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BayObLG, Beschluss v. 19.09.2022 – 203 StRR 358/22
Titel:

Rechtsfehlerhafte Verurteilung wegen Steuerhinterziehung – Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf von Anteilen an einer GmbH kann ausnahmsweise zu Einkünften aus selbstständiger Arbeit führen

Normenketten:
AO § 370
EStG § 18
StGB § 16 Abs. 1
Leitsatz:
Eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung setzt voraus, dass sich der Tatrichter mit den Hintergründen der Veräußerung eines Anteils an der GmbH auseinandersetzt, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf von Anteilen an einer GmbH ausnahmsweise zu Einkünften aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 EStG führt und sich der Angeklagte auf das Zuflussprinzip beruft. (Rn. 4 – 6)
Schlagworte:
Steuerhinterziehung, Veräußerungsgewinn, Verkauf von Anteilen an einer GmbH, Einkünfte aus selbständiger Arbeit, Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Zuflussprinzip, Tatbestandsirrtum
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 04.05.2022 – 12 Ns 508 Js 2272/20
AG Nürnberg vom -- – 46 Ls 508 Js 2272/20
Fundstellen:
LSK 2022, 46006
wistra 2023, 304
BeckRS 2022, 46006

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten Dr. L… wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg – Fürth vom 4. Mai 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten am 19. Oktober 2021 wegen Steuerhinterziehung unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen mit der Maßgabe, dass die Einziehungsanordnung entfällt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 2. August 2022 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
2
Die Revision ist zulässig und begründet. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
3
1. Der Angeklagte, von Beruf Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, ermittelte seine Gewinne durch Einnahmen-Überschussrechnung. Mit notariellem Vertrag vom 5. Dezember 2016 veräußerte er – neben weiteren Gesellschaftern – seinen Gesellschaftsanteil an der H… GmbH zu einem Kaufpreis von 687.500 Euro und trat den Anteil mit sofortiger dinglicher Wirkung an den Erwerber ab. Den Anteil im Nennwert von 8000.- Euro am Stammkapital von 428.000 Euro hatte er im Jahr 2011 für 10.000.- Euro „übernommen“. Der dem Angeklagten zustehende Kaufpreis wurde entsprechend der vertraglichen Regelung am 11. Januar 2017 auf das Konto des Angeklagten überwiesen. Die neue Gesellschafterliste wurde am 23. Dezember 2016 in den Registerordner der H… GmbH aufgenommen. Nach den Feststellungen des Landgerichts wusste der Angeklagte um die Erklärungspflicht für das Veranlagungsjahr 2016, sah jedoch bewusst davon ab, den Veräußerungserlös in der von ihm am 15. Februar 2018 beim Finanzamt eingereichten Einkommenssteuererklärung anzugeben.
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2. Die Feststellungen der Strafkammer tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung nicht. Denn das Landgericht hat übersehen, dass es steuerrechtlich nicht ausgeschlossen ist, dass ein Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf von Anteilen an einer GmbH zu Einkünften aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 EStG führt, wenn der Erwerb der Beteiligung durch die selbständige Beratungsleistung des Steuerpflichtigen veranlasst worden ist und die Beteiligung nicht als Geldgeschäft, sondern als Hilfsgeschäft zu der selbständigen Beratungstätigkeit einzuordnen ist.
5
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) kann der Erlös aus der Veräußerung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft auch als Betriebseinnahme aus einer freiberuflichen Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG anzusehen sein, wenn die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft betrieblich veranlasst war und deshalb zum Betriebsvermögen gehört (BFH, Urteile vom 1. Dezember 2020 – VIII R 21/17 –, BFHE 271, 482, BStBl II 2021, 609, vom 26. Januar 2011 – VIII R 19/08, BFH/NV 2011, 1311, und vom 23. Mai 1985 – IV R 198/83, BFHE 144, 53, BStBl II 1985, 517; vgl. auch BFH-Beschluss vom 25. März 2008 – VIII B 122/07, BFH/NV 2008, 1317). Das ist grundsätzlich der Fall, wenn die Beteiligung dazu bestimmt ist, die betriebliche Betätigung entscheidend zu fördern, oder dazu dient, den Absatz von Produkten zu gewährleisten (vgl. BFH-Urteile vom 31. Mai 2001 – IV R 49/00, BFHE 195, 386, BStBl II 2001, 828; vom 26. April 2001 – IV R 14/00, BFHE 195, 290, BStBl II 2001, 798, und vom 12. Juni 2019 – X R 38/17, BFHE 265, 182, BStBl II 2019, 518). Liegen diese Voraussetzungen vor, kann eine Zuordnung zum Betriebsvermögen auch dann erfolgen, wenn der Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt wird (BFH-Urteil vom 02. Oktober 2003 – IV R 13/03, BFHE 203, 373, BStBl II 2004, 985). Zwar können nach der Rechtsprechung des BFH Geldgeschäfte – zu denen auch die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zählt – von Angehörigen eines freien Berufs nur in Ausnahmefällen in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der freiberuflichen Betätigung stehen und damit als betrieblich veranlasst angesehen werden; im Einzelfall kann sich gleichwohl ergeben, dass die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft als Hilfstätigkeit zur freiberuflichen Tätigkeit anzusehen ist (BFH, Urteil vom 1. Dezember 2020 – VIII R 21/17 –, BFHE 271, 482, BStBl II 2021, 609, juris Rn. 28). Sollte der Steuerpflichtige im Zuge des Verkaufs eine nicht marktübliche, erhöhte Rendite erzielt haben, könnte dies für eine Vergütung oder eine Bonuszahlung für eine steuerliche Beratung sprechen und zu Einkünften aus selbständiger Tätigkeit führen, für die das Zuflußprinzip gilt. Nach § 41 Abs. 2 Satz 2 AO ist für die Besteuerung das tatsächlich verdeckte Geschäft maßgeblich.
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b) Gemessen daran genügen die Feststellungen des Landgerichts nicht, um einen möglichen Veranlassungszusammenhang des erzielten Veräußerungserlöses mit der selbständigen Tätigkeit zu prüfen. Erforderlich wären nähere Ausführungen zum Hintergrund des Erwerbs und der Veräußerung des Anteils sowie zu der vom Angeklagten behaupteten Beratertätigkeit für die G… AG S…, zumal nach den Feststellungen des Landgerichts auch das Finanzgericht nach einer summarischen Prüfung nicht eindeutig festgestellt hat, in welchem Jahr und in welcher Höhe der Veräußerungsgewinn angefallen und nach § 17 EStG anzusetzen war (Urteil S. 16).
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3. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite des Angeklagten erweist sich ebenfalls als lückenhaft, da sich das Landgericht nicht hinreichend mit den für die Feststellung des Vorsatzes wesentlichen Umständen auseinandergesetzt hat.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter bezogen auf den Veranlagungszeitraum den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will oder dessen Verkürzung billigend in Kauf nimmt; bedingter Vorsatz genügt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH, Urteile vom 24. Juli 2018 – 1 StR 331/17-, juris Rn. 14; vom 10. Januar 2019 – 1 StR 347/18-, juris Rn. 20 ff.; vom 10. Juli 2019 – 1 StR 265/18-, juris Rn. 30). Hält der Angeklagte hingegen die Existenz eines Steueranspruchs für möglich und lässt er die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen gleichwohl in Unkenntnis, findet er sich also mit der Möglichkeit der Steuerverkürzung ab, handelt er mit bedingtem Vorsatz (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11-, juris Rn. 26). Insoweit ist das Vorstellungsbild des Täters entscheidend. Die Prüfung der Frage, ob ein Tatbestandsirrtum bestanden hat, bedarf einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Täters von Bedeutung waren (BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 – 1 StR 347/18 –, juris Rn. 22).
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b) An dieser Vorgabe gemessen hat das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er sei davon ausgegangen, dass für die Erklärungspflicht das Zuflussprinzip gelte und der Vorgang erst für den Veranlagungszeitraum 2017 zu erklären gewesen wäre, mit einer nicht tragfähigen Begründung ausgeschlossen.
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aa) Die Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte hätte aufgrund seines Berufes gewusst, in welchen Veranlagungszeitraum der Kauf fiele, da es sich um einen „schlichten Anteilsverkauf“ gehandelt hätte, trägt nicht. Das Landgericht hat es insoweit bereits versäumt, die entgegen der Empfehlung des beurkundenden Notars (vgl. § 2 Nr. 2 des notariellen Kaufvertrags) von den Parteien gewählte vertragliche Gestaltung in § 2 Nr. 1 des notariellen Kaufvertrags vom 5. Dezember 2016 zu erörtern, wonach die Übertragung und Abtretung der Geschäftsanteile jeweils mit sofortiger dinglicher Wirkung erfolgen sollten, der dem Angeklagten zu zahlende Kaufpreis jedoch erst im Jahr 2017 zur Zahlung fällig sein sollte (vgl. auch § 4 Nr. 1a des Kaufvertrags „Fälligkeit heute, zahlbar bis 10.01.2017“). Dieser Aspekt könnte für das vom Angeklagten behauptete Vorstellungsbild zum Zuflussprinzip von Bedeutung sein und für seine Einlassung sprechen. Hierbei spielt wiederum eine maßgebliche Rolle, dass die Strafkammer keine Feststellungen zu den Hintergründen des Anteilserwerbs und der Anteilsveräußerung getroffen hat. Standen der Erwerb der Beteiligung und die Veräußerung aus der damaligen Sicht des Angeklagten mit seiner Beratungsleistung im Zusammenhang, wäre die von ihm behauptete Rechtsauffassung, er sei von der Steuerbarkeit des Vorgangs im Jahr 2017 ausgegangen, jedenfalls vor der Entscheidung des Bundesfinanzhofes im Jahr 2020 nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen (vgl. etwa Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2017 – 8 K 4018/14 –, juris dort Rn. 30 zur Anwendung des Zuflussprinzips auf eine Veräußerung von Anteilen an einer Holding von Seiten einer Steuerfahndungsstelle). Die Angabe des Angeklagten in der Klageschrift vom 8. März 2019, er hätte den „Kauf der Firma H… GmbH“ abgewickelt (Urteil S. 9), durfte daher nicht unerörtert bleiben. Denn die Höhe des Kaufpreises für den Anteil an der H… GmbH könnte – wie vom Angeklagten angezeigt – mit der Honorierung der Beratertätigkeit für die Veräußerung des Unternehmens im ganzen im Zusammenhang stehen, zumal sein Vorbringen korrespondiert mit seinen Angaben vom 3. Mai 2019 gegenüber der BuStra, seinen Angaben vom 26. Mai. 2019 in seinem Einspruch und seinen Angaben in seinem Schreiben vom 27. Juni 2019 „Die Vergütung für diesen gesamten (Hervorhebung durch Verf.) Vorgang lag im Verkauf der Geschäftsanteile“ (Urteil S. 10).
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bb) Entgegen der Annahme des Landgerichts lässt sich gegenteiliges auch nicht aus der schriftlichen Verteidigererklärung und der Steuererklärung für das Jahr 2017 ableiten. Denn zu den jeweiligen Zeitpunkten der Erklärungen vertrat das Finanzamt gegenüber dem Angeklagten die Rechtsauffassung, dass der Vorgang im Jahr 2016 steuerlich zu erfassen war, und hatte den Bescheid bereits abgeändert.
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cc) Der Argumentation des Landgerichts, der Angeklagte hätte durch die aktive Anzeige des vereinnahmten Betrags gegenüber dem Finanzamt am 8. März 2019 im finanzgerichtlichen Verfahren die Zahlung für das Steuerjahr 2016 „aus der Schusslinie“ gebracht, vermag der Senat nicht zu folgen. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall.
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dd) Schließlich fehlen auch Feststellungen zu den Veräußerungskosten, die den Veräußerungsgewinn mindern. Ob und wann der Angeklagte derartige Kosten geltend gemacht hat, kann ebenfalls eine Rolle spielen für die Beurteilung der Einlassung des Angeklagten.
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Die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Angeklagte hätte inexistente Einkünfte aus Beratung nur erfunden und vorgespiegelt, weil er gewusst hätte, dass die Einkünfte aus der Anteilsveräußerung im Jahr 2016 zu besteuern wären, überzeugt daher nicht. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.