Titel:
Volksverhetzung durch Verharmlosung des unter der NS-Herrschaft auch an Mischlingen zweiten Grades begangenen Völkermords aufgrund Vergleichs mit Pandemie-Schutzmaßnahmen im Rahmen einer Rede (bestätigt durch LG München II BeckRS 2022, 43841)
Normenketten:
StGB § 130 Abs. 3
VStGB § 6 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zieht der Täter mit der Äußerung in einer im Januar 2021 gehaltenen Rede, man könnte sich in der heutigen Zeit wie im Dritten Reich wie ein "Mischling zweiten Grades", der kein "Geltungsjude" ist, fühlen, einen Vergleich zwischen der Covid-19-Pandemie und den im Rahmen dieser Pandemie angeordneten Schutzmaßnahmen und der Behandlung der sog. "Mischlinge zweiten Grades" im Dritten Reich, so verharmlost er durch diese Parallele den auch an den "Mischlingen zweiten Grades" unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord iSv § 130 Abs. 3 StGB. (Rn. 2 – 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Jedenfalls in Osteuropa wurden "Mischlinge zweiten Grades" zur Zeit des Dritten Reichs unterschiedslos zu den übrigen Menschen jüdischer Abstammung behandelt und unterlagen daher auch dem Genozid. Zudem unterlagen sie im Dritten Reich unter anderem Heiratsbeschränkungen, die zu einer Geburtenkontrolle führen sollten und führten, was den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 4 VStGB erfüllt. (Rn. 5 und 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Einlassung, bei Internetrecherchen keine Angaben zum Genozid an "Mischlingen zweiten Grades" im Dritten Reich gefunden zu haben, ist unglaubhaft. (Rn. 8, 11 und 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Volksverhetzung, Pandemie, Covid 19, Verharmlosung, "Mischling zweiten Grades", "Geltungsjude", Völkermord, Genozid, Internet
Rechtsmittelinstanzen:
LG München II, Urteil vom 18.10.2022 – 6 Ns 12 Js 5385/21
BayObLG, Beschluss vom 17.02.2023 – 207 StRR 32/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44506
Tenor
I. Der Angeklagte C. T., geb. ... 1967, übrige Personalien wie erhoben, ist schuldig der Volksverhetzung und wird deswegen zur Geldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 40,-- Euro verurteilt.
II. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.
Entscheidungsgründe
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Der Angeklagte ist verheiratet und deutscher Staatsangehöriger. Er ist als Sicherheitsmitarbeiter tätig. Weitere Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen wurde für den Angeklagten nicht getätigt, die Verhältnisse sind geordnet. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
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Am 28.01.2021 äußerte der Angeklagte im Rahmen seiner Rede auf der Veranstaltung „Wahrheit, Friede, Freiheit“ gegen 18.00 Uhr in ... P., Alte G. St. Folgendes: „Jetzt habe ich den genauen Satz, wie man sich fühlen könnte in der heutigen Zeit: Man fühlt sich im Dritten Reich wie ein Mischling zweiten Grades, der kein Geltungsjude ist“.
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Hierdurch zog der Angeklagte einen Vergleich zwischen der bestehenden Covid-19-Pandemie und den im Rahmen dieser Pandemie angeordneten Schutzmaßnahmen und der Behandlung der sogenannten Mischlinge zweiten Grades im Dritten Reich.
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Durch diese Parallele verharmloste der Angeklagte, wie er jedenfalls vorhergesehen und billigend in Kauf nahm, den auch an den Mischlingen zweiten Grades unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord.
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Jedenfalls in Osteuropa wurden Mischlinge zweiten Grades zur Zeit des Dritten Reichs unterschiedslos zu den übrigen Menschen jüdischer Abstammung behandelt und unterlagen daher auch dem Genozid. Zudem unterlagen sie im Dritten Reich u.a. Heiratsbeschränkungen, die zu einer Geburtenkontrolle führen sollten und führten.
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Die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen beruhen auf den Angaben des Verteidigers in der Hauptverhandlung sowie auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister.
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Der Sachverhalt beruht auf der durchgeführten Beweisaufnahme.
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Der Angeklagte ließ sich in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten und war selbst nicht anwesend. Sein Verteidiger gab für ihn an, es handele sich bei dem Angeklagten um den Redner, er habe den ihm vorgeworfenen Satz so gesagt. Dem Angeklagten sei jedoch, trotz Recherche im Internet, nicht klar gewesen, dass Mischlinge zweiten Grades verfolgt worden seien und dass an ihnen Völkermord begangen worden sei. Er sei lediglich davon ausgegangen, dass Mischlinge zweiten Grades Einschränkungen im Dritten Reich hätten erleiden müssen, so zum Beispiel bestimmte berufliche Tätigkeiten nicht hätten ausführen dürfen, Einschränkungen bei der Heirat erlitten hätten, Einschränkungen beim Zugang zu Bildung und sich allgemein nicht hätten frei bewegen können. Vor seiner Rede habe er recherchiert. Das Ganze sei aufgrund der Diskussion um die Impfpflicht entstanden, durch welche für Ärzte oder Krankenschwestern faktisch ein Berufsverbot eingeführt werde. Universitäten seien zum Teil nur für Geimpfte zugänglich gewesen. Der Angeklagte stehe der Impfung gegen Covid-19 sehr kritisch gegenüber und sei nicht geimpft. Eine Erklärung für die Wortwahl „Knoblauch“ und „Leiterin der Zionisten“ gebe es nicht.
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Der entsprechende Teil der Rede wurde in der Hauptverhandlung von der CD abgespielt.
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Der Sachverständige Professor Dr. B1. gab an, dass es sich bei Mischlingen zweiten Grades um eine massiv verfolgte Gruppe handele. Es habe Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst gegeben und diese Personen hätten als Ärzte beziehungsweise im kulturellen Bereich nicht mehr tätig sein dürfen, so dass beispielsweise auch Buchhändler oder Kinobesitzer betroffen gewesen seien. Hierbei habe es sich faktisch um ein Berufsverbot gehandelt. Zudem habe es ein Heiratsverbot gegeben; dadurch seien nur sehr wenige Mischlinge zweiten Grades, und zwar nur 12.000 von insgesamt rund 41.000, verheiratet gewesen. Es habe dann bei der 2. Wannseekonferenz Versuche gegeben, die Mischlinge zweiten Grades den Juden gleichzustellen, wobei dieses Ansinnen zunächst vertagt worden sei. In den besetzten Gebieten von Mittel- und Osteuropa – so in Polen, dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und der Ukraine – seien keine Unterschiede zwischen Mischlingen zweiten Grades und sogenannten Volljuden gemacht worden. Es habe in Bezug auf all diese Personen Massenmordaktionen gegeben. Es habe daher jederzeit sein können, dass auch die Mischlinge zweiten Grades in Deutschland ebenso behandelt würden. Mischlinge in Haft seien zudem auch in Deutschland in Konzentrationslager überstellt worden, für diese habe es keinen Unterschied zu Volljuden gegeben. Zudem habe im Dritten Reich keine Rechtssicherheit geherrscht. Rechtliche Regelungen im nationalsozialistischen Maßnahmenstaat seien durch die SS beziehungsweise SA nicht befolgt worden. Er selbst habe viele Mischlinge zweiten Grades kennengelernt, wobei zum Ausdruck gekommen sei, dass sie unter enormem psychischen Stress gestanden hätten. Sie hätten Gerüchte von Massenmorden vernommen und jüdische Verwandte seien verschwunden. Nach 1945 seien gesundheitliche Schäden der Mischlinge zweiten Grades als Dauerbelastung anerkannt worden.
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Das Thema sei vielfach aufgearbeitet worden und auch im Internet fände man grundlegende Informationen zum Verfolgungsschicksal dieser Gruppe. Die Ausdrücke „Mischling zweiten Grades“ und „Geltungsjude“ zeigten zudem klar, dass man sich mit dem Thema beschäftigt habe. Für die weiblichen Mischlinge zweiten Grades sei lediglich die Hälfte der männlichen Bevölkerung überhaupt als Ehepartner in Frage gekommen, alle anderen seien ausgeschieden aufgrund der Einschränkungen. Konsequenzen einer dennoch geschlossenen Ehe seien berufliche Einschränkungen und andere massive Nachteile gewesen. Es sei starker Druck auch auf Mischlinge ersten Grades aufgebaut worden, sich scheiden zu lassen.
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Die Eliminierung jüdischen Blutes sei entweder durch Ermordung, Sterilisation oder Heiratsbeschränkung erfolgt. Eine Information über dieses Thema könne über das Internet erfolgen, so zum Beispiel über Wikipedia oder die Bundeszentrale für politische Bildung. Näheres hierzu könne der Sachverständige nicht ausführen. Zudem sei eine Einsicht in öffentlichen Bibliotheken über Bücher möglich.
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Der Sachverständige macht nachvollziehbare Angaben für das Gericht, zudem kamen in der Hauptverhandlung auszugsweise die Eintragungen zu „Geltungsjude“ und „Jüdischer Mischling“ aus Wikipedia.de zur Verlesung.
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Nach alledem ist der Angeklagte vollumfänglich überführt. Seine Einlassung, er habe bei der Recherche Angaben über den Genozid nicht gefunden, ist völlig unglaubhaft. Der WikipediaArtikel zeigt beispielsweise relativ am Anfang (ausgedruckt auf Seite 3), dass es zu einem solchen in den Ostgebieten kam. Der Angeklagte blieb zudem dem Gericht auch eine Erläuterung schuldig, welche Quellen er konkret bemüht haben will, die dann unvollständig gewesen sein sollen. Dem Angeklagten sind die Begriffe „Mischling zweiten Grades“ und „Geltungsjude“ offenbar bekannt, so dass er sich mit diesen Begrifflichkeiten vorab hat beschäftigen müssen. Im Übrigen gab er über seinen Verteidiger selbst an, von den Einschränkungen bzgl. der Heirat gewusst zu haben. Dies fällt bereits unter § 6 Abs. 1 Nr. 4 VStGB und erfüllt damit den Tatbestand.
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Der Angeklagte war demnach schuldig zu sprechen der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB.
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Es war von einem Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren auszugehen.
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Hierbei konnte zu Gunsten des Angeklagten Berücksichtigung finden, dass er nicht vorgeahndet ist; zudem hat er seine Rednereigenschaft eingeräumt.
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Unter Berücksichtigung dessen hat das Gericht eine Geldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen erachtet. Die Tagessatzhöhe war im Wege der Schätzung zu ermitteln, das Gericht sah eine solche von 40,00 Euro als nachvollziehbar an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 465 StPO.