Titel:
vorläufige Streitwertfestsetzung, Gerichtskostenfreiheit, Erinnerung gegen den Kostenansatz, asylrechtliche Streitigkeit, Angelegenheit der Fürsorge, Benutzungsgebühren für Asylbewerberunterkunft
Normenketten:
GKG §§ 63, 66
AsylG § 83b
VwGO § 188
DVAsyl §§ 1, 22, 23
Schlagworte:
vorläufige Streitwertfestsetzung, Gerichtskostenfreiheit, Erinnerung gegen den Kostenansatz, asylrechtliche Streitigkeit, Angelegenheit der Fürsorge, Benutzungsgebühren für Asylbewerberunterkunft
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 17.12.2021 – AN 4 M 21.2132
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45614
Tenor
I. Die Kostenrechnung des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. September 2021 und der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2021 werden aufgehoben.
II. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
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1. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 20. September 2021 ließ der Kläger Klage gegen den Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 20. August 2021 erheben, mit dem sein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend insgesamt 21 Kostenfestsetzungsbescheide nach §§ 22, 23 DVAsyl abgelehnt worden war. Nach Klageeingang legte der Berichterstatter der zuständigen Kammer des Verwaltungsgerichts Ansbach gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG den vorläufigen Streitwert auf 9.013,40 € fest. Am 29. September 2021 erging daraufhin gegenüber dem Kläger nach § 52 Abs. 3 in Verbindung mit § 63 Abs. 1 GKG eine Kostenrechnung über 798,- €, die innerhalb eines Monats zu entrichten war. Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 8. Oktober 2021 unter Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens nach § 83b AsylG Erinnerung erheben. Der Erinnerung half die Kostenbeamtin nicht ab und legte sie dem Einzelrichter zur Entscheidung vor.
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2. Dieser wies die Erinnerung mit Beschluss vom 17. Dezember 2021 zurück. Der Sache nach wende sich der Erinnerungsführer nicht gegen den Kostenansatz vom 29. September 2021, sondern gegen die diesem zugrundeliegende Streitwertfestsetzung vom 22. September 2021. Für die Unrichtigkeit der Kostenrechnung an sich bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG könnten Einwendungen gegen die Höhe der vorläufigen Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG nur im Verfahren über die Beschwerde gegen einen Beschluss geltend gemacht werden, durch den die Tätigkeit des Gerichts von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht werde. Nachdem ein solcher Beschluss im vorliegenden Fall nicht ergangen sei, erweise sich die vorläufige Streitwertfestsetzung als unanfechtbar. Darüber hinaus bestehe kein Anlass, die vorläufige Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GKG von Amts wegen zu ändern. Die Voraussetzungen der Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens nach § 83b AsylG lägen im vorliegenden Fall nicht vor, da es sich nicht um eine „Streitigkeit nach diesem Gesetz“ handle. Das Gericht teile dabei nicht die Auffassung des Senats (BayVGH, B.v. 2.11.2020 – 12 C 20.32011 – BeckRS 2020, 31462 Rn. 36), sondern stattdessen die mutmaßlich überzeugendere Auffassung des Verwaltungsgerichts Regensburg (VG Regensburg, B.v. 11.11.2021 – RN 11 K 20.02890 – unveröffentlicht). Bei der auch im vorliegenden Fall streitgegenständlichen Regelung des § 22 DVAsyl handle es sich nicht um eine solche, die ihre Rechtsgrundlage im Asylgesetz finde. Die Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12a des Aufenthaltsgesetzes (Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl) basiere auf verschiedenen Rechtsgrundlagen. Speziell die Kostenpflicht nach § 22 DVAsyl und die Erhebung einer Benutzungsgebühr nach § 23 DVAsyl fänden ihren Rechtsgrund in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Kostengesetz (KG), weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass im materiellen Sinn eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz vorliege. Weiter würde die Annahme einer „Streitigkeit nach diesem Gesetz“ im Sinne von § 83b AsylG notwendigerweise auch zur Anwendbarkeit der sonstigen verfahrensrechtlichen Besonderheiten der §§ 74 ff. AsylG führen, insbesondere zur Anwendbarkeit der zweiwöchigen Klagefrist nach § 74 Abs. 1 1. Halbs. AsylG. Dass derartiges vom Verordnungsgeber für Fälle wie den vorliegenden beabsichtigt worden sein soll, sei nicht ersichtlich.
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3. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde vom 29. Dezember 2021, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat. Als unzutreffend erweise sich bereits die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Erinnerung richte sich der Sache nach nicht gegen den Kostenansatz vom 29. September 2021, sondern nur gegen die diesem zugrundeliegende Streitwertfestsetzung vom 22. September 2021. Deren Gegenstand bilde vielmehr der Kostenansatz „dem Grunde nach“, der sich wegen einer Verletzung von Bestimmungen des Kostenrechts als fehlerhaft erweise. Die Gerichtskostenfreiheit nach § 83b AsylG ergebe sich vorliegend aus dem Gefüge und dem Sinnzusammenhang der maßgeblichen Regelungen, wie sie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zutreffend herausgearbeitet habe. Die Landesanwaltschaft Bayern hat zur Beschwerde des Klägers keine Stellungnahme abgegeben.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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Die nach § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG zulässige Beschwerde, über die nach § 66 Abs. 6 Satz 1 2. Halbs. GKG der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist begründet und führt zur Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Kostenansatzes und des im Erinnerungsverfahren ergangenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Denn entgegen dessen Auffassung richtete sich die Erinnerung des Klägers gegen den Kostenansatz dem Grunde nach und nicht gegen die Höhe der vorläufigen Streitwertfestsetzung i.S.v. § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG (1.). Darüber hinaus erweist sich das Klageverfahren jedenfalls nach § 188 Satz 2, 1 VwGO im vorliegenden Fall als gerichtskostenfrei. Ob sich die Gerichtskostenfreiheit darüber hinaus auch aus § 83b AsylG ergibt, kann daher offenbleiben (2.).
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1. Die gegen den verwaltungsgerichtlichen Kostenansatz nach § 66 Abs. 1 Satz 1 GKG vom Kläger eingelegte Erinnerung war im vorliegenden Fall nicht deshalb unstatthaft, weil sie sich, wie das Verwaltungsgericht rechtsirrig annimmt, gegen die Höhe des nach § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG vorläufig festzusetzenden Streitwerts gerichtet hätte, die nur nach Maßgabe von § 63 Abs. 1 Satz 2 GKG überprüfbar und daher im vorliegenden Fall unanfechtbar sei. Es ist in der Rechtsprechung des Senats und weiterer Obergerichte vielmehr anerkannt, dass eine Kostenerinnerung auch gegen den Ansatz von Gerichtskosten „dem Grunde nach“ mit der Begründung erhoben werden kann, für das Verfahren bestehe nach § 2 GKG, gegebenenfalls in Verbindung mit § 188 Satz 2 VwGO oder § 83b AsylG, sachliche Kostenfreiheit (vgl. hierzu bereits BayVGH, B.v. 14.6.2006 – 12 C 06.881 – BeckRS 2009, 38163; zum Streitstand OVG Münster, B.v. 16.10.2015 – 12 E 157/15 – BeckRS 2015, 55455 Rn. 5 f.; vgl. ferner VG Kassel, B.v. 3.8.2021 – 4 K 432/21-KS – juris Rn. 13). Hierin liegt eine Verletzung des Kostenrechts durch einen dem Grunde nach fehlerhaften Kostenansatz.
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2.1. Darüber hinaus spricht im vorliegenden Fall bereits Vieles dafür, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts das Klageverfahren, das sich gegen die Ablehnung der Wiederaufnahme des Verfahrens im Hinblick auf die Erhebung von Benutzungsgebühren für die Unterbringung in einer staatlichen Asylbewerberunterkunft nach §§ 22, 23 DVAsyl richtet, nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei ist, da eine „Streitigkeit nach diesem Gesetz“ vorliegt (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 12.2.2019 – 1 KSt 1/19 – NVwZ 2019, 895, Rn. 7). Denn die Verpflichtung des Klägers, in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft Wohnung zu nehmen, die als Nebenfolge im Falle einer Erwerbstätigkeit des Asylbewerbers die Gebührenschuld nach sich zieht, wurzelt ausschließlich im Asylrecht, nämlich in § 47 oder § 53 AsylG (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 21 C 16.30043 – BeckRS 2016, 55031, Rn. 10). Augenscheinlich liegt den Gebührenbescheiden, gegen die der Kläger sich im Rahmen seines Wiederaufnahmegesuchs wendet, auch kein Fall des § 1 Abs. 2 DVAsyl zugrunde, bei dem das Asylverfahrens des Asylbewerbers positiv abgeschlossen ist, er jedoch mangels einer entsprechenden Wohnung als „Fehlbeleger“ in der Asylbewerberunterkunft verbleibt. Soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss suggeriert, die Zuordnung des vorliegenden Rechtsstreits zu „Streitigkeiten nach diesem Gesetz“ nach § 83b AsylG würde zugleich die vom Gesetzgeber angeblich nicht gewollte Geltung der verkürzten Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG implizieren, verkennt es den unterschiedlichen Wortlaut der genannten Normen. Lediglich bei „Entscheidungen nach diesem Gesetz“ gilt die Zwei-Wochen-Frist zur Klageerhebung. Die genannten Fragen bedürfen indes hier keiner abschließenden Entscheidung, da sich die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens bereits nach § 188 Satz 2 1. Halbs., Satz 1 VwGO bestimmt.
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2.2 Nach § 188 Satz 1 VwGO sollen die Sachgebiete u.a. in „Angelegenheiten der Fürsorge“ in einer Kammer oder einem Senat zusammengefasst werden; in Verfahren „dieser Art“ werden nach § 188 Satz 2 1. Halbs. VwGO Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben. Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Unterbringung von Asylbewerbern in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften, den hierfür zu erhebenden Gebühren bzw. den sozial gebotenen Gebührenermäßigungen rechnen insoweit zu den – grundsätzlich weit zu verstehenden (vgl. hierzu etwa Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Juli 2021, § 188 VwGO Rn. 8) – Angelegenheiten der Fürsorge. Dass § 188 Satz 1 VwGO Streitigkeiten in Angelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von dem Gebot der Zusammenfassung in einer Sozialkammer oder einem Sozialsenat ausnimmt, trägt allein klarstellend der Rechtswegverlagerung derartiger Streitigkeiten zur Sozialgerichtsbarkeit Rechnung, beseitigt hingegen nicht die Gerichtskostenfreiheit in Angelegenheiten der Fürsorge. Diese umfassen vielmehr alle den Verwaltungsgerichten noch zugewiesenen Sachgebiete, die Fürsorgemaßnahmen im weiteren Sinne zum Gegenstand haben (Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Juli 2021, § 188 VwGO Rn. 8).
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Durch Art. 2 des 7. Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2014 (BGBl. I, S. 3302) ist § 188 VwGO in diesem Sinne neu gefasst und der weit auszulegende Begriff der „Fürsorge“ in diese Norm wieder eingefügt worden. Hierzu zählen insbesondere finanzielle, wirtschaftliche und gesundheitliche Leistungen, die dem Hilfsbedürftigen ein Leben ermöglichen, das der Menschenwürde entspricht. Demnach stellen etwa verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, die die Unterbringung einer Person in einer Wohnunterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit zum Gegenstand haben, Angelegenheiten der Fürsorge im vorstehend genannten Sinne dar (so OVG Hamburg, B.v. 14.2.2011 – 4 Bs 11/11 – BeckRS 2011, 48074; B.v. 4.10.2011 – 4 So 82/11 – BeckRS 2011, 55157; a.A. VGH Mannheim, B.v. 21.6.2012 – 1 S 866/12 – BeckRS 2012, 53501; zur Zuordnung des Wohngeldrechts zu den Angelegenheiten der Fürsorge vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2019 – 5C 2.18 – BVerwGE 165, 235 = BeckRS 2019, 17035 Rn. 35 ff. unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).
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Steht, wie im vorliegenden Fall, nicht die Unterbringung des Asylbewerbers in staatlichen Unterkünften in Rede, sondern stattdessen die Erhebung von Gebühren für die Inanspruchnahme dieser staatlichen Leistung, entbehrt der diesbezügliche Rechtsstreit gleichwohl nicht einer sozialstaatlichen Fürsorge für den Betroffenen; er ist vielmehr weiterhin den „Angelegenheiten der Fürsorge“ in § 188 Satz 1, 2 VwGO zuzurechnen (vgl. hierzu die Zurechnung von Streitigkeiten über die Erhebung von Elternbeiträgen zu den Angelegenheiten der Jugendhilfe trotz ihres abgaberechtlichen Bezugs OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 4.6.2015 – OVG 3 K 32.14 – BeckRS 2015, 47514). Denn eingedenk der Wohnung als „Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein“ obliegt es dem Verordnungsgeber, die Gebührensätze für die Unterbringung von Asylbewerbern unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten zu begrenzen. Die Fürsorge für Bedürftige als selbstverständliche Verpflichtung des Sozialstaats ist daher auch und gerade im Rahmen der Gebührenbemessung für Asylbewerberunterkünfte zu berücksichtigen (vgl. ausführlich mit weiteren Nachweisen BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 12 N 18.9 – BeckRS 2018, 11762, Rn. 99 ff.; B.v. 14.4.2021 – 12 N 20.2529 – BeckRS 2021, 7907, Rn. 53 f.). Rechtsstreite über die Erhebung von Benutzungsgebühren für die Inanspruchnahme staatlicher Asylbewerberunterkünfte rechnen daher zu „Angelegenheiten der Fürsorge“ im weit verstandenen Sinne und unterliegen folglich der sachlichen Kostenfreiheit nach § 2 Abs. 4 Satz 2 GKG in Verbindung mit § 188 Satz 2, 1 VwGO.
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Angesichts dessen war im vorliegenden Fall der Kostenansatz nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GKG in Verbindung mit § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG wie auch der Beschluss über die Erinnerung des Klägers gegen den Kostenansatz aufzuheben.
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3. Das Beschwerdeverfahren ist nach § 66 Abs. 8 Satz 1 GKG gebührenfrei; Kosten werden nach § 66 Abs. 8 Satz 2 GKG nicht erstattet. Dieser Beschluss ist ferner nach § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.