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AG München, Endurteil v. 08.11.2022 – 1294 C 10278/22 WEG
Titel:

Unbestimmtheit eines Eigentümerbeschluss über die Beauftragung von Sanierungsmaßnahmen

Normenkette:
WEG § 23, § 24, § 25
Leitsatz:
Der Beschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft, eine bestimmte Firma "mit dem Fassadenanstrich analog deren auf Grundlage des Leistungsverzeichnisses abgegebenen Angebots zu beauftragen", ist zu unbestimmt, da augenscheinlich nicht auf Grundlage eines Angebotes, sondern "analog" zu einem Angebot eine Beauftragung erfolgen soll und zudem weder ein Datum des Angebots benannt noch der Preis beschlossen und mitgeteilt wurde (Anschluss an LG Frankfurt a.M. BeckRS 2021, 3270 Rn. 8; s. auch BGH BeckRS 2016, 11504). (Rn. 20 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentümerversammlung, Eigentümerbeschluss, Sanierungsmaßnahmen, Bestimmtheit
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Endurteil vom 09.08.2023 – 1 S 16489/22 WEG
Fundstellen:
ZMR 2023, 243
LSK 2022, 44781
BeckRS 2022, 44781

Tenor

I. Der Beschluss zu Top 4 der ETV vom 28.06.2022 wird für ungültig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1
Der Kläger macht mit einer Beschlussanfechtungsklage geltend, dass der Beschluss der ETV vom 28.06.2022 ungültig sei.
2
Der Kläger ist Eigentümer eines Wohnungseigentums im Anwesen der Beklagten mit den laufenden Nr. ... und ... aus dem Ordnungssystem der Verwaltung, lfd. Nummer Teilungserklärung 10 und 11, er verfügt über 41,70/1000 sowie über 150,2/1000 Miteigentumsanteile.
3
Die ..., vertreten durch die Geschäftsführer ...-, hat die Hausverwaltung inne.
4
Mit Ladung vom 17.05.2022 lud die Verwaltung die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft zur Versammlung zum 28.06.2022. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ladung, Anlage K1 verwiesen.
5
In der ETV vom 28.06.2022 wurde unter TOP 4 folgender Beschluss gefasst:
6
Die Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümerinnen beschließen mehrheitlich bei 191,90 / 1000-stel Gegenstimmen und 163,80 /1000-stel Enthaltungen, die mit dem Fassadenanstrich analog deren auf Grundlage des Leistungsverzeichnisses abgegebenen Angebots zu beauftragen. Der Kostenrahmen für die Maßnahme inklusive Kosten der Bauleitung durch wird auf Euro 65.000 festgelegt.
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Die Finanzierung der Arbeiten erfolgt über die Erhebung einer Sonderumlage – verteilt nach Miteigentumsanteilen und fällig zum 01.08.2022 – in Höhe von Euro 65.000.
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen = Mehrheit
Nein-Stimmen 2: 191,90 MEA
Enthaltungen = 163,80 MEA
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Der Kläger macht u.a. geltend, dass der Beschluss zu unbestimmt sei.
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Der Kläger beantragt sinngemäß
wie zuerkannt.
10
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Die Beklagte meint, dass der Beschluss ausreichend bestimmt sei. Sie trägt vor, dass das Wort „analog“ nicht juristisch verstanden werden dürfe, sondern im Sinne von „gemäß“.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteienvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der öffentlichen Sitzung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
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I. Die Klage ist zulässig
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1. Für eine Binnenstreitigkeit, also einen Rechtsstreit, der § 43 Abs. 1 WEG n.F. unterfällt, ist das Gericht örtlich ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück, hier Amtsgericht München. liegt.
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2. Das WEG-Gericht ist sachlich ausschließlich zuständig gem. § 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG n.F. i.V.m. § 23 Nr. 2 Buchstabe c) GVG für Streitigkeiten über Beschlussklagen.
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3. Gemäß § 9b Abs. 1, S. 1 WEG wird die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durch den Verwalter gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Der Verwalter ist unbeschränkt und unbeschränkbar vertretungsberechtigtes Organ der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Auf die Existenz eines legitimierenden Beschlusses kommt es bis auf die Ausnahmen von Grundstückskauf und Darlehensverträgen nicht mehr an (vgl. Lehmann Richter W., WEG-Reform 2020, 1. Aufl., Rd.Nr. 229).
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II. Die Klage ist begründet.
19
1. Der Beschluss zu TOP 4 der ETV vom 28.06.2022 war aus den von der Klagepartei vorgetragenen Beschlussanfechtungsgründen für ungültig zu erklären und entspricht nicht ordnungsmäßiger Verwaltung.
20
Der Beschluss ist zu unbestimmt.
21
Der Beschluss ist zunächst auszulegen. Hinsichtlich der Auslegung von Eintragungen im Grundbuch und der dort in Bezug genommenen Eintragsungsbewilligung, Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung ist bereits entschieden, dass maßgebend dabei der Wortlaut der Eintragung und ihr Sinn ist, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGHZ 121, S. 239; BGHZ 113, S. 374). Entsprechendes muss für die Auslegung von Eigentümerbeschlüssen gelten, die auch für Sondernachfolger gelten sollen. Denn sie wirken auch ohne Eintragung in das Grundbuch wie Grundbucherklärungen für und gegen sie. Es besteht daher wie bei der Gemeinschaftsordnung ein Interesse des Rechtsverkehrs, die durch die Beschlussfassung eingetretenen Rechtswirkungen der Beschlussformulierung entnehmen zu können. Die Beschlüsse sind deshalb “ “aus sich heraus” ” – objektiv und normativ – auszulegen (BayObLG,WE 1987, 14; KG, OLGZ 1981, OLGZ 1981, S. 307). Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind, z.B. weil sie sich aus dem – übrigen – Versammlungsprotokoll ergeben (BGH, Beschluss vom 10. 9. 1998 – V ZB 11- -98 in NJW 1998, 3713). In dem Beschluss kann aber zur Konkretisierung auf Dokumente außerhalb des Protokolls, wie z.B. die Jahresabrechnung verwiesen werden (BGH NZM 2016, 553)
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Der Beschluss ist deshalb zu unbestimmt, da augenscheinlich nicht auf Grundlage eines Angebotes, sondern „analog“ zu einem Angebot eine Beauftragung erfolgen soll. Hinzukommt, dass weder ein Datum des Angebotes, noch der Preis beschlossen und mitgeteilt wurde. Die Bezeichnungen „vorliegendes Angebot“ und „Angebot der Firma“ ermöglichen keine zweifelsfreie Bestimmung der Angebote; sie sind zu unbestimmt. (LG Frankfurt, Urteil vom 25.02.2021, 2-13 S 146/19, ZMR 2021, 515).
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Es wurde auch nicht auf das eigentliche Angebot der Firma mit einem bestimmten Datum in dem angefochtenen Beschluss verwiesen, sondern auf ein Leistungsverzeichnis, in dem das Angebot der Firma aufgespalten wurde in einzelne Sanierungsmaßnahmen, um es mit den anderen Angeboten vergleichbar zu machen. Um so mehr ist das Angebot der Firma für einen etwaigen Rechtsnachfolger nicht identifizierbar.
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Es ist auch nicht ersichtlich, was eine analoge Beauftragung soll. Heißt dies, dass der Betrag gleichbleiben muss, der Inhalt der Beauftragung jedoch variieren kann? Ist genau die gegengleiche Variante gemeint? Die Auslegung der Klagepartei, dass dies synonym mit „gemäß“ gelesen werden kann, ist nur eine mögliche Interpretation, aber nicht die einzig Mögliche. Vielmehr ist es naheliegend, dass nicht das eigentliche Angebot der Firma beauftragt wurde, sondern das was in dem Leistungsverzeichnis niedergelegt wurde. Möglicherweise wurde aber auch die gegenteilige Variante beauftragt. Jedenfalls ist nicht genau bestimmbar, was konkret beauftragt wurde.
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Der Klage war daher stattzugeben. Auf die weiteren Beschlussanfechtungsgründe kam es daher nicht mehr an.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO und die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 I ZPO.
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IV. Der Streitwert war auf 65000,00 € festzusetzen.
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Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 GKG soll die Klage erst nach Zahlung des Gerichtskostenvorschusses zugestellt werden. Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem Streitwert. Die Berechnung des Streitwerts erfolgt in Beschlussklagen nach § 44 Abs. 1 WEG n.F. nach der in § 49 GKG n.F. getroffenen Regelung.
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Danach wird der Streitwert auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festgesetzt. Er darf den siebeneinhalbfachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums nicht überschreiten. Die alte Regelung des § 49a GKG wurde zum 01.12.2020 aufgehoben.
30
Das Interesse aller Wohnungseigentümer orientiert sich bei der Beschlussanfechtung im Zusammenhang mit baulichen Maßnahmen an den voraussichtlich entstehenden Kosten, hier 65000,00 €.
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Dieser Streitwert ist begrenzt durch das 7,5fache klägerische Interesse. Das einfache klägerische Interesse beträgt 191,90/1000stel MEA., also 12473,50 €. Das 7,5 fache klägerische Interesse beträgt 93551,25 € . Dieses wäre aber höher als das Interesse aller Wohnungseigentümer und ist daher nicht heranzuziehen.