Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 19.05.2022 – 73 O 1956/21
Titel:

Nutzungsentschädigung, Schluss der mündlichen Verhandlung, Kilometerstand, Klagepartei, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rechtshängigkeit, Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, Elektronischer Rechtsverkehr, Klageantrag, Zug-um-Zug, Vorteilsausgleichung, vollstreckungsfähiger Inhalt, Feststellung des Annahmeverzugs, Streitwert, mündlich Verhandlung, Sittenwidrige Schädigung, Gesamtlaufleistung, Abschalteinrichtung, Kostenentscheidung

Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Vorteilsausgleichung, Nutzungsentschädigung, Kilometerstand, Schätzung, Hinweispflicht, Tenorierung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 27.03.2023 – 17 U 1483/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45550

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 28.208,53 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Rückabwicklungsansprüche im Rahmen der „VW-Abgasthematik“ geltend.
2
Die Klagepartei erwarb den streitgegenständlichen Pkw Audi A5 Cabriolet am 30.05.2020 von der Fa, … als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 37.100 zu einem Kaufpreis von 28.500,00 EUR brutto (Anlage K1).
3
Der streitgegenständliche Pkw verfügt über einen Dieselmotor vom Typ EA897.
4
Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei vom 21.09.2020 wurde die Beklagte unter Fristsetzung bis 05.10.2020 zur Leistung von Schadensersatzansprüchen an die Klagepartei aufgefordert, was die Beklagte mit Schreiben vom 21.09.2020 ablehnte. Hinsichtlich der übrigen Inhalte der genannten Schreiben wird auf die Anlagen K3 und K4 Bezug genommen.
5
Am 12.04.2022 hatte der streitgegenständliche Pkw einen Kilometerstand von 61.022.
6
Die Klagepartei behauptet, das streitgegenständlichen Fahrzeug sei mit verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet; hinsichtlich der technischen Einzelheiten der nach Ansicht der Klagepartei vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtungen wird auf den schriftsätzlichen Vortrag der Klägerseite Bezug genommen. Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von dieser Ausstattung des Fahrzeugs gehabt.
7
Die Klagepartei meint, ihr stünden daher Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu, insbesondere aufgrund sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB. Die durchschnittlich zu erwartende Gesamtfahrleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges betrage mindestens 350.000 km. Weiterhin bestehe ein Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs und ein Anspruch auf Freistellung von ihren außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
8
Die Klagepartei kündigte mit der Klageschrift vom 09.09.2021 folgende Anträge an:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 28.208,53 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A4 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.501,19 € freizustellen.
9
Mit Schriftsatz vom 04.04.2022, bei Gericht eingegangen am gleichen Tage, kündigte die Klagepartei folgenden geänderten Antrag nach Ziffer 1 an:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 28.208,53 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A5 Cabriolet mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …
10
Die Klagepartei beantragt zuletzt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 28.208,53 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A5 Cabriolet mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ….
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.501,19 € freizustellen.
11
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
12
Die Beklagte behauptet, dass nach Durchführung des Software-Updates beim streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege.
13
Die Beklagte meint, ein klägerischer Schadensersatzanspruch bestehe nicht, insbesondere nicht aufgrund der von der Klagepartei genannten Anspruchsgrundlagen. Der klägerische Vortrag zum Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen sei unsubstantiiert.
14
Das Gericht hat am 14.04.2022 mündlich verhandelt. Im Übrigen wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Die zulässige Klage ist unbegründet, da die Hauptforderung nach Ziff. 1 unschlüssig ist. Die Klagepartei hat keine Angaben zu den gefahrenen Kilometern im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gemacht, weshalb eine Berechnung der Höhe des Schadensersatzanspruchs nicht möglich war. Daher konnte vorliegend offen bleiben, ob ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei gegen die Beklagte besteht.
I.
16
Die Klagepartei müsste sich im Rahmen des § 249 BGB auf einen Ersatzanspruch grundsätzlich die von ihr während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen, weil im Übrigen eine vom Schadensrecht nicht gedeckte Überkompensation stattfinden würde.
17
Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB (BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19 m.w.N.).
18
Die Nutzungsentschädigung wird ermittelt, indem der Kaufpreis mit der Zahl der gefahrenen Kilometer multipliziert und das Ergebnis durch die geschätzte Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird (vgl. BGH, Urt. v. 30.07.2020, Az. VI ZR 397/19). Für die Zahl der gefahrenen Kilometer ist dabei der Stand zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen.
II.
19
Die Klagepartei hat den Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen, sondern nur den Kilometerstand zum 12.04.2022. Klägerischer Vortrag, dass sich dieser Kilometerstand bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht verändert hat, ist nicht gegeben.
20
Eine Schätzung gem. § 287 ZPO der weiteren Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt des vorgetragenen Kilometerstands bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ist mangels Anknüpfungstatsachen nicht möglich, insb. scheidet eine Schätzung auf Grundlage einer Berechnung einer durchschnittlichen Tagesnutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Nutzungszeitraum der Klagepartei aus. Konkreter Vortrag der Klagepartei zu Art und Umfang der Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs besteht nicht. Der Umfang der Nutzung von Kraftfahrzeugen ist im Einzelfall höchst unterschiedlich, weshalb es nicht darauf ankommt, dass der vorgetragene Kilometerstand lediglich vom 12.04.2022 stammt. Regelmäßige Nutzungen von Kraftfahrzeugen, z.B. bei werktäglichen Fahrten zur Arbeitsstelle, sind möglich, ebenso aber auch sporadische Nutzungen mit höchst unterschiedlichen Fahrtstrecken. Zudem sind auch bei Fahrzeugen, die regelmäßig in identischem Umfang genutzt werden, Abweichungen an einzelnen Tagen möglich, sowohl in Form einer deutlich höheren Nutzung, z.B. bei Urlaubsfahrten mit dem Fahrzeug ins Ausland, als auch in Form einer geringeren oder unterbleibenden Nutzung. Eine Verallgemeinerung scheidet daher aus.
III.
21
Ein gerichtlicher Hinweis hierzu war nicht veranlasst. Die Klagepartei stellt in ihrem Klageantrag nach Ziffer 1 selbst auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ab. Der Klägervertreter wurde in der mündlichen Verhandlung zur Laufleistung befragt und konnte nur den Kilometerstand vom 12.04.2021 angeben. Eine Schriftsatzfrist wurde nicht beantragt, sondern streitig zur Sache verhandelt.
IV.
22
Eine Tenorierung unter Vorgabe einer Berechnungsformel für die Nutzungsentschädigung zum Zeitpunkt der Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs kam mangels eines vollstreckungsfähigen Inhalts nicht in Betracht.
23
Ein Vollstreckungstitel ist bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang seiner Leistungspflicht bezeichnet. Das Vollstreckungsorgan muss in der Lage sein, allein mit dem Titel ohne Verwertung der Gerichtsakten oder anderer Urkunden die Vollstreckung durchzuführen. Zwar ist der Titel selbst der Auslegung fähig. Es genügt jedoch nicht, wenn auf Urkunden Bezug genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind, oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer Schriftstücke ermittelt werden kann (BGH, Beschl. v. 13.09.2017, Az. IV ZB 21/16).
24
Bei einer Tenorierung unter Vorgabe einer Berechnungsformel für die Nutzungsentschädigung zum Zeitpunkt der Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs würde sich die genaue Höhe des titulierten Anspruchs nicht aus dem Urteil selbst ergeben, sondern ließe sich nur anhand des Tachostandes zum Zeitpunkt der Rückgabe ermitteln, also anhand einer Privaturkunde, die nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Urteils gemacht worden ist (OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.01.2021, Az. 13 U 905/19).
V.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.