Inhalt

LG Coburg, Endurteil v. 25.05.2022 – 12 O 858/21
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Passat 2,0 I TDI)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass ein Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb auf der Straße höhere Emissionen aufweist als im – für die Überprüfung der Einhaltung der Werte der Schadstoffklasse maßgeblichen – NEFZ, ist allgemein bekannt und führt daher weder zur Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs noch erlaubt sie den Rückschluss auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Sittenwidrigkeit im Hinblick auf ein verbautes Thermofenster kommt nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung dieser Software in dem Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Herstellerin in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Allein die Tatsache, dass die Herstellerin in anderen Modellen (möglicherweise) unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet haben könnte, begründet aus prozessualer Sicht keinen „Generalverdacht“ zu deren Lasten, den diese widerlegen müsste. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, OBD, SCR-Katalysator, Lenkwinkelerkennung, zeitgesteuert, AdBlue-Eindüsung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 28.03.2023 – 7 U 33/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45554

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 15.883,76 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt Schadensersatz nach dem Erwerb eines seiner Auffassung nach von dem sogenannten „Diesel-Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs.
2
Der Kläger erwarb am 08.08.2020 bei … den Pkw VW Passat 2,0 I TDI mit 110 kW mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … zum Preis von 20.524,00 € brutto bei einer Laufleistung von 42.400 km. Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA 288 verbaut, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt wurde. Der Motor in dem streitgegenständlichen Fahrzeug wurde in die Schadstoffklasse EURO 6 eingeordnet.
3
Der Motor ist mit einem Abgasrückführungssystem zur Reduzierung der Stickoxidemission ausgestattet, das temperaturabhängig arbeitet und bei bestimmten Umgebungslufttemperaturen die Abgasrückführung reduziert bzw. deaktiviert wird (sog. „Thermofenster“). Zwischen den Parteien ist streitig, bei welchen Umgebungstemperaturen die Abgasrückführung reduziert bzw. deaktiviert wird.
4
Für das streitgegenständliche Fahrzeug bzw. den in diesem Fahrzeug verbauten Motor existiert kein Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) weder wegen seines Emissionsverhaltens noch einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
5
Der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs betrug am 11.04.2022, mithin zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung vom 13.04.2022, 89.336 km.
6
Der Kläger behauptet, im Dieselmotor des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit SCR-Katalysator (sog. „AdBlue-Technologie“) seien unzulässige Abschalteinrichtungen i.S.v. Art. 3 Nr. 10 i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verbaut, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen manipulieren bzw. verringern und eine auf den Prüfstand ausgerichtete Programmierung aufweisen, die die Prüfstandsituation erkennt und mittels Schalterfunktion eine vom realen Fahrbetrieb abweichende Emissionsverringerung startet.
7
Der SCR-Katalysator werde bei Durchfahren des gesetzlichen Prüfzyklus zeitgesteuert bzw. streckengesteuert früher als im Normalbetrieb, nämlich schon bei Temperaturen unter 200 °C, zugeschaltet, wobei zugleich eine höhere Menge AdBlue zur Verringerung der NOx-Emissionen eingedüst werde und – ebenfalls abweichend zum Normalbetrieb – die Abgasrückführungsrate nach dem Zuschalten des SCR-Katalysators nicht reduziert werde, sondern unverändert hoch bleibe. Im Normalbetrieb hingegen würde gemäß der Umschaltstrategie 2 die Abgasrückführungsrate ab 200 °C reduziert.
8
Die Motorsoftware erkenne anhand Lenkwinkels, Temperatur und Zeiterfassung, dass das Fahrzeug den Prüflauf nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt und aktiviert einen speziellen Betriebsmodus. Im normalen Straßenbetrieb werde das Fahrzeug hingegen mit einer niedrigeren Abgasrückführungsrate betrieben.
9
Ferner habe die Beklagte das On-Board-Diagnosesystem (im Folgendenden: OBD) dergestalt manipuliert, dass es trotz überhöhter Abgaswerte funktionswidrigerweise keinen Fehler melde.
10
Der Kläger behauptet, er hätte das streitgegenständliche Fahrzeug keinesfalls erworben, wenn er gewusst hätte, dass die gesetzlich normierten Mindestanforderungen für die Emissionsbegrenzung nicht erfüllt seien und das Risiko des Entzugs der Betriebserlaubnis bestünde. Da die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug mit Dieselmotor des Typs EA 288 unter Verschweigen einer gesetzeswidrigen Software-Programmierung in den Verkehr gebracht habe, stehe ihr insbesondere aus §§ 826, 31 BGB ein Schadensersatzanspruch zu. Die Vorstände sowie zahlreiche Mitarbeiter der Beklagten hätten von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtungen gewusst. Die Manipulationen seien einzig und allein aus Gründen der Gewinnmaximierung erfolgt. Zudem sei von einer Kenntnis und Schädigungsvorsatz einfacher Mitarbeiter als Verrichtungsgehilfen i.S.v. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB auszugehen. Des Weiteren hätte die Klagepartei Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007.
11
Die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit stelle bereits für sich genommen einen Schaden dar. Durch die Abschalteinrichtung habe der Wagen ferner einen Wertverlust erlitten. Der Umstand, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, wirke sich auch negativ auf dessen Veräußerbarkeit und dessen Verkehrswert aus. Des Weiteren drohe der Klagepartei aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung eine Betriebsuntersagung.
12
Der Kläger sei so zu stellen, als hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Folglich habe der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkws. Eine Nutzungsentschädigung lässt er sich auf Basis einer erwartbaren Gesamtlaufleistung von 300.000 km anrechnen.
13
Weiter meint der Kläger, er habe der Beklagten die Rücknahme des Fahrzeugs mit außergerichtlichem Schreiben vom 27.10.2021 in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten. Die Beklagte sei ferner zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verpflichtet, die auf Basis einer 1,3-Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer aus einem Gegenstandswert von 17.687,61 € zu berechnen wären.
14
Die Kläger beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 17.687,61 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageeinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnender vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 300.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen aus dem sich dadurch ergebenden Klageforderungsbetrag in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Passat mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … .
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfoigungskosten in Höhe von 1.214,99 € freizustellen.
15
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Dass konkrete NOx-Werte oder die Umweltfreundlichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs für die Erwerbsentscheidung des Klägers relevant waren, wird bestritten.
17
Die Beklagte trägt vor, dass schon das Ergebnis der KBA-Felduntersuchungen zeige, dass in dem streitgegenständlichen Motor der Baureihe EA 288 (Euro 6) keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik, wie in Motoren der Baureihe EA189 festgestellt, zum Einsatz komme. Hierbei sei neben den Tests im Labor auch der reale Fahrbetrieb getestet worden.
18
Bei einer Fahrkurven- oder Zykluserkennung handele es sich nur dann um eine unzulässige Abschalteinrichtung, wenn ihr die Funktion zukäme, die Wirkung von Emissionskontrollsystemen im normalen Fahrbetrieb grenzwertkausal zu verringern. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei aber bereits überhaupt keine Fahrkurvenerkennung hinterlegt.
19
Die klägerischen Behauptungen würden sich als unsubstantiierter Vortrag ins Blaue hinein erweisen.
20
Die Abgasrückführung sei im streitgegenständlichen Fahrzeug im Bereich zwischen -24° C bis +70° C vollständig aktiv und nicht etwa gemindert. Der Einsatz des im EA 288 – Motor applizierten Thermofensters sei die einzige Möglichkeit, gewisse Bauteile vor Schäden zu schützen. Die Verwendung von Thermofenstern entspreche dem Stand der Wissenschaft und Technik. Selbst wenn der Einsatz von Thermofenstern gegen europarechtliche Vorgaben verstoßen sollte, ergebe sich aus einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung von Ausnahmetatbeständen auf Beklagtenseite noch nicht das Verdikt der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB.
21
Das KBA sei auch über die konkrete Ausgestaltung der Abgasrückführung einschließlich ihrer Applikationsrichtlinien zum Bauteileschutz, insbesondere über das Thermofenster in Kenntnis gesetzt worden. Es wären keine Beanstandungen von Seiten des KBA wegen des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt.
22
Das im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute SCR-System und damit auch die AdBlue-Versorgung/Einspritzung würde auf dem Prüfstand als auch im realen Fahrbetrieb hinsichtlich seiner Wirkungsweise identisch arbeiten.
23
Das OBD-System überwache bloß und nehme keinen Einfluss auf die Abgasreinigung. Die Überwachung sei auch in keiner Weise manipuliert.
24
Das streitgegenständliche Fahrzeug halte die Emissionsgrenzwerte der Abgasnorm EURO 6 auch ein, verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung und kann uneingeschränkt genutzt werden. Maßgeblich zur Erlangung der EG-Typgenehmigung sei die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte im Prüfstand.
25
Entgegen der klägerischen Behauptung liesen Emissionsmessungen im Straßenbetrieb auch keinen Rückschluss dahingehend zu, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine angeblich unzulässige Abschalteinrichtung verfügen würde.
26
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.04.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27
Die Klage ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
I.
28
Die Klage ist zulässig.
29
1. Das Landgericht Coburg ist zur Entscheidung über den Rechtsstreit sachlich und örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32 ZPO. Nachdem der Kläger geltend macht, durch deliktische Handlung der Beklagten mit Vertragsabschluss in seinem Vermögen geschädigt zu sein, ist jedenfalls auch der Wohnsitz des Klägers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als Standort seines Vermögens Erfolgsort im Sinne des § 32 ZPO. Dieser liegt im Bezirk des angerufenen Gerichts. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts begründet sich aus §§ 23, 71 GVG.
30
2. Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO für den Antrag zu Ziffer 2 liegt angesichts der in Ziffer 1 beantragten Zug-um-Zug-Verurteilung im Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO vor (vgl. Becker-Eberhard, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 256 Rn. 25). Der Gläubiger kann mit seinem Klageantrag auf Zug-um-Zug-Verurteilung einen Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs des Schuldners verbinden und so eine rechtskraftfähige, für den Gerichtsvollzieher verbindliche Feststellung im Tenor des Vollstreckungstitels selbst erreichen (Heßler, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 756 Rn. 48).
II.
31
Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz zu.
1. Zahlungsantrag zu Ziff. 1
32
a) Soweit sich der Kläger auf einen Schadensersatzanspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826, 31 BGB und § 831 BGB i.V.m. § 826 BGB beruft, sind dessen Voraussetzungen durch den insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht ausreichend substantiiert dargelegt worden.
33
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen trifft den Kläger. Er muss das Konstruktionsteil benennen, das eine Abschalteinrichtung darstellen soll, und ihre Funktionsweise konkret beschreiben; er muss ferner darlegen, warum kein Zulässigkeitsgrund einschlägig ist. Der Kläger kann daher nicht kurzerhand aus behaupteten höheren Emissionen im Straßenbetrieb auf das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen schließen.
34
Die Tatsache, dass ein Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb auf der Straße höhere Emissionen aufweist, als im – für die Überprüfung der Einhaltung der Werte der Schadstoffklasse maßgeblichen – NEFZ, ist allgemein bekannt und führt daher weder zur Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs noch erlaubt sie den Rückschluss auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung (OLG Stuttgart Urt. v. 22.9.2020 – 16 a U 55/19, BeckRS 2020, 25570). Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation nicht vergleichbar ist.
35
Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger die Funktionsweise der Motoren und der Abgassteuerung nicht in allen Einzelheiten kennt und kennen kann. Dies führt jedoch nicht automatisch zu einer erhöhten sekundären Darlegungslast der Beklagten. Nur dann, wenn der Kläger hinreichende feststehende Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung vorträgt, ist die Beklagte verpflichtet, die Funktionsweise der Motorsteuerung näher zu beschreiben. Nur dann wäre ggf. über diese Fragen ein Sachverständigengutachten einzuholen.
36
Selbst wenn im Hinblick auf den klägerischen Sachvortrag ein hinreichend konkreter Bezug zum hier streitgegenständlichen Fahrzeug und das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt wird, fehlt es jedenfalls an der Darlegung und dem Nachweis eines sittenwidrigen und vorsätzlichen Verhaltens der Beklagten.
37
Bei den von Klägerseite als unzulässig ausgemachten Abschalteinrichtungen, welche vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor – respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (OLG Naumburg, Urteil vom 02.12.2020, 5 U 92/20).
38
Ein System, das im Fahrbetrieb auf der Straße unter denselben Bedingungen arbeitet wie auf dem Prüfstand, stellt bereits begrifflich nach dem vom EuGH zugrunde gelegten finalen Begriffsverständnis keine Abschalteinrichtung dar, ohne dass es auf Fragen der Rechtfertigung durch Zulässigkeitsgründe überhaupt noch ankäme (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, Tz. 102).
39
Anders mag der Fall liegen bei einer von Klägerseite aber auch gar nicht substantiiert dargelegten Funktionsweise der eingebauten Motorsoftware wie im VW-Motor EA 189 festgestellt, namentlich der Aktivierung eines anderen, im Straßenverkehr bei gleichen Bedingungen nicht zum Einsatz kommenden, sondern ausschließlich für die Prüfsituation entwickelten und nur für diese bestimmten Programme zur Regulierung des Emissionsverhaltens des Fahrzeugs zum Zwecke der gezielten Beeinflussung des Prüfergebnisses.
40
Dies entspricht auch der jüngsten Rechtsprechung des BGH mit Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19. Demnach ist der Einsatz eines sogenannten Thermofensters nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Senatsurteil zum VW-Motor EA189 vom 25.05.2020 zugrunde gelegen hatte (VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555). Dort hatte die V. AG die grundlegende strategische Frage, mit welchen Maßnahmen er auf die Einführung der – im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren – Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm reagieren würde, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahingehend entschieden, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten.
41
Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauungen. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen; besonders strenge Anschauungen sind ebenso wie besonders laxe Auffassungen unbeachtlich (OLG Naumburg, Urteil vom 27.09.2019 – 7 U 24/19 –, BeckRS 2019, 24547, Rn. 63; Palandt/Sprau, BGB, 79. Auflage 2020, § 826 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 138 Rn. 2 ff.). Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, NJW 2020, 1962, 1963; Palandt/Sprau, a.a.O., § 826 Rn. 4 m.w.N.).
42
Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht, nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, NJW 2020, 1962, 1963; Urteil vom 09.12.2013 – XI ZR 295/12 –, NJW 2014, 1098, 1099 m.w.N.).
43
Nach diesen Maßstäben kann von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten in Verbindung mit dem von ihr entwickelten Motor Typ EA 288 nicht ausgegangen werden (vgl. OLG Bamberg, Beschluss v. 14.08.2020, Az. 1 U 286/20; ebenso Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss v. 20.04.2020, Az. 1 U 103/19; OLG München, Beschluss v. 10.02.2020, Az. 3 U 7524/19; OLG Koblenz, Urteil v. 20.04.2020, Az. 12 U 1570/19; OLG Karlsruhe, Urteil v. 30.10.2020, Az. 17 U 296/19). In den vom BGH am 25.05.2020 und am 30.07.2020 entschiedenen Fällen zum von Volkswagen produzierten Dieselmotor EA 189 begründet sich der Vorwurf der Sittenwidrigkeit in der bewussten Inkaufnahme eines Gesetzesverstoßes. Dieser war deshalb offenkundig, weil die Programmierung gezielt von der Prüfstandssituation abhängige Abgaswerte bewirkte. Mit dieser Programmierung sind die von Klägerseite als unzulässig ausgemachten Abschalteinrichtungen nicht vergleichbar. Sie arbeiten vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand; auch können Gesichtspunkte des Motor – respektive Bauteilschutzes ernsthaft als Rechtfertigung angeführt werden.
44
Angesichts dessen kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (OLG Bamberg, Urteil vom 30.07.2020 – 1 U 60/20 –, n.v.; Hinweisbeschluss vom 31.03.2020 – 3 U 57/19 –, BeckRS 2020, 9901 Rn. 18; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19 –, juris, Rn. 81; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18 –, juris, Rn. 6). Die Gesetzeslage ist insoweit nicht unzweifelhaft und eindeutig. Dies zeigt die (bislang) kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 2007/715. Nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. Schließlich zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen welche die Beklagte bewusst verstoßen hätte (OLG Frankfurt, Urteil vom 07.11.2019 – 6 U 119/18 –, juris, Rn. 35; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18 –, juris, Rn. 6; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19 –, juris, Rn. 89). Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann indes nicht als besonders verwerflich angesehen werden (vgl. OLG Bamberg Hinweisbeschluss vom 31.03.2020 – 3 U 57/19 –, BeckRS 2020, 9901, Rn. 18; OLG Schleswig, Urteil vom 01.04.2020 – 12 U 75/19 –, BeckRS 2020, 9840, Rn. 36; OLG Koblenz, Urteil vom 21. Oktober 2019 – 12 U 246/19 –, Rn. 43; OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 90).
45
Eine Sittenwidrigkeit kommt daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19 –, juris, Rn. 42; OLG Schleswig, Urteil vom 18.09.2019 – 12 U 123/18 –, juris, Rn. 44; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18 –, juris, Rn. 6).
46
Solche Anhaltspunkte behauptet die Klagepartei allenfalls pauschalierend. Zudem vermengt die klägerische Darstellung die in der beim Vorgängermotor EA 189 für die Prüfstandsmanipulation behauptete Vorgehensweise in der Entwicklungsabteilung der Beklagten mit dem „Thermofenster“ im weiterentwickelten Dieselmotor EA 288. Die Argumentation der fehlerhaften bzw. manipulierten OBD-System-Anzeige sei Zeichen einer vorsätzlichen Handlung ist insoweit zirkelschlüssig. Sofern das Thermofenster von der Beklagten als zulässige Abschaltmaßnahme angesehen wird, ist eine Fehlermeldung insoweit nicht erforderlich und es ist nicht ersichtlich, warum das Diagnose-System für diesen Fall eine Fehlfunktion melden sollte. Insbesondere das Eingehen im Untersuchungsbericht der Kommission Volkswagen 2016 auf die Thematik „Thermofenster“ zeigt, dass dies durchaus bekannt war und geprüft wurde. Damit spricht nichts für eine Geheimhaltung gegenüber dem KBA und eine fehlende Prüfung dahingehend.
47
Der Kläger hat damit keine ausreichenden Anhaltspunkte dargelegt, dass der Vorstand oder etwaige Repräsentanten der Beklagten ihre Schädigung beziehungsweise diejenige aller Kunden der Fahrzeugmarke konkret für möglich hielten und billigend in Kauf nahmen, was Voraussetzung für ein sittenwidriges Verhalten wäre.
48
Soweit der Kläger auf weitere von der Beklagten angeblich verwendeter Steuerungsstrategien zur Abgasrückführung bzw. -nachbehandlung verweist, insbesondere im Zusammenhang mit einer als unzulässig ausgemachten Manipulation des SCR-Katalysators und damit auch die Ad-Blue-Versorgung/Einspritzung, führt auch dies nicht zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung.
49
Die von dem Kläger weiter aufgeführten Steuerungsmaßnahmen zur Regelung des Abgasverhaltens spiegeln weitgehend nur die Historie und die Erkenntnisse der in der öffentlichen Presse- und Medienberichterstattung diskutierten sogenannten „VW-Diesel-Abgasaffäre“ wider, ohne einen konkreten Bezug zu dem hier in Rede stehenden Fahrzeug des Klägers herzustellen und die Übertragbarkeit dieser Problematik auf das streitgegenständliche Fahrzeug belastbar darzulegen (OLG Koblenz (12. Zivilsenat), Urteil vom 06.01.2020 – 12 U 1408/18).
50
Gerade unter Berücksichtigung der Ergebnisse des ersten Berichts der Untersuchungskommission „Volkswagen“, vorgelegt als Anlage B 1, bei dem der Motor EA 288 (Euro 5 und Euro 6) explizit geprüft und für unbedenklich eingestuft wurde, insbesondere keine zu dem Motor EA 189 vergleichbaren Manipulationen festgestellt werden konnten, kann die Behauptung des Vorliegens etwaiger Manipulationen alleine ohne weitere Anhaltspunkte nicht als hinreichend substantiiertes Klägervorbringen angesehen werden, das eine weitere Beweisaufnahme rechtfertigt.
51
Selbst wenn es Fahrzeugmodelle der Beklagten geben sollte – was bestritten ist –, für die wegen einer außerhalb des Thermofensters verbauten Abschalteinrichtung mit oder ohne Umschaltlogik auf Veranlassung des KBA ein Rückruf angeordnet worden sein sollte, hier für den ebenfalls mit dem EA 288 ausgestatteten hier nicht streitgegenständlichen T6 VW Bus, könnte diese Feststellung nicht ohne weiteres generalisierend auf andere Fahrzeugmodelle übertragen werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 13.10.2020 – 16 a U 216/19 –, juris). Das streitgegenständliche Fahrzeug ist – unstreitig – bislang von einem solchen Rückruf nicht betroffen, vielmehr wurde der Motor vom KBA geprüft und nicht beanstandet.
52
Das konkrete Modell des Klägers ist in keinem der vom Kläger in Bezug genommenen Berichten ausdrücklich erwähnt. Allein die Tatsache, dass die Beklagte in anderen Modellen (möglicherweise) unzulässige Abschalteinrichtungen verwendet haben könnte, begründet aus prozessualer Sicht keinen „Generalverdacht“ zu deren Lasten, den diese widerlegen müsste. Für eine Beweislastumkehr ist bei der streitgegenständlichen Sachlage kein Raum (so auch OLG München, Beschluss vom 18. Oktober 2019 – 21 U 3241/19 –, juris).
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In der von Klägerseite wiederholt zitierten Entscheidung des OLG Naumburg Urt. v. 9.4.2021 – 8 U 68/20, BeckRS 2021, 8880 hatte der dortige Kläger am 10.10.2017 einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten (Datum der Erstzulassung: 04.09.2015) VW Golf VII 2.0 TDI Highline erworben. Bei dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich dagegen um einen VW Passat.
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Auch die vom Kläger auszugsweise zitierte „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ stellt unter Zugrundelegung ihres konkreten Inhalts für das erkennende Gericht keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür dar, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug mit dem Motorentyp EA 288 eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen enthalten sind (vgl. QLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021 – 16 a U 196/19 –, Rn. 36, juris). Die Beklagte hat dazu nachvollziehbar erläutert, eine Applikationsrichtlinie sei ein interner Leitfaden an die Applikateure, wie eine Motorsteuerung bei Neufahrzeugen oder Modellpflegemaßnahmen oder anlässlich einer generellen Überarbeitung des Motorsteuerungsgerätes zu bedaten oder was dabei zu beachten ist. Der Begriff „Freigabe“ bedeute in diesem Zusammenhang, dass intern einen Bedatung nur dann zugelassen werde, wenn die Vorgaben aus dem Leitfaden bzw. der Applikationsrichtlinie beachtet wurden (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 04. Dezember 2020 – 9 a U 2074/19 –, Rn. 35, juris). Die in der Applikationsrichtlinie genannten Aspekte wären auch mit dem KBA abgestimmt worden.
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Nach allem fehlt es im vorliegenden Fall entweder bereits an einem hinreichend substantiierten Tatsachenvortrag. Bezüglich des Thermofensters fehlt es, wie vorstehend erläutert, in subjektiver Hinsicht an dem Nachweis eines inkriminierten Verhaltens auf Seiten der Beklagten.
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b) Dem Kläger steht auch kein Anspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu. Das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit den geltend gemachten Abschalteinrichtungen ist zur Begründung eines Betrugsvorsatzes nicht ausreichend (s.o.). Solange die Beklagte nicht – jedenfalls nicht nachweisbar – in dem Bewusstsein handelte, ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, fehlt es auch an dem Nachweis einer willentlichen Täuschung des Käufers über das Nichtvorhandensein einer solchen (möglicherweise unzulässigen) Einrichtung.
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c) Ebenso wenig steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Weder §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV noch Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 dienen dem Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit. Selbst wenn die Vorschriften vorliegend durch die Motorsteuerungs-Software verletzt sein sollten, so könnte dieser Umstand allein einen Schadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers deshalb nicht begründen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 a.a.O., S. 1971; Urteil vom 30.07.2020 a.a.O., Seite 2799 f.; OLG Bamberg, Urteil vom 30.07.2020 – 1 U 60/20 –, n. v.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.01.2020 – 17 U 133/19 –, juris, Rn. 75 ff.; OLG München, Urteil vom 04.12.2019 – 3 U 2943/19 –, juris, Rn. 45 ff.).
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d) Vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte scheiden jedenfalls deswegen aus, da der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern bei Auto Helbig, Am Rödertor 26, 9... D. gekauft hat.
2. Feststellungsantrag zu Ziff. 2
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Da die Beklagte keinen Schadensersatz Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs schuldete, befindet sie sich auch nicht im Annahmeverzug, so dass der dahingehende Feststellungsantrag abzuweisen war.
3. Nebenforderungen
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Da die Hauptforderung unbegründet ist, stehen dem Kläger auch keine Zinsen zu. Ebenso hat er keinen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
III.
61
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
IV.
62
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3 ZPO, 63 Abs. 2 GKG. Hierbei wurde der mit Klageschrift vom 21.12.2021 geforderte Zahlbetrag aus dem Antrag zu Ziff. 1. herangezogen. Der angerechnete Nutzungsersatz ist dabei vom Kaufpreis abzuziehen (OLG Bamberg, Beschluss vom 03.07.2019 – 4 W 46/19 –, MDR 2019, 1191).
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Bei Kraftfahrzeugen wird die Höhe des Wertersatzes gemäß § 287 ZPO auf der Grundlage einer in der Rechtsprechung entwickelten Formel berechnet, indem der vereinbarte Bruttokaufpreis zugrunde gelegt und auf die Nutzungsdauer umgerechnet wird. Die Gebrauchsvorteile werden mit dem Teil des Kaufpreises gleichgesetzt, der der Dauer der tatsächlichen Nutzung im Verhältnis zur vertraglich vorausgesetzten Nutzungszeit entspricht, also: Bruttokaufpreis × seit Erwerb gefahrene Strecke : erwartbare Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19 –, NJW 2020, 2796, 2797; Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, NJW 2020, 1962, 1972; Urteil vom 09.04.2014 – VIII ZR 215/13 –, NJW 2014, 2435 Rn. 6 und 11 f.; OLG Schleswig, Urteil vom 20.11.2019 – 9 U 12/19 –, BeckRS 2019, 29053 Rn. 50). Dabei wird hier eine Gesamtlaufleistung des gerichtsbekannt robusten Fahrzeugs von 250.000 km zugrunde gelegt. Zwar mögen Autos des streitgegenständlichen Typs regelmäßig noch über diese Laufleistung hinaus fahrtüchtig sein, sie haben dann aber auf dem Markt nahezu keinen wirtschaftlichen Verkehrswert mehr (OLG Bamberg, Urteil vom 12.08.2020 – 8 U 231/19 –, n.v.).
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Der Kläger hat den Wagen als Gebrauchtwagen bei einem Kilometerstand von 42.400 km zum Bruttopreis von 20.524,00 € erworben, so dass die erwartbare Laufleistung mit 207.600 km anzusetzen ist. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand (mindestens) 89.336 km.; (mindestens) 46.936 km hat der Kläger mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug also zurückgelegt. Dadurch ergibt sich der Betrag von 20.524,00 € × 46.936 km : 207.600 km = 4.640,24 €.
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Die übrigen Anträge wirkten nicht streitwerterhöhend, da ihnen kein eigener wirtschaftlicher Wert zukam bzw. sie – hinsichtlich der Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten – nur eine Nebenforderung betrafen, § 4 ZPO.