Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Touran)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Sittenwidrigkeit im Hinblick auf ein verbautes Thermofenster kommt nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung dieser Software in dem Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Herstellerin in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das KBA ist mehrfach in Stellungnahmen für den Motor EA 288 zum Ergebnis gekommen, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut worden seien. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, KBA, Gesetzesverstoß, Kenntnis, Fahrkurvenerkennung, AdBlue-Eindüsung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 06.03.2023 – 12 U 84/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45552
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 12.240,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt Schadensersatz nach dem Erwerb eines seinem Vortrag nach von dem sogenannten „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs.
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Der Kläger erwarb am 11. Juni 2020 einen VW Touran, mit der FIN …, mit einem Kilometerstand von 100.000 km zum Preis von 15.300 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA 288 ausgestattet und unterliegt der Euro-6-Norm (Anlage K1).
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Ein amtlicher Rückruf betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug des Klägers durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen erfolgte bislang nicht.
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Bei Schluss der mündlichen Verhandlung wies das streitgegenständliche Fahrzeug eine Laufleistung von 144.069 km auf.
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Mit Schreiben vom 18. März 2022 (Anlage K7) erhob die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers außergerichtlich Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte.
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Der Kläger stützt seinen geltend gemachten Anspruch auf Deliktsrecht.
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Der Kläger behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit verschiedenen Manipulationen ausgestattet, die dafür sorgten, dass die Grenzwerte lediglich auf den Prüfstand, nicht aber im Straßenverkehr eingehalten würden. Dies bedeute, dass das Fahrzeug erkenne, ob es sich auf dem Prüfstand befinde, um dann gesteuert die Abgasreinigung so zu regulieren, dass die Abgastests nach dem NEFZ bestanden würden. Diesen reinen Prüfstandmodus gebe es beim tatsächlichen Betrieb auf der Straße nicht und das Fahrzeug emittiere deutlich mehr Schadstoffe, so dass die gesetzlichen Grenzwerte nicht eingehalten würden. In Kenntnis des Umstandes, dass ihre Fahrzeuge auf der Straße die gesetzlichen Grenzwerte nicht einhalten würden, sei von der Beklagten die Konformität des Fahrzeugs mit der EG-Typgenehmigung bescheinigt worden. Die Beklagte habe, gesteuert über die Motorsteuerungs-Software, in ihren Fahrzeugen verschiedene Abschaltvorrichtungen eingebaut:
- eine Prüfstandserkennungssoftware/Fahrkurvenerkennung
- eine Umschaltstrategie, die dazu führe, dass SCR-Katalysator ausschließlich im Prüfstand früher zugeschaltet und speziell aufgeheizt und mit höherer Menge AdBlue betrieben werde und dass die Abgasrückführungsrate im Prüfstand – im Gegensatz zum normalen Straßenbetrieb – nicht reduziert werde.
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Diese Abschalteinrichtungen seien unzulässig.
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Zudem sei durch die Beklagte das OBD manipuliert, um so die eingebauten Abschalteinrichtungen zu verschleiern.
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Der Kläger behauptet, er hätte vom Erwerb Abstand genommen, wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug manipuliert sei und nur mithilfe unterschiedlicher Abschalteinrichtungen die Abgasnorm auf dem Prüfstand erfüllt werde.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte durch den Einbau dieser unzulässigen Abschalteinrichtungen gegen die guten Sitten verstoßen habe. Die Beklagte habe fehlerhafte Angaben zur Schadstoffemission ihrer Fahrzeuge gemacht. Um die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte erreichen zu können, sei eine Manipulations-Software eingebaut worden, mit der die Prüfstandsituation habe erkannt werden können. Die Beklagte habe gewusst, dass der Einbau der Software zu einem gesetzwidrigen Zustand führen werde. Die Beklagte habe die dem Fahrzeugtyp zugrundeliegende Typgenehmigung erschlichen und den Kläger über die Gesetzeskonformität des streitgegenständlichen Fahrzeuges getäuscht. Der Beklagten sei dabei das Verhalten ihrer Mitarbeiter, Organe und Erfüllungsgehilfen zuzurechnen.
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Zudem habe die Beklagte über Jahre hinweg das KBA über das Vorhandensein von unzulässigen Abschalteinrichtungen getäuscht, so dass das KBA bis heute von falschen Voraussetzungen ausgehe und daher keinen Rückruf der Fahrzeuge mit EA288-Motoren ausgesprochen habe.
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Dem Kläger sei im Wege der Vorteilsausgleichung Nutzungsersatz, berechnet ausgehend von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 300.000 km, anzurechnen.
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Der Kläger begehrt zudem die Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befinde.
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Der Kläger begehrt die Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.054,10 €, welche er in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 12.240,00 € berechnet.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 12.240,00 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 300.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen aus dem sich dadurch ergebenden Klageforderungsbetrag in Höhe von fünf Prozentpunkten über jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Touran mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.054,10 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte hält den klägerischen Sachvortrag insgesamt für unschlüssig und unsubstantiiert. Im Hinblick auf die behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen lägen lediglich unzulässige Behauptungen ins Blaue hinein vor. Im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug liege kein Mangel und keine Täuschung bzw. kein sonstiges deliktisches Verhalten vor.
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Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei insbesondere keine Programmierung gegeben, insbesondere keine „Manipulations-Software“, die manipulativ so gestaltet worden wäre, dass auf der Straße unter normalen Betriebsbedingungen ein anderes Verhalten des Emissionskontrollsystems angestrebt werde, als auf dem Prüfstand. Die erteilte EG-Typgenehmigung sei uneingeschränkt wirksam. Im Übrigen sei auch zu keiner Zeit ein Widerruf der Typgenehmigung angedroht worden. Das streitgegenständliche Fahrzeug erfülle unter den allein maßgeblichen gesetzlichen Prüfbedingungen die EURO-6 Norm. Ungeachtet der Rechtskonformität des Fahrzeugs fehle es entgegen der klägerischen Behauptung auch an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten. Es seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut worden. Hierzu trage der Kläger auch keine ausreichenden Anhaltspunkte auf den konkreten Fall bezogen vor. Im Übrigen seien alle im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Strategien dem KBA vorgestellt worden und daher bekannt gewesen. Das KBA habe umfangreiche Felduntersuchungen durchgeführt und das vorliegende Fahrzeugmodell daraufhin gerade nicht beanstandet. Auf der Grundlage des ins Blaue hinein erfolgten Vortrages der Klagepartei treffe die Beklagte auch keine sekundäre Darlegungslast. Der Kläger trage nicht ansatzweise einlassungsfähig vor, welches konkrete Verhalten er welchem verfassungsmäßig berufenen Organ der Beklagten vorwerfe. Ein Schaden sei vom Kläger ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Schließlich habe das KBA den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bereits im Jahr 2016 eingehend untersucht und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und sonstige Aktenbestandteile sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2022 Bezug genommen. Das Gericht hat den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Auch diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klage ist zulässig.
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1. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Coburg folgt aus § 32 ZPO. Der Kläger begehrt Schadensersatz gestützt auf deliktische Normen, wobei zum zuständigkeitsbegründenden Begehungsort im Sinne von § 32 ZPO auch der Ort gehört, an dem der schädigende Erfolg eingetreten ist, wenn der Schaden Tatbestandsmerkmal der Anspruchsnorm ist (vgl. Schultzky, in: Zöller, 33. Aufl. 2018, § 32, Rn. 19). Dies ist jedenfalls bei § 826 BGB – auf den sich der Kläger beruft – der Fall. Der schädigende Erfolg ist hierbei am Wohnsitz des Klägers eingetreten (vgl. Touissant, in: BeckOK, 24. Edition, § 32, Rn. 12.1) – mithin im Bezirk des Landgerichts Coburg.
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2. Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO für den Antrag zu Ziffer 2. auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten liegt angesichts der in Ziffer 1. beantragten Zug-um-Zug-Verurteilung im Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO vor (stRspr., vgl. Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, 5. Aufl. 2016, § 256 Rn. 25). Der Gläubiger kann mit seinem Klageantrag auf Zug-um-Zug-Verurteilung einen Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs des Schuldners verbinden und so eine rechtskraftfähige, für den Gerichtsvollzieher verbindliche Feststellung im Tenor des Vollstreckungstitels selbst erreichen (vgl. Heßler, in: MüKoZPO, 5. Aufl. 2016, § 756 Rn. 48).
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Die Klage ist jedoch unbegründet.
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1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 826 BGB auf Zahlung von Schadenersatz Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu. Es fehlt bereits an der hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten.
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Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich in dem Fahrzeug des Klägers eine im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 20.06.2007 unzulässige Abschalteinrichtung befindet bzw. ob der Vortrag des Klägers hierzu unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 (VIII ZR 57/19) diesbezüglich als ausreichend substantiiert anzusehen ist. Denn ein Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 VO 2007/715 EG allein ist nicht ausreichend, um von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten mit Schädigungsvorsatz auszugehen.
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Die Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB erfordert einen Vorsatz des Schädigers bzw. dessen gesetzlichen Vertreters. Er muss den objektiven Tatbestand des § 826 BGB in Kenntnis der Tatumstände, die das Vorliegen sittenwidrig erscheinen lassen, verwirklicht haben. Die Darlegungs- und Beweislast für den Vorsatz trägt allein die Klagepartei, da sie als Anspruchsteller alle Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat, aus denen sie ihren Anspruch herleitet (Förster, BeckOK BGB, 51. Edition, 1. August 2019, § 826 Rn 52). Eine etwaige sekundäre Darlegungslast der Beklagtenseite kommt nur ausnahmsweise und unter ganz besonderen tatsächlichen Umständen zum Tragen, setzt aber jedenfalls voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichende greifbare Anhaltspunkte dafür dargelegt hat (OLG München, Beschluss vom 29. August 2019, 8 U 1449/19, Juris Rn 74).
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An einer solchen schlüssigen Darlegung fehlt es vorliegend (vgl. auch LG Coburg, Urteil vom 5. März 2020, 21 O 446/19; LG Coburg, Urteil vom 26. Mai 2020, 11 O 643/19; OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 31. März 2020 – 3 U 57/19).
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Ein Schädigungsvorsatz im Sinne des § 826 BGB kann nämlich nur dann angenommen werden, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 4. Juli 2019, 3 U 148/18). Ein substantiierter Vortrag der Klagepartei dazu, welche Organmitglieder der Beklagten zu welchem Zeitpunkt über welche Kenntnisse verfügt haben sollen und inwiefern diese Kenntnisse oder andere Umstände, gegebenenfalls welche, den Rückschluss auf einen Schädigungsvorsatz zulassen, finden sich im Vortrag der Klägerseite nicht. Zu beachten ist insbesondere, dass die vorliegend maßgeblichen Vorschriften zur Abgasbehandlung bzw. der Rechtfertigung von Abschalteinrichtungen beispielsweise zum Zwecke des Motorschutzes keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 19. Juli 2019, 5 U 1670/18).
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Gerade in Bezug auf das von der Klagepartei angesprochene, jedoch nicht dezidiert angegriffene Thermofenster ist insbesondere nicht von einer Vergleichbarkeit mit den sogenannten „VW-Fällen“ zu dem Motor EA 189 auszugehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, 3 U 148/18). Auch für die sonst von der Klagepartei ins Feld geführten „unzulässigen Abschalteinrichtungen“ gilt nichts anderes. In derartigen Fällen kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Organe der Beklagten in dem Bewusstsein handelten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden, zu deren Annahme durch die Organe der Beklagten die Angestellten anderer Firmen, z.B. der R. B. GmbH, naturgemäß keine Auskunft erteilen können. Eine Verkennung der Rechtslage begründet aber selbst im Fall eines fahrlässigen oder gar grob fahrlässigen Handels nicht den im Rahmen des § 826 BGB geforderten Schädigungsvorsatz. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein bestandskräftiger und damit bindender Verwaltungspakt des Kraftfahrtbundesamtes, wie hier, nicht vorliegt.
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Obige Ausführungen zum Vorsatz bzw. der Kenntnis einer die Sittenwidrigkeit möglicherweise begründenden objektiven Umstände gelten in gleicher Weise für andere Mitarbeiter der Beklagten, soweit sie mit der Entwicklung oder dem Einbau der entsprechenden Software befasst waren (§ 831 BGB). Eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung durch Mitarbeiter der Beklagten muss jedenfalls in Betracht gezogen werden.
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Soweit die Klägerseite schließlich eine Prüfstandserkennungssoftware/Fahrkurvenerkennung im streitgegenständlichen Fahrzeugen moniert, lässt ihr Vorbringen bereits eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Beklagten, wonach das streitgegenständliche Fahrzeug nicht mehr über ein solches System verfüge und die Stellungnahmen des KBA gerade belegten, dass eine solche Erkennung nicht vorliege und auch ohne Fahrkurvenerkennung die maßgeblichen Abgaswerte eingehalten würden, vermissen.
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Dafür, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug von der Beklagten eine sog. Prüfstandserkennungssoftware verbaut worden wäre, die bewusst und gewollt von der Beklagten so programmiert worden wäre, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt hätte, wie sie etwa dem BGH-Urteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, zum VW-Motor EA 189) zugrunde lag, fehlen damit hier hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte.
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Unstreitig hat das Kraftfahrtbundesamt für den im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebauten Motor keinen verpflichtenden Rückruf angeordnet.
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Das Gericht geht hierbei nicht davon aus, dass ein Rückruf des KBA zwingend erforderlich wäre, um entsprechende Anhaltspunkte zu begründen. Ein Rückruf des KBA hinsichtlich eines bestimmten Motortyps wegen einer nach dessen Ansicht unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware würde allerdings regelmäßig einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür darstellen, dass eine entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung auch in anderen Fahrzeugen mit demselben Motortyp vorhanden ist. Fehlt es aber an einem solchen Rückruf für den konkreten Motortyp, müssen die erforderlichen hinreichenden Anhaltspunkte in anderer Weise dargelegt werden (OLG Bamberg, Beschluss vom 10. November 2021, Az. 6 U 67/21). Das ist dem Kläger nicht gelungen.
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Hinzu kommt, dass nach den von der Beklagten vorgelegten Stellungnahmen des KBA dieses gerade für den Motor EA 288 mehrfach zum Ergebnis gekommen ist, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut worden seien (vgl. u.a. Anlagen B 15 und B28). Auf dieser Grundlage kommt eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2022, Via ZR 303/21).
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Durch den Kläger wurden ferner keine Umstände vorgebracht, die auf eine Strategie der Beklagten schließen ließen, das Kraftfahrbundesamt durch die Verwendung der behaupteten Abschalteinrichtungen zu täuschen (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 14. April 2021 – 8 U 113/20). Wie, wann und wodurch die Beklagte das KBA konkret worüber getäuscht haben soll, wird seitens des Klägers weder konkret dargelegt noch werden hierfür tatsächliche Anhaltspunkte vorgebracht. Selbst wenn die Angaben der Beklagten tatsächlich unvollständig gewesen sein sollten, wäre dies demnach noch kein konkreter Anhaltspunkt für deren Bewusstsein, eine unzulässige Abschalteinrichtung bei Verheimlichung dieses Umstands zu verwenden bzw. verwendet zu haben. Denn es wäre ggf. Sache des KBA gewesen wäre, vermeintlich unvollständige Angaben im Typgenehmigungsverfahren zu monieren, was offensichtlich nicht geschehen ist. Denn das KBA hat zunächst zu prüfen, ob die Antragsunterlagen im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben vollständig sind. Fehlt es daran, hat es den Antragsteller aufzufordern, die Antragsunterlagen zu ergänzen. Kommt der Antragsteller dem nicht nach, lehnt die Behörde den Antrag ab (OLG München, Beschluss vom 1. März 2021 – 8 U 4122/20 –, Rn. 63, 52 f. juris).
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Vorliegend hat das KBA aber nach durchgeführten Untersuchungen im Gegenteil bestätigt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei. Anhaltspunkte für eine Täuschung durch die Beklagte sind damit nicht ersichtlich.
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Ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme, folgt aus den vorgenannten Ausführungen weiter, dass die Beklagte auch keine sekundäre Darlegungslast trifft, weder hinsichtlich der Notwendigkeit einer möglicherweise temperaturabhängigen Steuerung der Motorsoftware oder der Notwendigkeit von sonstigen „Abschalteinrichtungen“, noch im Zusammenhang mit einer vorsätzlichen Täuschung durch ihre verantwortlichen Mitarbeiter (vgl. LG Karlsruhe, 11 O 120/18, Urteil vom 18. Mäez 2019, Rn 52 ff.; OLG Köln, a.a.O.; Urteil des LG Coburg vom 5. März 2020, 21 O 446/19).
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. 263 StGB oder § 831 BGB gegen die Beklagte zu. Dem Vorbringen der Klagepartei ist schon nicht zu entnehmen, welches Organ oder welcher Mitarbeiter der Beklagten vorsätzlich den Kläger wann, wie und durch welche Handlung getäuscht haben soll. Das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung oder den geltend gemachten weiteren „Abschalteinrichtungen“ ist aus oben genannten Gründen hierfür jedenfalls nicht ausreichend.
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3. Dem Kläger steht auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1, 27 EG-FGV oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 5, Abs. 1 VO (EG) 715/2007 zu. Es fehlt bereits am Schutzgesetzcharakter der letztgenannten Vorschriften.
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Eine Norm ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann Schutzgesetz im Sinne von 823 Abs. 2 BGB, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzungen in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das infragestehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es gerade nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Die Vorschrift der EG-FGV (wie im Übrigen auch die der ihnen zugrundeliegenden Richtlinie Nr. 2007/46/EG) bezwecken vor allem eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz und rationelle Energienutzung. An keiner Stelle lässt sich hingegen ein Hinweis dafür finden, dass der Gesetzgeber und der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte (LG Karlsruhe, Urteil vom 18. April 2019, 11 O 120/18, m.w.N.; LG Coburg, a.a.O., m.w.N.).
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Im Übrigen fehlt es auch an einem tatbestandlichen Verstoß gegen die Vorschrift des §§ 6 Abs. 1 i.V.m. 27 Abs. 1 EG-FGV. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen. Ob diese materiell rechtmäßig erteilt worden ist oder nicht, spielt für diese Frage keine Rolle (OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17; OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2019, 10 U 430/19; LG Coburg, a.a.O.).
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Mangels bestehenden Hauptforderungsanspruchs gehen auch die geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung von Zinsen, Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie auf Feststellung des Annahmeverzugs ins Leere.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO festgesetzt (vgl. Beschluss des OLG Bamberg vom 3. Juli 2019, 4 W 46/19 – juris).