Titel:
Obdachlosenrecht, Anspruch auf Obdachlosenunterbringung, keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes
Normenketten:
VwGO § 123
LStVG Art. 6
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
Schlagworte:
Obdachlosenrecht, Anspruch auf Obdachlosenunterbringung, keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45223
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt im Rahmen der Obdachlosenfürsorge die vorläufige Einweisung in eine angemessene gemeindliche Notunterkunft.
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Der Antragsteller lebt in dem von der Antragsgegnerin angemietetem Anwesen B … … in … R … Die Antragsgegnerin führt gegen den Antragsteller vor dem Amtsgericht G … ein Räumungsverfahren (Az.: C 14 C 401/22).
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2. Der Antragsteller stellte im Rahmen des vom Sozialgericht Würzburg durch Beschluss vom 17. Oktober 2022 an das Verwaltungsgericht Würzburg verwiesenen Rechtsstreits sinngemäß den Antrag,
die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, den Antragsteller zur Abwendung einer ihm drohenden Obdachlosigkeit in das Anwesen B … … in … R … einzuweisen.
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Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, ihm sei seitens der Antragsgegnerin am 13. Juli 2022 das seit Mai 2012 bestehende Mietverhältnis aufgrund von Mietrückständen fristlos gekündigt und eine Obdachlosenunterbringung verweigert worden. Im Ortsgebiet der Antragsgegnerin wolle man ihn – den Antragsteller – nicht haben. Er könne aber die Einweisung in die bisherige Mietswohnung verlangen bis er eine neue Unterkunft gefunden habe.
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3. Die Antragsgegnerin beantragte über ihren Bevollmächtigten, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Antrag nach § 123 VwGO sei abzulehnen, da weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden seien. Gegen den Antragsteller sei ein Räumungsverfahren wegen Zahlungsverzugs anhängig. Der Antragsgegnerin sei ihre Unterbringungsverpflichtung bekannt und diese werde entsprechend erfolgen.
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4. Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
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1. Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO wegen Zuweisung des Antragstellers in eine den Anforderungen des Obdachlosenrechts genügende Obdachlosenunterkunft. Ein entsprechendes Begehren lässt sich den Schriftsätzen des Antragstellers vom 23. März 2022 und vom 17. September 2022 entnehmen. Dass das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Würzburg nach der Verweisung durch das Sozialgericht Würzburg entsprechend weitergeführt wird, hat das Gericht dem Antragsteller mit Schreiben vom 30. November 2022 mitgeteilt; hiergegen hat der Antragsteller auch keine Einwände erhoben.
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2. Der in diesem Sinne als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verstehende Antrag ist bereits unzulässig.
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Dem Antragsteller ist das Rechtschutzbedürfnis abzusprechen, da die Antragsgegnerin ihre Unterbringungsverpflichtung im Fall der Obdachlosigkeit des Antragstellers überhaupt nicht in Abrede gestellt, sondern vielmehr ausdrücklich anerkannt hat (vgl. Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 19.12.2022). Damit steht dem Antragsteller – bei Eintritt der Obdachlosigkeit – mit der Beantragung der Unterbringung im Rahmen der Obdachlosenfürsorge ein einfacherer Weg zur Verfügung, um sein Rechtschutzziel zu erreichen.
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3. Der Antrag ist zudem unbegründet.
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Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat demnach sowohl die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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3.1. Ausgehend davon fehlt es nach summarischer Prüfung an einem glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch, weil dem Antragsteller keine Obdachlosigkeit droht.
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Gemäß Art. 57 Abs. 1 GO, Art. 6 LStVG obliegt es den Gemeinden als Pflichtaufgabe im eigenen Wirkungskreis, Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verhindern bzw. zu beseitigen. Der Zustand der (drohenden) Obdachlosigkeit ist als eine Störung der öffentlichen Ordnung bzw. im Hinblick auf die damit u.U. verbundene Gefährdung von Gesundheit und Leben des Obdachlosen als eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit anzusehen. Im Rahmen von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, 8 LStVG hat die zuständige Sicherheitsbehörde die (drohende) Obdachlosigkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu beseitigen.
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Obdachlos im Sinne des Sicherheitsrechts ist derjenige, der ohne eine Unterkunft ist, d. h. wer über keine Wohnmöglichkeit verfügt, die ausreichend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt (BayVGH, B.v. 26.4.1993 – 21 B 91.1461 – BayVBl 1993 S. 569). Obdachlos ist allerdings nur, wer auch unter Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Eigenmaßnahmen keine auch nur vorübergehende Unterkunft hat bzw. diese nicht halten kann (vgl. VG München, B.v. 25.8.2003 – M 22 E 03.3476 und v. 1.10.2003 – M 22 E 03.4292 – beide juris). Der Antragsteller, der aktuell in dem Anwesen B … …, … R … wohnt, hat eine entsprechende Notlage nicht glaubhaft gemacht. Das zivilrechtliche Räumungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Antragsgegnerin hat zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, dass sie sich verweigern würde, den Antragsteller auch im Fall einer wirksamen Kündigung des bestehenden Wohnmietverhältnisses bzw. einer gerichtlichen Durchsetzung des Räumungsanspruchs anschließend im Rahmen der Obdachlosenfürsorge unterzubringen. Unter diesen Gegebenheiten kann – jedenfalls aktuell – von einer drohenden, unfreiwilligen Obdachlosigkeit des Antragstellers nicht ausgegangen werden. Der Antragsteller hat deshalb nach Aktenlage keinen Anspruch glaubhaft gemacht, wonach die Antragsgegnerin bereits zum jetzigen Zeitpunkt ihm im Rahmen der Obdachlosenfürsorge eine Unterkunft zuzuweisen hat.
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3.2. Darüber hinaus hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
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Es sind keinerlei Anhaltspunkte aufgezeigt worden oder anderweitig ersichtlich, aus denen sich die Notwendigkeit der vorläufigen Maßnahme im Sinne eines Anordnungsgrundes ergibt. Vielmehr ist – wie vorerwähnt – davon auszugehen, dem Antragsteller eine angemessene Unterbringungsmöglichkeit zur Verfügung steht bzw. auch im Fall einer bevorstehenden Kündigung des Wohnmietverhältnisses von der Antragsgegnerin notfalls zur Verfügung gestellt werden wird. Dem entsprechend kann mangels Obdachlosigkeit im sicherheitsrechtlichen Sinne auch nicht von einer Dringlichkeit der begehrten gefahrenabwehrenden Maßnahme ausgegangen werden.
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3.3. Im Ergebnis war der Antrag des Antragstellers nach § 123 VwGO abzulehnen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 63 Abs. 2 GKG (Auffangstreitwert 5.000,00 EUR, Halbierung im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz).