Inhalt

OLG München, Grund- und Teilurteil v. 31.01.2023 – 1 U 1316/21
Titel:

Begründeter Amtshaftungsanspruch wegen undifferenzierter Warnung vor dem Konsum von Schinken- und Wurstprodukten in einer Pressemitteilung des Verbraucherschutzministeriums 

Normenketten:
GG Art. 34
BGB § 254, § 839 Abs. 1, Abs. 3
LFBG § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 1a Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 123
Leitsätze:
1. Nach § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFBG ist die Öffentlichkeit zwingend zu informieren, wenn – unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Gesundheitsgefahr – mindestens zwei unabhängig voneinander genommene Lebensmittelproben den begründeten Verdacht auf eine Überschreitung zulässiger Grenzwerte ergeben. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. An die Entscheidungen eines Verwaltungsgerichts in einen Verfahren nach § 123 VwGO bzw. § 80 Abs. 5 VwGO ist ein Zivilgericht bei der Beurteilung des behördlichen Vorgehens nicht gebunden. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Amtshaftungsanspruch, schuldhafte Amtspflichtverletzung, Pressemitteilung, Listeriennachweis, Gesundheitsrisiko für Menschen, Wacholderwammerl, Schinken- und Wurstprodukte
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 10.02.2021 – 15 O 18592/17
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2024 – III ZR 24/23
Fundstellen:
ZLR 2023, 216
BeckRS 2022, 45883
LSK 2022, 45883
LMuR 2023, 577

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 10.02.2021, Az. 15 O 18592/17, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Anspruch des Klägers auf Ersatz des Schadens, welcher der S. GmbH durch Veröffentlichung der Pressemitteilung vom 27.05.2016, die mündliche Anordnung gemäß Aktenvermerk vom 27.05.2016, und den Auflagenbescheid vom 28.05.2016 dadurch entstanden ist, dass in der Verpackung nachpasteurisierte Produkte von der Verzehrwarnung sowie von der Rückruf- und Untersagungsanordnung nicht ausgenommen wurden, ist dem Grunde nach zu 2/3 gerechtfertigt.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.695,04 € zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage im Antrag Ziffer 1 abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
4. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den Betrag des Anspruchs hinsichtlich des Klageantrags Ziffer 2 an das Landgericht München I zurückverwiesen.
5. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
7. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
I. Auf die tatsächlichen Feststellungen des Endurteils des Landgerichts München I vom 10.02.2021 wird Bezug genommen.
2
II. Das Landgericht hat zur Begründung des klageabweisenden Urteils ausgeführt, es bestehe weder ein Amtshaftungsanspruch noch Ansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff gegen den Beklagten.
3
1. Die Voraussetzungen für die Information der Öffentlichkeit nach § 40 Abs. 1 Satz 1, S. 2 Nr. 3, Abs. 1a LFGB i.d.F. v. 03.06.2013 durch die Pressemitteilung vom 27.05.2016 hätten grundsätzlich vorgelegen, weil zwei Überschreitungen der Grenzwerte für Listeria monocytogenes (i.F.: Listerien) nach Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Anhang I, Kapitel 1, Ziff. 1.2 VO (EG) 2073/2005 festgestellt worden seien. Aufgrund der durchgeführten Zeugenbeweisaufnahme stehe fest, dass sich in der am 16.03.2016 im Einzelhandel entnommenen Probe des Produkts „Bayerisches Wacholderwammerl“ Listerien in einer Anzahl weit über dem einschlägigen Grenzwert von 100 KbE/g befunden hätten. Ein weiterer lebensmittelrechtlicher Verstoß habe sich bei einer Beprobung ebenfalls des „Wacholderwammerl“ am 10.04.2016 im Betrieb der S. GmbH (i.F.: Schuldnerin) ergeben, hier habe eine unzulässige Listerienbelastung in Höhe von 10 KbE/g vorgelegen (Anlage B5). Die nach der Entdeckung von Listerien auf einer Edelstahlschütte am 12.04.2016 und der folgenden Umstrukturierung der Produktion am 20.05.2016 im Werksverkauf gezogene Probe der „Fleischwurst mit Paprika“, für die eine Listerienbelastung von weniger als 10 KbE/g dokumentiert sei, begründe ebenfalls einen lebensmittelrechtlichen Verstoß, weil insoweit der strengere Grenzwert aus Anhang I, Kap. 1, Ziff. 1.2. VO (EG) 2073/2005 für Lebensmittel, welche die unmittelbare Kontrolle des Herstellers noch nicht verlassen haben, einschlägig sei (“in 25 g nicht nachweisbar“). Im Werksverkauf habe die Schuldnerin noch die unmittelbare Kontrolle über das Produkt gehabt. Es sei nicht ersichtlich, dass eine festgestellte Listerienbelastung unter 10 KbE/g einen negativen Listerienbefund bedeute. Ein Ausnahmefall von dem Grenzwert der Nichtnachweisbarkeit in 25 nach Fußnote 7 zu Anhang I, Kap. 1, Ziff. 1.2. VO (EG) 2073/2005 habe nicht vorgelegen, weil die Schuldnerin in der Folgezeit nicht nachgewiesen habe, dass das Erzeugnis während der gesamten Mindesthaltbarkeitsdauer den Grenzwert von 100 KbE/g nicht überschritten habe. Ein milderes Mittel im Sinn von § 40 Abs. 2 LFGB als die Information der Öffentlichkeit durch die Behörde sei nicht gegeben gewesen, weil es die Schuldnerin abgelehnt habe, die Öffentlichkeit selbst vor ihren Produkten zu warnen.
4
Ob die Pressemitteilung vom 27.05.2016 wegen eines Verstoßes gegen die Geheimhaltungspflicht nach Art. 7 Abs. 3, 1. Spiegelstrich VO (EG) 882/2004 deshalb rechtswidrig gewesen sei, weil sie auch die Information enthielt, dass der Schuldnerin bereits vorab mündlich untersagt wurde, Ware in den Verkehr zu bringen, und ihr aufgegeben wurde, ausgelieferte Ware zurückzurufen, könne offenbleiben. Denn eine solche unterstellte Amtspflichtverletzung sei für den geltend gemachten Schaden nicht ursächlich gewesen, weil allein die Warnung vor dem Verzehr von Produkten der Schuldnerin ausgereicht habe, das Vertrauen der gewerblichen Abnehmer und Verbraucher zu erschüttern.
5
Ob die Schuldnerin auch in der Verpackung sachgerecht nachpasteurisierte Produkte hergestellt habe, die keine Listerien enthalten konnten, und ob bei Tiefkühlbrätprodukten ein Hinweis auf der Verpackung zum Schutz der Verbraucher ausgereicht habe, dass die Ware vor dem Verzehr durcherhitzt werden müsse, könne ebenfalls dahinstehen. Auch wenn der entsprechende Vortrag des Klägers als wahr unterstellt würde, sei eine Haftung aus Amtspflichtverletzung wegen der dann möglicherweise zu weitreichenden Produktwarnung wegen ganz überwiegenden Mitverschuldens der Schuldnerin, das sich der Kläger zurechnen lassen müsse, ausgeschlossen. Die Schuldnerin habe nämlich vorwerfbar versäumt, den von ihr eingelegten Rechtsbehelf gegen die angekündigte Pressemitteilung damit zu begründen, dass sie solche im Hinblick auf eine Kontamination mit Listerien unbedenklichen Produkte herstellt bzw. dass diese mit einem entsprechenden Hinweis versehen waren. In diesem Fall hätte die Argumentation der Behörde, eine Warnung vor allen Produkten sei erforderlich gewesen, weil bisher die Eintragsquelle der Listerien nicht gefunden worden sei, das Verwaltungsgericht nicht überzeugt. Die allgemein gehaltene Begründung in dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, es sei unverhältnismäßig, vor allen Produkten und nicht nur vor etwaigen belasteten Erzeugnissen zu warnen, habe insoweit nicht ausgereicht. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, die Beamten des Beklagten hätten gewusst, dass die Schuldnerin unbedenkliche Produkte herstellte.
6
Wenn selbst der Geschäftsführer der Schuldnerin nicht in der Lage gewesen sei, seinen Prozessbevollmächtigten dahingehend zu instruieren, dass ein Teil der produzierten Ware ungefährlich sei, obwohl er spätestens seit dem 24.03.2016 in Bezug auf das Thema Listerien im Betrieb sensibilisiert gewesen sei, könne den Behördenmitarbeiter nicht vorgeworfen werden, sie hätten die Produkte der Schuldnerin und deren Herstellungsweise besser kennen müssen als der herstellende Betrieb, und deshalb in ihrer Pressemitteilung / der Rückrufanordnung nach einzelnen Produkten differenzieren müssen. Darüber hinaus sei die Begründung des Antrags nach § 123 VwGO auch deshalb unzulänglich gewesen, weil in Bezug auf die beanstandete Probe „Fleischwurst mit Paprika“ nicht mitgeteilt worden sei, dass sie im Werksverkauf entnommen wurde und deshalb der Grenzwert von 100 KbE/g gelte. Ein etwaiges Verschulden der Beamten der Beklagten trete demgegenüber vollständig zurück. So ergebe sich die Nachpasteurisierung von Brühwürsten nicht zwingend aus dem HACCP (“Hazard Analysis Critical Control Points“) – Fließschema der Schuldnerin (Anlage K81). Der Kläger habe dazu vorgetragen, dass ein Teil der Brühwürste auf Kundenwunsch nicht nachpasteurisiert worden seien, andere – wie SB Rostbratwürste, SB Deli Rostbratwürste und SB Mini Rostbratwürste – dagegen schon. Es begründe im Hinblick auf die zahlreichen verschiedenen Produkte der Schuldnerin allenfalls ein geringes Verschulden, wenn die Behörde in der aufgrund der akuten Gefährdung gebotenen Eile dieser Differenzierung nicht nachgegangen sei. Die Beamten der Beklagten hätten sich in diesem Zusammenhang auf die Richtigkeit der Mitteilung des RKI als Fachbehörde verlassen dürfen, dass ein Zusammenhang zwischen dem aus den Wammerlprodukten der Schuldnerin isolierten Clustertyp und zum Teil tödlichen Listeriose-Erkrankungen im süddeutschen Raum bestehe. Auch bezüglich der angeblich mit entsprechenden Warnhinweisen versehenen Tiefkühlbrätprodukte sei der Behörde allenfalls leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen, wenn sie diese nicht von der Produktwarnung ausgenommen und damit das Risiko vermieden habe, das aus einem Verzehr dieser Produkte in nicht durchgegartem Zustand folge.
7
Darüber hinaus wäre die Schuldnerin auch dann insolvent geworden, wenn die Behörde die behauptetermaßen unbedenklichen Produkte von der Warnung ausgenommen hätte. Denn es sei davon auszugehen, dass die Verbraucher im Fall einer eingeschränkten Warnung aus Vorsicht oder Bequemlichkeit von dem Kauf sämtlicher Erzeugnisse der Schuldnerin abgesehen hätten. Es fehle deshalb an der Kausalität einer unterstellten Amtspflichtverletzung.
8
Ob die Amtshaftung auch wegen Nichtausschöpfung des Rechtswegs nach § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sei, weil die Schuldnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27.05.2016 keinen Rechtsbehelf eingelegt habe, könne offenbleiben.
9
Mangels eines Sonderopfers habe der Kläger keinen Entschädigungsanspruch aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff. Zudem müssten für eine Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff Rechtsmittel ausgeschöpft und ausreichend begründet werden, was nicht geschehen sei.
10
2. Ob es amtspflichtwidrig gewesen sei, der Schuldnerin mit Bescheid vom 28.05.2016 (Anlage K45) das Inverkehrbringen jeglicher Ware zu untersagen und den Rückruf aller im Handel befindlichen Produkte anzuordnen, und ob die Schuldnerin insoweit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ausreichend vorgetragen habe, könne offenbleiben. Denn nach dem Vortrag des Klägers sei bereits aufgrund der Pressemitteilung vom 26.05.2016 das gesamte Produktsortiment der Schuldnerin nicht mehr vermarktbar gewesen und damit sowohl die Ursache für die nachfolgende Insolvenz wie auch für den geltend gemachten Schaden aus dem Produktrückruf gesetzt worden. In Bezug auf eine etwaige Amtspflichtverletzung wegen Herausgabe der Pressemitteilung treffe die Schuldnerin aber ein haftungsausschließendes Mitverschulden.
11
III. Der Kläger hat gegen das am 12.02.2021 zugestellte Endurteil mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.03.2021, eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt und diese fristgerecht mit Schriftsatz vom 12.05.2021 begründet.
12
Der Kläger wiederholt und vertieft im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er ist weiterhin der Auffassung, die Beamten des Beklagten hätten ihre Pflichten verletzt. Die erste und wesentliche Amtspflichtverletzung liege in der Herausgabe der Pressemitteilung durch das Ministerium am 27.05.2016. Weitere Amtspflichtverletzungen bestünden in mündlichen Rückruf- und Untersagungsanordnung gegenüber der Schuldnerin vom 27.05.2016, sowie dessen schriftlicher Bestätigung mit Auflagenbescheid vom 28.05.2016. § 40 Abs. 1a LFBG i.d.F. vom 28.05.2013-20.04.2019 sei schon deshalb keine taugliche Rechtsgrundlage für die Pressemitteilung gewesen, weil die Vorschrift nicht die Warnung vor dem Verzehr von Produkten umfasse. Des Weiteren seien mehrere Oberverwaltungsgerichte von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift ausgegangen, ihr Vollzug sei nach einem Normenkontrollantrag in den Bundesländern ausgesetzt worden, und das BVerfG habe im Jahr 2018 die Norm in der damals gültigen Fassung für verfassungswidrig erklärt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 40 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 LFBG a.F. i.V.m. Art. 10 VO (EG) 178/2002 hätten auch nicht vorgelegen, weil von keinem Erzeugnis der Schuldnerin ein Risiko bzw. eine Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Konsumenten ausgegangen sei. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hätten keine zwei relevanten Grenzwertüberschreitungen vorgelegen. Aus den Listerienbefunden bei Produkten der Schuldnerin seit 2013 habe sich kein spezifisches Listerienproblem ergeben, das über branchenübliche punktuell auftretende Kontaminationen hinausgehen würde. Die Beanstandung bezüglich „Mini-Rostbratwürstchen mit Emmentaler“ vom 13.10.2015 durch einen gewerblichen Abnehmer sei von der Schuldnerin zurückgewiesen worden. Die Untersuchung eines vegetarischen Aufschnitts mit positivem Listerienbefund im März 2016 (Anlage B17) habe ein Entwicklungsprodukt betroffen, das nicht in den Verkehr gebracht worden und dazu auch nicht bestimmt gewesen sei. Auch bei dem am 16.03.2016 im Einzelhandel entnommenen und beanstandeten „Wacholderwammerl“ habe um einen bereits abgeschlossenen bzw. durch Auflagenbescheid des LRA B. T. abgearbeiteten Vorgang gehandelt. Das am 11.04.2016 im Betrieb der Schuldnerin entnommene „Wacholderwammerl“ mit einer Listerienbelastung von 10 KbE/g (Anlage B5) sei lebensmittelrechtlich unbedenklich gewesen. Es habe sich dabei um eine Rückstellprobe von bereits im Verkehr befindlicher Ware gehandelt, auf die der Grenzwert von 100 KbE/g anzuwenden sei; folgerichtig habe das B. Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (i.F.: LGL) die Probe auch nicht als nicht verkehrsfähig beanstandet. Bis zum 17.05.2016 seien alle Beteiligten davon ausgegangen, dass nur bei der Probe vom 16.03.2016 eine Grenzwertüberschreitung vorgelegen habe und alle weiteren in Verkehr gebrachten Lebensmittel sicher seien. Für die am 20.05.2016 im Werksverkauf – es handele sich um ein öffentlich zugängliches Einzelhandelsgeschäft außerhalb des Werksgeländes – aus einer Selbstbedienungstheke gezogene Probe „Fleischwurst mit Paprika“ habe ebenfalls der Grenzwert von 100 KbE/g für in den Verkehr gebrachte Erzeugnisse gegolten, der nicht überschritten worden sei. Darüber hinaus ergebe sich aus dem Analysebericht des LGL (Anlage B8), dass quantitativ überhaupt keine Listerien in der Probe enthalten gewesen seien. Der Beschluss vom 27.05.2016, vor allen Produkten der Schuldnerin zu warnen und einen Rückruf sowie ein generelles Produktionsverbot anzuordnen, sei vom Ministerium gefasst und dem Landratsamt nur zum Vollzug aufgegeben worden, ohne dass sich die Beteiligten mit den einzelnen Produkten der Schuldnerin auseinandergesetzt hätten. Die vom R.-K.-Institut (i.F.: RKI) vorgebrachten Krankheitsfälle und die darauf bezogene epidemiologische Beurteilung hätten sich ausschließlich auf die Wammerlprodukte der Schuldnerin bezogen, wobei die behauptete epidemiologische Evidenz tatsächlich nicht bestanden habe. Jedenfalls sei hierauf mit der Verlagerung bzw. Umstellung des Produktionsprozesses reagiert und die behauptete Gefahr damit beseitigt worden. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 2073/2005 als lex specialis zu Art. 54 VO (EG) 882/2004 rechtfertige auch nur die Anordnung des Rückrufs des beanstandeten Produkts oder der beanstandeten Partie, nicht aber von anderen Erzeugnissen. Die gesamte Produktion eines Betriebs könne nicht unter dem Begriff der Charge bzw. Partie subsumiert werden. Die Warnung vom 27.05.2016 habe rechtswidrig selbst eine am 25.05.2016 nach Beprobung freigegebene Charge „Wacholderwammerl“ erfasst, die nachweislich listerienfrei gewesen sei. Weiter sei nicht ersichtlich, auf Grundlage welcher epidemiologischen Erkenntnisse auch die deutschlandweit von L. bzw. N. vertriebenen Weißwürste und Bratwürste von der Warnung und der Rückrufanordnung umfasst waren, wenn das Listeriose-Ausbruchsgeschehen mit dem Clustertyp 1248 in Süddeutschland – übereinstimmend mit dem Vertriebsgebiet des „Wacholderwammerls“ – stattgefunden habe. Die Pressemitteilung habe auch nicht den Vorgaben des Art. 7 Abs. 3 Spiegelstrich 1 der VO (EG) 882/2004 entsprochen, wie das Landgericht insoweit richtig ausgeführt habe.
13
Ca. 50% der Produkte der Schuldnerin seien entsprechend einem von den Behörden geprüften HACCP-Konzept in der Verpackung nachpasteurisiert worden (SB-Rostbratwürste, SB-Deli Rostbratwürste und SB-Minirostbratwürste und weitere Würste gemäß Aufstellung im Schriftsatz vom 03.12.2021, S. 2, und im Schriftsatz vom 02.03.2022, S. 9; Anlagen K 75, 85, 87, 88 und 89; diese Produkte hätten ca. 35% am Gesamtumsatz ausgemacht) oder hätten vor dem Verzehr bestimmungsgemäß durcherhitzt werden müssen. Die Schuldnerin habe als mittelgroßer Betrieb nicht über eine energieintensive separate Nachpasteurisierungsanlage verfügt, sondern die Nachpasteurisierung auf eine Kerntemperatur von 72 Grad Celsius in der Kochung/Räucherei durchgeführt. Dieser Vorgang sei während Produktionslücken oder nach Abschluss der Produktion von Frischware erfolgt. Die bereits verpackten und zur Nachpasteurisieruung bestimmten Waren seien im „Vorraum Verpackung“ auf Hordenwägen geladen, wieder zurück in die Füllerei geschoben und dort zwischengelagert worden, wo sie nicht zu übersehen gewesen seien. Nach erfolgter Nachpasteurisierung sei die Ware in das Kühllager gefahren worden, wo es kartoniert und von Speditionen abgeholt worden sei. Der gesamte Prozess ergebe sich aus den Betriebsplänen und den jeweiligen Fließschemata der Qualitätsmanagmentformulare (Anlagen K120, 121, 122). Die Nachpasteurisierung in bestehenden Anlagen sei in handwerklichen mittelständischen Betrieben allgemein üblich. Dass die Nachpasteurisierung tatsächlich stattgefunden habe, werde schließlich auch belegt durch eine eidesstattliche Versicherung des früheren Geschäftsführers Schach im Verfahren vor dem VG München (18 S 16.2409) vom 14.06.2016, betreffend den nachpasteurisierten Probeartikel „Mini-Rostbratwürstchen mit Käse“.
14
Die Grenzwerte für Listerien aus der VO (EG) 2073/2005 Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2. gälten nur für verzehrfertige Lebensmittel, nicht aber für Produkte, die gemäß ihrer normalen Verwendungsbedingungen vor dem Verzehr regelmäßig durcherhitzt würden, weil Listerien dadurch vollkommen abgetötet würden. Die Schuldnerin habe auf den streitgegenständlichen Brätprodukten freiwillig einen Hinweis auf das Erfordernis des Durcherhitzens angebracht und auch ihre gewerblichen Abnehmer durch Angaben auf den Etiketten überobligationsmäßig darauf hingewiesen. Die Warnung vor bzw. der Rückruf auch dieser Erzeugnisse sei deshalb jedenfalls unverhältnismäßig gewesen. Soweit das Landgericht die Auffassung vertreten habe, die Schuldnerin wäre auch dann insolvent geworden, wenn der Beklagte von der Produktwarnung die nachpasteurisierten und die vor dem Verzehr durchzuerhitzenden Erzeugnisse ausgenommen hätte, habe es verkannt, dass Verbraucher bei einem in den Regalen des Einzelhandels befindlichen Produkt auf dessen Verkehrssicherheit vertrauen würden. Der Betrieb wäre auf der Grundlage von Modellrechnungen (Anlagen K71, 72) überlebensfähig gewesen, wenn vor den betreffenden Warengruppen nicht gewarnt worden wäre.
15
Die Schuldnerin treffe kein haftungsausschließendes überwiegendes Mitverschulden an dem eingetretenen Schaden wegen unzureichender Begründung des Rechtsmittels nach § 123 VwGO. Sie habe die Warnung vollständig verhindern und nicht nur auf bestimmte Produkte eingeschränkt haben wollen. Es sei deshalb richtig vorgetragen worden, dass die Warnung vor sämtlichen – also auch im Hinblick auf eine etwaige Kontamination mit Listerien unbedenklichen – Produkten unverhältnismäßig und damit rechtswidrig gewesen sei. In der Diskussion zwischen der Schuldnerin und dem Ministerium sei nie zwischen diesen verschiedenen Produkten unterschieden worden. Bis zum 25.05.2016 sei es auch nur um das Produkt ungekühltes Wammerl (Wacholderwammerl“) gegangen, dann am 27.05.2016 auf einmal um die Schließung der gesamten Produktion. Als Reaktion darauf habe man auf die Schnelle die Entscheidung getroffen, sich gegen die Warnung insgesamt zu verteidigen und nicht zwischen einzelnen Produkten zu differenzieren. Den Beamten des Beklagten sei das Sortiment der Schuldnerin bekannt gewesen, weil über viele Jahre hinweg nahezu wöchentlich Kontrollen stattgefunden hätten, weil es offenkundig sei, dass Leberkäsbrät, Weiß- und Bratwürste vor dem Verzehr erhitzt werden müssten, weil durch das Nachpasteurisieren ein geleeartiger Überzug entstünde, der jedenfalls einem Fachmann bekannt sei, und weil am 20.05.2016 offensichtlich bewusst nur Proben von Produkten genommen worden seien, die nicht in der Verpackung nachpasteurisiert wurden oder vor dem Verzehr durchzuerhitzen waren. Das Verwaltungsgericht (i.F.: VG) habe den auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltenden Amtsermittlungsgrundsatz verletzt. Im Übrigen hätte das VG auch bei einem anderen Vortrag der Schuldnerin nicht anders entschieden, weil es die Stellungnahme des RKI (“hohe Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Listerieninfektionen und den Produkten der Schuldnerin“) fehlinterpretiert habe. Die Haftung des Beklagten sei auch nicht nach § 839 Abs. 3 BGB wegen Nichtschöpfung des Rechtswegs gegen den Beschluss des VG vom 227.05.2016 ausgeschlossen, weil der Schaden bereits durch Veröffentlichung der Pressemitteilung eingetreten sei.
16
Schließlich hafte der Beklagte entgegen der Auffassung des Landgerichts auch wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Schuldnerin.
17
Der Kläger beantragt nach Teilklagerücknahme zuletzt:
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 10. Februar 2021, Az. 15 O 18592/17,
1. wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 46.591,90 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage vom 19. Dezember 2017 zu zahlen,
2. wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 10.709.199,73 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage vom 19. Dezember 2017 zu zahlen,
hilfsweise:
Das Urteil des Landgerichts München I vom 10. Februar 2021, Az. 15 O 18592/17, wird aufgehoben und die Sache und erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
18
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
19
Der Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Klageabweisung. Die Schuldnerin habe bereits mindestens seit 2013 ein massives, nicht offengelegtes und auch nicht abgestelltes Listerienproblem gehabt und damit unter anderem kontinuierlich gegen die Zoonoseverordnung verstoßen, wonach Erreger auch unabhängig von einer etwaigen Gesundheitsschädlichkeit zu melden seien. Der Geschäftsführer der Schuldnerin habe in einer Besprechung mit Behördenvertretern am 24.03.2016 fälschlicherweise behauptet, es habe im Betrieb bisher keinen Listeriennachweis gegeben. Der bei der Schuldnerin gefundene spezielle Listerientyp CT 1248 sei für das Ausbruchsgeschehen in den Jahren 2012 bis 2016 verantwortlich gewesen, bei dem 80 Menschen zum Teil lebensbedrohlich erkrankt und 8 Menschen gestorben seien, wobei bei 4 davon die Listeriose hauptursächlich für den Tod gewesen sei. Erst infolge der Betriebsschließung sei dieses Geschehen endgültig zum Erliegen gekommen. Die am 20.05., 23.05, 25.05. und 28.05.2016 entnommenen Proben (Anlagen B5 ff) hätten den Verdacht erhärtet, dass der Listerienbefall nicht auf das „Wacholderwammerl“ beschränkt werden konnte, sondern auch Wurstprodukte und vegetarische Erzeugnisse der Schuldnerin befallen waren. Insgesamt seien von 83 untersuchten Proben in 15 Fällen geringe Keimzahlen von Listerien festgestellt worden, davon hätten 14 Fälle dem Clustertyp 1248 zugeordnet werden können. Darüber hinaus habe ein Gutachten des von der Schuldnerin beauftragten Privatlabors W. vom 07.04.2016 aufgrund einer Eigenkontrolle vom 17.03.2016 einen massiven Listerienbefall in Minirostbratwürstchen von 12.000 KbE/g ergeben (Anlage B18). Auch die im Rahmen von Eigenkontrollen festgestellten positiven Listerienbefunde, welche die Schuldnerin der Lebensmittelbehörde entgegen § 3 Abs. 2 ZoonoseV nicht mitgeteilt habe, seien bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Maßnahmen zu berücksichtigen, weil sonst das gesetzeswidrige Verhalten eines kriminellen Produzenten belohnt würde. Ob ein positiver Listerienbefund im März 2016 ein Entwicklungsprodukt betroffen habe, das nicht in den Verkehr gebracht worden und dazu auch nicht bestimmt gewesen sei, sei irrelevant. Maßgeblich sei vielmehr, dass in den von der Schuldnerin hergestellten Produkten regelmäßig Listerien nachgewiesen worden seien. Bis September 2016 hätten insgesamt 23 Proben von Erzeugnissen der Schuldnerin den für das Ausbruchsgeschehen verantwortlichen Listerientyp CT 1248 enthalten. Weitere Indizien für die Annahme, dass die Produkte der Schuldnerin für das Erkrankungsgeschehen verantwortlich waren, bestünden darin, dass das Vertriebsgebiet deckungsgleich mit dem Gebiet gewesen sei, in dem Menschen erkrankt seien, und dass von den Erkrankten überproportional der Verzehr von Schweinefleischwaren sowie die Firma R. als Bezugsquelle angegeben worden sei. Dass auch von anderen Erzeugnissen der Schuldnerin als dem „Wammerl“ hinsichtlich eines Listerienbefalls eine Gefährdung für die Verbraucher ausgegangen sei, habe sich schließlich auch daran gezeigt, dass mit den im März / April 2016 eingeleiteten Maßnahmen die Kontaminationsquelle im Betrieb nicht beseitigt werden konnte.
20
Aus Art. 14 VO (EG) 178/2002 ergebe sich, dass Listerienbefunde < 100 KbE/g nicht automatisch zu der Bewertung führten, dass das betroffene Lebensmittel sicher sei. Es komme entscheidend darauf an, ob der Grenzwert auch bis zum Ende des Verbrauchs- oder Mindesthaltbarkeitsdatums nicht überschritten werde. Die Schuldnerin habe die entsprechenden Nachweise – die vorzugsweise durch Haltbarkeitsstudien oder sog. „Challenge Tests“ erbracht werden könnten – nicht geführt, sodass auch alle Funde unter 100 KbE/g relevant seien. Dass das LGL in Bezug auf beprobte Produkte von der Schuldnerin keine weiteren Nachweise verlangt habe, sei unerheblich. Zu den HACCPGrundsätzen gehöre die Festlegung von Maßnahmen bei Überschreiten von Grenzwerten und in Verbindung mit § 3 ZoonoseV die Pflicht zur Information der Behörden. Ein sicher funktionierendes HACCP-Konzept habe es bei der Schuldnerin nicht gegeben. Wer, wie die Vertreter der Schuldnerin, den Behörden relevante Listerienfunde im Betrieb verheimlicht habe, könne sich nicht auf ein fehlendes Einschreiten berufen.
21
Der Grenzwert „in 25 g nicht nachweisbar“ sei insbesondere auch dann anwendbar, wenn das Lebensmittel den Herstellerbetrieb in einer Fertigpackung verlassen habe und die Beprobung im Einzelhandelsbetrieb erfolge, weil eine Rekontamination auf dieser Ebene ausgeschlossen sei. Davon abgesehen seien auch mit Listerien kontamierte Lebensmittel unter dem Grenzwert von 100 KbE/g gefährlich, wenn sie von Verbrauchern mit geschwächter Konstitution verzehrt würden. In Bezug auf die am 20.05.2016 entnommene Probe „Fleischwurst mit Paprika“ sei der Entnahmeort und die daran anknüpfende Frage, welcher der Grenzwerte aus Ziff. 1.2. Anhang I VO (EG) 2073/2005 letztlich irrelevant, weil der qualitative Keimnachweis maßgeblich als Beleg dafür gewertet worden sei, dass das im Betrieb der Schuldnerin festgestellte Listeriengeschehen nicht auf ein Produkt oder eine Produktlinie beschränkt gewesen sei. Das Einschreiten der Behörden sei jedenfalls nach Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 178/2002 gerechtfertigt gewesen.
22
Mit dem quantitativen Nachweisverfahren könne nur festgestellt werden, dass in einer Probe weniger als 10 KbE/g Listerien enthalten seien. Nur das qualitative Nachweisverfahren könne eine Aussage treffen, dass 10 bzw. 25 Gramm einer Probe keine Listerien enthält.
23
Die Behauptung des Klägers, die Produktion von „Wammerln“ sei nach Auswertung der Probe vom 16.03.2016 eingestellt worden, sei ausweislich der später gezogenen Proben falsch.
24
Der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, welche Produkte der Schuldnerin nachpasteurisiert bzw. mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit des Durchgarens vor dem Verzehr versehen worden seien. Selbst nach dem klägerischen Vortrag habe es von Anweisungen des jeweiligen Vertragspartners abgehangen, ob bzw. welche Produkte nachpasteurisiert werden sollten. Die Schuldnerin habe nicht über das für eine Nachpasteurisierung in der Endverpackung erforderliche Equipment verfügt. Bei keiner der vorhergehenden Kontrollen sei verpackte Ware zur Nachpasteurisierung in einer der Kochschränke in den Verarbeitungsräumen (Füllerei/Kochung) vorgefunden worden, und die Mitarbeiter der Schuldnerin hätten einen solchen Vorgang auch nicht erwähnt. Zudem hätte es sämtlichen Hygienevorschriften widersprochen, verpackte Ware aus dem „unreinen Bereich“ wieder zur Nachpasteurisierung in den „reinen Bereich“ der Kochung zurückzubringen, und ein solcher Weg sei auf den vorgelegten Fließdiagrammen auch nicht eingezeichnet gewesen. Es sei auffällig, dass die Schuldnerin im Beprobungsplan 2016 (Anlage BE2) angeblich nachpasteurisierte Produkte (u.a. Weißwürste und vegetarische Grillwürste) für Eigenkontrollen auf Listerien vorgesehen habe, obwohl eine mikrobiologische Untersuchung auf diesen Parameter bei korrekter Nachpasteurisierung sinnlos sei.
25
Am 20.05.2016 sei das Thema „Nachpasteurisieren in der Verpackung“ mehrfach explizit angesprochen worden, und zwar bezogen auf das gesamte Produktsortiment der Schuldnerin. Dabei hätten die Vertreter des Beklagten die Vorteile einer Nachpasteurisierung für die Herstellung sicherer Lebensmittel und die Einsparung von Untersuchungskosten nach den Vorgaben der VO (EG) 2073/2005 aufgezeigt. Eine Nachpasteurisierung sei jedoch von dem Geschäftsführer der Schuldnerin und seinen Mitarbeitern generell mehrfach und kategorisch mit dem Hinweis auf Qualitätsverluste abgelehnt worden. Unterlagen, die Hinweise auf eine korrekte Nachpasteurisierung im Betrieb hätten geben können, seien nicht vorgelegt worden. Vielmehr seien Listerien auch in Brühwurstprodukten und Brühwürstchen der Schuldnerin nachgewiesen worden, die 1 U 1316/21 bei korrekter Nachpasteurisierung in der Endverpackung nicht hätten vorhanden sein dürfen. Ein weiterer Nachweis von Listerien sei in einer am 22.05.2016 gezogenen Eigenkontrollprobe von „Minirostbratwürstchen“ der Schuldnerin erfolgt, die nach dem klägerischen Vortrag stets nachpasteurisiert wurden. Für die Probennahmen am 20.05.2016 sei das gesamte Sortiment des Werksverkaufs der Schuldnerin in die Prüfung einbezogen worden, wobei der Schwerpunkt auf Waren gelegen habe, bei denen eine Kontamination mit Listerien wahrscheinlicher gewesen sei. Das Vorbringen des Klägers zur Nachpasteurisierung sei frei erfunden. Die Schuldnerin habe am 27.05.2016 keine Produktliste vorlegen können, sondern erst am folgenden Tag. Diese Liste habe aber auch keinen Hinweis darauf enthalten, dass bestimmte Produkte nachpasteurisiert wurden. Ohne Produktnennung wäre eine Ausnahme für „nachpasteurisierte Ware“ in der Pressemitteilung für die Verbraucher nicht hilfreich gewesen, da die Nachpasteurisierung am Produkt mangels entsprechender Kennzeichnung nicht erkennbar sei. Wenn es tatsächlich nachpasteurisierte Produkte gegeben hätte, hätte die Schuldnerin jederzeit die Möglichkeit gehabt, den Bescheid vom 28.05.2016 abändern zu lassen.
26
Der Verzehr von Brühwürstchen ohne vorherige Erhitzung sei zwar keine normale Verwendung, aber eben auch nicht vollständig unüblich. Durch das „Ziehenlassen“ insbesondere von Weißwürsten in heißem Wasser sei eine sichere Abtötung von Listerien nicht sichergestellt. Das Aufbringen von Warn- und Sicherheitshinweisen auf den entsprechenden Produkten habe der Kläger nicht substantiiert dargelegt.
27
Nach Vorliegen der Ergebnisse der Beprobungen vom 20.05.2016 am 27.05.2016 hätten sich hinreichende Hinweise darauf ergeben, dass nicht nur die „Wammerl“-Produktionslinie, sondern auch auf anderen Produktionslinien hergestellten Waren der Schuldnerin von einer Kontamination mit Listerien betroffen sein könnten, was zu einer neuen Einschätzung der Gefährdungssituation und folgerichtig zu der öffentlichen Warnung vor allen Schinken- und Wurstprodukten geführt habe. Wegen des hohen Schutzguts Leben und Gesundheit der Verbraucher sei ein weiteres Zuwarten bzw. die Entnahme weiterer Produktproben unzumutbar und ein sofortiges Eingreifen auf Grundlage des Art. 54 VO (EG) 882/2004 geboten gewesen. Der weitere Verlauf nach Ankündigung der Pressemitteilung belege, dass die Schuldnerin an einer Beschränkung der Warnung / des Rückrufs bzw. der Untersagungsanordnung auf bestimmte Produktlinien nicht interessiert gewesen sei, sonst wäre ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des VG im Verfahren nach § 123 VwGO eingelegt worden. Selbst im Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 06.06.2016 auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sei kein Hinweis auf nachpasteurisierte bzw. durchzugarende Produkte enthalten gewesen. In dieser Konstellation greife der Haftungsausschluss des § 839 Abs. 3 BGB ein, jedenfalls aber treffe die Schuldnerin ein so erhebliches Mitverschulden an der Schadensentstehung, dass die Haftung entfalle, wie das Landgericht zutreffend entschieden habe. In Wahrheit habe die Schuldnerin schon jahrelang Verluste gemacht, was sich aus den als Anlage B24 vorgelegten Unterlagen ergebe, und ihr Geschäftsführer habe die Gelegenheit ergriffen, den insolvenzreifen Verlustbetrieb einzustellen. Die behördlichen Maßnahmen hätten die Insolvenzeröffnung allenfalls kurzfristig vorverlegt. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt habe, hätte eine eingeschränkte Pressemitteilung / Rückrufanordnung auch deshalb nichts an der Insolvenz der Schuldnerin geändert, weil der Markt äußerst sensibel auf derartige Rückrufaktionen reagiere.
28
Der Kläger repliziert auf den Vortrag des Beklagten, die Zoonoseverordung sei in Lebensmittelunternehmen jedenfalls bis ins Jahr 2016 weitgehend unbekannt gewesen und habe deshalb keine Beachtung gefunden; selbst der für die Schuldnerin zuständige Lebensmittelkontrolleur M. habe sie nicht gekannt. Die Schuldnerin habe die von Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 2073/2005 geforderten Untersuchungen stets durchgeführt. In handwerklich organisierten Betrieben wie dem der Schuldnerin sei die Durchführung von Challenge Tests allgemein unüblich; der Beklagte habe einen solchen Test erstmals im Auflagenbescheid vom 25.05.2016 (Anlage K33) und nur für „Wacholderwammerl“ gefordert. Im Übrigen seien die zuständigen Behörden des Beklagten bei Einhalten des Grenzwerts vom 100 KbE/g für in Verkehr gebrachte Erzeugnisse offensichtlich im Sinn von Fußnote 5 des Anhangs I Kapitel 1 VO (EG) 2073/2005 „zufrieden“ gewesen und hätten von der Schuldnerin keine weiteren Nachweise bzw. Untersuchungen nach Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 2073/2005 verlangt, dass die jeweiligen Produkte während der gesamten Haltbarkeitsdauer diesen Grenzwert nicht übersteigen. Die fehlende Verkehrsfähigkeit der beanstandeten Produkte sei nie behauptet worden. Der Lebensmittelunternehmer könne die Einhaltung der Lebensmittelsicherheitskriterien auch durch ein auf HACCPGrundsätzen beruhendes Hygienemanagement und eine gute Hygienpraxis führen. Vorliegend habe die Behörde selbst durch Beprobungen nachvollzogen, dass bei dem streitgegenständlichen Wammerlprodukt der Grenzwert von 100 KbE/g nicht überschritten gewesen sei; dies ergebe sich aus dem Gutachten des LGL vom 17.05.2016 (Anlage K18). Eine „Unzufriedenheit“ der Behörde sei im gesamten Verfahren nicht in irgendeiner Form dokumentiert worden. Mit der jetzigen Berufung auf Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 178/2002 konterkariere der Beklagte seine langjährige Verwaltungspraxis.
29
Eigenkontrollen von nachpasteurisierter Ware seien nicht ungewöhnlich, sondern würden in periodischen Abständen empfohlen. Die Schuldnerin sei gegenüber ihren Kunden vertraglich dazu verpflichtet gewesen, um zu dokumentieren, dass die Nachpasteurisierung den gewünschten Effekt erbrachte. Die Gespräche zwischen den Behördenvertretern und dem Geschäftsführer der Schuldnerin am 20.05.2016 bezüglich Nachpasteurisierung hätten sich nur auf „Wammerl“ bezogen; insoweit sei eine Nachpasteurisierung wegen der damit verbundenen Qualitätseinbußen ebensowenig in Betracht gekommen wie bei geslicter Ware. Von sich aus habe Herr Sch keine Veranlassung gehabt, das Nachpasteurisieren weiterer Produkte anzusprechen. In der Pressemitteilung vom 27.05.2016 sei nicht nur vor Schinken- und Wurstprodukten, sondern vor allen Erzeugnissen der Schuldnerin gewarnt worden. Die Schuldnerin wäre ohne die behördliche Warnung überlebensfähig gewesen, zumal wenn die nachpasteurisierten und die vor dem Verzehr durchzuerhitzenden Erzeugnisse davon ausgenommen worden wären.
30
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
31
Der Senat hat aufgrund Beweisbeschluss vom 10.10.2022 in der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2022 die Zeugen Dr. M., Sch., K., B. und H. vernommen und den gemäß § 144 Abs. 1 ZPO hinzugezogenen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. h.c. R.S. angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen.
B.
32
I. Die zulässige Berufung hat in der Sache dem Grunde nach und hinsichtlich des Klageantrags Ziffer 1 auch dem Betrag nach zum Teil Erfolg. Der Kläger kann als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin im eigenen Namen (§ 80 Abs. 1 InsO) von dem Beklagten aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG Ersatz von 2/3 des Schadens verlangen, welcher der Schuldnerin dadurch entstanden ist, dass in der Pressemitteilung vom 27.05.2016 undifferenziert vor dem Konsum sämtlicher ihrer Schinken- und Wurstprodukte gewarnt wurde, und in der mündlichen Anordnung vom 27.05.2016 sowie im Auflagenbescheid vom 28.05.2016 bestimmte, von der Schuldnerin in der Verpackung nachpasteurisierte Produkte nicht von der Rückruf- und Untersagungsanordnung ausgenommen wurden. Es steht bereits jetzt fest, dass der Schuldnerin dadurch jedenfalls infolge der Rückgabe von in der Verpackung nachpasteurisierter Ware durch die Fa. N. Marken-Discount am 26.07.2016 ein Vermögensschaden entstanden ist. Hinsichtlich der Schadenshöhe im Übrigen ist der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif, sodass zunächst ein Grund- und Teilurteil (§§ 301 Abs. 1 Satz 2, 304 ZPO) ergeht. Im Einzelnen:
33
1. Die Warnung vor für den Verbraucher potentiell gefährlichen Schinken- und Wurstprodukten der Schuldnerin in der Pressemitteilung des Verbraucherschutzministeriums des Beklagten vom 27.05.2016 durfte auf Grundlage der den Behörden zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse grundsätzlich ergehen.
34
1.1. Gemäß Art∙ 10 VO (EG) 178/2002 (i.F.: Basisverordnung) unternehmen die Behörden im Fall eines hinreichenden Verdachts, dass ein Lebensmittel ein Gesundheitsrisiko für Menschen darstellt, je nach Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Risikos aufzuklären; dabei sind möglichst umfassend das Lebensmittel, das damit verbundene Risiko und die getroffenen bzw. noch zu treffenden Maßnahmen anzugeben, um dem Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten. §§ 39 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 9, 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 LFBG i.d.F.v. 03.06.2013 füllt diese Norm dahingehend aus, dass die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter anderem dann informieren soll, wenn im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von einem Erzeugnis eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit ausgeht oder ausgegangen ist und aufgrund unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse oder aus sonstigen Gründen die Unsicherheit nicht innerhalb der gebotenen Zeit behoben werden kann. Nach § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFBG ist die Öffentlichkeit zwingend zu informieren, wenn – unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Gesundheitsgefahr – mindestens zwei unabhängig voneinander genommene Lebensmittelproben den begründeten Verdacht auf eine Überschreitung zulässiger Grenzwerte (hier: bezüglich Listerien gemäß Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2. VO (EG) Nr. 2073/2005) ergeben.
35
1.2. Ob § 40 Abs. 1a LFBG eine wirksame Rechtsgrundlage für die Pressemitteilung insbesondere vor dem Hintergrund darstellt, dass das BVerfG mit Beschluss vom 21.03.2018 (1 BvF 1/13) die Vorschrift insofern für unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG erklärt hat, als die dort angeordnete Veröffentlichung nicht zeitlich begrenzt ist – wobei sie unter Aufnahme einer zeitlichen Beschränkung noch bis 30.04.2019 angewendet werden durfte –, und der Vollzug in den Bundesländern bereits im Jahr 2016 im Hinblick auf das anhängige Normenkontrollverfahren ausgesetzt war, kann dahinstehen, weil die angegriffene Maßnahme nach Art. 10 Basisverordnung i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 LFBG im Grundsatz gerechtfertigt war:
36
1.2.1. Die im Betrieb der Schuldnerin sowie im Einzelhandel im Zeitraum bis zum 23.05.2016 entnommenen und untersuchten Produkt(eigen) proben belegen eine fortdauernde Listerienproblematik, die auch durch die Umstrukturierung der Produktion im April 2016 nicht behoben wurde und die insbesondere ab dem 20.05.2016 nachweislich nicht auf „Wammerl“ beschränkt war, sondern auch Wurstprodukte und vegetarische Erzeugnisse umfasste. Unter anderem sind folgende Vorkommnisse dokumentiert:
37
1.2.1.1. Dass das am 16.03.2016 im Einzelhandel beprobte „Wacholderwammerl“ mit Listerien weit jenseits des einschlägigen Grenzwerts von 100 KbE/g nach Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2 VO (EG) Nr. 2073/2005 belastet war (Anlage B1) und die Schuldnerin die Kontamination zu verantworten hatte, hat der Kläger in der Berufung nicht mehr bestritten. Im Übrigen hat der Sachverständige bei seiner Anhörung bestätigt, dass ein Listeriennachweis in einer auf der Stufe des Einzelhandels entnommenen Probe mit unbeschädigter Verpackung ein eindeutiger Hinweis auf eine Kontamination beim Hersteller ist, es sei denn, die Verunreinigung (“Kreuzkontamination“) sei im Labor verursacht worden. Dafür gibt es aber sowohl in diesem Fall wie bei den weiteren im Handel gezogenen Proben keine Anhaltspunkte.
38
1.2.1.2. Die von der Schuldnerin am 14.03.2016 veranlasste Beprobung eines vegetarischen Aufschnitts „vegetaris“ im Labor W. ergab einen Listerienbefund von 60 KbE/g (Anlage B17). Ob es sich dabei, wie der Kläger vorträgt, um ein Entwicklungsprodukt handelte, das nicht in den Verkehr gelangt und auch nicht dazu bestimmt war, kann dahinstehen; jedenfalls belegt das Untersuchungsergebnis, dass die Listerienproblematik bereits zu diesem Zeitpunkt nicht auf Wammerlprodukte der Schuldnerin beschränkt war. Dieser Befund wurde der Lebensmittelaufsichtsbehörde entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 ZoonoseV nicht zur Kenntnis gebracht, der Senat ist aber in Übereinstimmung mit dem Beklagten der Auffassung, dass der Sachverhalt jedenfalls retrospektiv bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Behördenhandelns berücksichtigt werden kann, um gesetzeswidriges Verhalten nicht zu prämieren. Der Einwand des Klägers, die Vertreter der Schuldnerin hätten die ZoonoseV nicht gekannt und sie sei damals auch weitgehend unbeachtet geblieben, ist unbehelflich, weil in einem lebensmittelverarbeitenden Betrieb die Kenntnis der lebensmittelrechtlichen Vorschriften vorausgesetzt werden kann.
39
1.2.1.3. Die von der Schuldnerin am 17.03.2016 veranlasste Beprobung des Produkts „Mini Rostbratwürstchen mit Heumilchkäse“ im Labor W. ergab einen Listerienbefall von 1,2 x 1.K./g (Anlage B18). Dieser Befund wurde der zuständigen Behörde ebenfalls nicht mitgeteilt; insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen unter Ziff. 1.2.1.2. Auch wenn dieses Produkt nicht „verzehrfertig“ im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 war und die Lebensmittelsicherheitskriterien nach Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2. hierfür nicht gelten, belegt es doch wiederum, dass nicht nur Wammerlprodukte der Schuldnerin von der Listerienkontamination betroffen waren.
40
1.2.1.4. Die Untersuchung einer Rückstellprobe „Wacholderwammerl“ am 11.04.2016 ergab einen qualitativen Listeriennachweis in 25 g sowie einen quantitativen Befund von 10 KbE/g (Anlage B5). Der Einwand des Klägers, diese Probe sei lebensmittelrechtlich unbedenklich, weil sie sich bereits im Verkehr befunden habe und der maßgebliche Grenzwert von 100 KbE/g nicht erreicht gewesen sei, greift nicht durch. Denn dieser Grenzwert nach Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2. i.V.m. Fußnote 5 VO (EG) Nr. 2073/2005 gilt für in Verkehr gebrachte Erzeugnisse während der Haltbarkeitsdauer nur, sofern der Hersteller „zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde“ nachweisen kann, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteigt, wobei dieser Nachweis durch die im Anhang II zu Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 genannten Untersuchungen zu führen ist. Der Sachverständige hat in seiner Anhörung am 08.12.2022 bestätigt, dass es bei Lebensmitteln, die – wie unter anderem die Wammerlprodukte der Schuldnerin – prinzipiell das Wachstum von Listerien begünstigen, nicht möglich ist, allein durch ein auf HACCP-Grundsätzen beruhendes Prozesshygienemanagement und ohne Durchführung der im Anhang II spezifizierten Untersuchungen – z.B. sog. „Challenge-Tests“ – zu garantieren, dass der Listeriengehalt bis zum Ende der Haltbarkeitsdauer unter der Grenze von 100 KbE/g bleibt. Der Behauptung des Klägers, in handwerklich organisierten Betrieben wie dem der Schuldnerin sei die Durchführung von Challenge-Tests zur Erbringung der vorstehend genannten Nachweise unüblich, hat der Sachverständige in der Anhörung eine Absage erteilt. Demnach kann es nicht von der Größe des Betriebes abhängen, ob Challenge-Tests oder eine der im Anhang II bezeichneten alternativen Untersuchungsmethoden durchzuführen sind, sondern nur davon, ob potentiell gesundheitsgefährliche Produkte vertrieben werden. Im Rahmen eines betrieblichen Gesamt-Hygienekonzepts seien Endproduktkontrollen zwar etwa seit 20 Jahren gegenüber präventiven Maßnahmen in der Produktion auf dem Rückgang, aber durchaus noch üblich. Der Kläger ist den Nachweis für seine Behauptung, die von Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 2073/2005 geforderten Untersuchungen seien im Betrieb der Schuldnerin auf andere Weise als durch Challenge-Tests stets durchgeführt worden, schuldig geblieben. Er kann sich auch nicht darauf berufen, dass das Landratsamt B. T. als zuständige Aufsichtsbehörde erstmals im Auflagenbescheid vom 25.05.2016 (Anlage K33) unter Ziffer 4 explizit mikrobiologische Challenge-Tests für die Wammerlprodukte der Schuldnerin anordnete. Denn wie der Beklagte zutreffend ausführt, müssen die verarbeitenden Betriebe von sich aus und in eigener Verantwortung die Vorgaben des Lebensmittelrechts einschließlich der Zoonoseverordnung einhalten. Die unterbliebene Beanstandung einer amtlich untersuchten Produktprobe kann demnach nicht als „Zufriedenheit“ der Behörde in dem Sinn gedeutet werden, dass der Betrieb damit von der Erbringung des Nachweises nach Fußnote 5 zu Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2. VO EG (EG) Nr. 2073/2005 befreit wäre. Nach dem Urteil des EuGH vom 30.06.2022 (C-51/21, juris-Rn. 28) kann die Behörde, wenn – wie vorliegend – ein bereits in den Verkehr gebrachtes Produkt einen positiven Listerienbefund < 100 KbE/g aufweist und der Hersteller nicht zur Zufriedenheit der Behörde nachweisen kann, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteigt, nach Art. 14 Abs. 8 Basisverordnung als „geeignete Maßnahme“ darauf die – unmittelbar nicht einschlägige – Nulltoleranzgrenze aus Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2. zu Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 (“in 25 g nicht nachweisbar“) anwenden. Somit ist vorliegend von einem weiteren lebensmittelrechtlichen Verstoß auszugehen.
41
1.2.1.5. Die im Werksverkauf der Schuldnerin am 20.05.2016 entnommene Probe „Fleischwurst mit Paprika“ ergab einen qualitativen Listeriennachweis in 25 g und quantitativ < 10 KbE/g Listerien (Anlage B8). Wie der Sachverständige bei seiner Anhörung bestätigte, lag das Untersuchungsergebnis damit zwar unter der quantitativen Nachweisgrenze, aber mit dem qualitativen Test wurde das Vorhandensein (vereinzelter) Listerien nachgewiesen. Ob sich das Produkt im Sinn von Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2. VO zu Art. 7 Abs. 2 (EG) Nr. 2073/2005 noch unter unmittelbarer Kontrolle des Herstellers befand, oder ob es bereits in den Verkehr gebracht war, kann dahinstehen. Denn im ersten Fall gilt nach den vorstehenden Ausführungen die Nulltoleranzgrenze direkt, weil die Schuldnerin nicht nachgewiesen hat, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteigt, und im zweiten Fall konnte die Behörde nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 22.06.2022 (aaO) die Nulltoleranzgrenze darauf ebenfalls anwenden. Somit liegt auch insoweit ein weiterer lebensmittelrechtlicher Verstoß vor, und der Befund belegt zugleich, dass sich die anhaltende Listerienproblematik im Betrieb der Schuldnerin nicht auf deren Wammerlprodukte eingrenzen ließ.
42
1.2.1.6. Entsprechendes gilt für die am 20.05.2016 im Einzelhandel entnommene Probe „Gelbwurst mit Petersilie“, in der quantitativ 30 KbE/g Listerien nachgewiesen wurden (Anlage B9), und für die drei weiteren am 20.05.2016 und 23.05.2016 entnommenen Proben „Regensburger“ und „Gelbwurst“, in denen jeweils qualitativ Listerien in 25 g nachgewiesen (Anlagen B10-B12).
43
1.2.2. Aufgrund der vorstehenden Feststellungen war in Verbindung mit den in der E-Mail vom 25.05.2016 (Anlage K32) zusammengefassten Erkenntnissen des RKI, wonach der Nachweis desselben Listerientyps CT 1248 bei Listeriosepatienten im süddeutschen Raum seit 2012 und in der beanstandeten Produktprobe „Original Bayerisches Wacholderwammerl“ der Schuldnerin mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Zusammenhang aufzeige, die Annahme der Beklagten gerechtfertigt, dass von Erzeugnissen der Schuldnerin ein Gesundheitsrisiko für die Verbraucher ausging, das sich nicht auf deren „Wacholderwammerl“ begrenzen ließ, auch wenn bis zu diesem Zeitpunkt nur für einzelne Erzeugnisse der Schuldnerin ein Listeriennachweis geführt war. Diese Unsicherheit ließ sich im Hinblick auf das hohe Risiko einer Listerieninfektion für vulnerable Personengruppen innerhalb der kurzen gebotenen Zeit auch nicht beheben. Der Einwand des Klägers, die Schuldnerin habe stets alle Prozesshygienekriterien beachtet, trägt nicht. Werden in Lebensmitteln Keime nachgewiesen, aufgrund derer die Lebensmittel ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen, ist die zuständige Behörde grundsätzlich auch dann zur Information der Öffentlichkeit befugt, wenn der Un ternehmer bei der Herstellung des Lebensmittels das in der VO (EG) 2073/2005 vorgeschriebene mikrobiologische Qualitätsmanagement vollständig und ordnungsgemäß durchgeführt hat (vgl. VGH München, Beschluss vom 30.08.2007 – 25 CE 07.2215, Juris).
44
Dass die Einschätzung der Beklagten in der Retrospektive zutreffend war, zeigt sich im Übrigen daran, dass in der Folge weitere Produktproben der Schuldnerin positiv auf Listerien desselben Clustertyps getestet wurden (vgl. u.a. die Untersuchungsbefunde des LGL, Anlagen B13, B15), dass nach dem behördlich angeordneten Listerienkontrollkonzept vom 29.07.2016 (Anlage K16) Listerien in einer Verpackungslinie der Schuldnerin nachgewiesen und als wahrscheinliche Kontaminationsquelle identifiziert wurden, dass nach der Schließung des Betriebs der Schuldnerin unstreitig nur noch eine geringe Zahl von Listeriosefällen auftrat, die diesem Clustertyp zuzuordnen waren, und das Infektionsgeschehen in der weiteren Folge ganz zum Erliegen kam.
45
2. Dass in der Pressemitteilung die Wahrscheinlichkeitseinschätzung des RKI hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen dem Listerienbefund in dem untersuchten Lebensmittel aus dem Betrieb der Schuldnerin und bei den Listeriosepatienten nicht ganz korrekt wiedergegeben ist (“molekularbiologisch sehr hohe Wahrscheinlichkeit“ statt „hohe Wahrscheinlichkeit“, vgl. E-Mail v. 31.05.2016, Anlage K50a), begründet keine schuldhafte Amtspflichtverletzung, und es ist auch nicht anzunehmen, dass die Reaktion der Verbraucher und sonstigen Abnehmer der Produkte der Schuldnerin bei richtiger Wiedergabe der Bewertung des RKI anders ausgefallen wäre. Soweit der Kläger rügt, die Warnung habe auch eine am 25.05.2016 nach Beprobung freigegebene Charge „Wacholderwammerl“ erfasst, die nachweislich listerienfrei gewesen sei, begründet auch dies keine Amtspflichtverletzung. Es wäre sinnlos gewesen, von der Verzehrwarnung eine bestimmte Charge Wammerl auszunehmen, weil eine Zuordnung der im Einzelhandel befindliche Ware zu dieser Charge von den Verbrauchern gar nicht hätte geleistet werden können. Ob eine Amtspflichtverletzung darin liegt, dass die Pressemitteilung die Information beinhaltet, dass die zuständige Behörde der Schuldnerin vorab mündlich untersagt hatte, Ware in Verkehr zu bringen, und angeordnet hatte, auf dem Markt befindliche Ware zurückzurufen, kann ebenfalls dahinstehen. Denn es ist auch insoweit nicht ersichtlich, dass ein etwaiger Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht nach Art. 7 Abs. 3 1. Spiegelstrich VO (EG) Nr. 882/2004 für den geltend gemachten Schaden der Schuldnerin ursächlich geworden sein kann.
46
3. Es war nicht amtspflichtwidrig, in der Pressemitteilung von der Warnung nicht solche Erzeugnisse der Schuldnerin auszunehmen, die bestimmungsgemäß vor dem Verzehr durchzuerhitzen waren. Ob die Schuldnerin entsprechende Hinweise auf der Verpackung ihrer Brätprodukte angebracht hatte, kann dahinstehen. Denn der Sachverständige hat bei seiner Anhörung angegeben, das Erhitzen durch den Verbraucher sei kein zuverlässig beherrschbarer Prozess. Die Abtötung der Listerien erfordere eine bestimmte Temperatur und Zeit, und insbesondere das „Ziehenlassen“ von Weißwürsten in Wasser mit einer Temperatur von 60 bis 65 Grad Celsius reiche für eine sichere Abtötung nicht aus. Bei Leberkäsbrät, das bestimmungsgemäß für längere Zeit bei sehr hoher Temperatur zu erhitzen sei, sähe es dagegen anders aus. Jedoch kann weder im Fall von Leberkäsbrät noch von Brat- und Brühwürstchen davon ausgegangen werden, dass die Verbraucher ausnahmslos entsprechenden Hinweisen auf der Verpackung Beachtung schenken und die Waren vor dem Verzehr hinreichend lange unter hohen Temperaturen erhitzen. Selbst ein Verzehr in rohem Zustand ist bei Würstchen, die unter anderem auf (Grill-)Festen und nicht selten unter dem Einfluss alkoholischer Getränke konsumiert werden, nicht mit Sicherheit auszuschließen. Nach Auffassung des Senats gilt das Vorstehende aber auch, soweit die entsprechenden Produkte der Schuldnerin nicht an den Einzelhandel ausgeliefert wurden, sondern an gewerbliche Abnehmer wie Gastronomiebetriebe, bei denen im Grundsatz die erforderliche Sorgfalt und Kenntnisse bei der Zubereitung von Lebensmitteln vorausgesetzt werden kann. Hierfür spricht eindeutig das Urteil des BVerwG v. 14.10.2020 – 3 C 10/19, juris, das einen Hersteller von Fleischdrehspießen ungeachtet des Umstands, dass diese ausschließlich an Gastronomiebetriebe und mit dem Hinweis „Vor Verzehr vollständig durchgaren“ ausgeliefert wurden, für verpflichtet gehalten hat, bei einem positiven Salmonellenbefund in der Produktion die entsprechende Charge zurückzunehmen.
47
4. Eine jedenfalls fahrlässige Amtspflichtverletzung des für den Beklagten handelnden Personals liegt aber darin, vor Herausgabe der Pressemitteilung nicht hinreichend ermittelt zu haben, ob bzw. welche Erzeugnisse der Schuldnerin vor dem Inverkehrbringen ordnungsgemäß in der Verpackung nachpasteurisiert wurden, und in der Pressemitteilung undifferenziert auch vor dem Verzehr dieser Produkte gewarnt zu haben, von denen per se keine Gesundheitsgefahr für die Verbraucher ausgehen konnte, weil sachgerechtes Nachpasteurisieren in der Verpackung Listerien unstreitig zuverlässig abtötet. An die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts in den Verfahren nach § 123 VwGO bzw. § 80 Abs. 5 VwGO ist der Senat bei der Beurteilung des behördlichen Vor gehens nicht gebunden (vgl. zur fehlenden Bindungswirkung bei einstweiligen Anordnungen OLG München, Urt. v. 03.08.2000 – 1 U 1903/00, OLGR M. 2002, 435); im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO BGH, Urt. v. 16.11.2000 – III ZR 265/99).
48
4.1. Die Beweisaufnahme vor dem Senat und die Auswertung der zu den Akten gelangten Unterlagen hat ergeben, dass die Schuldnerin sachgerecht nachpasteurisierte Produkte in ihrem Sortiment hatte:
49
4.1.1. Die Zeugin Dr. M. Amtstierärztin am LGL, gab an, bei der Kontrolle im Betrieb der Schuldnerin am 20.05.2016 im Zusammenhang mit dem „Wacholderwammerl“ ein mögliches Nachpasteurisieren angesprochen zu haben. Der Geschäftsführer der Schuldnerin, Herr Sch habe das aber wegen Qualitätsbedenken und der Produktionstechnik abgelehnt. Sie habe diese Äußerung auf das gesamte Sortiment bezogen, allerdings nicht ausdrücklich nachgefragt. Keiner der auf Seiten der Schuldnerin anwesenden Personen habe darauf hingewiesen, dass dort andere Produkte in der Verpackung nachpasteurisiert würden. In den schriftlichen Unterlagen, insbesondere den HACCPs und der Eigenkontrollliste der Schuldnerin (Anlage BE2), habe es keinen Hinweis auf eine derartige Nachpasteurisierung gegeben, obwohl es in den HACCPs als kritischer Kontrollpunkt hätte ausgewiesen sein müssen. Aus den Ende Mai von der Schuldnerin übersandten Produktlisten sei ebenfalls nicht hervorgegangen, dass irgendwelche Produkte nachpasteurisiert seien. Auch nach der Betriebskontrolle habe sich Herr S1. weiter ablehnend gegenüber einem Nachpasteurisieren geäußert. Der Betrieb der Schuldnerin sei ihrer Einschätzung nach nicht darauf eingerichtet gewesen, in größeren Mengen Ware in der Verpackung nachzupasteurisieren.
50
Im Nachhinein habe sie erfahren, dass von den zurückgerufenen Produkten angeblich 50 Tonnen nachpasteurisiert gewesen seien. Unter der Annahme, dass die zurückgerufene Ware ein Mindesthaltbarkeitsdatum von durchschnittlich drei Wochen gehabt habe, halte sie das für unrealistisch. Als sie mit der Mitarbeiterin der Schuldnerin, Frau B., die Dokumente durchgegangen sei und dabei nochmal das Thema Nachpasteurisieren angesprochen habe, habe diese ebenso klar abgelehnt. An den von ihr inspizierten Räucher- und Kochschränken habe es keine Programme für ein Nachpasteurisieren in der Verpackung gegeben, was sie verwundert habe, weil sie es bei anderen Betrieben vergleichbarer Größenordnung anders kennengelernt habe. Sie habe am 20.05.2016 im Betrieb der Schuldnerin keine Hordenwägen mit verpackter Ware gesehen; solche Hordenwägen seien auch nicht übersehbar. Anhand der händisch geführ ten Aufzeichnungen der Schuldnerin bezüglich Temperatur / Zeit an den Koch- und Räucherschränken sei es zumindest möglich, dass ein erzeugtes Produkt ein zweites Mal in der Verpackung erhitzt worden sei. Soweit in den – der Zeugin vorgehaltenen – Anlagen K81, 99, 100, 120-122 (u.a. Fließschemata Produktion: Brühwurst bzw. Brühwurst-Wollwurst mit angegebenen Erstellungsdaten 16.12.2014 bzw. 12.02.2016) ein Erhitzen / Pasteurisieren nach dem Verpackungs- und Etikettierungsvorgang angegeben sei, seien ihr diese Unterlagen erst im Nachhinein bekannt geworden und sie vermute, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt erstellt worden seien, als sich die Schuldnerin um die Wiedereröffnung des Betriebs bemüht habe. Im Rahmen der Gespräche mit Vertretern der Schuldnerin im August 2016 zu dem neuen (Produktions-) Konzept seien auch Fließschemata vorgelegt worden, die noch Daten aus den Vorjahren enthalten hätten. Die Liste mit den amtlich untersuchten Produktproben der Schuldnerin (Anlage K62) enthalte nicht deshalb keine – angeblich – nachpasteurisierten Produkte, weil sie diese gekannt und gewusst habe, dass eine Untersuchung auf Listerien insoweit sinnlos gewesen wäre, sondern es sei jedenfalls am 20.05.2016 so gewesen, dass man genommen habe, was da war; am Freitag Nachmittag seien viele Produkte bereits abverkauft gewesen.
51
4.1.2. Der Zeuge K. sagte aus, er habe als Einkäufer für die Fa. N. von der Schuldnerin Rostbratwürste bezogen. Diese Ware sei ja in der Produktion gebrüht oder gekocht worden und habe deshalb kein Listerienproblem aufweisen können. Unter anderem habe er im Februar 2013 eine Partie Rostbratwürstchen nach einem Angebot der Schuldnerin (Anlage K87) eingekauft, die nach Angabe „pasteurisiert“ und länger haltbar gewesen sei, was für die Fa. N. natürlich von Interesse gewesen sei.
52
4.1.3. Der Zeuge Sch, vormaliger Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Schuldnerin, gab an, natürlich habe die Schuldnerin nachpasteurisierte Produkte verkauft, hauptsächlich Brat- und Brühwürste. Diese Ware sei nach der Produktion und Verpackung auf Hordenwägen gelagert und nachmittags in der Kochabteilung auf eine definierte Kerntemperatur erhitzt worden. Anschließend seien die Hordenwägen samt Inhalt mit Wasser abgekühlt worden. Er habe mit seinen Mitarbeitern nicht konkret über die Pasteurisierungsmethode gesprochen. Seiner Erinnerung nach sei aber wohl jeden Tag Ware nachpasteurisiert worden. Den Anteil dieser Waren an der Gesamtproduktion schätze er auf 30 – 40%, wobei sie auch verwendet worden seien, um Schwankungen in Nachfrage und Produktion auszugleichen. Wegen der hohen Tem peraturen bei der Nachpasteurisierung sei spezielles Verpackungsmaterial und Etiketten eingekauft und verwendet worden. Es seien auch eigene Rezepturen für die nachpasteurisierten Waren entwickelt worden. Die Nachpasteurisierung habe stets nachmittags stattgefunden. Trotz der Wasserkühlung seien die Hordenwägen nach dem Pasteurisierungsprozess noch sehr heiß gewesen, weshalb man sie im Kochbereich habe auskühlen lassen. Die Schuldnerin habe ca. 30 solcher Hordenwägen besessen. Es habe einen eigenen und definierten Zugang mit einer Schleuse vom Verpackungsbereich zurück in die Kochung gegeben. Bei der Diskussion mit den Behördenvertretern am 20.05.2016 sei es nur um das Wacholderwammerl gegangen, wobei erörtert worden sei, wie man insoweit eine zusätzliche Produktsicherheit erzielen könne, namentlich durch Änderung der Rezeptur, Pökeln oder Nachpasteurisieren. Weil durch Nachpasteurisieren die Qualität dieses Produkts gelitten hätte und das übrige Wammerlsortiment nicht gefährdet werden sollte, habe er sich entschlossen, das Wacholderwammerl aus dem Angebot zu nehmen. Es sei gar nicht darüber gesprochen worden, ob man andere Produkte nachpasteurisieren könne, dementsprechend habe er das auch nicht abgelehnt. Er habe nicht mitbekommen, dass sich einer der Kontrolleure die Koch- und Räucherschränke angeschaut habe. Diese Schränke hätten Programme, die jeweils mit einer Nummer definiert gewesen seien, und zu jeder dieser Nummern habe es Liste mit detaillierten Angaben gegeben, die in der Kochabteilung ausgehangen habe. Die Kontrolle sei um ca. 13.30 Uhr abgeschlossen gewesen, zu diesem Zeitpunkt hätten wahrscheinlich keine beladenen Hordenwägen mit nachpasteurisierter Ware in der Kochung gestanden, bei früheren Kontrollterminen am späteren Nachmittag dagegen schon. Er könne nicht sagen, ob die HACCP-Fließprotokolle nachträglich verändert worden seien. Änderungen an den Fließschemata seien teilweise auf der Ebene der Qualitätssicherung (QS) vorgenommen worden, teilweise hätten vorher Gespräche mit ihm darüber stattgefunden, und bei ganz wesentlichen Änderungen der Betriebsabläufe seien ihm die Fließschemata auch vorab vorgelegt worden. Veränderungen an den Schemata seien durch schwarze Pfeile am Rand des Dokuments angezeigt und in der Regel vom Betriebsleiter vor dem Aushang unterschrieben worden, es habe aber auch nicht unterschriebene interne Dokumente im Bereich der QS gegeben.
53
4.1.4. Der Zeuge B., Mitarbeiter des LGL, sagte aus, bei der Kontrolle am 20.05.2016 sei es um das Wammerl gegangen und ob man das nachpasteurisieren könne, von anderen nachpasteurisierten Produkten sei nicht die Rede gewesen. Er könne sich nicht erinnern, dass Herr Sch geäußert hätte, die S. GmbH habe nicht die technischen Möglichkeiten nachpasteurisieren bzw. könne sich das nicht leisten. In dem ihm vorgelegten Fließschema für Kochpökelware – dazu zähle das Wacholderwammerl, Kasseler und andere Produkte – seien keine CCPs für die Nacherhitzung endverpackter Produkte enthalten gewesen. An Hinweise darauf, dass bei der Schuldnerin Ware nachpasteurisiert worden sei, insbesondere an einen Aushang, welcher erläuterte, welches Programm an den Kochschränken für eine Nachpasteurisierung anzusteuern sei, könne er sich nicht erinnern, er habe das selbst aber auch nicht gezielt geprüft. Das habe seine Kollegin G. geprüft. Grundsätzlich könne man schon die verpackte Ware auf Hordenwägen lagern und erneut in den Kochschrank geben, er halte das aber nicht für praktikabel. Er könne sich nicht erinnern, solche Ware auf Hordenwägen gesehen zu haben. Er und seine Kollegen hätten sich in der Vorbereitung auf den Gerichtstermin alle Fotos noch einmal durchgesehen und dort habe nichts auf ein solches Vorgehen hingedeutet. Er sei selbst in der Kochung gewesen, und dort hätten sicher keine 30 beladenen Hordenwägen zur Abkühlung gestanden. Zu diesem Zeitpunkt sei dort vielmehr Ware produziert worden und die Kochschränke seien belegt gewesen. Einige Jahre zuvor sei er bereits zwecks einer Kontrolle in dem Betrieb gewesen und habe dort nichts in Bezug auf eine Nachpasteurisierung wahrgenommen. Er und seine Kollegen hätten unter anderem auch geprüft, ob die Schuldnerin Eigenkontrollen durchgeführt habe, und das entsprechend dokumentiert; von positiven Listerienbefunden sei ihm nichts gesagt worden.
54
4.1.5. Der Zeuge H., Amtstierarzt beim LRA B. T., gab an, er habe weder bei der Kontrolle am 20.05.2016 noch in anderem Zusammenhang erfahren, dass die Schuldnerin nachpasteurisierte Produkte im Angebot hatte. Er habe etwa im Zeitraum 2011-2016 die Produktion ein- bis dreimal im Jahr kontrolliert. In den Räumen für Kochung und Kühlung habe er dabei zwar Hordenwägen gesehen, aber nie welche mit verpackter Ware, die zur Nachpasteurisierung anstand oder die dort auskühlen musste. Er habe auch die Pläne der Firma gekannt und dort sei nirgends ein W.weg von der Verpackung in die Kochung eingezeichnet. Es habe dort zwar eine Verbindungstür gegeben, die aber immer geschlossen gewesen und ihm gegenüber als Notfalltür bezeichnet worden sei. Am 20.05.2016 habe der Schwerpunkt auf der Wammerlproduktion gelegen, weil man hier von einer konkreten und großen Gesundheitsgefahr für die Konsumenten ausgegangen sei, aber sie seien den ganzen Betrieb durchgegangen. Frau Dr. M. habe dafür geworben, das Wacholderwammerl nachzupasteurisieren, um für den Betrieb so Sicherheit zu erzeugen, was Herr Sch aber wegen Qualitätsbedenken abgelehnt habe. Über Nachpasteurisieren in Zusammenhang mit anderen Produkten und die Frage, ob dort das nötige Equipment vorhanden war, sei nicht gesprochen geworden. Frau Dr. M. habe sich die Programme der Schränke in der Kochung erläutern lassen, er selbst sei aber nicht dabei gewesen. An einen Aushang mit Details zu den einzelnen Programmen könne er sich nicht erinnern. Im Nachgang habe die Schuldnerin Fließschemata vorgelegt, wobei er nicht wisse, ob die schon am oder vor dem 20.05.2016 vorgelegen hätten. Er habe sowohl am 24.03.2016 als auch am 20.05.2016 gefragt, ob es im Rahmen der Eigenkontrollen positive Listerienbefunde gegeben hatte, was verneint worden ist.
55
4.1.6. Der Sachverständige erläuterte, die von dem Kläger vorgetragene Art und Weise des Nachpasteurisierens bei der Schuldnerin könne grundsätzlich in einem mittelständischen Betrieb so praktiziert werden, wobei er nicht sagen könne, ob das tatsächlich geschehen sei. Welche Mengen an Ware die Schuldnerin so hätte nachpasteurisieren können, könne er auch nicht angeben, weil das davon abhinge, wie die Produktion im Übrigen gelaufen sei und wieviele Schichten gefahren worden seien. Ein Hinweis darauf, dass tatsächlich eine Nacherhitzung stattgefunden habe, ergebe sich aus den Unterlagen der Schuldnerin in Form eines Angebots für Folien, die zweimal erhitzt werden könnten. Eine Anfrage oder ähnliches bezüglich Etiketten mit einer Beschaffenheit, die eine Nacherhitzung übersteht, habe er dagegen nicht gefunden. Die Fließschemata / Risikoanalysen der Schuldnerin bzgl. Produktion Brühwurst / Wollwurst (Anlagen K121, K122) deuteten darauf hin, dass hier Prozeduren zur Begrenzung einer mikrobiologischen Gefahr vorgesehen gewesen seien. Es sei jedoch falsch, wenn ein solcher Nachpasteurisierungsprozess nicht als eigenes CCP ausgewiesen sei. Aus hygienischer Sicht sei es kein Problem, wenn verpackte Ware im Kochschrank noch einmal erhitzt würde, zusätzliche Desinfektionsmaßnahmen seien insoweit nicht erforderlich. Ein Listeriennachweis von Ware in einer unbeschädigten Verpackung sei nur durch eine nicht durchgeführte oder unwirksame Nachpasteurisierung zu erklären.
56
4.1.7. Dem Senat ist bewusst, dass sämtliche vernommenen Zeugen – bis auf den Zeugen K.
- im „Lager“ einer der Parteien stehen und aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse an dem Ausgang des Rechtsstreits haben können. Ungeachtet dessen haben alle Zeugen auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht, und ihre Aussagen waren auch durchweg konsistent und für sich betrachtet plausibel. Es ergibt sich danach unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen und auf Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen folgendes Bild:
- der Sachverständige bestätigte, dass die von dem Kläger vorgetragene Methode der Nachpasteurisierung im Betrieb der Schuldnerin grundsätzlich statthaft, praktikabel und auch unter hygienischen Gesichtspunkten unbedenklich sei. Er konnte auch nicht ausschließen, dass eine Nachpasteurisierung von Ware in der von dem Kläger angegebenen Größenordnung durchgeführt werden konnte.
- Der Zeuge B. bestätigte, dass im Betrieb der Schuldnerin Hordenwägen vorhanden waren, die (auch) zum Zweck einer Nachpasteurisierung benutzt werden konnten. Auch auf einem im Rahmen einer behördlichen Kontrolle gefertigten Foto (im Anlagenkonvolut 123) sind Hordenwägen zu sehen.
- der von dem Zeugen Sch geschilderte Ablauf der Nachpasteurisierung, insbesondere auch der Transportweg aus den Verpackungs- und Etikettierungsräumen zurück in die Kochung ist anhand der vorgelegten Pläne der Produktionsstätte nachvollziehbar, auch wenn er – so der Zeuge H. – dort nicht speziell eingezeichnet ist und die von dem Zeugen Sch beschriebene „Schleuse“ laut dem Zeugen H. ihm gegenüber als „Notfalltür“ bezeichnet worden war.
- Die Behauptung des Beklagten, der Zeuge Sch habe es grundsätzlich abgelehnt, in seinem Betrieb Produkte in der Verpackung nachzupasteurisieren, ist durch die Beweisaufnahme widerlegt.
- Die Zeugin Dr. M. war am 20.05.2016 das erste Mal in der Produktionsstätte der Schuldnerin, der Zeuge B. war am 20.05.2016 und bei einer früheren Kontrolle zugegen, und der Zeuge H. im Rahmen von behördlichen Kontrollen im Zeitraum 2011-2016 etwa 12 mal. Keiner der Zeugen hat anlässlich dieser Kontrollen Wahrnehmungen gemacht oder Unterlagen eingesehen, die auf ein Nachpasteurisieren der von Klägerseite bezeichneten Produkte (Rostbratwürste und Rostbratwürstchen, Weißwürste, Wollwürste und vegetarische Grillwürste, vgl. die Auflistung im Schriftsatz vom 02.03.2022, S. 9) hätte schließen lassen. Von dem Geschäftsführer der Schuldnerin und ihren Mitarbeitern wurde diesbezüglich auch nichts geäußert. Die Kontrolle am 20.05.2016 fand allerdings am Vormittag statt, wohingegen nach Angabe des Zeugen Sch der Nachpasteurisierungsprozess regelmäßig erst nachmittags nach abgeschlossener Produktion der Wurstwaren erfolgte. Es ist auch nicht fernliegend, dass die in den zurückliegenden Zeiträumen durchgeführten Kontrollen ebenfalls an Vormittagen durchgeführt wurden.
- Bei den Gesprächen zwischen den Beamten des LGL / des LRA und den Vertretern der Schuldnerin am 20.05.2016 ging es nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen explizit lediglich um das von der Behörden als gefährlich eingestufte „Wacholderwammerl“ bzw. insgesamt um die Wammerlprodukte der Schuldnerin. Die Nachpasteurisierung anderer Produkte wurde ausdrücklich nicht thematisiert; insoweit bestand auch keine Veranlassung für den Zeugen Sch bzw. die weiteren an der Besprechung beteiligten Mitarbeiter, hierzu Unterlagen (inbesondere HACCPs) vorzulegen.
- Die Anlagen K82 (E-mail vom 20.11.2011, betreffend Reklamation der Schuldnerin gegenüber einem Lieferanten wegen mangelhafter pasteurisierfähiger Etiketten), K 83 (Kundenspezifikation eines Folienlieferanten der Schuldnerin v. 24.06.2011 für Füllgut „Fleischwaren mit Pasteurisation nach der Abpackung“ mit hohem thermischem Einsatzbereich), K84 (2 Warenversandscheine „Münchener Weißwurst“ und „Rostbratwürstchen“ v. 25.02.2015 für eine Messe mit handschriftlichem Eintrag „andere techn. Herstellung: Packung nachpasteurisiert“), K 85 (Arbeitsanweisung für „Pasteurisierende Produkte“, datiert auf 13.11.2012 betr. Weißwürste, Wollwürste und Rostbratwürste), K86 (Bestätigung eines Folienlieferanten v. 12.02.2014, dass die Folien für eine Pasteurisationsanwendung bei 80 Grad Celsius für die Dauer einer Stunde geeignet sind), K87 (Angebot der Schuldnerin v. 28.02.2013 an Fa. N. über „Rostbratwürstchen pasteurisiert“), K88 (Produktspezifikation v. 31.08.2014 für Münchener Weißwurst, „pasteurisiert“), K 89 (Schreiben der Schuldnerin an Fa. N. v. 23.07.2015 betreffend Preisreduzierung für Rostbratwürstchen „pasteurisiert“), K 90 (Konformitätserklärung der Fa. C. P. v. 02.02.2011 gegenüber der Schuldnerin betr. Folienverpackung für Münchener Weißwurst mit Produkteigenschaft „fetthaltig, Pasteurisation nach Abpackung“), K91 (Arbeitsanweisung der Schuldnerin v. 22.10.2012 für Räucherei, unter „Temperaturkontrolle: Jede Kochung und Nachpasteurisierung muss mit dem Handtemperaturmessgerät…überprüft werden.“) belegen eindeutig, dass im Betrieb der Schuldnerin Wurstwaren in der Verpackung nachpasteurisiert und vertrieben wurden.
57
Bestätigt wird dies auch durch die Aussage des neutralen Zeugen S2. 31 K.
- Soweit die Zeugin Dr. M. angab, der Betrieb der Schuldnerin sei ihrer Einschätzung nach nicht für die Nachpasteurisierung größerer Mengen Ware eingerichtet gewesen, und eine Nachpasteurisierung von 50 Tonnen zurückgerufener Ware halte sie für unrealistisch, fällt diese Bewertung nicht in ihr originäres Fachgebiet als Veterinärin, und sie wurde von den weiteren Zeugen B. und H. sowie dem Sachverständigen so auch nicht bestätigt.
- es liegen zwei Fließschemata für die Produktion von Brühwurst mit Erstellungsdaten 16.12.2014 (Anlage K81) bzw. 12.02.2016 (Anlage K121), und ein Schema für Brühwurst-Wollwurst mit Erstellungsdatum 12.02.2016 (Anlage K122), die jeweils ein gesondertes CCP für eine Nachpasteurisierung nach Verpackung und Etikettierung beinhalten. Der Vortrag des Beklagten bzw. die Vermutung der Zeugin Dr. M., diese Schemata seien nachträglich geändert und rückdatiert worden, ist nicht bewiesen.
- Die Zeugin Dr. M. gab zwar an, sie habe bei der Inspektion der Räucherund Kochschränke am 20.05.2016, anders als bei anderen ihr bekannten Lebensmittelherstellern, keine Programme für ein Nachpasteurisieren gesehen. Allerdings waren ihrer weiteren Aussage zufolge an den Kochschränken doch händische Temperaturund Zeitaufzeichnungen vorhanden, die mit einem erneuten Erhitzen verpackter Ware vereinbar waren.
- Die von dem Beklagten mit Schriftsatz vom 14.12.2022 vorgelegten Unterlagen zu verschiedenen Programmen der Räucheranlagen der Schuldnerin weisen ebenfalls kein spezifisches „Nachpasteurisierungsprogramm“ aus, allerdings sind sie von der Nummerierung (Nr. 21, 30,31, 34,35) her offensichtlich auch nicht vollständig. Weiter benennt die ebenfalls mit diesem Schriftsatz vorgelegte Betriebsübersicht der Schuldnerin aus dem Jahr 2010 als kritische Kontrollpunkte im Rahmen des HACCP-Konzepts lediglich Metalldetektion, Erhitzungsprozess bei gegarten Produkten, Schneideprozess bei Produkten in Streifen, und den ph-Wert bei Rohwurst, aber kein (Nach) Pasteurisieren. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Nachpasteurisierung einen „Critical Control Point“ = CCP darstellt. In Ansehung der überwiegenden, für eine tatsächlich erfolgte Nachpasteurisierung sprechenden Umstände geht der Senat aber davon aus, dass (nur) das HACCP-Konzept der Schuldnerin seinerzeit zu beanstanden war.
- Nach dem Vortrag des Beklagten soll ein positiver Listeriennachweis in einer am 22.05.2016 gezogenen Eigenkontrollprobe von „Mini-Rostbratwürstchen“ der Schuldnerin geführt worden sein, die nach dem Vorbringen des Klägers stets nachpasteurisiert wurden und deshalb keine (lebenden) Listerien hätten enthalten dürfen. Zu dieser Probe findet sich jedoch kein Beleg in der Akte, und die hierfür benannte Zeugin Dr. M. hat den Sachverhalt bei ihrer Befragung auch nicht angesprochen. Dokumentiert ist dagegen ein positiver Listerienbefund für die von der Schuldnerin am 17.03.2016 veranlasste Beprobung von „Mini Rostbratwürstchen mit Heumilchkäse“ (Anlage B18, siehe dazu auch vorstehend Ziffer 1.2.1.3). Dabei handelte es sich allerdings wohl nicht um ein nachpasteurisiertes Produkt.
- Unter Würdigung der gesamten vorstehend genannten Umstände ist der Senat zu der Überzeugung gelangt (§ 286 ZPO), dass die Schuldnerin tatsächlich die im Schriftsatz des Klägervertreters vom 09.03.2022, S. 9 näher spezifizierten Wurstwaren in ihrem Sortiment hatte, sie über die technischen Mittel für die Nachpasteurisierung dieser Produkte verfügte, der Nachpasteurisierungsprozess grundsätzlich keinen hygienischen Bedenken begegnete, und die Nachbehandlung dieser Erzeugnisse auch sachgerecht durchgeführt wurde. Soweit diese Überzeugung auf der Anhörung des Sachverständigen beruht: Prof. Dr. S. ist ein herausragender Fachmann auf dem relevanten Gebiet der Tiermedizin, hier der Lebensmittelhygiene, der nach Anhörung beider Parteien auf Vorschlag des Klägers beauftragt wurde. In der mündlichen Anhörung zeigte sich, dass er den Sachverhalt vollständig erfasst hatte und auf Fragen des Gerichts und der Parteien profund und unparteiisch Auskunft geben konnte.
58
4.2. Die behördlichen Vertreter des Beklagten wären nach dem Amtsermittlungsgrundsatz angesichts der schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für die Schuldnerin, die absehbar aus einer unbeschränkten Produktwarnung resultieren würden, verpflichtet gewesen, trotz der im Hinblick auf eine Gesundheitsgefahr für die Konsumenten gebotenen Eile vor Herausgabe der Pressemitteilung von sich aus durch Befragung des Personals der Schuldnerin zu eruieren, welche – ja durchaus marktüblichen – nachpasteurisierten Erzeugnisse sie in ihrem Sortiment führte. Der Senat geht bei lebensnaher Betrachtung davon aus, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin in diesem Fall der Behörde kurzfristig eine entsprechende Produktliste vorgelegt hätte, um noch weitergehende Nachteile für seinen Betrieb abzuwenden. Im Zweifel hätten die Mitarbeiter des LGL bzw. des LRA den Betrieb noch einmal aufsuchen und sich den Nachpasteurisierungsprozess erläutern bzw. selbst in Augenschein nehmen können. Nicht ausreichend war es dagegen, der Schuldnerin überraschend eine generelle Warnung vor dem Verzehr ihrer Produkte anzukündigen und ihr lediglich Gelegenheit zu geben, innerhalb einer Frist von nur wenigen Stunden eine einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht zu beantragen. Ob die Behauptung des Klägers zutrifft, die Behördenmitarbeiter hätten positive Kenntnis von der Nachpasteurisierung der bezeichneten Wurstwaren gehabt, kann dahinstehen; entsprechend konnte insoweit auf die Vernehmung der hierfür weiter benannten Zeugen B., B., B. K., Dr. L. und M. verzichtet werden.
59
5. Wäre die Pressemitteilung so verfasst worden, dass darin die vorstehend genannten nachpasteurisierten Produkte von der Verzehrwarnung ausgenommen worden wären (Formulierung in der Überschrift z.B.: „Verbraucherschutzministerium rät vom Verzehr bestimmter Schinken- und Wurstprodukte der Firma S. ab“, und entsprechend dann auch im Text unter Benennung der für die Gesundheit der Verbraucher unbedenklichen Produkte im Einzelnen), erscheint es zumindest als möglich, dass die Insolvenz der Schuldnerin und damit der weitaus größte Teil des geltend gemachten Schadens vermieden worden wäre. Der Senat teilt nicht von vorneherein die Auffassung des Landgerichts (Urteil S. 22), dass die Insolvenz zwingend auch im Fall einer eingeschränkten Warnung eingetreten wäre, weil die Verbraucher aus Vorsicht oder weil sie sich nicht die Mühe gemacht hätten zu differenzieren, überhaupt keine Erzeugnisse der Schuldnerin mehr gekauft hätten. In anderen lebensmittelrechtlichen Fällen, wo konkret vor dem Verzehr eines Produktes bzw. einer bestimmten Charge gewarnt wird, sind die Verbraucher in der Regel auch durchaus zur Differenzierung in der Lage und meiden nicht gleich das gesamte Sortiment des betroffenen Herstellers, sondern vertrauen im Grundsatz auf die Verkehrssicherheit eines Produkts, wenn es sich in den Regalen des Einzelhandels befindet. Abgesehen davon machte die Schuldnerin einen nicht unerheblichen Teil ihres Umsatzes mit dem Verkauf an gewerbliche Abnehmer aus dem Gastronomiebereich (vgl. die entsprechenden Listen in Anlage K46), die aller Wahrscheinlichkeit nach die pasteurisierten Produkte als unbedenklich angesehen und diese weiterverarbeitet bzw. ihren Gästen vorgesetzt hätten.
60
Wie viel von den bereits ausgelieferten und zurückgerufenen Waren wertmäßig auf die unbedenklichen Produkte entfiel, ob die Schuldnerin, wie der Beklagte behauptet, zum Zeitpunkt der Warnung ohnehin schon insolvenzreif war, in welchem Umfang nachpasteurisierte Ware produziert wurde und welchen Anteil sie am Umsatz der Schuldnerin hatte, ob die Schuldnerin mit dem eingeschränkten Sortiment bis zur Abstellung des Listerienproblems in ihrem Betrieb und Wiederaufnahme der vollen Produktion noch zahlungsfähig (§ 17 InsO) gewesen wäre, und wie hoch ggf. der Unternehmenswert war, wird Gegenstand der vor dem Landgericht noch durchzuführenden Beweisaufnahme sein. Dass die Schuldnerin infolge der Amtspflichtverletzung einen Vermögensschaden erlitten hat, steht zweifelsfrei fest.
61
6.1. Den damaligen Geschäftsführer der Schuldnerin trifft jedoch ein nicht unerhebliches Mitverschulden an der (möglichen) Schadensentstehung (§ 254 BGB), das sich die Schuldnerin – und damit auch der Kläger, der ihren Schaden im eigenen Namen geltend macht – zurechnen lassen muss. Zum Einen wäre es für den Geschäftsführer als Verantwortlichen für die Abläufe im Betrieb, der zudem mit der Listerienproblematik jedenfalls bezüglich des „Wacholderwammerl“ bereits einige Zeit befasst war, trotz der durch die kurzfristige Ankündigung einer umfassenden Produktwarnung nachvollziehbar verbundenen Überraschung naheliegend gewesen, die Vertreter des Beklagten direkt darauf hinzuweisen, dass die Schuldnerin hinsichtlich einer Verbrauchergefährdung durch Listerien aufgrund des Herstellungsprozesses von vornherein unbedenkliche Wurstwaren in ihrem Sortiment hatte, die von der beabsichtigten Warnung hätten ausgenommen werden müssen. Zum Anderen hätte er den Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin vor Beantragung der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO entsprechend instruieren können und müssen, um weitergehenden Schaden von seinem Betrieb abzuwenden. Der Senat folgt dem Landgericht (Urteil S. 19 f) dahingehend, dass die Formulierung im Antrag vom 27.05.2016, es sei „unverhältnismäßig, vor allen Produkten und nicht nur vor den etwaig…belasteten Erzeugnissen“ zu warnen, nicht ausreichte, und dass das Verwaltungsgericht bei Vortrag zu den herstellungsbedingt ungefährlichen Wurstwaren der Schuldnerin nicht der Argumentation der Behörde gefolgt wäre, eine Warnung vor allen Produkten sei erforderlich, weil die Eintragsquelle der Listerien nicht gefunden worden sei. Der Senat erachtet das Mitverschulden des Zeugen S1. abweichend vom Landgericht allerdings nicht als so gravierend, dass ein vollständiger Haftungsausschluss gerechtfertigt wäre, sondern bewertet es insbesondere im Hinblick auf die Kürze der Zeit, welche der Schuldnerin als Reaktion auf das Vorgehen des Beklagten zur Verfügung stand, lediglich mit 1/3. Denn es erscheint nachvollziehbar, dass für den Zeugen Sch – und dann auch für die anwaltlichen Vertreter des Unternehmens – die gänzliche Vermeidung eines Schadens im Vordergrund stand und nicht dessen Begrenzung. Für die Quote des Mitverschuldens ist es im Übrigen unerheblich, ob Mitarbeiter des LRA aus früheren Kontrollen Kenntnis von in der Verpackung nachpasteurisierter Ware hatten, sodass auch unter diesem Aspekt eine Vernehmung der hierfür weiter angebotenen Zeugen nicht veranlasst war.
62
6.2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 839 Abs. 3 BGB, wonach die Haftung wegen Verletzung einer Amtspflicht ausgeschlossen ist, wenn es der Verletzte schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des Landgerichts (Urteil S. 18), dass der Gebrauch eines Rechtsmittels mit unzulänglicher Begründung nicht unter diese Vorschrift fällt, weil es sich dabei um eine eng auszulegende Ausnahmebestimmung zum auch bei der Amtshaftung anwendbaren § 254 BGB handelt. Die Nichteinlegung eines weiteren Rechtsmittels gegen eine gerichtliche Entscheidung ist ebenfalls kein Anwendungsfall von § 839 Abs. 3 BGB (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB 81. Aufl. § 839 Rn. 72, 81), sodass auch die Hinnahme der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren durch die Schuldnerin nicht zum Haftungsausschluss führt.
63
7. Die mündliche Rückruf- und Untersagungsanordnung vom 27.05.2016 (Anlage K44) und deren schriftliche Bestätigung durch Auflagenbescheid vom 28.05.2016 (Anlage K45) war grundsätzlich nach Art. 54 Abs. 1 und 2 c) und h) VO (EG) 882/2004 gerechtfertigt. Wie in dem Auflagenbescheid rechtlich zutreffend ausgeführt wird, lag bei dem am 16.03.2016 beprobten „Wacholderwammerl“ eindeutig ein lebensmittelrechtlicher Verstoß im Sinn von Art. 7 Abs. 2 EG (VO) Nr. 2073/2005 vor, der auch als Grundlage für die am 27./28.05.2016 getroffenen Maßnahmen noch mitberücksichtigt werden konnte, weil durch die Umstellung der Produktion und Verpackung der Wammerl die Listerienproblematik im Betrieb der Schuldnerin nicht behoben wurde, wie sich an den positiven Listerienbefunden des am 11.04.2016 beprobten „Wacholderwammerl (Anlage B5), und den am 20.05.2016 bzw. 23.05.2016 entnommenen Proben „Fleischwurst mit Paprika“ (Anlage B8), „Gelbwurst mit Petersilie“ (Anlage B9), „Regensburger“ und „Gelbwurst“ (Anlagen B10-B12) zeigte. Wie vorstehend unter Ziff. 1.2.1.4 – 1.2.1.6 bereits ausgeführt, galt für diese Proben nach den Grundsätzen der Entscheidung des EuGH v. 30.06.2022 (aaO) zwar keiner der beiden Grenzwerte nach Anhang I Kapitel 1 Ziff. 1.2. zu Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 unmittelbar, aber unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 8 Basisverordnung war die Anwendung der Nulltoleranzgrenze (Listerien in 25 g nicht nachweisbar) auf diese Produkte auch insoweit gerechtfertigt, als sie bereits in den Verkehr gebracht waren. Somit lagen in Bezug auf diese Produktproben weitere Verstöße im Sinn von Art. 54 Abs. 1 VO (EG) Nr. 882/2004 vor, die in Anbetracht der durch das RKI vermittelten Erkenntnisse (siehe vorstehend Ziff. 1.2.2.) nicht nur die Warnung vor den unter Listerienverdacht stehenden Produkten der Schuldnerin rechtfertigte, sondern auch deren Rückruf sowie eine vorläufige Produktionsuntersagung bis zur vollständigen Klärung der Listerieneintragsquelle. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des Beklagten, dass Art. 54 VO (EG) Nr. 882/2004 im vorliegenden Fall nicht nur den Rückruf der konkret beanstandeten Produktchargen im Sinn von Art. 14 Abs. 6 Basisverordnung und Art. 2e VO (EG) 2073/2005 abdeckt, sondern sämtliche unter dem Verdacht des Listerienbefalls stehenden Wurst- und Fleischerzeugnisse der Schuldnerin. Dass es mit Ausnahme der nachpasteurisierten Waren zu diesem Zeitpunkt keine „sicheren“ Lebensmittel im Sinn der Basisverordnung bei der Schuldnerin gab, wird dadurch bestätigt, dass im Nachhinein die Verpackungslinie als Kontaminationsquelle identifiziert wurde.
64
8. Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung liegt indes auch hinsichtlich der Rückruf- und Verbotsanordnungen darin, dass die nachpasteurisierten Produkte der Schuldnerin davon nicht ausgenommen wurden; auf die hier entsprechend geltenden Ausführungen unter Ziff. 4.2. wird verwiesen. Den Geschäftsführer der Schuldnerin trifft auch insoweit ein Mitverschulden an dem dadurch zweifellos verursachten Schaden, den der Senat ebenfalls mit 1/3 bewertet. Er hat versäumt, die Behördenvertreter auf die Existenz nicht listerienverdächtiger, nachpasteurisierter Produkte aufmerksam zu machen (s.o. Ziffer 6.1.), und auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde der Prozessbevollmächtigte des Unternehmens nicht entsprechend instruiert; hier wurde lediglich das Thema „vor dem Verzehr zu erhitzende Produkte“ angeschnitten (vgl. VG München, Beschluss vom 16.06.2016, S. 17/18, 20). Soweit der Beklagte meint, eine weitere Obliegenheitsverletzung liege darin, dass der Zeuge Sch die behördlichen Anordnungen vom 27.05./28.05.2016 sofort umgesetzt habe, ohne die Entscheidung des VG abzuwarten, hat dieses Vorgehen jedenfalls nicht den Schaden vertieft, weil die gerichtliche Entscheidung ja gegen die Schuldnerin ausfiel. Dem Einwand des Beklagten, die Schuldnerin habe die Kausalität zwischen der (angeblichen) Pflichtverletzung und dem behaupteten Schaden unterbrochen, indem sie nicht nur anordnungsgemäß Schinken- und Wurstprodukte zurückgerufen habe, sondern ihr gesamtes Sortiment, folgt der Senat ebenfalls nicht. Der Beklagte hat schon nicht substantiiert vorgetragen, welche anderen Produkte die Schuldnerin noch vertrieben haben soll.
65
9. Der Rechtsstreit ist auch der Höhe nach insoweit zur Entscheidung reif, als die Schuldnerin aufgrund der mündlichen Rückrufanordnung und dem Auflagenbescheid an die Fa. Netto ausgelieferte, nachpasteurisierte SB-Rostbratwürste zum Verkaufspreis von 23.301,96 €, SB-D. Rostbratwürste zum Verkaufspreis von 5.054,28 €, und SBMinirostbratwürste zum Verkaufspreis von 14.686,32 €, also insgesamt 43.042,56 €, zurücknehmen musste. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils von 1/3 ergibt sich hieraus ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 28.695,04 €. Ob die Fa. N. bereits wegen der allgemeinen Produktwarnung vertraglich zur Rückgabe der bezogenen Waren berechtigt gewesen wäre, kann somit dahinstehen.
66
Ob die Voraussetzungen für einen Anspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs vorliegen, kann offen bleiben, weil eine zu gewährende Entschädigung der Höhe nach dem Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB entsprechen würde.
67
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht nach § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die restliche Höhe des Schadensersatzanspruchs sind gegeben, und der Senat erachtet diese Vorgehensweise im Hinblick auf den Umfang der noch durchzuführenden Beweisaufnahme (s.o. Ziffer 5) auch für zweckdienlich.
68
II. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
69
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft weder Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.