Inhalt

LG Traunstein, Endurteil v. 23.09.2022 – 9 O 34/22
Titel:

Restschadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Normenkette:
BGB § 199, § 826, § 852 S. 1
Leitsätze:
1. Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Käufer eines solchen Fahrzeugs durch den Fahrzeughersteller dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist der Schadensersatzanspruch des Käufers eines solchen Fahrzeugs verjährt, ist die Vorschrift des § 852 BGB auf eine solche Konstellation grundsätzlich anwendbar. Der Anwendung des § 852 BGB steht nicht entgegen, dass der Käufer das Fahrzeug nicht direkt von dem Hersteller, sondern über einen Vertragshändler erworben hat. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 189, Abgasrückführung, Restschadensersatz, Abschalteinrichtung, Dieselskandal
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 27.03.2023 – 33 U 6344/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45547

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 42.141,14 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.02.2022 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Touareg mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ...
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.877,10 € freizustellen.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss.
Der Streitwert wird auf 51.516,57 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sogenannten „Diesel-Abgasskandal“.
2
Die Klagepartei ist Eigentümerin eines Pkws VW Touareg mit der Fahrzeugidentifikationsnummer . Die Klagepartei erwarb dieses Fahrzeug am 29.06.2015 beim Verkäufer zu einem Kaufpreis von 67.029,00 € brutto. Der Kaufpreis wurde vollständig beglichen. Das Fahrzeug hatte im Zeitpunkt der Übergabe einen Kilometerstand von 0 km (Neufahrzeug). Das Fahrzeug ist zugelassen nach der europäischen Abgasnorm Euro 6. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) mit dem Rückrufcode 23X6 betroffen.
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Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23.11.2021 forderte die Klagepartei die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs auf.
4
Die Klagepartei ist der Ansicht, im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, die im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 die Wirkung von Immissionskontrollsystemen verringere. Die Motorsteuerungssoftware sei so programmiert, dass sie erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befinde oder im regulären Betrieb. Durch die Verwendung der oben beschriebenen Strategie würden auf dem Prüfstand geringere NOx-Werte erzielt als im normalen Straßenbetrieb. Die Werte, die zur Einstufung des Fahrzeugs für die Euro 6-Norm eingehalten werden müssten, würden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Außerhalb des Prüfstand-Modus würden die Werte um ein Vielfaches überschritten.
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Die Klagepartei behauptet, sie habe von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und den damit verbundenen höheren Schadstoffemissionen keine Kenntnis gehabt und hätte das Fahrzeug anderenfalls nicht gekauft. Die Beklagte und ihre damaligen Vorstände hingegen hätten vom Einbau der Abschalteinrichtung in das streitgegenständliche Fahrzeug gewusst. Die Beklagte treffe insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Die Beklagte habe vorsätzlich unter Verschweigen der Abschalteinrichtung das Fahrzeug in den Verkehr gebracht. Dabei habe die Beklagte vorsätzlich sittenwidrig gehandelt.
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Die Klagepartei ist insgesamt der Ansicht, ihr stehe ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte zu.
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Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 49.251,95 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageeinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 350.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zuzüglich Zinsen aus dem sich dadurch ergebenden Klageforderungsbetrag in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Touareg mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ...
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.147,83 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typengenehmigung und über eine wirksame Betriebserlaubnis. Die Tatsache, dass das verfahrensgegenständliche Fahrzeug mit der beschriebenen Software ausgestattet sei, ändere am Bestand der EG-Typengenehmigung nichts. Das Fahrzeug entspräche unter Laborbedingungen den Anforderungen, die im Typengenehmigungsverfahren für Laborbedingungen gestellt würden. Durch das Software-Update drohe der klagenden Seite kein Entzug der Zulassung.
12
Die Beklagtenseite ist der Rechtsansicht, dass ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ausscheide. Das streitgegenständliche Fahrzeug, das über einen Motor des Typs V-TDI (EU 6) verfüge, sei nicht von der im September 2015 bei Motoren des Typs EA 189 (EU 5) bekannt gewordenen Umschaltlogik der Abgasrückführung betroffen, deren Verwendung durch die V. AG der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 25.05.2020 (Aktenzeichen VI ZR 252/19) als sittenwidrige Handlung einstufte. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge nicht über einen Motor des Typs EA 189 (EU5), sondern über einen V-TDI (EU 6) Motor. Die Ausführungen der Klagepartei zu Entscheidungen in EA 189-Verfahren verfingen daher nicht. In der Folge stütze die Klagepartei ihr Begehren auf unsubstantiierte Behauptungen. Zudem sei es auch nicht glaubhaft, wenn die Klagepartei behaupte, dass sie den Abschluss eines Kaufvertrages über ein Fahrzeug mit einem Leergewicht von ca. zwei Tonnen, in dem ein 3.0 V6 TDI Motor verbaut ist, der eine Leistung von 204 PS erreiche, vollständig von der Einhaltung von Stickoxidwerten abhängig gemacht haben möchte, die der Klagepartei nicht bekannt und für die Nutzbarkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht relevant gewesen seien.
13
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Die Klagepartei habe jedenfalls im Jahr 2018 Kenntnis von ihren möglichen Ansprüchen erlangen können und müssen mit der Folge, dass mit Ablauf des Jahres 2021 Verjährung eingetreten sei.
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Wegen des weiteren Vortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2022 vollumfänglich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage erweist sich in tenoriertem Umfang als begründet.
I.
16
Die Klagepartei hat dem Grunde nach einen Anspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte, da sich die Manipulation als der Beklagten zurechenbare vorsätzliche sittenwidrige Schädigung darstellt. Die Beklagte hat sich begründet auf die Einrede der Verjährung gemäß § 214 BGB berufen. Dem Kläger steht jedoch gemäß §§ 826, 852, 812 BGB ein Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu (ähnlich OLG München Endurteil v. 27.9.2021 – 3 U 1705/21, BeckRS 2021, 28126 Rn. 39, beck-online).
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1. Die Beklagte täuschte die Klagepartei.
18
Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliegt unstreitig einer verbindlichen Anordnung des KBA zur Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware, wobei das KBA im dieser Anordnung zugrunde liegenden Bescheid die Auffassung vertritt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp zwei unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz kommen würden.
19
Bereits aufgrund dessen ergibt sich, dass es sich bei der verbauten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt und damit eine Übereinstimmung mit den europäischen Rechtsakten nicht gegeben ist. Damit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte über die Gesetzeskonformität der Abgassteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs getäuscht hat. Die Beklagte hat im Rechtsstreit die Täuschung auch nicht substantiiert bestritten. Sie hat letztlich nicht ausgeräumt, dass objektiv eine Täuschung vorliegt. Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Klagepartei durch die Beklagte dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind (OLG München Endurteil v. 25.1.2021 – 21 U 145/20, BeckRS 2021, 1051 Rn. 34, beck-online).
20
Diese begangene Täuschung war für die Kaufentscheidung durch die Klagepartei kausal. Die Beklagte handelte verwerflich. Sie verwendete die unzulässige Abgassteuerung zur Überzeugung des Gerichts lediglich aus Gewinnstreben, wobei sie die berechtigten Kundeninteressen und die Belange der Allgemeinheit (Umweltschutz) bedenkenlos hintanstellte. Es handelte sich um eine planmäßig lang angelegte Strategie, die jegliche Rücksicht auf firmenexterne Belange vermissen lässt. Dies kann nicht mehr nachvollzogen werden und stellt sich für das Gericht als Handeln auf niedrigster sittlicher Stufe dar. So führt das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 – 13 U 142/18) zur EA 189-Problematik zutreffend aus:
„Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Zum einen erscheint es lebensfremd, dass die Beklagte das mit der Verwendung der Abschaltsoftware verbundene erhebliche Risiko ohne wirtschaftlichen Vorteil eingegangen wäre (so OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2018 – 27 U 10/18, juris Rn. 20), zum anderen trägt die Beklagte selbst keinen anderen Grund vor. Soweit die Beklagte rügt, es fehle an schlüssigem Tatsachenvortrag der Klägerseite zu den Motiven für die Verwendung der Software, dürfte dies fehlgehen: Bereits in der Klageschrift wird ausgeführt, die Entwicklung der Motoren sei „aus eigenem Gewinnstreben und, um die Marktführerschaft auf dem Markt der Personenfahrzeuge zu erreichen,“ erfolgt. Die Entwicklungsingenieure hätten aber das Problem gehabt, mit legalen Möglichkeiten die Grenzwerte insbesondere für Stickstoffoxid nicht einhalten zu können, weshalb man sich entschieden habe, die von der Firma B… allein zu Testzwecken entwickelte Software einzusetzen (Klageschrift S. 3, AS. I 5). In der Replik wird weiter präzisiert, die Ingenieure hätten von der Möglichkeit, die erhöhte Abgasrückführung auch im Normalbetrieb zu aktivieren von Anfang an Abstand genommen, weil in Langzeittests bereits ab Laufleistungen von 50.000 km Schäden an Partikelfiltern und Motoren aufgetreten seien. Bereits im Jahr 2006 sei vom Vorstand P… die Entscheidung getroffen worden, die teurere AdBlue Technologie nicht einzusetzen, sondern der preiswerteren Lösung den Vorzug zu geben (Replik S. 6, AS. I 267; auch Schriftsatz vom 09.01.2018, S. 5, AS. I 385). Zwar ist allein ein Handeln mit Gewinnstreben nicht als verwerflich zu beurteilen. Im Hinblick auf das eingesetzte Mittel erscheint das Handeln hier aber als verwerflich: Bereits das Ausmaß der Täuschung, nämlich der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen verschiedener Marken des Konzerns verbaut wurde, mit der Folge einer entsprechend hohen Zahl getäuschter Käufer rechtfertigt das besondere Unwerturteil. Überdies erscheint auch die Art und Weise der Täuschung als verwerflich: Durch die dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge vorangegangene Täuschung der Typgenehmigungsbehörde zur Erlangung der EG-Typgenehmigung hat sich die Beklagte bei Verkauf der Fahrzeuge das Vertrauen der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlichrechtlichen Genehmigungsverfahrens und damit auch in die Objektivität der staatlichen Behörde zunutze gemacht. Die Verwerflichkeit des Handelns ergibt sich des Weiteren aus den resultierenden Folgen: Hier droht zum einen den Käufern erheblicher Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs (was bereits vielfach geschehen ist, wie aus einer Vielzahl veröffentlichter verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen und aus mehreren vor dem Senat geführten Verfahren bekannt ist). Das von der Beklagten angebotene Software-Update stellt allein ein Angebot der Schadenswiedergutmachung dar. Fehl geht der Einwand der Beklagtenseite, eine Parallelwertung mit dem Kaufrecht verbiete, den Mangel als sittenwidrig anzusehen, weil es sich um einen unerheblichen Mangel im Sinn des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB handle. Denn der Mangel ist als erheblich zu qualifizieren. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.12.2018 – 17 U 4/18, juris Rn. 25 ff. verwiesen. Überdies hat die Beklagte durch die Ausstattung einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen mit dieser Abschalteinrichtung eine erhebliche Beeinträchtigung der Umwelt über die zugelassenen Emissionen hinaus in Kauf genommen. Zusammenfassend ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden, unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich das Kraftfahrt-Bundesamt, und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse. Überdies liegt im vorliegenden Fall eine vorsätzliche Täuschung vor (hierzu unten) mit dem Ziel, unter Ausnutzung der Fehlvorstellung der Kunden hohe Absatzzahlen zu erreichen. Allein dieser Umstand rechtfertigte es schon, Sittenwidrigkeit im Sinn des § 826 BGB zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15, juris Rn. 17).
Soweit die Beklagtenseite unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2016 (VI ZR 536/15, juris) ausführt, die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Voraussetzungen für die Sittenwidrigkeit seien nicht erfüllt, geht dies fehl. Der dortige Fall unterscheidet sich vom vorliegenden schon durch den Umstand, dass dort eine bewusste Täuschung durch den Vorstand gerade nicht festgestellt worden war (BGH, a.a.O., Rn. 22). Auch unabhängig davon überzeugt die Argumentation der Beklagten nicht: In der dortigen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof zur Haftung eines als Aktiengesellschaft organisierten Immobilienfonds gemäß § 826 BGB ausgeführt, dass allein die fehlende Angabe eines Risikofaktors der Kapitalanlage (im dortigen Fall: Altlastenverdacht betreffend das vom Fond zu bebauende Grundstück) im Emissionsprospekt noch nicht den Schluss auf ein sittenwidriges Verhalten zulasse (BGH, a.a.O., Rn. 21). Die Beklagte will hieraus einen Erst-Recht-Schluss ziehen: Wenn schon eine falsche Angabe gegenüber dem besonders schutzbedürftigen und gesetzlich geschützten Kapitalanleger nicht allein Sittenwidrigkeit begründen könne, könnten unterstellt fehlerhafte Angaben im Verkaufsprospekt gegenüber dem weniger schutzwürdigen Fahrzeugerwerber erst recht kein verwerfliches Moment begründen. Diese Argumentation greift nicht, weil die entscheidende Täuschung nicht in etwaigen Falschangaben über das Abgasverhalten in Fahrzeugprospekten gesehen wird, sondern in der dargelegten konkludenten Täuschung über das Vorliegen der materiellen EG-Typgenehmigungsvoraussetzungen. Diese betrifft den elementaren Zweck des Autokaufs, nämlich die Fortbewegung auf öffentlichen Straßen, während es in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um einen den Wert der Anlage mitbestimmenden Aspekt unter vielen geht. Überdies handelt es sich in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall um eine Täuschung durch Unterlassen. Dieses Ergebnis ist auch nicht unter Schutzzweckgesichtspunkten zu korrigieren. Das Sittenwidrigkeitsurteil über ein bestimmtes Verhalten des Schädigers ist allerdings nicht abstrakt, sondern stets in Bezug auf die Person des Geschädigten zu fällen. Die Haftung beschränkt sich auf die Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen, das heißt in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (vgl. BGH, Urteil vom 11.11.1985 – II ZR 109/84, juris Rn. 15; Wagner, in: MüKo-BGB, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 22). Doch besteht hier keine Veranlassung für eine solche Beschränkung: Denn die Haftung aus § 826 BGB knüpft – anders als etwa ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit bestimmten europarechtlichen Normen – nicht unmittelbar an den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 an, sondern folgt aus der mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs verbundenen Täuschung über die Erfüllung der materiellen Typgenehmigungsvoraussetzungen. Diese Pflichtverletzung ist für den Rechtskreis des Käufers ersichtlich von Bedeutung, weil über einen die Kaufentscheidung wesentlich beeinflussenden Umstand getäuscht wird.“
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2. Auch der für § 826 BGB erforderliche Schädigungsvorsatz sowie die Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, liegen zur Überzeugung des Gerichts vor. Das folgert das Gericht aus dem planmäßigen perfiden Vorgehen der Beklagten, das die eigenen Belange in den Vordergrund stellte und Belange anderer kaltschnäuzig hintanstellte. So führt das OLG Karlsruhe zur vergleichbaren EA 189-Problematik (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss v. 5.3.2019 – 13 U 142/18) zutreffend aus:
„Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, welche flächendeckend konzernweit in vielen Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2018 – 27 U 10/18, juris Rn. 26; Heese, NJW 2019, S. 257 <260 re.Sp. 2. Abs.>). Es handelt sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, dem bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht. Diese Vermutung wird noch verstärkt durch den Umstand, dass die Software durch einen Zulieferer programmiert und geliefert wurde. Insoweit ist in einem ordnungsgemäß geführten Unternehmen zu erwarten, dass die Anforderungen an die Software mit der Bestellung in Form einer Leistungsbeschreibung niedergelegt sind. Weil es sich bei der Motorsteuerung um ein Kernstück des Motors handelt, widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass insoweit die Führungsebene des Unternehmens nicht eingebunden wurde. Wer die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorsteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt, muss eine wichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein. Soweit es sich dabei nicht um einen Vorstand handelt, spricht im Hinblick auf das Gewicht der Entscheidung zumindest eine starke tatsächliche Vermutung dafür, dass es sich um einen Repräsentanten im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt, weil er Entscheidungen trifft, die üblicherweise der Unternehmensführung vorbehalten sind. Da ein Verhaltensexzess eines untergeordneten Mitarbeiters, der den die Zustimmung zum Einsatz der Motorsteuerungssoftware erteilenden Vorstand bzw. Repräsentanten überdies getäuscht haben müsste, zwar höchst unwahrscheinlich ist, aber im Hinblick auf die Unberechenbarkeit von willensgesteuerten Entscheidungsprozessen nicht von einer Typizität im Sinn eines Anscheinsbeweises ausgegangen werden kann, besteht lediglich eine tatsächliche Vermutung für Kenntnis und Billigung eines Vorstands oder Repräsentanten, welche die Beklagte im Rahmen der sie treffenden sekundären Darlegungslast zu entkräften hat.“
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Der BGH hat diese Rechtsauffassung im Urteil vom 25.05.2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19, im Kern bestätigt (BGH NJW 2020, 1962).
II.
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Die Klagepartei hat durch den Abschluss des Kaufvertrags – als Teil der Haftungsausfüllung – einen Schaden i.S.d. § 249 BGB erlitten.
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1. Das Gericht schließt sich zum Schadensbegriff den Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 26.09.1997 – V ZR 29/96 an:
„Ist – was zwischen den Parteien streitig ist – der Kaufgegenstand den Kaufpreis wert, so kann ein Vermögensschaden schon darin liegen, daß der von dem schuldhaften Pflichtverstoß Betroffene in seinen konkreten Vermögensdispositionen beeinträchtigt ist. Der Schadensersatzanspruch dient dazu, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen; der Schadensbegriff ist mithin im Ansatz subjektbezogen (vgl. Lange, aaO, § 1 III 2; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., vor § 249 Rdn. 20ff.). Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluß eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, daß die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (vgl. Hagen, Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik, S. 165; Lange, aaO, § 1 III 2; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdn. 9; in dieser Richtung z.B. BGH, Urt. v. 12. 10. 1993 – X ZR 65/92, NJW 1994, 663/664). Insoweit besteht eine Vergleichbarkeit zur strafrechtlichen Bewertung solcher Konstellationen im Rahmen des Betrugstatbestandes (vgl. nur BGHSt 16, 321/325ff.). Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, daß die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern daß auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluß als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht.“
25
Der BGH hat dies im Urteil vom 25.05.2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19, im Kern bestätigt (BGH NJW 2020, 1962, Rn. 45 ff.).
26
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt und wurden auch nicht durch das Aufspielen des Softwareupdates beseitigt.
27
Die Klagepartei trägt in diesem Zusammenhang zu Recht vor, dass der Käufer eines Kraftfahrzeuges erwarten könne und dürfe, dass das Fahrzeug über alle erforderlichen Genehmigung verfüge, vorhandene Genehmigungen nicht durch Täuschung der Genehmigungsbehörden erwirkt worden sind, das Fahrzeug kein Sachmangel aufweise, nicht die Betriebsuntersagung des Fahrzeugs drohe und dass es dem Fahrzeug nicht an der Eignung der Sache für die gewöhnliche Verwendung (Nutzung im Straßenverkehr) fehle. Es erscheint dem Gericht gemäß § 287 ZPO ohne weiteres plausibel, dass – wie die Klagepartei weiter vorträgt – kein vernünftiger Käufer ein Fahrzeug in dem Wissen kaufen würde, dass die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
28
Eines weiteren Beweises hinsichtlich des Schadens gemäß § 249 BGB bedurfte es nicht. Die vorstehenden Erwägungen gelten auch unter Berücksichtigung des Einwands der Beklagten, dass es sich streitgegenständliche um ein schweres Fahrzeug mit hoher Leistungsstärke handelt.
29
Für die Argumentation der Beklagten – es sei für den Autokäufer nicht entscheidend, ob ein Fahrzeug speziell für den NEFZ mit einer Software ausgerüstet ist, um die nur in diesem Rahmen vorgegeben Bedingungen zu erfüllen – spricht kein allgemeiner Erfahrungsgrundsatz. Darüber hinaus ist nicht lediglich dieser eine Umstand, sondern es sind sämtliche Umstände, die daraus folgen, zu berücksichtigen. Damit ist auch miteinzubeziehen, dass das KBA eine Nachbesserung verlangt, um die Zulassung nicht zu entziehen und der Umstand, dass die erforderliche Nachbesserung in der breiten Öffentlichkeit sehr umstritten ist. In einer solchen Konstellation ist es selbst bei einer Bestätigung der Beklagten, dass das Fahrzeug nach der Nachrüstung den geltenden gesetzlichen Vorschriften entspricht, gerade nicht lediglich subjektiv willkürlich i.S.d. zitierten Rechtsprechung, den geschlossenen Vertrag – auch nach Aufspielen des Softwareupdates – als Schaden und hinsichtlich der konkreten Vermögensinteressen als nachteilig anzusehen. Daher besteht auch keine Pflicht, nach dem Aufspielen des Updates das Fahrzeug zu behalten.
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3. Im Hinblick auf den sich aus den §§ 249 Abs. 2 S. 1, 251 Abs. 1 BGB ergebenden haftungsausfüllenden Tatbestand ist unter Berücksichtigung der Schätzungsbefugnis nach § 287 Abs. 1 ZPO folgendes auszuführen:
31
Die Klagepartei hat im Rahmen des negativen Interesses den Anspruch, so gestellt zu werden, als wäre nach einer entsprechenden Aufklärung durch die Beklagte der Kaufvertrag nicht geschlossen worden. Dies führt zur Rückzahlung des von ihr gezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug (§§ 320 Abs. 1, 273 Abs. 1 BGB) gegen Übertragung des Eigentums am streitgegenständlichen Pkw (§ 255 BGB analog).
32
Im Rahmen des Vorteilsausgleichs muss sich die Klageseite allerdings die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, da es sich nicht um eine Rückabwicklung des Kaufvertrags handelt (vgl. LG Traunstein, Urteil vom 27.06.2018 – 5 O 2425/17). Das Fahrzeug hatte beim Kauf eine Gesamtlaufleistung von 0 km und kostete 67.029,00 €. Im Zeitpunkt der hier maßgeblichen mündlichen Verhandlung am 13.09.2022 hatte es einen Kilometerstand von insgesamt 92.825.
33
Unter Berücksichtigung des Kaufpreises, den gefahrenen Kilometern und einer bei Dieselfahrzeugen zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Vertrags zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km ergibt sich unter Verwendung der Formel „Bruttokaufpreis x gefahrene km, geteilt durch Restlaufleistung bei Übernahme“ eine Nutzungsentschädigung von 24.887,86 €.
34
Somit ergibt sich grundsätzlich ein noch zu ersetzender Schaden in Höhe von 42.141,14 €.
III.
35
Etwaige Ansprüche der Klagepartei gemäß § 826 BGB oder § 823 BGB sind allerdings gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt.
36
Die hier anwendbare regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB 3 Jahre. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Bezüglich des Merkmals der Kenntnis des Anspruchsstellers sind die Anforderungen wie folgt zu präzisieren: Mit Blick auf die Tatsachenkenntnis des Geschädigten im Rahmen von § 852 Abs. 1 BGB 1900 hat der BGH eine solche Kenntnis genügen lassen, „die es dem Verletzten erlaubt, eine hinreichend aussichtsreiche – wenn auch nicht risikolose – und ihm daher zumutbare Feststellungsklage zu erheben“ (BeckOGK/Piekenbrock, 1.8.2019, BGB § 199 Rn. 79).
37
Danach ist eine Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, zu denen auch der Vermögensschaden gehört, jedenfalls im Jahr 2018 zu bejahen mit der Folge, dass Verjährung zum 31.12.2021 eintrat. Die Klagepartei hat vor Eintritt der Verjährung deren Lauf nicht gehemmt. Sie hat nicht vorgetragen, dass sie sich zur Musterfeststellungsklage gemäß § 608 ZPO angemeldet und auf diese Weise gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung gehemmt hat. Weitere Hemmungstatbestände sind nicht ersichtlich. Folglich konnte die im Januar 2022 durch Schriftsatz vom 05.01.2022 erhobene Klage die Verjährung nicht mehr hemmen. In dieser Konsequenz hat sich die Beklagte berechtigt auf die Einrede der Verjährung berufen.
IV.
38
Die Klagepartei hat einen Anspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB auf Ersatz des oben festgestellten Schadens in Höhe von 42.141,14 €.
39
Gemäß § 852 Satz 1 BGB ist der Ersatzpflichtige, der durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat, auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Die Vorschrift enthält eine Rechtsfolgenverweisung auf die §§ 812 ff. BGB. Es handelt sich um die Regelung eines sogenannten „Restschadensersatzanspruchs“ (Palandt/Sprau, § 852 Rn. 2).
40
Zur Rechtsnatur des § 852 Satz 1 BGB und zu dessen Anwendbarkeit in Fällen der vorliegenden Art führt das OLG München im Endurteil v. 27.9.2021 – 3 U 1705/21 wie folgt aus:
41
Die Rechtsnatur des § 852 BGB ist umstritten, sie kann vorliegend aber offen bleiben. Vertreten wird, dass es sich bei § 852 BGB um eine „Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung“ (BGH, NJW 1978, 1377, zur Rechtslage vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz), einen sonstigen Rechtsbehelf (MükoBGB/Wagner, § 852, Rz. 3) oder eine eigene Anspruchsgrundlage handelt (zum Diskussionsstand siehe Bruns, Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121). Jedenfalls „verlängert“ § 852 BGB einen bestehenden deliktischen Anspruch in die verjährte Zeit hinein. Der Streitgegenstand dieses „Restschadensersatzanspruches“ entspricht dem des deliktischen Anspruchs, so dass eine Prüfung nur den Vortrag der Klagepartei voraussetzt, die Beklagtenpartei habe aufgrund der deliktischen Handlung etwas erlangt.
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Die Vorschrift des § 852 BGB ist auf die vorliegende Konstellation grundsätzlich anwendbar: Der Anwendung des § 852 BGB steht nicht entgegen, dass der Kläger das Fahrzeug nicht direkt von der Beklagten, sondern über einen Vertragshändler erworben hat. Der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB setzt voraus, dass der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung etwas auf Kosten des Verletzten erlangt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die Formulierung „auf Kosten“ in § 852 S. 1 BGB (der § 852 Abs. 3 BGB in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung entspricht) nicht identisch mit der in § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, da es sich nicht um eine Rechtsgrund-, sondern um eine Rechtsfolgenverweisung handelt. Danach behält der Bereicherungsanspruch des § 852 Abs. 3 BGB die Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch und erfordert dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte Schadensersatzanspruch. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen. Er wird nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt. § 852 S. 1 BGB enthält somit eine Regelung des Umfangs der deliktischen Verschuldenshaftung. Aus der Verwendung der Worte „auf Kosten … erlangt“ kann nicht hergeleitet werden, dass die Voraussetzungen der Bereicherungshaftung den §§ 812 ff. BGB zu entnehmen sind. Würde man das Merkmal „auf Kosten … erlangt“ in § 852 BGB analog der Eingriffskondiktion in § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB zur Bestimmung des Zuweisungsgehalts der rechtlich geschützten Position begreifen und nur unmittelbare Vermögensverschiebungen akzeptieren, würde das den Zweck des § 852 BGB konterkarieren, wonach derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung einen anderen geschädigt und dadurch sein eigenes Vermögen vermehrt hat, nicht im Genuss dieses unrechtmäßig erlangten Vorteils bleiben soll (BGH, Urteil vom 14. 02.1978, X ZR 19/76 Fahrradgepäckträger II). Die Vermögensverschiebung muss sich daher nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollziehen. Der Begriff „auf Kosten (…) erlangt“ stellt in § 852 S. 1 BGB auf die Handlung ab, durch die die Vermögensverschiebung bewirkt worden ist. Da es eine unerlaubte Handlung war, kommt es nicht darauf an, auf welchem Wege sich die dadurch veranlasste Vermögensverschiebung vollzogen hat (BGH aaO). (OLG München Endurteil v. 27.9.2021 – 3 U 1705/21, BeckRS 2021, 28126 Rn. 29-37, beck-online).
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Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht an.
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Die Klagepartei kann demnach, da es sich um einen Neuwagenkauf handelt, nach §§ 826, 852 S. 1 BGB die Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs beanspruchen (OLG München a. a. O.; BGH NJW-RR 2022, 740 Rn. 81, beck-online). In dieser Konstellation vollzieht sich die relevante Vermögensverschiebung im Verhältnis zwischen der Beklagten als Herstellerin im Rahmen des VW-Konzerns und dem Erstkäufer, und nicht bei dem Händler, bei dem sich in diesem Fall kein Absatzrisiko verwirklicht.
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Der Rückzahlungsanspruch ist allerdings durch den ursprünglichen deliktischen Anspruch in der Höhe begrenzt. Bei § 852 BGB handelt es sich um die Verlängerung eines deliktischen Anspruchs in dessen verjährte Zeit hinein. Die Haftung aus § 852 BGB kann somit nicht weitergehen als der dieser Haftung zugrunde liegende deliktische Anspruch. Der Anspruch auf das Erlangte wird daher begrenzt durch den dem Deliktsgläubiger entstandenen Schaden. Bei Austauschgeschäften, die einem deliktischen Anspruch zugrunde liegen, kann danach die Anwendung des § 852 S. 1 BGB dazu führen, dass der Deliktsschuldner nach Eintritt der Verjährung des ursprünglichen deliktischen Anspruchs über § 852 S. 1 BGB im Umfang des verjährten deliktischen Anspruchs weiterhin haftet. Dies entspricht allerdings der Intention des Gesetzgebers, der den Deliktsschuldner hinsichtlich des Umfangs der Haftung (und ursprünglich auch hinsichtlich der Dauer der Haftung, was heute keine Rolle mehr spielt) nicht besserstellen wollte als einen bösgläubigen Bereicherungsschuldner. (OLG München Endurteil v. 27.9.2021 – 3 U 1705/21, BeckRS 2021, 28126, beck-online)
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Diesen Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht an. Der Restschadensersatzanspruch ist damit beschränkt auf den verjährten Deliktsschadensersatzanspruch des § 826 BGB. Unstreitig hat der Fahrzeugverkäufer den von der Klagepartei bezahlten Kaufpreis erlangt. Somit besteht der Anspruch des § 852 Satz 1 BGB in Höhe der ermittelten 42.141,14 € unter Berücksichtigung der gezogenen Nutzungen.
V.
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Der Feststellungsantrag ist zulässig; das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO ergibt sich aus dem schutzwürdigen Interesse in Hinblick auf die §§ 756, 765 ZPO (Saenger, ZPO, 7. Auflage 2017, § 256 Rn. 8). Die Beklagte befindet sich in Annahmeverzug gem. § 293 BGB. Das Schreiben vom 23.11.2021 (Anlage K 2; Bl. 6 d.A.) enthält ein wörtliches Angebot. Ein tatsächliches war gem. § 295 BGB nicht erforderlich.
VI.
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Die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten wurden als adäquat verursachte Rechtsverfolgungskosten gem. den §§ 249 Abs. 2 S. 1, 251 Abs. 1 BGB zugesprochen. Dabei ist die angesetzte Geschäftsgebühr gem. VV-RVG Nr. 2300 von 1,3, die Pauschale gem. VV-RVG Nr. 7002 sowie Umsatzsteuer gem. VV-RVG Nr. 7008 als angemessen anzusehen. Dabei war auszugehen von einem Gegenstandswert von 42.141,14 €.
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Insoweit waren wie beantragt Prozesszinsen nach den §§ 291 S. 1 und 2, 288 Abs. 1 BGB begründet.
VII.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.