Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 14.11.2022 – AN 10 E 22.01903
Titel:

Annahme eines künftigen Alkoholmissbrauchs eines Fahrerlaubnisbewerbers

Normenketten:
FeV § 13 S. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1
Leitsatz:
Die Fahrerlaubnisbehörde darf die Neuerteilung der Fahrerlaubnis aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn davon auszugehen ist, dass der Betroffene regelmäßig Alkohol konsumiert und bei ihm eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung gegeben ist. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(vorläufige) Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis, Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, Trunkenheitsfahrt mit 1, 52 Promille, Fahrerlaubnis, Wiedererteilung, Alkoholmissbrauch, Alkoholgewöhnung, Trunkenheitsfahrt, medizinisch-psychologisches Gutachten
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.03.2023 – 11 CE 22.2487
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44710

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Erteilung einer Fahrerlaubnis.
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Der 1968 geborene Antragsteller wurde mit Strafbefehl vom 30. Dezember 2021, rechtskräftig seit 18. Januar 2022, wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt und die Fahrerlaubnis mit einer sechsmonatigen Sperrfrist entzogen. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Antragsteller am Sonntag, den 26. September 2021, gegen 13:35 Uhr, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke dazu nicht in der Lage war, ein Fahrzeug führte. Der um 14:10 Uhr durchgeführte Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,86 mg/l. Eine um 15:17 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille auf.
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Mit Antrag vom 20. Januar 2022 beantragte der Antragsteller laut Behörde die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, CE79, C1, C1E, L und T.
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Unter Bezugnahme auf vorgenannte Trunkenheitsfahrt forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, bis 9. Juni 2022 ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Die zu klärende Fragestellung lautete:
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Liegen körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vor, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können? Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann?
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Ein Gutachten wurde innerhalb der Frist nicht vorgelegt.
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Mit Bescheid vom 21. Juli 2022, zugestellt am 27. Juli 2022, lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Fahrerlaubniserteilung ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens gemäß § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV zu Recht die Vorlage eines Gutachtens gefordert und vom Antragsteller nicht vorgelegt worden sei. Aufgrund der Fahrt unter erheblichem Alkoholeinfluss mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille bzw. eine Atemalkoholkonzentration von 0,86 mg/l und damit mehr als 0,8 mg/l seien Tatsachen bekannt geworden, die Bedenken an der Eignung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeugs begründet hätten.
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Der Antragsteller ließ Klage erheben und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen.
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Zur Begründung ließ er im Wesentlichen ausführen, der Antragsgegner dürfe nach § 3 Abs. 4 StVG ausschließlich den in dem rechtskräftigen Strafbefehl vom 30. Dezember 2021 berücksichtigten Blutalkoholwert von 1,52 Promille berücksichtigen. Eine vorherige Atemalkoholkonzentration dürfe nicht berücksichtigt werden. § 3 Abs. 4 StVG finde nicht nur im Entziehungsverfahren, sondern auch im Neuerteilungsverfahren Anwendung. Zudem sei die Atemalkoholkonzentration von 0,86 mg/l nicht gerichtsverwertbar gemessen worden. Es sei nicht das einzige gerichtsverwertbare Alkoholmessgerät der Firma …, sondern ein Handmessalkomat verwendet worden, der den Anforderungen einer gerichtsverwertbaren Validität nicht genüge.
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Der Antragsteller beantragt,
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO aufgegeben, dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, CE79, C1, C1 E, L und T zu erteilen.
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Der Antragsgegner beantragt
Antragsablehnung.
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Zur Begründung wurde ergänzend zum Bescheid im Wesentlichen vorgetragen, ein Erreichen von Promillewerten über 1,3 lasse auf eine hohe Trinkfestigkeit schließen. Je mehr die festgestellte Blutalkoholkonzentration die 1,3 Promille Grenze überschreitet, desto näher liege der begründete Verdacht, dass bei dem Betroffenen eine Alkoholproblematik gegeben sei. Bei einem anzunehmenden durchschnittlichen stündlichen Alkoholabbau von 0,1 Promille habe die Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt 1,6 Promille oder mehr betragen, da zwischen Atemalkoholtest um 14:10 Uhr und der Blutentnahme um 15:17 Uhr eine Stunde vergangen sei. Zwischen dem Tatzeitpunkt gegen 13:35 Uhr und dem Atemalkoholtest seien nochmals 35 Minuten vergangen.
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Die Akte der Staatsanwaltschaft … zum Verfahren … wurde beigezogen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist bereits unzulässig und wäre im Übrigen unbegründet.
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Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch wenn sie zur Regelung eines vorläufigen Zustands, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Hierbei sind nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache im Rahmen des § 123 VwGO kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wobei das Gewicht des Anordnungsgrundes entscheidend für eine mögliche Vorwegnahme der Hauptsache ist (vgl. Happ in: Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO, § 123 Rn. 66a). Das Abwarten der Hauptsacheentscheidung müsste für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge haben (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 Rn. 5 m.w.N.). Voraussetzung dafür ist, dass eine bestimmte Regelung im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 14). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 11; B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20).
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1. Der von dem anwaltlich vertretenen Antragsteller gestellte und aufgrund des eindeutigen Wortlauts und unter Berücksichtigung der Antragsbegründung nicht anders auszulegende Antrag (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) ist bereits unzulässig, da der Antragsteller mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die uneingeschränkte und damit endgültige Erteilung einer Fahrerlaubnis und folglich in vollem Umfang das begehrt, was ihm grundsätzlich nur in der Hauptsache zu gewähren ist. Dementsprechend ist der Antrag auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gerichtet. Im Rahmen des § 123 Abs. 1 VwGO kann jedoch grundsätzlich nur eine vorläufige Regelung getroffen werden (vgl. Schenke in: Kopp/ Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 14). Auch wenn das Fahrerlaubnisrecht eine vorläufige oder vorübergehende Fahrerlaubnis nicht kennt, kann die Fahrerlaubnisbehörde durch einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO nur zur Erteilung einer gegebenenfalls zeitlich befristeten oder mit einer Bedingung oder Auflage versehenen Fahrerlaubnis verpflichtet werden (vgl. Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, FeV, § 20 Rn. 6; Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 14).
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2. Im Übrigen wäre der Antrag auch unbegründet.
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a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund, d.h. eine besondere Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung, nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Es fehlt an jeglichem substantiierten Vortrag, weshalb der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der vorläufigen Erteilung der begehrten Fahrerlaubnis notwendig ist, um wesentliche Nachteile vom Antragsteller abzuwenden. Vielmehr wird nur vorgetragen, dass wesentliche Nachteile immer dann gegeben seien, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage der Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher sei als ein
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Misserfolg. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des Verbots einer Vorwegnahme der Hauptsache, der in diesem Kontext besonderen Bedeutung des Anordnungsgrundes sowie mit Rücksicht auf den gebotenen Schutz von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer (s.o.) keine tragfähige Begründung für die Annahme eines Anordnungsgrundes.
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b) Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen fehlt es darüber hinaus an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
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Nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat der Antragsgegner zu Recht die Neuerteilung der Fahrerlaubnis abgelehnt, da der Antragsteller nicht die Eignungsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 FeV erfüllt.
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Gemäß § 20 Abs. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder vorangegangenem Verzicht die Vorschriften für die Ersterteilung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat zu ermitteln, ob Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 FeV). Werden solche Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers begründen, verfährt die Fahrerlaubnisbehörde nach den § 11 bis 14 FeV (§ 22 Abs. 2 Satz 5 FeV). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Das Vorliegen der Fahreignung muss positiv gegeben sein, weshalb die Nichtfeststellbarkeit der Fahreignung zulasten des Bewerbers geht (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 13). Ein Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis besteht nicht, solange Eignungszweifel vorliegen, welche die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens rechtfertigen (BayVGH, B.v. 3.6.2022 a. a.O. m.w.N.). Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen besitzt nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG und § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 FeV, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Diese Anforderungen sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach den Anlagen 4 und 5 zur FeV vorliegt. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde anordnen, dass der Antragsteller ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung innerhalb einer angemessenen Frist beibringt (vgl. § 2 Abs. 8 StVG).
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Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch). Missbrauch liegt nach Ziffer 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung vor, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber das Führen eines Kraftfahrzeuges und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann, ohne bereits alkoholabhängig zu sein. In einem solchen Fall ist der Betroffene nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu entsprechen. Aus Ziffer 8.2 der Anlage 4 zur FeV ergibt sich, dass Eignung und bedingte Eignung nach Beendigung des Missbrauchs wieder bejaht werden können, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist.
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Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a), wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründen entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).
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§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist danach eine Auffangvorschrift, bei deren Vollzug die Wertungen der § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV zu berücksichtigen sind. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung darf die Fahrerlaubnisbehörde deshalb die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung im Strafverfahren aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen. Als eine solche Zusatztatsache kommt das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen trotz hoher Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr in Betracht. Nach den Erkenntnissen der Alkoholforschung besteht bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, das deutlich erhöhte Risiko einer erneuten Trunkenheitsfahrt. Ihre Giftfestigkeit führt unter anderem dazu, dass sie die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums auf ihre Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen können. Ebenfalls auf eine hohe Alkoholgewöhnung hindeuten können eine Alkoholfahrt bereits in den Tagesstunden oder über eine längere Fahrstrecke ohne größere Auffälligkeiten. Dabei hängt das Gewicht, das die Zusatztatsache aufweisen muss, maßgeblich davon ab, in welchem Maße die bei der Trunkenheitsfahrt festgestellte Blutalkoholkonzentration den in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Wert von 1,6 Promille unterschreitet, bei dem die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch ohne das Vorliegen von Zusatztatsachen zu erfolgen hat. Für die Anwendung von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV ist außerdem erforderlich, dass das Vorliegen einer solchen Zusatztatsache im Zusammenhang mit der begangenen Trunkenheitsfahrt aktenkundig festgestellt und dokumentiert wurde (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19). Liegen Eignungszweifel vor, die die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erfordern, ist die Begutachtungsanordnung aber formell rechtswidrig, hat der Betroffene allein einen Anspruch auf erneute Entscheidung nach ordnungsgemäßer Durchführung des in §§ 11, 13 FeV geregelten Verfahrens (zum Ganzen BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 11 CE 22.262 – juris Rn. 16).
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Bei Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antragsteller keinen Anspruch auf (vorläufige) Erteilung einer Fahrerlaubnis.
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Selbst wenn man im Rahmen der nur möglichen summarischen Prüfung im Eilverfahren zugunsten des Antragstellers annimmt, dass im Wiedererteilungsverfahren aufgrund von § 3 Abs. 4 StVG eine Berücksichtigung des nach der Trunkenheitsfahrt um 14:10 Uhr gemessenen Atemalkoholwerts von 0,86 mg/l wegen der im Strafbefehl herangezogenen und später gemessenen Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille nicht möglich ist, liegen dennoch Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers vor. Diese Eignungszweifel rechtfertigen die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV.
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Unstrittig ist, dass die vom Antragsteller am Tag der Trunkenheitsfahrt, an einem Sonntagnachmittag, um 15:17 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,52 Promille aufwies. Angesichts dieses Wertes, der 1 Stunde und 42 Minuten nach dem Unfall im Blut des Antragstellers gemessen wurde, ist – selbst wenn man nicht auf die um 14:10 Uhr, d.h. 45 Minuten nach dem Unfall, gemessene Atemalkoholkonzentration von 0,86 mg/l abstellt – davon auszugehen, dass der Antragsteller regelmäßig Alkohol konsumiert und bei ihm eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung gegeben ist. Wie von Antragsgegnerseite zutreffend ausgeführt wurde, kann man bereits bei Erreichen oder Überschreiten von Werten ab 1,3 Promille auf eine hohe, besondere Trinkfestigkeit schließen, die durch ein Trinkverhalten erworben sein muss, dass erheblich von dem in der Gesellschaft verbreiteten Alkoholkonsum abweicht (vgl. VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – juris Rn. 47 m.w.N.). Zwar ist dem ärztlichen Untersuchungsbefund zu entnehmen, dass das Verhalten des Antragstellers alkoholbedingt nicht unauffällig war (schwankend, Finger-Finger- und Finger-Nase-Prüfung unsicher), aber demgegenüber deuten jedoch die weiteren Feststellungen des untersuchenden Arztes, wonach der Drehnystagmus feinschlägig (3 Sekunden), die Sprache des Antragstellers deutlich, seine Pupillen unauffällig, die Pupillenreaktion prompt, sein Bewusstsein klar, sein Denkablauf geordnet und sein Verhalten beherrscht gewesen sei, auf eine hohe Alkoholgewöhnung hin. Hierfür spricht auch, dass der Antragsteller im Stande war, sein Fahrzeug über eine längere Strecke zu führen und dass er an einem frühen Sonntagnachmittag mit einer solch hohen Blutalkoholkonzentration unterwegs war. Überdies beförderte er seinen minderjährigen Sohn als Beifahrer, was ebenfalls dafürspricht, dass der Antragsteller seine tatsächliche Alkoholisierung sowie die hieraus resultierenden Risiken einer Verkehrsteilnahme als Kraftfahrzeugführer nicht mehr einzuschätzen vermag. Bereits ein Fahrerlaubnisinhaber, der nachgewiesenermaßen mit hoher Alkoholisierung außerhalb des Straßenverkehrs auffällig geworden ist, stellt in der Regel aufgrund dieser Tatsache ein deutlich über dem Durchschnitt liegendes Sicherheitsrisiko dar. Wegen der hohen Giftfestigkeit steht ihm die körperliche Befindlichkeit als Maßstab der aktuellen Alkoholisierung nicht mehr zur Verfügung. Für ihn ist daher die Verhaltenskontrolle im Sinne des Trennens von unzulässiger Blutalkoholkonzentration und dem Führen eines Kraftfahrzeugs weit mehr erschwert als für den Durchschnitt der Kraftfahrer, die lediglich eine „normale“ Giftfestigkeit aufweisen (vgl. zum Ganzen VGH BW, U.v. 7.7.2015 – 10 S 116/15 – juris Rn. 47 m.w.N.). Beim Antragsteller hat sich das aufgrund seiner hohen Giftfestigkeit bestehende Risiko einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und das Führen eines Fahrzeugs zu trennen, bereits mit seiner Trunkenheitsfahrt am 26. September 2021 realisiert. Angesichts der oben dargelegten Zusatztatsachen ist beim Antragsteller auch zukünftig ein solcher, die Fahreignung ausschließender Alkoholmissbrauch zu befürchten.
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Demzufolge kommt eine stattgebende Entscheidung auf (vorläufige) Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht in Betracht, solange der Antragsteller die bestehenden Zweifel an seiner Fahreignung nicht mittels Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ausräumt.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 46.2, 46.3, 46.5 sowie 46.9 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.