Inhalt

FG München, Urteil v. 26.07.2022 – 12 K 1072/21
Titel:

Abgewiesene Klage im Verfahren um Kindergeld

Normenketten:
EStG § 31, § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 64 Abs. 2
AO § 37 Abs. 2
FGO § 44 Abs. 1, § 96 Abs. 1, § 135 Abs. 3, § 139 Abs. 4
Leitsätze:
1. Ein Kind ist in den Haushalt des Elternteils aufgenommen, bei dem es wohnt, versorgt und betreut wird, sodass es sich in der Obhut dieses Elternteils befindet.
2. Bei Aufenthalten eines Kindes sowohl in dem Haushalt des einen wie auch des anderen Berechtigten ist, da eine Aufteilung des Kindergelds ausgeschlossen ist, darauf abzustellen, wo sich das Kind überwiegend aufhält und wo es seinen Lebensmittelpunkt hat.
Schlagworte:
Sicherung des Lebensunterhalts, Aufhebungsbescheid, Kindergeldberechtigter
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45388

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob der Klägerin für ihren Sohn S […] (geboren […] 2000) im Zeitraum von September 2019 bis März 2020 Kindergeld zusteht.
I.
2
Die Klägerin beantragte für ihren Sohn S […] am 14. November 2018 Kindergeld (KG-Akte Bl 339). Im Kindergeldantrag hatte die Klägerin angegeben, dass sie in [… U-Dorf] wohne, seit 1997 geschiedene sei und dass ihr Ehegatte verstorben sei. Der Vater des Sohnes ist […] (der Beigeladenen). Aufgrund der Kindergeldfestsetzung vom 20. Dezember 2018 wurde der Klägerin laufend Kindergeld für S ab Januar 2019 gewährt (KG-Akte Bl 346). Die Kindergeldfestsetzung war intern befristet auf das voraussichtliche Ende des Schulbesuchs zum Juli 2021.
3
Im Februar 2020 wurde der Beklagten – […] (Familienkasse) – bekannt, dass S […] seit […] September 2019 in [G-Dorf] gemeldet ist und dass die Klägerin seit November 2019 in […] K-Dorf gemeldet ist (KG-Akte Bl 350, 351). Darauf forderte die Familienkasse mit Schreiben vom 16. März 2020 die Klägerin auf, Angaben zur Haushaltszugehörigkeit von S zu machen.
4
Am 16. März 2020 beantragte S die Abzweigung des gegenüber der Klägerin festgesetzten Kindergeldes an sich; der Abzweigungsantrag ging am 25. März 2020 bei der Familienkasse ein. S teilte der Familienkasse u.a. mit, dass er seit September 2019 bei dem Beigeladenen in […] G-Dorf wohne, dass die Klägerin das Kindergeld für ihn beziehe und dass die Klägerin keinen Unterhalt für ihn leiste (KG-Akte Bl 357). Er wohne in […] G-Dorf im selben Haus wie die kindergeldberechtigte Person aber in einer eigenen Wohnung, der Beigeladene bezahle die Miete, aber er wohne in der Wohnung. Er sei für die Lebensmittel zuständig (KG-Akte Bl 358). Er befinde sich seit […] September 2019 in Berufsausbildung, die Berufsausbildung betrage 42 Monate, er werde zum Informationselektroniker ausgebildet und das Berufsausbildungsverhältnis bestehe mit dem Beigeladenen. Dem Antrag war eine Kopie des Berufsausbildungsvertrages vom […] September 2019 zwischen S und dem Beigeladenen beigefügt (KG-Akte Bl 359).
5
Mit Kassenanordnung vom 31. März 2020 wurden die Kindergeldzahlungen an die Klägerin eingestellt und mit Bescheid vom 31. März 2020 die Kindergeldfestsetzung für S gegenüber der Klägerin ab April 2020 aufgehoben (KG-Akte Bl 364). Außerdem lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 31. März 2020 gegenüber S seinen Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes ab, da er im Haushalt kindergeldberechtigten Vaters (des Beigeladenen) lebe und durch die Haushaltsaufnahme Unterhalt in ausreichender Höhe gewährt werde (KG-Akte Bl 368).
6
Mit Schreiben vom 24. April 2020 teilte die Familienkasse der Klägerin mit, dass sie im Zeitraum September 2019 bis März 2020 Kindergeld in Höhe von 1.428,00 € bezogen habe, obwohl sie darauf möglicherweise keinen Anspruch habe, da das Kind seit […] September 2019 (Schreibfehler im Schreiben: 2020 statt 2019) bei dem Kindsvater (dem Beigeladenen) lebe. Dieser habe ab September 2019 den vorrangigen Kindergeldanspruch.
7
Am 28. Mai 2020 meldete S bei der Gemeinde seinen Wohnsitzwechsel zum […] Mai 2020 in die Wohnung der Klägerin in […] K-Dorf an (KG-Akte Bl 379).
8
Die Klägerin teilte mit E-Mail vom 9. August 2020 der Familienkasse mit, dass S seit […] Mai 2020 wieder in ihrem Haushalt lebe und wieder die Schule besuche (KG-Akte Bl 374, 378). Am 28. August 2020 beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für S (KG-Akte Bl 380). Mit Bescheid vom 5. November 2020 (KG-Akte Bl 401) setzte die Familienkasse gegenüber der Klägerin wieder Kindergeld für S ab Juni 2020 fest.
9
Mit Bescheid vom 17. März 2021 (KG-Akte Bl 469) hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für S gegenüber den der Klägerin für den Zeitraum von September 2019 bis einschließlich März 2020 auf und forderte das für diesen Zeitraum bezahlte Kindergeld in Höhe von 1.428,00 € zurück. Zur Begründung führte die Familienkasse aus, dass S in diesem Zeitraum im Haushalt des Beigeladenen (Kindsvater) aufgenommen gewesen sei, der deshalb einen vorrangigen Anspruch auf Kindergeld habe. Außerdem war im Bescheid ausgeführt, dass eine Weiterleitung des Kindergeldes nicht anerkannt werde, da die vorrangig anspruchsberechtigte Person nicht schriftlich bestätigt habe, dass sie das Kindergeld in voller Höhe von ihr erhalten habe.
10
Den gegen den Bescheid vom 17. März 2021 gerichteten Einspruch (KG-Akte Bl 477) begründete die Klägerin damit, dass sie das Kindergeld monatlich an ihren Sohn S weitergeleitet habe. S sei damals fast täglich bei ihr gewesen, obwohl er die meiste Zeit beim Beigeladenen übernachtet habe. Alle Wochenenden habe er bei ihr verbrachte. S habe mit dem Beigeladenen eine Vereinbarung geschlossen, nach der sie sich beide das Kindergeld teilen würde, d.h. eine Hälfte für den Beigeladenen, die andere Hälfte für S. S habe eine Berufsausbildung im Betrieb des Beigeladenen gemacht. Vom Gehalt habe der Beigeladene dem Sohn die Hälfte des Kindergeldes monatlich abgezogen.
11
Mit Bescheid vom 17. März 2021 (FG-Akte Bl 128) setzte die Familienkasse gegenüber dem Beigeladenen aufgrund des Antrages vom 8. April 2020 Kindergeld für S für den Zeitraum von September 2019 bis März 2020 fest.
12
Mit Einspruchsentscheidung vom 16. April 2021 (KG-Akte Bl 484) wies die Familienkasse den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück, denn S sei im Zeitraum von September 2019 bis März 2020 im Haushalt des Beigeladenen aufgenommen gewesen und damit sei der Beigeladene vorrangig anspruchsberechtigt. Die Erstattungspflicht für die Klägerin ergebe sich aus § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO). Das Kindergeld für diesen Zeitraum sei ohne rechtlichen Grund bezahlt worden, denn die Kindergeldfestsetzung sei insoweit nachträglich aufgehoben worden. Die verwaltungsinterne Billigkeitsregel nach § 227 AO, dass die Familienkasse auf die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs verzichten könne, greife im Streitfall nicht ein. Die schriftliche Bestätigung auf dem V. KG 14, dass das Kindergeld an den Beigeladenen weitergeleitet worden sei, sei nicht vorgelegt worden. Außerdem habe der Beigeladene das Kindergeld bereits durch die Familienkasse erhalten.
13
Mit Schreiben vom 16. Mai 2021 erhob die Klägerin Klage, wendet sich gegen die Einspruchsentscheidung und den Bescheid vom 17. März 2021 und begehrt das Kindergeld für S für den Zeitraum von September 2019 bis März 2020. Zur Begründung ihrer Klage ließ die Klägerin zuerst vortragen, dass S bis August 2019 bei der Klägerin gelebt habe, dann von September 2019 bis März 2020 beim Beigeladenen und sodann ab April 2020 wieder bei ihr. Eine Rückforderung des Kindergeldes komme bei ihr deshalb nicht in Betracht, da sie das volle Kindergeld an den Beigeladenen weitergeleitet habe. Die Weiterleitung des Kindergeldes in voller Höhe sei durch den Sohn S direkt an den Beigeladenen erfolgt. Sie habe das Kindergeld S übergeben, dieser habe es an den Beigeladenen weitergegeben. Die Weitergabe sei dergestalt erfolgt, dass der Beigeladene von der Ausbildungsvergütung für S einen Abzug von 100,00 € vorgenommen habe. Den übrigen Betrag habe der Beigeladene an S als Unterhaltsleistung ausbezahlt. Da der Beigeladene das Kindergeld in voller Höhe erhalten habe, habe er zuerst auch keinen Antrag auf Kindergeld gestellt. Den Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes habe der Beigeladene erst zu dem Zeitpunkt gestellt, als er mit einer Unterhaltsforderung konfrontiert worden sei. Auf Nachfrage von S, warum der Beigeladene nun das Kindergeld von der Familienkasse verlangt habe, obwohl er es schon erhalten habe, habe der Beigeladene dem Sohn gegenüber ausdrücklich erklärt, dass er dies nur mache, damit er eine Nachzahlung des Unterhalts mit der Nachzahlung des Kindergeldes verrechnen könne. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe der Beigeladene das Kindergeld bereits in voller Höhe durch den Sohn erhalten. Deshalb habe der Beigeladene keinen Anspruch mehr auf das Kindergeld gehabt. Nach ihrer Auffassung sei die Auszahlung des Kindergeldes an den Beigeladenen nicht rechtmäßig erfolgt. Der Beigeladene habe zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf das Kindergeld gehabt, weil es schon in voller Höhe an ihn weitergeleitet worden sei. Der Antrag des Beigeladenen auf Auszahlung und Festsetzung des Kindergeldes hätte deshalb nicht positiv beschieden werden dürfen. Die Rückforderung des Kindergeldes von der Klägerin, die selbst das Kindergeld nicht für sich erhalten habe, sei insoweit nicht angemessen. Der Familienkasse stehe nur ein Rückforderungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen zu. Der Beigeladene habe seinen Antrag auf das Kindergeld auch erst im Jahr 2021 gestellt, also ein Jahr nach dem eigentlichen Streitzeitraum. Soweit in der Einspruchsentscheidung darauf verwiesen werde, dass für einen Erlass der Rückforderung die Vorlage einer schriftlichen Bestätigung des Beigeladenen über die Weiterleitung erforderlich wäre, könne dies im vorliegenden Fall nicht eingreifen. Der Beigeladene habe sich das Kindergeld erschlichen; deshalb könne es auf die Bestätigung nicht ankommen.
14
Zur weiteren Begründung ihrer Klage lässt die Klägerin nun vortragen, dass es nicht richtig sei, dass sich der Sohn S im Zeitraum von September 2019 bis März 2020 überwiegend beim Beigeladenen aufgehalten habe. Zwar sei S in dieser Zeit einwohnermelderechtlich beim Beigeladenen gemeldet gewesen. S habe sich aber jeden Tag bei der Mutter aufgehalten und auch alle Wochenenden bei ihr verbracht. Beim Beigeladenen habe S nur übernachtet. Die Klägerin und der Beigeladene hätten eine stillschweigende Bezugsbestimmung getroffen, nach der das Kindergeld weiterhin der Klägerin zustehen solle. Allein der Umstand, dass S beim Beigeladenen gemeldet war, erfülle bei einem Wechselmodell noch nicht die Voraussetzungen für die Kindergeldberechtigung. Im Übrigen lägen im Streitfall sogar die Voraussetzungen für einen Erlass der Rückforderung aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO vor. Die Klägerin sei nicht arbeitsfähig und lebe von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts; auf den monatlichen Gesamtbetrag werde ein Kindergeld von 233,00 € angerechnet. Dies sei aus dem Bescheid des Jobcenters vom 15. April 2021 für April und Mai 2021 ersichtlich.
15
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung des Kindergeldes vom 17. März 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. April 2021 aufzuheben.
16
Die Familienkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
17
Zur Begründung verweist die Familienkasse auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend weist die Familienkasse darauf hin, dass die Klägerin nicht die vorrangige Kindergeldberechtigte für den Klagezeitraum von September 2019 bis März 2020 sei. S sei in diesem Zeitraum im Haushalt des Beigeladenen (des Kindsvaters) aufgenommen gewesen. Dies habe S in seinem Abzweigungsantrag vom 16. März 2020 selbst angegeben. Die Voraussetzungen einer Weiterleitung, aufgrund der die Familienkasse auf die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs verzichten könne, würden im Streitfall nicht vorliegen. Die Weiterleitungserklärung des Beigeladenen sei nicht beigebracht geworden. Der Erstattungsanspruch der Familienkasse werde auch durch zivilrechtliche Unterhaltsregelungen über die Anrechnung oder Nichtanrechnung von Kindergeld oder eine anderweitige Weiterleitung des Kindergeldes nicht berührt.
18
Mit Beschluss vom 15. Juli 2021 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung <FGO>). Mit Beschluss vom 25. August 2021 (FG-Akte Bl 82) hat der Einzelrichter die Beweiserhebung durch die Einvernahme von S […] als Zeugen über die Haushaltszugehörigkeit in der Zeit von September 2019 bis März 2020 angeordnet. Mit Beschluss vom 4. Oktober 2021 wurde auf den Antrag der Beklagten der Kindsvater zum Verfahren nach § 174 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AO beigeladen.
19
Der Beigeladene lässt durch seine Prozessbevollmächtigte vortragen, dass S seit September 2019 bis Mai 2020 bei ihm gewohnt habe. S habe Schwierigkeiten in der Schule gehabt. Deshalb habe er sich dazu entschlossen, beim Beigeladenen eine Lehre zum Informationselektroniker zu machen. Die Lehre habe im September 2019 begonnen. Seinen Lebensmittelpunkt habe er in dieser Zeit beim Beigeladenen gehabt. Es sei unzutreffend, dass er jeden Tag und die Wochenenden bei der Klägerin zugebracht habe. S habe nicht nur in der Wohnung des Beigeladenen übernachtet, sondern er habe dort gelebt. Erst im Mai 2020 habe sich S entschlossen, die Berufsausbildung nicht fortzuführen. S habe dann den Ausbildungsvertrag gekündigt und sei im Mai 2020 wieder zur Klägerin gezogen. Bestritten werde auch, dass die Klägerin S das Kindergeld übergeben habe. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass der Beigeladene den Kindergeldantrag für S bereits am 8. April 2020 gestellt habe; dies ergebe sich aus seinem Kindergeldbescheid vom 17. März 2021. Im Übrigen sei die Ausbildungsvergütung vom Beigeladenen an S ungekürzt ausgezahlt worden Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
20
In der mündlichen Verhandlung am 26. Juli 2022 wurde Beweis nach Maßgabe des Beschlusses vom 25. August 2021 erhoben. Wegen der Durchführung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll verwiesen.
21
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

II.
22
Die Klage ist unbegründet.
23
1. Der Kindergeldanspruch steht im streitigen Zeitraum von September 2019 bis März 2020 nicht der Klägerin zu.
24
a) Sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene erfüllen die Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) für einen Anspruch auf Kindergeld für S. Im Hinblick auf die Anspruchskonkurrenz mehrerer Kindergeldberechtigter enthält § 64 Abs. 1 EStG die grundsätzliche Bestimmung, dass für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt wird. Daher wird Kindergeld für dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt (Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 64 EStG Rz. 5 [Juni 2020]).
25
aa) Bei mehreren Berechtigten – wie im Streitfall – wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ein Kind ist in den Haushalt des Elternteils aufgenommen, bei dem es wohnt, versorgt und betreut wird, sodass es sich in der Obhut dieses Elternteils befindet (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs <BFH> vom 20. Juni 2001 VI R 224/98, BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Das Merkmal der Haushaltsaufnahme wird in erster Linie durch den tatsächlichen Umstand bestimmt, dass das Kind nicht nur vorübergehend in dem betreffenden Haushalt lebt (BFH-Urteil vom 24. Oktober 2000 VI R 21/99, BFH/NV 2001, 444). Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BFH-Urteil vom 18. April 2013 V R 41/11, BFHE 241, 264, BStBl II 2014, 34). Diese drei Merkmale können zwar je nach Einzelfall unterschiedlich ausgeprägt sein (BFH-Beschluss vom 18. Februar 2008 III B 69/07, BFH/NV 2008, 948), müssen aber alle gegeben sein (BFH-Beschluss vom 14. Januar 2011 III B 96/09, BFH/NV 2011, 788). Formale Gesichtspunkte, z.B. die Sorgerechtsregelung oder die Eintragung in ein Melderegister, können bei der Beurteilung, in welchen Haushalt das Kind aufgenommen ist, allenfalls unterstützend herangezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Bei Aufenthalten eines Kindes sowohl in dem Haushalt des einen wie auch des anderen Berechtigten ist, da eine Aufteilung des Kindergelds nach § 64 Abs. 1 EStG ausgeschlossen ist, darauf abzustellen, wo sich das Kind überwiegend aufhält und wo es seinen Lebensmittelpunkt hat (BFH-Urteil vom 23. März 2005 III R 91/03, BFHE 209, 338, BStBl II 2008, 752; BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2004 VIII R 106/03, BFHE 208, 220, BStBl II 2008, 762).
26
bb) Der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ist dabei nicht für alle Sachverhalte gleichermaßen, sondern fallgruppenspezifisch zu konkretisieren (BFH-Urteil in BFHE 241, 264, BStBl II 2014, 34). Wohnt ein Kind getrennt lebender Eltern nur für einen von vornherein begrenzten, kurzfristigen Zeitraum – etwa zu Besuchszwecken oder in den Ferien – bei dem anderen Elternteil, ist es nicht in dessen Haushalt aufgenommen, weil kein Obhutsverhältnis in dem geschilderten Sinne besteht. Steht zum Zeitpunkt des Einzugs noch nicht endgültig fest, ob das Kind auf Dauer bei dem anderen Elternteil wohnen wird, kann der Wohnungswechsel dagegen als Aufnahme in den Haushalt des anderen Ehegatten zu werten sein, wenn sich das Kind dort für einen längeren Zeitraum aufhält. Denn in einem solchen Fall wird das Kind nach dem Umzug von dem anderen Elternteil betreut, versorgt und unterhalten, sodass ein neues Obhutsverhältnis begründet wird (z.B. BFH-Urteil in BFHE 195, 564, BStBl II 2001, 713). Dem Zeitmoment kommt besondere Bedeutung zu. Je länger ein Kind auf eigenen Entschluss und mit Willen des anderen Elternteils in dessen Haushalt lebt, desto mehr spricht dafür, dass dort ein neues Obhutsverhältnis begründet worden ist. Von einem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt kann dabei jedenfalls dann regelmäßig ausgegangen werden, wenn das Kind seit mehr als drei Monaten bei dem anderen Elternteil lebt und eine Rückkehr nicht von vornherein feststeht (BFH-Urteil vom 25. Juni 2009 III R 2/07, BFHE 225, 438, BStBl II 2009, 968).
27
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist das Gericht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens der Überzeugung (§ 96 Abs. 1 FGO), dass S im streitigen Zeitraum von September 2019 bis März 2020 nicht im Haushalt der Klägerin, sondern im Haushalt des Beigeladenen aufgenommen war. Zu dieser Überzeugung ist das Gericht insbesondere aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme gelangt.
28
aa) Die Voraussetzung des örtlich gebundenen Zusammenlebens ist in der Zeit von September 2019 bis März 2020 nach Auffassung des Gerichts in stärkerem Maße im Haushalt des Beigeladenen erfüllt. Dass die Haushaltsaufnahme beim Beigeladenen bereits ab Anfang September 2019 erfüllt ist, ergibt sich für das Gericht daraus, dass der Zeuge S ausgesagt hat, dass er bereits Ende August 2019 mit seinen wichtigsten Sachen – in mehreren Kisten verpackt – in den Haushalt des Beigeladenen nach […] G-Dorf umgezogen ist. Der Beigeladene hat bei diesem Umzug S unterstützt und der Umzug ist mit dem Auto des Beigeladenen erledigt worden. Die Klägerin musste aus dem Haus in […] U-Dorf ausziehen und hat danach, weil sie keine adäquate Wohnung gefunden hatte, in der Obdachlosenunterkunft in […] U-Dorf gelebt. Da S zu diesem Zeitpunkt im September 2019 auch gar nicht mehr in einem Haushalt der Klägerin leben konnte, steht für das Gericht fest, dass im September 2019 die Haushaltsaufnahme von S beim Beigeladenen vorliegt. Außerdem hat der Zeuge auch ausgesagt, dass alle seine anderen Sachen, die in der Wohnung der Mutter in […] U-Dorf verblieben waren, entweder verschrottet wurden oder eingelagert worden waren. Im September 2019 stand für S auch eine Rückkehr in den Haushalt der Klägerin nicht fest, denn die Klägerin hat ihre Wohnung in […] K-Dorf erst im November 2019 bezogen. Dass die Klägerin die Wohnung in […] K-Dorf erst im November 2019 bezogen hat, steht das Gericht aufgrund der Wohnsitzermittlungen der Beklagten (KG-Akte Bl 351) fest; außerdem hat auch S in seiner Zeugenaussage bestätigt, dass der Umzug der Klägerin nach […] K-Dorf erst im Laufe des Oktobers und November 2019 erfolgt ist. Die Aussage des Zeugen S, dass er auch mit seiner Mutter in die Obdachlosenunterkunft in […] U-Dorf hätte ziehen können, spricht nicht gegen die Haushaltsaufnahme beim Beigeladenen. Denn der Zeuge hat auch ausgeführt, dass er im September 2019 wegen seiner Ausbildung beim Beigeladenen nach […] G-Dorf ziehen wollte, da eine Anfahrt zur Arbeit aus […] U-Dorf oder aus […] K-Dorf zur Ausbildungsstelle viel zu umständlich gewesen wäre. Nach Auffassung des Gerichts spricht auch der Umstand, dass S günstig zu seinem Ausbildungsplatz wohnen wollte, für eine Haushaltsaufnahme beim Beigeladenen. Im September und Oktober 2019 misst das Gericht den Aufenthalten von S bei seiner Mutter, der Klägerin, nur Besuchscharakter bei. Denn die Klägerin wohnte in der Obdachlosenunterkunft und S hätte dort nicht in einen Haushalt der Klägerin aufgenommen werden können. In der Zeit September 2019 und Oktober 2019 sind auch die Voraussetzungen materieller Art für die Haushaltsaufnahme eindeutig beim Beigeladenen gegeben und fehlen bei der Klägerin. S wurde in dieser Zeit nur vom Beigeladenen Unterhalt gewährt, allein schon durch die Gestellung der Zimmer in […] G-Dorf. Außerdem ließ der Beigeladene S das Firmenauto auch für private Fahrten nutzen; zwar musste S das Benzin bezahlen, der Beigeladene hat aber den Wertverzehr des Kfz getragen. Die vom Zeugen behaupteten gelegentlichen Geldgaben der Klägerin erreichen bei weiten nicht den Wert der Wohnungsgestellung durch den Beigeladenen. Außerdem hat S in dem Abzweigungsantrag vom 16. März 2020 (KG-Akte Bl 357) angegeben, dass die Klägerin für ihn keinen Unterhalt leistet und er für die Monate September, Oktober und November 2019 auch nicht das Kindergeld von der Klägerin bekommen hat. Da der Zeuge im Übrigen in seiner Aussage angegeben hat, dass die Angaben in den Abzweigungsantrag ansonsten korrekt sind, ist das Gericht von den fehlenden Unterhaltsleistungen materieller Art durch die Klägerin überzeugt. Außerdem hat das Gericht aufgrund der Aussage des Zeugen auch den Eindruck gewonnen, dass der Beigeladene S Fürsorge und Betreuung zukommen ließ und so auch die Voraussetzungen immaterieller Art erfüllt. Denn S hat ausgesagt, dass der Vater ihm wiederholt vorgehalten hat, dass er zu spät nach Hause kam und sich hätte melden sollen, weil er sich Sorgen macht. Außerdem hat der Beigeladene sich auch darum bemüht, dass S eine Ausbildung erhält und hat ihn in seinem Betrieb ausgebildet. Das Gericht ist dabei der Überzeugung, dass den immateriellen Merkmalen keine übersteigerte Bedeutung beizumessen ist. Diese treten vielmehr bei älteren Kindern, insbesondere bei Volljährigen wie im Streitfall bei S, in den Hintergrund. Ausreichend ist es dann, wenn sich die Zuwendungen immaterieller Art – wie im Streitfall – als Ausdruck des familiären Bandes darstellen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 948).
29
bb) Das Gericht ist der Überzeugung, dass S auch in der Zeit von November 2019 bis März 2020 im Haushalt des Beigeladenen weiter aufgenommen war und eine Haushaltszugehörigkeit bei der Klägerin nicht vorliegt. Zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin die Wohnung in […] K-Dorf bezogen hat, war S bereits zwei Monate in den Haushalt des Beigeladenen aufgenommen. Die Aufenthalte von S im Haushalt der Klägerin in […] K-Dorf zeigen nach Auffassung des Gerichts lediglich den Charakter von Besuchen. Dies ergibt sich für das Gericht zum einen daraus, dass der Zeuge ausgesagt hat, dass er zuerst nicht mitgezogen ist, als seine Mutter vom Obdachlosenheim in […] U-Dorf nach […] K-Dorf gezogen. Zum anderen ergibt sich dies für das Gericht aufgrund der räumlichen Verhältnisse in der Wohnung der Klägerin in […] K-Dorf. Der Zeuge hat nämlich ausgesagt, dass die Klägerin in […] K-Dorf nur über eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Küche, Bad/Toilette und Balkon verfügt. Da die Klägerin nur über ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer verfügt, blieb für S in der Wohnung der Klägerin kein eigenes Zimmer. S musste deshalb bei den Besuchen in der Wohnung der Klägerin, wenn er dort übernachtete, auf der Couch schlafen. Dagegen hatte S in der Wohnung des Beigeladenen weiter sein Zimmer mit Einbauküche sowie Bad/Toilette. Auch waren alle wichtigen Sachen von S weiter in der Wohnung des Beigeladenen in […] G-Dorf. S hat ausgesagt, dass er aus der Wohnung des Beigeladenen gelegentlich seinen PC mitgenommen hat, wenn er zur Klägerin fuhr und im Wohnzimmer der Klägerin den PC aufgebaut hat, wenn er dort PC-Spiele machte. Da S anschließend den PC wieder mit nach […] G-Dorf genommen hat, liegt es für das Gericht auf der Hand, dass von einer Haushaltsaufnahme bei der Klägerin in der Zeit von November 2019 bis März 2020 nicht die Rede sein kann. Denn wäre S in diesem Haushalt aufgenommen, hätte er auch für ihn wichtigen Sachen dort belassen können. Aber die wichtigsten Sachen von S, die dieser beim Umzug aus der Wohnung der Klägerin in […] U-Dorf mitgenommen hatte, befanden sich noch immer im Haushalt des Beigeladenen in […] G-Dorf. Zwar befanden sich in der Wohnung der Klägerin in […] K-Dorf auch Möbelstücke, die nach der Zeugenaussage im Eigentum von S standen, etwa im Wohnzimmer die Couch. Diese Möbelstücke dienten aber nun der Klägerin als Mobiliar in ihrer Wohnung und die Couch wurde auch von S bei seinen Besuchen zum Schlafen genutzt. Eine Haushaltsaufnahme von S bei der Klägerin kann aus dem Standort der Möbel nach Auffassung des Gerichts aber nicht abgeleitet werden.
30
Hinsichtlich der zeitlichen Anteile der Aufenthalte von S in der Wohnung des Beigeladenen und bei der Klägerin insbesondere für die Zeit von November 2019 bis März 2020 hat das Gericht Zweifel daran, dass die Aussage des Zeugen glaubhaft ist. Zu Beginn seiner Aussage führte der Zeuge aus, dass er in der Freizeit überwiegend bei der Mutter und gelegentlich beim Vater war. Diese Ausführungen stehen zum einen in Widerspruch zu seinem Abzweigungsantrag vom 16. März 2020 (KG-Akte Bl 357-358). Denn in seinem Abzweigungsantrag hatte S angegeben, dass er im selben Haus wie der Beigeladene wohnt, aber in einer eigenen Wohnung und dass der Beigeladene die Miete bezahlt und er für die Lebensmittel sorgt. Dazu, dass S auch bei der Klägerin wohnt, finden sich in dem Abzweigungsantrag keine Angaben. Zwar hat der Zeuge insoweit die Angaben im Abzweigungsantrag korrigiert, als er in seiner Aussage angegeben hat, dass es sich nicht um eine eigene abgeschlossene Wohnung im Haus des Vaters, des Beigeladenen, gehandelt hat, sondern um ein Zimmer mit Einbauküche und Bad in einer eigenen Etage. Aber im Übrigen hat der Zeuge ausgesagt, dass die Angaben im Abzweigungsantrag sonst korrekt sind. Außerdem ist die Aussage des Zeugen zu den Aufenthaltszeiten beim Beigeladenen, bei der Klägerin, bei der Freundin und beim Freund nicht widerspruchsfrei. So hatte der Zeuge bei der Verlesung seiner Zeugenaussage durch die Protokollführerin erkannt, dass er seine Aussage hinsichtlich der Aufenthaltszeiten berichtigen muss und nachgeschoben, dass er sich auch bei seiner Freundin aufgehalten hat. Außerdem hat der Zeuge auch ausgesagt, dass er wiederholt bei einem Freund in […] F-Stadt war. Weiter hat der Zeuge ausgesagt, dass er, wenn er um 16:00 Uhr von der Arbeit kam – also werktags – noch mit dem Auto zur Klägerin fahren konnte. Berücksichtigt man Aufenthalte bei der Freundin und beim Freund sowie die Aufenthalte bei der Klägerin an einem Werktag, Freitag abends, Samstag und Sonntag würden lediglich zwei Tage pro Woche für einen Aufenthalt und maximal drei oder vier Nächte pro Woche für Übernachtungen in der Wohnung des Beigeladenen in […] G-Dorf verbleiben. Da der Zeuge S aber auch gesagt hat, dass er in der Wohnung des Beigeladenen geschlafen hat, wenn immer irgendetwas mit dem Beruf war, was bei fünf Arbeitstagen zu fünf Übernachtungen führen müsste, ergeben sich Zweifel an der Aussage zu der zeitlichen Aufteilung der Aufenthalte von S. Das Gericht ist deshalb der Überzeugung, dass S nicht jede Woche an vier Tagen bei der Klägerin gewesen sein kann. Das Gericht ist außerdem zu der Überzeugung gelangt, dass der Zeuge keine allzu hohe Glaubwürdigkeit besitzt. Denn der Zeuge war ersichtlich bemüht, seiner Mutter, der Klägerin, zum Obsiegen in diesem Rechtsstreit zu verhelfen. Dies kommt für das Gericht dadurch zum Ausdruck, dass er bereits zu Beginn seiner Aussage eine deutliche Wertung zugunsten der Aufenthaltszeiten bei der Klägerin gemacht hat. So hat er darauf hingewiesen, dass er in seiner Freizeit immer bei der Mutter war, außer wenn beim Vater gegrillt wurde. Außerdem hat er betont, dass er beim Vater nur gemeldet war und er beim Vater geschlafen hat, immer wenn irgendetwas mit dem Beruf war. Diese eindeutige Gewichtung zugunsten der Klägerin hat sich im Lauf der Zeugenaussage aber als übertrieben herausgestellt, denn er hat dann in seiner Aussage Aufenthalte bei der Freundin und beim Freund in der Freizeit erwähnt.
31
Das Gericht ist für die Zeit von November 2019 bis März 2020 auch deshalb der Überzeugung, dass S räumlich im Haushalt des Beigeladenen zuzuordnen ist, da verschiedene Angaben der Klägerin dafür sprechen. So hat die Klägerin noch im Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten behauptet hat, dass S erst seit Mitte Mai wieder bei ihr wohnt (Schreiben vom 9. November 2020; KG-Akte Bl 407). Außerdem hat die Klägerin weiter in der Einspruchsbegründung im Schreiben vom 9. April 2021 ausgeführt, dass S die meiste Zeit beim Vater übernachtete und an den Wochenenden bei ihr übernachtete sowie, dass S derzeit fast täglich bei ihr ist und nun wieder bei ihr lebt (KG-Akte Bl 477). Das Gericht schließt aus diesen Formulierungen der Klägerin „wohnt seit Mitte Mai wieder bei mir“ (KG-Akte Bl 407) und „lebt seit einiger Zeit […] wieder bei mir“ (KG-Akte Bl 477), dass die Würdigung der Zeugenaussage durch das Gericht, dass S in der Zeit von September 2019 bis März 2020 im Haushalt des Beigeladenen aufgenommen war und in dieser Zeit die Klägerin nur besucht hat, zutreffend ist. Denn aus diesen Formulierungen der Klägerin ist zu entnehmen, dass S davor nicht bei ihr wohnte und nicht bei ihr lebte. Im Übrigen belegen die Ausführungen der Klägerin, dass die Zweifel des Gerichts an der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage zu den Aufenthaltszeiten berechtigt sind; denn die Klägerin erklärte in diesen Schreiben, dass S die meiste Zeit beim Beigeladenen übernachtete und nur an den Wochenenden bei ihr.
32
Nach Auffassung des Gerichts hat die Zeugenaussage aber bewiesen, dass das Vorbringen der Klägerin im Klageverfahren, dass sich S „auch jeden Tag bei der Mutter aufgehalten hat“ (Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 19. August 2021 Seite 1; FG-Akte Bl 69) unzutreffend ist.
33
Neben der räumlichen Zuordnung in den Haushalt des Beigeladenen ergibt sich die Haushaltsaufnahme von S für die Zeit von November 2019 bis März 2020 für das Gericht auch daraus, dass die materiellen Voraussetzungen der Haushaltsaufnahme beim Beigeladenen überwiegen. Der Beigeladene hat S weiter die Zimmer in seiner Wohnung zur Verfügung gestellt. Nach der Aussage des S hat der Beigeladene ihm gegenüber wiederholt behauptet, dass diese Zimmer auf dem freien Markt einen monatlichen Mietpreis von 400 bis 500 € kosten würden. Der Zeuge hat bei seiner Aussage dieser Wertangabe nicht widersprochen; das Gericht hält diese Wertangabe deshalb auch für zutreffend. Damit überwiegen eindeutig die Leistungen des Beigeladenen, denn nach der Aussage des Zeugen hat die Klägerin ihm nur gelegentlich 10 € oder 20 € zuwenden können. Nach dem Abzweigungsantrag vom 16. März 2020 (KG-Akte Bl 357-358) hat S von der Klägerin nur das Kindergeld für Januar und Februar 2020 bekommen und für Dezember nur 150 €. Da S in seiner Zeugenaussage angegeben hat, dass die Angaben im Abzweigungsantrag zutreffend sind, kann das Gericht schließen, dass die materiellen Elemente zugunsten des Beigeladenen eindeutig überwiegen. Das Gericht erkennt zwar darin, dass die Klägerin für S gekocht hat, wenn er sie besucht hat, Akte der Versorgung; diese wiegen aber geringer als die Leistungen materieller Art des Beigeladenen. Da S zudem bereits volljährig war, misst das Gericht den immateriellen Elementen – die ebenso wie im September und Oktober 2019 auch in der Zeit von November 2019 bis März 2020 vorliegen – eine geringere Bedeutung bei (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 948).
34
cc) S ist nach Auffassung des Gerichts erst nach dem streitigen Zeitraum, also nach März 2020 aus dem Haushalt des Beigeladenen ausgeschieden und wieder in den Haushalt der Klägerin gewechselt.
35
2. Die Beklagte hat auch zu Recht das für den Zeitraum von September 2019 bis März 2020 bezahlte Kindergeld in Höhe von 1.428,00 € von der Klägerin zurückgefordert.
36
a) Die Klägerin kann gegenüber dem Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO nicht geltend machen, sie habe das Kindergeld an den Kindsvater als vorrangig Berechtigten weitergeleitet.
37
aa) Ist eine Steuervergütung wie das Kindergeld (§ 31 Abs. 3 EStG) ohne rechtlichen Grund gezahlt worden oder ist der rechtliche Grund für die Zahlung später weggefallen, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages. Im Streitfall ist der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für S für die Monate September 2019 bis März 2020 entfallen.
38
Bei dem zwischen der Familienkasse und dem nachrangig Berechtigten (der Klägerin) bestehenden Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) einerseits und dem zwischen der Familienkasse und dem vorrangig Berechtigten (dem Beigeladenen) bestehenden Auszahlungsanspruch (§ 37 Abs. 1 AO) andererseits handelt es sich um zwei eigenständige, gesetzlich nicht miteinander verbundene Steuerschuldverhältnisse. Die Familienkasse verbindet diese beiden Ansprüche aus Vereinfachungsgründen nur dann miteinander, wenn die in Kapitel V 37 der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG) 2021 (BStBl I 2021, 1598) vorliegen (BFH-Urteil vom 22. September 2011 III R 82/08, BFHE 235, 336, BStBl II 2012, 734; BFH-Beschluss vom 17. April 2014 III B 9/13, BFH/NV 2014, 1226). Gemäß Kapitel V 37 Abs. 1 DA-KG 2021 kann der Erstattungsschuldner geltend machen, den Erstattungsanspruch durch Weiterleitung erfüllt zu haben, wenn er u.a. die schriftliche Bestätigung des vorrangig Berechtigten beibringt, dass dieser das Kindergeld erhalten hat und seinen Anspruch als erfüllt ansieht. Der BFH hat dieses Vorgehen der Familienkasse in ständiger Rechtsprechung als nicht sachwidrig bezeichnet (BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VIII R 102/01, BFH/NV 2003, 1154).
39
bb) Diese Voraussetzungen der Weiterleitung hat die Klägerin nicht erfüllt. Sie hat die erforderliche schriftliche Bestätigung des Beigeladenen als vorrangig Berechtigten auf dem vorgeschriebenen amtlichen Vordruck nicht vorgelegt (V 37 Abs. 2 Satz 4 DA-KG 2021). Die Entscheidung der Familienkasse ist daher nicht zu beanstanden; sie beruht darauf, dass die Weiterleitung die Rückforderung nicht von Gesetzes wegen ausschließt, sondern lediglich aus Vereinfachungsgründen von der Familienkasse als Erfüllung des Erstattungsanspruchs im verkürzten Zahlungswege berücksichtigt werden kann (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschluss vom 12. August 2010 III B 94/09, BFH/NV 2010, 2062, m.w.N.; BFH-Urteil in BFHE 235, 336, BStBl II 2012, 734).
40
Außerdem scheidet auch deshalb eine Weiterleitung aus, weil das Kindergeld für S gegenüber dem Beigeladenen für den Zeitraum von September 2019 bis einschließlich März 2020 mit Bescheid vom 17. März 2021 (FG Akte Bl 128) festgesetzt und ausbezahlt wurde. Denn eine Weiterleitung ist nur möglich, sofern gegenüber dem nunmehr Berechtigten (im Streitfall dem Beigeladenen) das Kindergeld für den betreffenden Zeitraum noch nicht ausgezahlt wurde (V 37 Abs. 2 Satz 2 und 3 DA-KG 2021).
41
Die Klägerin (als die Erstattungsschuldnerin) wurde auch im Aufhebungsbescheid vom 17. März 2021 darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit der Weiterleitung im Streitfall ausscheidet (V 37 Abs. 2 Satz 1 DA-KG 2020; KG-Akte Bl 469).
42
b) Der Erstattungsanspruch ist auch nicht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>) ausgeschlossen.
43
Der Grundsatz von Treu und Glauben (Verwirkung) steht nach ständiger Rechtsprechung des BFH einer Rückforderung des Kindergeldes nur dann entgegen, wenn sich der Rückzahlungsschuldner nach dem gesamten Verhalten der Familienkasse darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass diese das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Dabei reicht grundsätzlich der Zeitablauf allein (das sog. Zeitmoment) nicht aus. Hinzukommen muss ein Verhalten der Familienkasse, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (Umstandsmoment oder Vertrauenstatbestand). Schließlich muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet (Vertrauensfolge) haben (vgl. zum Ganzen BFH-Urteile vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, m.w.N.; in BFHE 235, 336, BStBl II 2012, 734).
44
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Es ist schon nicht erkennbar, durch welches Verhalten die Familienkasse einen entsprechenden Vertrauenstatbestand gegenüber dem Kläger geschaffen haben soll. Im Übrigen ist es bei einem Wechsel der Anspruchsberechtigung Sache der Kindergeldberechtigten, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen oder bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf privatrechtlichem Wege auszugleichen (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1154).
45
c) Einen denkbaren Anspruch auf Erlass der Rückforderung (vgl. BFH-Urteil vom 13. September 2018 III R 48/17, BFHE 262, 488, BStBl II 2019, 189 m.w.N.) kann die Klägerin in vorliegendem Klageverfahren nicht geltend machen. Das Gericht hat in vorliegendem Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides zu entscheiden; der Billigkeitserlasse nach § 227 AO ist eine Entscheidung, die erst im Erhebungsverfahren ergeht (BFH-Beschluss vom 23. Februar 2015 III B 41/14, BFH/NV 2015, 658). Außerdem liegen im Streitfall weder die Ablehnung eines Erlassantrages noch ein erfolgloses außergerichtliches Vorverfahren (§ 44 Abs. 1 FGO) vor.
46
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Dem Beigeladenen werden keine Kosten auferlegt (§ 135 Abs. 3 FGO). Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu erstatten (§ 139 Abs. 4 FGO), denn der Beigeladene hat keine Anträge gestellt.