Titel:
Mietwagenkosten, Leistungen, Rechtsanwaltskosten, Nutzungsausfall, Fahrzeug, Normaltarif, Ersatzbeschaffung, Mietwagen, Schadensminderungspflicht, Schadensbehebung, Regulierung, Herstellungsaufwand, Schadensbeseitigung, Streitwert, Kosten des Rechtsstreits, Anmietung eines Ersatzfahrzeuges, Rechtsprechung des BGH
Schlagworte:
Mietwagenkosten, Leistungen, Rechtsanwaltskosten, Nutzungsausfall, Fahrzeug, Normaltarif, Ersatzbeschaffung, Mietwagen, Schadensminderungspflicht, Schadensbehebung, Regulierung, Herstellungsaufwand, Schadensbeseitigung, Streitwert, Kosten des Rechtsstreits, Anmietung eines Ersatzfahrzeuges, Rechtsprechung des BGH
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46057
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.897,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27.07.2019 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 448,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27.07.2019 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 5.440,36 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte in Folge eines Verkehrsunfalles in Form von Abschleppkosten, Mietwagenkosten, Zulassungskosten und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
2
Die Beklagte haftet für Schäden des Klägers in Folge des Unfalls vom 07.05.2019 in 6. A.
3
Die Beklagte rechnete den Schaden mit Schreiben vom 02.07.2019 gegenüber dem Kläger ab (Anlage K10, Blatt 27 der Akte). Der Kläger hat am 08.07.2019 ein Fahrzeug zugelassen.
4
Mit E-Mail vom 22.05.2019, Anlage K6, Blatt 22 der Akte, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte darauf hingewiesen:
„Da meiner Mandantschaft eine Vorfinanzierung der Ersatzbeschaffung nicht möglich und diese auch nicht notwendig ist, warne ich Sie bereits jetzt im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB vor, dass ungewöhnlicher hoher Schadensersatz geltend gemacht wird.
Solange eine vollständige Regulierung des prognostizierten Sachschadens nicht erfolgt, wird Nutzungsausfall bzw. Ersatz von Mietwagenkosten verlangt.“
5
Mit E-Mail vom 06.06.2019 (Anlage K7, Blatt 23 der Akte) weist der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte auf folgendes hin:
„Erneut weise ich darauf hin, dass mein Mandant auf ein Fahrzeug angewiesen ist. Er nutzt daher seit dem Unfalltag einen Mietwagen. Da mein Mandant nicht dazu in der Lage ist eine Ersatzbeschaffung vorzufinanzieren, fallen die Mietwagenkosten für jeden weiteren Tag, an dem nicht reguliert wird, der verantwortlichen Versicherung zu Last.
Dies ist eine Warnung im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB“.
6
In der E-Mail vom 13.06.2019 wird die Beklagte vom Prozessbevollmächtigten des Klägers auf folgendes hingewiesen (Anlage K9, Blatt 26 der Akte):
„Da meiner Mandantschaft eine Vorfinanzierung der Ersatzbeschaffung nicht möglich und diese auch nicht notwendig ist, warne ich Sie bereits jetzt im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB vor, dass ungewöhnlich hoher Schadensersatz geltend gemacht wird.
Solange eine vollständige Regulierung des prognostizierten Sachschadens nicht erfolgt, wird Nutzungsausfall bzw. Ersatz von Mietwagenkosten verlangt.“
7
Im Anmietzeitraum ist der Kläger mit dem Mietwagen 2807 km gefahren.
8
Mit der E-Mail vom 15.07.2019 (Anlage K11, Blatt 29 der Akte) stellt der Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten 7.068,95 € in Rechnung, mit Fristsetzung zur Zahlung bis zum 26.07.2019 (Anlage K11, Blatt 29 der Akte).
9
Mit Abrechnung vom 22.08.2019 (Anlage K12, Blatt 30 der Akte) zahlt die Beklagte hierauf 443,70 € in Bezug auf die geltend gemachten Mietwagenkosten.
10
Die Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 € erstattet.
11
Der Kläger trägt vor, dass ihm über die beklagtenseits bereits erfolgte Regulierung hinaus die Erstattung folgender im Wege der Schadensbeseitigung bei ihm entstandene Kosten zustehen.
12
Er habe einen Anspruch auf Ersatz von Abschleppkosten in Höhe von 309,40 € brutto (Rechnung vom 09.07.2019, (Anlage K1, Blatt 6 der Akte). Das Fahrzeug sei auf Grund der Beschädigung nach dem Unfall nicht fahrbereit gewesen und habe von der Unfallstelle abgeschleppt werden müssen.
13
Ihm seien darüber hinaus in Folge des Unfalls Mietwagenkosten in Höhe von 6.089,23 € entstanden (Rechnung v. 09.07.2019, Anlage K 1, Blatt 6 der Akte). Diesen Betrag habe der Kläger nicht ausgeglichen.
14
Er habe vom 07.05.2019 bis 08.07.2019 (63 Tage) einen Mietwagen in Anspruch nehmen müssen. Erst am 08.07.2019 habe er ein Ersatzfahrzeug anschaffen und zulassen können. Auf Grundlage des schwankenden Mietpreisspiegels 2019 führt das Postleitzahlengebiet 638 Mietwagenklasse 1 (Anlage K4, Blatt 20 der Akte) seien insgesamt erforderliche und angemessene Mietwagenkosten in Höhe von 5.431,86 € entstanden. Aus dem arithmetischen Mittel der Wochenpauschale der Mietwagenklasse 1 im Postleitzahlengebiet 638 in Höhe von 476,00 € ergebe sich ein Tagessatz von 68,00 € (476,00 €/7). Weiterhin sei das arithmetische Mittel für Nebenkosten am Tag in Höhe von 18,22 € zu berücksichtigen, sodass sich ein Tagessatz ergebe in Höhe von 86,22 € (68,00 € + 18,22 €). Bezogen auf die Gesamtmietdauer für 63 Tage ergebe sich aus dem Tagessatz in Höhe von 86,22 € ein Gesamtmietkostenbetrag in Höhe von 5.431,86 €. Vor dem Hintergrund, der beklagtenseits regulierten Mietwagenkosten in Höhe von 443,70 € stünde dem Kläger daher noch Mietwagenkosten in Höhe von 4.988,16 € zu. Die Mietdauer von 63 Tage sei erstattungsfähig, da die Beklagte und die Regulierungsbeauftragte mehrmals vor dem Eintritt eines besonders hohen Schadens auf Grund anfallender Mietwagenkosten gewarnt worden sei. Der Kläger sei wirtschaftlich nicht in der Lage gewesen eine Ersatzbeschaffung vorzufinanzieren. Eine Pflicht des Klägers eine Ersatzanschaffung aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren oder hierzu einen Kredit aufzunehmen bestehe nicht.
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Dem Kläger seien in Folge des Unfalls und der Ersatzbeschaffung des Fahrzeugs am 08.07.2019 Zulassungskosten in Höhe von 142,80 € brutto angefallen (Rechnung vom 09.07.2019, Anlage K1, Blatt 6 d. A.).
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Der Kläger beantragt zuletzt
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.440,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27.07.2019 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 527,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27.07.2019 zu bezahlen.
Hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht einen Zahlungsanspruch nicht bejaht:
1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Mietwagenkosten des …, KfzMeisterbetrieb gemäß Rechnung vom 09.07.2019 Nummer 2019 464 in Höhe von 5.440,36 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.07.2019 freizustellen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 527,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.07.2019 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor, dass im Rahmen der Schätzung der erforderlichen und angemessenen Mietwagenkosten, nicht ein Anmietungszeitraum von über 60 Tagen zu Grunde zu legen sei. Vor dem Hintergrund, dass der Wiederbeschaffungsaufwand sich auf 600,00 € belaufe und im Schadensgutachten der DEKRA (Anlage K2, Blatt 7 ff. der Akte) eine Wiederbeschaffungsdauer von 11 Werktagen angesetzt wird, stehe es völlig außer Verhältnis Mietwagenkosten für 63 Tage in Höhe von 5.431,86 € beanspruchen zu wollen. Dem Kläger sei bereits am 14.05.2019 bekannt gewesen, dass für die Wiederbeschaffung eines Vergleichsfahrzeug eine Dauer von lediglich 11 Tagen erforderlich sei. Im übrigen sei nicht plausibel, weshalb der Beklagte in der Lage sei Mietwagenkosten in Höhe von 6.541,63 € zu zahlen, eine Ersatzbeschaffung in Höhe von 600,00 € allerdings nicht vorzufinanzieren zu können. Davon abgesehen, sei zur Schätzung der erforderlichen und angemessenen Mietwagenkosten die sogenannte Schwacke Liste keine geeignete Schätzungsgrundlage. Der Kläger habe es versäumt in Erfüllung seiner Schadensminderungspflicht zur Höhe der Mietwagenkosten ein bis zwei Konkurrenzangebote einzuholen, insbesondere auch ein Vergleichsangebot eines großen überregional tätigen Autovermieters. Der Kläger habe ausreichend Zeit gehabt sich nach möglichen Mietwagenangeboten zu informieren. Die Anmietung des Ersatzfahrzeuges hätte nicht unmittelbar vorgenommen werden müssen. Nach wenigen Minuten Recherche im Internet seien Angebote ausfindig zu machen, die günstiger gewesen seien (Anlage B1, Blatt 42 ff. der Akte).
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Hinsichtlich der Abschleppkosten wendet die Beklagte ein, dass das Fahrzeug lediglich Karosserieschäden erlitten habe und man mit derartigen Schäden das Fahrzeug noch verkehrssicher hätte fahren können.
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Bezüglich der geltend gemachten Zulassungskosten bestreitet die Beklagte, dass der Kläger ein Ersatzfahrzeug erworben habe. Aus der vorgelegten Zulassungsbescheinigung Teil I ergebe sich nur, dass der Kläger offenbar Halter des dort bezeichneten Fahrzeugs sei, nicht jedoch, wann dieses Fahrzeug erworben worden sei. Dies könne auch schon vor dem Unfall der Fall gewesen sein, da der beklagten Seite unbekannt sei, wie viele Fahrzeuge der Kläger tatsächlich vorhalte. Der Höhe nach sei der Anspruch auf Ersatz der Zulassungskosten nicht schlüssig dargetan, weil die erwähnte Rechnung über den Betrag von 142,80 € der Klageschrift nicht beigefügt sei.
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In der mündlichen Verhandlung vom 10.01.2022 ist der Kläger informatorisch gehört worden. Hinsichtlich des Inhalts der informatorischen Anhörung wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 10.01.2022 Bezug genommen (Blatt 76 ff. der Akte).
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Hinsichtlich des übrigen Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt ihrer Anlagen Bezug genommen.
23
Mit Beschluss vom 29.03.2022 ist die Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet worden, wozu die Klägerseite mit Schriftsatz vom 25.03.2022 (Blatt 90 der Akte) und die Beklagtenseite mit Schriftsatz vom 28.03.2022 (Blatt 91 der Akte) ihre Zustimmung erteilt haben.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Im Übrigen war sie abzuweisen.
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I. Dem Kläger kommt ein weiterer Anspruch auf Erstattung von 4444,97 € aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis im Rahmen der Erstattungspflicht der erforderlichen Mietwagenkosten gemäß § 249 BGB zu. Die Haftung dem Grunde nach ist unstreitig.
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (etwa BGH, Urteil vom 18.12.2012 – VI ZR 316/11, NJW 2013, 1539 ff.; BGH, Urteil vom 12.04.2011 − VI ZR 300/09, NJW 2011, 1947 f.; BGH, Urteil vom 14.10.2008 – VI ZR 308/07, NJW 2009, 58 ff.) und des OLG Bamberg (OLG Bamberg, Urteil vom 04.08.2015 – 5 U 272/14, NZV 2016, 380 ff.), der die Berufungskammer des Landgerichts Aschaffenburg in ebenfalls ständiger Rechtsprechung (vgl. nur: LG Aschaffenburg Urteil vom 02.02.2012 – 23 S 147/11, BeckRS 2014, 18078) folgt, kann der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB als Herstellungsaufwand Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen des ihm Zumutbaren gehalten, von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Dies bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten – nicht für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann. Erforderlich im Sinne des § 249 BGB Abs. 2 Satz 1 BGB ist damit grundsätzlich der sogenannte Normaltarif. Ein gegenüber dem Normaltarif höherer Tarif kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn er auf Leistungen des Vermieters beruht, die durch die Besonderheiten der Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung erforderlich sind.
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2. Den erforderlichen Normaltarif ermittelt das Gericht in Ausübung des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 287 ZPO auf der Grundlage des jeweils gültigen, Unfall nächsten „Schwacke Liste Auto-Mietpreisspiegel“ (im folgenden: Schwacke Liste) für das relevante Postleitzahlengebiet des Geschädigten/Schadensortes, wobei das Gericht das arithmetische Mittel heranzieht.
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a) Die Verwendung der jeweils gültigen Schwacke Liste als Schätzgrundlage im Sinne des § 287 ZPO ist vom Bundesgerichtshof, dem Oberlandesgericht Bamberg und der obergerichtlichen Rechtsprechung auch nach der Veröffentlichung des „Marktpreisspiegels Mietwagen Deutschland“ des Fraunhofer Instituts und andere Gutachten mehrfach gebilligt bzw. für zulässig erachtet worden (vergleiche BGH Urteil vom 12.04.2011, NJW 2011,1947). b)
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Mitunter gibt es für den Landgerichtsbezirk Aschaffenburg eine ständige und gefestigte Rechtsprechung dahingehend, dass die Schwacke Liste – neben weiteren grundsätzlichen geeigneten Schätzgrundlagen – als Geschäftsgrundlage geeignet und zugrundezulegen ist. c)
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Es bestand für das Gericht keine Veranlassung, dem „Fraunhofer – Mietpreisspiegel“ gegenüber der hier gültigen Schwacke Liste 2019 den Vorzug zu geben. Von der Beklagten wurden vorliegend konkret keine konkreten Tatsachen zu Mängeln der betreffenden Schätzgrundlagen aufgezeigt, die sich auf den zu entscheidenden Fall ausgewirkt hätten. Dass andere Gerichte als Schätzgrundlagen im Rahmen des § 287 ZPO (auch) den „Fraunhofer – Mietpreisspiegel“ oder ein Mittelwert bei der Markterhebungen heranziehen, steht der dargestellten grundsätzlichen Ermessensausübung durch das erkennende Gericht nicht entgegen, weil damit keinesfalls festgestellt ist, dass die Schwacke Liste nicht weiter eine geeignete Schätzgrundlagen im Sinne des § 287 ZPO darstellt.
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d) Bedenken gegen die Schwacke-Liste sind nur dann zu berücksichtigen, wenn konkret aufgezeigt wird, dass sich ihre Mängel auf den zu entscheidenden Fall auswirken (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2012 – VI ZR 316/11, NJW 2013, 1539, 1540; OLG Bamberg, Urteil vom 04.08.2015 – 5 U 272/14, NZV 2016, 380, 381). Die Anwendung der Listen begegnet demzufolge nur dann Bedenken, wenn die Parteien deutlich günstigere bzw. ungünstigere Angebote anderer Anbieter für den konkreten Zeitraum am Ort der Anmietung aufzeigen (Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 03.02.2020 – (110) 1 O 396/18 –, juris).
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Die von der Beklagten gegen die Schwacke Liste erhobenen Einwendungen wiegen nicht so schwer, dass diesem die generelle Eignung als Schätzgrundlagen abgesprochen werden müsste. Im Gegenteil werden auch gegen die Erhebungen des Fraunhofer Instituts vielfach nicht von der Hand zu weisende Einwendungen erhoben, welche nach Einschätzung des erkennenden Gerichts mindestens ebenso schwerwiegend, wie die Vorbehalte gegen die Schwacke Liste.
33
Bei den beklagtenseits vorgelegten Internetangeboten („Screenshots“) handelt es sich zum einen nicht um tatsächliche Angebote, sondern nur um eine invitatio ad offerendum. Zum anderen geben die beklagtenseits vorgelegten Angebote die tatsächliche Anmietsituation nicht zutreffend wieder. Internetangebote gehen von einer festen im Vorhinein genannten Anmietdauer aus, was bei einer Ersatzanmietung nach einem Unfall nicht der Fall ist. Hier im konkreten Fall hing die Anmietdauer von der Regulierung durch die Beklagte ab, um dem Kläger finanzielle Mittel zur Ersatzbeschaffung zur Verfügung zu stellen.
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Eine repräsentative Darstellung der zum Anmeldezeitpunkt zur Verfügung stehenden Angebote, aus der sich ein Normaltarif ermitteln ließe, stellen die Internetangebote mitunter nicht dar. Insofern ist der Vortrag der Beklagten nicht ausreichend, um Bedenken gegen die Geeignetheit der Schätzgrundlage zu begründen.
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e) Nach der Schwacke Liste 2019 ergeben sich folgende zu erstattende Kosten. Auf der Grundlage des Postleitzahlengebiets … für den Wohnort des Geschädigten und der unstreitig vorliegenden Mietwagenklasse 1 ergeben sich folgende Werte für den angemieteten Zeitraum 07.05.2019 bis 08.07.2019.
9 x Wochenpauschale arithmet. Mittel 476,00 € 3.808,00 €
63 x 18,22 € Nebenkosten 1.147,86 € Gesamt 5.431,86 €
abzüglich 10 Prozent Eigenersparnis (543,19 €) = 4.888,67 €
abzüglich bereits erstatteter Mietwagenkosten iHv 443,70 € = 4.444,97 €
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f) Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des Klägers liegt nicht vor.
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Der angemietete Zeitraum vom 07.05.2019 bis 08.07.2019 ist vollumfänglich zugrunde zu legen.
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Der Geschädigte ist nicht zur Vorfinanzierung des Kaufpreises eines gleichwertigen Ersatzfahrzeuges verpflichtet. Vielmehr ist es Sache des Schädigers, den zur Beseitigung des Schadens erforderlichen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, und zwar grundsätzlich sofort bzw. allenfalls nach Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist. Dies jedenfalls dann, wenn der Geschädigte den einstandspflichtigen Schadensregulierer darauf hinweist, keine eignen Barmittel inne zu haben und erklärt, dass er das angemietete Fahrzeug bis zur endgültigen Regulierung nutzen würde (OLG Köln, Urt. V. 20.03.2012, Az. 15 U 170/11, NJW-RR 2012, 1113)
39
So liegt der Fall hier.
40
Zunächst sind die engen finanziellen Möglichkeit des Klägers unter Vorlage des Kontoauszugs vom 08.05.2019 (Anlage K 13, Bl.78 d.A.) substantiiert und durch glaubhafte Angaben des Klägers im Rahmen der informatorischen Anhörung vom 10.01.2022 (Bl. 77 d.A.) bestätigt worden.
41
Mit Datum vom 14.05.2019 ist das private Schadensgutachten der DEKRA (Anlage K 2, Bl. 7 ff. d. A.) erstellt worden, das einen Totalschaden feststellt und für die Dauer der Ersatzbeschaffung 11 Tage ansetzt. Bereits mit Email vom 22.05.2022 (Anlage K6, Bl. 22 d. A.) wurde die beklagten Seite darauf hingewiesen, dass eine Vorfinanzierung eines Ersatzfahrzeuges nicht möglich sei. Dieser Hinweis wurde wiederholt in der Email vom 06.06.2019 (Anlage K7, Bl. 23 d. A.). Eine Reaktion erfolgte durch die Beklagte nicht.
42
Nachdem eine Regulierung durch den Beklagten am 02.07.2019 erfolgt ist, hat der Kläger ein Ersatzfahrzeug am 08.07.2019 zugelassen und damit zeitnah nach der durch die Beklagte erfolgte Regulierung.
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Eine abweichende Bewertung rechtfertigt sich – entgegen des Vortrags der Beklagten – auch nicht daraus, dass die Mietwagenkosten den Regulierungsbetrag um ein Vielfaches übersteigen. Maßgeblich ist, dass der Kläger die Beklagte in der oben ausgeführten Weise unmittelbar über das hohe Kostenrisiko der Mietwagenkosten informiert hat. Das Kostenrisiko war der Beklagten daher bekannt.
44
Der Kläger hat mithin einen Anspruch auf Zahlung von Mietwagenkosten in Höhe von 4.444,97 € (brutto).
45
II. Weiterhin sind die beantragten Abschleppkosten in Höhe 309,40 € (brutto) zuzusprechen, da dies nicht substantiiert bestritten wurden.
46
Der Einwand der Beklagtenseite, diese seien nicht schlüssig dargetan, da sich aus dem Privatgutachten der DEKRA nicht ergebe, dass das Fahrzeug nicht mehr fahrtüchtig sei und man vor dem Hintergrund des Schadensbildes von einer Fahrfähigkeit des Fahrzeugs ausgehen könne, geht ins Leere. Ausweislich Seite 5 des zuvor genannte Privatgutachtens (Blatt 11 d.A.) ist unter „Verkehrssicherheit“ vermerkt „Bezogen auf den gegenständlichen Schaden ist keine Fahrfähigkeit gegeben“.
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Darüber hinaus waren die beantragten Zulassungskosten in Höhe von 142,80 € (brutto) zusprechen.
48
Entgegen des Einwands der Beklagten hat die Klägerin die Rechnung vom 09.07.2021 (Anlage K1, Blatt 6 d. A.) vorgelegt. Dort befindet sich unter der Ordnungsnummer 4 der geltend gemachte Nettobetrag in Höhe von 120,00 €. Brutto ergibt sodann der eingeklagte Betrag von 142,80 €. Im Übrigen erfolgt das Bestreiten der Beklagten hinsichtlich der erfolgten Ersatzbeschaffung des Klägers ins Blaue hinein. Das Gericht ist von der Ersatzbeschaffung aufgrund der Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil I überzeugt, da das dort benannte Fahrzeug am 08.07.2019 zugelassen wurde und dies in den im Übrigen unstreitigen Sachverhalt widerspruchsfrei einordenbar ist.
49
Im Ergebnis waren dem Kläger daher insgesamt 4.897,17 € als Hauptforderung zuzusprechen.
50
III. 1. Die Nebenforderungen in Form der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten waren unter Zugrundelegung des Gegensatndwertes von 6461,66 € (1.564,49 € als durch die Beklagte bereits regulierter Betrag + 4.897,17 €) in Höhe von 448,63 € (brutto) zuzusprechen. Dies ergibt sich aus folgender Berechnung unter Zugrundelegung des RVG Stand 2019: Geschäftsgebühr Nr. 2300, 1008 VV RVG: 1,3.526,50 € Auslagen Nr. 7001 u. 7002 VV RVG: 20,00 € MwSt. 19% 103,84 € Summe außergerichtliche Kosten: 650,34 € Hiervon sind die bereits durch die Beklagte auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gezahlten 201,71 € abzuziehen, so dass sich der tenorierte Betrag ergibt.
51
2. Die Hauptforderung, die zugesprochen wurde, und Nebenforderung in Form der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten waren ab dem 27.07.2019 aufgrund des Verzugs der Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB zu verzinsen, da der Klägervertreter mit E-Mail vom 15.07.2019 Anlage K 11, Blatt 29 der Akten) die Beklagte zur Zahlung mit Fristsetzung bis zum 26.07.2019 aufgefordert hatte.
52
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
53
IV. Die Verurteilung erfolgte als Zahlungsanspruch im Sinne des § 250 BGB. Die Regulierung der Beklagten und damit verbundene Korrespondenz ist als ernsthafte Verweigerung weiterer Zahlungen zu verstehen, so dass der Freistellungsanspruch – ohne weitere gesonderte Fristsetzung – in einen Zahlungsanspruch übergegangen ist (Grüneberg in Palandt, 81. Aufl. 2022, § 250 BGB Rn. 2).
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S.2 ZPO.