Titel:
Vollzugsrecht – Abgrenzung der Behandlung von Schreiben und Paketen nach BayStVollzG
Normenketten:
BayStVollzG Art. 31, Art. 36
StVollzG § 116, § 119
Leitsätze:
1. Für die Abgrenzung, ob es sich um ein Schreiben im Sinne von Art. 31 Abs. 1 BayStVollzG oder ein Paket nach Art. 36 BayStVollzG handelt, ist nicht die postalische Bezeichnung, sondern der Inhalt maßgebend. (Rn. 13)
2. Beilagen eines Schreibens stellen somit grundsätzlich ein Paket im Sinne des Art. 36 BayStVollzG dar, sofern sie umfangreich oder nicht durch inhaltliche Bezugnahme in den Gedankenaustausch eingebunden sind. (Rn. 13)
3. Der Empfang eines Pakets bedarf nach der ausdrücklichen Regelung in Art. 36 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG der vorherigen Erlaubnis der Anstalt. Fehlt diese, so ist dies für die Anstalt ein zureichender Grund, die Annahme des Pakets zu verweigern. (Rn. 17)
Schlagworte:
Paket, Schreiben, Erlaubnis, Beilage, Annahme
Vorinstanz:
LG Landshut, Beschluss vom 28.04.2022 – 5 StVK 131/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45994
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen K… gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landshut vom 28. April 2022 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
2. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 150 EUR festgesetzt.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren und auf Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.
Gründe
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Im Ausgangsverfahren 5 StVK 131/22 beantragte der Strafgefangene
(1.) die Feststellung der Rechtswidrigkeit im Rahmen des am 01.02.2022 erhaltenen Schreibens von Herrn R… betreffend Weiterleitung von Schreiben, Anhalten von Schreiben, Kuvert des Schreibens und unerlaubte Briefbeilagen;
(2.) die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, ihm sowohl das Kuvert des Schreibens wie auch die Briefbeilagen wie folgt auszuhändigen: Heftung § 84 Durchsuchung, Heftung Verlegung, Auszug B… § 102, Heftung „Tipps für Gefangene und Angehörige“, Heftung Rechtsbeugung nur S. 1 bis 5.
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Er beanstandet, dass ihm das Schreiben vom 25.01.2022 erst am 01.02.2022 ausgehändigt worden sei und er auch über eine vermutete Anhaltung dieses Schreibens (Art. 34 BayStVollzG) nicht informiert worden sei, und dass ihm das Kuvert dieses Schreibens und die Briefbeilagen nicht ausgehändigt worden seien.
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Die Justizvollzugsanstalt führte hierzu aus, dass das Schreiben am 28.01.2022 angehalten worden sei; hierbei seien dem Antragsteller die Beilagen nicht ausgehändigt worden. Der Gefangene habe sich schriftlich (Unterschrift vom 01.02.2022) damit einverstanden erklärt, dass diese Heftungen und das Kuvert zu seiner Habe gegeben werden. Am 08.02.2022 habe er die Herausgabe des Kuverts beantragt. Die Aushändigung des Kuverts sei nach Überprüfung der Briefmarken genehmigt worden. Als ein Bediensteter dieses am 09.03.2022 dem Antragsteller habe aushändigen wollen, habe es der Antragsteller nicht angenommen, da das „eh schon über´s Gericht“ laufe.
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Nach Einholung mehrerer Stellungnahmen des Beschwerdeführers hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 28.04.2022 die (in den konkludent verbundenen Ausgangsverfahren 5 StVK 131/22 und 5 StVK 259/22 gestellten) Anträge auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Gegen diesen ihm am 04.05.2022 zugestellten Beschluss hat der Strafgefangene am 20.05.2022 zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Landgerichts Landshut Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Verfahrens 5 StVK 131/22 eingelegt und ausdrücklich erklärt, dass im Verfahren 5 StVK 259/22 keine Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
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Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Schreiben vom 29.06.2022 die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde als unzulässig beantragt.
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1. Die Rechtsbeschwerde war als unzulässig zu verwerfen, da die Nachprüfung der angegriffenen Entscheidung weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1, § 119 Abs. 3 StVollzG) und keine elementaren Verfahrensgrundrechte verletzt wurden.
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2. Unabhängig hiervon hätte die Rechtsbeschwerde auch in der Sache keinen Erfolg gehabt.
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Die Zurückweisung der Anträge des Beschwerdeführers durch die Strafvollstreckungskammer ist rechtlich nicht zu beanstanden:
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a) Ebenso wie die Strafvollstreckungskammer sieht der Senat in der Aushändigung des Schreibens vom 25.01.2022 am 01.02.2022 keine rechtswidrige Verzögerung, da dessen Inhalt am 28.01.2022 (einem Freitag) geprüft und dieses sodann angehalten wurde, worüber der Beschwerdeführer am 01.02.2022 (einem Montag) informiert wurde.
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b) Soweit der Beschwerdeführer die Herausgabe des Kuverts beantragt, ist die Justizvollzugsanstalt laut ihrer Stellungnahme vom 01.04.2022 diesem Verlangen am 09.03.2022 nachgekommen. Dem ist der Beschwerdeführer nicht entgegengetreten. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer das Kuvert nicht habe annehmen wollen, ändert hieran nichts.
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c) Die Nichtherausgabe der Briefbeigaben an den Antragsteller und deren Hinzunahme zu seiner Habe ist unabhängig davon, ob sich der Beschwerdeführer hiermit unterschriftlich am 01.02.2022 einverstanden erklärt hat, rechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Die Justizvollzugsanstalt hat die Zusendung an den Gefangenen als „Paket“ gemäß Art. 36 Abs. 1 BayStVollzG qualifiziert. Die Strafvollstreckungskammer ist dem in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gefolgt.
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Der unbeschränkte Anspruch auf Schriftwechsel nach Art. 31 Abs. 1 BayStVollzG bezieht sich allein auf den individuellen schriftlichen Gedankenaustausch mit anderen Personen. Für die Abgrenzung, ob es sich um ein Schreiben im Sinne von Art. 31 Abs. 1 BayStVollzG oder ein Paket nach Art. 36 BayStVollzG handelt, ist nicht die postalische Bezeichnung, sondern der Inhalt maßgebend. Beilagen eines Schreibens stellen somit grundsätzlich ein Paket im Sinne des Art. 36 BayStVollzG dar, sofern sie umfangreich sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 02.04.2008 – 2 BvR 2173/07, BVerfGK 13, 430 = NStZ 2008, 680, Nr. 11 bei Roth, juris Rn. 1) oder nicht durch inhaltliche Bezugnahme in den Gedankenaustausch eingebunden sind (vgl. KG, Beschluss vom 14.12.2006 – 5 Ws 480/06 Vollz, NStZ-RR 2007, 125, juris Rn. 15 f. m.w.N.; OLG München, Beschluss vom 04.09.2018 – 5 Ws 14/18 (R), juris Rn. 23; OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.09.2008 – 2 Ws 433/08, NStZ 2009, 216, juris Rn. 15; Arloth, in: Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 28 StVollzG Rn. 3 m.w.N.; Knauer, in: Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., § 37 LandesR, Rn. 3). So sind in Schnellheftern gesammeltes Schriftmaterial, Werbe- und Informationsmaterial, Internetausdrucke, auf Papier ausgedruckte Fotos oder politische Aufkleber in der Regel ein Paket (vgl. Arloth, in: Arloth/Krä, a.a.O., § 28 StVollzG Rn. 3 m. jeweils weiteren Nachweisen zur Rspr.).
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Um einen solchen Fall handelt es sich hier bei den dem Antragsteller zugesandten verschiedenen Heftungen, bei denen es sich laut der Stellungnahme der Anstalt um Kopien von Gesetzestexten und um Computerausdrucke handelt.
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Der Beschwerdeführer hat in seinem Antragsschreiben vom 13.02.2022 die Beilagen als Heftungen zu verschiedenen Themen (s. im Einzelnen oben unter I.) bezeichnet, ohne konkret darzulegen, dass diese Heftungen durch inhaltliche Bezugnahme in den Gedankenaustausch des Schreibens vom 25.01.2022 eingebunden sind. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass es sich laut Vorbringen des Beschwerdeführers um die Zurücksendung von Unterlagen gehandelt habe, die dieser vor Jahren dem Strafgefangenen R… übermittelt hatte. Zur Erfüllung dieser ihm gemäß § 109 Abs. 2 StVollzG obliegenden Darlegungspflicht (vgl. Arloth, in: Arloth/Krä, a.a.O., § 109 StVollzG Rn. 13) genügt es nicht, auf das zu den Akten gelangte Schreiben des Strafgefangenen R… vom 28.03.2022 Bezug zu nehmen, aus dem sich im Übrigen ebenfalls keine konkreten inhaltlichen Bezugnahmen ergeben, oder die Beiziehung des Schreibens vom 25.01.2022 zu beantragen.
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bb) Der Empfang eines Pakets bedarf nach der ausdrücklichen Regelung in Art. 36 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG der vorherigen Erlaubnis der Anstalt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 01.06.2021 – 203 StObWs 183/21, nicht veröffentlicht; OLG München, Beschluss vom 04.09.2018 – 5 Ws 14/18 (R), juris Rn. 23; OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.09.2008 – 2 Ws 433/08, NStZ 2009, 216, juris Rn. 15; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 17. Ed. 1.10.2022, BayStVollzG Art. 36 Rn. 2; Arloth, in: Arloth/Krä a.a.O, Art. 36 BayStVollzG Rn. 1; Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. E Rn. 114; Knauer, in: Feest/Lesting/ Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil II § 48 LandesR, Rn. 6; Dessecker/Schwind in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 9. Kap., Abschn. E Rn. 3).
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(1.) Fehlt für den Empfang des Pakets die erforderliche Erlaubnis, so ist dies für die Anstalt ein zureichender Grund, die Annahme des Pakets zu verweigern (vgl. Dessecker/Schwind in: Schwind/Böhm/ Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 9. Kapitel, Abschn. E Rn. 3; so auch für Pakete, deren Empfang nicht zugelassen ist, Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. E Rn. 112). Pakete, die ohne die vorherige Erlaubnis eingehen, können somit ungeöffnet an den Absender zurückgesandt werden (Arloth, in: Arloth/Krä, a.a.O., Art. 36 BayStVollzG Rn. 1; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 17. Ed. 1.10.2022, Art. 36 BayStVollzG Rn. 2). Ein Anspruch auf Aushändigung des Pakets besteht nur, wenn Inhalt und Absender genehmigt sind (vgl. Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O., Abschn. E Rn. 112).
18
Eine solche vorherige Erlaubnis hat der Antragsteller nicht beantragt. Ein möglicher Sonderfall, in dem ausnahmsweise ein Anspruch des Antragstellers auf Prüfung der Anstalt, ob eine nachträgliche Genehmigung zu erteilen ist, in Betracht käme, liegt nicht vor. Es ist damit nicht zu beanstanden, dass diese Beilagen zur Habe des Gefangenen genommen wurden.
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(2.) Es ist auch sachlich gerechtfertigt, eine solche vorherige Erlaubnis zu fordern. Denn dadurch wird es der Anstalt ermöglicht, im Voraus den Absender der Zusendung zu überprüfen und festzustellen, ob die Zusendung dann tatsächlich von dem genehmigten Absender stammt (vgl. BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, a.a.O., Art. 36 BayStVollzG Rn. 2).
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Allerdings geht das Oberlandesgericht München davon aus, dass der Gefangene einen Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch auch bei einer nicht erlaubten Zusendung, d.h. für die Entscheidung zwischen den Alternativen, das unerlaubt Zugesandte zurückzusenden, zur Habe zu nehmen (vgl. Art. 36 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG) oder die Zusendung nachträglich zu genehmigen und den betreffenden Gegenstand auszuhändigen, habe (Beschluss vom 04.09.2018 – 5 Ws 14/18 (R), juris Rn. 23).
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In dieser Allgemeinheit kann dem aus den o.g. Erwägungen nicht gefolgt werden. Hierbei können auch die begrenzten Möglichkeiten des personellen Verwaltungsaufwands nicht außer Betracht bleiben (vgl. Dessecker/Schwind in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., 9. Kap., Abschn. E, Rn. 7), welcher entstünde, wenn die Anstalt gehalten wäre, bei sämtlichen ohne vorherige Erlaubnis zugesandten Paketen eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, ob die Genehmigung nachträglich zu erteilen ist.
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(3.) Einer Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß gem. § 121 Abs. 2 GVG bedarf es insoweit nicht. Denn mit der Wiedererrichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist die Zuständigkeit in Bayern für Strafvollzugssachen vom Oberlandesgericht München auf das Bayerische Oberste Landesgericht und dort auf die auswärtigen Strafsenate in Nürnberg, übergegangen (§ 121 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GVG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Nr. 3 BayAGGVG i.V.m. § 54a Satz 1 GZVJu). Der 3. (auswärtige) Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Nürnberg hat in seinem – nicht veröffentlichten – Beschluss vom 01.06.2021 (Az. 203 StObWs 183/21) entschieden, dass beim Nichtvorliegen einer vorherigen Erlaubnis eine Zusendung nicht an den Strafgefangenen ausgehändigt werden muss. Dem schließt sich der 4. (auswärtige) Strafsenat in Nürnberg mit der vorliegenden Entscheidung im Grundsatz an.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus Art. 208 StVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StVollzG.
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Die Entscheidung über den Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 GKG.
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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren und auf Beiordnung eines Rechtsanwalts war zurückzuweisen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 120 Abs. 2 StVollzG, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).