Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 15.12.2022 – Au 5 K 22.1799
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen Neubau einer Lagerhalle im Gewerbegebiet

Normenkette:
BauGB § 31 Abs. 2
Leitsätze:
1. Wird eine Befreiung von einer nicht drittschützenden Festsetzung eines Bebauungsplanes erteilt, hat der Nachbar grundsätzlich nur ein subjektiv-öffentliches Recht auf Würdigung seiner nachbarrechtlichen Interessen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Festsetzungen eines Bebauungsplanes entfalten mit Ausnahme der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, die kraft Gesetzes Drittschutz vermitteln, grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nur die rechtsverbindlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans und nicht seine Kennzeichnungen und nachrichtlichen Übernahmen bestimmen die angestrebte städtebauliche Ordnung. Nichts Anderes kann für „Hinweise“ gelten. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Lagerhalle mit Büros im Gewerbegebiet, Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans, Festsetzung zur Zaunhöhe im konkreten Fall nicht nachbarschützend, „Hinweise“ im Bebauungsplan nicht nachbarschützend, Abstandsfläche, Gebot der Rücksichtnahme
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44455

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.  
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin richtet sich als Nachbarin gegen einen Baugenehmigungsbescheid für den Neubau einer Lagerhalle mit Büros.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. ..., Gemarkung ... Das Grundstück grenzt unmittelbar an das Baugrundstück, Fl.Nr. ..., Gemarkung ..., an. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Gewerbegebiet ...“.
3
Mit Antrag vom 17. März 2022 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben „Neubau einer Lagerhalle mit Büro“ auf dem Grundstück Fl.Nr. ..., Gemarkung ... Mit dem Antrag wurde die Erteilung von Befreiungen nach § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) beantragt. Der Beigeladene verpflichtete sich, die künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans „Gewerbegebiet ...“ anzuerkennen. Die Klägerin hat dem Bauantrag nicht zugestimmt.
4
Mit Bescheid vom 1. August 2022 (Bautenverzeichnis-Nr. ...), der Klägerin zugestellt am 6. August 2022, erteilte die Beklagte dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Von den Festsetzungen des Bebauungsplans „Gewerbegebiet ...“ wurden Befreiungen hinsichtlich der Zaunhöhe von 1,95 m anstatt 1,80 m und der Begrünung des Zauns sowie der Verortung der privaten Grünfläche erteilt. Zur Begründung der Befreiungen wurde ausgeführt, dass der Zaun zwar mit einer Höhe von 1,95 m die zulässige Höhe von 1,80 m überschreite. Bei einem anderen Bauvorhaben sei jedoch bereits eine Abweichung von der Höhe des Zauns (Höhe 2,40 m) genehmigt worden. Aus diesem Grund könne einer Zaunhöhe von 1,95 m zugestimmt werden. Auch hinsichtlich der Verortung der Freiflächen habe eine Befreiung erteilt werden können. Auf dem genehmigten Freiflächengestaltungsplan werde eine Begrünung von mindestens 20% textlich angegeben. Dabei werde schwerpunktmäßig im süd-süd-östlichen Bereich den grünordnerischen Belangen Rechnung getragen. Hier bestehe eine Abweichung, da teilweise auf die 5 m breite Eingrünung an der Straße verzichtet werde. Diese Abweichung stelle keinen Präzedenzfall in dem Baugebiet dar, da bereits von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Verortung der Grünfläche befreit worden sei. Da die Intention des Satzungsgebers bezüglich einer ausreichenden Durchgrünung der Gewerbeflächen und einer guten Erreichbarkeit für die im Gewerbegebiet Beschäftigten gegeben sei, werde der Abweichung stattgegeben.
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Am 6. September 2022 ließ die Klägerin Klage erheben und beantragen,
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den Baugenehmigungsbescheid, Bautenverzeichnis-Nr. ..., vom 1. August 2022, zugestellt am 6. August 2022, aufzuheben.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 20. September 2022 ausgeführt, dass die Baugenehmigung allein deshalb rechtswidrig sei, weil sie offenkundig von einem falschen Sachverhalt ausgehe. Der Zaun sei nicht, wie in der Befreiung behauptet, 1,95 m hoch, sondern einschließlich des Sockels 2,55 m hoch. Eine Befreiung auf ein Maß von 2,55 m sei nicht zulässig, weil diese starke Überschreitung der Zaunhöhe um 75 cm die Grundzüge der Planung berühre und auch städtebaulich nicht vertretbar sei. Dies gelte umso mehr, als auch eine Befreiung vom Begrünungsgebot erteilt worden sei. Das Konzept einer aufgelockerten und optisch ansprechenden und naturnahen Gestaltung werde verfehlt. Selbst bei einer Zaunhöhe von 1,95 m würden die Grundzüge der Planung berührt und wäre eine solche Befreiung städtebaulich nicht vertretbar. Der Schutz des Nachbarn vor übermäßig erdrückenden und monströsen Zäunen werde verfehlt. Der streitgegenständliche Zaun wirke wuchtig, monströs, beklemmend und verbreite eine bedrückende Gefängnisatmosphäre. Es liege auch ein Verstoß gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans vor, wonach Einfriedungen entlang landwirtschaftlich genutzter Flächen (Ziff. 8.3 des Bebauungsplans) um 1,5 m (richtig: 0,5m) zurückzusetzen seien. Hier stelle der Bebauungsplan ausdrücklich auf die tatsächliche Nutzung ab, sodass auch solche Flächen von der Festsetzung erfasst würden, die im Plangebiet selbst liegen und (tatsächlich) landwirtschaftlich genutzt würden, wie das streitgegenständliche Grundstück der Klägerin. Im Übrigen genieße die landwirtschaftliche Nutzung, welche schon vor Erlass des Bebauungsplans ausgeübt worden sei, Bestandsschutz. Hier sei eine Befreiung nicht erteilt worden, sodass der Verstoß offenkundig sei. Eine Befreiung sei auch nicht möglich, weil sie städtebaulich nicht vertretbar wäre und gegen die Grundzüge der Planung verstoßen würde. Schutzgut der Festsetzung in Ziff. 8.3 sei ausweislich der Planbegründung die Sicherung der Nutzbarkeit der landwirtschaftlichen Flächen. Diese würde jedoch durch den unmittelbar an der Grenze stehenden Zaun unweigerlich eingeschränkt, zum Beispiel was den Einsatz von Erntemaschinen oder sonstigen landwirtschaftlichen Maschinen angehe. Eine Befreiung scheide daher aus, abgesehen davon, dass sie gar nicht erteilt worden sei. Die Festsetzungen im Bebauungsplan, gegen die verstoßen werde, würden auch Drittschutz zugunsten der Klägerin vermitteln. Hinsichtlich der Festsetzung Ziff. 8.3 ergebe sich dies ausdrücklich aus der Planbegründung in Ziff. 4.2.2 „Einfriedungen/Zufahrten“. Auch die Festsetzung in Ziff. 8.1 Satz 1 über die maximale Zaunhöhe von 1,80 m vermittle im konkreten Fall Drittschutz. Festsetzungen in einem Bebauungsplan über die Zaunhöhe könnten grundsätzlich jedenfalls auch dem Schutz des Grundstücksnachbarn dienen. Hier diene die Festsetzung in Ziff. 8.1 Satz 1 zumindest auch dem Schutz des Nachbarn davor, dass sein Grundstück durch eine zu hohe Zaunanlage nicht optisch bedrängt und gewissermaßen abgeriegelt werde, sondern „atmen“ könne. Hinzu komme, dass sich das in der Planbegründung Ziff. 4.2.2 erwähnte Schutzgut des „ansprechenden Erscheinungsbildes“ nur auf den Satz 2 (Begrünungsgebot) beziehe. Im Umkehrschluss könne man sagen, dass die Festsetzung zur Zaunhöhe in Satz 1 jedenfalls nicht nur aus städtebaulichen Gründen erfolgt sei, sondern zumindest auch zum Schutz von Grundstücksnachbarn. Für den Drittschutz der Festsetzungen spreche auch, dass das bayerische Bauordnungsrecht innerhalb von Gewerbegebieten keine Abstandsflächen für Zäune und Einfriedungen vorsehe. Hier gehe der Gesetzgeber davon aus, dass entsprechende Festsetzungen durch den Plangeber getroffen werden könnten und dann auch Drittschutz vermitteln würden. Da hier durch den Plangeber eine Festsetzung über die Zaunhöhe getroffen worden sei, sei wegen des grundsätzlichen Bestehens einer Schutzlücke in Gewerbegebieten davon auszugehen, dass solche Festsetzungen in Gewerbegebieten dann auch dem Schutz des Nachbarn dienen würden. Hinzu komme, dass eine weitere Schutzlücke darin bestehe, dass im bayerischen Nachbarrecht (AGBGB), anders als etwa im Nachbarrecht für Baden-Württemberg, bestimmte Mindesthöhen und Mindestabstände für Zäune nicht geregelt seien. Auch hier sei der Plangeber aufgerufen, im konkreten Planungsfall diese Schutzlücke zu schließen. Wenn jedoch – wie hier – der Plangeber tätig werde und im Bebauungsplan entsprechende Festsetzungen treffe – hier Ziff. 8.1 Satz 1 und Ziff. 8.3 – könne davon ausgegangen werden, dass derartige Festsetzungen zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dienen. Nachdem die Baugenehmigung und die Befreiung hinsichtlich des Zauns rechtswidrig seien und die Klägerin auch in einem subjektiven Recht verletzen würden, sei der Baugenehmigungsbescheid aufzuheben.
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Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2022 beantragte die Beklagte,
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die Klage abzuweisen.
10
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der errichtete Zaun eine Höhe von 1,95 m besitze. Die Höhe eines Zaunes setzte sich aus der Höhe des Zaunfeldes und der Höhe des Zaunsockels zusammen. Nicht berücksichtigt werde dabei das darunterliegende Fundament, auf dem der Zaun errichtet werde. Als maßgeblicher Bezugspunkt für die Zaunhöhe sei das Gelände des Baugrundstücks, das von der öffentlichen Straße bestimmt werde, heranzuziehen. Das zum Klägergrundstück gerichtete Fundament liege in Teilen frei. Dies sei der Tatsache geschuldet, dass das Grundstück derzeit als Ackerbaufläche bewirtschaftet werde und unter dem sonstigen Niveau der umgebenden Straßen- und Gewerbeflächen liege. Beide Grundstücke würden im selben Bebauungsplanumgriff liegen und damit zum selben Gewerbegebiet gehören. Die Befreiung zur Zaunhöhe verletze keinen Grund der Planung. Die Überschreitung der regelzulässigen Zaunhöhe um 15 cm sei optisch kaum wahrnehmbar und löse keine quantifizierbare Beeinträchtigung öffentlicher oder nachbarlicher Interessen aus. Es handle sich um einen gut zu durchblickenden Doppelstabmattenzaun, von dem weder eine stark abschottende Wirkung ausgehe noch eine Wirkung, die das angestrebte Erscheinungsbild des Gewerbegebietes beeinträchtige. Nachbarliche Belange seien nicht ursächlich für die Festsetzungen zur Zaunhöhe gewesen, es sei dem Satzungsgeber um ein einheitliches Erscheinungsbild der Gewerbeparzellen gegangen. Der Bebauungsplan sehe unter Ziff. 13.1 vor, dass von den grünordernischen Festsetzungen in Lage und Fläche abgewichen werden könne, sofern die Grundzüge der Planung nicht berührt würden. Hiervon sei Gebrauch gemacht worden, dabei seien die Grundzüge der Planung nicht berührt worden. Sowohl die Gesamtmenge der erforderlichen Begrünung auf dem Grundstück sei hergestellt, als auch eine der Gebietsgliederung für Erholungssuchende dienende Position gewählt worden. Die Umweltziele sowie die erwünschte optische Baugebietsgestaltung würden dadurch erreicht. Zum Klägergrundstück hin sei sogar eine Art „begrünte Pufferzone“ geschaffen worden. Die Festsetzung in Ziff. 8.3 des einschlägigen Bebauungsplans zum Zaunabstand sehe vor, dass entlang von landwirtschaftlich genutzten Flächen Einfriedungen um 0,5 m zurückzusetzen seien. Die Bezeichnung „landwirtschaftlich genutzte Flächen“ sei dahingehend auszulegen, dass nur diejenigen Flächen erfasst würden, welche einen landwirtschaftlichen Status hätten, in der vorgesehenen Nutzung stünden und außerhalb des Bebauungsplanumgriffs liegen würden. Die Fläche des Klägers liege im Umgriff des Bebauungsplans. Mit der Festsetzung sollte die bäuerliche Landwirtschaft am Rande des Gewerbegebietes vor Nutzungskonflikten bewahrt werden. Bereits systematisch wäre es widersinnig, eine Fläche mittels eines Bebauungsplans zu einer Gewerbefläche zu machen und im gleichen Plan einen Schutz des ehemaligen Status derselben Fläche vorzusehen. Wären in dem sukzessive erschlossenen Gewerbegebiet jeweils die seitlichen Zäune zu den Flächen zurückgesetzt worden, die noch nicht die Nutzung als Gewerbefläche erreicht hätten, so würden sich diese Schneisen durch das ganze Gebiet ziehen. Die volle Nutzbarkeit der Parzellen für gewerbliche Zwecke würde dann davon abhängen, wie schnell der Nachbar zu bauen begänne. Dies entspreche nicht der Intention des Bebauungsplans. Von einer „erschlagenden“ oder „einsperrenden“ Wirkung des Zaunes könne im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Einzäunungen würden grundsätzlich zum typischen Erscheinungsbild eines Gewerbegebiets gehören und seien im Plan explizit vorgesehen. Durch die Zaunelemente sei gut zu erkennen, was sich auf dem Grundstück befinde. Die praktische Nutzbarkeit des Klägergrundstücks als Anbaufläche werde von dem errichteten Zaun nicht über die Maßen eingeschränkt. Eine maschinelle Bearbeitung des Bodens sei bis an das Zaunfundament und damit bis an die Grundstücksgrenze möglich. Der Schutz gegen eine Abdrift von Pflanzenschutzmitteln sei durch die Anordnung der Begrünung auf dem streitgegenständlichen Baugrundstück eher gegeben, als durch einen nur 0,5 m breiten Streifen. Abdrift sei im Übrigen nach guter fachlicher Praxis vom Anwender zu vermeiden. Durch das 0,5 m niedriger liegende Grundstück des Klägers und den vorhandenen Betonsockel werde eine Abdrift auf das Grundstück des Beigeladenen vermieden.
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Mit Beschluss vom 21. September 2022 wurde der Bauherr zum Verfahren beigeladen. Der Bevollmächtigte des Beigeladenen beantragte mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2022,
12
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Baugenehmigung vom 1. August 2022 die Klägerin nicht in ihren Rechten verletze. Die mit dem Bescheid genehmigte Lagerhalle entspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans. Gleiches gelte für die Zaunanlage. Maßgebliche Grundlage für ihre Höhe sei das Niveau der Erschließungsstraße, die das Grundstück des Beigeladenen erschließe und künftig das im Bebauungsplan liegende Grundstück der Klägerin als Gewerbegrundstück erschließen werde. Dieses Niveau gelte auch für die Klägerin, da ihr Grundstück Teil des ausgewiesenen, gesamten Gewerbegebiets sei. Genehmigt seien 1,95 m. Der Zaun selbst habe in der Realität nur eine Höhe von 1,80 m, die Pfeiler, an denen er befestigt sei, hätten eine Höhe von 1,90 m. Die Grundzüge der Planung würden dadurch nicht berührt, zumal in anderen Bereichen des Gewerbegebiets größere Zaunhöhen vorhanden seien und genehmigt worden seien. Die Gestaltung als einfacher Doppelstabmattenzaun entspreche dem üblichen Erscheinungsbild des Gewerbegebiets. Die von der Klageseite vorgetragenen Attribute „wuchtig, monströs, beklemmend und erdrückende Gefängnisatmosphäre“ seien abwegig. Nachbarschützende Wirkung komme der Höhenfestsetzung zudem nicht zu, da die Festsetzung im Bebauungsplan nur aus städtebaulicher Sicht aufgenommen worden sei, um eine einheitliche Wirkung der Einfriedungen zu erreichen. Abgesehen davon sei die Überschreitung nur marginal. Die Festsetzung des Bebauungsplans unter Ziff. 8.3 beziehe sich ausschließlich auf die Abgrenzung zwischen dem Baugebiet und den außerhalb liegenden landwirtschaftlichen Grundstücken. Darum gehe es im konkreten Fall jedoch nicht, da das Grundstück der Klägerin Teil des Bebauungsplans und damit des Gewerbegebiets sei und diesen Schutz nicht in Anspruch nehmen könne. Die Genehmigung sei demnach rechtmäßig, nachbarschützende Vorschriften würden nicht verletzt.
14
Mit Schriftsätzen vom 9. November 2022 und vom 12. Dezember 2022 ergänzte der Bevollmächtigte der Klägerin sein Vorbringen dahingehend, dass die Klägerin sich auch auf die Verletzung von Ziff. 20 des Bebauungsplans berufen könne. Danach sei zu nicht erschlossenen Baufeldern ein Abstand von 3 m von jeglicher Bebauung freizuhalten. Die Beklagte habe die Ziff. 20 im Hinblick auf ausdrückliche entsprechende Einwendungen der Klägerin in dem Bebauungsplan mit aufgenommen. Es handle sich dabei um eine rechtsverbindliche Festsetzung. Es sei der Beklagten auch nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verwehrt, sich nunmehr im Klageverfahren darauf zu berufen, dass es sich nur um einen unverbindlichen Hinweis handle. Im Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 7. Juni 2016 sei eine Zusicherung gemäß § 38 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zu sehen, an welche die Beklagte auch im Baugenehmigungsverfahren gebunden sei.
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Auf die weiteren Ausführungen in den Schriftsätzen vom 9. November 2022 und vom 12. Dezember 2022 wird verwiesen.
16
Am 15. November 2022 fand ein nichtöffentlicher Augenscheinstermin statt. Auf das hierbei gefertigte Protokoll wird verwiesen.
17
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 21. November 2022 auf die Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen (§ 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
18
Am 14. Dezember 2022 fand die mündliche Verhandlung vor der Einzelrichterin statt.
19
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin wird durch die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 1. August 2022 nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21
1. Die Klage ist nicht begründet.
22
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung hat der anfechtende Nachbar nur, wenn das Bauvorhaben den im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfenden, öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung – BayBO i.V.m. Art. 55 ff. BayBO) und die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, ihr also drittschützende Wirkung zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – BVerwGE 82, 343). Da es sich vorliegend um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt, prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 BayBO im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 ff. Baugesetzbuch (BauGB), den Vorschriften über die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO, beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird.
23
a) Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts liegt nicht vor. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 1 BauGB.
24
aa) Das Vorhaben entspricht nach seiner Art den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans „Gewerbegebiet ...“. Ein Gebietsabwehranspruch gegen das Bauvorhaben steht der Klägerin demnach nicht zu und wurde auch nicht geltend gemacht. Das Maß der baulichen Nutzung ist regelmäßig nicht drittschützend. Verstöße gegen das im Bebauungsplan festgesetzte Maß der baulichen Nutzung sind zudem nicht ersichtlich und werden von der Klägerin ebenfalls nicht geltend gemacht.
25
bb) Die Klägerin wird durch die mit der angefochtenen Baugenehmigung erteilte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB für eine Zaunhöhe von 1,95 m anstatt von 1,80 m und Begrünung des Zauns nicht in nachbarlichen Rechten verletzt.
26
Der textlichen Festsetzung der Zaunhöhe und des Begrünungsgebots in Ziff. 8.1. Satz 1 und 2 des Bebauungsplans „Gewerbegebiet ...“ kommt keine drittschützende Wirkung zu.
27
Hinsichtlich des Nachbarschutzes ist im Rahmen der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen oder von nicht drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplanes befreit wird. Weicht das Bauvorhaben von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplanes ab, hat der Dritte einen Rechtsanspruch auf die Einhaltung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB. Ist von einer drittschützenden Festsetzung eines Bebauungsplanes befreit worden, ist auf den Rechtsbehelf des Nachbarn hin im vollem Umfang nachzuprüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB im konkreten Fall erfüllt sind. Wird hingegen eine Befreiung von einer nicht drittschützenden Festsetzung eines Bebauungsplanes erteilt, dann hat der Nachbar grundsätzlich nur ein subjektiv-öffentliches Recht auf Würdigung seiner nachbarrechtlichen Interessen. Unter welchen Voraussetzungen dann eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben des drittschützenden Gebotes der Rücksichtnahme zu beantworten. Nachbarrechte werden in diesem Fall nur verletzt, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird.
28
Hinsichtlich der drittschützenden Wirkung von Festsetzungen eines Bebauungsplanes ist zu beachten, dass diese mit Ausnahme der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung, die kraft Gesetzes Drittschutz vermitteln, grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung entfalten (st. Rspr., s. etwa BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 2011; BayVGH, B.v. 8.11.2016 – 1 CS 16.1864 – juris Rn. 4). Von einer neben die städtebauliche Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung der Festsetzungen, von denen in dem streitgegenständlichen Bescheid eine Befreiung erteilt wurde, könnte daher lediglich dann ausnahmsweise ausgegangen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen dahingehenden planerischen Willen erkennbar sind. Ob die Festsetzung danach ausnahmsweise auch dem Schutz eines bestimmbaren oder von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises zu dienen bestimmt ist oder nicht, kann sich dabei aus dem Bebauungsplan selbst, aus der Begründung des Bebauungsplanes oder anderen Unterlagen des Planaufstellungsverfahrens ergeben (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 29).
29
Im vorliegenden Fall ergeben sich weder aus den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans noch aus der Begründung oder weiteren Unterlagen Anhaltspunkte dafür, dass der Festsetzung der Zaunhöhe und dem Begrünungsgebot (Ziff. 8.1 Satz 1 und 2) über eine städtebauliche Gestaltungsfunktion hinaus auch eine drittschützende Wirkung zugunsten benachbarter Grundstücke zukommen sollte. In der Begründung des Bebauungsplans wird unter Ziff. 4.2.2 („Stadtgestalt“) unter dem Stichwort „Einfriedungen/Zufahrten“ ausgeführt, dass es um eine Randeingrünung der Baugrundstücke und Gliederung der Gewerbegebiete gehe, um diesen ein ansprechendes Erscheinungsbild zu geben. Nachbarschützende Belange werden in keiner Weise angesprochen. Vielmehr erfolgte die Festsetzung der Zaunhöhe und des Begrünungsgebots offensichtlich ausschließlich aus stadtgestalterischen Erwägungen. Die Begründung der Festsetzung erfolgte demgemäß auch unter der Ziff. 4.2.2.“Stadtgestalt“. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Plangeber mit der Festsetzung eine „Schutzlücke“ schließen wollte. Der Umstand, dass nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO Einfriedungen innerhalb der Abstandsflächen in Gewerbegebieten ohne Höhenbegrenzung zulässig sind, zeigt auf, dass eine besondere Schutzwürdigkeit insoweit im Gewerbegebiet vom Gesetzgeber gerade nicht gesehen wurde, so dass auch keine „Schutzlücke“ entstehen kann. Auch ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Bebauungsplanunterlagen und der Begründung in keiner Weise, dass die Festsetzung in Ziff. 8.1 Satz 1 und 2 getroffen wurde, um eine vermeintliche „Schutzlücke“, sei es im Hinblick auf Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO oder im Hinblick auf die Regelungen des AGBGB, zu schließen. Vielmehr bezieht sich der Bebauungsplan hinsichtlich der Abstandsflächen ausdrücklich auf die Regelungen der BayBO, nimmt also die Regelung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO bewusst mit auf und modifiziert sie im Hinblick auf die Höhe der Einfriedungen aus stadtgestalterischen Erwägungen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Klägerbevollmächtigten zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 21. Januar 2005 (Az. 3 K 1142/04.NW). Auch in dieser Entscheidung wird betont, dass die Beantwortung der Frage, ob einer Festsetzung zur Höhe der Einfriedungen nachbarschützende Wirkung zukommt, grundsätzlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt. Der vom Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße entschiedene Fall ist insbesondere auch im Hinblick darauf, dass es darin um Einfriedungen zur Abgrenzung von Außenwohnbereichen ging, mit dem vorliegenden Fall, der die Höhe von Zäunen in einem Gewerbegebiet betrifft, nicht zu vergleichen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte in den Bebauungsplanunterlagen verbleibt es demnach vorliegend bei dem Grundsatz, dass der aus städtebaulichen Gründen und zur Gestaltung des Ortsbildes getroffenen Festsetzung Ziff. 8.1 Satz 1 und 2 keine nachbarschützende Wirkung zukommt (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 27.7.2022 – 9 ZB 22.376 – juris Rn. 7 ff).
30
Nachdem, wie ausgeführt, die Festsetzung der Zaunhöhe und des Begrünungsgebots im Bebauungsplan „Gewerbegebiet ...“ nicht nachbarschützend ist, kommt es auf die Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB vorliegen und ob das eingeräumte Ermessen von der Beklagten fehlerfrei betätigt wurde, nicht entscheidungserheblich an.
31
cc) Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, durch die erteilte Befreiung von der Verortung der privaten Grünflächen in nachbarschützenden Rechten verletzt zu sein.
32
Die zeichnerischen und textlichen Festsetzungen (Ziff. 13.) zur Grünordnung sind nicht nachbarschützend. Wie sich aus der Begründung des Bebauungsplans zur Begrünung der Baugrundstücke unter Ziff. 4.4 ergibt, soll damit den negativen Auswirkungen durch hohe Versiegelungsgrade in Gewerbegebieten entgegengewirkt werden und sollen vorhandene Biotopstrukturen ergänzt werden. Zudem wirke sich das Begrünungsgebot positiv auf das Siedlungsbild des Gewerbegebietes von der nördlich angrenzenden ... her aus. Weder aus den Festsetzungen des Bebauungsplans noch aus seiner Begründung oder sonstigen Umständen ergibt sich demnach, dass der im Bebauungsplan festgesetzten Verortung der privaten Grünflächen ausnahmsweise nachbarschützende Wirkung zukommen sollte.
33
dd) Ein Verstoß gegen nachbarschützende Rechte liegt auch nicht im Hinblick auf die textliche Festsetzung Ziff. 8.3 des Bebauungsplans vor. Das Bauvorhaben des Beigeladenen widerspricht dieser Festsetzung nicht.
34
Nach Ziff. 8.3 des Bebauungsplans sind Einfriedungen entlang landwirtschaftlich genutzter Flächen um 0,5 m zurückzusetzen. Aus der Begründung des Bebauungsplans zu dieser Festsetzung ergibt sich, dass hiervon landwirtschaftlich genutzte Flächen innerhalb des Plangebiets nicht erfasst sind. In der Begründung ist ausgeführt, dass Einfriedungen entlang der Erschließungsstraßen um 1,5 m zurückzusetzen und entlang landwirtschaftlicher Flächen um 0,5 m zurückzusetzen sind, um eine einheitliche Wirkung im Straßenraum sicherzustellen und die Nutzbarkeit der angrenzenden Flächen nicht einzuschränken. Mit der Formulierung „Nutzbarkeit der angrenzenden Flächen“ macht der Plangeber deutlich, dass es sich hierbei nur um Flächen außerhalb des festgesetzten Gewerbegebietes handeln kann. Dass von der Festsetzung Ziff. 8.3 auch innerhalb des Gewerbegebietes gelegene, nach wie vor landwirtschaftlich genutzte Flächen erfasst sein sollten, ergibt sich aus der Begründung gerade nicht. Dies deckt sich auch mit der Intention des Plangebers, das gesamte Plangebiet der gewerblichen Nutzung zur Verfügung zu stellen. Dem Entwicklungsziel des Plangebers liefe es zuwider, wenn im Plangebiet Gewerbeflächen dargestellt würden, zugleich aber der uneingeschränkte Schutz des ehemaligen Status dieser Flächen vorgesehen würde. Die volle Nutzbarkeit der Parzellen für gewerbliche Zwecke wäre damit beeinträchtigt. Auch wenn das Grundstück der Klägerin nach wie vor landwirtschaftlich bearbeitet wird, handelt es sich nach der bauplanungsrechtlichen Einordnung letztlich um ein Gewerbegrundstück in einem Gewerbegebiet und nicht um eine Fläche, die ihrer Art nach ausschließlich landwirtschaftlichen Zwecken zur Verfügung steht. Auch dies spricht für die Annahme, dass von der Festsetzung Ziff. 8.3 nur landwirtschaftliche Flächen außerhalb des Plangebiets umfasst sind.
35
ee) Die Klägerin kann sich auch nicht auf einen Verstoß gegen Ziff. 20 des Bebauungsplans berufen.
36
In Ziff. 20 „Abstandsflächen“ ist ausgeführt, dass zu nicht erschlossenen Baufeldern ein Abstand von 3 m von jeglicher Bebauung freizuhalten ist. Ziff. 20 findet sich jedoch nicht unter den planungsrechtlichen Festsetzungen (Ziff. B.1) oder den Festsetzungen zu den örtlichen Bauvorschriften (Ziff. B 2), sondern unter der Überschrift „Hinweise und nachrichtliche Übernahmen“. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich deshalb nicht um eine rechtsverbindliche Festsetzung im Sinne des § 9 Abs. 1, § 30 Abs. 1 BauGB. Vielmehr ergibt sich aus der Überschrift „Hinweise und nachrichtliche Übernahmen“, unter der sich Ziff. 20 findet, dass es sich gerade nicht um rechtsverbindliche Festsetzung handeln soll. „Nachrichtliche Übernahmen“ in den Bebauungsplan sind nach § 9 Abs. 6, 6a BauGB möglich, stellen aber gerade keine eigenen Festsetzungen des Satzungsgebers selbst dar. Nur die rechtsverbindlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans und nicht seine Kennzeichnungen (§ 9 Abs. 5) und nachrichtlichen Übernahmen (§ 9 Abs. 6 und 6a) bestimmen die angestrebte städtebauliche Ordnung (Runkel in Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: April 2022, § 8 Rn. 8). Nichts Anderes kann für „Hinweise“ gelten. Bereits aus Gründen der Bestimmtheit muss der Plangeber klar definieren, welche Festsetzungen er für rechtsverbindlich und damit für die Steuerungsfunktion des Bebauungsplans für erforderlich hält. Innerhalb eines Katalogs von „Hinweisen und nachrichtlichen Übernahmen“ einzelnen Punkten dennoch Festsetzungscharakter zuzuschreiben, ist deshalb nicht möglich. Hätte der Plangeber einzelnen Ziffern unter „Hinweise und nachrichtliche Übernahmen“ rechtsverbindliche Wirkung zumessen wollen, hätte er sie in die textlichen Festsetzungen aufnehmen müssen oder dies auf andere Weise unmissverständlich klarstellen müssen. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Im Übrigen ergibt sich auch aus den Bebauungsplanunterlagen nicht, dass mit dem Hinweis unter Ziff. 20 etwas Anderes hätte geregelt werden sollen, als bereits unter Ziff. 2.1 der textlichen Festsetzungen geregelt wurde. Darin ist ausgeführt, dass die Abstandsflächen sich nach der bayerischen Bauordnung in der jeweils aktuellen Fassung richten. In der Begründung ist hierzu unter Ziffer 4.2.2 „Abstandsflächen“ ausgeführt, dass im gesamten Plangebiet die Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 5 BayBO von 0,25 H (a.F.), mindestens jedoch 3 m einzuhalten sind. Dieser Abstand von mindestens 3 m wird in Ziff. 20 wieder aufgegriffen. Auch aus den Verfahrensunterlagen zum Bebauungsplan ergibt sich nichts Anderes. Der Kläger hatte mit Schreiben vom 12. Januar 2016 Einwendungen erhoben, weil er befürchtete, durch einen nicht ausreichenden Abstand eventuell angrenzender Bauwerke in der Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigt zu werden. Im Beschluss Nr. ... des Stadtrats vom 3. März 2016 hierzu heißt es: „Auf den Nachbargrundstücken gilt die Abstandsflächenregelung gemäß bayerischer Bauordnung (BayBO). Gemäß Art. 6 Abs. 5 BayBO betragen die Abstandsflächen mindestens 3 m. Dadurch ist die uneingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung Ihres Grundstücks weiter gewährleistet. Zudem wird folgender Hinweis in dem Bebauungsplan aufgenommen: zu nicht erschlossenen Baufeldern ist ein Abstand von 3 m von jeglicher Bebauung freizuhalten.“ Aus diesem Beschluss ergibt sich demnach ebenfalls nicht, dass dem „Hinweis“ die rechtliche Qualität einer Festsetzung zukommen sollte. Auch inhaltlich verweist der Beschluss wiederum auf die im Bebauungsplan unter Nr. 2.1 festgesetzten Regelungen der BayBO zu den Abstandsflächen. Es spricht alles dafür, dass der Plangeber das Abstandsflächenrecht der bayerischen Bauordnung in der jeweils gültigen geltenden Fassung verbindlich festsetzen wollte. Daraus ergibt sich jedoch weiter, dass auch die Regelungen zu den Einfriedungen in Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO mit festgesetzt sind. Dass dem „Hinweis“ unter Ziff. 20 ausnahmsweise Festsetzungscharakter zukommen sollte, kann demnach nicht angenommen werden. Dem widerspricht, wie ausgeführt, bereits die Aufnahme unter den „Hinweisen und nachrichtlichen Übernahmen“, der ein entsprechender Beschluss des Stadtrats zugrunde liegt. Das Schreiben der Beklagten vom 7. Juni 2016 stellt keine Zusicherung i.S. des Art. 38 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar, sondern nur die Information über den Beschluss vom 3. März 2016. Auch aus dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten ergibt sich nichts Anderes. Es ist unstreitig, dass ein unklarer Festsetzungsinhalt der konkretisierenden Interpretation anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze zugänglich ist (Tophoven in BeckOK BauGB, Spannowsky/Uechtritz, Stand: 1.9.2022, § 30 Rn. 13). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor, da es gerade nicht um die Auslegung einer Festsetzung, sondern lediglich um einen „Hinweis“ geht. Die Klägerin kann demnach vorliegend nicht geltend machen, dass die erteilte Baugenehmigung Ziff. 20 des Bebauungsplans zuwider laufe, da es sich insoweit nicht um eine rechtsverbindliche Festsetzung i.S. des § 30 Abs. 1 BauGB handelt. Soweit die Beklagte ebenfalls diese Rechtsauffassung vertritt, stellt dies keinen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB dar, sondern nur die zutreffende Wiedergabe der Rechtslage.
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b) Die Klägerin wird durch das Bauvorhaben nicht nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) in ihren Rechten verletzt.
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Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33; BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4 m.w.N.). Eine Rücksichtslosigkeit aufgrund einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung kommt beispielsweise bei nach Höhe, Breite und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht.
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Die dem Beigeladenen erteilten Befreiungen zur Zaunhöhe und Begrünung sowie zur Verortung der Grünflächen auf dem Baugrundstück verstoßen nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Es ist nicht ersichtlich, dass der vom Beigeladenen errichtete Stabmattenzaun eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung auf das Grundstück der Klägerin hat. Schon die Wertung des Gesetzgebers in Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO zeigt, dass Einfriedungen und damit auch Zäunen in Gewerbegebieten eine derartige Wirkung nicht zugemessen wird. Deshalb ist insoweit auch keine Höhenbegrenzung festgelegt. Dass der Zaun des Beigeladenen in der genehmigten Höhe eine erdrückende Wirkung auf das ausschließlich landwirtschaftlich genutzte Grundstück der Klägerin hat, ist in keiner Weise ersichtlich. Dies gilt schon im Hinblick darauf, dass auf dem Grundstück der Klägerin keine Nutzung ausgeübt wird, die im Hinblick auf die von baulichen Anlagen ausgehende optische Wirkung schutzwürdig wäre. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die genehmigte Verortung der privaten Grünflächen die Klägerin unzumutbar beeinträchtigt.
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Ausgangspunkt für die Beurteilung der Zumutbarkeit ist dabei ausschließlich die angefochtene Baugenehmigung. Die Frage, ob der Zaun bzw. die Einfriedung die Vorgaben der Baugenehmigung in ihrer tatsächlichen Ausführung auch einhalten, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Sollte die Klägerin der Auffassung sein, dass die tatsächliche Ausführung nicht von den Vorgaben der Baugenehmigung und der bereits genehmigten Auffüllung des Grundstücks gedeckt ist, ist sie darauf zu verweisen, gegebenenfalls bauaufsichtliches Einschreiten zu beantragen. Soweit die Klägerin geltend macht, dass die vorhandene gemauerte Einfriedung einen Überbau darstelle und soweit sie weiter Beeinträchtigungen hierdurch in der Nutzbarkeit ihres Grundstücks oder wegen der Abdrifte befürchtet, sind insoweit entstehende Nachteile auf dem zivilrechtlichen Weg geltend zu machen. Die Baugenehmigung ergeht nach Art. 68 Abs. 5 BayBO unbeschadet privater Rechte Dritter und bildet demnach nicht die rechtliche Grundlage für die Beeinträchtigung der Klägerin in ihrem Eigentum und Besitz.
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c) Ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1b BayBO) ist nicht ersichtlich.
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Nach Ziff. 2.1 des Bebauungsplans „Gewerbegebiet ...“ gelten die Abstandsflächenregelungen der bayerischen Bauordnung in der jeweils geltenden Fassung. Nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO sind Stützmauern und geschlossene Einfriedungen in Gewerbegebieten ohne eigene Abstandsflächen zulässig. Die angefochtene Baugenehmigung verstößt demnach, soweit mit ihr die Errichtung eines Zaunes mit einer Höhe von 1,95 m an der Grenze genehmigt wird, nicht gegen Abstandsflächenrecht. Auf die modifizierenden Festsetzungen im Bebauungsplan zur Höhe des Zauns kann sich die Klägerin, wie bereits ausgeführt, nicht berufen. Wie ebenfalls bereits ausgeführt, kommt es insoweit auch nicht auf die tatsächliche Bauausführung an. Die vom Beigeladenen beabsichtigte und teilweise bereits vollzogene Auffüllung des Baugrundstücks ist nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Baugenehmigung, sondern eines gesonderten Bescheids.
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Sonstige Anhaltspunkte für eine Verletzung der Klägerin in nachbarschützenden Rechten durch die Baugenehmigung vom 1. August 2022 sind nicht ersichtlich, so dass die Klage insgesamt erfolglos bleibt.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da der Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und sich mithin auch dem Prozessrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, seine außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.