Titel:
Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 1 SGB VII bei Betätigung des Signalhorns eines Feuerwehrfahrzeugs
Normenketten:
SGB VII § 8 Abs. 1 S. 1, § 104, § 105 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die für den Haftungsausschluss für Personenschäden bei Verletzung eines Arbeitskollegen nach § 105 Abs. 1 SGB VII erforderliche betriebliche Tätigkeit setzt voraus, dass der Schädiger bei objektiver Betrachtungsweise aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handeln durfte, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch ist und keinen Exzess darstellt (Anschluss an BAG BeckRS 2004, 41163 Rn. 24 ff.). (Rn. 27 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für ein vorsätzliches Verhalten iSv § 105 Abs. 1 SGB VII genügt es nicht, dass sich der Vorsatz nur auf die Verletzungshandlung bezieht, sondern dieser muss sich auch auf den Verletzungserfolg, den Personenschaden, erstrecken (Anschluss an BAG BeckRS 2002, 30287239). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unfallversicherung, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Arbeitsunfall, Haftungsprivileg, doppelter Vorsatz, Verletzungshandlung, Verletzungserfolg, betriebliche Tätigkeit
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 20.12.2022 – 7 Sa 243/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 45132
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird auf 22.872,77 Euro festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach Betätigung des Signalhorns eines Feuerwehrfahrzeugs durch den Beklagten.
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Der Kläger und der Beklagte sind Beschäftigte der US-Streitkräfte in der Feuerwache der Kaserne in A-Stadt/K.
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Am 14.08.2018 steuerte der Beklagte ein Feuerwehrfahrzeug auf dem Gelände der Feuerwache und fuhr im Rahmen eines Wendemanövers bis auf ca. vier Meter an den Kläger heran, welcher mit dem Rücken zum Feuerwehrfahrzeug stand. Sodann betätigte der Beklagte kurz das sog. Lufthorn des Fahrzeugs. Ausweislich einer Nachstellung des Vorgangs durch das Public Health Department der US-Streitkräfte erreicht das Lufthorn bei einem Abstand von vier Metern und einer Betätigung von weniger als einer Sekunde Spitzenwerte zwischen 137 und 140 dB. Auf den Inhalt des Unfalluntersuchungsberichts der Unfallversicherung ... und ... vom 23.07.2019 wird Bezug genommen (Anlage K1, Bl. 7 ff. d.A.). Neben dem Lufthorn verfügt das Fahrzeug über eine Hupe, welche jedoch nicht alleine betätigt werden kann, sondern gleichzeitig das Lufthorn auslöst.
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In der Folge begab sich der Kläger in Behandlung bei verschiedenen Ärzten. Die durch den Kläger eingeholten Atteste, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Anlagen K2 und K3, Bl. 22 ff. d.A.), stellen unter anderem die Diagnosen Knalltrauma, Tinnitus, Hypertonus und Hörminderung fest. Ein Gutachten des Klinikums E-Stadt vom 12.08.2019 attestiert unter anderem, dass die Zunahme einer Innenohrschwerhörigkeit und ein Tinnitus auf den Vorfall vom 14.08.2018 zurückzuführen seien, zudem liege eine bereits am 05.04.2017 festgestellte Vorschädigung in Form einer Hochtonsenke vor (Anlage K4, Bl. 26 ff. d.A.). Nach dem Vorfall war der Kläger für mehr als 18 Monate arbeitsunfähig erkrankt; außerdem wurde ihm mit Bescheid vom 03.01.2019 ein Grad der Behinderung von 30 zuerkannt (Anlage K5, Bl. 44 d.A.).
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Mit seiner Klage vom 30.12.2021, am selben Tag elektronisch beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangen, macht der Kläger Schmerzensgeld, Feststellung einer Ersatzpflichtigkeit von Folgeschäden sowie die Erstattung vorgerichtlicher Kosten geltend.
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Er trägt vor, er habe sich durch den Vorfall vom 14.08.2018 die diagnostizierten Gesundheitsschädigungen zugezogen, an welchen er bis heute leide und durch welche er in seiner Lebensführung beeinträchtigt sei, unter anderem in Form von Schlafstörungen. Es sei ihm schon unmittelbar nach dem Vorfall schlecht gegangen, weshalb er sich zum Arzt begeben habe. Insbesondere ein Tinnitus stehe entgegen der Auffassung des Beklagten auch einer normalen Kommunikation unmittelbar nach dem Vorfall nicht entgegen.
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Das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII greife vorliegend nicht ein. Zum einen habe der Beklagte jedenfalls bedingt vorsätzlich gehandelt, als er das Lufthorn für ca. eine Sekunde betätigt habe. Dieser habe gewusst, dass er, der Kläger, keinen Gehörschutz getragen habe, obwohl dieser ausweislich der Dienstvorschriften bei der Überprüfung der Lufthornanlage getragen werden müsse. Umgekehrt gebe es gerade keine Dienstvorschrift, die eine Betätigung des Lufthorns beim Rangieren vorsehe. Gem. §§ 35, 38 StVO sei der Einsatz des Martinshorns nur für bestimmte Fälle zugelassen (Leben retten, Gefahren abwenden, Allgemeinwohl). Somit habe der Beklagte, der als Feuerwehrmann auch gezielt im Einsatz von Warnsignalen geschult sei, einen durch das Lufthorn verursachten Schaden bewusst in Kauf genommen.
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Zum anderen sei schon keine betriebliche Tätigkeit gegeben. Allein aus der Benutzung eines Betriebsmittels könne noch nicht auf eine betriebliche Tätigkeit geschlossen werden. Er vermute, der Beklagte habe ihn durch die Betätigung des Lufthorns erschrecken wollen, also nicht in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit, sondern nur bei Gelegenheit und anlässlich einer solchen gehandelt. Gleiches gelte beispielhaft für einen Polizisten, der ohne Berechtigung einen Warnschuss in die Luft abgebe.
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei der genaue Betrag des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und hierbei von einem Betrag nicht unter 16.800,00 € ausgegangen werden soll.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle Folgeschäden, welche derzeit noch nicht absehbar sind, wie z.B. Vermögenseinbußen aufgrund Arbeitsunfähigkeit, welche auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sind, anzuerkennen, und sämtliche hieraus folgenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
3. Der Beklagte hat überdies die vorgerichtlichen Kosten i.H.v. 1.072,77 € des Klägers zu tragen.
4. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, und trägt hierzu vor, er habe am 14.08.2018 ein dienstliches Fahrzeug zu dienstlichen Zwecken bewegt, womit das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII eingreife. Das Lufthorn habe er nur für einen Sekundenbruchteil betätigt, um in einem engen und schwer einsehbaren Bereich Fußgänger zu warnen, welche das Motorgeräusch des Feuerwehrfahrzeugs angesichts der generell lauten Geräuschkulisse nicht gehört hätten. Es sei haltlos und rufschädigend, ihm insoweit ein schikanöses Handeln zu unterstellen.
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Auf die Einhaltung der Dienstvorschriften komme es im Rahmen des Haftungsprivilegs nicht an, zumal er ohnehin das mildeste Mittel gewählt habe, nachdem die Hupe nur zusammen mit dem Lufthorn ausgelöst habe werden können und somit ein noch lauteres Geräusch entstanden wäre.
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Die geltend gemachten Gehörschädigungen bestreite er im Hinblick auf die Vorschäden des Klägers vorsorglich dem Grunde nach und auch hinsichtlich der Kausalität zum Vorfall vom 14.08.2018, zumal mehrere Kollegen sowohl in der Nähe des Klägers als auch in der Nähe des Fahrzeugs gestanden hätten und keinerlei Beeinträchtigungen erlitten hätten. Gegen das behauptete Schadensereignis spreche auch, dass sich der Kläger unmittelbar nach dem Vorfall in normaler Lautstärke mit Kollegen unterhalten habe und über keinerlei Beschwerden geklagt habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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A. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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I. Die Klage ist zulässig.
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1. Das Arbeitsgericht Nürnberg ist zur Entscheidung über den Rechtsstreit zuständig. Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen folgt aus §§ 2 Abs. 1 Nr. 9, 46, 48 ArbGG. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Nürnberg ergibt sich aus § 48 Abs. 1a ArbGG.
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2. Die Rechtsstreitigkeit unterliegt nach Art. 56 Abs. 8 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 03.08.1959 (ZA-NTS) der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit. Der Kläger und der Beklagte gehören zu dem von Art. 56 Abs. 8 iVm. Abs. 1 ZA-NTS erfassten Personenkreis der zivilen Arbeitskräfte.
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3. Der unbezifferte Schmerzensgeldantrag zu 1. genügt den Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil die tatsächlichen Grundlagen für die nach § 287 ZPO vorzunehmende Schätzung mit der Klage vorgetragen sind und eine Größenordnung angegeben wurde (vgl. BGH 24.09.1991 – VI ZR 60/91).
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4. Auch der auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden gerichtete Klageantrag zu 2. ist zulässig, insbesondere ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben (vgl. BAG 19.08.2004 – 8 AZR 349/03). Der Eintritt eines Schadens durch (Spät-)Folgen einer Gehörschädigung des Klägers erscheint denkbar und möglich.
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II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger weder Anspruch auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz noch die Erstattung vorgerichtlicher Kosten.
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1. Zunächst hat der Kläger gem. § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG keinen Anspruch auf die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten nach dem Klageantrag zu 3.
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2. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld oder Schadensersatz gem. § 823 Abs. 1 BGB. Dem steht der Haftungsausschluss nach § 105 Abs. 1 SGB VII entgegen.
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a) Nach § 105 Abs. 1 SGB VII sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Das Haftungsprivileg des Unternehmers nach § 104 SGB VII gilt damit auch im Verhältnis der Mitarbeiter untereinander. Sinn und Zweck des gesetzlich angeordneten Haftungsausschlusses der §§ 104 ff. SGB VII ist es zum einen, den Arbeitgeber von einer Einstandspflicht nach privatrechtlichen Maßstäben zu befreien und zum anderen, den Betriebsfrieden zu sichern. Die Regelung des § 105 Abs. 1 SGB VII schließt die privatrechtliche Haftung bei durch Arbeitskollegen verursachten Versicherungsfällen für Personenschäden aus, wenn der Unfall weder vorsätzlich noch auf einem nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt worden ist (BAG 28.11.2019 – 8 AZR 35/19 mwN.).
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b) Die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses für diese Personenschäden nach § 105 Abs. 1 SGB VII liegen vor. Der Beklagte hat einen Versicherungsfall bei einem Versicherten desselben Betriebs durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht, wobei die durch den Kläger bestrittenen Gehörschädigungen und deren Kausalität mit der Betätigung des Lufthorns im Urteil als zutreffend unterstellt werden können. Der Versicherungsfall wurde vom Beklagten nicht vorsätzlich herbeigeführt.
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aa) Der Kläger und der Beklagte gehörten im Unfallzeitpunkt am 14.08.2018 als Arbeitskollegen demselben Betrieb an. Der Kläger ist Versicherter in der gesetzlichen Unfallversicherung, wie sich aus dem Unfalluntersuchungsbericht (Anlage K1) ergibt. Er bezog ausweislich der Klage Leistungen aus einem Versicherungsfall.
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bb) Das Schadensereignis vom 14.08.2018 ist durch eine betriebliche Tätigkeit iSd. § 105 Abs. 1 SGB VII verursacht worden.
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(1) Der Begriff der „betrieblichen Tätigkeit“ ist ein objektiver Begriff. Die betriebliche Tätigkeit ist grundsätzlich mit der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII gleichzusetzen. Aus der Zugehörigkeit des Schädigers zum Betrieb und einem Handeln im Betrieb des Arbeitgebers allein kann aber noch nicht auf eine Schadensverursachung durch eine betriebliche Tätigkeit geschlossen werden, denn nicht jede Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers muss zwingend eine betriebsbezogene sein. Ebenso wenig führt bereits die Benutzung eines Betriebsmittels zur Annahme einer betrieblichen Tätigkeit. Entscheidend für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit und das Eingreifen des Haftungsausschlusses iSd. § 105 Abs. 1 SGB VII ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt wurde (BAG 22.04.2004 – 8 AZR 159/03 mwN.).
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Eine betriebliche Tätigkeit in diesem Sinne liegt jedoch nicht nur dann vor, wenn ein Arbeitnehmer eine Aufgabe verrichtet, die in den engeren Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenkreises fällt. Denn der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist nicht eng auszulegen. Er umfasst auch die Tätigkeiten, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen. Die Tätigkeit des Schädigers muss im vorgenannten Sinne betriebsbezogen sein. Die Art, wie die Tätigkeit ausgeführt wird (sachgemäß oder fehlerhaft, vorsichtig oder leichtsinnig), entscheidet nicht darüber, ob es sich um eine betriebliche Tätigkeit handelt oder nicht. Der betriebliche Charakter der Tätigkeit geht nicht dadurch verloren, dass der Arbeitnehmer bei der Ausführung der Tätigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich seine Verhaltenspflichten oder Unfallverhütungsvorschriften verletzt; derartige Verhaltensverstöße liegen zwar nicht im Interesse des Arbeitgebers, dem wird aber durch eine entsprechende Haftung des Arbeitnehmers Rechnung getragen (BAG 22.04.2004 – 8 AZR 159/03, BAG 19.08.2004 – 8 AZR 249/03 mwN.).
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Für die Haftungsfreistellung ist danach maßgeblich, ob der Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit im dargestellten Sinne oder aber bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb durch den Schädiger verursacht wurde und folglich nur dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen ist. Um einen solchen Fall handelt es sich insbesondere, wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten, gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt. Die Betriebsbezogenheit einer Tätigkeit entfällt daher immer, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und der Intention des Schädigers erst gar nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft. Es kommt mithin darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Handlung bestimmt war. Eine betriebliche Tätigkeit liegt vor, wenn der Schädiger bei objektiver Betrachtungsweise aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handeln durfte, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch ist und keinen Exzess darstellt.
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(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze wurde der Vorfall vom 14.08.2018 durch eine betriebliche Tätigkeit des Beklagten verursacht. Der Beklagte hat nach dem unstreitigen Tathergang das schädigende Ereignis in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit und nicht lediglich anlässlich seiner Arbeit im Betrieb im Rahmen einer dem persönlichen Bereich zuzurechnenden Tätigkeit verursacht. Soweit der Ablauf des Vorfalls in Einzelheiten teilweise streitig ist (insbesondere Betätigung des Lufthorns für eine Sekunde oder für einen Sekundenbruchteil), ist dies für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit unerheblich.
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Das Schadensereignis ereignete sich im Betrieb des Arbeitgebers, auf dessen Gelände, während der betriebsüblichen Arbeitszeit beider Parteien. Die schädigende Handlung des Beklagten (die Betätigung des Lufthorns) war entgegen der Auffassung des Klägers auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet und damit betriebsbezogen im vorangestellten Sinne. Sie war auf die Warnung Umstehender vor dem Herannahen eines schweren Fahrzeugs gerichtet, wobei das Fahrzeug unstreitig zu dienstlichen Zwecken bewegt wurde. Ebenso wie das Bewegen des Fahrzeugs an sich dient auch die Warnung von Betriebsangehörigen vor einer denkbaren Kollision den Interessen des Arbeitgebers. Insoweit ist der streitgegenständliche Vorfall gerade nicht mit dem durch den Kläger genannten Beispiel eines durch einen Polizisten anlasslos abgegebenen (Warn-)Schusses zu vergleichen, weil hier mit dem akustischen Hinweis gegenüber umstehenden Kollegen auf eine potentielle Kollisionsgefahr ein betrieblicher Anlass für die Betätigung des Lufthorns bestand. Die schädigende Handlung war mithin sowohl in ihrer Anlage und nach ihrer Intention im Wesentlichen auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet.
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(3) Anhaltspunkte für eine Neckerei oder sonstige schikanöse Handlung ohne betrieblichen Bezug sind nicht erkennbar. Insbesondere konnte der Kläger seine pauschale Behauptung, er gehe von einem „Erschrecken“ durch den Beklagten aus, nicht durch konkrete Tatsachen belegen. Dies wäre jedoch notwendig gewesen, weil der objektive Geschehensablauf durchaus die Annahme trägt, dass mit der Warnung der Kollegen ein zulässiger, betriebsbezogener Beweggrund für die Betätigung des Lufthorns vorlag.
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(4) Schließlich ändert auch die konkrete Wirkung, insbesondere Lautstärke des Lufthorns nichts am Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit. Hierfür ist es nach obigen Grundsätzen unerheblich, inwieweit der Einsatz des Lufthorns von Dienstvorschriften gedeckt oder sonst zulässig war. Im Übrigen bestehen schon keine Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit des Lufthorneinsatzes, nachdem weder weniger laute akustische Hinweismöglichkeiten ersichtlich sind noch Anzeichen dafür, inwieweit ein vorsorglicher Hinweis auf das außerhalb des Sichtfelds des Klägers in seine Richtung bewegte Fahrzeug generell überflüssig gewesen sein sollte.
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cc) Der Haftungsausschluss des § 105 Abs. 1 SGB VII entfällt schließlich entgegen der Ansicht des Klägers nicht wegen eines vorsätzlichen Verhaltens des Beklagten.
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(1) Vorsatz ist das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges. Der Handelnde muss den rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben; der Erfolg muss von dem Handelnden billigend in Kauf genommen worden sein; nicht erforderlich ist, dass der Erfolg gewünscht oder beabsichtigt worden ist. Dabei genügt es nicht, dass sich der Vorsatz nur auf die Verletzungshandlung bezieht, sondern dieser muss sich auch auf den Verletzungserfolg, den Personenschaden, erstrecken (BAG 10.10.2002 – 8 AZR 103/02 mwN.).
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(2) Der Beklagte hat weder das Unfallereignis noch einen Personenschaden des Klägers vorsätzlich herbeigeführt. Anhaltspunkte für einen insoweit allenfalls denkbaren bedingten Vorsatz bestehen nicht. Dass der Beklagte einen Gehörschaden der Umstehenden durch eine höchstens einsekündige Auslösung des Lufthorns zum einen als Möglichkeit erkannt hat, und zum anderen nicht nur im Sinne grober Fahrlässigkeit auf dessen Ausbleiben vertraut hat, sondern im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf nahm, ist nach Auffassung des Gerichts fernliegend. Der Vorfall ereignete sich in einer militärischen Einrichtung, also einer Umgebung mit generell schweren und lauten Gerätschaften, zB. Hubschraubern. Zudem befanden sich im Zeitpunkt der Betätigung des Lufthorns unstreitig mehrere Kollegen in der Nähe des Fahrzeugs. Dies spricht dagegen, dass der Beklagte mit Gehörschäden sämtlicher Umstehender nicht nur rechnete, sondern sich auch bewusst damit abfand. Selbst wenn eine vorsätzliche Missachtung von Unfallvorschriften anzunehmen wäre, würde auch diese nicht die Annahme einer vorsätzlichen Unfallverursachung rechtfertigen (BAG 27.06.1975 – 3 AZR 457/74; BAG 02.03.1989 – 8 AZR 416/87; BAG 10.10.2002 – 8 AZR 103/02).
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B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ZPO, 39 ff. GKG und entspricht dem Wert der streitgegenständlichen Forderungen, hinsichtlich Klageantrag Ziff. 1 in Höhe der geltend gemachten Mindestforderung (vgl. BGH 24.03.2016 – III ZR 52/15 mwN.).
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D. Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung war gemäß § 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG in den Tenor aufzunehmen. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,- Euro übersteigt. Es ist kein Grund ersichtlich, die Berufung darüber hinaus gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG gesondert zuzulassen.