Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 23.11.2022 – Au 9 S 22.31187
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen eine Abschiebung in den Irak (fingierte Antragsrücknahme nach Untertauchen)

Normenkette:
AsylG § 32 Abs. 2, § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 S. 1, § 34
Leitsatz:
Die zwingende Folge der fingierten Antragsrücknahme bei Nichtbetreiben des Verfahrens begründet bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Pflicht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Einstellung des Verfahrens (Anschluss an BVerwG BeckRS 2019, 11017). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irak, vorläufiger Rechtsschutz, bestehendes Rechtsschutzbedürfnis, fiktive Antragsrücknahme, Untertauchen, ordnungsgemäße Belehrung über Mitwirkungspflichten im Asylverfahren, Asylverfahren, Nichtbetreiben, Einstellung, fingierte Antragsrücknahme
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45271

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsandrohung in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat.
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Der am ... in ... (Irak) geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit und christlichem Glauben.
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Seinen Angaben zufolge reiste der Antragsteller am 16. August 2021 erstmalig auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 7. September 2021 Asylerstantrag stellte. Eine Beschränkung des Asylantrags gemäß § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) erfolgte im Verfahren nicht.
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Die persönliche Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 25. Mai 2022. Bezüglich des Vortrags des Antragstellers wird auf die über die persönliche Anhörung gefertigte Niederschrift des Bundesamts Bezug genommen.
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Am 5. Oktober 2022 tauchte der Antragsteller unter. Sein Aufenthalt war ab diesem Zeitpunkt unbekannt.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 4.November 2022 (Gz.: ...) wurde der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen behandelt und das Asylverfahren eingestellt (Nr. 1 des Bescheids). Nr. 2 des Bescheids bestimmt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Nr. 3 des Bescheids wird der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Antragsteller die Abschiebung in den Irak angedroht. Weiter wurde bestimmt, dass der Antragsteller auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Nr. 4 ordnet das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte, da der Antragsteller das Verfahren nicht betreibe. Daher sei festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei (§ 32 AsylG). Der Antragsteller sei nach den Erkenntnissen des Bundesamts untergetaucht. Daher werde gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibe. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Solche seien vom Antragsteller weder vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor. Bereits das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens lasse drohende Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Heimatland als zweifelhaft erscheinen. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 38 Abs. 2 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 4. November 2022 wird ergänzend verwiesen.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde dem Antragsteller mit Postzustellungsurkunde am 15. November 2022 bekanntgegeben.
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Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 17. November 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben (Az.: Au 9 K 22.31186), über die noch nicht entschieden worden ist.
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Ebenfalls mit Schriftsatz vom 17. November 2022 hat der Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass das Bundesamt das Asylverfahren zu Unrecht eingestellt habe, weil er seinen Antrag nicht zurückgenommen habe. Seine gesamte Familie sei zum Christentum konvertiert. Ihm sei bewusst, dass er während der Dauer des Asylverfahrens dazu verpflichtet sei, in ... zu verbleiben und dass eine Flucht innerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht der richtige Weg gewesen sei. Es sei sein Wunsch, das Asylverfahren fortzusetzen. Der Bundesamtsbescheid sei deshalb aufzuheben. Nachdem die Einstellung des Verfahrens zu Unrecht erfolgt sei, sei auch die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
14
Das Bundesamt hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte in elektronischer Form vorgelegt.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.
II.
16
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: Au 9 K 22.31186) gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 4. November 2022 anzuordnen ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
17
Der Antrag ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 38 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG statthaft, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Der Antrag wurde fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Klage- und Antragsfrist des § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt. Es spricht auch viel dafür, dass der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis hat, da die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrages nach § 33 Abs. 5 AsylG im Vergleich zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids nicht gleichwertig ist, da nicht sichergestellt ist, dass der Antragsteller andernfalls keine Nachteile erleidet.
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Der Antrag ist aber unbegründet, weil die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende gerichtliche Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt, nachdem die summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
19
Denn die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ist rechtmäßig, weil das Asylverfahren des Antragstellers zu Recht gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AsylG eingestellt worden ist. Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, mit der Folge, dass das Verfahren eingestellt wird (§ 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG, § 32 Satz 2 AsylG) wenn der betreffende Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gesetzlich gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG vermutet, wenn der Antragsteller untergetaucht ist. Diese Vermutung ist gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nur widerlegt, wenn der Antragsteller unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss hatte. Dieser Nachweis ist dem Antragsteller hier nicht gelungen, nachdem dieser selbst in seiner Klage- und Antragsschrift eingeräumt hat, dass eine Flucht innerhalb des Landes der falsche Weg gewesen sei.
20
Im Zeitpunkt des Bescheidserlasses war weder dem Bundesamt noch der für ihn zuständigen Ausländerbehörde der damalige Aufenthaltsort des Antragstellers bekannt. Damit hat der Antragsteller weiter gegen die Vorschrift des § 10 AsylG verstoßen, die besagt, dass er während der Dauer des Asylverfahrens verpflichtet ist, jeden Wechsel seiner Anschrift dem Bundesamt unverzüglich anzuzeigen. Über diese Pflicht wurde der Antragsteller auch ordnungsgemäß gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylG belehrt.
21
Die zwingende Folge der fingierten Antragsrücknahme bei Nichtbetreiben des Verfahrens begründet bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Pflicht der Antragsgegnerin zur Einstellung des Verfahrens (BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46/18 – juris). Da vorliegend offensichtlich die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG zu Lasten des Antragstellers vorliegen, erfolgte die fiktive Antragsrücknahme und Einstellung des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG zu Recht.
22
Die Ausreisefrist von einer Woche ergibt sich aus § 38 Abs. 2 AsylG.
23
Relevante zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind im Rahmen der auf eine summarische Prüfung von Sach- und Rechtslage beschränkten gerichtlichen Überprüfung im Eilverfahren nicht erkennbar und vom Antragsteller auch nicht vorgebracht.
24
Ergänzend kann auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts Bezug genommen werden (§ 77 Abs. 2 AsylG).
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
26
Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Der entsprechende Antrag ist persönlich bei der Außenstelle des Bundesamts zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in welcher der Antragsteller vor der Einstellung des Verfahrens zu wohnen verpflichtet war. Stellt der Antragsteller einen neuen Asylantrag, so gilt dieser als Antrag im Sinne des Satzes 2 (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 2 ff. AsylG).
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.