Inhalt

AG München, Endurteil v. 10.06.2022 – 461 C 19994/21
Titel:

Zur fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Beleidigungen des Vermieters durch den Mieter

Normenkette:
§ 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 535, § 543 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Für die Frage der Zumutbarkeit der Vertragsfortsetzung iSd § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen maßgeblich, wobei aber die Wertentscheidungen des Grundgesetzes maßgeblich sind.  (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Grund zur fristlosen Kündigung kann auch in Beleidigungen und Drohungen liegen. Das gilt auch dann, wenn die Beleidigung gegenüber der Hausverwaltung erfolgt, weil der Vermieter über die Hausverwaltung mit dem Mieter in Kontakt tritt und der Vermieter gegenüber der Hausverwaltung als Vertragspartner selbst eine Schutzpflicht hat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Äußerungen des Mieters können auch dann eine erhebliche Pflichtverletzung darstellen, wenn sie zwar in einer Auseinandersetzung über Mängelanzeigen und über die Frage fallen, ob die Miete pünktlich gezahlt werde, gleichwohl aber im Rahmen eines Schreibens des Mieters mit zweieinhalb Seiten und hineinkopierten Bildern und Auszügen unter Verwendung einer Vielzahl von Ausdrücken sowie mit krass unhöflichem und beleidigendem Inhalt.  (Rn. 28 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnraummiete, fristlose Kündigung, Kündigungsgrund, erhebliche Pflichtverletzung, Entbehrlichkeit der Abmahnung, Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung, Beleidigungen und Drohungen, Schadensersatz für Kosten einer Mietkündigung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45308

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.054,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 19.01.2022 zu bezahlen.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 17.854,10 € bis zum 06.06.2022 festgesetzt, ab dem 07.06.2022 auf 1.054,10 €.

Tatbestand

1
Die Klägerin verlangt jetzt noch als ehemalige Wohnungsvermieterin die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten für den Ausspruch einer Kündigung.
2
Mit Mietvertrag vom 30.04.2021 und Mietbeginn am 01.06.2021 vermietete die Klägerin die streitgegenständliche Wohnung in der … in M. an den Beklagten.
3
Die Miete hatte eine monatliche Höhe von 1.100,00 € mit einer Nettogrundmiete von 850,00 € und 250,00 € für Betriebskostenvorauszahlungen.
4
Mit email vom 06.12.2021 übersandte der Beklagte an die Hausverwaltung ein Schreiben.
5
Diese Schreiben enthielt unter anderem die folgenden Wendungen
„wollen Sie mich eigentlich verarschen?“,
„… weil Sie zu unfähig sind!“,
„Weil Sie unfähig sind …“,
„So – und jetzt nochmal zu ihrem grenzdebilen Schreiben vom 22.10.“
„… soweit sollten Ihre kognitiven Fähigkeiten noch ausreichen, oder?“,
„Hören Sie also auf mich mit Ihren Unredlichkeiten zu belästigen“,
„Wenn ich Ihnen aber gerade schon mal schreibend meine Zeit mit Ihnen verschwenden muss: In ihrem Scheisshaus in der …
„Eine abzockende V.-GmbH, die sich über den rechtlichen Rahmen hinwegsetzt (Schreiben vom RA kommt noch) und die Mieter leistungslos abkassiert“,
„Eine unfähige Hausverwaltung“,
sowie die Schlusswendung
„Hoffentlich trifft Sie der Blitz, Frau ….
6
Zum näheren Inhalt des Schreibens wird auf die Anlage K3 (Bl. 28) verwiesen.
7
Mit Schreiben vom 13.12.2021 erklärte die Klägerin die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung. Die Kündigung ist mit Beleidigung durch das Schreiben des Beklagten vom 06.12.2021 begründet. Zum näheren Inhalt des Schreibens wird auf die Anlage K2 (Bl. 23) Bezug genommen.
8
In der Klageschrift vom 17.12.2021 kündigte die Klägerin erneut.
9
Der Beklagte zahlte für die Monate Januar und Februar 2022 weder Miete noch Nutzungsentschädigung.
10
Mit Schreiben vom 11.02.2022 erklärte die Klagepartei erneut die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung. Die Kündigung ist mit Zahlungsverzug begründet. Zum näheren Inhalt des Schreibens wird auf die Anlage K5 (Bl. 49) verwiesen.
11
Am 16.02.2022 glich der Beklagte die Rückstände aus.
12
Der Beklagte räumte und gab die Wohnung am 30.04.2022 zurück.
13
Mit der Klageschrift vom 17.12.2021 (Bl. 1) hatte die Klagepartei noch beantragt, den Beklagten zur Räumung und Herausgabe zu verurteilen. Mit Schriftsatz vom 11.02.2022 hatte die Klagepartei ferner beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 2.200,00 € nebst Zinsen als Nutzungsentschädigung für die Monate Januar und Februar 2022 zu bezahlen, ferner von März bis Juni 2022 zukünftige Nutzungsentschädigung. Mit Schriftsatz vom 05.05.2022 (Bl. 71) erklärte die Klagepartei den Räumungsantrag für erledigt, die Beklagtenpartei stimmte mit Schriftsatz vom 19.05.2022 der Teilerledigterklärung zu. Mit Schriftsatz vom 20.05.2022 (Bl. 81) erklärte die Klagepartei auch beide Zahlungsanträge für erledigt. Die Beklagtenpartei widersprach der Teilerledigterklärung nach Belehrung gemäß § 91 a Abs. 1 S. 2 ZPO nicht.
14
Die Kläger hat daher zuletzt beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von € 1.054,10 nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 18.12.2021 zu bezahlen.
15
Der Beklagte hat beantragt:
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
16
Der Beklagte wendet ein,
die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzuges sei durch Zahlungsausgleich unwirksam geworden, auch die ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzuges.
17
Im Hinblick auf die Kündigung vom 13.12.2021 fehle es an eine Abmahnung.
18
Die Pflichtverletzung sei nicht erheblich genug.
19
Zum näheren Inhalt des Vorbringens und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
20
Mit Zustimmung der Parteien hat das Gericht aufgrund Beschlusses vom 19.05.2022 (Bl. 78) im schriftlichen Verfahren entschieden. Als Termin, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, wurde der 10.06.2022 bestimmt.

Entscheidungsgründe

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Die Klage war, soweit sie noch rechtshängig war, weit überwiegend begründet, nur im Zinsausspruch teilweise abzuweisen.
22
A. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht München sachlich und örtlich zuständig, weil die Streitigkeit einem Mietverhältnis über eine in M. gelegene Wohnung entspringt, §§ 29 a Abs. 1 ZPO, 23 Nr. 2a GVG
23
B. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin kann von dem Beklagten die Zahlung von 1.054,10 € als Schadensersatz für die Kosten der Anwaltskündigung gemäß §§ 280, 241 Abs. 2 BGB verlangen, weil der Beklagte durch seine email vom 06.12.2021 seine Pflichten aus dem Mietverhältnis derart massiv verletzt hat, dass für die Klägerin ein Kündigungsgrund gemäß §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB entstand.
24
I. Nach § 543 Abs. 1 S. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Gemäß § 543 Abs. 1 S. 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
25
Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag, so ist die Kündigung nach § 543 Abs. 3 S. 1 BGB erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Gemäß § 543 Abs. 3 S. 2 BGB gilt dies nicht, wenn eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht (Nr. 1) oder die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist (Nr. 2).
26
Für die Frage der Zumutbarkeit der Vertragsfortsetzung ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen maßgeblich, wobei aber die Wertentscheidungen des Grundgesetzes maßgeblich sind. Schließlich geht es darum, ob der Mieter seine Wohnung als Mittelpunkt seiner Lebensgestaltung verliert (vgl. Blank/Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Auflage, 2015, § 569 Rn. 23).
27
Ein Grund zur fristlosen Kündigung kann auch in Beleidigungen und Drohungen liegen (vgl. Streyl/Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage, 2022, § 543 Rn. 55-55), auch dann, wenn die Beleidigung gegenüber der Hausverwaltung erfolgt, weil der Vermieter über die Hausverwaltung mit dem Mieter in Kontakt tritt und der Vermieter gegenüber der Hausverwaltung als Vertragspartner selbst eine Schutzpflicht hat.
28
II. Nach diesen Grundsätzen bestand hier ein Kündigungsgrund. Die Äußerungen des Beklagten stellen eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die auch ohne Abmahnung eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter unzumutbar machen, § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BGB. Die Äußerungen fielen zwar in einer Auseinandersetzung über Mängelanzeigen und die Frage, ob der Beklagte die Miete pünktlich zahle, aber schriftlich, d.h. es handelt sich nicht um Augenblicksversagen und spontane Äußerungen. Dazu ist das Schreiben mit zweieinhalb Seiten und hineinkopierten Bildern und Auszügen auch zu umfangreich.
29
Zu sehen ist zum einen die Vielzahl der Ausdrücke. Es könnte, jedenfalls ohne Abmahnung, durch den Vermieter noch auszuhalten sein, dass der Mieter ein Schreiben mit der Frage „wollen sie mich eigentlich verarschen“ beginnt. Und auch der Hausverwaltung die Kompetenz abzusprechen, ist für den Mieter, jedenfalls in einer Auseinandersetzung um Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis, noch von der Meinungsfreiheit gedeckt.
30
Die Bezeichnung des Schreibens der Hausverwaltung vom 21.10.2021 als „wirr“ steigert sich zu der Beleidigung, das Schreiben sei „grenzdebil“ gewesen.
31
Für krass unhöflich und beleidigend hält das Gericht aber zum Beispiel eine grafische Gestaltung wie „GEHT'S EIGENTLICH NOCH???“, die keinen sachlichen Inhalt mehr hat, sondern nur noch den Adressaten als geistig beschränkt behandelt.
32
Für besonders gravierend hält das Gericht die Schlusswendung „Hoffentlich trifft Sie der Blitz, Frau …“ Diese Äußerung des Wunsches, die Mitarbeiterin der Hausverwaltung möge sterben, ist unerträglich und nicht hinnehmbar. Dies muss ein Vermieter nicht dulden und sich nicht am Mietverhältnis festhalten lassen.
33
III. Die Höhe der Anwaltskosten sind bei einer 1,3-Gebühr und einem Gegenstandswert von 10.200,00 €€ (12 × 850,00 €) zutreffend berechnet.
34
IV. Verzugszinsen kann die Klägerin erst seit Rechtshängigkeit verlangen, § 286 Abs. 1 S 2 ZPO bzw. § 291 BGB, also seit dem 19.01.2022. Soweit die Klägerin Zinsen bereits seit dem 18.12.2021 verlangte, war die Klage daher im übrigen abzuweisen. Denn die einseitige Fristsetzung in einer Rechnung ist kein Mahnersatz im Sinne des § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Auflage, 2022, § 286 Rn. 22).
35
C. Der Streitwert war aus der Summe der Anträge festzusetzen, mithin auf 17.854,10 €.
36
Der Streitwert des Räumungsantrages war auf das Zwölffache der Monatsnettomiete (12 × 850,00 €) festzusetzen, § 41 Abs. 2 GKG. Hinzukamen der Zahlungsantrag über 2.200,00 € und der Antrag auf Verurteilung zur Zahlung zukünftiger Nutzungsentschädigung, der auf die Höhe von 4 Monatsmieten festzusetzen ist, mithin auf 4.400,00 €, da die Klagepartei den Antrag nur für 4 Monatsmieten gestellt hat.
37
Aufgrund der übereinstimmenden Erledigterklärungen waren auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hinzuzurechnen, weil diese am Ende nicht mehr Nebenforderungen waren, aber nicht deren Zinsen, weil diese Nebenforderung blieben, § 43 Abs. 1 GKG.
38
Nach den übereinstimmenden Erledigterklärungen waren nur noch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten rechtshängig, so dass der Streitwert sank.
39
D. Die Kostenentscheidung beruht als Kostenmischentscheidung auf §§ 91, 91 a ZPO.
40
I. Der Beklagte hat die Kosten zu tragen, soweit er verurteilt wurde, § 91 Abs. 1 ZPO. Die Klageabweisung im übrigen ändert daran nichts, weil diese nur Nebenforderungen betraf, die den Streitwert nicht erhöhten, zudem nicht ins Gewicht fielen, § 91 a Abs. 1 ZPO.
41
II. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten zu Kosten aufzuerlegen, § 91 a ZPO. Denn er wäre voraussichtlich im Rechtsstreit unterlegen. Er war mit der Zahlung der Miete beziehungsweise Nutzungsentschädigung in Verzug, §§ 535 Abs. 2, 546a, 556b Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
42
Auch der Antrag auf Zahlung zukünftiger Nutzungsentschädigung war wegen der Rückstände begründet.
43
Auch im Räumungsrechtsstreit wäre der Beklagte voraussichtlich unterlegen, da die Kündigung vom 13.12.2021 das Mietverhältnis beendet hatte.
44
E. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.