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Truppendienstgericht Süd München, Beschluss v. 24.11.2022 – TDG S 5 VL 19/22
Titel:

Einstellung eines Disziplinarverfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses – keine wirksame Zustellung der Einleitungsverfügung

Normenkette:
WDO § 5, § 93 Abs. 3 S. 1, § 108 Abs. 3 S. 1
Leitsatz:
Unter den Begriff eines Verfahrenshindernisses iSv § 108 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WDO fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern. Dazu zählen neben schweren, nicht auf andere Weise heilbaren Mängeln des Verfahrens auch fehlende allgemeine Verfahrensvoraussetzungen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldat, Wehrdienstverhältnis, Einleitungsverfügung, Verfahrenshindernis, Einstellung, Zustellung
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 03.03.2023 – 2 WDB 12.22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 46024

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I.
1
Der frühere Soldat schied nach Ablauf seiner festgesetzten Dienstzeit am 31. Dezember 2021 aus dem aktiven Wehrdienstverhältnis aus, zuletzt war er Angehöriger der 4. Kompanie des Panzergrenadierbataillons C in D.
2
Nach entsprechenden Vorermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft hält der Kommandeur der X. Panzerdivision als zuständige Einleitungsbehörde mit Einleitungsverfügung vom 10. Dezember 2021 den früheren Soldaten für hinreichend verdächtig, in der E-Kaserne unter anderem unerlaubt Betäubungsmittel konsumiert, aufbewahrt und an Kameraden weiter gegeben zu haben.
3
Die Einleitungsverfügung wurde am 29. Dezember 2021 durch einen beauftragten Offizier der Mutter des früheren Soldaten ausgehändigt. Das zugehörige „Empfangsbekenntnis“ enthält neben der genauen Bezeichnung der Verfügung und den Absenderangaben der Wehrdisziplinaranwaltschaft nur das Aushändigungsdatum ohne Ortsangabe und unmittelbar neben der voreingetragenen Angabe „OStGefr A“ die handschriftliche Unterschrift „i.A. F.A“.
4
Die Anschuldigungsschrift ging am 14. November 2022 bei Gericht ein.
II.
5
Das Verfahren ist gemäß § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO wegen eines bestehenden Verfahrenshindernisses einzustellen. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung durch den Vorsitzenden der Truppendienstkammer (§ 108 Abs. 4 i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 2 WDO).
6
Unter den Begriff eines Verfahrenshindernisses im Sinne von § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 WDO fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen, also diese verhindern. Dazu zählen neben schweren, nicht auf andere Weise heilbaren Mängeln des Verfahrens auch fehlende allgemeine Verfahrensvoraussetzungen. Bei Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens müssen alle Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach dem Gesetz die disziplinare Verfolgung des Soldaten und des Dienstvergehens zulässig ist. Dazu gehört eine wirksame Einleitungsverfügung, die als Prozesshandlung Bestandteil eines einheitlichen, gesetzlich geregelten Verfahrens ist.
7
Das Verfahren ist nicht wirksam eingeleitet worden.
8
Nach der Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 3 WDO wird die Einleitung mit der Zustellung an den Soldaten wirksam.
9
Diese Zustellung kann nur nach Maßgabe des § 5 WDO bewirkt werden, demnach ist die Einleitungsverfügung vom 10. Dezember 2021 dem früheren Soldaten nicht zugestellt worden.
10
Übergeben wurde die Einleitungsverfügung der Mutter des früheren Soldaten, nicht aber, wie § 5 Abs. 1 Nr. 1 WDO verlangt, dem früheren Soldaten als ihrem Empfänger.
11
Mit dieser – nach § 5 Abs. 2 Satz 1 WDO ausgeführten – Übergabe wurde auch keine Zustellung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 WDO i.V.m. §§ 166 ff. ZPO, hier dem allein einschlägigen § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, bewirkt: § 182 Abs. 1 ZPO erfordert als Nachweis der Zustellung nach § 178 ZPO eine formularmäßig angefertigte Urkunde, deren Inhalt § 182 Abs. 2 ZPO entspricht. Das am 29. Dezember 2021 unterzeichnete „Empfangsbekenntnis“ genügt den Anforderungen des § 182 Abs. 2 ZPO nicht, weil darauf der Grund für die Aushändigung an die Mutter nicht angegeben ist (§ 182 Abs. 2 Nr. 4 ZPO), ebenso wenig wie der Vermerk nach Nr. 6, Ort und Uhrzeit der Zustellung (Nr. 7) und die nach Nr. 8 erforderlichen Angaben.
12
Der Zustellungsmangel ist auch nicht nach § 5 Abs. 3 WDO geheilt worden, weil kein Nachweis darüber vorliegt, dass die Einleitungsverfügung dem früheren Soldaten tatsächlich zugegangen wäre. Soweit die Wehrdisziplinaranwaltschaft dazu auf den Aktenvermerk vom 11. April 2022 abstellt, ergibt sich hieraus insoweit nur die Mitbewohnerschaft der Mutter zum Zeitpunkt der Aushändigung an sie (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Auch die E-Mail des früheren Soldaten vom 7. März 2022 weist nicht eindeutig nach, dass er die Einleitungsverfügung tatsächlich erhalten hat: Selbst wenn es sich bei dem darin erwähnten „ihr Schreiben“ um die Einleitungsverfügung gehandelt haben sollte und sich erst der weitere Text unter „Hier die von Ihnen geforderten Daten…“ auf das Anforderungsschreiben vom 16. Februar 2020 bezog, lassen die Formulierungen auch den Schluss zu, „ihr Schreiben“ beziehe sich auf dasjenige vom 16. Februar 2022 und der frühere Soldat erkläre unter Verwendung dieser Worte eingangs der E-Mail den Grund für dessen verzögerte Beantwortung.
13
Ein anderer Nachweis darüber, dass die Einleitungsverfügung dem früheren Soldaten tatsächlich zugegangen ist, ist nicht aktenkundig.
14
Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie ihm nicht zugestellt wurde.
15
Die neuerliche Einleitung wegen dieses Sachverhalts bleibt unbenommen.
III.
16
Die Kostenentscheidung folgt aus § 138 Abs. 3 Alt. 2 WDO.
17
Gemäß § 140 Abs. 7 Nr. 2 WDO wurde davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des früheren Soldaten dem Bund aufzuerlegen: Bei hypothetischer Betrachtung und unter der Annahme, das genannte Verfahrenshindernis bestünde nicht, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung des früheren Soldaten, nämlich wegen der Anschuldigungspunkte 1 und 2, gekommen (Dau/ Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 140 Rn. 23; wohingegen der Einbeziehung der Punkte 3 und 4 in eine Verurteilung die jeweilige strafgerichtliche Entscheidung entgegengestanden hätte, BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2006 – 2 WD 13.05 – juris LS 3, Rn. 96 ff).