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LG Landshut, Endurteil v. 16.08.2022 – 24 O 1415/22
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Tiguan)

Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG Braunschweig BeckRS 2021, 51097; OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einer vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typgenehmigung kann nicht ausgegangen werden, wenn das KBA nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typgenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus dem Umstand, dass das KBA trotz Kenntnis der im Motor EA 288 hinterlegten Fahrkurve auch eine Änderung der bereits genehmigten Modelle nicht verlangt hat, lässt sich schließen, dass die „Fahrkurvenerkennung“ anders als im Motor EA 189 keine problematische Einrichtung darstellt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Beurteilung eines (unterstellt) schädigenden Verhaltens von VW als sittenwidrig scheidet für einen Fahrzeugkauf im November 2021 aus, da zu diesem Zeitpunkt VW für den Motor EA 288 die (hier beanstandeten) Funktionen Thermofenster und Fahrkurve gegenüber dem KBA bereits offengelegt hatte. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, KBA, Kenntnis, Nachkauf, Typgenehmigung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 22.03.2023 – 15 U 5354/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45546

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4.    Der Streitwert wird auf 26.758,06 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche nach Kauf eines Dieselfahrzeugs.
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Der Kläger erwarb am 07.11.2021 bei Herrn O. E. einen gebrauchten VW Tiguan mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … zu einem Kaufpreis von 27.000 €. Das Fahrzeug wies bei Erwerb eine Laufleistung von 111.853 km auf, am 02.08.2022 hatte es einen Kilometerstand von 115.241 km.
3
Im Fahrzeug ist ein Motor 2,0 l TDI mit einer Leistung von 176 kW und mit der Bezeichnung EA 288 der Abgasnorm EURO 6 sowie ein SCR-Katalysator verbaut.
4
Es liegt kein verpflichtender Rückruf des Kraftfahrbundesamtes (KBA) für das streitgegenständliche Fahrzeug vor. Die Beklagte hat dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) unter Beifügung der Applikationsrichtlinie Ende 2015 mitgeteilt, dass in Fahrzeugen mit EA-288-Motor eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt sei, an die nicht die aus den EA-189-Fahrzeugen bekannte Umschaltlogik geknüpft sei.
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Der Kläger behauptet, im Fahrzeug seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, um im Falle des NEFZ-Abgastests die zulässigen Abgaswerte zu erreichen. Die verbaute Software bewirke u.a. dass im normalen Straßenbetrieb, in Temperaturbereichen unter 5 Grad Celcius, das dreifache an Stickoxid ausgestoßen werde wie für das Fahrzeug zulässig sei. In dem Fahrzeug sei eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt.
6
Der Kläger hat zunächst beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 27.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Volkswagen Tiguan mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
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Mit Schriftsatz vom 12.07.2022 stellte der Kläger den Klageantrag insofern um, als dass er nunmehr anstatt der Rückabwicklung des Kaufvertrages den Ausgleich des behaupteten MangelMinderwertes in Form des kleinen Schadensersatzes fordert.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei – bezüglich des Fahrzeuges Volkswagen, Typ Tiguan, mit der Fahrgestellnummer … – einen Betrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens EUR 5.400,00 betragen muss, zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
Hilfsweise:
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, für alle gegenwärtigen und zukünftig entstehenden Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs Volkswagen, Typ Tiguan, mit der Fahrgestellnummer … durch die Beklagte resultieren, an die Klagepartei Schadensersatz zu leisten.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, dass in dem Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Messungen des KBA zu variierten Prüfbedingungen und Analysen des KBA an der Motorsteuerungssoftware hätten bestätigt, dass die EA-288-Motoren bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte einhielten, unabhängig von einer Fahrkurvenerkennung.
11
Das Gericht hat mündlich verhandelt am 02.08.2022. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.08.2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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A. Die zulässige Klage ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet.
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I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Landshut nach §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG, 32 ZPO zuständig. Die in der Aufgabe der Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und dem Übergang auf eine Zahlungsklage auf Zahlung des behaupteten Mangel-Minderwerts liegende Klageänderung war zulässig, mithin ist die Rechtshängigkeit des ursprünglichen Klageantrags entfallen. Denn die Beklagte hat sich dazu im Termin zu mündlichen Verhandlung am 02.08.2022 rügelos eingelassen, §§ 263, 267 ZPO.
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II. Die Klage ist unbegründet.
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1. Vertragliche Ansprüche hinsichtlich den Anträgen Ziffer 1 und 2 scheiden aus, da der Kaufvertrag vom 07.11.2021 mit einem Dritten und nicht mit der Beklagten geschlossen wurden.
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2. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 826 BGB.
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(1) Vom KBA sind zwischenzeitlich verschiedenste Fahrzeugmodelle mit Motoren des Typs EA 288 (sowohl EU 5 als auch EU 6) untersucht worden, welches zuvor bereits Kenntnis sowohl von dem wohl unstreitig installierten Thermofenster als auch von der wohl unstreitig zumindest anfänglich vorhandenen Fahrkurvenerkennung hatte. In keinem Fall hat das KBA eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt (vgl. zum Beispiel Anl. B 15, B 23, B28). Die Verwendung einer – ggf. nach Entscheidung des EuGH als unzulässig zu bewertenden – Abschalteinrichtung allein genügt nicht für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Von einer – von der Klagepartei nachzuweisenden – vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typgenehmigung kann nicht ausgegangen werden, wenn das KBA als zuständige Behörde nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typgenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen. Ein verbindlicher Rückrufbescheid für den hier streitgegenständlichen Motortyp liegt nicht vor. Der von der Klagepartei als Anlage K3 vorgelegte Rückrufbescheid betrifft einen VW T6 und nicht das streitgegenständliche Fahrzeug. Ergänzend ist insoweit auch noch auszuführen, dass in dem von der Beklagten bereits mit der Klageerwiderung als Anlage B 5 vorgelegten Schreiben an das Kraftfahrtbundesamt vom 29.12.2015 unter Verweis auf eine bereits am 02.10.2015 – und damit vor Erstzulassung und Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs – erfolgte Erläuterung nochmals darauf hingewiesen wird, dass die in den Motorsteuergeräten hinterlegte Fahrkurve zwar auch noch im Nachfolgeaggregat EA 288 enthalten sei, hier aber nicht zur Optimierung der NOx-Emissionen im Prüfstandsbetrieb genutzt worden sei. Dem entsprechenden Vorbringen der Beklagten zu diesem Schreiben ist die Klägerin nicht entgegen getreten. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass das Kraftfahrtbundesamt in Kenntnis dieser Unterlagen im Rahmen der Beteiligung an der „Untersuchungskommission Volkswagen“ zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Motoren der Baureihe EA 288 (Euro 6) nicht von unzulässigen Abschalteinrichtungen betroffen sind. Dies wurde vom BMVI außerdem im Jahr 2019 nochmals generell und explizit für die Modelle mit dem Motor EA 288 per Twitter bekräftigt (Anlage B 2). Die Beklagte legt mit Anlage B48 sogar eine Auskunft des KBA exakt hinsichtlich des streitgegenständlichen Aggregats vor. Hieraus und aus dem Umstand, dass das KBA trotz Kenntnis der im Motor vom Typ EA 288 hinterlegten Fahrkurve auch eine Änderung der bereits genehmigten Modelle nicht verlangt hat (auch nicht bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs) lässt sich umgekehrt gerade schließen, dass auch die „Fahrkurvenerkennung“ anders als im Motor vom Typ EA 189 keine problematische Einrichtung darstellt.
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(2) Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug erst im November 2021 kaufte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte nach ihrem unbestritten gebliebenen Vortrag die von der Klagepartei beanstandeten Funktionen gegenüber dem KBA bereits offengelegt (Thermofenster: im Januar 2016, vgl. Klageerwiderung S. 27; Fahrkurve: Dezember 2015, vgl. Anlage B 5). Da die Beurteilung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig eine Gesamtwürdigung des Verhaltens des Schädigers voraussetzt, ist spätestens mit diesen Angaben gegenüber dem KBA, durch welche dieses in die Lage versetzt wurde, gezielte eigene Überprüfungen durchzuführen, der Vorwurf der Sittenwidrigkeit entfallen (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20). Ein pauschales Bestreiten ist angesichts der vorgelegten Unterlagen, insbesondere Anlage B 5, aus der sich der Inhalt des Schreibens der Beklagten an das KBA ergibt, nicht ausreichend. Dass nach der Behauptung der Klagepartei der dem KBA mitgeteilte Inhalt in bestimmten Details unzutreffend gewesen sein soll, ändert nichts daran, dass das KBA über die Funktionen an sich informiert wurde und hierauf eigene Untersuchungen aufbauen konnte. Dies genügt bereits, um den Vorwurf einer arglistigen Täuschung über die Verwendung der betreffenden Funktionen zu beseitigen. Nicht erforderlich ist, dass die Beklagte jegliche ihr mögliche Aufklärung geleistet hätte (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, Rn. 38).
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2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keine Ansprüche aus anderen in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen. Solche sind bereits mehrfach vom BGH für die streitgegenständliche Fallgestaltung abgelehnt worden (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20; Hinweisbeschluss vom 15.06.2021, VI ZR 566/20; Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/10, 286/20, 321/20, 322/20).
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3. Da der Anspruch ist der Hauptsache nicht besteht, war über den Hilfsantrag zu befinden. Auch dieser bleibt jedoch ohne Erfolg. Ein auf den Ersatz künftiger Schäden gerichteter Feststellungsantrag kann nur dann Erfolg haben, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGHZ 216, 149 = NJW 2018, 1242 Rn. 49). Dies ist wie oben ausgeführt nicht der Fall.
22
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.
23
C. Der Streitwert folgt der Klageforderung (§§ 3 ZPO, 48 GKG).
24
D. Eine Aussetzung des Rechtsstreits oder eine Vorlage an den EuGH im Hinblick auf das dortige Verfahren C – 100/21 erscheint dem Gericht im Hinblick auf die eindeutige Rechtsprechung des BGH zu den im Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg aufgeworfenen Fragen nicht veranlasst. Eine zwingende Vorlagepflicht des Landgerichts oder eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits besteht nicht.