Titel:
Einstweiliger Rechtsschutz eines Nachbarn gegen Flussbühne
Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, § 212a
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
WHG § 78 Abs. 5 S. 1
BImSchG § 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei einer Baugenehmigung und einer wasserrechtlichen Genehmigung handelt es sich um zwei eigenständige Genehmigungen, auch wenn beide Genehmigungen in einem Bescheid zusammengefasst wurden. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinreichend bestimmt ist eine Baugenehmigung in objektiv-rechtlicher Hinsicht, wenn die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – eindeutig zu erkennen und deshalb keiner unterschiedlichen Bewertung zugänglich ist. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Lärmimmissionen sind unzumutbar und verletzen das Rücksichtnahmegebot, wenn sie iSd § 3 Abs. 1 BImSchG geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft hervorzurufen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für die Beurteilung zur Zumutbarkeit von Freizeitlärm kann die LAI-Freizeitlärm-Richtlinie als Orientierungshilfe herangezogen werden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Regelung des § 212a Abs. 1 BauGB verschiebt die Gewichte bei der Interessenabwägung zugunsten des Bauherrn. (Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarbeschwerde, Flussbühne, Lärmimmissionen, Bestimmtheit, Interessenabwägung, Rechtsschutzinteresse, Rücksichtnahmegebot, Freizeitlärm, Immissionsrichtwerte
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.03.2023 – 15 CS 23.142
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44721
Tenor
I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine der Beigeladenen vom Landratsamt C. erteilte Baugenehmigung vom 13. September 2022 zur Errichtung einer Flussbühne.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.Nr. …, Gemarkung M… Die Beigeladene beantragte am 9. Mai 2022 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau einer Flussbühne im Regen auf den Grundstücken Fl.Nrn. … und … der Gemarkung R…, Stadt R… Zugleich wurde ein Antrag auf wasserrechtliche Genehmigung für Maßnahmen in Überschwemmungsgebieten sowie für Anlagen in und an bestimmten Gewässern gemäß § 78 Abs. 3 WHG gestellt. Dieser Antrag und die Antragsunterlagen wurden im weiteren Verfahren ergänzt. Der Antrag, der dem Bescheid zugrunde lag, wurde am 6. Juli 2022 letztmalig ergänzt (vgl. Behördenakte Seite 76). Die Beigeladene beabsichtigt demnach, eine Flussbühne mit einer Fläche von 195 m² im Regen bei der Erholungsfläche … (östliches Regenufer) zu errichten. Auf der Flussbühne seien in unregelmäßigen Abständen Veranstaltungen, zum Beispiel Konzerte, Theatervorstellungen, Lesungen und Freiluftgottesdienste mit unter 1000 Teilnehmern vorgesehen. Die Veranstaltungen würden zwischen 6:00 und 22:00 Uhr stattfinden, wobei die Anzahl dieser Veranstaltungen nicht begrenzt sei. Im Laufe des Jahres könne es auf der Flussbühne bis zu maximal 10 Veranstaltungen geben, welche bei höheren Schallimmissionen länger als 22:00 Uhr dauern bzw. vor 6:00 Uhr beginnen.
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Das Bauvorhaben liegt im Landschaftsschutzgebiet „Oberer B W“. In ca. 70 m Entfernung zum geplanten Vorhaben befindet sich südlich eine Wohnbebauung. Das Grundstück des Antragstellers befindet sich westlich des Bauvorhabens auf dem gegenüberliegenden Flussufer. Für den betreffenden Bereich existiert kein Bebauungsplan. Der Flächennutzungsplan der Stadt R…, in der Fassung vom 13. März 2006, kennzeichnet dieses Gebiet als Mischgebiet.
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An dem Verfahren wurden verschiedene Fachstellen beteiligt (Naturschutz und Landschaftspflege, technischer Umweltschutz, Wasserwirtschaftsamt, Fachberatung für Fischerei, Bezirk O.). Die Fachstellen regten die Anordnung von Nebenbestimmungen an. Sie äußerten keine grundsätzlichen Bedenken gegen das Vorhaben.
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Mit Bescheid vom 13. September 2022 erteilte das Landratsamt C. eine baurechtliche Genehmigung sowie eine wasserrechtliche Erlaubnis für das beantragte Vorhaben. Der Bescheid enthält auszugsweise folgende Nebenbestimmungen:
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II.1. Nebenbestimmungen (baurechtlich):
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Die durch die Darbietungen auf der Flussbühne hervorgerufenen Beurteilungspegel dürfen folgende Immissionsrichtwerte am nächst gelegenen Immissionsort keinesfalls überschreiten:
70 dB (A) tags außerhalb der Ruhezeit (8:00 Uhr – 20:00 Uhr)
65 dB (A) tags innerhalb der Ruhezeit (auf 6:00 Uhr – 8:00 Uhr und 20:00 Uhr – 22:00 Uhr)
55 dB (A) nachts (22:00 Uhr – 6:00 Uhr)
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Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen diese Werte am Tage um nicht mehr als 20 dB (A) und in der Nacht um nicht mehr als 10 dB (A) überschreiten.
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IV.7.Inhaltsund Nebenbestimmungen im wasserrechtlichen Verfahren:
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Bauarbeiten, bei welchen es zu einem Eingriff in das Gewässer kommt, dürfen nur im Zeitraum von August bis einschließlich Oktober durchgeführt werden (vgl. Vermeidungsmaßnahme V2 gemäß LBP).
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IX.3.Hinweise (baurechtlich):
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Die beabsichtigte Aufnahme der Nutzung des Bauwerks ist mindestens 2 Wochen vorher anzuzeigen (Art. 78 Abs. 2 BayBO).
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Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2022 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage gegen den Bescheid erhoben (RO 7 K 22.2483) und gleichzeitig einstweiligen Rechtsschutz beantragt (RO 7 S 22.2601). Mit Beschluss vom 14. November 2022 wurden die Klage und der Antrag, soweit sie sich gegen die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis mit Nebenbestimmungen im Bescheid des Landratsamts C. vom 13. September 2022 richten (Nummern 3 und 4), abgetrennt und unter den Aktenzeichen RO 8 K 22.2638 sowie RO 8 S 22.2637 fortgeführt.
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Zur Begründung führt der Antragsteller aus, er sei Anlieger im Sinne des Art. 66 BayBO. Die bereits begonnene Bautätigkeit sei hinsichtlich nachbarschützender Rechte rechtswidrig und daher auszusetzen. Das Vorhaben störe in unzumutbarer Weise die Rechte des Antragstellers. Es verstoße insbesondere gegen das Rücksichtnahmegebot im baunachbarrechtlicher und wasserrechtlicher Hinsicht. Das Vorhaben sei zum einen im Bescheid bereits nicht mit hinreichender Bestimmtheit im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG bezeichnet. Der Antragsteller wäre erheblich durch Lärmimmissionen betroffen, die von der Nutzung des Vorhabens ausgehen würden.
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Der Antragsteller beantragt wörtlich,
- 1.
-
die Vollziehung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 13. September 2022 erteilten baurechtlichen Genehmigung auszusetzen bzw. die aufschiebende Wirkung der im Verfahren RO 7 K 22.2483 erhobenen Klage gegen diesen Genehmigungsbescheid anzuordnen,
- 2.
-
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Bauarbeiten auf dem Grundstück der Beigeladenen durch eine für sofort vollziehbar zu erklärende Ordnungsverfügung vorläufig stillzulegen sowie vorsorglich
- 3.
-
dem Beigeladenen einstweilen bis zur endgültigen Entscheidung der Kammer über den Eilantrag aufzugeben, die weitere Bauausführung zu unterlassen und ggf. auch die Aufnahme der genehmigten Nutzung zu untersagen bzw. dem Antragsgegner aufzugeben, durch für sofort vollziehbar erklärte Verfügung die bereits seitens der Beigeladenen begonnen Ausführungsarbeiten stillzulegen und ihm ggf. auch die Aufnahme der Nutzung zu untersagen.
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Das Landratsamt C. beantragt für den Antragsgegner,
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Eine Verletzung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme sei nicht ersichtlich. Insbesondere würden die Abstandsflächen zum Grundstück des Antragstellers deutlich eingehalten. Der Einwand, das bauliche Vorhaben entspreche nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz, werde von Seiten des Antragstellers nicht näher ausgeführt und sei nicht haltbar.
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Die Beigeladene beantragt,
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig sei. Die eigentlichen Bauarbeiten seien bereits abgeschlossen, sodass das vorliegende Rechtsmittel, welches faktisch auf einen Baustopp gerichtet sei, ins Leere laufe. Ein Baustopp nütze dem Antragsteller nichts, da ohnehin nicht mehr gebaut werde. Es liege keine substantiierte Antragsbegründung vor, geschweige denn ein belastbarer Vortrag, worin sich der Antragsteller in Bezug auf die Genehmigung störe. Es sei nicht mal ansatzweise eine Verletzung drittschützender Rechte vorgetragen. Es liege weder ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht vor noch bestünden Bedenken wegen der Bestimmtheit der Genehmigung. Das Bauvorhaben sei auch nicht rücksichtslos. Dass die Nutzung der Flussbühne unzumutbare Auswirkungen für das ca. 130m entfernte Grundstück des Antragstellers auslöse, sei weder geltend gemacht noch ersichtlich.
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Das Landratsamt C. führte am 10. November 2022 eine Baukontrolle durch. Dabei wurde festgestellt, dass sämtliche Hauptfundamente bereits im Fluss eingebracht wurden.
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Unter dem 11. November 2022 beantragte die Beigeladene die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80a Abs. 1 VwGO beim Landratsamt C..
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Mit Bescheid vom 17. November 2022 ordnete das Landratsamt C. die sofortige Vollziehbarkeit der Nummern 3 und 4 (wasserrechtliche Erlaubnis) des Bescheides des Landratsamts C. vom 13. September 2022 an.
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Der Antrag im Verfahren RO 8 S 22.2637 wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 30. November 2022 abgelehnt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren RO 7 K 22.2483, RO 7 K 22.2601, RO 8 K 22.2638 und RO 8 S 22.2637 sowie auf die in diesen Verfahren vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Die Anträge haben keinen Erfolg.
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A. Der in Ziffer 1 der Antragsschrift gestellte Antrag gem. § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB gerichtet auf Aussetzung der Vollziehung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 14. Oktober 2022 (Az. RO 7 K 22.2483) gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 13. September 2022 erteilten Baugenehmigung ist zulässig, aber unbegründet.
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I. Der Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 13. September 2022 ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, weil die gegen die Baugenehmigung erhobene Klage des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung entfaltet (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB).
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Es besteht auch ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers. Das Ziel des Antragstellers besteht darin, einstweilen zu verhindern, dass die Beigeladene ihre Baugenehmigung zur Errichtung einer Flussbühne ausnutzt und das Bauvorhaben verwirklicht. Dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers steht nicht entgegen, dass er um einstweiligen Rechtsschutz gegen die wasserrechtliche Genehmigung nach § 78 Abs. 3 WHG nachsuchte und Klage erhob.
29
Bei der streitgegenständlichen Baugenehmigung und der wasserrechtlichen Genehmigung nach § 78 Abs. 5 WHG handelt es sich um zwei eigenständige Genehmigungen, auch wenn beide Genehmigungen in einem Bescheid zusammengefasst wurden (BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 1 ZB 19.1575, BeckRS 2020, 9444).
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Nachdem die sofortige Vollziehung der wasserrechtlichen Genehmigung angeordnet wurde, beantragte der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebende Wirkung seiner gegen die wasserrechtliche Genehmigung gerichteten Klage. Dieser Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 30. November 2022 abgelehnt (Az. RO 8 S 22.2637), sodass von der wasserrechtlichen Genehmigung weiterhin Gebrauch gemacht werden darf. Darüber hinaus kann die Beigeladene ihr Vorhaben auf der Grundlage der erteilten baurechtlichen Genehmigung ebenfalls verwirklichen (vgl. OVG Münster, B.v. 29.7.2017 – 7 B 220/14 – BeckRS 20147, 54586; BeckOK UmweltR/Schmitt, 63 Ed. 1.10.2020, WHG § 78 Rn. 99).
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II. Der Eilantrag erweist sich jedoch als unbegründet.
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Das Gericht kann auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage nach § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO anordnen bzw. die Vollziehung nach § 80 a Abs. 3, § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO aussetzen. Ein entsprechender Antrag hat dann Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse des Nachbarn das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des streitgegenständlichen Verwaltungsakts bzw. das Vollzugsinteresse des Bauherrn überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung richtet sich in der Regel maßgeblich nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, da an der Umsetzung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein schutzwürdiges Interesse besteht. Dabei kommt es im Rahmen einer Nachbarklage nicht darauf an, ob eine erteilte Baugenehmigung in objektiver Hinsicht umfassend rechtmäßig ist. Denn eine Nachbarklage hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn der Nachbar in eigenen Rechten verletzt wird, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblich ist daher, ob die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch seinem Schutz dienen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – juris). Eine Rechtsverletzung kommt zudem nur insoweit in Betracht, als die Baugenehmigung überhaupt Regelungs- bzw. Feststellungswirkung entfaltet, d.h. soweit die ggf. verletzte drittschützende Rechtsvorschrift überhaupt zum Prüfgegenstand im Genehmigungsverfahren gehört. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2022 – 15 CS 22.1389 – juris Rn. 14; B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 55 m.w.N.).
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Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen, da ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Bauplanungsrechts nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. nachfolgend 1.). Die allgemeine Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus (vgl. nachfolgend 2.).
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1. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind offen, da ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Bauplanungsrechts nach summarischer Prüfung nicht ausgeschlossen werden kann. Im Hauptsacheverfahren muss weiter aufgeklärt werden, ob im Hinblick auf die zu erwartenden Lärmimmissionen ein Verstoß gegen das partiell nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme vorliegt und dadurch der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Die streitgegenständliche Baugenehmigung erweist sich nach summarischer Überprüfung als hinreichend bestimmt gem. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
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Hinreichend bestimmt ist eine Baugenehmigung in objektiv-rechtlicher Hinsicht, wenn die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – eindeutig zu erkennen und deshalb keiner unterschiedlichen Bewertung zugänglich ist. Der Bescheid muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.7.2022 – 15 B 22.772, BeckRS 2022, 16892 Rn. 49 ff.; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 30). Was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Antrag. Der Inhalt der Baugenehmigung ergibt sich zudem aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung der Baugenehmigung, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Unterlagen, Art. 71 Satz 4, 64 Abs. 2 BayBO, § 53 BauVorlV. Wird im Bescheid auf den Antrag oder Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung nur hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die Antragsunterlagen sind.
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In nachbarrechtlichen Streitigkeiten – wie hier – ist die Bestimmtheit der Baugenehmigung nur daraufhin zu prüfen, ob es dem Nachbarn möglich ist festzustellen, ob und in welchem Umfang er durch das Vorhaben in seinen drittschützenden Rechten betroffen ist. Wenn der Bauvorbescheid und die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, so ist die Baugenehmigung nachbarrechtswidrig (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris; OVG RhPf, U.v. 2.5.2013 – 1 A 11021/12 – juris).
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Hiervon ausgehend erweist sich die Baugenehmigung als bestimmt. Aus der Baugenehmigung und den Bauvorlagen geht hervor, mit welchem nachbarlichen Störpotenzial, insbesondere Lärmimmissionen der Antragsteller rechnen muss.
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Zum einen ergibt sich aus den konkretisierenden Nebenbestimmungen der Gegenstand und der Umfang der Baugenehmigung. Für den Antragsteller ist erkennbar, dass er nicht durch die bauliche Anlage, sondern vor allem durch deren Nutzung als Veranstaltungsort in nachbarschützenden Rechten betroffen sein kann. In Ziffer II 1. ist in den Nebenbestimmungen geregelt, welche Immissionsrichtwerte zu konkreten Beurteilungszeiten keinesfalls überschritten werden dürfen. Darüber hinaus ergibt sich aus der mit Genehmigungsvermerk versehenen Betriebsbeschreibung vom 6. Juni 2022 (vgl. Behördenakte S. 87 f.), dass auf der Flussbühne Veranstaltungen mit weniger als 1000 Teilnehmern vorgesehen sind. Die Art der Veranstaltung wird nicht abschließend genannt. Exemplarisch werden jedoch Konzerte, Theaterveranstaltung, Lesungen, Freiluftgottesdienste, Darbietungen örtlicher Vereine und Kinovorstellungen genannt. Darüber hinaus ergibt sich aus der Betriebsbeschreibung, dass die Veranstaltungen in der Zeit von 6:00 bis 22:00 Uhr stattfinden, wobei die Anzahl dieser Veranstaltungen innerhalb dieses Zeitraums nicht begrenzt ist. Im Laufe des Jahres können bis zu maximal 10 Veranstaltungen stattfinden, welche länger als 22:00 Uhr dauern bzw. vor 6:00 Uhr beginnen.
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b) Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass das streitgegenständliche Vorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt.
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Das Vorhabengrundstück liegt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB. Dies ergibt sich aus den in den Akten befindlichen Plänen sowie den dem Gericht zugänglichen Luftbildern und Flurkarten aus dem Bayern Atlas des StMFH und ist insoweit auch zwischen den Beteiligten unstrittig.
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Bauplanungsrechtlich nachbarschützend ist bei Außenbereichsvorhaben die das Rücksichtnahmegebot enthaltende Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Dem Rücksichtnahmegebot kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 26; B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.1890 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 9). Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB darf das Bauvorhaben keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervorrufen oder ihnen ausgesetzt werden. Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB bedeutet in Übereinstimmung mit § 3 Abs. 1 BImSchG, dass es sich um Immissionen handelt, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
43
Lärmimmissionen sind unzumutbar und verletzen das Rücksichtnahmegebot, wenn sie im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft hervorzurufen (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 5.98 – juris). Bei der Erteilung einer Baugenehmigung ist daher sicherzustellen, dass bei der Nutzung des genehmigten Vorhabens keine derartigen Belästigungen entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris). Das Ausmaß von einem Nachbarn zumutbaren Lärmeinwirkungen bestimmt sich einerseits nach der Intensität und Charakteristik der Geräusche, zum anderen nach der gegebenen Situation, in der sich Lärmquelle und Immissionsort befinden (vgl. BVerwG, U.v. 7.5.1996 – 1 C 10.95 – juris). Daneben sind bei der Frage der Zumutbarkeit der Lärmeinwirkungen auch wertende Gesichtspunkte als Kriterium heranzuziehen, darunter die der Sozialadäquanz und Akzeptanz der Geräusche in der Bevölkerung (vgl. BVerwG, U.v. 24.4.1991 – 7 C 12.90 – juris).
44
Für die Beurteilung, ob im konkreten Fall Freizeitlärm eine erhebliche Belästigung für die Nachbarschaft darstellt, kann nicht auf allgemeingültige Grenzwerte abgestellt werden. Zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt liegen weder rechtsverbindliche Vorschriften noch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften vor, aus denen sich eine Erheblichkeitsgrenze für Freizeitlärm ergibt. Gleichwohl kann für die gerichtliche Beurteilung zur Zumutbarkeit von Freizeitlärm die LAI-Freizeitlärm-Richtlinie als Orientierungshilfe herangezogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2006 – 1 CE 06.1937 – juris; B.v. 12.5.2004 – NVwZ 2005, 719).
45
Die Freizeitlärm-Richtlinie der Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) vom 6. März 2015 enthält Hinweise zur Berechnung und Beurteilung von Lärmimmissionen auf Menschen durch Freizeitanlagen. Freizeitanlagen sind Einrichtungen im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 oder 3 BImSchG, die dazu bestimmt sind, von Personen zur Gestaltung ihrer Freizeit genützt zu werden. Hierzu zählen auch Freilichtbühnen (s. Freizeitlärm-Richtlinie, Nr. 1).
46
Die Erheblichkeit einer Lärmbelästigung hängt nicht nur von der Lautstärke der Geräusche ab, sondern auch wesentlich von der Nutzung des Gebiets, auf das sie einwirken, von der Art der Geräusche und der Geräuschquellen sowie dem Zeitpunkt (Tageszeit) oder der Zeitdauer der Einwirkungen. Bei der Beurteilung ist nicht auf eine mehr oder weniger empfindliche individuelle Person, sondern auf die Einstellung eines verständigen, durchschnittlich empfindlichen Mitbürgers abzustellen. Von Bedeutung für die Beurteilung der Geräusche von Freizeitanlagen ist die Schutzbedürftigkeit der Nutzungen in den diesen Anlagen benachbarten Gebieten (s. Freizeitlärm-Richtlinie, Nr. 2).
47
Die in der Freizeitlärm-Richtlinie genannten Immissionsrichtwerte markieren die Schwelle, oberhalb der in der Regel mit erheblichen Belästigungen zu rechnen ist. Die Immissionsbewertung richtet sich nach gebietsbezogenen Immissionsschutzrichtwerten zu Tages-, Nacht- und Ruhezeiten sowie zu Sonn- und Feiertagen (Nr. 4.1). Die Immissionsrichtwerte außerhalb von Gebäuden betragen in allgemeinen Wohngebieten tags an Werktagen außerhalb der Ruhezeit (8:00 bis 20:00 Uhr) 55 dB(A), tags an Werktagen innerhalb der Ruhezeit (6:00 bis 8:00 Uhr und von 20:00 bis 22:00 Uhr) und an Sonn- und Feiertagen 50 dB(A), sowie nachts (von 22:00 bis 6:00 Uhr) 40 dB(A) (vgl. Nr. 4.1 Buchst. d) i.V.m. Nr. 3.4). Der Immissionsrichtwert für Mischgebiete liegt um jeweils 5 dB(A) höher (vgl. Nr. 4.1 Buchst. c)). Einzelne Geräuschspitzen sollen die Immissionsrichtwerte tags um nicht mehr als 30 dB(A) sowie nachts um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten (vgl. Nr. 4.3 Satz 1). Sofern bei seltenen Veranstaltungen Überschreitungen des Beurteilungspegels vor den Fenstern im Freien von 70 dB(A) tags und/oder 55 dB(A) nachts zu erwarten sind, ist deren Zumutbarkeit explizit zu begründen. Die Anzahl der Tage mit seltenen Veranstaltungen soll 18 pro Kalenderjahr nicht überschreiten. Geräuschspitzen sollen die Werte von 90 dB(A) tags und 65 dB(A) nachts einhalten (vgl. Nr. 4.4.2).
48
In der fachlichen Stellungnahme des technischen Umweltschutzes vom 27. Juli 2022 des Landratsamtes C. wird ausgeführt, dass sich die geplante Flussbühne im Außenbereich befindet und der nächstgelegene Immissionsort 70 m südlich von der Bühne entfernt ist. Für die immissionsschutzfachliche Beurteilung wird auf die Freizeitlärm-Richtlinie abgestellt. Weiterhin wird ausgeführt, dass bei seltenen Störereignissen die folgenden Beurteilungspegel am nächstgelegenen Immissionsort sowohl in Misch- als auch in allgemeinen Wohngebieten nicht überschritten werden dürfen:
tags außerhalb der Ruhezeit (8:00 Uhr – 20:00 Uhr) 70 dB (A),
tags innerhalb der Ruhezeit (auf 6:00 Uhr – 8:00 Uhr und 20:00 Uhr – 22:00 Uhr): 65 dB (A),
nachts (22:00 Uhr – 6:00 Uhr): 55 dB (A).
49
Außerdem sollen Geräuschspitzen die vorgenannten Werte tagsüber um nicht mehr als 20 und nachts um nicht mehr als 10 dB (A) überschreiten.
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Weitere Ausführungen, insbesondere Erläuterungen zur Anwendung der Freizeitlärm-Richtlinie oder Maßnahmen zur Begrenzung der Lautstärke geräuschintensiver Anlagen sind nicht enthalten.
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Es wurde lediglich vorgeschlagen, die Einhaltung der vorgenannten Immissionsrichtwerte als Auflage in der Baugenehmigung aufzunehmen.
52
Aus Sicht des Gerichts genügt jedoch allein die Aufnahme von Nebenbestimmungen in der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht, um die lärmbedingte Konfliktlage in der Nachbarschaft zu lösen.
53
Die zuständige Behörde kann erhebliche Lärmbelästigungen für die Nachbarschaft nur verhindern, wenn sie zunächst alle nachbarschaftlichen Belange ermittelt und in eine Abwägung einstellt. Die Behörde muss insbesondere prüfen, in welchem Umkreis die Immissionen für den Nachbarn noch zumutbar sind. Sie ist daher verpflichtet, zugunsten eines Nachbarn gegebenenfalls durch Auflagen in der Baugenehmigung, mittels einer konkreten Betriebsbeschreibung oder durch Ähnliches sicherzustellen, dass der Nachbar vor unzumutbaren Immissionen geschützt wird (vgl. BayVGH, U.v. 16.11.2006 – 26 B 03.2486 – juris Rn. 28 und 30; B.v. 2.10.2012 – 2 ZB 12.1898 – juris Rn. 5).
54
Nicht ausreichend ist es, abstrakt die für eine bestimmte Gebietsart einzuhaltenden Immissionsrichtwerte wiederzugeben (VGH Mannheim, U.v. 29.1.2008 – 8 S 2748/06 – BauR 2008, 1573; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Art. 19 Rn. 116). Eine solche Festsetzung ist nicht geeignet, den schützenswerten Belangen des Nachbarn Rechnung zu tragen, solange der Antragsgegner nicht geprüft hat, dass die festgesetzten Werte bei regelmäßigem Betrieb, also den Veranstaltungen auf der Flussbühne, überhaupt eingehalten werden können.
55
Der Antragsgegner hat keine schalltechnische Untersuchung durchgeführt. Hierzu wäre es gegebenenfalls erforderlich gewesen, weitere Angaben zur Ausstattung und konkreten Nutzung der Flussbühne einzuholen z.B. welche Lautsprecher o. ä. Einrichtungen verwendet werden sollen, wie die Beschallungstechnik, insbesondere Basslautsprecher auf der Bühne ausgerichtet sein werden oder mit welcher saisonbedingten Mehrbelastung, insbesondere in den Sommermonaten zu rechnen ist.
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Darüber hinaus erschließt sich dem Gericht nicht, auf welcher Grundlage die in der Nebenbestimmung genannten Immissionsrichtwerte festgelegt wurden.
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In der Stellungnahme des technischen Umweltschutzes wird davon ausgegangen, dass es sich bei dem nächstliegenden Immissionsort um ein Mischgebiet oder allgemeines Wohngebiet handelt. Nach der Freizeitlärm-Richtlinie betragen die Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet 55 dB (A), 50 dB (A) und 45 dB (A). Für ein Mischgebiet erhöhen sich die Immissionsrichtwerte um jeweils 5 dB (A). Der technische Umweltschutz legt hingegen die Immissionsrichtwerte von 70 dB (A), 65 dB (A) und 55 dB (A) zugrunde. Die Freizeitlärmrichtlinie regelt diese erhöhten Immissionsrichtwerte jedoch nur bei seltenen Veranstaltungen (vgl. 4.4.2 Buchst. a)).
58
Im streitgegenständlichen Bescheid werden die erhöhten Immissionsrichtwerte in Ziffer II.1 jedoch nicht für seltene Ereignisse festgelegt. Vielmehr ergibt sich aus dem ausdrücklichen Wortlaut des Bescheides, dass die erhöhten Immissionsrichtwerte nicht nur für seltene Veranstaltungen, sondern auch für den Regelbetrieb gelten.
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Folglich sind im streitgegenständlichen Bescheid Immissionsrichtwerte festgelegt, die bei Annahme eines allgemeinen Wohngebietes um 15 dB (A) bzw. bei einem Mischgebiet um 10 dB (A) überschritten werden.
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Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Immissionsrichtwerte der Freizeitlärm-Richtlinie im Vergleich zu Immissionsgrenzwerten nicht verbindlich sind. Grenzwerte stellen eine absolute Beurteilungsschwellen dar, die unter keinen Umständen über- oder unterschritten werden darf. Richtwerte dienen hingegen lediglich als Orientierungshilfe (Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 2 der 18. BImschV Rn. 17). Gleichwohl handelt es sich nicht nur um eine geringfügige Überschreitung der Immissionsrichtwerte (+ 15 dB(A) bzw. + 10 dB(A)).
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Darüber hinaus hat der Antragsgegner keine weiteren Maßnahmen getroffen, um die Nachbarschaft vor unzumutbaren Lärmbelästigungen zu schützen. Geeignet wären z.B. eine Verschiebung des Beginns der Nachtzeit, die Eigenüberwachung durch Schallmessungen des Veranstalters, Verwendung von Schallpegelbegrenzern, optimale Ausrichtung der Beschallungstechnik oder organisatorische Maßnahmen wie die vorherige Information der Nachbarschaft oder Benennung von Ansprechpartnern (Beschwerde-Telefon).
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Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass im streitgegenständlichen Bescheid auf den nächstliegenden Immissionsort in 70 m Entfernung zur Bühne abgestellt wird, das Anwesen des Antragstellers hingegen ca. 140 m und somit doppelt so weit von der Flussbühne entfernt ist. Bei einer Abstandsverdopplung nimmt der Schallpegel lediglich um 6 db (A) ab (vgl. reziprokes Abstandsgesetz), sodass eine unzumutbare Lärmbeeinträchtigung des Antragstellers nicht völlig ausgeschlossen ist.
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2. Das Vollzugsinteresse der Beigeladenen sowie das öffentliche Interesse überwiegen das Suspensivinteresse des Antragstellers.
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Die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers sind als offen einzuschätzen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsteller mit unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen zu rechnen hat und er insoweit im drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist. Sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nach summarischer Prüfung offen, ist eine allgemeine Interessenabwägung vorzunehmen.
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Zugunsten der Beigeladenen ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Klage gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung hat. Die Regelung des § 212a Abs. 1 BauGB verschiebt die Gewichte bei der Interessenabwägung zugunsten des Bauherrn. Dem Vollzugsinteresse ist ein erhebliches Gewicht beizumessen ist. Zwar kann daraus nicht abgeleitet werden, dass das Vollzugsinteresse des Bauherrn gegenüber dem Aufschubinteresse des Nachbarn stets überwiegt. Jedoch ist dem Vollzugsinteresse des Bauherren ein besonderes Gewicht beizumessen (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2016 – 15 CS 19.2048 – juris Rn. 28 m.w.N.).
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Selbst wenn sich im Hauptsacheverfahren ergeben sollte, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt und dadurch den Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist, so werden durch die weiteren Bauausführungen für den Antragsteller keine unzumutbaren, vollendeten Tatsachen geschaffen, welche nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Die Baumaßnahmen sind nahezu abgeschlossen, insbesondere sind die Hauptfundamente seit Anfang November 2022 im Fluss eingebracht worden (vgl. Baukontrollbericht vom 10. November 2022, Behördenakte S. 183 f.).
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Die Prüfung, ob schädliche Umwelteinwirkungen zu erwarten sind, kann der Antragsgegner zeitnah vornehmen. Sollten solche schädlichen Umwelteinwirkungen zu erwarten sein, kann er diese durch ergänzende Auflagen bzw. einen ergänzenden Bescheid zur Baugenehmigung bis zur Nutzungsaufnahme ausräumen (vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2022 – 15 CS 22.1389 – juris Rn. 16).
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Schließlich spricht zugunsten der Beigeladenen, dass dieser für das streitgegenständliche Vorhaben Fördergelder gewährt wurden. Es ist zu befürchten, dass die Fördergelder nicht mehr gewährt werden können, wenn das Bauvorhaben nicht auch in zeitlicher Hinsicht nach Maßgabe der Förderrichtlinie verwirklicht wird.
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Demgegenüber wurde weder vorgetragen noch drängt sich dem Gericht auf, welche Interessen des Antragstellers unzumutbar beeinträchtigt sein sollten, wenn er die Hauptsacheentscheidung abwartet. Der Antragsteller gab lediglich an, dass er durch das Vorhaben in seinen Eigentumsrechten beeinträchtigt sei, da sich die Flussbühne nachteilig auf seine Wasserkraftnutzung auswirken könne. Diese wasserrechtlichen Belange wurden bereits vollumfänglich im weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt (Az. RO 8S 22.2637). Vielmehr ist zulasten des Antragstellers in die Abwägung einzustellen, dass das Grundstück des Antragstellers durch Verkehrslärm erheblich vorbelastet ist, da nördlich an sein Grundstück eine Flussüberführung grenzt. Die Überführung verbindet die Stadt R… mit M….
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B. Der gem. §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO auszulegende Antrag gem. § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO i.V.m. § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGO gerichtet auf Stilllegung der begonnenen Bauarbeiten in Ziffer 2 der Antragsschrift hat keinen Erfolg, da bereits der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage erfolglos ist (s.o.).
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C. Soweit der Antrag in Ziffer 3 der Antragsschrift nach dem schriftsätzlichen Vorbringen des Antragstellers gem. §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend auszulegen ist, dass gem. § 123 VwGO ein bauaufsichtliches Einschreiten in Form der Baueinstellung und Nutzungsuntersagung begehrt wird, hat auch dieser Antrag keinen Erfolg.
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Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die Glaubhaftmachung (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO, § 173 VwGO, § 294 ZPO) eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Der Anordnungsanspruch ist der im Hauptsacheverfahren geltend zu machende materielle Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird. Der Anordnungsgrund ist die dringende Notwendigkeit einer Sicherung dieses Rechts. Sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben, so steht der Inhalt der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 938 ZPO im Ermessen des Gerichts.
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Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Dringlichkeit der Sache liegt in aller Regel nur dann vor, wenn es dem Antragsteller im Verfahren gem. § 123 VwGO unter Berücksichtigung seiner Interessen nicht zumutbar ist, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2013 – 2 CE 13.2253 – juris Rn. 3 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 123 Rn. 26 m.w.N.).
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Es kann dahinstehen, ob im vorliegenden Fall ein Anordnungsanspruch besteht. Jedenfalls hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
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Soweit der Antragsteller bauaufsichtliches Einschreiten in Form der Baueinstellung begehrt, fehlt es an der Dringlichkeit der Sache, da die Baumaßnahmen nahezu vollständig abgeschlossen sind. Aus dem Baukontrollbericht vom 10. November 2022 ergibt sich, dass sämtliche Hauptfundamente bereits im Fluss eingebracht worden sind. Im Übrigen ist in den Nebenbestimmungen in Ziffer IV 7. des streitgegenständlichen Bescheids geregelt, dass Bauarbeiten nur im Zeitraum von August bis einschließlich Oktober durchgeführt werden dürfen.
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Auch im Hinblick auf die beabsichtigten Nutzung als Veranstaltungsort hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Im streitgegenständlichen Bescheid ist geregelt, dass die Aufnahme der Nutzung mindestens zwei Wochen vorher bei der zuständigen Behörde anzuzeigen ist. Der Antragsteller hat weder vorgetragen noch ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass zeitnah Veranstaltungen stattfinden werden. Es spricht vielmehr dafür, dass aufgrund der Witterung frühestens im Frühjahr oder Sommer mit Veranstaltungen auf der Freilichtbühne zu rechnen ist (vgl. Mittelbayerischen Zeitung, „R …er Fluss Bühne steht nun im Regen“, 14. Dezember 2022, abrufbar unter: https://www. …).
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D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entsprach es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (vgl. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
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E. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.1.1, 1.5. und 9.7.1. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Das Gericht bemisst den Streitwert für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit 3.750,- EUR, den Antrag auf Stilllegung der Bauarbeiten mit 1.250,- EUR und den Antrag auf (vorläufiges) bauaufsichtliches Einschreiten mit 2.500,- EUR.