Titel:
Gemeinde, Baugenehmigung, Kaufvertrag, Bescheid, Wohnbebauung, Eintragung, Bebauungsplan, Gemarkung, Gewerbegebiet, Anfechtungsklage, Bebauung, Satzung, Ermessensfehler, Bauleitplanung, Wohl der Allgemeinheit, Betreutes Wohnen, Kosten des Verfahrens
Schlagworte:
Gemeinde, Baugenehmigung, Kaufvertrag, Bescheid, Wohnbebauung, Eintragung, Bebauungsplan, Gemarkung, Gewerbegebiet, Anfechtungsklage, Bebauung, Satzung, Ermessensfehler, Bauleitplanung, Wohl der Allgemeinheit, Betreutes Wohnen, Kosten des Verfahrens
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 30.03.2023 – 15 B 22.1761
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46148
Tenor
I. Die Bescheide der Beklagten über die Ausübung des Vorkaufsrechts am Grundstück FlNr. ...(1) der Gemarkung ... vom 21. Februar 2020 (Az.: 6103/K.Deg und 6103/B.WIN) in der Fassung der Ergänzungsbescheide vom 4. November 2021 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2).
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Klägerin wendet sich als Verkäuferin gegen die Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die Beklagte am Grundstück FlNr. …(1) der Gemarkung … Das 5255 m² große Grundstück FlNr. …(1) der Gemarkung … steht im Eigentum der Klägerin und ist seit mehreren Jahrzehnten mit einem Kühlhaus bebaut, für das mit Bescheid vom 2. Mai 1979 vom LRA Passau die Baugenehmigung (Az. 0807-0807/79) erteilt worden war. Das Gebäude wird mittlerweile nicht mehr als Kühlhaus genutzt, sondern fungiert als Lagerhalle für diverses Inventar. Es befindet sich nach der Aktenlage im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… Straße“, der als Nutzungsart ein Gewerbegebiet festsetzt.
2
Die östlich an das streitgegenständliche Grundstück angrenzenden Grundstücke (folglich unter anderem FlNr. …(2) und …(3) sowie FlNr. …(4) unterfallen bereits dem Geltungsbereich des Bebauungsplans „…“, der als Nutzungsart ein Mischgebiet vorsieht. Die Grundstücke mit den FlNrn. …(2) und …(4) sind mit einer Photovoltaikanlage sowie mit einem Supermarkt bebaut, die nach den Angaben der Beigeladenen der Firmengruppe des Herrn … (Beigeladener zu 1)) zugehörig sind. Das Grundstück FlNr. …(3) ist mit einer Trafostation bebaut, die – ebenfalls nach den Angaben der Beigeladenen – unter anderem die Anlagen auf den Grundstücken mit den FlNrn. …(2) und 2 mit Strom versorgt.
3
Mit Beschluss vom 29. November 2018, ausgefertigt durch den ersten Bürgermeister der Beklagten am 30. November 2018, beschloss der Gemeinderat der Beklagten den Erlass einer „Vorkaufsrechtssatzung“ folgenden Inhalts:
Auf der von der Satzung betroffenen Fläche soll die Durchführung von städtebaulichen Maßnahmen ermöglicht werden. Die Satzung dient zur Sicherung einer geordneten, städtebaulichen Entwicklung in diesem Geltungsbereich. Da es sich bei der Fläche im Geltungsbereich dieser Satzung um ein Grundstück im Ortsbereich des Hauptortes … unweit von Versorgungs- und Einkaufsmöglichkeiten handelt, möchte sich die Gemeinde R. mit dieser Satzung die Möglichkeit zur Umsetzung einer altersgerechten Bebauung der Fläche sichern. In der Gemeinde R. gibt es bis dato keine entsprechende Wohnbebauung für ältere Personengruppen oder ein Altenheim; die unter § 2 dieser Satzung angeführte Fläche wäre grundsätzlich aufgrund der zentralen Lage geeignet, um auch im Hinblick auf den demografischen Wandel der Altersstruktur in der Gesellschaft vorbereitet zu sein.
Geltungsbereich/Satzungsgebiet
Der Geltungsbereich dieser Satzung umfasst das Flurstück …(1), Gemarkung … mit 5255 m² und ist aus dem beigefügten Lageplan, der Bestandteil dieser Satzung ist, ersichtlich.
Der Gemeinde R. steht in dem unter § 2 genannten Bereich grundsätzlich ein besonderes Vorkaufsrecht an unbebauten und bebauten Grundstücken im Sinne des §§ 25 Abs. 1 Nr. 2 BauGB (Baugesetzbuch) zu, sofern sie für die Flächen städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht.
Die Satzung tritt mit der Bekanntmachung in Kraft.
4
Nach dem Bekanntmachungsvermerk der Satzungsurkunde erfolgte die Bekanntmachung der Satzung am 30. November 2018 durch Niederlegung im Rathaus der Beklagten, wobei darauf durch Anschlag an der Amtstafel hingewiesen worden sei. Dieser Anschlag sei am 6. März 2019 wieder abgenommen worden.
5
In einem Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderates der Beklagten vom 29. November 2018 wird bezüglich des Beschlusses unter dem Punkt „Sachverhalt“ festgehalten, dass die Beklagte den Erlass einer Vorkaufsrechtssatzung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB für das Flurstück …(1) der Gemarkung … plane. Aufgrund der genannten Vorschrift könne eine Gemeinde grundsätzlich in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht ziehe, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zustehe. Sinngemäß wird erklärt, dass diese Fläche, da es sich bei dem Flurstück um ein bebautes Grundstück im Ortszentrum der Beklagten unweit von Versorgungs- und Einkaufsmöglichkeiten handele, geeignet sei, um Maßnahmen für eine altersgerechte Bebauung vorzusehen. In der Gemeinde gebe es bis dato keine entsprechende Wohnbebauung für ältere Personengruppen oder ein Altenheim. Die vorgenannte Fläche sei grundsätzlich aufgrund der zentralen Lage geeignet, um auch im Hinblick auf den demographischen Wandel der Altersstruktur in der Gesellschaft vorbereitet zu sein. Weiter wird festgehalten, dass seitens der Beklagten die Satzung bereits als dringliche Angelegenheit am 20. November 2018 durch den ersten Bürgermeister bekannt gemacht worden sei. Aus der Niederschrift ergibt sich ferner, dass in einem ersten Beschluss zunächst der Erlass der Vorkaufsrechtssatzung vom 20. November 2018 genehmigt wurde und in einem weiteren Beschluss der Erlass einer Vorkaufsrechtssatzung für das Flurstück …(1) der Gemarkung … beschlossen und der erste Bürgermeister zur Ausfertigung ermächtigt wurde. Ergänzend wurde ausgeführt, dass unabhängig von der Bekanntmachung am 20. November 2018 förmlich nach diesem zweiten Beschluss eine erneute Bekanntmachung der Satzung erfolgen solle.
6
Am 11. Dezember 2019 schloss die Klägerin mit dem Beigeladenen zu 1) und der B. (Beigeladene zu 2)) einen notariell beurkundeten Kaufvertrag. Die Klägerin verpflichtete sich darin zum Verkauf der Grundstücke FlNrn …(1) sowie …(3) der Gemarkung … samt des auf dem Grundstück FlNr. …(1) vorhandenen Inventars an den Beigeladenen zu 1) zu einem Kaufpreis von 234.000,00 EUR. Es wurde festgehalten, dass die Vertragsteile aufschiebend bedingt seien durch die vollständige Begleichung des Kaufpreises und der beurkundende Notar angewiesen sei, die Eigentumsbewilligung erst zu bewilligen und zu beantragen, wenn der Eingang des Kaufpreises nachgewiesen sei. Unter „Sonstiges“ wurde vereinbart, dass die Beigeladene zu 2) in den zwischen der Klägerin und der Firma … bestehenden Leasingvertrag hinsichtlich eines auf dem Grundstück befindlichen Gabelstaplers eintritt.
7
Mit Schreiben ebenfalls vom 11. Dezember 2019 forderte das beurkundende Notariat die Beklagte dazu auf, sich zur potentiell beabsichtigten Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts zu äußern, woraufhin die Beklagte das Notariat mit E-Mail vom 17. Dezember 2019 um Übersendung des Kaufvertrages bat. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2019 übersandte das Notariat eine Ausfertigung des Kaufvertrages an die Beklagte. Auf diesem Schreiben vermerkte die Beklagte als Datum des Erhalts des Dokumentes den 2. Januar 2020. Mit E-Mail vom 3. Januar 2020 wandte sich die Beklagte wiederum an das Notariat und erklärte, dass bedingt durch die Schließung des Rathauses während der Feiertage die Ausfertigung des Kaufvertrages erst am 2. Januar im Rathaus in Empfang genommen werden habe können und nun zurückgesandt werde.
8
Mit Beschluss vom 8. Januar 2020 beschloss der Gemeinderat der Beklagten in nichtöffentlicher Sitzung die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts auf Grundlage der vorliegenden Vorkaufsrechtssatzung für das Flurstück …(1) der Gemarkung … sowie die Ermächtigung des ersten Bürgermeisters zur Durchführung der zur Ausführung notwendigen Schritte (Beschluss 1). Außerdem wurde der Erwerb des Flurstücks …(1) Gemarkung … zum Kaufpreis in Höhe von 234.000 EUR sowie die Ermächtigung des ersten Bürgermeisters zur Durchführung der hierzu erforderlichen notariellen Schritte sowie zur Abwicklung aller im Zusammenhang mit der Umsetzung notwendigen Schritte beschlossen (Beschluss 2). Es wurde festgehalten, dass der Gemeinderat der Beklagten Kenntnis vom Inhalt des Kaufvertrags zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) habe. Ferner beschloss der Gemeinderat der Beklagten, dass der erste Bürgermeister zur Beauftragung eines Planungsbüros für die Erstellung der notwendigen Unterlagen für eine geplante Änderung der Bebauungspläne „… Straße“ sowie „…“ in Bezug auf eine Herausnahme des Flurstücks …(1) aus dem Bebauungsplan „… Straße“ und Hinzufügung desselben zum Bebauungsplan „…“ ermächtigt werde.
9
Unter dem Punkt „Sachverhalt“ wurde in der Niederschrift zur Sitzung des Gemeinderats am 8. Januar 2020 festgehalten, dass die Beklagte bezüglich des betreffenden Grundstücks eine Vorkaufsrechtssatzung erlassen habe unter Bezugnahme auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Unter dem Punkt „Beratung“ wurde festgehalten, dass der erste Bürgermeister über den privaten Abschluss eines Kaufvertrags für das Grundstück …(1) am 11. Dezember 2019 informiert habe. Der Vertrag sei den Gemeinderatsmitgliedern vollinhaltlich bekannt gegeben worden. Er habe weiter darüber informiert, dass auf dem Gelände bereits Aktivitäten festgestellt worden seien. Deshalb sei schriftlich Kontakt mit der Verkäuferin, mithin den Beteiligten aufgenommen worden mit dem Hinweis, dass die im Kaufvertrag geregelten Eigenschaften im Falle einer Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts wie vereinbart noch vorliegen müssten. Die gemeindliche Vorkaufsrechtssatzung für das Flurstück …(1) sei den Mitgliedern ebenfalls nochmals aufgezeigt und inhaltlich bekannt gegeben worden. Die gemeindliche Vorkaufsrechtssatzung ziele auf eine Nutzung des Flurstücks für ältere Personengruppen hin. Die Gemeinde habe im Kalenderjahr 2018 die Satzung im Rahmen der Erstellung mit einem Anwalt abgestimmt. Ob die Satzung im Streitfall jedoch Bestand habe, könne im Vorfeld nicht geklärt werden, da eine Gerichtsentscheidung grundsätzlich unvorhersehbar sei. Sofern die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht aufgrund der Satzung ausüben wolle, sei dies mittels Bescheid zu tun. Diesen könnten Verkäufer und Käufer mittels Anfechtungsklage gerichtlich überprüfen lassen. Die Bescheidserstellung müsse daher unterstützt von einem Anwalt durchgeführt werden. Dies werde Kosten verursachen, sei aber hierfür dringend notwendig. Weiter habe der erste Bürgermeister darüber informiert, dass eine Komplettuntersuchung des Geländes und des Gebäudes (mit Ausnahme zweier Bestandteile) stattgefunden habe. Der Bürgermeister habe weiter darüber informiert, dass der Grundstückskäufer das Gebäude, wie aus dem Kaufvertrag hervorgehe, auch weiterhin als Lager nutzen werde. Gespräche mit einem Investor für eine Nachnutzung als Wohnfläche für Ältere hätten bislang noch nicht stattgefunden, da zunächst entschieden werden müsse, ob das Areal überhaupt gekauft werden solle. Ferner ist festgehalten, dass die Kosten für einen Abbruch der Lagerhalle, mögliche immissionsschutzrechtliche Hindernisse für eine potentielle Bauleitplanung sowie alternative Möglichkeiten eines Standortes von Wohnbebauung für ältere Personen, insbesondere in der …straße, sowie schließlich die angedachte Bebauungsplanänderung diskutiert worden seien.
10
Mit Schreiben vom 10. Januar 2020 hörte die Beklagte die Klägerin und den Beigeladenen zu 1) zur beabsichtigten Ausübung des Vorkaufsrechts an und räumte die Möglichkeit zur Stellungnahme bis spätestens 27. Januar 2020 ein.
11
Am 17. Januar 2020 erschien der Beigeladene zu 1) persönlich bei der Beklagten. Aus einem handschriftlichen Aktenvermerk der Beklagten über das Gespräch geht hervor, dass in diesem Gespräch zur geplanten Ausübung des Vorkaufsrechts Stellung genommen und diverse Einwände vorgebracht wurden. Es wurden unter anderem alternative Standorte für die geplante Wohnbebauung für ältere Personen sowie eigene geschäftliche Interessen des Beigeladenen zu 1), die er mit dem Grundstück verfolge (unter anderem bereits angelaufene Vermietung der Lagerhalle sowie Nutzung derselben als Lagerbereich für den von ihm betriebenen Supermarkt) angesprochen. Auf die Einzelheiten des Aktenvermerks wird Bezug genommen.
12
Mit Schreiben vom 24. Januar 2020 erklärte die Klägerin, dass aus ihrer Sicht kein weiterer Erläuterungsbedarf zur Prüfung des Vorkaufsrechts bestehe.
13
Am 20. Januar 2020 beantragte die Beklagte beim Grundbuchamt die Eintragung einer Auflassungsvormerkung zu ihren Gunsten für das Grundstück Flurnummer …(1). Die entsprechende Eintragung erfolgte am 31. Januar 2020.
14
Mit Beschluss vom 30. Januar 2020 beschloss der Gemeinderat der Beklagten in öffentlicher Sitzung die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts auf Grundlage der vorliegenden Vorkaufsrechtssatzung für das Flurstück …(1) der Gemarkung … und die Ermächtigung des ersten Bürgermeisters zur Durchführung der zur Ausübung des Vorkaufsrechtes notwendigen Schritte. In einem Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung vom 30. Januar 2020 wurde erklärt, dass die Entscheidung über die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts nach aktuell geltender Rechtsprechung öffentlich zu treffen sei. Nicht genannt werden dürften aus datenschutzrechtlichen Gründen der Name von Verkäufer und Käufer sowie der Kaufpreis. Zwischenzeitlich seien beide Parteivertreter mit Schreiben vom 10. Januar 2020 angehört worden. Lediglich der Verkäufervertreter habe mit Schreiben vom 24. Januar 2020 von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und mitgeteilt, dass kein Erläuterungsbedarf gesehen werde. Der erste Bürgermeister habe über die Sitzung vom 8. Januar 2020 informiert und den Inhalt des Protokolls durch Verlesen preisgegeben. Im Anschluss sei die bestehende Vorkaufsrechtssatzung verlesen und dann der relevante Inhalt des Kaufvertrags (ohne Nennung des Verkäufers, des Käufers und des Kaufpreises) vorgetragen worden. Ferner beschloss der Gemeinderat die Änderung der Bebauungspläne „… Straße“ hinsichtlich der Herausnahme des Flurstücks …(1) sowie „…“ und im Parallelverfahren die Anpassung des Flächennutzungsplans für diesen Bereich.
15
Mit an die Klägerin und an den Beigeladenen zu 1) gerichteten Bescheiden vom 21. Februar 2020 übte die Beklagte ihr Vorkaufsrecht an dem mit notarieller Urkunde vom 11. Dezember 2019 verkauften Grundstück Flurnummer …(1) der Gemarkung … aus. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertige. Das Grundstück sei zentral mitten in dem Stadtgebiet der Beklagten in zweiter Reihe gelegen. Das Grundstück sei erschlossen und an das gemeindliche Wasserversorgungsnetz sowie das gemeindliche Abwassernetz angeschlossen. Im gesamten Gemeindegebiet sei bisher keine Wohnbebauung für ältere Personengruppen oder ein Angebot für betreutes Wohnen oder ein Altenheim realisiert. Um der demographischen Entwicklung in der Gemeinde mit der älter werdenden Bevölkerung Rechnung zu tragen, sei dies für die Zukunft jedoch unbedingt erforderlich und bauleitplanerisch geboten. Für die Errichtung einer Wohnmöglichkeit für ältere Personengruppen sei die zentrale Anbindung innerhalb einer Kommune unabdingbar. Neben kurzen Wegen zu vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten, einer Apotheke, verschiedenen Ärzten, Cafés und Gaststätten befänden sich dort auch Bushaltestellen des ÖPNV. Gerade auch damit sei eine überregionale Vernetzung zentral und in einer zumutbaren Entfernung möglich. Aufgrund dieser zentralen Lage und mit seiner beträchtlichen Größe sei das Grundstück bestens geeignet, die erforderlichen Anforderungen zu erfüllen. Nach den gegenwärtigen Vorstellungen der Gemeinde sei beabsichtigt, auf dem Grundstück ein Wohngebäude für betreutes Wohnen zu errichten. Die von der Gemeinde vorgesehene Bebauung und Nutzung könne grundsätzlich über soziale Wohlfahrtsverbände oder durch private Einrichtungen erfolgen. Die Gemeinde könne den Betreibern diese Fläche dann zur Nutzung zur Verfügung stellen (gegebenenfalls auch über Erbbaurechte) oder verkaufen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts liege im Ermessen der Gemeinde. In diesem Rahmen seien die Belange des Verkäufers und des Käufers zu berücksichtigen. Die privaten Interessen der Vertragsparteien seien von der Gemeinde durchaus gesehen worden. Mit Blick auf die Interessen des Verkäufers werde hierbei auch in die Betrachtung einbezogen, dass der Verkäufer neben der genannten Flurnummer auch Eigentümer der Flurnummer …(3) der Gemarkung … sei und diese ebenso an den Käufer verkauft habe. Insoweit werde auch gesehen, dass kein Interesse daran bestehe, bei Vorkaufsrechtsausübung dieses Grundstück im Eigentum zu behalten. Dem könne jedoch dadurch Rechnung getragen werden, dass bei entsprechendem Interesse des Verkäufers die Gemeinde auch dieses Grundstück erwerben würde. Auch im Hinblick auf die Belange des Käufers sei von der Gemeinde durchaus gesehen worden, dass dieser ein finanzielles und wirtschaftliches Interesse an einem Erwerb des Grundstücks und gegebenenfalls an einer Verwertung durch eine Verpachtung oder einen Verkauf habe. Bei der Abwägung der Belange des Verkäufers und des Käufers mit den öffentlichen Interessen sei jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Vorkaufsrechtsfläche in zentraler Lage im Hauptort befinde und im Hinblick auf die Stärkung des Ortskerns der Gemeinde eine Wohnbebauung für ältere Personengruppen, auch unter Berücksichtigung des demographischen Wandels in der Gemeinde im Sinne der städtebaulichen Entwicklung sinnvoll sei. Die Schaffung von derartigem Wohnraum sei für die Gemeinde erforderlich, um den künftigen Anforderungen einer lebendigen Ortsstruktur und der Schaffung von Wohnmöglichkeit im Alter gerecht zu werden. Den so geschilderten Interessen sei Vorzug vor den privaten Belangen des Käufers und des Verkäufers einzuräumen.
16
Mit am 12. März 2020 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenem Telefax ihres Bevollmächtigten hat die Klägerin Klage gegen den Bescheid vom 21. Februar 2020 erheben lassen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass schon die Vorkaufsrechtssatzung nichtig sei. Zudem habe die Beklagte auch ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Es liege ein Ermessensausfall vor. Dieser sei auch durch den Ergänzungsbescheid vom 4. November 2021 nicht geheilt worden. Die Gesichtspunkte, die der Beigeladene zu 1) in seiner Anhörung vor Bescheidserlass am 17. Januar 2020 bezüglich seines konkreten Interesses am Erwerb des Grundstückes bei der Beklagten kundgetan habe, seien in der Sitzung des Gemeinderats vom 30. Januar 2020 nicht mitgeteilt worden. Der Gemeinderat habe daher seine Entscheidung ohne Kenntnis wichtiger bei der Ermessensausübung zu berücksichtigender Gesichtspunkte getroffen. Somit sei eine sachgerechte Abwägung aller Umstände und somit eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht möglich gewesen.
17
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2020, mit dem diese ihr Vorkaufsrecht an dem mit Urkunde des Notars … vom 11. Dezember 2019 – UR-Nr. C 1373/2019 – verkauften Grundstücks FlNr. …(1), Gemarkung … ausgeübt hat, in der Ausgangsfassung und in der durch den Ergänzungsbescheid vom 4. November 2021 modifizierten Fassung sowie weitere – bspw. an die Beigeladenenseite gerichtete – Bescheide zur Ausübung des Vorkaufsrechts am Grundstück FlNr. …(1), Gemarkung … aufzuheben.
18
Die Beklagte beantragt,
19
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass zum einen die Vorkaufsrechtssatzung inhaltlich hinreichend bestimmt sei. Darüber hinaus habe die Beklagte vorsorglich ihre Vorkaufsrechtssatzung im ergänzenden Verfahren gemäß § 214 Abs. 4 BauGB überarbeitet und rückwirkend zum 30. November 2018 in Kraft gesetzt. Nach der Rechtsprechung könnten auch in Fällen einer Vorkaufsrechtsausübung zur Heilung des Vorkaufsrechtsbescheides die maßgeblichen Satzungen mit Rückwirkung erlassen werden. Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der Vorkaufsrechtssatzung seien vorliegend gegeben gewesen. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB biete der Gemeinde schon in einem Stadium, das der Verfestigung der Planung weit vorausgehe, die Gelegenheit, Grundstücke zu erwerben. Die Vorschrift verfolge den Zweck, durch eine an städtebaulichen Interessen orientierte Boden-Vorratspolitik die Sicherung einer langfristig geordneten Planung und Entwicklung zu ermöglichen. Es seien daher an den Satzungserlass nur geringe tatbestandliche Voraussetzungen zu stellen. Es genüge, dass die Gemeinde städtebauliche Maßnahmen in Betracht ziehe. Förmlich konkretisierter Planungsabsichten bedürfe es nicht. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Auch liege kein Fehler bei der Ausübung des Satzungsermessens vor. Eine Ermessensausübung, bei der die Interessen des Eigentümers und des Käufers zu berücksichtigen seien, habe erst bei der Ausübung des Vorkaufsrechts zu erfolgen. Auch sei keine Verfristung der Vorkaufsrechtsausübung gegeben. Unstreitig habe die Beklagte am 20. Dezember 2019, einem Freitag, den Kaufvertrag noch nicht vom Notariat erhalten gehabt. Bei Eingang des Kaufvertrags am 23. Dezember 2019 (Montag) sei im Hinblick darauf, dass es sich beim 23. Februar 2020 um einen Sonntag gehandelt habe, bei Zustellung des Bescheids am 24. Februar 2020 die zwei-monatige Ausübungsfrist noch gewahrt gewesen. Offen sei, ob die Abschrift des Kaufvertrags am 23. Dezember 2019 bzw. später oder bereits am 21. Dezember 2019 bei der Beklagten eingegangen sei. Letztlich könne dies jedoch offenbleiben, da an Samstagen Rathäuser geschlossen seien und damit eine Kenntnisnahme durch den Empfänger nach der Verkehrsanschauung nicht zu erwarten sei. Damit hätten die Bediensteten der Beklagten erst am 23. Dezember 2019, also am Montag, vom Inhalt des Kaufvertrages Kenntnis nehmen können. Ergänzend sei noch darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich des Zeitpunkts des Zugangs des Kaufvertrags bei der Beklagten dem Käufer bzw. der Verkäuferin die materielle Beweislast zukomme. Die Ausübung des Rechts sei auch nicht nach § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen. Die Vorschrift komme beim Vorkaufsrecht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nicht zur Anwendung. Schließlich habe die Beklagte auch beim Erlass des Vorkaufsrechtsbescheids ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Sie habe die privaten Belange der Vertragsparteien gesehen und diese Belange auch bewertet. Im Rahmen der Abwägung habe sie die öffentlichen Interessen jedoch höher bewertet und entsprechend entschieden. Damit habe sie die gesetzlichen Vorgaben gewahrt. Wie im Bescheid im Einzelnen dargestellt, eigne sich das Grundstück aufgrund seiner Lage in besonderer Weise für die Errichtung einer Wohnmöglichkeit für ältere Personengruppen. Es sei erwähnt, dass schon vor der Vorkaufsrechtsausübung entsprechende Diskussionen stattgefunden hätten und auch eine Besichtigung von zwei im Landkreis Passau bereits realisierten Einrichtungen für betreutes Wohnen zusammen mit Bürgermeister und Gemeinderäten stattgefunden habe, um Eindrücke für vergleichbare Einrichtungen zu sammeln. Für die Ausübung des Rechts sei es nicht erforderlich, dass der Verwendungszweck schon konkretisiert worden sei. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei vielmehr schon dann gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf eine bestimmte gemeindliche Aufgabe überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt würden. Vorsorglich habe die Gemeinde einen Ergänzungsbescheid erlassen, mit dem sie mit der Klage gerügte Unrichtigkeiten korrigiert und verschiedene Ermessenserwägungen nachgeholt habe. Auf den miteingereichten Ergänzungsbescheid und die beschlossene Satzungsänderung wird Bezug genommen.
20
Die Beigeladenen beantragen jeweils wörtlich,
1. den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2020 (behördliches Az.: 6103/K.Deg), der an die Klägerin gerichtet ist und in dem die Beklagte ein behauptetes Vorkaufsrecht ausübt, in der Ursprungsfassung und in der Fassung des Ergänzungsbescheids der Beklagten vom 4. November 2021, der an die … Rechtsanwälte P. mbB zugestellt und adressiert wurde, aufzuheben.
2. den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2020,(behördliches Az.: 6103/B.WIN), der an den Beigeladenen zu 1) gerichtet ist und in dem die Beklagte ein behauptetes Vorkaufsrecht ausübt, in der Ursprungsfassung und in der Fassung des Ergänzungsbescheids der Beklagten vom 4. November 2021, der an die … Rechtsanwälte PartmbB zugestellt und adressiert wurde, aufzuheben.
21
Zur Begründung wird ausgeführt, dass bereits die Vorkaufsrechtssatzung unwirksam sei. Sie sei zunächst zu unbestimmt. Der Wortlaut lasse offen, welche Regelungsfälle erfasst seien. Es sei unklar, was mit dem Begriff „grundsätzliches Vorkaufsrecht“ gemeint sei. Der Adressat der Satzung könne nicht genau ermessen, worin Ausnahmen vom Grundsatz bestehen sollten, denn es gebe keine Ausnahmeregelungen, die diese beispielhaft aufzählten oder sonst umschrieben. Außerdem irritiere die Regelung, dass das Recht bestehe, sofern die Gemeinde für die Flächen städtebauliche Maßnahmen in Betracht ziehe. Diese Einschränkung sei diffus, da der Normadressat sich fragen müsse, ob das Vorkaufsrecht somit unter einer weiteren Bedingung stehe. In dieser Diktion sei das Geregelte auch nicht von der Satzungsermächtigung des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB gedeckt. Ebenso sei der Hinweis auf bebaute und unbebaute Grundstücke fehlerhaft, denn zum Zeitpunkt des Satzungserlasses sei das Grundstück bereits mit dem Kühlhaus bebaut gewesen und es habe sich nur um ein einziges Grundstück gehandelt, nicht um mehrere. Zudem sei die Satzung wegen fehlender Erforderlichkeit und Rechtfertigung nichtig. Die Rechtfertigung sei nur gegeben, wenn die Gemeinde städtebauliche Maßnahmen in Betracht ziehe und die Satzung zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung erfolge. Eine angestrebte altersgerechte Bebauung oder Wohnbebauung für ältere Personengruppen sei in einem Gewerbegebiet jedoch weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig. Die Satzung habe ein Ziel formuliert, welches gar nicht mit der Entwicklungsabsicht der Gemeinde übereingestimmt habe. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Vorkaufsrechtssatzung hätten keine entsprechenden Planungen vorgelegen, die damalige Bauleitplanung habe gegen das Vorhaben gesprochen und der Zweck der Satzung sei deshalb gar nicht realisierbar gewesen. Eine Vorkaufsrechtssatzung für nur ein einzelnes Grundstück entspreche auch nicht einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Die Satzung leide überdies an einem beachtlichen Abwägungsfehler bzw. Ermessensfehler. Es sei nicht dokumentiert, dass der notwendige Rückbau des Kühlhauses ausreichend in die Ermessenserwägungen eingestellt worden sei. Nicht abgewogen worden sei auch die Bedeutung der Trafostation für dieses Grundstück. Eine Abwägung über die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten des Grundstücks habe nicht stattgefunden, obwohl die Nutzung „altersgerechtes Wohnen“ nur eine Möglichkeit unter vielen gewesen sei. Namentlich die bestehende Nutzung als Gewerbegrundstück hätte in die Abwägung eingestellt werden müssen sowie die Eigentumsrechte des Grundstückseigentümers und der Nachbarn. Auch der Gesichtspunkt des Lärmschutzes und die angrenzende Gewerbenutzung andererseits seien nicht ordnungsgemäß abgewogen worden, obwohl eine gewerbliche Nutzung durch heranrückende Wohnbebauung bekanntlich beeinträchtigt werden könne. Umgekehrt sei nicht gesehen worden, dass das altersgerechte Wohnen durch die benachbarte Gewerbenutzung empfindlich gestört werden könne. Zudem sei die Ausübung des Vorkaufsrechts bereits verfristet gewesen. Es müsse als sicher angesehen werden, dass die Zusendung des Kaufvertrags nach den üblichen Postlaufzeiten bereits bis 22. Dezember 2019 erfolgt sei und somit die 2-Monatsfrist nicht eingehalten worden sei. Auch sei die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen gewesen, da das Grundstück zum Zeitpunkt der Ausübung des Rechts entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplanes sowohl bebaut als auch genutzt worden sei. Auch sei das Vorkaufsrecht selbst fehlerhaft ausgeübt worden. Eine Ausübung dürfe nur erfolgen, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertige. Neben der Rechtfertigung für den Erlass der Satzung bedürfe es also einer eigenständigen Begründung für die Ausübung des Vorkaufsrechts im Einzelfall. Ein Verweis allein auf die Existenz der Satzung genüge nicht. Die Ausübung sei durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt, wenn der Verwendungszweck bereits konkretisiert sei. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Die Situation habe sich ebenso wie beim Erlass der Satzung dargestellt. Es habe weder einen konkreten Bauherrn für das Projekt des Wohnens noch Klarheit darüber gegeben, wer überhaupt Bauherr oder Träger der Maßnahme sein werde. Der Aufstellungsbeschluss zur Änderung der Bebauungspläne im Parallelverfahren ändere daran nichts. Auch sei ein Ermessensfehler darin zu sehen, dass die Beklagte von dem falschen Käufer ausgegangen sei. Sie habe nicht die Interessen des Beigeladenen zu 1) berücksichtigt, der den Kaufgegenstand bereits gemietet und untervermietet und einer Nutzung entsprechend dem Bebauungsplan zugeführt gehabt habe, obwohl der Beigeladene zu 1) dies in der Anhörung mitgeteilt habe. Sie habe nicht die Belange des Supermarktes der Firmengruppe des Beigeladenen gewichtet, der für die Nahversorgung der Einzelhandelsversorgung benötigt werde und im Interesse der Allgemeinheit liege. Die pauschalen Ermessenserwägungen in der Begründung zum Bescheid zeigten, dass sich die Beklagte keine detaillierten Gedanken zu den Belangen des Beigeladenen zu 1) gemacht habe. Die Beklagte habe auch nicht hinreichend gewürdigt, dass es sich um einen 3-seitigen Vertrag handele und dass nur eines der beiden Kaufgrundstücke erworben werden sollte. Hier hätte die Klägerin detaillierte Ermessenserwägungen darüber anstellen müssen, ob die Klägerin das Grundstück Flurnummer …(3) der Gemarkung … isoliert gebrauchen könne, welche Funktion dieses Grundstück habe und welche Auswirkungen ein etwaiges Erstreckungsrecht nach § 467 Satz 2 BGB für den Beigeladenen zu 1) habe. Die Beklagte habe sich stattdessen nur darauf fokussiert, ob die Verkäuferin dieses Grundstück auch an sie veräußern wolle, aber nicht darauf, welche Nachteile dem Beigeladenen zu 1) und der Klägerin entstünden, wenn sie nur isolierte Kaufgegenstände bzw. Vertragsgegenstände aus einem einheitlich verstandenen Vertragswerk erhielten oder wenn dem Beigeladenen zu 1) aufgrund des § 467 Satz 2 BGB auch das Grundstück Flurnummer …(3) der Gemarkung … eventuell entzogen werde. Die Klage des Beigeladenen zu 1) sei bereits deswegen erfolgreich, da der Bescheid bereits deshalb rechtswidrig sei, weil es hier an einer Ermächtigungsgrundlage mangele. Das Vorkaufsrecht könne nur gegenüber dem Verkäufer ausgeübt werden nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB.
22
Mit Ergänzungsbescheid vom 4. November 2021 erklärte die Beklagte, dass hiermit die im Bescheid enthaltene unrichtige Angabe, dass die Beigeladene zu 2) Käuferin des Grundstücks sei, korrigiert werde. Es sei bei Bescheidserlass bekannt gewesen, dass der Beigeladene zu 1) der Käufer sei. Zudem wurde hinsichtlich der Ermessenserwägungen erklärt, dass der Beklagten im Rahmen ihrer Entscheidung die Interessen des Käufers (Vermietung etc.) bekannt gewesen seien. Es sei auch nachvollziehbar, dass seitens des Beigeladenen zu 1) ein erhebliches Nutzungsinteresse bestehe, welches anerkannt werde. Auch die Interessen der Klägerin seien nachvollziehbar. Jedoch sei das öffentliche Nutzungsinteresse höher zu werten und eine angegebene Alternativfläche nicht vergleichbar mit dem streitgegenständlichen Grundstück.
23
Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
24
Die zulässige Klage ist begründet.
25
Gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB haben Gemeinden, denen ein Vorkaufsrecht nach dem BauGB zusteht und die sich nach Ausübung des ihnen zustehenden Ermessens entschließen, dieses wahrzunehmen, das Recht fristgemäß gegenüber der jeweiligen Verkäuferpartei auszuüben. Der Ausübungsbescheid muss dabei dem Verkäufer innerhalb der Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB zugehen. Da die jeweilige Käuferpartei durch den Verwaltungsakt, mit dem das Vorkaufsrecht ausgeübt wird, auch in eigenen Rechten verletzt sein kann, da eine Erfüllung des entsprechenden Kaufvertrags mit dem Verkäufer durch die Ausübungserklärung der Gemeinde unmöglich gemacht wird, besteht auch für sie Klagebefugnis im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Ausübungsbescheid. In diesem Zusammenhang ist dem Käufer der Verwaltungsakt, mit dem das Vorkaufsrecht ausgeübt wird, auch bekanntzugeben (vgl. zum Ganzen: EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 28 Rn. 26). Vorliegend hat die Beklagte ihr Vorkaufsrecht durch Bescheid vom 21. Februar 2020 (nunmehr in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 4. November 2021 – behördliches Az.: 6103/K.Deg) gegenüber der Klägerin als Verkäuferin ausgeübt und diese Regelung durch Bescheid ebenfalls vom 21. Februar 2020 (nunmehr in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 4. November 2021 – behördliches Az.: 6103/B.WIN) gegenüber dem Beigeladenen zu 1) als Käufer bekanntgegeben. Der Antrag der Klägerin wird gem. § 88 VwGO dahingehend aufgefasst, dass beide Bescheide im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO streitgegenständlich sein sollen.
26
Die Bescheide über die Ausübung des Vorkaufsrechts am Grundstück FlNr. …(1) der Gemarkung … vom 21. Februar 2020 in der Fassung der Ergänzungsbescheide vom 4. November 2021 (behördliche Az.: 6103/K.Deg sowie 6103/B.WIN) sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
27
1. Der Beklagten steht grundsätzlich ein Vorkaufsrecht am Grundstück der FlNr. …(1) der Gemarkung … zu. Dieses ergibt sich aus § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. der Vorkaufsrechtssatzung der Beklagten vom 30. November 2018. Durch die Satzung konnte das Vorkaufsrecht der Beklagten wirksam begründet werden.
28
a) Gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB können Gemeinden in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht ziehen, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht.
29
Vorliegend bestehen keine Zweifel daran, dass die Beklagte mit dem Erlass der Satzung vom 30. November 2018 städtebauliche Maßnahmen im Rahmen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung in Betracht zieht.
30
Der Begriff der städtebaulichen Maßnahmen bezieht sich auf sämtliche einer Gemeinde zur städtebaulichen Ordnung und Entwicklung des Gemeindegebiets obliegenden Aufgaben. Darunter fallen alle Maßnahmen, die der Gemeinde dazu dienen, ihre Planungsvorstellungen zu verwirklichen, vorausgesetzt, sie weisen einen städtebaulichen Bezug auf (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 25 Rn. 5; BVerwG B.v. 8. 9. 2009 – 4 BN 38/09 – BauR 2010, 81; B.v. 14.4.94 – 4 B 70/94 – NJW 1994, 3178 (3179); OVG Münster U.v. 28. 7. 1997 – 10a D 31/97 – NVwZ 1999, 432). Dabei ist es nicht erforderlich, dass von Seiten der Gemeinde konkrete Maßnahmen nach dem Handlungsinstrumentarium des BauGB, insbesondere im Rahmen der Bauleitplanung, ergriffen werden. Vielmehr reichen jegliche informellen Planungen aus, durch die die Gemeinde ihre Planungsvorstellungen städtebaulicher Art konkretisieren kann wie Rahmenplanungen, Entwicklungskonzepte oder ähnliches (vgl.: EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 25 Rn. 17). Um ein „In-Betracht-Ziehen“ von städtebaulichen Maßnahmen durch die Gemeinde zu bejahen, reicht es letztlich aus, dass ersichtlich wird, dass diese zumindest ernsthafte Erwägungen darüber anstellt, welche städtebaulichen Maßnahmen zur Lösung eines bestimmten städtebaulichen Konflikts in Betracht kommen. Ungefähre Vorstellungen der Gemeinde mit einem minimalen Grad an Konkretisierung sind dabei ausreichend. Eine Einleitung konkreter bauleitplanerischer Maßnahmen ist – wie bereits dargelegt – nicht von Nöten (vgl. zum Ganzen: EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 25 Rn. 18).
31
Die oben umrissenen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage zum Satzungserlass nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB sind vorliegend erfüllt. Aus dem Satzungstext der Satzung vom 30. November 2018 ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Beklagte am streitgegenständlichen Grundstück Wohnraum für ältere Personengruppen, mithin eine altersgerechte Wohnbebauung schaffen will, da in deren Gemeindegebiet bislang ein solches Wohnangebot für Senioren noch fehlt. Dabei wird ausgeführt, dass sich das Grundstück für die genannten Zwecke aufgrund seiner zentralen Lage in der … und der damit verbundenen günstigen Erreichbarkeit von Einkaufs- und anderen Versorgungsmöglichkeiten besonders eignet. Die Beklagte bringt damit ihre Planungsvorstellungen städtebaulicher Art jedenfalls gemessen an obigen Voraussetzungen in ausreichendem Maße zum Ausdruck und lässt deutlich werden, dass sich diese Planung in die städtebauliche Gesamtordnung einfügen soll.
32
b) Zudem ist auch das erforderliche Sicherungsbedürfnis für den Satzungserlass gegeben. Die Satzung ist zur Sicherung einer geordneten baulichen Entwicklung erforderlich und auch geeignet, die Vorbereitung oder Durchführung städtebaulicher Maßnahmen zu sichern. An das Sicherungsbedürfnis sind keine hohen Anforderungen zu stellen. In Bebauungsplangebieten wird ebenso wie in Maßnahmegebieten in der Regel die allgemeine Erfahrung genügen, dass gemeindliche Maßnahmen leichter durchgeführt werden können, wenn die Gemeinde im Satzungsgebiet über ausreichend Grundstücke verfügt (vgl. EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 25 Rn. 5; VGH Mannheim U.v. 8.8.1990 – 3 S 132/90 – NVwZ 1991, 284 – hier zur Sicherung einer geplanten Stadtkernsanierung). Im vorliegenden Fall erleichtert die durch die Satzung erschaffene Möglichkeit für die Beklagte, sich die Rechte am Grundstück FlNr. …(1) der Gemarkung … zu sichern, die Verwirklichung ihrer Planungsvorstellungen im Hinblick auf die Schaffung altersgerechten Wohnens. Das Sicherungsbedürfnis ist nach dem oben Gesagten zweifelsfrei gegeben.
33
c) Entgegen dem Vorbringen der Klägerseite ist die Satzung auch nicht deswegen zu beanstanden, weil die Beklagte sich im Rahmen des Satzungserlasses noch nicht im Detail mit der Interessenlage auseinandergesetzt hat, welche für die Klägerin als Eigentümerin des vom Vorkaufsrecht betroffenen Grundstücks sowie potenzielle Käufer desselben rund um dessen wirtschaftliche Verwertung besteht. Zwar steht der Erlass der Satzung nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB im Ermessen der Gemeinde. Jedoch ist hierbei zu berücksichtigen, dass – obwohl die Satzung letztlich der Sicherung der Bauleitplanung dient – im Rahmen des Satzungserlasses noch keine planerischen Entscheidungen mit konkretem planerischen Abwägungsgehalt getroffen werden. Der Satzungserlass unterliegt daher insbesondere nicht dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB. Eine konkrete Abwägung, in der die Interessen der betroffenen Grundstückseigentümer, von einem besonderen Vorkaufsrecht freigehalten zu werden, gegen die kommunalen Interessen am Zugriff auf verkaufte Grundstücke abgewogen werden, hat die Gemeinde nicht durchzuführen (vgl. zum Ganzen: EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 25 Rn. 22). Ausreichend ist, dass sie prüft, ob die Satzung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Sicherungszwecks erforderlich, mithin ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist (vgl. (vgl. zum Ganzen: EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 25 Rn. 22). Dies ist vorliegend, wie bereits dargestellt, der Fall.
34
d) Die Satzung verstößt auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.
35
Die Regelungen der Satzung vom 30. November 2018 müssen als Rechtsnormen im materiellen Sinn den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Das Bestimmtheitsgebot verlangt konkret, dass jegliche Rechtsnormen so gefasst sein müssen, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag. Anforderungen an die Normenklarheit sind dann erhöht, wenn Unsicherheiten bei der Beurteilung der Gesetzeslage die Betätigung von Grundrechten erschweren (vgl. bspw. BVerfG, B.v. 9.4.2003 – 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 – juris Rn. 61). Die Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen durch die Satzung vom 30. November 2018 ist im vorliegenden Zusammenhang zu bejahen. Dabei kann dahinstehen, ob es des ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB, welches die Gemeinde noch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens durchgeführt hat, tatsächlich bedurfte, da nach Auffassung des Gerichts bereits die Ursprungsfassung des Satzungstextes vom 30. November 2018 im Hinblick auf die Bestimmtheit nicht zu beanstanden ist. Die Einwände der Klägerseite im Hinblick auf die konkrete Formulierung des Satzungstextes (unter anderem hinsichtlich der Verwendung des Wortes „grundsätzlich“) sowie die teilweise Übernahme der tatbestandlichen Voraussetzungen für den Satzungserlass aus § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB führen nicht dazu, dass von einer Unbestimmtheit der Satzungsregelungen auszugehen ist. Für die Normadressaten bleibt auch bei dieser Ausformulierung mit hinreichender Klarheit ersichtlich, dass die konkrete Regelung der Satzung darin besteht, dass für das betreffende Grundstück aus den angegeben städtebaulichen Gründen zugunsten der Beklagten ein Vorkaufsrecht etabliert wird. Dies ist Kern der Festsetzung und wird auch in dieser Lesart ohne nennenswerte Interpretationsschwierigkeiten deutlich. Die Voraussetzungen des Bestimmtheitsgebots sind mithin erfüllt.
36
2. Jedoch hat die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht mit den Bescheiden vom 21. Februar 2020 (nunmehr in der Fassung der Ergänzungsbescheide vom 4. November 2021) nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
37
a) Zwar hat vorliegend mit dem Gemeinderat der Beklagten das zuständige Organ über die Ausübung des Vorkaufsrechts entscheiden.
38
aa) Zunächst steht außer Frage, dass die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts vorliegend in die Zuständigkeit des Gemeinderats der Beklagten als Kollegialorgan fiel und nicht dem ersten Bürgermeister bzw. der Gemeindeverwaltung oblag. Kommunalrechtlich ist die Ausübung des Vorkaufsrechts durch Verwaltungsakt eine öffentlich-rechtliche Verpflichtungserklärung, für die verwaltungsintern in allen Fällen (§§ 24, 25 BauGB) – nach Maßgabe des Landesrechts, hier der Bayerischen Gemeindeordnung (GO) – jedenfalls in kleineren und mittleren Gemeinden eine Beschlussfassung des unmittelbar willensbildenden Organs (Gemeindevertretung) erforderlich ist (EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 28 Rn. 28a). Dies gilt auch im Falle der Beklagten.
39
bb) Zudem konnte der Gemeinderat vorliegend trotz der Regelung in § 8 Abs. 3 e) der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Fassung der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Beklagten vom 28. September 2015, in welcher geregelt ist, dass für Grundstücksangelegenheiten der Gemeinde, einschließlich der Ausübung von Vorkaufsrechten der Bau-, Umwelt- und Verkehrsausschuss zuständig ist, als Gesamtorgan rechtswirksam über die Ausübung des Vorkaufsrechts entscheiden. Gem. Art. 32 Abs. 2 Satz 1 GO kann der Gemeinderat die Verwaltung verschiedener Geschäftszweige sog. beschließenden Ausschüssen zur Entscheidung übertragen, welche dann in eigener Zuständigkeit anstelle des Gemeinderats über die jeweiligen Angelegenheiten entscheiden (BeckOK KommunalR Bayern/M. Wolff, 13. Ed. 1.2.2022, GO Art. 32 Rn. 4). Im Fall der Beklagten ist dies für Entscheidungen über die Ausübung von Vorkaufsrechten durch § 8 Abs. 3 e) der Geschäftsordnung ihres Gemeinderats geschehen, was zur Folge hat, dass für derartige Entscheidungen eigentlich der Bau-, Umwelt- und Verkehrsausschuss anstelle des gesamten Gemeinderats zuständig gewesen wäre. Kommt es jedoch – wie vorliegend – zu der Konstellation, dass an Stelle des nach der Geschäftsordnung zuständigen beschließenden Ausschusses der Gemeinderat als Gesamtorgan entscheidet, so ist dieser Gemeinderatsbeschluss mangels Gesetzesverstoßes rechtswirksam. Nur dann, wenn ein gegen die Geschäftsordnung verstoßendes Verhalten zugleich eine gesetzliche Bestimmung verletzt (vgl. BayVGH, U.v. 18.6.2008 – 4 BV 07.211 – juris Rn. 25; OVG Münster, U.v. 27.8.1996 – 15 A 32.93 – DÖV 1997, 344; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, 29. EL Mai 2018, BayGO, Art. 45 Rn. 8) und die Gesetzesverletzung nicht anderweitig geheilt ist, kommt ein gültiger Beschluss nicht zustande. Art. 30 Abs. 2 GO enthält keine gesetzlich vorgegebene Zuständigkeitsverteilung, gegen die verstoßen worden ist (vgl. Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, 29. EL Mai 2018, Art. 32 BayGO Rn. 20). Art. 30 Abs. 2 GO regelt nur eine mögliche Übertragung bestimmter Angelegenheiten auf beschließende Ausschüsse. Es ist jedoch nicht bereits gesetzlich vorgesehen, dass die Entscheidung über die Ausübung eines Vorkaufsrechts einem beschließenden Ausschuss obliegt. Somit besteht auch kein Verstoß gegen eine gesetzliche Regelung (vgl. BayVGH, U.v. 12.11.2019 – M 1 K 17.2257 – juris).
40
b) Jedoch sind die Ausübungsbescheide aus anderen Gründen rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
41
aa) In diesem Zusammenhang spricht bereits Einiges dafür, dass davon auszugehen ist, dass die Beklagte ihr Vorkaufsrecht schon nicht fristgerecht ausgeübt hat. Nach der zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts geltenden Fassung des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB konnte das Vorkaufsrecht nur binnen zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags durch Verwaltungsakt gegenüber dem Verkäufer ausgeübt werden. Die Frist ist eine gesetzliche Ausschlussfrist und beginnt mit der ordnungsgemäßen Mitteilung des rechtswirksamen Kaufvertrages. Spätestens am letzten Tag der Frist muss der Ausübungsbescheid dem Verkäufer zugehen. Für die Fristberechnung gelten die §§ 186 ff. BGB (vgl. zum Ganzen EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 28 Rn. 27). Es handelt sich mithin bei der Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB um eine sog. Ereignisfrist, bei welcher für die exakte Ermittlung des Fristlaufs im Sinne der §§ 186 ff. BGB und somit die Beantwortung der Frage nach der Wahrung der Frist entscheidend ist, auf welchen Tag das jeweilige Ereignis – hier die Mitteilung des Kaufvertrages bei der Gemeinde – entfiel. Eben dieser exakte Eingangstag des Kaufvertrages zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen vom 11. Dezember 2019 erscheint jedoch vorliegend auch nach der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2022 unklar. Zwar findet sich auf der Ausfertigung des Kaufvertrags, welche vom beurkundenden Notariat am 18. Dezember 2019 erteilt wurde, ein Eingangsstempel der Gemeinde, der den 2. Januar 2020 als Eingangsdatum ausweist. Weiter erklärte der erste Bürgermeister der Beklagten in einer E-Mail an das Notariat vom 3. Januar 2020, dass die Ausfertigung – bedingt durch die Schließung des Rathauses während der Feiertage – erst am 2. Januar 2020 in Empfang genommen werden habe können. Jedoch ergibt sich bereits aus den eigenen Ausführungen der Beklagten selbst, dass dies nicht zwingend das exakte Datum des Eingangs gewesen sein muss, da diese im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärte, dass an besagtem 2. Januar 2020 lediglich die Ausfertigung mit dem Eingangsstempel versehen worden sei, nachdem das Rathaus vom 23. Dezember 2019 bis einschließlich 1. Januar 2020 geschlossen gewesen sei. Den Ausführungen der Beklagtenseite ist letztlich nicht zu entnehmen, an welchem Tag die Ausfertigung des Kaufvertrages vom 11. Dezember 2019 bei ihr eingegangen ist. Es ist mithin im Einklang mit dem Vortrag der Beigeladenen nicht auszuschließen, dass jene – wofür in Anbetracht der üblichen Postlaufzeiten einiges spricht – bereits vor der Schließung des Rathauses am 23. Dezember 2019 um 12.00 Uhr eingegangen ist. Eine in dieser Frage hinreichende Sicherheit bietende Aufklärung war auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung jedoch nicht mehr möglich.
42
Bleiben Tatsachen im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Prozesses letztlich unaufklärbar, stellt sich – ungeachtet des vorherrschenden Amtsermittlungsgrundsatzes – jedenfalls die Frage nach der Verteilung der materiellen Beweislast im konkreten Fall. Dies beurteilt sich im Ergebnis nach dem materiellen Recht. In Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen gilt der Grundsatz, dass die Nichterweislichkeit zulasten des Beteiligten geht, der aus der fraglichen Tatsache eine für ihn günstige Rechtsfolge ableitet (BVerwGE 3, 110 (115); 109, 174 (179 f.); → § 108 Rn. 52). Wer das Bestehen eines Rechts behauptet, muss die Nichterweislichkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen gegen sich gelten lassen (BVerwG Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 28); umgekehrt gilt das für denjenigen, der als Nachweis für das Nichtbestehen des Rechts rechtshindernde, -vernichtende oder -hemmende Umstände vorträgt (vgl. zum Ganzen: Eyermann/Schübel-Pfister, 15. Aufl. 2019, VwGO § 86 Rn. 5). Vorliegend spricht – namentlich in Anbetracht der Tatsache, dass die Wahrung der Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB letztlich eine – wesentliche – Voraussetzung für die wirksame Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts ist – vieles dafür, dass die materielle Beweislast der fristgerechten Vorkaufsrechtsausübung der Beklagten obliegt und die Unaufklärbarkeit der Frage der Fristwahrung auch zu deren Lasten gehen muss.
43
bb) Die Frage nach der Wahrung der Ausübungsfrist des § 28 Abs. 1 Satz 2 BauGB kann jedoch letzten Endes dahinstehen, da vorliegend jedenfalls das der Beklagten bei der Ausübung des Vorkaufsrechts zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden ist.
44
(1) Steht der Gemeinde ein auf einer Satzung im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BauGB basierendes Vorkaufsrecht zu, so gelten die allgemeinen Ausübungsvoraussetzungen für gesetzliche Vorkaufsrechte nach dem BauGB, so auch insbesondere die Vorschrift des § 28 BauGB zum Verfahren bei der Ausübung (vgl. EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 28 Rn. 1).
45
Aus § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB folgt, dass die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts auch im Fall des besonderen (Satzungs-)Vorkaufsrechts gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB im Ermessen der Gemeinde liegt. Sie kann bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ihr Recht ausüben, sie ist aber dazu nicht verpflichtet (vgl. EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 24 Rn. 66; so auch OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.10.2019 – 10 B 9.18, BeckRS 2019, 36274 Rn. 98 = ZfBR 2020, 269 (276)).
46
Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung bei Ausübung eines Vorkaufsrechts setzt voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (EZBK/Stock, 143. EL August 2021, BauGB § 24 Rn. 66; BayVGH, B.v. 22.1.2016 – 9 ZB 15.2027 – juris Rn. 13). Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung ist in diesem Zusammenhang die konkrete Entscheidung der Behörde gem. § 114 VwGO nur dahingehend zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind und vom dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Art und Weise Gebrauch gemacht worden ist.
47
Damit eine Behörde eine Ermessensentscheidung in ordnungsgemäßer Weise treffen kann, ist es erforderlich, dass vorab alle relevanten tatsächlichen Umstände des zur Entscheidung stehenden Sachverhalts sorgfältig und vollständig ermittelt werden, um alle für die Ermessensausübung wesentlichen Gesichtspunkte in die Entscheidungsfindung einbeziehen zu können (vgl. BVerwG, U.v. 7.7.1978 – IV C 79.76 – juris; u.v. 24.9.1996 – I C 9.94 – juris). Die Behörde muss mithin ihrer Amtsermittlungspflicht in angemessener Weise nachkommen (Art. 24 BayVwVfG). Werden bei der Durchführung der Ermessensentscheidung wesentliche Belange des jeweiligen Sachverhalts außer Acht gelassen bzw. nicht beachtet, so ist die Entscheidung bereits deshalb ermessensfehlerhaft. Man spricht insoweit von einem sog. Ermessensdefizit. Daraus ist wiederum zu folgern, dass dem zur Entscheidung berufenen Organ innerhalb des jeweiligen Rechtsträgers somit alle relevanten Gesichtspunkte des konkreten Falles zur Verfügung stehen müssen, wenn es das ihm zur Verfügung stehende Ermessen ordnungsgemäß ausüben will. Eben diese Voraussetzungen waren im Rahmen der Entscheidung über die Vorkaufsrechtsausübung am Grundstück FlNr. …(1) der Gemarkung … im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
48
(2) Im vorliegenden Fall war die getroffene Entscheidung ermessensfehlerhaft im oben dargestellten Sinne.
49
Dem Gemeinderat der Beklagten standen im Rahmen der finalen Entscheidung in dieser Sache in der Sitzung vom 30. Januar 2020 wesentliche Informationen, die in die Erwägungen des Gremiums mit einbezogen hätten werden müssen, nicht zur Verfügung. Nach dem grundsätzlich positiven Beschluss über die Vorkaufsrechtsausübung aus der Sitzung vom 8. Januar 2020 wurden die Verkäuferwie auch die Käuferseite mit Schreiben der Beklagten vom 10. Januar 2020 ordnungsgemäß im Sinne von Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG in der Sache angehört. Während die Verkäuferseite schriftlich bekundete, keine weiteren Anmerkungen tätigen zu wollen, äußerte sich die Käuferseite bzw. der Beigeladene im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei der Beklagten am 17. Januar 2020. Aus einem Aktenvermerk der Beklagten (vgl. Seite 135 der Behördenakte) sowie aus den Angaben des Beigeladenen zu 1) in der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass in diesem Rahmen neben anderen Themen insbesondere auch konkret über die Interessen gesprochen wurde, die die Verkaufsparteien – insbesondere der Beigeladene – mit dem Verkauf des Grundstücks verfolgen. Es wurden zudem alternative Planungen diskutiert und der Frage nachgegangen, ob neben dem streitgegenständlichen noch andere Grundstücke zur Verwirklichung der städtebaulichen Planungsvorstellungen der Beklagten herangezogen werden könnten. Bei all den zur Sprache gekommenen Gesichtspunkten handelt es sich um zur Beurteilung des Falles und zur Ausübung des zur Verfügung stehenden Ermessens wesentliche Inhalte, ohne deren Kenntnis eine ordnungsgemäße Abwägung und Entscheidung in der Sache nicht durchgeführt werden kann. Vorliegend ist davon auszugehen, dass die im Rahmen des Anhörungsgesprächs gewonnenen Erkenntnisse dem Gemeinderat vor der abschließenden Entscheidung in der Sitzung am 30. Januar 2020 nicht zur Verfügung gestellt wurden. Im Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderats der Beklagten vom 30. Januar 2020 wird unter dem Punkt „Sachverhalt“ erwähnt, dass zwischenzeitlich beide Parteienvertreter mit Schreiben vom 10. Januar 2020 (zugegangen am 13. bzw. am 14. Januar 2020) zur geplanten Ausübung des Vorkaufsrechts angehört worden seien, jedoch lediglich der Verkäufervertreter mit Schreiben vom 24. Januar 2020 von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und lediglich mitgeteilt habe, dass über den Inhalt des Kaufvertrags hinaus kein weiterer Erläuterungsbedarf gesehen werde. Bereits diese konkrete Formulierung legt hinreichend nahe, dass das Anhörungsprotokoll über die persönliche Vorsprache des Beigeladenen und Grundstückskäufers am 17. Januar 2020 nicht zum Gegenstand der genannten Gemeinderatssitzung gemacht worden ist. Diese Schlussfolgerung konnte von der Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2020 auch nicht entkräftet werden. Ausführungen in gegenteiliger Richtung dahingehend, dass den Gemeinderatsmitgliedern die Inhalte des benannten Anhörungsgesprächs zugänglich gemacht worden wären, hat die Beklagte nicht getätigt. Vielmehr wurde lediglich erklärt, dass es sich aus Sicht der Beklagten bei dem Gespräch nicht um eine Anhörung im eigentlichen Sinne gehandelt, sondern lediglich eine informelle Unterredung mit Darstellung der Rechtslage stattgefunden habe. Mangels Kenntnis der Angaben des Beigeladenen zur Interessenlage der Parteien bei Abschluss des Kaufvertrages kann nicht die Rede davon sein, dass der Gemeinderat im oben beschriebenen Sinne die Möglichkeit hatte, den Sachverhalt im Hinblick auf alle wesentlichen Gesichtspunkte des Sachverhalts zu beleuchten und die hieraus zu ziehenden Schlüsse seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Auch die Angaben des ersten Bürgermeisters, dass im Rahmen des Termins dem Beigeladenen zu 1) ein weiteres Anhörungsschreiben mitgegeben worden sei und daraufhin keine weitere Äußerung erfolgt sei, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Dass sich der Beigeladene zu 1) nicht nochmals schriftlich geäußert hat vermag nichts daran zu ändern, dass die – schriftlich festgehaltenen – Angaben aus dem Anhörungstermin vom 17. Januar 2020 wichtige Informationen sind, die zur Durchführung der Ermessensausübung dem zuständigen Organ vorliegen hätten müssen. Dies gilt umso mehr, als die Anhörung vor Erlass von belastenden Veraltungsakten gem. Art. 28 BayVwVfG formfrei ist und insbesondere auch mündlich durchgeführt werden kann (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Kallerhoff/Mayen, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 28 Rn. 44-45). Es liegt nach dem Gesagten ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensdefizits vor.
50
Der so begründete Ermessensfehler konnte auch nicht durch nachträgliche Ermessenserwägungen geheilt werden.
51
Zwar sind nachträgliche Ermessenerwägungen zur Rechtfertigung des ursprünglichen Verwaltungsaktes, die die Grenze zur Wesensveränderung nicht überschreiten dürfen, in engen Grenzen möglich (Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 45 Rn. 51). Ein Nachschieben von Gründen ist dann möglich, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46/12 – juris, Rn. 32). Die nachgeschobenen Erwägungen dürfen lediglich als Präzisierung des tragenden Gedankens der ursprünglichen Rechtfertigung zu begreifen sein (BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris, Rn. 36; NK-VwGO/Heinrich Amadeus Wolff, 5. Aufl. 2018, VwGO § 113 Rn. 78). Dabei kann dahinstehen, ob in einer Konstellation wie der Vorliegenden, in der dem zur Entscheidung berufenen Organ essentielle Informationen nicht zur Verfügung standen und insofern ein Ermessensdefizit anzunehmen ist, nicht ohnehin die Grenze zur Wesensveränderung im Rahmen nachträglicher Erwägungen überschritten ist. Denn auch nachträgliche Ermessenserwägungen sind stets nur dann relevant, wenn sie auch von dem Organ angestellt wurden, dem die Zuständigkeit für die jeweilige Entscheidung zukommt. Da zuständig für die Ausübung des Vorkaufsrechts – wie bereits dargelegt – der Gemeinderat der Beklagten war, hätte es zur Heilung des Ermessensfehlers durch ein Nachschieben von Gründen jedenfalls einer nochmaligen Befassung des Gemeinderats mit der Sache unter Zurverfügungstellung der genannten Informationen bedurft. Dass dies erfolgt ist, wurde weder von der Beklagtenseite so vorgetragen noch ist es im Übrigen ersichtlich.
52
3. Da mithin die Bescheide schon aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen, kommt es schließlich vorliegend weder zusätzlich darauf an, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt war (§ 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB) noch ob der Ausschlussgrund des § 26 Nr. 4 BauGB der Ausübung entgegenstand. Diese Punkte können mithin ebenfalls offenbleiben.
53
Die Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren gemäß § 162 Abs. 3 VwGO zu erstatten, da sich diese durch die Stellung eines Antrages einem Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben.
54
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).