Inhalt

Vergabekammer Ansbach, Beschluss v. 24.05.2022 – RMF-SG21-3194-7-9
Titel:

Juristische Personen des privaten Rechts als öffentliche Auftraggeber bei Vergabeverfahren

Normenkette:
GWB § § 99 Nr. 2
Leitsätze:
1. Wirtschaftsförderungsgesellschaften erfüllen regelmäßig eine Gemeinwohlaufgabe iSd § 99 Nr. 2 GWB. (Rn. 109) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (NJW 1998, 3261) hängt die Eigenschaft einer Stelle als Einrichtung des öffentlichen Rechts nicht davon ab, welchen Anteil ihrer Tätigkeit die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben ausmacht, solange sie zumindest auch Aufgaben im Allgemeininteresse wahrnimmt. (Rn. 114) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bewertung des Merkmals der Nichtgewerblichkeit ist anhand der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben und nicht wertend-quantitativ mit Blick auf die gesamte Tätigkeit der Einrichtung vorzunehmen. (Rn. 120) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vergabestelle, öffentlicher Auftraggeber, Vergabeverfahren, Wirtschaftsförderungsgesellschaft, Gewerblichkeit, Nichtgewerblichkeit, Allgemeininteresse, Gewinnerzielungsabsicht
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 05.08.2022 – Verg 9/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46399

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Bei Fortbestehen der Vergabeabsicht, wird die Vergabestelle verpflichtet, die streitgegenständliche Leistung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in einem Vergabeverfahren nach dem 4. Teil des GWB zu vergeben.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
4. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt … €. Auslagen sind nicht angefallen.

Tatbestand

1
1. Die VSt beabsichtigt Baumeisterarbeiten für das Bauvorhaben … zu vergeben.
2
2. Die VSt (vormals … (… bis …)) ist eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft für … Laut Beteiligungsbericht … ist mittelbaren der VSt beteiligt. Demnach sind an der VSt … (ein Kommunalunternehmer …) als Hauptgesellschafter … %), die Sparkasse …, die … bank … und die … GmbH beteiligt.
3
Gemäß der Darstellung auf ihrer Homepage berät und betreut die VSt „kostenfrei“ ansässige und ansiedlungswillige Unternehmen aus Industrie, Handwerk, Handel und Dienstleistung. Unter „Leistungsangebot“ werden „Immobilien“, „Fördermittelberatung“, „Existenzgründung“, „Wirtschaftsraum „Lotsenfunktion“, „Fach- und Nachwuchskräfte“ und „Netzwerk“ benannt.
4
3. In § 2 der Satzung der VSt wird der Gesellschaftszweck wie folgt bestimmt:
„1. Gegenstand der Gesellschaft ist die Förderung von ansässigen und ansiedlungswilligen Unternehmen aus Industrie, Handel, Handwerk, Dienstleistung und Gewerbe durch Betreuung und Beratung einschließlich der Vorbereitung und Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen sowie die Begleitung durch Verwaltungsverfahren. Die Gesellschaft kann auch Grundstücke erwerben, Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte bereitstellen und verwalten sowie Gebäude und Anlagen in allen Rechts- und Nutzungsformen errichten und bewirtschaften, um damit den Gesellschaftszweck zu fördern und insbesondere eine geordnete, städtebauliche Entwicklung zu unterstützen.“
5
Gemäß § 4 der Satzung der VSt sind Organe der Gesellschaft der Geschäftsführer, der Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung.
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In § 5 der Satzung der VSt (Geschäftsführung und Vertretung) ist u.a. geregelt:
„3. Der Aufsichtsrat kann Mitglieder der Geschäftsführung aus wichtigem Grund vorläufig ihres Amtes entheben. (…)
4. Bei dauerhafter Verhinderung des Geschäftsführers hat der Aufsichtsrat die Fortführung der Geschäfte sicherzustellen. (…)
7. Die Geschäftsführer haben dem Aufsichtsrat regelmäßig über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu berichten und in den Sitzungen des Aufsichtsrates, an denen sie auf dessen Verlangen teilnehmen, Auskunft zu erteilen.“
7
In § 6 der Satzung der VSt (Aufsichtsrat) ist u.a. geregelt:
„1. Die Gesellschaft hat einen Aufsichtsrat; dieser besteht aus dem Vorsitzenden und acht weiteren Mitgliedern. Einem Gesellschafter steht für einen Anteil am Stammkapital von (…) je ein Sitz im Aufsichtsrat zu. (…)
2. Der … der … ist Mitglied des Aufsichtsrates und nimmt die Stellung des Vorsitzenden ein. Die weiteren Mitglieder werden von der Gesellschafterversammlung unter Beachtung von Absatz 1, Satz 2 (…) gewählt. (…)“
8
In § 7 der Satzung der VSt (Zuständigkeit des Aufsichtsrates) ist u.a. geregelt:
„1. Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführer in ihrer Geschäftsführung zu fördern, zu beraten und zu überwachen. (…)
3. Der Zuständigkeit des Aufsichtsrates unterliegt nach vorheriger gemeinsamer Beratung mit dem Geschäftsführer die Beschlussfassung über (…)
f) die Geschäftsanweisung für den Geschäftsführer, (…)
i) Veräußerung von Grundstücken der Gesellschaft an Mitglieder des Aufsichtsrates oder Beschäftigte des Unternehmens sowie von Vermögensgegenständen des Art. 75 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (…) ab einem Wert von … EUR. (…)
4. (…) Weisungen sind nicht zulässig hinsichtlich Aufgaben der Förderung, Beratung und Überwachung der Geschäftsführung als Kernbereich der Aufsichtsratstätigkeit.“
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4. Ohne europaweite Ausschreibung forderte die VSt am 24.02.2022 verschiedene Unternehmen, jedoch nicht die ASt, zur Angebotsabgabe bis 17.03.2022 auf. Die Unternehmen hatte die VSt nach selbst festgelegten Kriterien ausgesucht. Die ASt wurde nicht zur Abgabe eines Angebots aufgefordert, weil sie die internen Kriterien der VSt nicht erfüllte.
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Die BGI und ein weiteres Unternehmen reichten jeweils ein Angebot ein.
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Die VSt beabsichtigte den Zuschlag auf das Angebot der BGI bis 14.04.2022 zu erteilen.
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5. Mit Schreiben vom 04.03.2022 rügten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt nach Kenntniserlangung die drohende de-facto-Vergabe, insbesondere das Fehlen einer EU-weiten Bekanntmachung und eines förmlichen Vergabeverfahrens.
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6. Mit Schreiben vom 11.03.2022 wiesen die Verfahrensbevollmächtigten der VSt die Rüge zurück. Die VSt sei keine öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 2 GWB.
14
7. Mit Schriftsatz vom 23.03.2022 stellten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt einen Antrag auf Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens und beantragen:
1.
gegen die Antragsgegnerin das Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB einzuleiten;
2.
der Antragsgegnerin aufzugeben, den Zuschlag nicht zu erteilen;
3.
der Antragsgegnerin aufzugeben, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen.
4.4.
hilfsweise zu Ziff. 2:
für den Fall der Erledigung des Nachprüfungsverfahrens durch Aufhebung oder in sonstiger Weise: festzustellen, dass eine Rechtsverletzung vorgelegen hat;
5.5.
hilfsweise zu Ziff. 2:
für den Fall, dass zwischenzeitlich ein Zuschlag erfolgt sein sollte: festzustellen, dass der von der Antragsgegnerin geschlossene Bauvertrag „Baumeisterarbeiten …“ unwirksam ist.
6.
Einsicht in die Vergabeakten gem. § 165 Abs. 1 GWB zu gewähren;
7.
die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gem. § 182 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären;
8.
dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
15
Eine EU-weite Ausschreibung sei unterblieben, obwohl diese erforderlich gewesen wäre. Zusätzlich sei der Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB) verletzt, weil die ASt nicht am Verfahren habe teilnehmen können.
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Die VSt sei öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB.
17
Die VSt sei als GmbH eine juristische Person des Privatrechts und erfülle im Allgemeininteresse liegende Aufgaben. Die Begrifflichkeit der „Aufgabe im Allgemeininteresse“ sei ein autonomer Rechtsbegriff des Unionsrechts und entsprechend auszulegen. Für die Auslegung könne auf Anhang III zur Richtlinie 2004/18/EG zurückgegriffen werden. Dort sei für Deutschland aufgeführt, dass Wirtschaftsförderungsgesellschaften im Allgemeininteresse tätig seien. Hinweise für Tätigkeiten im Allgemeininteresse seien die Wahrnehmung gesetzlicher Aufgaben, Aufgaben der Daseinsvorsorge, als auch Aufgaben der Wirtschaftsförderung oder Aufgaben mit mittelbarer Auswirkung auf das Gemeinwohl, die oft in engem Zusammenhang mit Maßnahmen zur regionalen Förderung stünden. Der EuGH habe dazu festgestellt, dass die Wirtschaftsförderung aufgrund der Impulswirkung für den Handel und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der betreffenden Gebietskörperschaft im Allgemeininteresse liege.
18
Die VSt sei eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft im Sinne des Anhangs III der RL 2004/18/EG, da sie laut Satzung/Gesellschaftsvertrag der Förderung der örtlichen Wirtschaftsstrukturen und der im gebiet ansässigen Unternehmen diene (§ 2 Nr. 1 der Satzung). Sie erfülle damit nach ihrem besonderen Gründungszweck im Allgemeininteresse liegende Aufgaben. Nach dem funktionalen öffentlichen Auftraggeberbegriff sei auf die tatsächliche ausgeübte Tätigkeit abzustellen. Diese bestehe in der unentgeltlichen Beratung u.a. in den Bereichen Fördermittelberatung, Existenzgründungsberatung, Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem …, Lotsenfunktion für ansiedlungswillige Unternehmen (Vermittlung der richtigen Ansprechpartner, Beratung und Begleitung bei Verwaltungsverfahren, Moderation und Koordination von Verwaltungsverfahren, Unterstützung in Genehmigungsverfahren) sowie Unterstützungsleistungen für Unternehmen zur Fachkräftesicherung und zur systematischen Personalentwicklung sowie zur Etablierung familienfreundlicher Strukturen.
19
Selbst wenn diese im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nur einen Teil der Tätigkeit der VSt umfassten, führe diese dennoch dazu, dass die VSt insgesamt eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe erfülle. Denn es gelte die sog. „Infektionstheorie“.
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Die VSt sei auch in nichtgewerblicher Art und Weise tätig. Ob Nichtgewerblichkeit vorliege, sei anhand einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Einzelfall zu bestimmen. Nach der sog. „Infektionstheorie“ genüge bereits eine einzige Tätigkeit nichtgewerblicher Art, um die Tätigkeit der Gesellschaft insgesamt als nichtgewerblich zu qualifizieren. Das Merkmal der Nichtgewerblichkeit sei auf die einzelne im Allgemeininteresse bezogene Aufgabe bezogen und nicht auf die juristische Person. Einer Einordnung als öffentliche Auftraggeberin stehe es daher nicht entgegen, wenn die juristische Person neben der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe nichtgewerblicher Art auch in Gewinnerzielungsabsicht andere Aufgaben wahrnehme.
21
Allein schon die unentgeltliche Beratungstätigkeit der VSt im Bereich der allgemeinen Wirtschaftsförderung (s.o.) infiziere mit dieser Folge die Tätigkeit der Gesellschaft insgesamt.
22
Ein weiteres Indiz für ein fehlendes wirtschaftliches Risiko und eine besondere Marktstellung habe mindestens bis 2019 vorgelegen. Dies, weil … für Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber Kreditinstituten Bürgschaften i.H.v. … Euro bereitgestellt habe. Diese Bürgschaften würden zumindest für eine Übergangsphase fortwirken und seien auch im Jahr 2022 ein weiteres Indiz für die Nichtgewerblichkeit der VSt.
23
Auch bestehe eine besondere Staatsnähe nach § 99 Nr. 2 lit c) GWB, da mehr als die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates der VSt durch das Kommunalunternehmen … bestimmt würden.
24
Der fakultative durch Vertrag eingerichtete Aufsichtsrat der VSt falle unter die Bestimmung des § 99 Nr. 2 lit c) GWB, weil dieser aufgrund der Satzung mit Kompetenzen ausgestattet sei, die Einfluss auf die Geschäftspolitik des betreffenden Unternehmens einräumen. Dazu gehöre u.a. das Weisungsrecht des Aufsichtsrates gegenüber dem Geschäftsführer und die erforderliche Zustimmung für bestimmte Veräußerungsgeschäfte (§ 7 Abs. 3 der Satzung).
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Eine mittelbare Bestimmung über das Kommunalunternehmen … sei aufgrund der funktionalen Betrachtungsweise der Tatbestände des § 99 Nr. 2 GWB und der Klarstellung in § 99 Nr. 2 Hs. 2 GWB ausreichend.
26
Dem Kommunalunternehmen … stehe ein Vorschlagsrecht für die Besetzung des Aufsichtsrates im Umfang seiner Beteiligung zu, mithin für fünf von neun Aufsichtsratsmitgliedern. Zusätzlich sei Aufsichtsratsvorsitzender stets der Oberbürgermeister der … als geborenes Mitglied. Die … bestimme demnach sechs von neun Aufsichtsratsmitgliedern, also die Mehrheit der Mitglieder des Organs.
27
Es liege ein öffentlicher Auftrag vor. Die Angebotsaufforderung für Baumeisterarbeiten beziehe sich auf den Neubau eines …, mithin auf eine Bauleistung (§ 103 Abs. 1, 3 GWB).
28
Der Schwellenwert von 5,382 Mio. EUR netto werde überschritten. Der Auftragswert des Bauauftrags ermittle sich aus den gesamten Bauleistungen. Nach einem Zeitungsbericht würden die Baukoster … Mio. EUR betragen.
29
Die ASt sei antragsbefugt. Sie habe ihr Interesse an dem Auftrag durch die Rüge vom 04.03.2022 bekundet. Eine formale Bieterstellung sei nicht erforderlich, denn die ASt sei durch die Nichteinbeziehung in das Verfahren gerade daran gehindert worden, ein Angebot abzugeben. Ihre Rechte nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB und § 97 Abs. 1 GWB seien verletzt worden.
30
Ein drohender Schaden liege darin begründet, dass durch die Nichtbeteiligung am Verfahren die Zuschlagschancen der ASt vereitelt worden seien.
31
Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes müssten auch schon drohende de-facto Vergaben angegriffen werden können. Ausreichend sei es, wenn jedenfalls ein Vergabeverfahren im materiellen Sinn eingeleitet worden sei. Das sei hier der Fall, weil die VSt bereits Dritte zur Angebotsabgabe aufgefordert habe.
32
8. Mit Schriftsatz vom 06.04.2022 beantragen die Verfahrensbevollmächtigten der VSt:
1.
den Nachprüfungsantrag vom 23.3.2022 zurückzuweisen;
2.
der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Gebühren und Auslagen der Antragsgegnerin;
3.
die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.
33
Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig.
34
Die VSt sei kein öffentlicher Auftraggeber gem. § 99 Nr. 2 GWB.
35
Die VSt erfülle keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe. Haupttätigkeitsfeld sei die Errichtung von Immobilien, die Durchführung von Erschließungsmaßnahmen sowie die Verpachtung und Bewirtschaftung von Gebäuden. Damit erfülle sie keine Pflichtaufgaben der …. Die VSt errichte Gewerbeimmobilien, um diese anschließend an Händler und Dienstleister zu vermieten. Die VSt sei eigenständig am Markt tätig wie ein vergleichbarer privater Bauträger.
36
Die Tätigkeiten im Bereich der Wirtschaftsförderung seien im Vergleich zum Bauträgergeschäft nur gering und damit nicht von Bedeutung. Dies betreffe insbesondere die unentgeltlichen Beratungsleistungen.
37
Anhang III der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG könne nicht (mehr) herangezogen werden, da die vorgenannte Richtlinie durch die Richtlinie 2014/24/EU abgelöst worden sei. In der aktuellen Richtlinie sei keine vergleichbare Aufzählung mehr enthalten.
38
Die VSt sei einem ausgeprägten Wettbewerb ausgesetzt, was gegen eine Tätigkeit im Allgemeininteresse spreche. Sie sei nahezu ausschließlich als Bauträger und Vermieter/Verwalter von Gewerbeimmobilien tätig. Die angeführten Beratungsleistungen würden nur einen geringen Teil ausmachen.
39
Die VSt sei auch gewerblich tätig.
40
Die VSt sei in Geschäftsfeldern tätig (Erwerb, Errichtung, Vermietung von Gewerbeimmobilien), die in einem ausgeprägten Wettbewerb stünden.
41
Die VSt sei gewinnorientiert tätig und habe in der Vergangenheit Gewinne erwirtschaftet. Hauptzweck der VSt sei die Gewinnerzielung, da sie finanziell unabhängig sei.
42
Die VSt trage die Risiken ihrer geschäftlichen Tätigkeit selbst. Verlustausgleichsmechanismen seien in der Satzung nicht vorgesehen. Auch weitere „Auffangfunktionen“ wie Patronatserklärungen, Garantien oder ähnliches bestünden nicht.
43
Die von der … zum Gründungszeitpunkt der VSt …) in Form einer Ausfallbürgschaft abgesicherten Darlehen seien im Jahr 2019 durch klassische Bankkredite abgelöst worden. Mittlerweile bestünden keine Kommunaldarlehen mehr.
44
Die … würde eine drohende Insolvenz der VSt auch nicht mit allen Mitteln abwenden.
45
Die Finanzierung des laufenden Geschäfts erfolge durch die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung von Gewerbeimmobilien, nicht durch Inanspruchnahme öffentlicher Gelder.
46
Die von der ASt angeführte „Infektionstheorie“ greife nicht im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der „Nichtgewerblichkeit“. Die „Infektionstheorie“ werde unter dem Aspekt des Allgemeininteresses erörtert.
47
Die ASt erwecke den Eindruck, als sei der Aufsichtsrat der VSt das im Wesentlichen bestimmende Organ. Dies sei unzutreffend. Vielmehr sei es die Gesellschafterversammlung, die über die elementaren Dinge (z.B. die Änderung des Gesellschaftsvertrages, die Verschmelzung, Vermögensübertragung, den Formwechsel oder die Spaltung der Gesellschaft, die Verwendung des Bilanzgewinns) entscheide.
48
Darüber hinaus fehle es der ASt an der Antragsbefugnis.
49
Die ASt habe gegenüber dem Geschäftsführer der VSt zum Ausdruck gebracht, kein Interesse an dem Auftrag zu haben. Sie habe erklärt, nicht zu wissen, ob sie ein Angebot abgeben würde, selbst wenn sie dazu aufgefordert worden wäre. Ihr stünden aktuell keine ausreichenden Kapazitäten zur Verfügung.
50
Der ASt drohe kein Schaden, da sie aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht erst am Verfahren teilgenommen hätte.
Hilfsweise: Ein etwaiges Angebot der ASt wäre nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ausgeschlossen worden.
Hilfsweise: Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet, weil eine Ausschreibungspflicht der VSt nicht bestanden habe. Darüber hinaus wäre ein etwaiges Angebot der ASt nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB wegen erheblicher/fortdauernder mangelhafter Erfüllung bei der Auftragsausführung für ausgeschlossen worden.
51
9. Die Vergabekammer hat am 12.04.2022 die Firma zu dem Verfahren beigeladen.
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10. Mit E-Mail vom 13.04.2022 teilte die BGI mit, dass sie zum laufenden Verfahren keine Aussage machen könne.
53
11. Mit Schriftsatz vom 14.04.2022 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt.
54
Es werde bestritten, dass die ASt geäußert haben soll, kein Interesse am streitgegenständlichen Auftrag zu haben.
55
Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Wirtschaftsförderungstätigkeit durch die VSt nach Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien ausgeführt werde.
56
Es werde bestritten, dass gravierende Verfehlungen bei der Auftragsausführung für … vorliegen würden und diese der ASt zurechenbar seien.
57
Die VSt erfülle im Allgemeininteresse liegende Aufgaben. Es sei unerheblich, dass die Haupttätigkeit der VSt als Wirtschaftsförderungsgesellschaft nicht die Wirtschaftsförderung sei (Grundsatz der Firmenwahrheit, § 18 Abs. 2 HGB?). Denn die VSt betreibe unstreitig zumindest auch Wirtschaftsförderung. Selbst wenn diese unentgeltlich erbrachten Wirtschaftsförderungsleistungen im Vergleich zu sonstigen Tätigkeiten der VSt von untergeordneter Bedeutung sein sollten, so wäre dies irrelevant. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei ein Auftraggeber schon dann öffentlicher Auftraggeber, wenn er überhaupt eine Gemeinwohlaufgabe erfülle. Auf den Umfang der Tätigkeit komme es nicht an. Eine quantitative Untergrenze sei der Rechtsprechung nicht zu entnehmen.
58
Darüber hinaus gelte die Infektionstheorie. Es sei nicht auf den hier streitgegenständlichen Auftrag, sondern auf die die einzelnen Tätigkeitsbereiche abzustellen. Bereits eine nichtgewerbliche Erfüllung einer Gemeinwohlaufgabe begründe die Auftraggebereigenschaft für die gesamte Tätigkeit und für jede Beschaffungshandlung.
59
Die Wirtschaftsförderungstätigkeit der VSt sei nichtgewerblich. Auch bei der Prüfung der Nichtgewerblichkeit sei die Infektionstheorie anzuwenden. Die Bewertung der Gewerblichkeit oder Nichtgewerblichkeit sei anhand der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben – hier der Wirtschaftsförderungstätigkeit – vorzunehmen. Ob die Tätigkeit im Gewerbebau der VSt einem ausgeprägten Wettbewerb ausgesetzt ist, sei deshalb irrelevant. Die Fallgruppe der Wirtschaftsförderung sei allgemein als nichtgewerbliche Tätigkeit anerkannt. Folgende Indizien würden zudem für eine nichtgewerbliche Tätigkeit bei der Wirtschaftsförderung sprechen:
-
Kein Wettbewerb: Für die für Dritte kostenfreie Wirtschaftsförderungstätigkeit gebe es keinen Wettbewerb mit Privaten.
-
Kein Insolvenzrisiko: Ausreichend hierfür sei bereits, wenn eine Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass im Notfall der Verwaltungsträger (= … Unterstützung gewähren würde, was aus der Vergangenheit heraus beurteilt werden könne. Hierfür spreche, dass die Finanzierung der VSt in der Vergangenheit durch eine Ausfallbürgschaft der … von … abgesichert worden sei.
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Keine Gewinnerzielung und keine Gewinnerzielungsabsicht, da Leistungen der Wirtschaftsförderung kostenfrei angeboten würden.
60
Entscheidend sei, ob die objektive Gefahr bestehe, dass sich die Einrichtung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge von anderen als rein wirtschaftlichen Überlegungen leiten lasse. Dies sei hier in Bezug auf die Wirtschaftsförderung unzweifelhaft der Fall, weil diese kostenfrei angeboten werde.
61
Der Aufsichtsrat sei das zur Aufsicht berufene Organ. Kein Organ i.S.d. § 99 Nr. 2 lit. c) GWB sei die Gesellschafterversammlung, da ihre Mitglieder nicht bestellt würden, sondern sich die Mitgliedschaft aus der Anteilseignerschaft ergebe.
62
Die ASt sei antragsbefugt, da sie sich um den Auftrag nach wie vor bewerben wolle.
63
Ein Ausschlussgrund, insbesondere nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB, liege nicht vor.
64
12. Am 29.04.2022 erteilte die Vergabekammer an die Verfahrensbeteiligten den Hinweis, dass nach vorläufiger Einschätzung die VSt ein öffentlicher Auftraggeber gemäß § 99 Nr. 2 lit. c) GWB ist.
65
13. Mit Schriftsatz vom 09.05.2022 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt und vertieften ihre bisherigen Ausführungen.
66
Die VSt übe keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe aus. Der funktionale Auftraggeberbegriff des § 99 Nr. 2 GWB sei für Einrichtungen reserviert, deren Organisationszweck am Gemeinwohl orientiert sei und dadurch eine funktionale Nähe zu den Aufgaben staatlicher Hoheitsträger aufweise. Dieser Aufgabenbereich werde in der Regel mit „Daseinsvorsorge“ bezeichnet. Die Wirtschaftsförderung im Allgemeinen unterfalle jedoch nicht automatisch der Daseinsvorsorge. Die VSt nehme eine Art „Lotsenfunktion“ wahr, in dem sie verschiedene Beteiligte zueinander bringe. Sie biete ein Leistungsspektrum (bspw. Fördermittelberatung, Existenzgründungsberatung usw.), das nur im Interesse einzelner Personen/Unternehmen liege. Demnach komme es auf die sog. Infizierungstheorie gar nicht an. Selbst wenn die allgemeine Wirtschaftsförderung als im Allgemeininteresse liegende Aufgabe anzusehen wäre, würden die Beratungsleistungen einen nur so untergeordneten Anteil ausmachen, dass sie die übrigen (Haupt-) Tätigkeiten unberührt ließen. In einem solchen Fall gelte auch die Infizierungstheorie nicht.
67
Die VSt sei auch gewerblich tätig. Sie sei vorrangig Bauträger und Verwalterin von Gewerbeimmobilien. Diese Leistungen erbringe sie mit gewerblichen Mitteln. Der EuGH stelle im Rahmen der Nichtgewerblichkeit auf die Gewinnerzielungsabsicht, die Risikoübernahme, die Finanzierung und die Wettbewerbssituation ab. Diese Unterkriterien würden allesamt für eine gewerbliche Tätigkeit der VSt sprechen. Die Prüfung der Nichtgewerblichkeit erstrecke sich nicht allein auf die im Allgemeininteresse liegende Teilaufgabe. Vielmehr sei auf die Gesellschaft insgesamt abzustellen. Es sei eine Gesamtbetrachtung über alle Tätigkeiten vorzunehmen. Die gegenteilige Auffassung würde hingegen dazu führen, dass alle weiteren Tätigkeiten der VSt unbeachtet blieben. Ein solches Verständnis lasse sich mit der Rechtsprechung des EuGH nicht vereinbaren.
68
Darüber hinaus stehe die VSt auch im Bereich der Beratungsleistungen im Wettbewerb (z.B. mit der IHK, der Handwerkskammer, Gründungsberatern an der Kreditinstituten oder Privaten) und agiere insoweit mit Gewinnerzielungsabsicht. Sie erziele Gewinne durch Vermietung ihrer Objekte. Die Beratungsleistungen seien ein Akquiseinstrument, um mit zukünftigen Mietern in Kontakt zu kommen.
69
Der ASt fehle es an der Antragsbefugnis. Es werde bestritten, dass die ASt sich um den streitigen Auftrag bewerben wolle. Zudem wäre aufgrund der erfüllten Ausschlussgründe eine Beteiligung der ASt in einem unterstellten europaweiten Vergabeverfahren ohnehin nicht erfolgversprechend.
70
14. Mit Schriftsatz vom 16.05.2022 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt und wiederholten bzw. vertieften im Wesentlichen ihre bisherigen Ausführungen.
71
Das Interesse am Auftrag sei in der Rüge formuliert worden und durch die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens bekräftigt worden.
72
Es werde bestritten, dass die Wirtschaftsförderungstätigkeit der VSt unbedeutend wäre. Beim Leistungsangebot auf der Homepage der VSt seien die Immobilien nur ein Unternehmenszweig neben sechs weiteren, die der Wirtschaftsförderung zugerechnet werden müssten (Fördermittelberatung, Existenzgründung, Wirtschaftsraum … Lotsenfunktion, Fach- und Nachwuchskräfte, Netzwerk).
73
Es werde bestritten, dass die Wirtschaftsförderungstätigkeit der VSt in einem stark ausgeprägten Wettbewerbsumfeld stattfinde und dass die VSt im Bereich der Wirtschaftsförderung mit Gewinnerzielungsabsicht i.S.d. GWB handle, zumal sie ihre Leistungen kostenfrei anbiete.
74
Die VSt erfülle eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe und sei nichtgewerblich tätig. Entgegen der Ansicht der VSt, sei für die Gewerblichkeit bzw. Nichtgewerblichkeit nicht auf die Gesamtgesellschaft, sondern auf die im Allgemeininteresse liegende Aufgabe, hier die Wirtschaftsförderung, abzustellen. Die Erfüllung von Aufgaben nichtgewerblicher Art infiziere gleichsam die gesamte Tätigkeit. Da eine Aufteilung der Tätigkeit je nach Zuordnung zur Kategorie der Aufgaben gewerblicher oder nichtgewerblicher Art gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen würde, sei die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber unteilbar. Auch solche Aufträge, die von einer Einrichtung des öffentlichen Rechts in Erfüllung von Aufgaben gewerblicher Art vergeben werden, seien daher dem Vergaberecht unterfallende öffentliche Aufträge.
75
15. Mit Schriftsatz vom 20.05.2022 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt und wiederholten bzw. vertieften ebenfalls im Wesentlichen ihre bisherigen Ausführungen.
76
Die Beratungsleistungen der VSt hätten schon deshalb nur untergeordnete Bedeutung, weil sie nur dazu dienen, dem eigentlichen Hauptgeschäft, nämlich der Bauträger- und Bauverwaltungstätigkeit, nachzukommen. Die Angaben auf der Homepage der VSt würden insoweit keinen Rückschluss auf den Umfang der Tätigkeiten im jeweiligen Geschäftsbereich zulassen. Sämtliche Beratungsleistungen stünden im unmittelbaren Zusammenhang mit den Immobiliengeschäften der VSt. Sie würden dazu dienen, ansiedlungswillige Unternehmen dabei zu unterstützen, die passende Immobilie zu erwerben/anzumieten. Die Beratungsleistungen könnten demnach nicht als eigener Wirtschafts-/Handlungszweig der VSt gesehen werden.
77
Die VSt lasse sich auch im Rahmen ihrer Beratungsleistungen gerade nicht von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten. Sie agiere vielmehr auch insoweit mit Gewinnerzielungsabsicht. Denn die Beratungsleistungen würden nur deshalb erbracht, um den wirtschaftlichen Erfolg der VSt zu gewährleisten und sicherzustellen.
78
Die VSt stehe auch im Rahmen der Beratungsleistungen in einem ausgeprägten Wettbewerb.
79
Die Geltung der Infizierungstheorie sei aufgehoben, wenn die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben die Ziele des EU-Vergaberechts ersichtlich nicht tangieren. Dies sei vorliegend der Fall, da die Beratungsleistungen nur im Hinblick auf die eigentliche Haupttätigkeit der VSt, das Bauträgergeschäft erbracht würden. Sie seien ein taugliches Mittel, um die eigentliche, gewerbliche Tätigkeit der VSt zu unterstützen.
80
Die VSt agiere gewerblich. Es komme auf das Gesamtbild der betroffenen Einrichtung an. Die VSt verfüge über keine „Sonderposition“, ebenso wenig existiere eine kommunale Zuschusspolitik. Das wirtschaftliche Marktrisiko werde der VSt gerade nicht abgenommen. Sie operiere innerhalb der Marktmechanismen. Beispielsweise seien ihr auch Förderprogramme aufgrund der Gewinnerzielungsabsicht nicht zugänglich.
81
16. Die Fünf-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB wurde wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten am 21.04.2022 und 24.05.2022 bis einschließlich 15.06.2022 verlängert.
82
17. In der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern. Die ASt und die VSt blieben bei ihren schriftlich gestellten Anträgen. Die BGI stellte keinen Antrag.
83
18. Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Verfahrensakte der Vergabekammer, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.

Gründe

84
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.
85
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
86
Für die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens ist es ausreichend, dass ein formelles oder materielles Vergabeverfahren stattgefunden hat (vgl. OLG München, B.v. 19.07.2012 – Verg 8/12). Dies ist vorliegend der Fall, da die VSt für den beabsichtigten Vertragsabschluss mehrere Unternehmen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert hat.
87
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 S. 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
88
b) Die VSt ist eine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 99 Nr. 2 lit. c) GWB.
89
Nach § 99 Nr. 2 lit. c) GWB sind öffentliche Auftraggeber unter anderem juristische Personen des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, sofern mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe unter anderem durch Gebietskörperschaften bestimmt worden sind.
90
aa) Die VSt ist als GmbH eine juristische Person des Privatrechts.
91
bb) Es besteht eine besondere Staatsgebundenheit, da mehr als die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats der VSt durch die … bestimmt werden.
92
Nach § 6 der Satzung ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Oberbürgermeister der …. Die ist ein Kommunalunternehmen der … und Hauptgesellschafter der VSt. Aufgrund dessen stellt die … die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder.
93
Dass es sich um einen fakultativen Aufsichtsrat (GmbH) handelt, ist unerheblich (vgl. Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 63; Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 111; Röwekamp in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß § 99 GWB, Rn. 148). Ausreichend ist die Bestellung der Mehrheit der Mitglieder eines der zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organe (vgl. Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 111; Röwekamp in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, 5. Auflage, § 99 GWB, Rn. 150).
94
Auf die seitens der VSt vorgebrachten Gesellschafterversammlung kommt es hingegen nicht an. Diese stellt schon kein Organ i.S.d. § 99 Nr. 2 lit. c) GWB dar, da ihre Mitglieder nicht bestellt werden, sondern sich die Mitgliedschaft aus der Anteilseignerschaft ergibt (vgl. Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 111).
95
Der Aufsichtsrat der VSt kann gemäß der Satzung auch ausreichend Einfluss auf die Unternehmenspolitik der VSt nehmen.
96
Nach § 5 der Satzung hat der Aufsichtsrat unter anderem die Befugnis Mitglieder der Geschäftsführung aus wichtigem Grund vorläufig ihres Amtes zu entheben. Er hat bei dauerhafter Verhinderung des Geschäftsführers auch die Fortführung der Geschäfte sicherzustellen. Die Geschäftsführer haben zudem dem Aufsichtsrat regelmäßig über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu berichten und Auskunft zu erteilen.
97
Nach § 7 der Satzung ist die Förderung, Beratung und Überwachung der Geschäftsführung der Kernbereich der Aufsichtsratstätigkeit. Insoweit sind auch Weisungen nicht zulässig. Der Zuständigkeit des Aufsichtsrates unterliegt unter anderem die Beschlussfassung über die Geschäftsanweisung für den Geschäftsführer und für bestimmte Veräußerungsgeschäfte.
98
Damit besteht für die die Möglichkeit der aktiven Einflussnahme auf die Entscheidungen der VSt in Bezug auf öffentliche Aufträge. Es handelt sich nicht nur um eine bloße nachprüfende Kontrolle (vgl. EuGH, U.v. 01.02.2001, C-237/99 – OPAC, Rn. 59; U.v. 27.02.2003, C-373/00 – Adolf Truley GmbH, Rn. 74). Liegt -wie hier – eine mehrheitliche Organbesetzung vor, wird unwiderleglich vermutet, dass die institutionellen Auftraggeber in der Lage sind, die Auftragsvergabe der Einrichtung zu beeinflussen. Ob die Aufsichtsbefugnisse tatsächlich ausgeübt werden, ist nicht von Bedeutung (vgl. Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 63).
99
cc) Die VSt wurde auch zu dem besonderen Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen.
100
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist zwischen den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art einerseits und den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben gewerblicher Art andererseits zu unterscheiden (vgl. EuGH, U.v. 10.11.1998, C-360/96, BFI Holding, Rn. 36; EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01 – Korhonen, Rn. 40).
101
Laut EuGH ist daher zunächst zu prüfen, ob Tätigkeiten einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe entsprechen, um sodann gegebenenfalls festzustellen, ob diese Aufgabe gewerblicher oder nichtgewerblicher Art ist (vgl. EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01, Korhonen, Rn. 40).
102
Die Begriffe „im Allgemeininteresse liegende Aufgabe“ und „nichtgewerblicher Art“ stellen somit selbständig zu prüfende Tatbestandsmerkmale dar (vgl. MüKo, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 99 GWB, Rn. 42; Masing in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 99 GWB, Rn. 38; VK Leipzig, B.v. 11.06.2021, 1/SVK/006-21).
103
(a) Die VSt wurde zu dem besonderen Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen.
104
Der Gründungsweck kann sich bspw. aus den Gründungsunterlagen der Einrichtungen oder Satzungen ergeben (vgl. MüKo, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 99 GWB, Rn. 51).
105
Nach § 2 der Satzung der VSt ist Gegenstand der Gesellschaft die Förderung von ansässigen und ansiedlungswilligen Unternehmen aus Industrie, Handel, Handwerk, Dienstleistung und Gewerbe durch Betreuung und Beratung einschließlich der Vorbereitung und Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen sowie die Begleitung durch Verwaltungsverfahren.
106
Die in der Satzung bestimmte Wirtschaftsförderung wird von der VSt aktuell auch ausgeübt.
107
Die Wirtschaftsförderung stellt eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar.
108
Der Begriff der „im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben“ ist ein autonomer Rechtsbegriff des Unionsrechts und daher entsprechend weit auszulegen (EuGH, U.v. 27.02.2003, C-373/00 – Adolf Truley). Eine allgemein gültige Definition für den Begriff des Allgemeininteresses i.S.d. Vergaberichtlinie gibt es bislang jedoch nicht (vgl. BeckOK, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 49).
109
Wirtschaftsförderungsgesellschaften erfüllen regelmäßig eine Gemeinwohlaufgabe i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB (vgl. Beck VergabeR/Dörr, 4. Aufl. 2022, GWB § 99 Rn. 101).
110
Nach der Rechtsprechung des EuGH zählt hierzu auch die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung einer Gemeinde durch Ansiedlung von Unternehmen und die Setzung sonstiger Impulse für den örtlichen Handel (vgl. EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01 – Korhonen, Rn. 45 und 59). Als Indiz kann auch herangezogen werden, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die ausdrückliche Aufnahme der Wirtschaftsförderung in den Katalog des Anhangs III zur früheren Vergabekoordinierungsrichtlinie deutlich gemacht hat, dass sie derartige Tätigkeiten als im Allgemeininteresse liegend annimmt (vgl. Röwekamp in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, 5. Auflage, § 99 GWB, Rn. 217).
111
Der EuGH hat in seinem Urteil „Korhonen“ entschieden, dass die Tätigkeit nicht direkt auf eine Besserstellung von Bürgern gerichtet sein muss, sondern auch das Ziel haben kann, Impulse für den Handel zu geben, um dem Allgemeininteresse zu genügen (vgl. Röwekamp in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, 5. Auflage, § 99 GWB, Rn. 57):
„(…) denn es lässt sich nicht bestreiten, dass die Beklagte bei der Vergabe von Planungs- und Bauleistungen im Rahmen eines Immobilienprojektes das unter anderem die Errichtung von Bürogebäuden vorsah, nicht nur im besonderen Interesse der von dem Projekt unmittelbar betroffenen Unternehmen, sondern auch im Interesse der Stadt (…) handelt.“ (EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01 – Korhonen, Rn. 44).
„Tätigkeiten wie die der Beklagten können nämlich als im Allgemeininteresse liegende Aufgaben angesehen werden, wenn sie eine Impulswirkung für den Handel und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der betreffenden Gebietskörperschaft haben, wobei die Ansiedlung von Unternehmen auf dem Gebiet einer Gebietskörperschaft für diese häufig positive Auswirkungen im Hinblick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Erhöhung der Steuereinnahmen und die Steigerung von Angebot und Nachfrage bei Waren und Dienstleistungen hat“ (EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01 – Korhonen, Rn. 45).
112
Dies ist vorliegend ebenso der Fall. Die Tätigkeit der VSt als Wirtschaftsförderungsgesellschaft der … zielt auf die Ansiedlung von Unternehmen im Gebiet der … ab. Hierzu bietet sie für ansiedlungswilligen Unternehmen entsprechende Leistungen an. Ihr Leistungsangebot umfasst „Immobilien“, „Fördermittelberatung“, „Existenzgründung“, „Wirtschaftsraum …“ „Lotsenfunktion“, „Fach- und Nachwuchskräfte“ und „Netzwerk“. Die Wirtschaftsförderung der VSt hat Impulswirkung für den Handel und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Entgegen der Auffassung der VSt dient die Tätigkeit der VSt daher nicht nur dem Interesse einzelner Personen oder Unternehmen.
113
Entgegen der Auffassung der VSt kommt es nicht darauf an, dass nach ihren Angaben die Beratungsleistungen nur einen so untergeordneten Anteil der Tätigkeit ausmachen, dass sie die übrigen Haupttätigkeiten unberührt lassen.
114
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH hängt die Eigenschaft einer Stelle als Einrichtung des öffentlichen Rechts nicht davon ab, welchen Anteil ihrer Tätigkeit die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben ausmacht, solange sie zumindest auch Aufgaben im Allgemeininteresse wahrnimmt (vgl. EuGH, U.v. 15.01.1998, C-44/96 – Mannesmann Anlagenbau Austria; U.v. 10.11.1998, C-360/96 – BFI Holding; U.v. 27.02.2003, C-373/00 – Adolf Truley; U.v. 22.05.2003, C-18/01 – Korhonen).
115
Das Gesagte gilt nach überwiegender Auffassung – aus Gründen der Rechtssicherheit, des Umgehungsschutzes und dem zugrunde zu legenden funktionalen Verständnis – auch dann, wenn die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art in lediglich sehr geringem Umfang erfüllt werden. Denn andernfalls könnten Beschaffungen im Zusammenhang mit der Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art dem Vergaberecht einfach dadurch entzogen werden, dass sie von einem öffentlichen Unternehmen erfüllt werden, welches ganz überwiegend andere, gewerbliche Aufgaben wahrnimmt (vgl. MüKo, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 99 GWB, Rn. 55; Masing in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 99 GWB, Rn. 29 m.w.N.).
116
Im Übrigen ist die Tätigkeit der VSt im Rahmen der Wirtschaftsförderung nicht derart untergeordnet, dass die Ziele des EU-Vergaberechts ersichtlich nicht tangiert werden.
117
Laut Beteiligungsbericht der (Stand …) wurden im Bereich der klassischen Wirtschaftsförderung der VSt nahezu alle Tätigkeiten auf Corona-Hilfsmaßnahmen sowie die Information und Betreuung der Unternehmen am Standort ausgerichtet. Diese Corona-Hilfsangebote sowie Betreuungs- und Unterstützungsmaßnahmen waren unter anderem für den Geschäftsverlauf der VSt prägend (vgl. Beteiligungsbericht, S. 25). Im Übrigen erweckt die Homepage der VSt …) den Eindruck, dass die Wirtschaftsförderung die Haupttätigkeit der VSt ist, denn diese wird dort besonders beworben. Dies entspricht auch vielmehr dem Satzungszweck und dem Namen der VSt (Wirtschaftsförderungsgesellschaft).
118
(b) Die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben der VSt sind auch nichtgewerblicher Art.
119
Das Merkmal der Nichtgewerblichkeit grenzt nicht die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben gegenüber den gewerblichen Aufgaben ab, sondern schränkt die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben dahingehend ein, dass es vorliegend nur auf solche im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art ankommt. Das Merkmal ist folglich als Korrektiv des sehr weit auszulegenden Begriffs des Allgemeininteresses zu verstehen (vgl. EuGH, U.v. 10.11.1998, C-360/96, BFI Holding, Rn. 32 ff; MüKo, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 99 GWB, Rn. 42; Masing in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 99 GWB, Rn. 38; BeckOK, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn. 57).
120
Infolgedessen ist – entgegen der Auffassung der VSt – die Bewertung des Merkmals der Nichtgewerblichkeit anhand der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben und nicht wertend-quantitativ mit Blick auf die gesamte Tätigkeit der Einrichtung vorzunehmen (vgl. Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 99 GWB, Rn 75; vgl. EuGH, U.v. 05.10.2017, C-567/15, VLRD, Rn. 46; EuGH, U.v. 16.10.2003, C-283/00, SIEPSA, Rn. 83).
121
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH besteht der Zweck der Richtlinie darin, die Gefahr einer Bevorzugung inländischer Bieter oder Bewerber bei der Auftragsvergabe durch öffentliche Auftraggeber zu vermeiden und zugleich zu verhindern, dass sich eine vom Staat, von Gebietskörperschaften oder sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanzierte oder kontrollierte Stelle von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt (vgl. insb. EuGH, U.v. 03.10.2000, C-380/98, University of Cambridge, Rn. 17; EuGH, U.v. 12.12.2002, C-470/99, Universale-Bau, Rn. 52; EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01, Korhonen, Rn. 52).
122
Eine allgemeingültige Definition für das Merkmal der Nichtgewerblichkeit hat der EuGH bislang noch nicht entwickelt.
123
Der EuGH hat allerdings eine Reihe von Indizien entwickelt, die zur Beurteilung der Gewerblichkeit bzw. Nichtgewerblichkeit im Einzelfall heranzuziehen sind. Aus der Rechtsprechung des EuGH geht hervor, dass das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe nichtgewerblicher Art unter Berücksichtigung aller erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, u.a. der Umstände, die zur Gründung der betreffenden Einrichtung geführt haben, und der Voraussetzungen, unter denen sie ihre Tätigkeit ausübt, zu würdigen ist, wobei insbesondere das Fehlen von Wettbewerb auf dem Markt, das Fehlen einer grundsätzlichen Gewinnerzielungsabsicht, das Fehlen der Übernahme der mit der Tätigkeit verbundenen Risiken und die etwaige Finanzierung der Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln zu berücksichtigen sind (EuGH, U.v. 27.02.2003, C-373/00 – Adolf Truley, Rn. 66; U.v. 22.05.2003, C-18/01 – Korhonen, Rn. 48; U.v. 16.10.2003, C-283/00 – SIEPSA, Rn. 81).
124
Maßgeblich ist daher insbesondere, ob die Einrichtung unter normalen Marktbedingungen tätig ist, Gewinnerzielungsabsicht hat und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Verluste trägt. Liegen diese Indizien vor, ist das Vorliegen einer Aufgabe nichtgewerblicher Art wenig wahrscheinlich (EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01 – Korhonen, Rn. 51). Der EuGH nimmt jedoch keine trennscharfe Abgrenzung vor, denn es handelt sich lediglich um Indizien. Es sind daher stets alle relevanten Umstände des Falles zu betrachten.
125
(aa) Die VSt trägt das mit ihrer Tätigkeit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht selbst.
126
Im Rahmen dieses Indizes kommt es darauf an, ob die betreffende Einrichtung ihre eigenen Verluste zu tragen hat und insbesondere einem Insolvenzrisiko ausgesetzt ist. Daran fehlt es, wenn wenigstens die Wahrscheinlichkeit besteht, dass im wirtschaftlichen Notfall ein Verwaltungsträger finanzielle Unterstützung gewährt oder für Verbindlichkeiten gegenüber Dritten haftet (EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01, Korhonen) oder wenn das Insolvenzrisiko durch ein System des Verlustausgleichs praktisch ausgeschlossen ist (OLG Hamburg, B.v. 25.01.2007, 1 Verg 5/06).
127
Die VSt ist zwar als GmbH per se einem Insolvenzrisiko ausgesetzt. In der Satzung sind keine Verlustausgleichspflichten der Gesellschafter oder anderweitige Ausgleichsmechanismen vorgesehen. Allerdings hat der EuGH klargestellt, dass es einen solchen offiziellen Mechanismus zum Ausgleich etwaiger Verluste nicht gegeben muss, sondern dass lediglich die Möglichkeit als denkbar erscheinen muss, dass der Staat alle Maßnahmen ergreifen würde, die erforderlich sind, um einen etwaigen Konkurs der öffentlichen Einrichtung zu verhindern (EuGH, U.v. 16.10.2003, C-283/00, SIEPSA, Rn. 91). Daher fehlt es an der Risikotragung, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Gebietskörperschaft die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft aller Voraussicht nach nicht in Kauf nehmen und – soweit erforderlich – eine Rekapitalisierung der Gesellschaft durchführen würde, damit diese weiter ihre im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben wahrnehmen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn z.B. die Gebietskörperschaften in der Vergangenheit bereits einmal öffentliche Mittel für die Verfolgung der Gesellschaftszwecke zur Verfügung gestellt haben (vgl. OLG Rostock, B.v. 02.10.2019, 17 Verg 3/19, Rn. 71; VK Leipzig, B.v. 11.06.2021, 1/SVK/006-21, Rn. 84; EuGH, U.v. 22.05.2003, C-18/01 – Korhonen; EuGH, U.v. 16.10.2003, C-283/00, SIEPSA).
128
Der VSt wurden in der Vergangenheit (… bis …) Ausfallbürgschaften in erheblichem Ausmaß (… Euro) von de… gewährt. Auch wenn es nach der ursprünglichen Gewährung zu keinen weiteren Bürgschaften kam, spricht dies nach Auffassung der Vergabekammer eher für ein nichtgewerbliches Handeln. Die Vergabekammer hält es für wahrscheinlich, dass im Falle einer drohenden wirtschaftlichen Schieflage der VSt die … diese – in welcher Form auch immer – finanziell unterstützen wird. Es erscheint nicht vorstellbar, dass die … bzw. die in den Aufsichtsrat der VSt entsandten Stadtvertreter eine Insolvenz der VSt hinnehmen würde, ohne zumindest den Versuch zu unternehmen, diese abzuwenden und dabei finanzielle Unterstützung zu gewähren, um dies zu verhindern (vgl. vgl. OLG Rostock, B.v. 02.10.2019, 17 Verg 3/19, Rn. 71; VK Leipzig, B.v. 11. Juni 2021, 1/SVK/006-21, Rn. 85; VK Münster, B.v. 28.10.2016, VK 1-33/16, Rn. 90). Hierfür spricht insbesondere, dass die … in der Vergangenheit bereits erhebliche finanzielle Unterstützungen gewährt hat, dass es sich bei der VSt um die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der … handelt, dass der Aufsichtsratsvorsitzender der VSt kraft Satzung der Oberbürgermeister der … ist und dass der Hauptgesellschafter der VSt ein Kommunalunternehmen der … ist. Auch enthält der Beteiligungsbericht der … (Stand …) auf Seite 28 zur VSt weiterhin den Punkt „Zuschüsse und Kapitalentnahmen durch …“.
129
(bb) Die VSt handelt nicht gewinnorientiert.
130
Das Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht ist auf die im Allgemeininteresse liegende Aufgabe bezogen, nicht auf die juristische Person. Einer Einordnung als öffentlicher Auftraggeberin steht es daher nicht entgegen, wenn die juristische Person neben der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe nichtgewerblicher Art auch – in Gewinnerzielungsabsicht – andere Tätigkeiten ausübt (vgl. EuGH, U.v. 15.01.1998, C-44/96, Mannesmann Anlagenbau Austria, Rn. 31; EuGH, U.v. 12.12.2002, C-470/99, Universale Bau AG, Rn. 55), bspw. um die anderen nichtgewerblichen Tätigkeiten überhaupt erst (insgesamt) kostensparsam zu ermöglichen (vgl. VK Leipzig, B.v. 11.06.2021, 1/SVK/006-21, Rn. 100).
131
Wie bereits oben ausgeführt, stellt die Wirtschaftsförderung der VSt eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar.
132
Die VSt bietet ihre Dienstleistungen im Rahmen der Wirtschaftsförderung auch kostenfrei an. Damit handelt die VSt ohne Gewinnerzielungsabsicht bzw. erwirtschaftet keinen Gewinn. Sie verfolgt mit der Wirtschaftsförderung erkennbar andere als finanzielle Ziele.
133
Dass die VSt vorträgt, neben der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe der Wirtschaftsförderung auch als gewerblicher Bauträger tätig zu sein und durch die dort erwirtschafteten Gewinne die kostenlos angebotene Wirtschaftsförderung querzufinanzieren, ist insoweit unbeachtlich.
134
Im Übrigen vertritt die Vergabekammer die Auffassung, dass im Rahmen der Gesamtbetrachtung auch die bayerische Gemeindeordnung mitberücksichtigt werden kann (vgl. zu zu § 91 BbgKVerf: VK Brandenburg, B.v. 27.07.2015, VK 12/15, Rn. 77). Nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO darf ein Unternehmen von einer Gemeinde nur errichtet werden, wenn ein öffentlicher Zweck dies erfordert. Alle Tätigkeiten, die der Gewinnerzielung dienen, entsprechen keinem öffentlichen Zweck (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 BayGO). Für die Nichtgewerblichkeit der VSt spricht daher auch, dass nach der bayerischen Gemeindeordnung Kommunalunternehmen grundsätzlich keine Gewinnerzielungsabsicht vorweisen dürfen.
135
Der Vortrag der VSt, die Beratungsleistungen der VSt hätten einzig den Zweck, weitere Grundstücks- und Gewerbebauprojekte zu generieren, erscheint nicht nachvollziehbar, zumal diese Begründung gegen den in der Satzung der VSt festgelegten Unternehmenszweck verstößt.
136
(cc) Die VSt ist nicht unter normalen Marktbedingungen tätig.
137
Der Umstand, dass die VSt im Rahmen ihrer gewerblichen Bauträgertätigkeit im Wettbewerb mit anderen Unternehmen steht, ist unerheblich. Denn es kommt nach Auffassung der Vergabekammer allein auf die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben an.
138
Die VSt bietet kostenfrei Wirtschaftsförderung für Unternehmen im Gebiet der an. Regelmäßig fehlt es an einem Markt für die Leistungen der Wirtschaftsförderungsgesellschaft im Territorium der betreffenden Gebietskörperschaft (vgl. Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 99 GWB Rn. 191). Auch die Vergabekammer ist der Ansicht, dass es für kostenlose Wirtschaftsförderung keinen „echten“ Markt gibt. Jedenfalls besteht für die VSt durch ihre Sonderstellung kein Konkurrenzdruck bzw. keine „echte“ Wettbewerbssituation.
139
(dd) Ausgehend von den oben dargestellten Entscheidungsmaßstäben gelangt die Vergabekammer unter Berücksichtigung aller erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu dem Ergebnis, dass die von der VSt ausgeübte Tätigkeit zur Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben – hier der Wirtschaftsförderung – nichtgewerblicher Art ist. Denn es besteht die Möglichkeit, dass die VSt sich in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrages von anderen als rein wirtschaftlichen Erwägungen leiten lässt. Unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen spricht hierfür nach Auffassung der Vergabekammer insbesondere, dass es bzgl. dieser Tätigkeiten an einem „echten“ Wettbewerb fehlt, die VSt insoweit ohne Gewinnerzielungsabsicht handelt und dass sie kein Insolvenzrisiko trägt, da von einer faktischen Insolvenzfestigkeit ausgegangen wird.
140
Die VSt nimmt daher im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art wahr.
141
Nach der sog. Infizierungstheorie führt dies dazu, dass die VSt öffentlicher Auftraggeber ist, ungeachtet dessen, ob sie daneben noch weitere Tätigkeiten ausübt, die nicht im Allgemeininteresse liegen oder die gewerblicher Art sind.
142
c) Bei den streitgegenständlichen Baumeisterarbeiten handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB.
143
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert nach Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB).
144
e) Die ASt ist antragsbefugt, § 160 Abs. 2 GWB.
145
Antragsbefugt ist nach § 160 Abs. 2 GWB jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, eine Verletzung in eigenen, bieterschützenden Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht und einen dadurch entstandenen oder drohenden Schaden darlegt.
146
Ein Interesse am Auftrag im Sinne von § 160 Abs. 2 GWB liegt grundsätzlich immer dann vor, wenn sich der Bieter an der Ausschreibung beteiligt und ein ernst zu nehmendes Angebot abgegeben hat (Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 160 GWB Rn. 43). Vorliegend hat die ASt zwar kein Angebot abgegeben. Dies hindert aber nicht ihr Interesse am Auftrag. Unternehmen, die keinen Teilnahmeantrag oder kein Angebot abgegeben haben, aber substantiiert rügen, gerade hieran durch vergaberechtswidriges Verhalten der Vergabestelle gehindert worden zu sein, sind insoweit grundsätzlich antragsbefugt (vgl. BayObLG, B.v. 04.02.2003 – Verg 31/02).
147
Die ASt hat in ihrem Nachprüfungsantrag schlüssig behauptet, dass sie durch die Nichteinbeziehung in das Verfahren gerade daran gehindert worden ist, ein Angebot abzugeben. Daraus folgt ferner ein der ASt drohender Schaden wegen fehlender Teilnahmemöglichkeit. Das Interesse am Auftrag bestätigte die ASt in der mündlichen Verhandlung und ist durch die Erhebung der Rüge sowie durch die Stellung des Nachprüfungsantrags ausreichend dokumentiert.
148
Entgegen der Ansicht der VSt fehlt es der ASt nicht an der Antragsbefugnis, weil die VSt ein etwaiges Angebot der ASt nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ausgeschlossen hätte bzw. ausschließen wird.
149
Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung durch die ASt erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend (BGH, B.v. 26.09.2006 – X ZB 14/06). Ob der Rechtsverstoß tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit. Im Übrigen prüft die Vergabekammer die Ermessensnorm des § 124 GWB nur, wenn tatsächlich ein Ausschluss vorliegt.
150
f) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 S. 1 GWB.
151
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
152
Die VSt ist ein öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 lit. c) GWB und hätte die streitgegenständliche Leistung in einem Vergabeverfahren nach dem 4. Teil des GWB vergeben müssen. Die ASt ist hierdurch in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
153
Im Übrigen prüft die Vergabekammer die Ermessensnorm des § 124 GWB nur, wenn tatsächlich ein Ausschluss erfolgt ist. Dies ist nicht der Fall.
154
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
155
a) Die VSt trägt die Verfahrenskosten, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB.
156
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
157
c) Die BGI hat sich am Verfahren nicht beteiligt und keine Anträge gestellt. Sie hat daher das Risiko des Unterliegens nicht getragen und bekommt im Umkehrschluss dazu auch keine Aufwendungen erstattet.
158
d) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen. Auch die VSt war gleichermaßen rechtsanwaltlich vertreten.
159
e) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen.
160
Da die ASt kein Angebot abgegeben hat, konnte die Vergabekammer zur Berechnung der Verfahrenskosten ein solches nicht heranziehen. Die Vergabekammer ist zur Berechnung der Verfahrenskosten daher von dem geschätzten Auftragswert der VSt ausgegangen. Unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von …,- €.
161
f) Der geleistete Kostenvorschuss von …,- € wird der ASt nach Bestandskraft dieses Beschlusses zurücküberwiesen.