Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster
Normenkette:
BGB § 826
Leitsatz:
Beim Thermofenster ist die Steuerung der Abgasrückführung nicht an das Erkennen eines Prüfstandsbetriebs gekoppelt, sondern an Parameter, welche die Steuerung unter den gegebenen Umständen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise beeinflussen. Die Rate der Abgasführung entspricht unter den für den Prüfstand maßgebenden Bedingungen denjenigen im normalen Fahrbetrieb. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems reicht für für sich genommen nicht aus, um das Verhalten des Verwenders als sittenwidrig einzustufen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, B16DTH, Prüfstandsbezogenheit, Thermofenster
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44397
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für den Zeitraum bis zum 25.10.2022 auf 15.477,50 € und für den Zeitraum ab 26.10.2022 auf 15.261,37 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei nimmt die Beklagte als Herstellerin eines Dieselmotors auf Schadenersatz in Anspruch wegen behaupteter Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung.
2
Der Ehemann der Klägerin erwarb unter dem 05.11.2015 bei der Firma Autohaus … einen Pkw Opel Astra Sports Tourer 1.6 CDTi zum Preis von 27.900,00 €. Zur Finanzierung des Kaufpreises wurden ein Altfahrzeug mit einem Wert von 10.200,00 € in Zahlung gegeben und 10.000,00 € in bar bezahlt. Der weitere Kaufpreis wurde durch ein Darlehen bei der O. Bank mit Vertrag vom 29.04.2016 finanziert, wobei sich die Darlehenssumme auf 5.955,12 € belief, bei einem Nettodarlehensbetrag in Höhe von 5.700,00 € und Zinsen in Höhe von 255,12 €. Das Fahrzeug hatte zum Zeitpunkt des Kaufs einen Kilometerstand von 10 km. Das Fahrzeug wurde dem Ehemann der Klägerin am 27.04.2016 übergeben, am 05.05.2016 wurde es erstmals zugelassen. Am 24.10.2022 hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 136.638 km.
3
Der Pkw unterliegt der Schadstoffklasse Euro 6. Im streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Diesel-Motor B16DTH verbaut.
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Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Pkws und des darin verbauten Motors. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update zur Verbesserung der Emissionsminderungsleistung.
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Für das streitgegenständliche Fahrzeug besteht ein (angefochtener und nicht bestandskräftiger) verbindlich angeordneter Rückruf des Kraftfahrbundesamtes. Es besteht eine gültige EG-Typgenehmigung.
6
Mit Abtretungsvertrag vom 14.06.2022 trat der Ehemann der Klägerin … sämtliche Ansprüche gegen die Beklagte betreffend den streitgegenständlichen Fahrzeugerwerb an die Klägerin ab.
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Die Klagepartei hat die streitgegenständlichen Ansprüche zunächst außergerichtlich geltend gemacht.
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Die Klagepartei trägt vor, es sei in dem streitgegenständlichen Fahrzeug aufgrund einer strategischen Entscheidung des Vorstands der Beklagten eine sog. „Schummelsoftware“ verbaut, welche dazu führe, dass die vorgeschriebenen Abgaswerte zwar unter den Bedingungen des Prüfstandsbetriebs eingehalten würden, jedoch nicht im alltäglichen Fahrbetrieb. Es liege damit eine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Die Klagepartei sei entsprechend getäuscht worden und habe von diesen Umständen nicht gewusst. Wenn sie über den Umstand unterrichtet worden wäre, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben.
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Die Klagepartei meint, es liege eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor, weshalb ihr ein Anspruch aus § 826 BGB zustehe.
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Mit der der Beklagten am 30.08.2022 zugestellten Klage hat die Klagepartei daher zunächst beantragt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 15.477,50 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 26.07.2022 abzüglich der weiter seit Klageerhebung angefallenen, vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel Astra Sports Tourer 1.6 CDTi mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …35 zu zahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.134,54 € gegenüber der … Rechtsanwaltsgesellschaft … freizustellen.
11
Zuletzt in der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2022 stellte die Klagepartei die vorgenannten Anträge mit der Maßgabe,
dass bei dem Antrag gemäß Ziffer 1) eine weitere Nutzungsentschädigung in Höhe von 216,13 € in Abzug zu bringen sei.
12
Die beklagte Partei hat beantragt,
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Die beklagte Partei meint, dass ein Schadensersatzanspruch ausscheide, da im streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Ein parametergestütztes Emissionskontrollsystem begründe keine Sittenwidrigkeit. Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch lägen nicht vor. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Das Gericht hat am 25.10.2022 mündlich zur Sache verhandelt. Beweise wurden nicht erhoben.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die geltend gemachten Ansprüche ergeben sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf Zinsen oder Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren.
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1. Die Klagepartei hat gegen die beklagte Partei keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB.
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a. Ein solcher Anspruch würde voraussetzen, dass die Beklagte beim In-Verkehr-Bringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs konkludent darüber täuschte, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig wäre, obwohl tatsächlich eine verbotene Abschalteinrichtung eingebaut war, mit der Folge, dass der Widerruf der Typgenehmigung drohte. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs unter bewusstem Verschweigen einer gesetzwidrigen Motorsteuerungsprogrammierung würde nämlich eine Täuschung dahingehend darstellen, dass der Hersteller mit dem Inverkehrbringen konkludent die Erklärung abgibt, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig. Der Schaden des Fahrzeugkäufers besteht in einem solchen Fall darin, dass ihm der Entzug der Betriebserlaubnis und damit die Stilllegung des Fahrzeugs droht, wobei der Schaden bereits mit dem Erwerb des Fahrzeugs eingetreten wäre.
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Ein entsprechender Anspruch würde zusätzlich ein sittenwidriges Verhalten voraussetzen. Ein Verhalten ist nach der Rechtsprechung objektiv sittenwidrig, wenn es nach Inhalt und Gesamtcharakter, welcher durch eine zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, mithin mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Nicht ausreichend ist hingegen, wenn das Verhalten allein gesetzes- oder vertragswidrig ist, unbillig erscheint oder Schaden hervorruft.
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Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Zweck, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann, vorliegen. Danach führt ein Gesetzesverstoß nicht zwingend zum Vorliegen der Sittenwidrigkeit, vielmehr muss die relevante Norm Ausdruck einer sittlichen Wertung sein. Für Sittenwidrigkeit genügt damit nicht jedweder Verstoß, sondern es muss sich im Einklang mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers und der aufbauenden Rechtsprechung um „Auswüchse“, das heißt um „Extremfälle“, handeln.
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Für das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes ist auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs durch die Beklagte abzustellen; der Kenntnisstand ex post ist irrelevant.
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Für den Motor Typ EA 189 bejaht die Rechtsprechung grundsätzlich ein objektiv sittenwidriges Verhalten. Denn die Motorsteuerungssoftware war dort bewusst und gewollt so programmiert worden, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden.
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b. Vorliegend sind die dargelegten Voraussetzungen für ein sittenwidriges Verhalten, welches der Beklagten zuzurechnen wäre, jedoch nicht erfüllt.
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aa. Aus dem Umstand, dass in dem streitgegenständlichen Motortyp eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) verbaut ist, ergibt sich keine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB.
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Beim Thermofenster ist die Steuerung der Abgasrückführung gerade nicht an das Erkennen eines Prüfstandsbetriebs gekoppelt (Umschaltlogik), sondern an Parameter, welche die Steuerung unter den gegebenen Umständen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise beeinflussen. Die Rate der Abgasführung entspricht unter den für den Prüfstand maßgebenden Bedingungen denjenigen im normalen Fahrbetrieb. Daher reicht nach der Rechtsprechung der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems für sich genommen nicht aus, um das Verhalten des Verwenders als sittenwidrig einzustufen.
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Demnach wäre das Verhalten der Beklagten nur dann sittenwidrig, wenn es besonders verwerflich wäre.
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bb. Es bedürfte daher weiterer Umstände, welche das Verhalten der für sie handelnden Person als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Beklagte müsste in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen haben.
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Zum Zeitpunkt des Typengenehmigungsverfahrens war nicht hinreichend geklärt, wie die Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit einer von der Außentemperatur abhängigen Steuerung der Abgasrückführung ist.
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Die Leitlinien der Europäischen Kommission C (2017) vom 06.01.2017 für die Bewertung zusätzlicher Emissionsstrategien und des Vorhandenseins von Abschalteinrichtungen im Hinblick auf die Anwendung der Verordnung (EG) Nr: 715/2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen existierten im Zeitpunkt der Typengenehmigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht. Die Einstufung der temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung war auf Grund der geltenden Bestimmungen daher nicht derart eindeutig, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene.
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Eine gegebenenfalls nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt der Feststellung der besonderen Verwerflichkeit nicht.
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cc. Zudem stellen der Einbau und das Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten gerade gegenüber der Klagepartei dar. Für eine sittenwidrige Handlung der Beklagten im Sinne des § 826 BGB fehlt es daher auch an der besonderen Verwerflichkeit gerade gegenüber der Klagepartei.
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Das Sittenwidrigkeitsurteil über ein bestimmtes Verhalten des Schädigers ist immer in Bezug auf die Person des Geschädigten zu treffen.
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Die einschlägigen europarechtlichen Bestimmungen, gegen welche die Beklagte verstoßen haben soll (Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 EUVO 715/2007), sind kein Ausdruck einer sittlichen Gesinnung, sondern stellen sich vielmehr als Regelungen zum Schutz der Umwelt dar. Daneben soll die EU-VO 715/2007 der Harmonisierung der nationalen Regelungen und damit der Stärkung des Binnenmarktes dienen. Mit den vorgenannten Vorschriften soll somit in erster Linie eine Reduzierung der Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen zur Minimierung der Umweltbelastung erzielt werden. Damit ist keine sittliche Wertung verbunden. Schließlich ist zu beachten, dass die Abschalteinrichtung lediglich unter Laborbedingungen zum Einsatz kommt, während eine Auswirkung im tatsächlichen Fahrbetrieb nicht gegeben ist. Somit wirkt sich die vorhandene Abschalteinrichtung nicht zum Nachteil der Klagepartei aus, da diese während der Benutzung des Fahrzeugs im Alltag nicht aktiviert wird. Die Folgen der verletzten Vorschriften betreffen daher allein den Schadstoffausstoß für die Messfahrten unter Laborbedingungen, während diese Vorschriften keine Wirkungen für den Schadstoffausstoß im realen Fahrbetrieb zeitigen.
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dd. Schließlich würde die Anerkennung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs dazu führen, dass die vertragsrechtlichen Risikozuweisungen unterlaufen würden.
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Der Klagepartei stehen gegenüber seinem Kaufvertragspartner bei einer unterstellten Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs grundsätzlich Gewährleistungsansprüche gemäß § 437 BGB zu. Diese sind als Ausdruck der vertraglichen Risikozuweisung vorrangig gegenüber dem nur hilfsweisen deliktischen Schutz des Vermögens gemäß § 826 BGB.
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Nachdem das Deliktsrecht insofern nur subsidiär zur Anwendung kommt, würde mit der Bejahung der Haftung gemäß § 826 BGB die vertragliche Risikozuweisung konterkariert, da der Verkäufer bei tatsächlich vorliegender Mangelhaftigkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs voraussichtlich wiederum Regress bei der Beklagten nehmen kann.
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Dieses Dreiecksverhältnis mit der Notwendigkeit der Geltendmachung der gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner bestehenden Ansprüche würde durch die Annahme einer Direkthaftung der Beklagten gegenüber der Klagepartei außer Kraft gesetzt, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund ersichtlich ist.
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ee. Entsprechendes gilt auch in Bezug auf die weiteren Bezugspunkte einer unzulässigen Abschalteinrichtung, welche klägerseits angeführt wurden.
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2. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus den unter Ziffer 1) angeführtem Gründen auch keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Für die erforderliche vorsätzliche Täuschung bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte.
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3. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist nicht gegeben.
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Eine Schadensersatzpflicht danach scheidet aus, da das harmonisierte Typgenehmigungsrecht, insbesondere die Vorschriften über die Übereinstimmungsbescheinigung, kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellt.
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Eine Norm ist nur dann ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie nach ihrem Zweck und Inhalt zumindest auch den Schutz des Einzelnen oder einzelner Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts bezweckt. Dabei kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz wegen der behaupteten Verletzung zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder jedenfalls auch gewollt hat.
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Das Europäische Typgenehmigungsrecht sowie die Vorschriften über die Übereinstimmungsbescheinigung sind im Interesse der Allgemeinheit erlassen worden, bezwecken aber keinen individuellen Vermögensschutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers.
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Die für die Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB erforderliche drittschützende Wirkung zugunsten der Klagepartei liegt damit nicht vor.
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4. Ein Anspruch besteht auch nicht aus § 831 BGB.
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Voraussetzung wäre die Verwirklichung des Tatbestandes des § 263 StGB. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Auch ein Anspruch aus § 831 BGB ist demnach nicht gegeben.
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5. Ein Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 besteht ebenfalls nicht.
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Die einschlägigen europarechtlichen Bestimmungen, gegen welche die Beklagte verstoßen haben soll (Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 EUVO 715/2007), sind kein Ausdruck einer sittlichen Gesinnung, sondern stellen sich vielmehr als Regelungen zum Schutz der Umwelt dar. Daneben soll die EU-VO 715/2007 der Harmonisierung der nationalen Regelungen und damit der Stärkung des Binnenmarktes dienen. Mit den vorgenannten Vorschriften soll somit in erster Linie eine Reduzierung der Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugen zur Minimierung der Umweltbelastung erzielt werden. Damit ist keine sittliche Wertung verbunden.
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Auch wäre ein unterstellter, bei der Klagepartei eingetretener Schaden nicht vom Schutzzweck der EU-VO 715/2007 umfasst. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt, mithin muss es sich um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da die einschlägige EU-VO 715/2007 primär dem Umweltschutz dient und der Kläger ausschließlich Nachteile geltend macht, die mit dem verordnungsrechtlich bezweckten Schutz der Umwelt in keinem Zusammenhang stehen.
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6. Letztlich bestünden auch keine Ansprüche im Zusammenhang mit einem etwaigen Aufspielen eines Software-Updates.
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Die in diesem Zusammenhang erfolgten Updates werden vom Kraftfahrtbundesamt geprüft und freigegeben, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese negative Folgen verursachen.
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Das Aufspielen eines vom Kraftfahrtbundesamt freigegebenen Software-Updates beinhaltet keine sittenwidrige Schädigung.
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Es besteht kein Anlass, das vorliegende Verfahren bis zu einer Entscheidung des europäischen Gerichtshof in der Rechtssache C-100/21 von Amts wegen auszusetzen.
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Die Schlussanträge des Generalanwalts Santos vom 02.06.2022 in der beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Rechtssache C-100/21 ändern nichts an den vorstehenden Bewertungen.
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Den betreffenden Schlussanträgen des Generalanwalts kann gerade nicht entnommen werden, dass aus seiner Sicht das Unionsrecht den inländischen Gerichten zwingend vorgibt, allen vom Abgasskandal betroffenen Käufern für die Durchsetzung der von ihnen erhobenen Ansprüche deliktische Ansprüche zu eröffnen.
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Den europäischen Regelungen kommt auch keine unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten zu.
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Zudem hält das deutsche Recht hinreichend Instrumente bereit, die das Interesse der Betroffenen, kein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben, vorsehen.
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Nach der deutschen Rechtsprechung bestehen in einer Vielzahl von Fällen Ansprüche gegen den Motorenhersteller wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Den Erwerbern stehen zudem grundsätzlich vertragliche Ansprüche gegen den Verkäufer zu.
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Eine Fahrlässigkeitshaftung ergibt sich aus den Schlussanträgen des Generalanwalts unter keinen Umständen.
61
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.