Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 24.11.2022 – W 3 K 21.1518
Titel:

Heimrecht, stationäre Einrichtung, Angleichung an die einzelnen baulichen Mindestanforderungen, Abgrenzung zur Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen, Ermessen, Vorlage eines Konzepts als Tatbestandsvoraussetzung für § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG, keine Ermessensreduktion auf Null

Normenketten:
PfleWoqG Art. 1
PfleWoqG Art. 3 Abs. 2
AVPfleWoqG § 10 Abs. 1
AVPfleWoqG § 50 Abs. 1, 4
Schlagworte:
Heimrecht, stationäre Einrichtung, Angleichung an die einzelnen baulichen Mindestanforderungen, Abgrenzung zur Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen, Ermessen, Vorlage eines Konzepts als Tatbestandsvoraussetzung für § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG, keine Ermessensreduktion auf Null
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45224

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.
1
1. Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, der im Landkreis H. Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung betreibt.
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Im Bereich „Gemeinschaftliches Wohnen“ betreibt der Kläger das Wohnheim ... A), das Wohnheim ... B) und eine weitere Wohnstätte in der G. ... mit 24 Plätzen und einem V.platz.
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Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren die Verpflichtung des Beklagten, die jeweils bewilligten Angleichungsfristen für das Wohnheim A im Sinne des § 10 AVPfleWoqG bis zum 31. August 2036 zu verlängern.
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Gemäß der aufgestellten Konzeption für den Bereich Gemeinschaftliches Wohnen und individuelles Wohnen des Klägers richtet sich dessen Wohnangebot an Menschen mit geistiger Behinderung mit einem Anspruch auf die Gewährung von Eingliederungshilfe.
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Nach Angaben des Klägers wurde das Wohnheim A im Jahr 1983 erbaut und im Jahr 2006 letztmalig modernisiert. Es ist nicht denkmalgeschützt, eine grundlegende Modernisierung ist nicht geplant und es verfügt über insgesamt 29 Zimmer mit grundsätzlich 40 Wohnplätzen. Im Erdgeschoss befinden sich drei Einzelzimmer und drei Doppelzimmer, insgesamt neun Wohnplätze. Im ersten Obergeschoss befinden sich sechs Einzelzimmer und sechs Doppelzimmer, insgesamt 18 Wohnplätze. Im zweiten Obergeschoss befinden sich fünf Einzelzimmer und zwei Doppelzimmer, insgesamt neun Wohnplätze. Dabei werden vier Doppelzimmer als Einzelzimmer genutzt. Insgesamt bietet das Wohnheim A damit 32 Plätze.
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2. Mit Schreiben vom 16. August 2012 wies die Heimaufsicht bei dem Beklagten den Kläger auf das Inkrafttreten der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz zum 1. September 2011 hin. In diesem Schreiben wurde der Kläger auf die Möglichkeit der Beantragung von Befreiungen und Abweichungen nach § 50 AVPfleWoqG und auf die Möglichkeit der Beantragung der Verlängerung der Angleichungsfrist nach § 10 Abs. 1 Satz 2, 3 AVPfleWoqG hingewiesen. Insbesondere in Bezug auf die Anträge zur Verlängerung der Angleichungsfrist wurde mitgeteilt, dass dem Antrag ein ausführliches Konzept beizulegen sei, aus dem hervorgehe, welche erforderlichen Veränderungen bereits bis zum 31. August 2016 umgesetzt worden seien bzw. noch umgesetzt werden würden und in welchem konkreten Zeitplan die restliche Umsetzung vorgesehen sei.
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3. Am 29. August 2016 beantragte der Kläger, die Wohnheime A und B nach § 50 Abs. 1 und 4 AVPfleWoqG von den baulichen Mindestanforderungen zu befreien, hilfsweise die Angleichungsfrist an die baulichen Mindestanforderungen nach § 10 Abs. 1 AVPfleWoqG zu verlängern.
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Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Umsetzung der nach der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz und der DIN 18040-2 erforderlichen baulichen Anpassungsmaßnahmen wirtschaftlich für den Kläger unzumutbar sei. Die Wohnstätten seien für Menschen mit Behinderung gedacht, die nicht pflegebedürftig im Sinne des Elften Buchs Sozialgesetzbuch seien. Der Kläger leiste individuelle Unterstützung. Die baulichen Gegebenheiten seien bislang nicht auf alle denkbaren Erfordernisse ausgerichtet worden. Der Kläger habe das Umfeld auf die Notwendigkeit im Einzelfall ausgerichtet. Bei dem Kläger finde fast kein Bewohnerwechsel statt, sodass darauf vertraut werden könne, dass die baulichen Erfordernisse für lange Zeit unverändert blieben und nur im Einzelfall der Anpassung bedürften. Die Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz versuche vorausschauend für alle denkbaren Beeinträchtigungen vorab bauliche Lösungen anzubieten, was bei einem häufig wechselnden Bewohnerkreis auch sinnvoll sein möge, um auf ständig wechselnde Anforderungen vorbereitet zu sein. Bei der klägerischen Einrichtung mit festem Bewohnerstamm erscheine es eher sinnvoll, erst bei Bedarf für den einzelnen zu handeln, damit Aufwand und Nutzen im richtigen Verhältnis stünden.
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Der Kläger legte diesem Antrag eine Aufstellung der Abweichungen von den baulichen Mindestvoraussetzungen bei, für die er im Einzelnen eine Befreiung, hilfsweise eine Verlängerung der Angleichungsfrist beantragte.
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Diese hatte im Wesentlichen die fehlende Erreichbarkeit des zweiten Obergeschosses durch einen Aufzug, die Gestaltung der Handläufe, die Größe einzelner Bewohnerzimmer sowie die Zugangsmöglichkeiten aller Bewohnerzimmer zu den Sanitärräumen zum Gegenstand. Ebenfalls umfasste der Antrag einzelne bauliche Begebenheiten in Bezug auf Fenster und Türen der Einrichtung, Sanitärräume sowie das Fehlen technischer Ausstattung in Teilen der Einrichtung. Im Übrigen wird auf die diesbezügliche Anlage zum Antrag vom 29. August 2016 Bezug genommen.
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Mit E-Mail vom 5. März 2021 wies der Beklagte den Kläger unter anderem darauf hin, dass das Wohnheim A die in der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz festgelegten Mindestvoraussetzungen unterschreite. Dem Kläger wurde eine Frist bis zum 15. Juni 2021 gewährt, um seine Gesamtplanung auch im Hinblick auf die gestellten Anträge vom 29. August 2016 entsprechend anzupassen.
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Mit Schreiben vom 14. Juni 2021 teilte der Kläger erneut mit, dass die Umsetzung der unterschrittenen Mindestvoraussetzungen wirtschaftlich unzumutbar sei. Der Kläger kompensiere diese Abweichungen durch eine Reihe von gebrauchstauglichen Lösungen. Der Kläger halte daher an seinen Anträgen vom 24. August 2016 fest.
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Der Kläger übersandte in diesem Zusammenhang eine Kostenschätzung des Architekturbüros P. vom 11. Juni 2021. Aus dieser geht hervor, dass der Umbau des Wohnheimes A 7.796.880,00 EUR koste und ein vergleichbarer Ersatzneubau 7.462.320,00 EUR.
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Im weiteren Verlauf führten die Beteiligten mehrfach Gespräche und besichtigten das Wohnheim A.
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In diesem Zusammenhang erweiterte der Kläger seine Anträge vom 29. August 2016 mit Schreiben vom 7. September 2021.
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Nach den Angaben des Klägers sind die Türdrücker zu niedrig und in den Duschen in den Bädern im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss sind keine geeigneten Haltegriffe vorhanden.
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Am 6. Oktober 2021 führten die Beteiligten ein Gespräch, das unter anderem das Verhältnis der zunächst hilfsweise beantragten Verlängerungen der Angleichungsfristen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2, 3 AVPfleWoqG und die als Hauptantrag gestellten Befreiungs- bzw. Abweichungsanträge nach § 50 AVPfleWoqG zum Gegenstand hatte.
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4. Mit Bescheid vom 21. Oktober 2021 gewährte der Beklagte dem Kläger folgende Angleichungsfristen gemäß § 10 Abs. 1 AVPfleWoqG für das Wohnheim A:
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1. Zum Einbau eines Verbrühungsschutzes an allen Auslaufarmaturen, die den Bewohnerinnen und Bewohnern zugänglich sind, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2021 bewilligt.
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2. Zur Einhaltung der Einzelzimmerquote von 100 Prozent wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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3. Zum Einbau eines Aufzuges gemäß Nr. 4.3.5 DIN 18040-2, der ebenso bis ins OG II geht, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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4. Zum Anbringen von Handläufen an allen Treppen, in einer Höhe von 85 cm bis 90 cm, gemäß Nr. 4.3.6.3 DIN 18040-2 wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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5. Es wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt, um die Handlaufenden am Anfang und Ende der Treppenläufe gemäß Nr. 4.3.6.3 DIN 18040-2 noch mindestens 30 cm waagerecht weiterzuführen.
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6. Um die Anforderung an eine geeignete Handlaufform an den Treppen gemäß Nr. 4.3.6.3 DIN 18040-2 zu erfüllen, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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7. Zum Anbringen von geeigneten Abschlussenden von Handläufen an den Treppen gemäß Nr. 4.3.6.3 DIN 18040-2, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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8. Es wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 zum Anbringen von beidseitigen Handläufen an Treppenläufen und Zwischenpodesten ohne Unterbrechung gemäß Nr. 4.3.6.3 DIN 18040-2 bewilligt.
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9. Zum Anbringen von geeigneten Halterungen der Handläufe an Treppenläufen und Zwischenpodesten gemäß Nr. 4.3.6.3 DIN 18040-2 wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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10. Es wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt, um für jeden Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu einem Sanitärraum zu schaffen.
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11. Für die gesamte Einrichtung wird eine Frist zur Einhaltung der geforderten Bewohnerzimmermindestgröße an ein Einzelzimmer von 14 m² bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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12. Zum Anbringen von geeigneten Rufanlagen in jedem Wohn-Schlaf-Raum, Sanitärraum, Therapieraum und Gemeinschaftsraum wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 gesetzt.
31
13. Um die Drückerhöhen der Türen an die Anforderungen für die Türen der Infrastruktur gemäß Nr. 4.3.3.2 DIN 18040-2, für die Wohnungseingangstüren gemäß Nr. 5.3.1.1 DIN 18040-2 und für die Wohnungstüren gemäß Nr. 5.3.1.2 DIN 18040-2 einzuhalten, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
32
14. Um die Leibungstiefe an Türen gemäß Tabelle 1 der Nr. 4.3.3.2 DIN 18040-2 anzupassen, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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15. Um den Fenstergriff in einer Greifhöhe von 85 cm bis 105 cm (über OFF) gemäß Nr. 5.3.2 DIN 18040-2 anzubringen, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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16. Zum Anbringen von Fenstern, die einen Durchblick in die Umgebung ermöglichen gemäß Nr. 5.3.2 DIN 18040-2 (Brüstung ab 60 cm über OFF durchsichtig), wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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17. Es wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt zur Schaffung der notwendigen Bewegungsfläche in den Bewohnerzimmern gemäß Nr. 5.4 DIN 18040-2.
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18. Um die Anforderung einzuhalten, dass Drehflügeltüren nicht in Sanitärräume schlagen nach Nr. 5.5.1 DIN 18040-2 wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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19. Zur Schaffung der notwendigen Bewegungsflächen vor den Sanitärobjekten und im D.platz gemäß Nr. 5.5.2 DIN 18040-2, in barrierefreien Sanitärräumen von 120 cm x 120 cm und in rollstuhlgerechten Sanitärräumen von 150 cm x 150 cm, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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20. Um den Abstand seitlich am WC-Becken gemäß Nr. 5.5.3 DIN 18040-2 in den barrierefreien und rollstuhlgerechten Sanitärräumen anzupassen, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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21. Zum Anbringen des WC-Beckens mit einer Höhe des WC-Beckens einschließlich Sitz zwischen 46 cm und 48 cm über OFF in den rollstuhlgerechten Sanitärräumen gemäß Nr. 5.5.3 DIN 18040-2 wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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22. Um eine ausreichende Bewegungsfläche neben den WC-Becken von mindestens 70 cm tief (von der Beckenvorderkante bis zur rückwärtigen Wand) gemäß Nr. 5.5.3 DIN 18040-2 in den rollstuhlgerechten Sanitärräumen, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
41
23. Zum Anbringen einer Spülung an den WC Becken, die mit der Hand oder dem Arm bedienbar ist, im Greifbereich des Sitzenden, ohne dass der Benutzer die Sitzposition verändern muss sowie eines Toilettenpapierhalter, der ebenfalls erreichbar ohne Veränderung der Sitzposition ist, in den rollstuhlgerechten Sanitärräumen gemäß Nr. 5.5.3 DIN 18040-2, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
42
24. Um in den Sanitärräumen alle sanitären Anlagen mit geeigneten Haltegriffen auszustatten, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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25. Um die Höhe Vorderkante des Waschtisches mit maximal 80 cm über OFF gemäß Nr. 5.5.4 DIN 18040-2 in den rollstuhlgerechten Sanitärräumen anzubringen, wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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26. Zum Anbringen von Spiegeln über dem Waschtisch gemäß Nr. 5.5.4 DIN 18040-2 wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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27. Um die Anforderung des Beinfreiraums unter dem Waschtisch mit einer Breite von mindestens 90 cm (axial gemessen) und mindestens 55 cm Tiefe gemäß Nr. 5.5.4 DIN 18040-2 in den rollstuhlgerechten Sanitärräumen einzuhalten, wird eine Angleichungsfristverlängerung bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
46
28. Zum Anpassen der Duschplätze an die barrierefreien und rollstuhlgerechten Anforderungen der Nr. 5.5.5 DIN 18040-2 wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
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29. Es wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 zum Einbau einer Fäkalienspüle für die gesamte Einrichtung bewilligt.
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30. Zum Anbringen eines Kommunikationsanschlusses für alle Wohnplätze wird eine Angleichungsfrist bis 31. Dezember 2034 bewilligt.
49
Auf die Begründung des Bescheides wir Bezug genommen.
50
Ebenfalls mit Bescheid vom 21. Oktober 2021 entschied der Beklagte über den klägerischen Antrag auf Verlängerung der Angleichungsfristen gemäß § 10 Abs. 1 AVPfleWoqG für das Wohnheim B.
II.
51
Am 24. November 2021 ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg unter dem Aktenzeichen W 3 K 21.1518 mit dem Begehren erheben, die Bescheide vom 21. Oktober 2021 für das Wohnheim A und Wohnheim B aufzuheben.
52
Mit Beschluss vom 24. November 2021 trennte das Gericht vom Verfahren W 3 K 21.1518 das Begehren, den Bescheid vom 21. Oktober 2021 für das Wohnheim B aufzuheben, ab und führte es unter dem Aktenzeichen W 3 K 21.1519 fort.
53
Der Kläger ließ im vorliegenden Verfahren W 3 K 21.1518 zuletzt beantragen,
den Beklagten unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides vom 21. Oktober 2021 zu verpflichten, die jeweiligen Angleichungsfristen entsprechend dem Antrag des Klägers vom 29. August 2016 gem. § 10 Abs. 1 AVPfleWoqG für das Wohnheim des Klägers in der … * * (Haus A), …, bis zum 31. August 2036 zu verlängern.
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Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Verlängerung der Angleichungsfrist nach § 10 AVPfleWoqG nur hilfsweise beantragt worden sei. Über den Hauptantrag nach § 50 AVPfleWoqG sei bislang nicht entschieden worden. Eine anderweitige Absprache habe es zwischen den Parteien nicht gegeben, auch nicht beim Gespräch am 6. Oktober 2021.
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Überdies sei der Kläger gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG bis zu einer Entscheidung über den Antrag nach § 50 AVPfleWoqG für die beantragten Tatbestände von der Verpflichtung zur Angleichung vorläufig befreit.
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Die Anträge nach §§ 10 und 50 AVPfleWoqG dürften auch nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Das ergebe sich bereits aus Wortlaut und Systematik beider Vorschriften: Sowohl § 10 AVPfleWoqG als auch § 50 AVPfleWoqG bezögen sich auf die Vorschriften §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG, die vom Träger der stationären Einrichtungen nicht erfüllt werden könnten und böten daher eine Alternativlösung hierzu in Form der verlängerten Angleichungsfrist oder der Befreiung an. Daher könnten die Anträge nach § 10 und § 50 AVPfleWoqG sowohl kumulativ als auch alternativ gestellt werden, müssten aber zwingend zusammen verbeschieden werden, weil ansonsten nicht klar sei, ob eine Befreiung nach § 50 AVPfleWoqG überhaupt noch erfolgen könne. Dies habe der Beklagte rechtsfehlerhaft unterlassen.
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Überdies habe der Kläger die Verlängerung der Angleichungsfrist bis zum 31. August 2036 beantragt. Dies ermögliche eine Umsetzung der notwendigen baulichen Maßnahmen. Dieser Zeitraum sei gewählt worden, damit in Absprache mit anderen Lebenshilfevereinen frühzeitig eine gemeinsame Umsetzungskonzeption mit dem Bezirk und der Regierung von Unterfranken erfolgen könne. Im Bescheid des Beklagten sei eine Verlängerung der Angleichungsfrist unter Bezugnahme auf die entsprechende Orientierungshilfe des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP) bis 31. Dezember 2034 bewilligt worden. Nach diesen Verfahrenshinweisen könne die Angleichungsfrist für das Wohnheim A maximal bis zum Jahr 2031 und für das Wohnheim B bis zum Jahr 2022 verlängert werden. Der Kläger sei damit nicht einverstanden und sehe diesbezüglich auch einen Widerspruch zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 5. Februar 2018. Die Orientierungshilfe zur Angleichungsfrist sei nicht verbindlich und übersehe den Sinn und Zweck der Angleichungsfrist, der nur darin bestehen könne, dass dem Träger der stationären Einrichtung eine Umsetzung der Vorgaben der §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG möglich werde, weil anderenfalls eine Schließung der Einrichtung nolens volens erforderlich wäre. Dass eine kürzere Angleichungsfrist bei länger zurückliegenden Modernisierungsmaßnahmen wünschenswert sei, sei nachvollziehbar, aber weder wirtschaftlich noch organisatorisch umsetzbar. Für den Kläger sei die Umsetzung der Umbaumaßnahmen bis 31. Dezember 2034 zwar zu schaffen, allerdings könnten Krisensituationen und damit verbundene Lieferengpässe durch Corona oder den Ukraine-Krieg zu nicht kalkulierbaren Verzögerungen führen, die bei einer Angleichungsfrist bis 2036 leicht zu lösen wären.
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Der Bescheid vom 21. Oktober 2021 sei zudem auch ermessensfehlerhaft. So habe der Kläger in Gesprächen vor Erlass des betreffenden Bescheides am 6. Oktober 2021 gewünscht, die Angleichungsfrist bis 2036 zu verlängern. Hieraufhin habe der Beklagte nach Auffassung des Klägers zugesagt, die Angleichungsfrist bis 2036 zu verlängern. Dies dürfte das Ergebnis der Abwägung und Ermessensentscheidung des Beklagten im Rahmen des betreffenden Gesprächs gewesen sein. Umstände, die die offengelegte und offen gegenüber dem Kläger kommunizierte Ermessensausübung des Beklagten nunmehr anders ausfallen lassen sollten, seien nicht eingetreten, nicht ersichtlich und nicht dargelegt. Vielmehr sei es zu einer transparenten Ermessensausübung mit Selbstbindungsverpflichtung des Beklagten gekommen. Der Beklagte habe einen Vertrauenstatbestand für den Kläger geschaffen.
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Schließlich verkenne der Beklagte noch, dass der Kläger in seiner Begründung der Anträge nicht nur auf die finanziell-wirtschaftliche Seite abgestellt habe, sondern auch weitere Argumente geliefert habe. Wirtschaftliche Gründe und finanzielle Schwierigkeiten könnten zudem Ausnahmen für das Zurückstellen der Umbaumaßnahmen sein. Dies verdeutliche sich insbesondere anhand des von dem Beklagten am 17. Dezember 2018 beschlossenen „Nahverkehrsplans nach der Leitlinie zur Nahverkehrsplanung Landkreis H.“.
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Den Kläger träfe überdies nicht nur eine erhebliche finanzielle Belastung beim Aus- und Umbau von Wohnheim A, obwohl ein rollstuhlgerechtes Haus bereits für Menschen, die auf Rollstühle angewiesen seien, vorgehalten und angeboten werde. Durch die Umbaumaßnahmen reduziere sich zudem die Bewohnerzahl und damit auch der Anteil der Fördergelder. Die etablierten „familiären“ Gruppen würden dadurch auseinandergerissen. Auf den Kläger kämen Kosten von ca. 5,4 Millionen Euro zu, sodass er an seine finanzielle Belastungsgrenze stoßen werde. Daher sei auch schon allein aus finanziellen Gründen die Angleichungsfrist bis 2036 einzuräumen.
61
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
62
Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass von dem Kläger bislang trotz entsprechender Hinweise seitens des Beklagten weder ein Anpassungskonzept noch Planungsunterlagen zur Verbesserung der baulichen Gegebenheiten vorgelegt worden seien.
63
Im Gespräch am 6. Oktober 2021 sei einvernehmlich vereinbart worden, dass der Beklagte die Bescheide nach § 10 AVPfleWoqG erlasse, um dem Kläger Planungssicherheit zu geben. Die Bescheide nach § 50 AVPfleWoqG würden zurückgestellt, bis ein entsprechendes Anpassungskonzept sowie Planunterlagen vorgelegt werde. Daher sei es nachrangig, dass es sich bei den Anträgen nach § 10 AVPfleWoqG zunächst teilweise um einen Hilfsantrag gehandelt habe.
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Dem Kläger sei in dem am 6. Oktober 2021 geführten Gespräch weder mitgeteilt worden, dass die maximale Frist des § 10 Abs. 1 Satz 4 AVPfleWoqG bis 31. August 2036 gewährt werde noch habe der Beklagte eine entsprechende Entscheidung getroffen. Es sei mitgeteilt worden, dass die Bearbeitungszeit der gestellten Anträge in der Ermessensabwägung des Beklagten Berücksichtigung finden werde. Ein wie auch immer gearteter Vertrauenstatbestand sei dadurch nicht entstanden. Da in diesem Gespräch keine Entscheidung über die Länge der Frist getroffen worden sei, liege im streitgegenständlichen Bescheid kein Abweichen von einer getroffenen Entscheidung vor und daraus folgend auch kein Ermessensfehler oder eine Ermessensreduktion auf Null vor.
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Grundsätzlich seien die gestellten Anträge nach § 10 und § 50 AVPfleWoqG getrennt voneinander zu betrachten. Auch der Gesetzestext sehe keine Verbindung der beiden Vorschriften vor. Somit stehe der erlassene Bescheid gemäß § 10 AVPfleWoqG nicht im Widerspruch zu § 50 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG.
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Die Frist für die Angleichung nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG könne längstens bis zum 31. August 2036 verlängert werden. Eine standardisierte Verlängerung bis zum 31. August 2036 werde seitens des StMGP nicht für sachgerecht erachtet. Das Wohnheim A sei im Jahr 1983 erbaut und gemäß den Angaben des Klägers im Jahr 2006 modernisiert worden. Die 25 Jahre nach der letzten grundlegenden Modernisierung würden somit im Jahre 2031 enden. Die Bewilligung der Angleichungsfristverlängerungen bis zum 31. Dezember 2034 mit Ausnahme der verbeschiedenen kürzeren Fristen sei im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens erteilt worden und überschreite auch die vom StMGP an die Hand gegebene Orientierung zur Gewährung von Angleichungsfristverlängerungen. Eine pauschale Verlängerung der Angleichungsfrist bis zur maximalen Angleichungsfrist der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz werde in diesem konkreten Einzelfall als nicht sachgerecht und verhältnismäßig erachtet.
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Der Bezug auf die Nahverkehrsplanung des Landkreises H. gehe an der Sache vollkommen vorbei.
68
Für die von dem Kläger vorgetragenen wirtschaftlichen Gründe lägen lediglich Kostenschätzungen eines Architekten für einen Umbau und einen Neubau vor. Unterlagen zur Prüfung einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit habe der Kläger hingegen nicht vorgelegt. Eine zeitliche Staffelung von baulichen Maßnahmen nach Dringlichkeit und Umsetzbarkeit im Rahmen weiterer erforderlicher baulicher Instandsetzung- und Modernisierungsmaßnahmen, welche im Regelfall fachlich und finanziell sinnvoll seien, seien auch nicht vorgelegt worden, um dies in eine Prüfung einfließen lassen zu können.
69
Im Übrigen wird auf den Inhalt des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 24. November 2022, auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakte im Verfahren W 3 K 21.1519, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

70
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das klägerische Begehren, den Beklagten unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides vom 21. Oktober 2021 für das Wohnheim A zu verpflichten, die einzelnen Angleichungsfristen nach § 10 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes vom 27. Juli 2011 (GVBl. S. 346), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Dezember 2020 (GVBl. S. 691) – AVPfleWoqG – entsprechend seinem Antrag vom 29. August 2016 in Verbindung mit der Antragserweiterung aus dem klägerischen Schreiben vom 14. Juni 2021 über den 31. Dezember 2034 hinaus bis zum 31. August 2036 zu verlängern.
71
Dies hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2022 klargestellt und ausgeführt, dass der Kläger von Anfang an keine Verpflichtung der Verlängerung der Angleichungsfrist für den Einbau eines Verbrühungsschutzes entsprechend der Nummer 1 des Bescheides vom 21. Oktober 2021 begehrt hat, dies deshalb, weil der Kläger dieser Verpflichtung bereits nachgekommen ist.
72
Überdies ist festzustellen, dass im Rahmen der vorliegenden Verpflichtungsklage in der Form der Versagungsgegenklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO allein die geltend gemachten jeweiligen Ansprüche aus § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG Streitgegenstand sind.
73
Das Gericht überprüft den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2021 dabei gerade nicht auf seine Rechtmäßigkeit. Insbesondere nimmt es keine Prüfung dahingehend vor, ob die erfolgte Angleichungsfristverlängerung bis zum 31. Dezember 2034 möglicherweise nicht im Einklang mit geltendem Recht steht und ob die Orientierungshilfen des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zur Berechnung der Angleichungsfristen zutreffend sind.
74
Entsprechendes gilt für den bislang nicht näher konkretisierten klägerischen Einwand, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 21. Oktober 2021 im Widerspruch zur Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 5. Februar 2018 stehen könnte.
75
Im Übrigen nimmt das Gericht im vorliegenden Verfahren auch keine Feststellung dahingehend vor, ob die örtlichen Begebenheiten bei dem Kläger im Wohnheim A den Mindestanforderungen nach §§ 1 Abs. 2, 2 bis 9 AVPfleWoqG entsprechen und trifft auch keine Aussage dahingehend, ob die Einrichtungen barrierefrei sind.
76
Ebenfalls nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine Entscheidung über die vormals als Hauptantrag am 29. August 2016 beantragte Befreiung beziehungsweise Abweichung von den baulichen Mindestanforderungen nach § 50 Abs. 1, 4 AVPfleWoqG.
77
Die so verstandene Klage ist zulässig.
78
Der Kläger hat insbesondere ein Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung über seine Klage.
79
Zunächst ist festzustellen, dass es der Klägerbevollmächtigte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2022 entgegen seiner bisherigen schriftsätzlichen Ausführungen nunmehr unstreitig gestellt hat, dass sich die Beteiligten am 6. Oktober 2021 darauf geeinigt haben, die vormals hilfsweise beantragte Verlängerung der Angleichungsfristen nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG vorrangig zu verbescheiden und die Entscheidung über den ursprünglichen Hauptantrag auf Befreiung beziehungsweise Abweichung von den baulichen Mindestanforderungen nach § 50 Abs. 1, 4 AVPfleWoqG zurückzustellen.
80
Unabhängig davon wäre das Gericht auch ohne die entsprechende Einlassung des Klägerbevollmächtigten zu diesem Ergebnis gekommen. So stimmen die von den Beteiligten jeweils unabhängig voneinander gefertigten Protokolle über das Gespräch vom 6. Oktober 2021 klar und deutlich dahingehend überein, vorrangig über den Antrag nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG zu entscheiden. Insbesondere geht dies unmissverständlich aus dem Protokoll des Geschäftsführers des Klägers hervor, welches der Geschäftsführer auch eigenhändig für die Richtigkeit unterzeichnet hat.
81
Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger stehen die auf § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG gestützten Ansprüche nicht zu.
82
Im vorliegenden Fall betreibt der Kläger eine stationäre Einrichtung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Regelung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung (Pflege- und Wohnqualitätsgesetz) vom 8. Juli 2008 (GVBl. S. 346), zuletzt geändert durch Art. 32a Abs. 14 Gesetz vom 10. Mai 2022 (GVBl. S. 182) – PfleWoqG, sodass die Vorschriften dieses Gesetztes anwendbar sind (vgl. zur Definition des Heimbegriffs: Burmeister/Dinter, NVwZ 2009, 628/629; zum Begriff selbst: Philipp in Philipp, Pflege- und Wohnqualitätsgesetz Bayern, 2015, A I 1). Der Betrieb einer derartigen stationären Einrichtung bedarf keiner vorherigen Erlaubnis, sondern lediglich nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG einer Anzeige bei der zuständigen Behörde, die bestimmte im Einzelnen genannte Angaben enthalten muss (LT-Drs. 15/10182 Begr. S. 24; Dinter, Die Entwicklung des Heimrechts auf der Ebene des Bundes und der Bundesländer, 2015, S. 281). Allerdings sind beim in unternehmerischer Eigenverantwortung (Art. 1 Abs. 2 PfleWoqG) geführten Betrieb einer solchen stationären Einrichtung gemäß Art. 3 PfleWoqG besondere Qualitätsanforderungen einzuhalten. Unter anderem haben der Träger und die Leitung sicherzustellen, dass die Würde und die Interessen und die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigungen geschützt werden (Art. 3 Abs. 2 Ziffer 1 PfleWoqG) und dass die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt und gefördert werden (Art. 3 Abs. 2 Ziffer 2 PfleWoqG). Zudem muss gemäß Art. 3 Abs. 2 Ziffer 6 PfleWoqG unter anderem eine angemessene Qualität des Wohnens gewährleistet sein. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die Eingliederung und möglichst selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gemeinschaft gefördert wird. Art. 25 Abs. 1 PfleWoqG ermächtigt die Staatsregierung, durch Rechtsverordnung zur Durchführung des Gesetzes Regelungen zu erlassen, unter anderem für die Räume in stationären Einrichtungen, insbesondere die Wohn- und Aufenthaltsräume sowie die Verkehrsflächen, sanitären Anlagen und die technischen Einrichtungen in sanitären Einrichtungen.
83
Hierauf beruht die Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz, die unter anderem bauliche Mindestanforderungen festlegt und zusammen mit dem Pflege- und Wohnqualitätsgesetz im Zuge des Übergangs der Gesetzgebungskompetenz für die ordnungsrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Heimrechts vom Bund allein auf die Länder auf der Grundlage der zum 1. September 2006 in Kraft getretenen ersten Stufe der Föderalismusreform die Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für Altenheime und Pflegeheime für Volljährige (Heimmindestbauverordnung) abgelöst hat.
84
Die Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz weist verschiedene höhere bauliche Anforderungen an stationäre Einrichtungen auf als die zuvor gültige Heimmindestbauverordnung und verpflichtet zusammen mit dem Pflege- und Wohnqualitätsgesetz die Träger zur Angleichung ihrer stationären Einrichtungen an diese neuen höheren Anforderungen. Deren Einhaltung hat der Betreiber der Einrichtung sicherzustellen.
85
Die zuständigen Behörden überwachen zur Sicherung dieser Qualitätsanforderungen gemäß Art. 11 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG die stationären Einrichtungen und haben bei vorhandenen Mängeln aufzuklären, zu beraten und Anordnungen zu erlassen (vgl. Art. 11 bis Art. 15 PfleWoqG), die bis zu einer Betriebsuntersagung gehen können.
86
Zur Angleichung der stationären Einrichtungen an die neuen baulichen Mindestanforderungen räumt § 10 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG allen Trägern eine Angleichungsfrist mit der Dauer von fünf Jahren ein. Auf Antrag kann die zuständige Behörde nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG längere angemessene Fristen zur Angleichung an die einzelnen Anforderungen einräumen. Dieser Antrag kann gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 AVPfleWoqG frühestens ein Jahr vor Ablauf der Fünf-Jahres-Frist eingereicht werden, um sicherzustellen, dass der Träger über einen längeren Überlegungszeitraum eine zukunftsgerechte Planung anstellt (vgl. Begründung zur AVPlfeWoqG S. 17).
87
Ist es dagegen einer stationären Einrichtung technisch oder aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen unzumutbar, die baulichen Mindestanforderungen zu erfüllen, kann der Träger bei der zuständigen Behörde nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG die Erteilung einer Befreiung hiervon beantragen. Die Behörde prüft dann für den jeweiligen Einzelfall, ob auf den Befreiungstatbestand zurückgegriffen werden kann (vgl. Begründung zur AVPlfeWoqG a.a.O.).
88
Ganz ausnahmsweise kann im Einzelfall von den baulichen Mindestanforderungen entsprechend dem verfolgten fachlichen Konzept und mit Zustimmung der zuständigen Behörde gemäß § 50 Abs. 4 AVPfleWoqG abgewichen werden, sofern es die sich aus der Art und Schwere der Behinderung ergebenden besonderen Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung erlauben.
89
Dass eine Entscheidung nach § 50 Abs. 1, 4 AVPfleWoqG und § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG nur zusammen erfolgen könnte, ist für das Gericht nicht erkennbar. So sind diesbezügliche Anhaltspunkte weder in der Begründung der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz noch im Wortlaut der Verordnung zu erkennen.
90
Dabei ist zu beachten, dass eine Befreiung beziehungsweise eine Abweichung nach § 50 Abs. 1, 4 AVPfleWoqG den Träger dauerhaft von der Einhaltung dieser baulichen Mindestvoraussetzungen entbindet, wohingegen bei einer Verlängerung der Angleichungsfrist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG am Ende dieser verlängerten Angleichungsfrist die jeweiligen baulichen Mindestanforderungen erreicht werden müssen. Die Verlängerung der Angleichungsfrist darf damit im Ergebnis nicht einer befristeten Befreiung von der Einhaltung der baulichen Mindestanforderungen für den Träger gleichkommen und einen Weiterbetrieb unter gleichbleibenden Bedingungen gewährleisten. Sie hat vielmehr die Aufgabe, dem Träger das Erfüllen der baulichen Mindestanforderungen – gegebenenfalls auch gestaffelt in einzelne Bauabschnitte – zu ermöglichen. Im Umkehrschluss darf eine Verlängerung der Angleichungsfrist gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG nur dann erfolgen, wenn der jeweilige Träger am Ende der verlängerten Angleichungsfrist nach der Prognose der zuständigen Behörde die baulichen Mindestanforderungen erreichen wird.
91
Die Vorlage eines hinreichend konkreten Zeitplanes beziehungsweise Konzepts zur Angleichung, aus dem sich ergibt, welche Maßnahmen der Träger zur Angleichung innerhalb welcher Frist durchführen will, ist dabei nach der Überzeugung des Gerichts Tatbestandsvoraussetzung für eine Verlängerung der Angleichungsfrist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG (VG Augsburg, U.v. 23.11.2021 – Au 3 K 18.896 – BeckRS 2021, 40100 Rn. 32; Burmeister/ Gaßner/ Melzer/ Müller, Bayerisches Pflege- und Wohnqualitätsgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2015, § 10 AVPfleWoqG Rn. 1).
92
Dies ergibt sich für das Gericht zunächst aus der Formulierung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG, wonach die Fristen „zur Angleichung“ verlängert werden können. Andernfalls diente die Fristverlängerung nicht „zur Angleichung“, sondern zum befristeten Weiterbetrieb unter Aufrechterhaltung beziehungsweise Duldung der bestehenden Verhältnisse. Auch aus der Überschrift von § 10 AVPfleWoqG „Fristen zur Angleichung“ geht zur Überzeugung des Gerichts zweifelsfrei hervor, dass sich die Absicht des Trägers, die baulichen Mindeststandards nach Ablauf der verlängerten Frist erreichen zu wollen, erkennbar hinreichend verfestigt haben muss.
93
Sofern der Klägerbevollmächtigte im Rahmen der mündlichen Verhandlung einwendet, dass sich diese Rechtsauffassung lediglich aus der grammatikalischen Auslegung der Norm ergibt und sonst keine rechtliche Stütze findet, ist festzustellen, dass es auch die Begründung zur Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz voraussetzt, dass der Träger eine zukunftsgerechte Planung über die Angleichung seiner stationären Einrichtung anstellt und auf dieser Basis seine Anträge nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG oder §§ 50 Abs. 1, 4 AVPfleWoqG stellt. Dies wird besonders daran deutlich, dass der Verordnungsgeber nach der Begründung zur Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz für alle Träger ausnahmslos und ohne Rücksicht auf die baulichen Begebenheiten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG pauschal eine Angleichungsfrist von fünf Jahren vorgesehen hat und im Anschluss daran Fristverlängerungen über § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG ermöglicht (vgl. Begründung zur AVPfleWoqG S. 17). Schließlich umfassen Handlungen „zur Angleichung“ auch entsprechende Planungen und die Erstellung entsprechender Konzepte, da gerade bei größerem Veränderungsbedarf eine solche Angleichung kaum möglich wäre.
94
Überdies würde es dem Normtelos von § 10 AVPfleWoqG beziehungsweise dem der Ausführungsverordnung insgesamt zuwiderlaufen, die Angleichungsfrist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG zu verlängern, ohne dass sichergestellt wäre, dass am Ende dieser Frist die baulichen Mindestanforderungen erreicht werden. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um Heimbewohnerschutzrecht, das den Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Einrichtungen ein menschenwürdiges Wohnen gewährleisten und ihnen ein weitgehend selbständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen soll. Es soll darüber hinaus die Partizipation der Bewohnerinnen und Bewohner stärken und deren Interessen schützen (vgl. Begründung zur AVPfleWoqG S. 1, 6, 46). Eine Verlängerung der Angleichungsfrist ohne entsprechendes Konzept zur Angleichung an die einzelnen Voraussetzungen, das heißt eine Verlängerung der Angleichungsfrist ins „Blaue hinein“, würde daher den Schutzzweck der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz aushöhlen und konterkarieren. Erst recht spricht für die Vorlage eines Konzepts bzw. eines Zeitplans zur Angleichung an die einzelnen baulichen Mindestanforderungen als Tatbestandsmerkmal im Rahmen des § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG, dass andernfalls nicht gewährleistet wäre, dass die Angleichung an die einzelnen baulichen Mindestanforderungen überhaupt möglich ist.
95
Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist festzustellen, dass der Kläger bis zum Ende der mündlichen Verhandlung am 24. November 2022 kein entsprechendes Konzept zur Angleichung an die einzelnen baulichen Mindestvoraussetzungen vorgelegt hat. Zunächst beschränkten sich die Antragsunterlagen vom 29. August 2016 auf die Darlegung, wieso eine Angleichung an die jeweiligen baulichen Mindestanforderungen gerade nicht möglich sein soll. Für den Beklagten war daher nicht ersichtlich, wie dem Kläger die Angleichung an die einzelnen baulichen Mindestanforderungen gelingen wollte. Entsprechendes gilt für das klägerische Schreiben vom 14. Juni 2021, wonach die Umsetzung der baulichen Mindestanforderungen nach klägerischer Auffassung „in Anbetracht menschlicher, planerischer, finanzieller und organisatorischer Sicht nicht möglich“ ist. Die in diesem Zuge vorgelegte Kostenschätzung für einen Umbau und Sanierung des Wohnheims A beinhaltet keinen Zeitplan oder ein entsprechendes Konzept zur Angleichung, sondern beschränkt sich auf pauschalierte Berechnungen ohne Zeithorizont. Das klägerische Schreiben vom 7. September 2021 führt ebenfalls aus, dass „die erforderlichen baulichen Anpassungsmaßnahmen (Umwandlung Zimmer in Sanitärräume und Einzelzimmerquote) wirtschaftlich nicht umsetzbar sind“. Auch soll die Verlängerung der einzelnen Angleichungsfristen unter Bezugnahme auf die Protokolle der Beteiligten über das Gespräch vom 6. Oktober 2021 zur „gemeinsamen Erstellung eines Konzepts“ erfolgen (vgl. Protokoll des Geschäftsführers des Klägers vom 20. Oktober 2021). Nach dem Protokoll des Beklagten vom 6. Oktober 2021 wurden die Bescheide nach § 50 AVPfleWoqG zurückgestellt, „bis ein entsprechendes Konzept und Planunterlagen von der Lebenshilfe vorgelegt werden“. Nach alledem hat der Kläger bis zur Entscheidung über seinen Antrag vom 29. August 2016 zur Überzeugung des Gerichts keine entsprechenden Planungs- oder Konzeptunterlagen vorgelegt. Dies hat der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt. Nach den Worten des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2022 versuche man gerade in ganz Unterfranken, ein gemeinsames Konzept zu schaffen. Aus alledem ergibt sich, dass der Kläger bislang kein entsprechendes Konzept und keinen hinreichend konkreten Zeitplan vorgelegt hat, wie die Angleichung an die baulichen Mindestanforderungen der §§ 1 Abs. 2, 2 bis 9 AVPfleWoqG – losgelöst von der Frage nach der Länge der zu verlängernden Fristen – überhaupt erfolgen soll. Erst recht ist mangels vorgelegter geeigneter Unterlagen nicht ersichtlich, warum die pauschal für alle anzugleichenden Punkte beantragte maximale Verlängerung der Angleichungsfristen bzw. die hier im Streit stehende Verlängerung der Angleichungsfristen über den 31. Dezember 2034 hinaus bis zum 31. August 2036 für die Angleichung an die gesetzlichen Vorgaben förderlich sein soll.
96
In der Folge kommt es auf die vom Kläger geltend gemachten Ermessensfehler des Beklagten nicht mehr an, da mangels eines hinreichend substantiierten Antrags bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG nicht erfüllt sind und das behördliche Ermessen damit nicht eröffnet worden ist.
97
Sofern der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vorträgt, dass der Beklagte niemals ein solches Konzept verlangt habe, ist festzustellen, dass der Beklagte mit Schreiben vom 16. August 2012 auf die Möglichkeit der Beantragung von Verlängerungen der Angleichungsfristen hingewiesen hat. Diesem Antrag sollte nach den Worten des Beklagten ein ausführliches Konzept beigelegt werden, woraus hervorgeht, welche erforderlichen Veränderungen bereits bis zum 31. August 2016 umgesetzt wurden beziehungsweise werden und in welchem konkreten Zeitplan die restliche Umsetzung vorgesehen ist. Der Kläger wurde daher frühzeitig über die Möglichkeit der Beantragung der Verlängerung der Angleichungsfristen unter Vorlage eines entsprechenden Konzepts informiert.
98
Selbst wenn man der Auffassung des Klägerbevollmächtigten entgegen den vorherigen Ausführungen folgen wollte und das Vorliegen eines Konzepts zur Angleichung an die baulichen Mindestanforderungen lediglich im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigen müsste, vermag dies die geltend gemachten klägerischen Ansprüche nicht zu begründen.
99
Zunächst ist festzustellen, dass nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG die Verlängerung der jeweiligen Angleichungsfrist im Ermessen der zuständigen Behörde steht. Durch die Einräumung von Ermessensspielräumen will der Gesetzgeber den Behörden mehrere Entscheidungsvarianten ermöglichen, wenn der Tatbestand verwirklicht ist. Eine danach getroffene Entscheidung ist grundsätzlich inhaltlich nicht dahingehend überprüfbar, ob es die einzig richtige Entscheidung war. Sie ist gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern überprüfbar.
100
Die geltend gemachten Ansprüche können daher nur im Falle einer Ermessensreduktion auf Null begründet werden. Trotz der rechtlich gegebenen Ermessensfreiheit der Behörde kann im Einzelfall praktisch nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung in Betracht kommen. Das ist der Fall, wenn nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunkts gewählt werden könnten. Diese Verdichtung der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten auf eine einzige Handlungsmöglichkeit ist daher nur aufgrund besonderer Umstände im Ausnahmefall möglich. Sie darf nur zurückhaltend und in engen Ausnahmefällen angenommen werden, um einen Übergriff der Gerichte in den Bereich der Verwaltung zu vermeiden. Die praktische Alternativlosigkeit muss daher offensichtlich sein (Amadeus/Wolff in Sodan, Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 128 m.w.N.; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 32 m.w.N.).
101
Ebenfalls ergibt sich aus § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG, dass diese Ermessensreduktion für jede im Einzelnen begehrte Verlängerung der Angleichungsfrist für sich gesondert zu prüfen ist. So stellt § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG nach seinem Wortlaut auf die einzelnen Anforderungen ab, an die eine Angleichung erfolgen soll.
102
Im vorliegenden Fall ist ein besonderer atypischer Charakter der vorliegenden Fallgestaltung für das Gericht bezogen auf die im Einzelnen begehrten Verlängerungen der Angleichungsfristen weder substantiiert vorgetragen worden noch sonst für das Gericht ersichtlich.
103
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist dabei § 10 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG. Danach wird den betreffenden Einrichtungen grundsätzlich eine Angleichungsfrist von fünf Jahren gewährt. Der Verordnungsgeber ging daher bereits bei der Schaffung der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz davon aus, dass die neuen Mindestanforderungen aus §§ 1 Abs. 2, 2 bis 9 AVPfleWoqG alle stationären Einrichtungen vor entsprechende Herausforderungen bei der Umsetzung stellen werden. Um dem gerecht zu werden, hat der Verordnungsgeber für die ersten fünf Jahre die Interessen der Heimbewohnerinnen und -bewohner zurückgestellt, um dem jeweiligen Träger über einen längeren Überlegungszeitraum eine zukunftsgerechte Planung zu ermöglichen (vgl. Begründung zur AVPfleWoqG S. 17). Nach Ablauf dieser Frist sind nach dem Willen des Verordnungsgebers die baulichen Mindestvoraussetzungen grundsätzlich zu erfüllen. Andernfalls hat der Träger die Möglichkeit, einzelne Verlängerungen der Angleichungsfristen nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG zu beantragen oder aber Befreiungen nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG, Abweichungen nach § 50 Abs. 4 AVPfleWoqG. Ansonsten muss der Träger – wie bereits dargelegt – ordnungsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Heimschließung befürchten.
104
Daraus ergibt sich, dass allgemeine Schwierigkeiten, die die stationären Einrichtungen bei der Umsetzung der neuen baulichen Mindestvoraussetzungen haben, keinen atypischen Fall darstellen. Nach der Ratio des § 10 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG haben diese Schwierigkeiten alle betroffenen Einrichtungen, sodass diesen mit der grundsätzlichen Verlängerung der Angleichungsfrist auf fünf Jahre begegnet worden ist.
105
Im Übrigen gilt es zu beachten, dass die Verpflichtung zur Angleichung an die neuen baulichen Mindestvoraussetzungen dem Kläger bereits im Jahr 2012 frühzeitig bekannt gemacht worden ist. Dass der Kläger bis zur Antragstellung am 29. August 2016 keine entsprechenden Planungen zur Angleichung angestellt hat, vermag ebenfalls keine besondere, außergewöhnliche Fallgestaltung zu begründen.
106
Die durch den Beklagten erfolgte Verzögerung bei der Bearbeitung des klägerischen Antrags wird wohl im Rahmen der Ermessensausübung des Beklagten zu beachten sein. Eine praktische Alternativlosigkeit dahingehend, dass alle Angleichungsfristen allein deswegen pauschal und maximal zu verlängern sind, ergibt sich daraus auch nicht.
107
Darüber hinaus und unabhängig davon ergibt sich aus der Zusammenschau von § 10 AVPfleWoqG und § 50 AVPfleWoqG, dass finanzielle Aspekte niemals die Verlängerung der Angleichungsfrist bedingen können, da § 10 AVPfleWoqG nach der Begründung zur Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz nur auf die Möglichkeit der Angleichung und im Gegensatz zu § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG nicht auf deren wirtschaftliche Zumutbarkeit abstellt (vgl. Begründung zur AVPfleWoqG S. 17).
108
Damit vermag auch der – ohnehin nicht hinreichend konkrete – Vortrag zu den potentiellen finanziellen Belastungen des Klägers durch nötige Umbaumaßnahmen, den Wegfall von Fördergeldern durch die Verringerung von Bewohnerplätzen sowie Preissteigerungen durch die Inflation, Energiekosten und Materialmangel keinen atypischen Fall begründen.
109
Überdies treffen die vorgenannten Umstände sowie Unwägbarkeiten durch lange Krisen, die Corona-Pandemie und den Ukrainekonflikt alle Träger gleichermaßen.
110
Der Bezug auf die Nahverkehrsplanung des Landkreises H. seitens des Klägerbevollmächtigten ist in diesem Zusammenhang für das Gericht indes gänzlich fernliegend. Einerseits erfolgte dieser Bezug pauschal und ohne nähere Begründung und andererseits hat die Nahverkehrsplanung des Landkreises H. einen anderen Regelungsgegenstand. Überdies ist es für das Gericht nicht erkennbar, wie Erwägungen in Bezug auf den Nahverkehr eines Landkreises für die Frage, ob und gegebenenfalls wie lange die Frist zur Angleichung an einzelne bauliche Mindestvoraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG verlängert werden sollen, relevant sein könnten.
111
Selbst wenn man die vorigen Ausführungen außer Acht lassen wollte, verkennt der pauschale klägerische Vortrag, dass sich die einzelnen Angleichungen an die baulichen Mindestanforderungen in Bezug auf die technische Realisierbarkeit und den baulichen Aufwand deutlich unterscheiden. Während der Austausch beziehungsweise das Anbringen von Handläufen recht unproblematisch zu realisieren sein dürfte, erfordert das Vergrößern von bestehenden Bewohnerzimmern oder der Einbau eines Aufzugs in das zweite Obergeschoss des Wohnheims A erhebliche bauliche Eingriffe. Auch daran gemessen ist der klägerische Vortrag zu undifferenziert und damit nicht substantiiert, da er unterschiedslos mit den identischen Argumenten die maximale Verlängerung der Angleichungsfrist beantragt.
112
In diesem Kontext ist ebenfalls festzustellen, dass der Beklagte weder im Gespräch vom 6. Oktober 2021 und auch sonst zu keinem anderen Zeitpunkt im Verfahren einen Vertrauenstatbestand zugunsten des Klägers geschaffen hat. Insbesondere bestand keine Hinweispflicht des Beklagten an den Kläger, dass alle Angleichungsfristen nicht auf die maximal mögliche Frist verlängert werden. Dies ergibt sich bereits aus § 10 Abs. 1 Satz 4 AVPfleWoqG, wonach die Angleichungsfrist spätestens 25 Jahre nach Inkrafttreten der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz endet.
113
Auch hat der Kläger eine diesbezügliche Verwaltungspraxis des Beklagten nicht substantiiert vorgetragen. Insbesondere geht aus den bei den Akten befindlichen Gesprächsprotokollen keine solche hervor.
114
Allenfalls könnten die Orientierungshilfen des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege eine Selbstbindung der Verwaltung begründen. Danach könnte die Angleichungsfrist ohnehin nur bis ins Jahr 2031 verlängert werden. Dies ist jedoch nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.
115
Dass hingegen der Beklagte durch seine Äußerungen am 6. Oktober 2021 gegenüber dem Kläger eine solche Selbstbindung oder Verwaltungspraxis dahingehend begründet haben könnte, dass er für jede einzelne notwendige Angleichung eine Fristverlängerung auf den 31. August 2036 erhält, ist für das Gericht nicht einmal im Ansatz ersichtlich.
116
Dessen ungeachtet führt das – nach den obigen Ausführungen – fehlende Konzept zur Angleichung an die baulichen Mindestanforderungen nach §§ 1 Abs. 2, 2 bis 9 AVPfleWoqG vielmehr zu einer Ermessensreduktion auf Null in die andere Richtung, so dass die Ablehnung der Anträge zur Verlängerung der Angleichungsfristen vom 29. August 2016 praktisch alternativlos ist. Dies deshalb, da mangels Konzept für den Beklagten als zuständige Behörde nicht erkennbar ist, ob und wie dem Träger bis zum Ende der jeweils beantragten Fristen eine Angleichung an die jeweiligen baulichen Mindestvoraussetzungen gelingen kann. Da die Angleichung an die neuen baulichen Mindestvoraussetzungen allerdings gewährleistet sein muss, um die Selbstbestimmung und Partizipation der Heimbewohnerinnen und -bewohner zu schützen, können in diesem Fall die Anträge des Klägers nur abgelehnt werden. Ein befristetes Aufrechterhalten des bestehenden Zustandes stünde im direkten Widerspruch zum Sinn und Zweck der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz und des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes und würde den Schutz der Heimbewohnerinnen und -bewohner in zulässiger Weise konterkarieren.
117
Nach alledem stehen dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche aus § 10 Abs. 1 Satz 2 APfleWoqG nicht zu, sodass die Klage im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO unbegründet ist.
118
Für eine Verpflichtung des Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Anträge des Klägers vom 29. August 2016 im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu entscheiden, bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte. Zwar hat der Kläger keinen gesonderten Bescheidungsantrag gestellt, allerdings ist dieser als Minus in seinem Verpflichtungsantrag immer enthalten (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 51 m.w.N.).
119
In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2021 rechtswidrig ist. Dies insbesondere deshalb, weil er unter Bezugnahme auf die vorherigen Ausführungen alle Angleichungsfristen bis zum 31. August 2034 verlängert, obwohl das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend reduziert ist, dass die Ablehnung seiner Anträge vom 29. August 2016 die einzig rechtmäßige Entscheidung war.
120
Ob der Bescheid im Übrigen Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO aufweist, kann daher dahinstehen.
121
Allerdings verletzt der Bescheid vom 21. Oktober 2021 den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten, da die ausgesprochenen Verlängerungen der Angleichungsfristen unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen deutlich länger, nämlich bis zum 31. Dezember 2034, ausgefallen sind, als dies überhaupt möglich gewesen wäre. Da der Kläger dadurch bereits mehr erhalten hat, als materiell-rechtlich zulässig gewesen wäre, ergibt sich keine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte des Beklagten.
122
Nach alledem hat der Kläger in Bezug auf den Bescheid vom 21. Oktober 2021 keinen Aufhebungsanspruch, sodass auch der Bescheidungsantrag nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO erfolglos bleibt.
123
Aus all diesen Gründen ist die Klage insgesamt unbegründet und daher abzuweisen.
124
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.