Titel:
einstweiliger Rechtsschutz, vollziehbare Ausreisepflicht, Nachholung des Visumsverfahren, keine Verfahrensduldung, kein allgemeines verfahrensbezogenes Bleiberecht, keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung
Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 5
AufenthG § 25b
AufenthG § 60a Abs. 2
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Schlagworte:
einstweiliger Rechtsschutz, vollziehbare Ausreisepflicht, Nachholung des Visumsverfahren, keine Verfahrensduldung, kein allgemeines verfahrensbezogenes Bleiberecht, keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 27.02.2023 – 19 CE 22.1955
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 02.11.2023 – 2 BvR 441/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44709
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Untersagung seiner Abschiebung nach Äthiopien sowie die Erteilung einer Duldung.
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1. Der Antragsteller ist ausweislich seines Reisepasses (ausgestellt am 1.3.2022, gültig bis 28.2.2027) ein am … … 1984 geborener äthiopischer Staatsangehöriger. Er reiste am 27. September 2012 ins Bundesgebiet ein. Seinen am 22. Oktober 2012 gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 29. Januar 2015 ab. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 21. Juli 2016 (Az. W 3 K 15.30107) ab, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung im Verfahren 21 ZB 16.30876 mit Beschluss vom 22. März 2017 ab. Am 26. Juni 2018 stellte der Antragsteller einen Folgeantrag, den das Bundesamt mit Bescheid vom 28. September 2018 ablehnte. Das Verwaltungsgericht Würzburg wies die Klage hiergegen mit Urteil vom 15. Juli 2019 (Az. W 3 K 18.32100) ab. Der BayVGH lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 17. Oktober 2021 im Verfahren 23 ZB 19.33385 ab.
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Am … … 2015 wurde das erste Kind des Antragstellers, Y., am … … 2021 das zweite Kind, M., geboren. Dem Kind Y. wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, die Kindsmutter hat eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Das Kind M. befindet sich nach Angaben der Antragstellerseite noch im Asylverfahren. Der Antragsteller hat die Vaterschaft für die beiden Kinder anerkannt und übt mit der Kindsmutter das gemeinsame Sorgerecht aus, wohnt jedoch nicht mit ihr und den Kindern zusammen. Die Kindsmutter erklärte unter dem 2. November 2021, dass der Antragsteller gemeinsam mit ihr das Sorgerecht für ihre gemeinsamen Kinder ausübe. Er hole zum Beispiel Y. regelmäßig von der Schule ab und kümmere sich um sie. Er komme mehrmals in der Woche zu ihnen nach Hause, kaufe Essen ein, sie würden gemeinsam essen und er kümmere sich um die Kinder.
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Am 5. Oktober 2021 beantragte der Antragsteller die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25b Abs. 1 AufenthG (Bl. 727 ff.). Hierzu wurden im weiteren Verlauf entsprechende Angaben gemacht und Unterlagen vorgelegt. Über den Antrag ist noch nicht entschieden. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2021 wurde dem Antragsteller ein Angebot zur Rückkehrberatung gemacht. Mit E-Mail bzw. Schreiben vom 4. November 2021 führte der Bevollmächtigte aus, dem Antragsteller stünden im Hinblick auf seine beiden Kinder weitere Duldungsgründe zur Seite.
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Der Antragsteller war zuletzt seit 6. Dezember 2021 bis 11. Mai 2022 wegen fehlender Reisedokumente geduldet. Am 6. April 2022 übersandte der Antragsteller seinen Reisepass. Mit Schreiben vom 7. bzw. 8. Juni 2022 (Bl. 988 ff., 992 f. d.A.) teilte die Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) dem Antragsteller mit, dass kein Duldungsgrund vorliege und ihm deshalb keine Duldung mehr ausgestellt werden könne. Hierzu nahm der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 12. Juni 2022 Stellung und führte insbesondere aus, dass in Anbetracht des Alters der Kinder eine auch nur vorübergehende Trennung für ein Visumsverfahren unzumutbar sei, zumal die Dauer mangels gesetzlichen Anspruchs sowie aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten in Äthiopien nicht abzusehen wäre.
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Mit Schreiben vom 15. Juni 2022 wurde dem Antragsteller ein Beratungsangebot zur Nachholung des Visumverfahrens gemacht. Mit E-Mail von 24. Juni 2022 teilte die ZAB auf Nachfrage des Bevollmächtigten vom 23. Juni 2022 mit, dass die Deutsche Botschaft in Addis Abeba zuletzt am 11. Februar 2022 mitgeteilt habe, dass die Dauer des Visumsverfahrens vor allem auf die i.d.R. durchzuführende kooperationsanwaltliche Überprüfung der Personenstandsurkunden zurückzuführen sei. Die Dauer der Überprüfung sei abhängig von der Ausstellungsregion der Urkunden und könne nicht genauer beziffert werden. I. d. R. liege die Dauer bei 2 bis 3 Monaten. Erfahrungswerte der ZAB bestünden beim Herkunftsland Äthiopien nur in einem Fall der Visumsnachholung zum Zweck der Ausbildung. Hier habe die Nachholung des Visumsverfahrens knappe 2 Monate gedauert. Daneben wurde darauf hingewiesen, dass sich die Dauer des Visumsverfahrens erheblich verkürzen lasse, indem der Antragsteller aus dem Bundesgebiet heraus eine Vorabzustimmung beantrage. Im Rahmen der diesbezüglichen Prüfung werde die örtliche Ausländerbehörde ein Urkundenüberprüfungsverfahren durchführen, sodass dieses bei Visumsantragstellung entfalle und die Aufenthaltsdauer im Ausland sich auf schätzungsweise 4 Wochen reduzieren lasse. Der E-Mail war ein Merkblatt der Deutschen Botschaft zur Überprüfung äthiopischer Urkunden im Wege der Amts- und Rechtshilfe beigefügt. Danach ist die Bearbeitungszeit eines Überprüfungsverfahrens im Regelfall mit bis zu 3 Monaten anzusetzen. Für Urkunden, die in von der Hauptstadt Addis Abeba weit entfernten Landesteilen ausgestellt wurden, könne die Bearbeitung mitunter länger als 3 Monate dauern. Letztere sei auch abhängig von der aktuellen Sicherheitslage in Äthiopien. Hinzu kämen die Post- und Kurierlaufzeiten für die Übersendung von mindestens 2 Wochen pro Strecke.
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2. Am 27. Juni 2022 ließ der Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweilen Anordnung zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen den Antragsteller abzusehen sowie ihm eine Duldung zu erteilen.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, die durch das Visumsverfahren ausgelöste Trennung des Antragstellers von seinen Kindern, von denen das kleine am … … 2021 geboren worden sei, würde auf unabsehbare Zeit erfolgen. Die Trennung einer familiären Lebensgemeinschaft unterliege anderen Bedingungen als deren (Wieder-)Herstellung, die erheblich schwächer ausgeprägt sei. Unter den gegebenen Umständen würde der Verweis auf ein Visumsverfahren die Kinder des Antragstellers mit größter Wahrscheinlichkeit mindestens über mehrere Jahre hinweg zu Halbwaisen machen. Eine familiäre Lebensgemeinschaft mit den Kindern wäre in Äthiopien nicht möglich, da diese über den Flüchtlingsstatus verfügten. Davon unabhängig bestehe ein Anspruch auf Gewährung einer Verfahrensduldung im Hinblick auf den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b AufenthG. Die Voraussetzungen seien gegeben. Eine Entscheidung des Antragsgegners dazu stehe aus.
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Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2022 trat der Bevollmächtigte den Ausführungen der ZAB in der Klageerwiderung sowie der darin zitierten Rechtsprechung des BayVGH entgegen. Ergänzend wurde ausgeführt, insbesondere den Kindern könne die aufenthaltsrechtlich unsichere Lage des Antragstellers nicht angelastet werden. Für einen Vergleich müsse klar sein, dass das Visum erteilt werde und es müsse innerhalb eines genau definierbaren, zumutbaren Abwesenheitszeitraum erfolgen.
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3. Der Antragsgegner beantragt,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, ein Anordnungsgrund liege vor, da der Antragsteller nach Äthiopien abgeschoben werden solle, falls er sich weigere, freiwillig auszureisen, um das Visumsverfahren nachzuholen.
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Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG, Art. 8 EMRK. Unter Verweis auf Rechtsprechung des BayVGH sowie ein IMS des Bayer. Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 10. Februar 2022 wurde ausgeführt, dass dem Antragsteller die Nachholung des Visumsverfahrens zumutbar sei. Es sei ihm insbesondere zumutbar, bei der örtlichen Ausländerbehörde vorzusprechen und eine Vorabzustimmung zu beantragen und gegebenenfalls eine Urkundenüberprüfung einzuleiten. Letzteres sollte in einem überschaubaren Zeitraum möglich sein, da dem Antragsteller ein gültiger Reisepass ausgestellt worden sei. Solange er seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkomme, habe er keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Eine fehlende Mitwirkung könne auch längere Wartezeiten rechtfertigen.
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Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung im Hinblick auf den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25b Abs. 1 AufenthG. Durch den Antrag sei keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingetreten, da dieser voraussetze, dass sich der Ausländer rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Dies sei hier nicht der Fall, zumal eine Duldung hierfür nicht ausreiche. Die Voraussetzungen des § 25b AufenthG seien nicht erfüllt, insbesondere handle es sich beim Antragsteller nicht um einen „geduldeten Ausländer“ im Sinne dieser Norm.
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Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Er sei nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert. Er habe es bislang unterlassen, alles in seinem Verantwortungsbereich Liegende zu tun, um das Visumsverfahren vorzubereiten sowie die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten.
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Für den Fall, dass der Antragsteller das Visumsverfahren nachholen will, wurde ein Vergleichsvorschlag unterbreitet.
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4. Am 27. Juni 2022 ließ der Antragsteller im Verfahren W 7 E 22.1075 gleichzeitig mit dem vorliegenden Antrag beantragen, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller erneut eine Beschäftigungsgenehmigung zu erteilen bzw. hilfsweise festzustellen, dass die erteilte Beschäftigungsgenehmigung nicht erloschen ist. Auf den ablehnenden Beschluss vom heutigen Tag in diesem Verfahren wird verwiesen.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenakte, auch im Verfahren W 7 E 22.1075 verwiesen.
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Der zulässige Antrag nach § 123 VwGO ist unbegründet.
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1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Im Hinblick auf die durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes ist der Antrag begründet, wenn der geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und es dem Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
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Gemessen daran steht dem Antragsteller kein Anordnungsanspruch zu. Als unanfechtbar abgelehnter Asylbewerber ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG i.V.m. §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG). Die Abschiebung ist jedoch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Voraussetzungen liegen zugunsten des Antragstellers nicht vor.
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2. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die beantragte Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK glaubhaft gemacht. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
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Eine Ausreise des Antragstellers zum Zweck der Nachholung des Visumsverfahrens zum Familiennachzug erweist sich nicht aus Gründen des Schutzes einer bestehenden familiären Bindung des Antragstellers zu seinen Kindern gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als rechtlich unmöglich. Dass die Abschiebung aus sonstigen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Art. 6 GG vermittelt keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet. Gleichwohl folgt aus Art. 6 GG die Pflicht der Ausländerbehörde, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht ihrer Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 – juris Rn. 11 m.w.N). Ebenso ist nach der Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EMRK bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die familiäre Situation des Ausländers zu berücksichtigen (EGMR, U.v. 2.8.2001 – Boultif, Nr. 54273/00 – InfAuslR 2001, 476, 478). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entfaltet Art. 6 GG nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen ausländerrechtliche Schutzwirkungen. Erforderlich ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. etwa BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08; BayVGH, B.v. 24.11.2008 – 10 CE 08.3014; B.v. 17.5.2013 – 10 CE 13.1065 – alle juris). Bei der Würdigung der Eltern-Kind-Beziehung ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen und das Kind beide Elternteile braucht (BVerfG, B.v. 22.5.2018 – 2 BvR 941/18 – juris). Es kommt hierbei nicht darauf an, ob eine Haushaltsgemeinschaft gelebt wird. Dass ein Elternteil nur abschnittsweise am Leben seines Kindes teilnehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht bereits entgegen (BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris). Der spezifische Erziehungsbeitrag eines Elternteils wird durch die Betreuung des Kindes durch den anderen Elternteil nicht entbehrlich. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt. Es kommt jedoch darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. Erforderlich ist daher, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, B.v. 7.6.2019, 19 CE 18.1597 – juris Rn. 22; B.v. 17.12.2018 – 10 C 18.2177 – juris Rn. 19; B.v. 28.7.2015 – 10 ZB 15.858 – juris Rn. 5).
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Bei einer Beistands- oder Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind, die keine häusliche Gemeinschaft voraussetzt, ist wesentlich auf das Kindeswohl und maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen. Es ist daher im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist und es ist zu ermitteln, welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung und vor allem das Kindeswohl hat. Es ist ferner angemessen zu berücksichtigen, ob im Fall einer Rückkehr des Vaters in sein Heimatland ein Abbruch des persönlichen Kontakts zu seinem Kind droht. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit der familiären Gemeinschaft und der Zumutbarkeit einer (vorübergehenden) Trennung sowie der Möglichkeit, über Briefe, Telefonate und Besuche auch aus dem Ausland Kontakt zu halten, spielt schließlich das Alter des Kindes eine wesentliche Rolle (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 37; BayVGH, B.v. 7.6.2019 – 19 CE 18.1597 – juris Rn. 22). Zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Trennung des betroffenen Ausländers von seiner Familie bedarf es von Verfassung wegen einer Begründung, warum insofern eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung in Aussicht steht (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris LS 2c). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Einfachrechtliche Unwägbarkeiten bzw. Ungewissheiten über den Ausgang des Visumsverfahrens sind ebenso zu berücksichtigen wie eine eventuell fehlende Mitwirkung des Betroffenen in diesem Verfahren (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 52 ff.). Eine fehlende Mitwirkung kann daher auch längere Wartezeiten rechtfertigen. Zudem würde es die Erkenntnisfähigkeit von Behörden und Gerichten überfordern, bei der Prognose über die Dauer des Visumsverfahrens und der damit verbundenen Trennung des Ausländers von seinem in Deutschland aufenthaltsberechtigten Kind eine präzise Vorstellung davon zu entwickeln, welche Trennungszeit tatsächlich im Falle der Duldungsversagung zu rechnen wäre, wenn der Ausländer nicht das in seiner Sphäre Liegende beiträgt, um das Verfahren zu betreiben und zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 59). In den Blick zu nehmen ist, wie lange ein Visumsverfahren bei korrekter Sachbehandlung und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen ein derartiger Auslandsaufenthalt des Ausländers für die Familie hätte (BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 15/12 – juris). Diesbezüglich muss die Dauer des Visumsverfahrens absehbar und insbesondere auch geklärt sein, ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, U.v. 7.12.2021 – 10 BV 21.1821 – juris Rn. 40 m.w.N.; OVG SH, B.v. 3.1.2022 – 4 MB 68/21 – juris).
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Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen lässt sich nicht feststellen, dass eine Abschiebung des Antragstellers wegen Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich unmöglich ist, weil eine (vorübergehende) Beendigung dessen Aufenthalts zur Durchführung des Visumsverfahrens unzumutbar wäre. Der Antragsteller ist zwar Vater von zwei Kindern, die am … … 2015 bzw. am … … 2021 geboren wurden, und von denen das ältere im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist. Für die Kinder hat er gemeinsam mit der Kindsmutter das Sorgerecht inne. Es bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, dass ein Familiennachzug nach §§ 27 ff. AufenthG nicht möglich wäre. Der Antragsteller hat nach der Einreise ohne das erforderliche Visum und nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens grundsätzlich – nicht anders als andere Ausländer – ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen, um einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel zu erlangen. Insofern steht anlässlich der Nachholung des Visumsverfahrens grundsätzlich lediglich eine vorübergehende Trennung des Antragstellers von seinen Kindern im Raum. Dem Gericht ist dabei nach Aktenlage auch eine Prognose darüber möglich, welcher Trennungszeitraum zu erwarten ist (BVerfG, B.v. 22.12.2021 – 2 BvR 1432/21 – BeckRS 2021, 43185 Rn. 44).
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Mit Blick auf die Terminvergabe ist lediglich mit kurzen Wartezeiten von etwa 2 Wochen zu rechnen. So waren auf dem Internetauftritt der Deutschen Botschaft Addis Abeba beispielsweise am 3. August 2022 Termine für den 18., 23., 25. oder 30. August 2022, am 10. August 2022 Termine für den 25. und 30. August sowie den 1. und 6. September 2022 buchbar (vgl. online-Buchungssystem der Deutschen Botschaft Addis Abeba, https://addis-abeba.diplo.de/et-de/service/-/1350156, abgerufen am 3. und 10.8.2022). Die Bearbeitungszeit für ein Visum zur Familienzusammenführung beträgt mindestens 6 Monate (vgl. Deutsche Botschaft Addis Abeba, Visumsbeantragung, https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_realmList.do?request_locale=de& locationCode=addi, abgerufen am 10.8.2022). Wie sich aus der Auskunft der Deutschen Botschaft vom 11. Februar 2022 ergibt, die die ZAB in ihrer E-Mail an den Bevollmächtigten vom 24. Juni 2022 zitiert hat (Bl. 1004 ff. d.A.), ist die Dauer des Visumsverfahrens dabei vor allem auf die i.d.R. durchzuführende kooperationsanwaltliche Überprüfung der Personenstandsurkunden zurückzuführen. Die Dauer der Überprüfung ist abhängig von der Ausstellungsregion der Urkunden und kann nicht genauer beziffert werden. I.d.R. liegt die Dauer nach der Auskunft bei 2 bis 3 Monaten. Auch aus dem Merkblatt der Botschaft zur Überprüfung äthiopischer Urkunden im Wege der Amts- oder Rechtshilfe ergibt sich, dass die Bearbeitungszeit eines Überprüfungsverfahrens im Regelfall mit bis zu 3 Monaten anzusetzen ist. Für Urkunden, die in von der Hauptstadt Addis Abeba weit entfernten Landesteilen ausgestellt wurden, kann danach die Bearbeitung mitunter länger als 3 Monate dauern. Letztere ist auch abhängig von der aktuellen Sicherheitslage in Äthiopien. Hinzu kommen die Post- und Kurierlaufzeiten für die Übersendung von mindestens 2 Wochen pro Strecke (vgl. Deutsche Botschaft Addis Abeba, Beglaubigungen und Urkundenüberprüfungen, https://addis-abeba.diplo.de/et-de/service/-/1350120, abgerufen am 10.8.2022).
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Das Gericht geht deshalb auf Grundlage der ihm zur Verfügung gestellten Informationen davon aus, dass der Antragsteller bei vollständig unterbleibender Vorbereitung vom Inland aus etwa 6 ½ Monate von seiner Familie getrennt wäre. Anhaltspunkte für eine längere Trennungszeit sind vorliegend nicht ersichtlich oder vorgetragen. Diese Trennungszeit ist im vorliegenden Einzelfall nicht unzumutbar. Dies folgt auch nicht daraus, dass das Bundesamt mit Bescheid vom 28. September 2018 die Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung festgesetzt hat. Auch diese Frist, die bei einer Abschiebung des Antragstellers nach Äthiopien greift, stellt keine unzumutbar lange Zeitdauer der Trennung von seinen Kindern dar. Auch insoweit ist die Trennung über einen längeren Zeitraum zumutbar, zumal der Antragsteller auch vom Ausland aus oder über seinen Bevollmächtigten einen Antrag auf Verkürzung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 4 AufenthG stellen könnte. Der Antragsteller ist bereits nicht auf das Angebot eines Beratungsgesprächs zur Nachholung des Visumsverfahrens eingegangen. Dass der Antragsteller einen Termin bei der Deutschen Botschaft Addis Abeba vereinbart oder etwa die Durchführung eines Urkundenüberprüfungsverfahrens von Deutschland aus beantragt hat, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Da der Antragsteller bislang keine Schritte zur Nachholung des Visumsverfahrens unternommen hat, überwiegt das öffentliche Interesse an der Beachtung des Visumsverfahrens die schutzwürdigen Interessen des Antragstellers und seiner im Bundesgebiet lebenden Bezugspersonen. Dem Antragsteller kann zugemutet werden, sich für das Sichtvermerkverfahren in das Heimatland zu begeben, ohne dass die Grenze des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erreicht würde. Es liegt allein in der Einflusssphäre des Antragstellers, den vorliegenden Trennungszeitraum durch ihm mögliche und zumutbare Mitwirkungshandlungen auf etwa zwei bis drei Monate zu verkürzen, insbesondere indem er bereits in Deutschland einen Termin bei der Auslandsvertretung beantragt oder das Urkundenüberprüfungsverfahren vom Bundesgebiet aus in die Wege leitet. Um dies zu ermöglichen, hat der Antragsgegner auch mit Schreiben vom 29. Juni 2022 im Rahmen des Vergleichsvorschlags für den Fall der freiwilligen Ausreise zur Nachholung des Visumsverfahrens erklärt, dem Antragsteller eine Duldung nebst Beschäftigungserlaubnis für 6 Monate bzw. für die Dauer der Vorbereitung zur freiwilligen Ausreise zu erteilen. Bei – wie vorliegend – unterbliebener Mitwirkung im Verfahren zur Nachholung des Visumsverfahrens gebieten Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK jedoch nicht, das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Sichtvermerkverfahrens gänzlich zurückzustellen, denn dies bedeutete keinen schonenden Ausgleich der familiären Belange des Ausländers und der gegenläufigen öffentlichen Interessen mehr (OVG Berlin-Bbg, B.v. 8.7.2019 – OVG 3 N 147.17 – juris Rn. 8). Dass die durch die Nachholung des Visumsverfahrens einhergehende Trennung des Antragstellers von seinen Kindern einen längeren Zeitraum als die reine Bearbeitungszeit des Visumsverfahrens beansprucht, die bei Durchführung eines Urkundenüberprüfungsverfahrens vom Bundesgebiet aus verkürzt werden könnte, beruht allein auf der eigenverantwortlichen Entscheidung des Antragstellers, die ihm grundsätzlich mögliche und zumutbare Mitwirkung im Visumsverfahren zu verweigern. Er hat deshalb hieraus gegebenenfalls resultierende längere Trennungszeiten grundsätzlich hinzunehmen. Einen Anspruch darauf, dass die Erteilung des Visums innerhalb eines genau definierbaren Abwesenheitszeitraum erfolgt (wie im Schriftsatz vom 5.7.2022 im Hinblick auf den Vergleichsvorschlag gefordert), hat der Antragsteller nicht, zumal dies die Erkenntnisfähigkeit der Behörden und Gerichte überfordern würde (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21). In Anbetracht dessen, dass der Antragsteller nicht das in seiner Sphäre Liegende beiträgt, um das Verfahren zu betreiben und zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen, trägt er selbst die Verantwortung für damit einhergehende zeitliche Verzögerungen, was ein Absehen von der Durchführung des Visumsverfahrens im vorliegenden Fall nicht zu rechtfertigen vermag.
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Zwar verkennt das Gericht nicht, dass der Antragsteller ausweislich der Erklärung der Kindsmutter vom 2. November 2021 mehrmals in der Woche bei ihr und den Kindern ist und sich um sie kümmert, so dass sich das Lebensumfeld insbesondere der Kinder nicht unerheblich ändern würde. Auf die Sicht der Kinder unter Berücksichtigung ihres Alters abstellend, kann insbesondere das ältere der Kinder – das jüngere zumindest in einem altersgerechten Umfang – mittlerweile aber auch Kontaktaufnahmen über moderne Telekommunikationsmittel erfassen und auf eine begrenzte Trennungszeit in Präsenz vorbereitet werden, sodass sie die Trennung als lediglich vorübergehend erfahren würden. Bei der Abwägung ist weiter in den Blick zu nehmen, dass es sich vorliegend um einen vergleichsweise überschaubaren Trennungszeitraum von etwa 6 ½ Monaten handelt.
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Der Umstand, dass der Antragsteller eine vorübergehende Trennung von seinen Kindern für die Dauer des Visumsverfahrens hinnehmen muss, steht daher vorliegend auch bei Berücksichtigung des Schutzgehalts aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK einer Abschiebung nicht entgegen, es liegt keine rechtliche Unmöglichkeit vor.
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3. Ein Anordnungsanspruch liegt auch nicht in Form einer sogenannten Verfahrensduldung (bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) vor.
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Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG, wonach ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen ist, kann allein daraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis folgen, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist (BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 30; NdsOVG, B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris Rn. 3). Dem in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte (vgl. etwa BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 30).
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Der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat vorliegend keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG. Der Antragsteller hat daher grundsätzlich auch für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung.
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Ausnahmsweise kann jedoch zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung einer Abschiebung geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 31; NdsOVG, B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris Rn. 3). Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erfüllt sein (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30).
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Ein im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu sichernder Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung besteht für den Antragsteller jedoch nach summarischer Prüfung nicht.
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a) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Beim Antragsteller handelt es sich bereits nicht um einen geduldeten Ausländer i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
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Ein Ausländer ist in diesem Sinne geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung gleich welcher Art erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat. Ein Rechtsanspruch auf Duldung ist jedenfalls dann ohne weiteres ausreichend, wenn die Abschiebung i.S.v. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Da die Behörde bei Vorliegen dieser Voraussetzungen verpflichtet ist, dem Ausländer eine Duldung von Amts wegen zu erteilen, kann es diesem nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie dieser Pflicht im Einzelfall trotz Vorliegens der Voraussetzungen nicht nachkommt und den Aufenthalt lediglich faktisch duldet (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – NVwZ 2020, 1044 Rn. 24).
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Der Antragsteller ist jedoch weder Inhaber einer Duldung, noch hat er einen Anspruch auf Erteilung, s.o.
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b) Auch aus § 25 Abs. 5 AufenthG kann der Antragsteller keinen zu sichernden Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung herleiten.
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Es fehlt vorliegend bereits an den besonderen Erteilungsvoraussetzungen, denn eine (freiwillige) Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers stellt sich nicht im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen (oder tatsächlichen) Gründen als unmöglich dar, weil es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK im konkreten Fall vereinbar ist, den Antragsteller selbst angesichts etwaig bestehender „einfachrechtlicher Ungewissheiten“ (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 50) auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen; eine insoweit zutage getretene fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung in einem Visumsverfahren und dadurch bedingte längere Wartezeiten bei der Deutschen Auslandsvertretung in Äthiopien, die zwangsläufig auch eine längere Trennungszeit bedeuten würden (zu einer auch insoweit erforderlichen gültigen Prognose und der damit verbundenen Annahme der Zumutbarkeit einer Ausreise vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 64; vgl. hierzu die obigen Ausführungen), ginge angesichts des gesetzlichen Ausschlussgrunds gemäß § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG zulasten des Antragstellers. Auch diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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Des Weiteren ist es für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich erforderlich, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG vorliegen (BVerwG, U.v. 19.4.2011 – 1 C 3.10 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 30.7.2021 – 19 ZB 21.738 – juris Rn. 10).
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Aufgrund der Einreise des Antragstellers ohne das erforderliche Visum fehlt es jedenfalls an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Nachholung des Visumsverfahrens in § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Ausreichende Gründe für ein Absehen hiervon im Wege einer Ermessenreduzierung auf Null sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Denn grundsätzlich kann vorläufiger Rechtsschutz einem Verfahrensbeteiligten bei Einreise ohne das erforderliche Visum nur dann gewährt werden, wenn keine Zweifel am Anspruch auf die Titelerteilung oder der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens bestehen und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können (BayVGH, B.v. 16.3.2020 – 10 CE 20.326 – juris Rn. 18; VGH BW, B.v. 20.9.2018 – 11 S 1973/18 – juris Rn. 21). Auch unter Berücksichtigung etwaiger Schutzwirkungen aufgrund von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ergibt sich vorliegend nicht, dass gemäß § 5 Abs. 2 Alt. 2 AufenthG vom Erfordernis des Sichtvermerkverfahrens abzusehen ist. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG.
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5. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO war abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung auch unter Berücksichtigung des spezifischen prozesskostenhilferechtlichen Maßstabs (BVerfG, B.v. 5.2.2003 – 1 BvR 1526/02 – juris; BayVGH, B.v. 25.11.2013 – 12 C 13.2126 – juris; Kopp/Schenke, 27. Aufl. 2021, § 166 Rn. 8) keine hinreichenden Erfolgsaussichten bietet. Zur Begründung wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.