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LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 28.07.2022 – 8 O 6639/21
Titel:

Auskunftsklage nach Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
VVG § 3 Abs. 3, Abs. 4, § 203
BGB § 242, § 810
DS-GVO § 15
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Voraussetzung für einen aus einem Schuldverhältnis nach Treu und Glauben folgenden Auskunftsanspruch ist, dass der Anspruchsteller über den Inhalt der geforderten Information in entschuldbarer Weise im Unklaren ist, wohingegen der Anspruchsgegner die Auskunft unschwer erteilen kann und ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein bestimmter durchsetzbarer Anspruch existiert (Anschluss an BGH BeckRS 2018, 2281; BeckRS 2011, 26979). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch nach § 3 Abs. 3, Abs. 4 VVG bedingt, dass der Versicherungsnehmer sein Begehren ausdrücklich darauf stützt, dass ihm ein Dokument ausgestellt werden soll, das in rechtlicher Hinsicht an die Stelle des Originaldokuments als Wertpapier treten soll. Dementsprechend setzt § 3 Abs. 3 VVG wenigstens das Abhandenkommen oder die Vernichtung des Originaldokuments voraus. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 810 BGB erfasst kein Begehren auf Erteilung einer Auskunft oder Übersendung von Unterlagen (Anschluss an OLG Hamm BeckRS 2021, 40312). (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Auskunftsbegehren kann nicht auf § 15 DS-GVO gestützt werden, wenn das Begehren ausschließlich der Überprüfung etwaiger vom Versicherer vorgenommener Prämienanpassungen wegen möglicher formeller Mangel nach § 203 Abs. 5 VVG dienen soll (Anschluss an OLG Nürnberg BeckRS 2022, 7415; OLG Hamm BeckRS 2021, 40312). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Beitragserhöhung, Stufenklage, Auskunftsklage
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 15.02.2023 – 8 U 2488/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44502

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Prämienanpassungen eines privaten Krankheitskostenversicherungsvertrages. Die Klagepartei nimmt die Beklagte – ihren Versicherer – im Wege einer Stufenklage auf Auskunft bezüglich vergangener Beitragsanpassungen, Zahlung eines nach Auskunft noch zu beziffernden Betrages sowie auf Feststellung der Pflicht der Beklagten zur verzinslichen Auszahlung von gezogenen Nutzungen in Anspruch.
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Die Klagepartei ist seit dem 01.01.2003 bei der Beklagten privat krankenversichert.
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Die Klagepartei meint, einen Auskunftsanspruch hinsichtlich sämtlicher Beitragsanpassungen des Versicherungsvertrages in den Jahren 2013 – 2021 zu haben. Diesbezüglich geeignete Unterlagen seien der Klagepartei zur Verfügung zu stellen. Auf Grundlage dieser Unterlagen könne sie Feststellung begehren, dass sie nicht zur Zahlung von Differenzbeträgen verpflichtet sei, sowie dass der monatlich fällige Gesamtbetrag für die Zukunft auf einen nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernden Betrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen zu reduzieren sei. Ferner könne sie überzahlte Beiträge und von der Beklagten hieraus gezogene Nutzungen auf einer weiteren Stufe der Klage zurückverlangen.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerseite Auskunft über alle Beitragsanpassungen zu erteilen, die die Beklagte in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag in den Jahren 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021, zur Versicherungsnummer ... vorgenommen hat und hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die folgenden Angaben enthalten sind:
die Höhe der Beitragsanpassungen für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021, unter Benennung der jeweiligen Tarife im Versicherungsverhältnis der Klägerseite,
die der Klägerseite zu diesem Zwecke übermittelten Informationen in Form von Versicherungsscheinen und Nachträgen zum Versicherungsschein der Jahre 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021, sowie die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien in sämtlichen ehemaligen und derzeitigen Tarifen des Versicherungsvertrages mit der Versicherungsnummer … seit dem 01.01.2012.
2. Es wird festgestellt, dass die nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 1) noch genauer zu bezeichnenden Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer … unwirksam sind und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages verpflichtet, sowie, dass der monatlich fällige Gesamtbetrag für die Zukunft auf einen nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 1) noch zu beziffernden Betrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen zu reduzieren ist.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 1) noch zu beziffernden Betrag nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt,
a) der Klägerseite die Nutzungen in der nach Erteilung der Auskunft gemäß dem Antrag zu 1) noch zu beziffernden Höhe herauszugeben, die die Beklagte bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 2) noch aufzuführenden Beitragsanpassungen gezahlt hat,
b) die Zinsen aus den herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an die Klägerseite zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerseite hinsichtlich der außergerichtlichen anwaltlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.054,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit freizustellen.
5
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
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Sie ist der Ansicht, die Stufenklage bei unzulässig. Die Verbindung zwischen Auskunfts- und Leistungsansprüchen in der in § 254 ZPO vorgesehenen Weise entsprechend dem Zweck der Vorschrift sei nur dann zulässig, wenn die begehrte Auskunft dazu diene, den Leistungsanspruch zu beziffern oder in sonstiger Weise zu konkretisieren. Eine Stufenklage sei aber unzulässig, wenn die begehrte Auskunft nicht der Bestimmung des Leistungsanspruchs dient, sondern der Klagepartei sonstige Informationen über ihre Rechtsverfolgung verschaffen solle. Der erforderliche Zusammenhang zwischen Auskunfts- und Leistungsbegehren fehle insbesondere, wenn die Auskunft der Klagepartei die Beurteilung ermöglichen soll, ob ihr dem Grunde nach ein Anspruch zusteht, ob also z. B. ein zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten der beklagten Partei vorliege und ob dieses für einen der Klagepartei entstandenen Schaden kausal sei. Die Beklagte hat zudem die Einrede der Verjährung erhoben.
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Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Terminsprotokoll vom 11.05.2022 Bezug genommen.
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Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe

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I. Die Klageanträge zu 2 bis 4 sind bereits unzulässig. Im Übrigen (Klageanträge zu 1 und zu 5) ist die Klage unbegründet.
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II. Die Klageanträge zu 2 bis 4 sind unzulässig, da in diesen entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die konkrete Höhe der Zahlungsansprüche nicht angegeben ist (Klageanträge zu 3 und 4) bzw. das festzustellende Rechtsverhältnis nicht hinreichend konkret angegeben ist (Klageantrag zu 2). Beides ist insbesondere nicht nach § 254 ZPO entbehrlich.
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1. Zwar hat die Klagepartei die Klageanträge zu 2 bis 4 so formuliert, dass die konkrete Höhe der Zahlungsansprüche der Klageanträge zu 3 und 4 und das festzustellende Rechtsverhältnis gemäß Klageantrag zu 2 von der gemäß Klageantrag zu 1 zu erteilenden Auskunft abhängig sein soll. Die mit dem Klageantrag zu 1 begehrte Auskunft ist jedoch nicht (nur) auf die Bezifferung von Beträgen, sondern auf weitergehende Mitteilungen über erfolgte Prämienanpassungen, insbesondere die Frage, ob solche überhaupt erfolgt seien. Bezüglich der im klägerischen Schriftsatz vom 27.04.2022 auf Seite 4 ff. angesprochenen „Beitragsanpassungen“ konkretisieren weder, ob es zu den angesprochenen Zeitpunkten überhaupt zu Beitragserhöhungen gekommen ist und – worauf die Beklagte zurecht verweist – ebenfalls nicht, in welcher Beobachtungseinheit (Kinder- und Jugendliche, Erwachsene, Männer, Frauen) die Anpassungen vorgenommen wurden. Der Antrag dient daher offensichtlich jedenfalls nicht nur der Bezifferung der Klageanträge zu 3 und 4 bzw. der Konkretisierung des festzustellenden Rechtsverhältnisses gemäß Klageantrag zu 2. Die in § 254 ZPO geregelte einstweilige Befreiung von der prozessualen Obliegenheit zur Bezifferung des Klageanspruchs gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO greift insbesondere dann nicht, wenn die Auskunft nicht (nur) der konkreten Bezifferung, sondern der Beschaffung von sonstigen für die Rechtsverfolgung (möglicherweise) Informationen dienen soll (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 2011 – VI ZR 117/10 – BGHZ 189, 79, juris Tz. 8; BGH, Urteil vom 18. April 2002 – VII ZR 260/01 – NJW 2002, 2952, juris Tz. 16; OLG Nürnberg, Beschluss vom 14. März 2022 – 8 U 2907/21 – juris Tz. 34).
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2. Im Falle einer Umdeutung der Klageanträge in eine unbedingte Klagehäufung nach § 260 ZPO wären während die Klageanträge zu 2 bis 4 mangels Bezifferung bzw. Angabe des konkreten festzustellenden Rechtsverhältnisses gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO in gleicher Weise unzulässig.
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III. Die Klageanträge zu 1 und zu 5 sind unbegründet. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Erteilung gemäß dem – nach entsprechender Umdeutung als selbstständiges Auskunftsbegehren anzusehenden – Klageantrag zu 1. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 5) sind mangels Schadensersatzpflicht der Beklagten und mangels Verzug nicht zu ersetzen.
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1. Eine Anspruchsgrundlage für das Auskunftsbegehren im Hinblick auf erfolgte Beitragsanpassungen nebst Unterlagen ist nicht ersichtlich.
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a) Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus § 241 Abs. 2, § 242 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag.
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aa) Zwar kann sich aus einem Schuldverhältnis nach Treu und Glauben auch die Pflicht zur gegenseitigen Unterstützung ergeben, die im Einzelfall auch zu der Verpflichtung eines Vertragspartners führen, dem anderen Teil Informationen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 8 U 1096/20 – juris Tz. 10 m.w.N.). Es genügt jedoch nicht, dass der Anspruchsteller behauptet, die begehrte Information sei für ihn von Bedeutung bzw. er sei auf sie angewiesen. Voraussetzung ist vielmehr, dass der Anspruchsteller über den Inhalt der geforderten Information in entschuldbarer Weise im Unklaren ist, wohingegen der Anspruchsgegner die Auskunft unschwer erteilen kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Februar 2018 – III ZR 65/17 – NJW 2018, 2629 – juris Tz. 23 m.w.N.) und ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein bestimmter durchsetzbarer Anspruch existiert (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2011 – VIII ZR 106/11 – NJW 2012, 303 Rn. 11).
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bb) Hieran fehlt es im Streitfall.
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(1) Die Klagepartei hat offenbar kurz vor dem Termin – nämlich mit Schreiben vom 27.04.2022 – gegenüber der Beklagten erklärt, „Versicherungsscheine, Nachträge zum Versicherungsschein, sowie sämtliche Beiblätter aus den Jahren 2012-2021“ seinen nicht mehr auffindbar. Mit dem Schreiben verbunden war jedoch keine Aufforderung an die Beklagte, ihr entsprechende Unterlagen ersatzweise auszustellen. Damit wurde bereits nicht hinreichend konkret vorgetragen, dass die Klagepartei in entschuldbarer Weise nicht (mehr) über Informationen betreffend etwaige Beitragserhöhungen und die damit verbundene Unterlagen verfüge.
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Unabhängig davon ging der auf den 06.05.2022 datierte klägerische Schriftsatz, mit dem das genannte Schreiben dem Gericht übermittelt wurde, erst am 09.05.2022 um 16:34 Uhr per beA bei Gericht ein. Der Schriftsatz wurde dem Einzelrichter vor dem Termin, welcher am 11.05.2022 um 9.30 Uhr stattfand, nicht vorgelegt und befand sich damit nicht bei der Akte. Der Klägervertreter wies im Termin auch nicht auf das Einreichen des überaus kurzfristig vor dem Termin versendeten Schriftsatzes hin, sodass dieser jedenfalls als verspätet gem. § 296 ZPO zu werten ist, da die Beklagte hierauf nicht mehr hat reagieren können, insbesondere nicht hat überprüfen können, ob ihr das darin enthaltene Schreiben vom 27.04.2022 überhaupt zugegangen ist. Eine Berücksichtigung des Schriftsatzes vom 06.05.2022 hätte auch zu einer Verzögerung des Rechtsstreits geführt, da der Termin hätte abgesetzt werden müssen.
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(2) Es kann daher dahinstehen, ob die Klagepartei greifbare Anhaltspunkte für einen durchsetzbaren Rückzahlungsanspruch vorgetragen hat (vgl. dazu OLG Nürnberg, Beschluss vom 14. März 2022 – 8 U 2907/21 – juris Tz. 40).
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b) Ein Anspruch aus § 3 Abs. 3, Abs. 4 VVG scheidet jedenfalls im Streitfall ebenfalls aus.
22
aa) Zwar kann nach dieser Vorschrift der Versicherungsnehmer vom Versicherer – gegen Erstattung der hierbei anfallenden Kosten (§ 3 Abs. 5 VVG) – die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheines als Ersatz für einen abhandengekommenen oder vernichteten Versicherungsschein (§ 3 Abs. 3) sowie die Übermittlung von Abschriften der Erklärungen, die der Versicherungsnehmer in Bezug auf den Vertrag gegenüber dem Versicherer abgegeben hat (§ 3 Abs. 4), verlangen. § 3 Abs. 3 VVG ist dabei auch auf Nachträge zum Versicherungsschein anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2004 – IV ZR 75/03 – r+s 2004, 404, 405; OLG Hamm, Urteil vom 10. Juni 1992 – 20 U 376/91 – r+s 1992, 390; jeweils zu § 5 VVG a.F.; Prölss/Martin/Rudy, VVG, 31. Aufl., § 3 Rn. 1).
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bb) Damit kann ein Anspruch aus § 3 VVG allenfalls die von der Klagepartei begehrten Versicherungsscheine und Nachträge erfassen, nicht hingegen die mit dem Klageantrag zu 1 darüber hinaus verlangten weitergehenden Informationen und Unterlagen.
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cc) Zur Geltendmachung eines – grundsätzlich mit § 3 Abs. 3 VVG begründbaren – Anspruchs auf Neuausstellung eines Nachtrags zum Versicherungsschein wird man zudem verlangen müssen, dass der Versicherungsnehmer sein Begehren ausdrücklich darauf stützt, dass ihm ein Dokument ausgestellt werden soll, das in rechtlicher Hinsicht an die Stelle des Originaldokuments als Wertpapier treten soll. Dementsprechend setzt § 3 Abs. 3 VVG wenigstens das Abhandenkommen oder die Vernichtung des Originaldokuments voraus, was nach zutreffender Ansicht vgl. Langheid/ Wandt/Armbrüster, MüKoVVG, 3. Aufl., § 3 Rn. 45; Prölss/Martin/Rudy, VVG, 31. Aufl., § 3 Rn. 8) auch die freiwillige Besitzaufgabe oder Vernichtung umfasst, beim Bestehen entsprechender gesetzlicher Anordnungen sogar dessen Kraftloserklärung nach § 1003 ff. ZPO (§ 3 Abs. 3 Satz 2 VVG). Zu verhindern ist, dass eine Vielzahl von Dokumenten in Umlauf geraten, die allesamt den Anspruch erheben, den Inhalt des Versicherungsvertrages verbindlich zu dokumentieren. Schließlich muss der Wille des Versicherungsnehmers, sein Begehren auf Neuausstellung eines Nachtrags zum Versicherungsschein auf § 3 Abs. 3 VVG zu stützen auch deswegen hinreichend sicher feststellbar sein, weil die Ausübung eines solchen Begehrens nach § 3 Abs. 5 VVG vom Versicherungsnehmer zu tragende Kosten auslöst.
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dd) Nach diesen Vorgaben hat die Klagepartei einen Anspruch nach § 3 Abs. 3 VVG ebenfalls nicht ausreichend geltend gemacht. So hat sie insbesondere einen Anspruch aus § 3 Abs. 3 VVG nicht ausdrücklich geltend gemacht. Zwar hat sie behauptet, die Versicherungsscheine und Nachträge seien nicht mehr auffindbar. Dies war jedoch offenbar (zumindest auch) zur Begründung eines Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB (vgl. oben unter 1) zur Darlegung der Unkenntnis der Klägerseite erfolgt. Zur Behauptung eines (dauerhaften) Abhandenkommens oder eine Vernichtung im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 VVG dürfte dies hingegen nicht ausreichend sein (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 14. März 2022 – 8 U 2907/21 – juris Tz. 41)
26
c) Auch § 810 BGB verhilft der Klage insofern nicht zum Erfolg.
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Zum einen gewährt diese Vorschrift nur einen Anspruch auf Einsicht in bestimmte Urkunden. Der hier geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Auskunft oder auf Übersendung von Unterlagen ist davon nicht erfasst (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. November 2021 – 20 U 269/21 – r+s 2022, 93, juris Tz. 17). Darüber hinaus verlangt § 810 BGB nach einem schutzwürdigen rechtlichen Interesse des Anspruchstellers. Dieses wird zwar nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass der Vertragspartner seine eigene Abschrift schuldhaft verloren hat (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1992 – XI ZR 193/91 – NJW-RR 1992, 1072). Allerdings darf die Einsicht nicht der Ausforschung dienen, um erst dadurch Anhaltspunkte für eine spätere Rechtsverfolgung gegen den Besitzer der Urkunde zu gewinnen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2014 – XI ZR 264/13 – NJW 2014, 3312, juris Tz. 24 m.w.N.). Letzteres ist hier jedoch ersichtlich das Ziel der Klagepartei (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 14. März 2022 – 8 U 2907/21 – juris Tz. 42).
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d) Einen Auskunftsanspruch aus Art. 15 Abs. 1 DS-GVO kann die Klagepartei jedenfalls deswegen nicht geltend machen, weil der Beklagten ein Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 Satz 2 lit. b DS-GVO zusteht.
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aa) Nach dieser Vorschrift kann sich der Verantwortliche im Falle von offenkundig unbegründeten oder – insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung – exzessiven Anträgen einer betroffenen Person weigern, aufgrund eines Auskunftsantrags tätig zu werden. Die Vorschrift führt dabei zwar lediglich die häufige Wiederholung als Beispiel für einen „exzessiven“ Antrag auf. Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ macht aber deutlich, dass die Vorschrift auch andere rechtsmissbräuchliche Anträge erfassen will (vgl. Ehmann/Selmayr/Heckmann/Paschke, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 12 Rn. 43; Paal/Pauly/Paal/Hennemann, DS-GVO, BDSG, 3. Aufl., Art. 12 DS-GVO Rn. 66 m.w.N.). Bei der Auslegung, was in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich ist, ist auch der Schutzzweck der DS-GVO zu berücksichtigen. Wie sich aus deren Erwägungsgrund (63) ergibt, ist Sinn und Zweck des in Art. 15 DS-GVO normierten Auskunftsrechts, es der betroffenen Person problemlos und in angemessenen Abständen zu ermöglichen, sich der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten bewusst zu werden und die Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung überprüfen zu können (vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Juni 2021 – VI ZR 576/19 – VersR 2021, 1019, juris Tz. 23).
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bb) Um ein solches Bewusstwerden zum Zweck einer Überprüfung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten geht es der Klagepartei aber ersichtlich gar nicht. Sinn und Zweck der von ihr begehrten Auskunftserteilung ist vielmehr – wie sich aus der Koppelung mit den unzulässigen Klageanträgen auf Feststellung und Zahlung zweifelsfrei ergibt – ausschließlich die Überprüfung etwaiger von der Beklagten vorgenommener Prämienanpassungen wegen möglicher formeller Mangel nach § 203 Abs. 5 VVG. Eine solche Vorgehensweise ist vom Schutzzweck der DS-GVO aber nicht umfasst (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 14. März 2022 – 8 U 2907/21 – juris Tz. 44; OLG Hamm aaO juris Tz. 11; LG Wuppertal, Urteil vom 29. Juli 2021 – 4 O 409/20 – r+s 2021, 696, juris Tz. Rn. 33).
31
e) Auch soweit ein Versicherer grundsätzlich zur Aufbewahrung von Unterlagen verpflichtet ist, folgt daraus jedenfalls kein Auskunftsanspruch der Klagepartei (OLG Nürnberg, Beschluss vom 14. März 2022 – 8 U 2907/21 – juris Tz. 45).
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2. Für das Auskunftsbegehren hinsichtlich der für eventuelle Beitragsanpassungen maßgeblichen auslösenden Faktoren besteht eine Anspruchsgrundlage jedenfalls im Streitfall nicht.
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Ob der Versicherungsnehmer vom Versicherer im Wege eines Auskunftsanspruchs die Mitteilung der für eine Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2, Abs. 5 VVG maßgeblichen Faktoren verlangen kann, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt. Klarheit besteht allerdings insoweit, als der Versicherer eine solche Auskunft nicht von sich aus im Rahmen der Begründung nach § 203 Abs. 5 VVG erteilen muss (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 – BGHZ 228, 56, juris Tz. 26). Zudem kommt in Betracht, dass ein Versicherer im Rahmen seiner Erklärungslast nach § 138 Abs. 2 ZPO im Rahmen eines Rechtsstreits verpflichtet sein kann, die konkrete Höhe der maßgeblichen auslösenden Faktoren vorzutragen, wenn das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für eine solche Beitragsanpassung von der Klagepartei in beachtlicher Weise gerügt worden ist. Ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch folgt jedoch auch hieraus nicht zwingend. Gleichwohl wird dem Versicherungsnehmer ein solcher Auskunftsanspruch auf Basis des Versicherungsvertrags zu gebilligt, soweit er im Einzelfall ein Interesse an weiteren Informationen hat, etwa wegen einer beabsichtigten Plausibilitätskontrolle oder als Entscheidungshilfe für die Ausübung seiner Rechte nach § 204 VVG (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2019 – 7 U 237/18 – juris Tz. 22 ff.; OLG Köln, Urteil vom 28. Januar 2020 – 9 U 138/19 – juris Tz. 77).
34
Im Streitfall kann der Klagepartei das für einen solchen Auskunftsanspruch erforderliche rechtliche Interesse jedoch schon deswegen nicht geltend zugebilligt werden, weil diese die Mitteilung der auslösenden Faktoren nicht bezogen auf eine konkrete Beitragsanpassung begehrt, sondern pauschal im Rahmen ihres Auskunftsantrags hinsichtlich sämtlicher möglicherweise stattgefundener Beitragsanpassungen in den aufgeführten Jahren.
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3. Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten kann die Klagepartei nicht verlangen.
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Weder steht die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer aus dem Versicherungsverhältnis folgenden Pflicht fest, noch kann festgestellt werden, dass sich die Beklagte im Zeitpunkt der Beauftragung der Klägervertreter mit der Erfüllung irgendeiner Auskunftsverpflichtung in Verzug befand.
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IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.
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V. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
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VI. Den Streitwert des vollständig im Wege der Stufenklage verfolgten Klagebegehrens hat das Gericht mangels anderer Anhaltspunkte gemäß § 3 ZPO auf 4.000,00 € geschätzt (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 14. März 2022 – 8 U 2907/21 – juris Tz. 56).