von Lkw bestand auch nicht. Vielmehr ist der Betreiber frei, die nach den baulichen Gegebenheiten geeigneten Fahrzeuge zu verwenden. Die Baugenehmigung gibt insoweit lediglich einen Rahmen vor, der bei der Organisation des Betriebes einzuhalten ist. Insoweit eintretende Verstöße sind ggf. auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgen.
96
2.3.1.3. Soweit der Kläger das Erfordernis eines Einweisers hervorhebt, der aber wiederum nicht berechtigt sei, die Dienstbarkeitsfläche zu betreten, folgt hieraus ebenso wenig ein Notwegerecht. Für diesen würde sich ein Betretungsrecht zweifellos aus der bestellten Dienstbarkeit i.V.m. § 7 Nr. 2 Abs. 2 der Bewilligung vom 21. April 2011 ergeben. Der Einweiser ist dem Anliefervorgang zuzurechnen. Auch wenn in diesem Zusammenhang im Bewilligungstext von „Zu- und Abfahrt“ die Rede ist, ergibt sich für einen unbefangenen Betrachter weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck der Übereinkunft, dass damit ein Verbot gemeint sein sollte, die Durchfahrtsfläche bei der Anlieferung betreten zu dürfen.
97
2.3.2. Darüber hinaus führt auch der Einwand des Klägers, im Grundriss Erdgeschoss seien im Bereich „Anlieferung/Lager“ des großflächigen Einzelhandels mehrere Papiercontainer dargestellt, deren Entsorgung nur über die Laderampe und nur durch Lkw möglich sei, die die Zufahrt auf seinem Grundstück nutzten, ohne dass dies vom Umfang der Dienstbarkeit gedeckt sei, nicht zum Erfolg seiner Klage.
98
Die zwischen der Beigeladenen und dem Kläger streitige Frage, ob § 7 Nr. 2 Abs. 2 der Bewilligung mit dem Wort „Anlieferung“ neben dem Anliefervorgang als solchem auch die Entsorgung des Verpackungsmaterials umfasst, kann ebenso offen bleiben wie die vom Kläger im Schriftsatz vom 5. Juli 2022 aufgeworfenen und in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellten Fragen, um welches Behältersystem es sich insoweit handelt und welche Papierabfälle – Transport-/gewerbliche Verkaufsverpackungen oder sonstiger Papiermüll, z.B. Büropapier der Verwaltung, nicht verteilte Werbeprospekte – in dem im Grundriss Erdgeschoss dargestellten und als „Papiercontainer“ bezeichneten Container entsorgt werden sollen.
99
Denn jedenfalls wird der Entsorgungsweg vom Regelungsinhalt der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht bestimmt. Die Pläne stellen den Containerstandort dar, ohne einen Weg der Entsorgung vorzugeben. Die Erstellung des Entsorgungskonzepts obliegt der Beigeladenen bzw. dem künftigen Betreiber des Einzelhandels. Die Baugenehmigung setzt auch insoweit lediglich den öffentlich-rechtlichen Rahmen. Es ist Sache des Betreibers, wie er eine Entsorgung der Container oder deren Inhalt im Rahmen der gegebenen Zufahrtsmöglichkeiten sicherstellt. Sollte daher – was die Kammer dahinstehen lassen kann (siehe vorstehend) – die Entsorgung nicht von der bestellten Dienstbarkeit gedeckt sein, wäre der Kläger im Falle einer unzulässigen Inanspruchnahme der Dienstbarkeit durch den Betreiber auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.
100
2.3.3. Gleiches gilt auch, soweit der Kläger angesichts der Anordnung des „Müllraums Altenwohnen“ befürchtet, der anfallende Müll würde über sein Grundstück entsorgt werden. Auch insoweit regelt die Baugenehmigung nicht, wohin die Mülltonnen zum Entleeren verbracht werden müssen. Es entstünde darüber hinaus auch keine Notlage des Baugrundstücks, weil insoweit andere Verbindungsmöglichkeiten bestehen, die ebenfalls eine ausreichende Grundstücksnutzung gewährleisten, nämlich das Verbringen der Mülltonnen auf dem Baugrundstück selbst in Richtung …straße. Erschwernisse, z.B. umständlichere, weniger bequemere und kostspieligere Verbindungsmöglichkeiten müssen hierbei regelmäßig hingenommen werden (BayVGH, B.v. 25.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 10; BGH, U.v. 15.4.1964 – V ZR 134/62 – juris Rn. 11; Brückner in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 917 Rn. 12).
101
2.3.4. Auch mit Blick auf die Anordnung und Zugänglichkeit der in der südwestlichen und nordwestlichen Gebäudeecke liegenden Fahrradabstellräume entsteht kein Notwegerecht.
102
Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass die Fahrradabstellräume nach den genehmigten Bauvorlagen (vgl. Grundriss Erdgeschoss) tatsächlich keine Verbindung zum Innern des restlichen Baukörpers aufweisen und aufgrund der grenzständigen Bauausführung sowohl zum klägerischen Grundstück FlNr. … sowie zum Grundstück FlNr. … hin nur über die auf dem Grundstück des Klägers FlNr. … geplante Durchfahrt erreicht werden können.
103
Die Benutzung ist jedoch – dies ergibt sich durch Heranziehung und Auslegung des Wortlauts der in Bezug genommenen Bewilligung – durch die zugunsten der Beklagten im Grundbuch eingetragene beschränkte persönliche Dienstbarkeit (§ 1090 Abs. 1 BGB) i.V.m. § 7 Nr. 1, Nr. 2 Abs. 3 der Bewilligung vom 21. April 2011 gedeckt. Hiernach lässt der jeweilige Eigentümer der FlNrn. … und … die im Lageplan mit „F, R“ bezeichnete (…) Fläche – insoweit handelt es sich um den 4 m breiten Streifen entlang der Grenze zum Grundstück der Beigeladenen – jederzeit durch die Allgemeinheit als Zu- und Abfahrt für die auf FlNr. … zu errichtenden Besucherstellplätze benützen und mit Fahrrädern befahren.
104
Dass insoweit keine Dienstbarkeit zugunsten der Beigeladenen, sondern (nur) eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu Gunsten der Beklagten ins Grundbuch eingetragen ist, führt zu keiner anderen Beurteilung.
105
Grundsätzlich ist nach § 1092 Abs. 1 Satz 1 BGB eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zwar nicht übertragbar. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die Ausübung der Dienstbarkeit einem anderen nur überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet ist. Dies ist vorliegend jedoch der Fall. Der Begriff der „Allgemeinheit“, der in § 7 Nr. 2 Abs. 3 verwendet wird, enthält keine personelle Eingrenzung, sondern erfasst „alle“. Zu dieser Allgemeinheit gehören mithin auch Bewohner oder etwa Personal der Altenpflegeeinrichtung auf dem Grundstück der Beigeladenen, die mit dem Fahrrad über die Durchfahrt auf dem klägerischen Grundstück fahren und die dortigen, vorgenannten Fahrradabstellplätze benutzen wollen.
106
2.3.5. Ebenso wenig ergibt sich aus den Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Führung der Flucht- und Rettungswege und dem Erfordernis einer Aufstellfläche für die Feuerwehr eine Verletzung von Nachbarrechten.
107
2.3.5.1. Mit Blick auf die brandschutzrechtlichen Anforderungen an Fluchtwege ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dem Vorliegen funktionsfähiger Rettungswege (vgl. Art. 31 ff. BayBO) keine nachbarschützende Wirkung zukommt (BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 9 ZB 17.1984 – juris Rn. 16; Famers in: Molodovosky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand 7/2022, Art. 31 Rn. 12).
108
2.3.5.2. Auch im Übrigen liegt keine Verletzung drittschützender Rechte des Klägers vor, weil selbst bei einer Inanspruchnahme der klägerischen Grundstücke als Flucht- und Rettungsweg jedenfalls kein Notwegerecht entstünde, sondern diese durch die vorliegenden Dienstbarkeiten gedeckt ist.
109
Zunächst besteht eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu Gunsten der Beklagten (§ 1090 Abs. 1 BGB) des Inhalts (vgl. § 7 Nr. 1, Nr. 2 Abs. 3 der Bewilligung vom 21. April 2011), dass die 4 m breite Fläche jederzeit durch die Allgemeinheit als Zu- und Abfahrt für die auf FlNr. … zu errichtenden Besucherstellplätze benutzt und mit Fahrrädern befahren werden darf. Ferner ist es dem Eigentümer des Baugrundstücks – derzeit mithin der Beigeladenen – nach dem Wortlaut der Bewilligung (dort: § 7 Nr. 1, Nr. 2 Abs. 2), die dem Grundbucheintrag zugrunde liegt, gestattet, den 4 m breiten Teil der Querverbindung – neben der Anlieferung für die Einzelhandelseinrichtung – als Zu- und Abfahrt zu den auf FlNr. … zu errichtenden 15 oberirdischen Besucherstellplätzen zu benutzen. § 7 Nr. 2 Abs. 4 regelt dann die jederzeitige Benutzbarkeit der Besucherstellplätze durch die Allgemeinheit.
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Zwar ist sowohl im Bewilligungstext und auch in der in Bezug genommenen Anlage 4 im Hinblick auf den 4 m breiten Teil der Querverbindung stets von einem mit „F“ und „R“ bezeichneten Fahrt- und Radfahrrecht die Rede. Das Fahr- und Radfahrrecht kann nach Auffassung der Kammer jedoch nicht nur als ein solches verstanden werden. Dass insoweit ein Gehrecht ausgeschlossen sein sollte, ergibt sich für den unbefangenen Betrachter bei objektiver Betrachtung nicht als nächstliegende Bedeutung. Gerade mit Blick auf den vorgenannten Inhalt der Bewilligungen zu Gunsten der Beklagten und der Beigeladenen liegt auf der Hand, dass es gestattet sein muss, zu Fuß von den Besucherstellplätzen zum Grundstück der Beigeladenen und zurück zu gelangen. Dass für den westlichen Teil der Querverbindung (in Anlage 4 mit „“G, R“ bezeichnete, dort rot dargestellte Fläche) – in Abgrenzung zur östlichen 4 m breiten Fläche – explizit ein Gehrecht vereinbart wurde, worauf die Prozessbevollmächtigten des Klägers hinweisen, steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Es ist fernliegend, davon auszugehen, dass z.B. Besucher der Altenpflegeeinrichtung, die auf den Besucherstellplätzen parken – und dies nach der bestellten Dienstbarkeit auch dürfen –, ausschließlich den westlichen (in der Anlage 4 zur Bewilligung rot markierten) Teil der auf FlNr. … verlaufenden Querverbindung nutzen werden, um zum Grundstück der Beigeladenen zu gelangen. Vielmehr muss sogar die in der Anlage 4 zur Bewilligung gelb markierte Fläche (= die 4 m breite östliche Fläche) überschritten werden, um auf das Baugrundstück bzw. zum Eingang der Altenpflegeeinrichtung zu gelangen. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Fußgänger über den rot markierten Streifen zunächst bis zum Gehweg auf der … Straße gehen, auf diesem dann Richtung Osten laufen und vom Gehweg aus sodann – noch dazu (unberechtigterweise) über das Grundstück des Klägers FlNr. … – das Grundstück der Beigeladenen betreten, um etwa zum dortigen Haupteingang der Altenpflegeeinrichtung zu gelangen. Ferner erscheint es wenig naheliegend, dass die Besucher des Altenpflegeheims zunächst – nachdem sie über den rot markierten Bereich auf den Gehweg entlang der … Straße gelangt sind, erst nach Osten bis zur Kreuzung mit der …straße gehen, dort das Baugrundstück betreten und sodann fast den gesamten Weg Richtung Westen bis zum Eingang der Altenpflegeeinrichtung zurückgehen. Insoweit ist – auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Bewilligung – davon auszugehen, dass mit den Dienstbarkeiten bzgl. des östlichen, 4 m breiten Teils der der Querverbindung kein Verbot gemeint sein kann, einen Fuß auf das Grundstück des Klägers zu setzen.
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Unter Zugrundelegung dieser Auslegung ergibt sich, dass die Fläche auch als Rettungsweg für das Baugrundstück genutzt werden darf.
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2.3.5.3. Soweit der Kläger die Entstehung eines Notwegerechts durch Schaffung einer Feuerwehraufstellfläche auf seinem Grundstück FlNr. … – namentlich der Durchfahrt – befürchtet, dringt er mit seinem Vorbringen ebenfalls nicht durch.
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Bei dem Vorhaben handelt es sich um einen Sonderbau (Art. 2 Abs. 4 BayBO) sowie um ein Gebäude der Gebäudeklasse 5 (Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 BayBO) und damit um ein Vorhaben, bei dem die Einhaltung der Anforderungen an den Brandschutz nicht nur nach Maßgabe der auf der Grundlage des Art. 80 Abs. 4 BayBO erlassenen BauVorlV (vgl. dort § 11 BauVorlV) nachzuweisen ist (Art. 62 Abs. 1 Satz 1 BayBO), sondern der Nachweis – wahlweise – durch einen Prüfsachverständigen für Brandschutz bescheinigt oder – wie hier – bauaufsichtlich geprüft werden muss (Art. 62b Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1, 3 BayBO).
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Das Brandschutzkonzept sieht keine Feuerwehraufstellfläche im Bereich des Grundstücks FlNr. … vor (vgl. Ziffer 8.3 des in den Behördenakten enthaltenen „Nachweis des vorbeugenden Brandschutzes“ der … Ingenieursgesellschaft mbH vom 27. Mai 2019 i.V.m. dem beigefügten Planteil, dort Grundriss Erdgeschoss). Bereits aus diesem Grund kann die Baugenehmigung jedenfalls nicht zu einer Verletzung von Nachbarrechten des Klägers – namentlich der Begründung eines Notwegerechts – führen.
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Ob eine solche Aufstellfläche tatsächlich erforderlich wäre (und insoweit der Brandschutznachweis möglicherweise nicht im Einklang mit den Anforderungen des Art. 5 BayBO stehen könnte), ist nicht Gegenstand der Überprüfung im Rahmen der (Nachbar-)Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung.
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Die Frage der Einhaltung der Anforderungen des Art. 5 BayBO ist nicht nachbarschützend (vgl. VG München, U.v. 5.2.2018 – M 8 K 17.1285 – juris Rn. 75; B.v. 1.10.2010 – M 8 Sn 12.3614 – juris Rn. 94; VG Ansbach, B.v. 31.1.2019 – AN 17 S 18.02454 – juris Rn. 88).
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2.3.6. Aus den unter 2.3.5.2. genannten Gründen vermag ferner auch mit Blick auf die vom Kläger gerügte „fußläufige Erschließung“ bestimmter Eingänge an der Westseite des Gebäudes kein Notwegerecht zu entstehen.
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Unabhängig davon wäre jedenfalls der nördlich gelegene Haupteingang insbesondere des Altenwohnens auch über das Baugrundstück selbst zu erreichen (Betreten von der …straße aus).
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese Sachanträge gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.