Titel:
Ausnahme von der Titelerteilungssperre
Normenkette:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 27 Abs. 3 S. 2, § 53 Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 9, 55 Abs. 1, Abs. 2, § 58, § 59
Leitsätze:
1. Die in § 10 Abs. 1 AufenthG getroffene Ausnahmeregelung von der Titelerteilungssperre erfasst nur strikte Rechtsansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und bei denen alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 41159). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gehört insbes. die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, wonach im Regelfall kein Ausweisungsinteresse vorliegen darf. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Pakistanischer Staatsangehöriger, Deutscher Ehegatte, Titelerteilungssperre, Ausweisungsinteresse, strikte Rechtsansprüche, pakistanischer Staatsangehöriger, deutscher Ehegatte, allgemeine Erteilungsvoraussetzung, Bleibeinteresse
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44422
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger, ein am ... in Pakistan geborener pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt mit seiner Klage die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
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Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am ... in das Bundesgebiet ein und stellte am ... einen Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom ... abgelehnt wurde. Über die hiergegen erhobene Klage (M 23 K 17. ...) wurde noch nicht entschieden.
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Zur Begründung seines Asylantrags hatte er angegeben, in Pakistan Probleme mit einer Familie zu haben, die ihm nach dem Leben trachte. Er befürchte ein dortiges polizeiliches Verfahren, da diese Familie ihn des Mordes an einem ihrer Mitglieder bezichtige. Der Kläger leide an einer Nierenerkrankung. In Pakistan lebten noch seine Mutter, seine Geschwister sowie die restliche Großfamilie. Ein Bruder halte sich derzeit ebenfalls als Asylbewerber in Deutschland auf, ebenso ein Neffe, dessen Vormund der Kläger sei.
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Am ... sprach der Kläger bei der Beklagten hinsichtlich der Eintragung einer Lebenspartnerschaft vor und legte unter anderem einen pakistanischen Reisepass mit einer Gültigkeit vom ... bis zum ... vor. Bei einer urkundentechnischen Untersuchung des Reisepasses konnten keine Manipulationen festgestellt werden, allerdings fehlte die Unterschrift bzw. der Daumenabdruck in dem dafür vorgesehenen Feld.
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Mit Strafbefehl vom 12. Mai 2020 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Ingolstadt wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Der Kläger hatte sowohl beim Bundesamt als auch beim Familiengericht Ingolstadt eine bulgarische Heiratsurkunde über eine dort am ... mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossene Ehe vorgelegt, welche sich als Totalfälschung herausstellte.
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Am ... schloss der Kläger beim Standesamt Ingolstadt mit seinem Arbeitgeber, einem am ... geborenen deutschen Staatsangehörigen, die Ehe und beantragte bei der Beklagten mit E-Mail vom ... die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug.
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Mit Schreiben vom 3. September 2020 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an und teilte ihm mit, dass der Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 AufenthG entgegenstehe. Daraufhin zeigte der damalige Klägerbevollmächtigte mit E-Mail vom 5. Oktober 2020 die Vertretung des Klägers an und nahm den Antrag vom ... zurück.
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Mit Schreiben vom 17. Dezember 2020 teilte der vormalige Klägerbevollmächtigte mit, dass der Kläger einen neuen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellen werde. Nach nochmaliger Prüfung werde die Auffassung vertreten, dass ein strikter Rechtsanspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe.
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Mit Schreiben vom 8. Januar 2021wies die Beklagte den damaligen Klägerbevollmächtigten nochmals darauf hin, dass ihrer Auffassung nach aufgrund des Vorliegens eines Ausweisungsinteresses kein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe. Die Beklagte bat um Mitteilung, ob der Antrag zurückgenommen werde und um Verzicht auf eine weitere Anhörung.
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Mit E-Mail vom 27. Januar 2021 verzichtete der damalige Klägerbevollmächtigte auf eine weitere Anhörung und bat um Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheids.
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Mit Bescheid vom 9. März 2021, dem vormaligen Klägerbevollmächtigten am 17. März 2021 zugestellt, lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 1 AufenthG entgegenstehe. Ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bestehe im Falle des Klägers nicht. So habe der Kläger zunächst keinen Nachweis der nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geforderten Sprachkenntnisse erbracht. Ferner fehle es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des Klägers sei ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gegeben. Darüberhinaus erfülle der Kläger auch nicht die Passpflicht, sodass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht vorliege. Der von dem Kläger vorgelegte Pass enthalte weder eine Unterschrift noch einen Daumenabdruck. Desweiteren sei der Kläger nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Das Visum sei vorliegend auch nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 4 AufenthV entbehrlich, da auch insoweit ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Voraussetzung sei. Die Nachholung des Visumverfahrens sei vorliegend auch zumutbar. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Bescheid verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger beim Bayerischen Verwaltungsgericht München durch seinen vormaligen Prozessbevollmächtigten am 15. April 2021 Klage erheben lassen. Er beantragt zuletzt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9. März 2021 zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen.
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Zur Klagebegründung wurde ausgeführt, dass im Falle des Klägers ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bestehe. Der Kläger verfüge seit längerem über den erforderlichen Sprachnachweis, das entsprechende Zertifikat sei ihm jedoch abhandengekommen. Mit dem Erhalt eines neuen Zertifikats sei zeitnah zu rechnen. Der Hinweis auf das bestehende Ausweisungsinteresse nach §dass im Falle des Klägers ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bestehe. Der Kläger verfüge seit längerem über den erforderlichen Sprachnachweis, das entsprechende Zertifikat sei ihm jedoch abhandengekommen. Mit dem Erhalt eines neuen Zertifikats sei zeitnah zu rechnen. Der Hinweis auf das bestehende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG überzeuge nicht. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben. Die fehlende Unterschrift auf dem Reisepass des Klägers stehe der Gültigkeit nicht entgegen, da diese nachgeholt werden könne. Hinsichtlich der Visumspflicht werde auf § 39 Nr. 4 AufenthV verwiesen. Dessen ungeachtet sei für den Kläger die Nachholung des Visumverfahrens aufgrund seiner Homosexualität unzumutbar.
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Am 25. Mai 2021 zeigte der jetzige Klägerbevollmächtigte die Vertretung des Klägers an und beantragte Akteneinsicht. Der vormalige Bevollmächtigte des Klägers teilte mit Schreiben vom 18. Juni 2021 mit, dass das Mandat beendet sei.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 11. Juni 2021,
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 10 Abs. 1 AufenthG im Falle des Klägers offensichtlich nicht gegeben sei. Aufgrund des rechtskräftigen Strafbefehls vom 12. Mai 2020 bestehe ein Ausweisungsinteresse sowohl aus generalwie auch aus spezialpräventiven Gründen. Zudem fehle es an einem gültigen Reisepass und an dem Nachweis der erforderlichen Deutschkenntnisse im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m.
§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Schließlich stehe die Homosexualität des Klägers einer lediglich vorübergehenden Rückkehr nach Pakistan zur Nachholung des Visumverfahrens nicht entgegen.
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Mit Schriftsatz vom 17. September 2021 führte der nunmehrige Klägerbevollmächtigte ergänzend aus, dass im Hinblick auf die Deutschverheiratung des Klägers ein längerfristiges rechtliches Abschiebungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG bestehe. Aus Sicht des Klägerbevollmächtigten könne eine einvernehmliche Lösung dahingehend gefunden werden, dass dem Kläger zunächst befristet auf ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werde. In diesem Fall könne der Kläger die Klage kostenlastig zurücknehmen.
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Die Beklagte führte mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2021 aus, dass dem Kläger keine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden könne, da mangels bestandskräftigen Abschlusses des Asylverfahrens keine vollziehbare Ausreisepflicht des Klägers vorliege. Aber auch im Falle eines abgeschlossenen Asylverfahrens bestehe entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten kein längerfristiges Abschiebungshindernis aus familiären Gründen. Es sei dem Kläger sowohl möglich, als auch zumutbar, die familiäre Bindung im Bundesgebiet durch eine vorübergehende Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens zu unterbrechen. Ferner seien die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG aufgrund des bestehenden Ausweisungsinteresses nicht erfüllt.
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Der Klägerbevollmächtigte erwiderte mit Schriftsatz vom 12. November 2021 und führte aus, dass eine Nachholung des Visumverfahrens aufgrund der langen Wartezeiten bei der Deutschen Botschaft nicht zumutbar sei.
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Die Beklagte entgegnete mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2021 und erklärte, dass die Wartezeit im Falle des Klägers verkürzt sei, da eine aufwendige Urkundenüberprüfung nicht mehr erforderlich sei. Diese sei bereits im Eheschließungsverfahren erfolgt. Zudem sei es dem Kläger längst möglich gewesen, eine Terminbuchung zu veranlassen.
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Am 26. Januar 2022 legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Kopie eines dem Kläger am 1. November 2021 ausgestellten und bis zum 1. November 2031 gültigen pakistanischen Reisepasses vor und teilte mit, dass der Kläger das Original bei der Beklagten abgegeben habe.
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Mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022 bat der Klägerbevollmächtigte um Mitteilung des Sachstands. Der Kläger wolle seine in Pakistan lebende Mutter besuchen.
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Die Beklagte teilte mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2022 mit, dass kein Beklagtenvertreter an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.
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In der mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 2022 erklärte die Bevollmächtigte des Klägers, sie ergänze den vom früheren Klägerbevollmächtigten gestellten Aufhebungsantrag um einen Verpflichtungsantrag.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie die beigezogene Akte im Asylverfahren des Klägers (M 23 K 17. ...) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 9. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger, der auf die beantragte Aufenthaltserlaubnis keinen Rechtsanspruch hat, nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
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Der als Aufhebungsantrag gestellte ursprüngliche Klageantrag umfasste bei entsprechender Auslegung (§ 88 VwGO) im Hinblick auf die Klagebegründung im Schriftsatz vom 15. April 2021 und der dortigen Geltendmachung eines Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von vornherein auch ein entsprechendes Verpflichtungsbegehren, sodass die jetzige Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung eine hierauf bezogene Klarstellung des Klageantrags vornehmen konnte.
30
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Diese Voraussetzung ist zwar erfüllt, jedoch steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 AufenthG entgegen. Hiernach kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.
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Das Asylverfahren des Klägers ist noch nicht bestandskräftig abgeschlossen, da über die gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamts vom ... erhobene Klage (M 23 K 17. ...) noch nicht entschieden wurde.
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Eine Ausnahme von der Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 1 AufenthG aufgrund eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels liegt nicht vor. Die in § 10 Abs. 1 AufenthG getroffene Ausnahmeregelung erfasst nur strikte Rechtsansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und bei denen alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 1 C 31.14 – BVerwGE 153, 353-360 – juris Rn. 20).
33
Ein solcher strikter Rechtsanspruch besteht im Falle des Klägers nicht, da zu den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels insbesondere die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gehört, wonach im Regelfall kein Ausweisungsinteresse vorliegen darf.
34
Vorliegend besteht ein Ausweisungsinteresse, welches nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer wiegt. Der Kläger wurde wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verurteilt. Es handelt sich hierbei um einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG, weil der strafgerichtlichen Verurteilung des Klägers eine Vorsatztat zugrunde liegt. Vorsätzliche Straftaten stellen keine geringfügigen Straftaten dar (BayVGH, B.v. 4. Mai 2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 7).
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Die Frage des Vorliegens einer Wiederholungsgefahr bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Auch allein generalpräventive Gründe können ein Ausweisungsinteresse begründen. Solche liegen hier vor. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, die Urkundenfälschung des Klägers mit der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu „sanktionieren“, um andere Ausländer in einer ähnlichen Situation von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten.
36
Dieses generalpräventive Ausweisungsinteresse ist auch noch aktuell, nachdem die für die abgeurteilte Urkundenfälschung einschlägige fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) vorliegend noch nicht abgelaufen ist. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23) für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 4. Mai 2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 7 f.).
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Ein strikter Rechtsanspruch des Klägers auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im beschriebenen Sinne besteht vorliegend auch nicht vor dem Hintergrund, dass von
§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden kann. Denn hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Beklagten. Selbst im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null besteht kein strikter Rechtsanspruch auf den Aufenthaltstitel (BayVGH, B.v. 4. Mai 2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 7).
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Hinsichtlich der ferner nicht erfüllten Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid verwiesen, denen das Gericht folgt.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hingegen auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.