Titel:
Festsetzung von Kindergeld
Normenketten:
EStG § 1 Abs. 1,§ 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 63, § 70 Abs. 2
AO § 8, § 19 Abs. 1
FGO § 90, § 100 Abs. 1 S. 1, § 135 Abs. 1
ZPO § 251 S. 1
Leitsatz:
Die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt voraus, dass der Anspruchsteller aufgrund eines entsprechenden Antrags vom zuständigen Finanzamt nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (vgl. BFH-Urteil vom 5. September 2013 XI R 26/12, BFH/NV 2014, 313, BeckRS 2014, 94052). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Kindergeld
Fundstellen:
LSK 2022, 44321
DStRE 2023, 1515
BeckRS 2022, 44321
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
1
Streitig ist, ob die Beklagte (die Familienkasse) die Festsetzung von Kindergeld für das am ... 1998 geborene Kind M. für die Monate Mai bis September 2017 zu Recht aufgehoben hat.
2
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und Vater zweier Töchter. Er ist seit 1997 mit der Kindesmutter, die ebenfalls polnische Staatsangehörige ist, verheiratet und lebt mit ihr und den beiden Kindern in einem gemeinsamen Haushalt in B – einem Ort im Bezirk K – in P.. Der Kläger und seine Ehefrau wurden laut Mitteilung des veranlagenden Finanzamtes Or.vom 12. April 2022 im Jahr 2017 nach § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt.
3
Der Kläger meldete am 26. Januar 2016 unter der Adresse M in E sowohl einen Wohnsitz als auch ein Gewerbe an. Als Tätigkeiten wurden u.a. Fliesen-, Bodenleger-, Gebäudereiniger- und Hausmeistertätigkeiten angegeben. Der Kläger legte zum Nachweis dieser Tätigkeit Kopien von Ausgangsrechnungen vor, mit denen er die im Jahr 2017 im Inland erbrachten gewerblichen Tätigkeiten abgerechnet habe. Die Ausgangsrechnungen seien bar bezahlt worden. Die Abrechnungen sind handschriftlich erstellt. Sie enthalten u.a. Angaben zum Leistungsempfänger, Höhe des Entgelts (zwischen 500 und 2.600 Euro) und Ort der Leistung (z.B. Goch, Regen, Taufkirchen). Ferner ist der Leistungszeitraum vermerkt. Dieser umfasst in 2017 regelmäßig maximal zweiwöchige Einsätze, an die sich regelmäßig wochenlange Unterbrechungen anschließen. Für die Monate Juli und September 2017 wurden keine Abrechnungen vorgelegt.
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Mit Bescheid vom 20. Januar 2017 setzte die Familienkasse Kindergeld für M. ab Februar 2016 fest. Mit Bescheid vom 6. Juni 2017 wurde die Festsetzung des Kindergeldes ab Mai 2017 gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben. Zur Begründung führte die Familienkasse an, dass M nach den vorliegenden Unterlagen bereits im April 2017 ihre Schulausbildung beendet habe. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Er brachte vor, dass das Schuljahr in P. im Juni ende und im Oktober das Studium beginne. Mit Schreiben vom 24. Juli 2017 forderte die Familienkasse den Kläger auf, weitere Unterlagen vorzulegen, insbesondere auch Nachweise zu seinem inländischen Wohnsitz. Nachdem der Kläger dieser Aufforderung nicht nachkam, wies die Familienkasse den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 14. September 2017 als unbegründet zurück. Er habe weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nachgewiesen und keinen Nachweis über die steuerliche Behandlung im Inland eingereicht.
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Im Rahmen seiner hiergegen erhoben Klage bringt der Kläger in seiner Klageschrift vom 10. Oktober 2017 u.a. vor, dass er „durch seinen Wohnsitz als auch seinen durchgängigen Aufenthalt in Deutschland“ unbeschränkt steuerpflichtig sei. Im weiteren Schreiben des Klägervertreters vom 6. September 2018 wird hingegen dargelegt, dass sich der Kläger in 2017 in der Zeit von Mitte März bis Mitte April, Mitte Juni bis August und Mitte Oktober bis Mitte November in K/Polen aufgehalten habe. Eine Unterkunft in G sei ihm von den dortigen Auftraggebern gestellt worden.
den Bescheid vom 6. Juni 2017 in der Fassung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 14. September 2017 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
8
Die Beklagte bringt insbesondere vor, dass ein inländischer Wohnsitz des Klägers nicht hinreichend nachgewiesen sei. Die vom Kläger vorgelegte pauschale Bestätigung des „Vermieters“ über die Vermietung und die pauschale Angabe, dass Miete gezahlt worden sei, seien nicht geeignet den vollen Beweis des Innehabens einer Wohnung zu erbringen. Vorzulegen seien der Mietvertrag, Nebenkostenabrechnungen und gegebenenfalls Nachweise über die Überweisung der monatlichen Miete. Sofern solche Unterlagen nicht existierten, ginge dies zu Lasten des Klägers. Dieser habe auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Aus den in den vorgelegten Abrechnungen ausgewiesenen Leistungszeiträumen ergebe sich kein zusammenhängender, mehr als sechs Monate andauernder, Aufenthalt in Deutschland.
9
Auf Nachfrage des Gerichts bestätigte Herr P, im März 2021, dass das Mietverhältnis mit dem Kläger vom Januar 2016 bis Februar 2021 ohne Unterbrechungen bestand, der Mietzins von 100 Euro monatlich für ein möbliertes Zimmer mit Kochecke regelmäßig in bar bezahlt worden sei und bereits Abschläge für Strom und Wasser enthalte. Hinsichtlich der Nachfrage zu etwaigen Unterbrechungen der Nutzung des Zimmers ließ sich Herr P insoweit ein, dass das Zimmer „über Weihnachten und je nach Witterung bis Mitte Januar“ nicht genutzt wurde.
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Mit Beschluss vom 2. März 2020 wurde das Ruhen des Verfahrens nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 S. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) angeordnet, um das Vorliegen der Bescheinigung der polnischen Behörden über polnische Familienleistungen abzuwarten. Am 26. April 2022 wurde das Verfahren wieder aufgenommen.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten der Familienkasse sowie auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze in diesem und dem Verfahren 7 K 3100/18 Bezug genommen.
12
Die Klage ist unbegründet. Der Aufhebungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
13
Die Beklagte hat die Festsetzung des Kindergeldes zu Recht ab Mai 2017 aufgehoben.
14
1. Der Kläger hat im Streitzeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG.
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a) Gem. § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S.d. § 63 EStG, wer im Inland einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Damit knüpft der Gesetzgeber zwar an die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG an. Aus der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Steuerpflichtigen durch die Finanzämter folgt jedoch keine Bindungswirkung für die Kindergeldfestsetzung (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 18. Juli 2013 III R 9/09, BStBl. II 2014, 802 und vom 8. Mai 2014 III R 21/12, BStBl. II 2015, 135; ebenso Sächsisches Finanzgericht-Urteil vom 25. April 2019 6 K 1720/17 (Kg), juris). Vielmehr haben die Familienkassen in eigener Zuständigkeit und ohne Bindung an die Beurteilung des Finanzamts im Besteuerungsverfahren die Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu prüfen (vgl. auch A 2.1.1 Abs. 3 Satz 2 DA-KG 2019). Eigenständig und vorrangig zu prüfen ist, ob der Kläger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.
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b) Der Kläger konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts einen inländischen Wohnsitz nachweisen.
17
aa) Seinen Wohnsitz hat nach § 8 der Abgabenordnung (AO) jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Hiernach setzt ein Wohnsitz eine Wohnung, d.h. eine stationäre Räumlichkeit voraus, die auf Dauer zum Bewohnen geeignet ist. Dies wiederum erfordert eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Inhabers entsprechende Bleibe (BFH-Urteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BStBl. II 1997, 447). Eine nur vorübergehende oder notdürftige Unterbringungsmöglichkeit reicht hingegen nicht aus, ebenso nicht eine bloße Schlafstelle in Betriebsräumen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 1985 I R 23/82, BStBl. II 1985, 331). Innehaben der Wohnung bedeutet, dass der Anspruchsteller tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294). Die Nutzung muss zu Wohnzwecken erfolgen; eine Nutzung zu ausschließlich beruflichen oder geschäftlichen Zwecken reicht nicht aus, ebenso wenig ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294). Schließlich muss das Innehaben der Wohnung unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten wird. Hierin kommt u.a. ein Zeitmoment zum Ausdruck. Ob im Einzelfall eine solche Benutzung vorliegt, ist unter Würdigung der objektiv erkennbaren Gesamtumstände nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungs- oder Anspruchszeitraums zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 8. Mai 2014 III R 21/12, BStBl. II 2015, 135).
18
Der Wohnbegriff setzt zwar nicht voraus, dass die Wohnung dauernd durch ihren Inhaber genutzt wird oder der Steuerpflichtige sich dort während einer Mindestzeit aufhält. Die Wohnung im Inland muss auch nicht den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen bilden. Er kann mehrere Wohnsitze haben. Dennoch kann der Mittelpunkt der gesamten Lebensinteressen einer natürlichen Person ein zulässiges – wenn auch untergeordnetes – Kriterium für die Beurteilung des Wohnsitzes sein (BFH-Urteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BStBl II 1997, 447; BFH-Beschluss vom 31. Mai 2007 III B 50/07, BFH/NV 2007, 1907). Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 2 AO), wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294, Rn. 17 m.w.N.). Was die subjektive Bestimmung betrifft, so sind im Rahmen einer Prognose aus objektiven Tatsachen Schlüsse auf das künftige Verhalten einer Person zu ziehen (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Dabei spricht eine Vermutung für die Beibehaltung einer Wohnung i.S.d. § 8 AO, wenn jemand eine Wohnung, die er vor und nach einem Auslandsaufenthalt als einzige ständig nutzt, während dieses Aufenthalts unverändert und in einem ständig nutzungsbereiten Zustand bereithält (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BStBl II 1997, 497). Der bloße Willen des Steuerpflichtigen den Wohnsitz beizubehalten genügt nicht. Dieser kann nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch nach außen (durch entsprechendes Gestalten der persönlichen Verhältnisse) zum Ausdruck gebracht wurde. Umgekehrt kann allein aus der Tatsache, dass jemandem eine Wohnung zur Verfügung steht, noch nicht darauf geschlossen werden, dass er sie auch beibehalten und benutzen wird (Musil in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO, § 8 AO Rn. 45).
19
Nach ständiger Rechtsprechung kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass ein Ehepartner die Wohnung, in der seine Familie wohnt, auch benutzen und daher dort einen Wohnsitz haben wird (vgl. BFH-Urteile vom 6. Februar 1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331 m.w.N.; vom 28. August 1968 I 254/65, BStBl II 1968, 818). Insoweit handelt es sich um eine Sachverhaltsvermutung, die vom Steuerpflichtigen widerlegt werden kann. Daraus folgt, dass der Kläger den Nachweis darüber zu erbringen hat, er habe seinen Wohnsitz in der Familienwohnung aufgegeben oder zumindest einen davon abweichenden weiteren Wohnsitz begründet. Ihm obliegt insoweit die Feststellungslast. Bei Auslandssachverhalten trifft den Steuerpflichtigen zudem gem. § 90 Abs. 2 AO eine erhöhte Mitwirkungspflicht.
20
bb) Unter Anwendung vorstehender Grundsätze hat der Kläger im Streitzeitraum einen Wohnsitz in Deutschland nicht nachgewiesen.
21
Das Gericht verschließt sich dabei nicht der Tatsache, dass der Kläger sich zur Erledigung seiner Aufträge in Deutschland aufgehalten und in dieser Zeit auch irgendwo übernachtet haben muss. Doch reichen die vorlegten Unterlagen nicht aus, um zur Überzeugung des Gerichts von der Begründung eines inländischen – vom Familienwohnsitz abweichenden – weiteren Wohnsitzes auszugehen. Insoweit war zu berücksichtigen, dass den Kläger eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft und sich etwaige Zweifel zu seinen Lasten auswirken, da er hinsichtlich des anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmales eines Wohnsitzes im Inland die Beweislast trägt.
22
Der Familienwohnsitz des Klägers befindet sich in P., wo sich die Ehefrau des Klägers und sowie deren gemeinsamen Kinder aufhalten. Eine Trennung der Eheleute ist nicht aktenkundig. Aufgrund der familiären Umstände ist – sofern, wie im vorliegenden Streitfall, nichts Gegenteiliges vorgetragen wird – vom Beibehalten des Wohnsitzes am Familienwohnsitz auszugehen. Ein Ehegatte, der nicht getrennt lebt, hat i.d.R. seinen Wohnsitz dort, wo sich seine Familienwohnung befindet (BFH-Urteil vom 6. Februar 1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331, Rn. 10; st. Rspr. vgl. BFH-Beschluss vom 2. November 1994 I B 110/94, BFH/NV 1995, 753, Rn. 3; BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2, Rn. 7).
23
Der Kläger hat nach Ansicht des Gerichts keine ausreichenden Nachweise darüber erbracht, dass er neben seinem Wohnsitz in P. einen weiteren Wohnsitz in Deutschland begründet hat. Die Meldung des Klägers beim Gewerbe- bzw. Einwohnermeldeamt, die vorgelegten Bestätigungen von Herrn J. P. und das Behaupten des Abschlusses eines mündlichen Mietvertrages sind weder einzeln noch in ihrer Zusammenschau geeignet, einen inländischen Wohnsitz des Klägers nachzuweisen.
24
Zwar hat der Kläger vorgetragen, einen Mietvertrag über ein Zimmer unter der Adresse M 5 in E abgeschlossen zu haben. Es bleibt insoweit bereits zweifelhaft, ob das vom Kläger mit Untermietvertrag angemietete Zimmer überhaupt eine zu Wohnzwecken geeignete Bleibe darstellte. Da der Mietvertrag nur mündlich geschlossen wurde, lassen sich hieraus keine Feststellungen zu Ausstattung und Nutzungsmöglichkeit des Zimmers ableiten. Unklar ist auch, ob sich das Zimmer in einer Wohnung des Herrn P befindet. Trotz mehrfacher Nachfragen hat sich der Kläger hierzu auch sonst nicht eingelassen. Inwieweit eine Nasszelle und ein WC vorhanden waren oder anderweitig zur Verfügung gestellt wurden, konnte nicht festgestellt werden. Ungeklärt bleibt ferner, in welcher Häufigkeit und über welche Dauer der Kläger das angemietete Zimmer tatsächlich bewohnt hat. Auch hierzu konnten – mangels entsprechender Einlassungen des Klägers – keine Feststellungen getroffen werden.
25
Dem Gericht liegen allein die Bestätigungen von Herrn J. P. vom 15. Juni 2018 bzw. aus März 2021 vor, wonach ein Zimmer mit einer Größe von 25 Quadratmeter seit Januar 2016 bis Februar 2021 ohne größere Unterbrechungen an den Kläger zu Wohnzwecken vermietet worden und die Bezahlung der Miete regelmäßig in bar erfolge sei. Insoweit ist festzustellen, dass der Kläger geschäftliche Kontakte zu Herrn P pflegte und dieser mehrere Aufträge an den Kläger vergeben hat. Zum Zeitpunkt der Bestätigung im Juni 2018 war Herrn P alleiniger Auftraggeber des Klägers. Insoweit kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine reine Gefälligkeitsbestätigung handelt. Die darin getätigte Behauptung, dass der Kläger das Zimmer – von seiner Abwesenheit über Weihnachten bzw. je nach Witterungslage bis Mitte Januar abgesehen – regelmäßig benutzte, erscheint im Hinblick auf die vom Kläger angegebenen Einsätze zu unsubstantiiert und im Ergebnis unglaubhaft. Der Kläger war seinen Abrechnungen zufolge zwischen seinen Tätigkeiten regelmäßig wochenlang nicht im Einsatz. Dies wird von ihm auch nicht bestritten. Im Sommer 2016 endete seine Baustelle in Erding seinen Angaben zufolge am 18. Juni 2016 bevor er am 16. August 2016 eine neue Tätigkeit aufnahm. Im Winter 2016 endete seine letzte Tätigkeit seinen Angaben zufolge am 25. November 2016, bevor er am 8. Februar 2017 erneut in Deutschland tätig wurde. Dabei handelte es sich zunächst um einen Einsatz in Goch in Nordrhein-Westfalen, einer Stadt, die etwa 700 km von Erding entfernt ist. Anschließend war er im April 2017 im 12 km entfernten Klakar tätig. Die Baustellen in Nordrhein-Westfalen endeten den eingereichten Unterlagen zufolge erst frühestens Ende April. Auch im Jahr 2017 wurde laut den Abrechnungen des Klägers die Tätigkeit im Inland für zwei längere Zeiträume (15. Juni 2017 – 16. August 2017 und 24. August 2017 – 1. Oktober 2017) unterbrochen. Gleichwohl soll der Kläger der Bestätigung von Herrn P zufolge das Zimmer in Erding – von den Weihnachtsferien abgesehen – regelmäßig benutzt haben. Es erscheint dem Senat lebensfremd, dass der Kläger das Zimmer in Erding auch während seiner mehrmonatigen Tätigkeit in Nordrhein-Westfalen bzw. während der Zeiten seiner längeren Nichtbeschäftigung im Inland benutzt haben soll. Eine arbeitstägliche Rückkehr erscheint infolge der Entfernung von etwa 700 km lebensfremd, ebenso eine Rückfahrt am Wochenende bzw. nach Beendigung des Einsatzes, da die Entfernung zwischen der Baustelle in Nordrhein-Westfalen und seinem Zimmer in E (700 km) nicht so viel kürzer ist, als die zwischen der Baustelle in Nordrhein-Westfalen und seinem Heimatort in P. (930 km). Gegen eine Rückfahrt nach Erding nach Beendigung der Einsätze sprechen auch die Angaben in der Gewinnermittlung für das Jahr 2017, worin Kosten für drei Familienheimfahrten von G nach K geltend gemacht wurden. Im Widerspruch dazu steht die Bestätigung von Herrn P, dass der Kläger bis auf die Unterbrechungen um Weihnachten das Zimmer in Erding regelmäßig genutzt habe. Auch die Höhe des Mietzinses lässt an einem tatsächlich gelebten Mietverhältnis Zweifel aufkommen. Im Vergleich zu anderen Mietobjekten in vergleichbarer Lage dürfte – selbst für den Streitzeitraum 2016/2017 – ein Mietpreis von nur vier Euro pro Quadratmeter inkl. Nebenkosten unrealistisch niedrig sein.
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All dies geht den Beweislastregeln folgend zu Lasten des Klägers. Der Kläger konnte nach eigener Aussage keinerlei weiteren Nachweise beibringen, die den tatsächlichen Vollzug des Mietverhältnisses nachweisen hätten können, da – entgegen üblicher Praxis – der Mietzins nur bar entrichtet und auch keine Quittungen hierüber ausgestellt worden seien. Auch Zahlungsnachweise zu Nebenkostenzahlungen konnten nicht vorgelegt werden, da derartige Zahlungen nicht vereinbart worden seien.
27
Ob der Kläger eine auf Dauer zum Bewohnen geeignete Räumlichkeit mit einer gewissen Regelmäßigkeit tatsächlich zu Wohnzwecken genutzt hat, lässt sich im Allgemeinen auch nicht aus der Höhe der vom Kläger im Inland erzielten Einkünfte folgern. Insbesondere ergibt sich hieraus nicht, in welcher Häufigkeit und über welche Dauer der Kläger die Räumlichkeit genutzt hat. Insoweit erscheint es bei einem Gewerbetreibenden näherliegend, auf die den Einkünften zugrundeliegenden Geschäftsvorfälle abzustellen (BFH-Urteil vom 8. Mai 2014 III R 21/12, BStBl II 2015, 135). Insoweit ist zunächst anzumerken, dass auch im Hinblick auf den Nachweis der Auftragslage über Eigenbelege in Form von Kopien handgeschriebener Rechnungen und der – mangels gegenteiliger Angaben – selbst verfassten Gewinnermittlung hinaus vom Kläger keine Nachweise vorgelegt wurden. Auch insoweit fehlen Nachweise über den tatsächlichen Zahlungseingang der Leistungsentgelte (Bankauszüge, Quittungen o.ä.) bzw. über die tatsächliche Leistungserbringung durch den Kläger (z.B. Bestätigung der Auftraggeber). Der Einwand, dass auch insoweit nur Barzahlungen getätigt wurden, geht ins Leere. Die Feststellungslast trifft auch insoweit den Kläger. Eine rein bargeldmäßige Abwicklung ohne jegliche Nachweismöglichkeiten erscheint dem Senat – insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich regelmäßig um viertstellige Beträge handelte und ohne Nachweis spätere Schadensersatzansprüche o.ä. schwerlich geltend gemacht werden können – lebensfremd. Widersprüchlich ist zudem, dass der Kläger einerseits nach eigenen Aussagen alle Einnahmen und Ausgaben bar abgewickelt hat und gleichwohl selten zu seiner Familie nach Polen heimgefahren ist. Denn die Ehefrau war in 2016 noch nicht erwerbstätig, verfügte also über keine eigenen Einnahmen, hätte aber auf Barbeträge in Deutschland nicht zugreifen können. Doch auch unter Zugrundelegung der vom Kläger dargelegten Aufträge lassen sich keine eindeutigen Rückschlüsse auf eine tatsächliche und ausreichende Verweildauer und Häufigkeit der Nutzung des Zimmers im Inland ziehen. Den Kopien der Abrechnungen folgend war der Kläger in der Regel zwei bis drei Wochen im Inland tätig. An diese Zeiten schlossen sich in der Regel eben solange Zeiten der Nichtbeschäftigung an. Für das erste Halbjahr 2017 gab der Kläger zudem an in Nordrhein-Westfalen beschäftigt gewesen zu sein, sodass auch insoweit eine regelmäßige Nutzung des Zimmers in Erding unwahrscheinlich ist. Gleiches gilt für die längeren Unterbrechungen im Sommer (s.o.).
28
Die Annahme eines Wohnsitzes lässt sich zudem nicht darauf stützen, dass der Kläger beim Einwohnermeldeamt gemeldet war. Für die Annahme eines Wohnsitzes ist es ohne Bedeutung, wo jemand polizeilich gemeldet ist (z.B. BFH-Urteil vom 27. April 1995 III R 57/93, BFH/NV 1995, 967). Schließlich lässt sich ein Wohnsitz des Klägers auch nicht auf die im Januar 2016 erfolgte Gewerbeanmeldung stützen. Die Anzeige eines Gewerbes nach § 14 der Gewerbeordnung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 2003 6 C 10/03, Gewerbearchiv 2003, 482), die als solche nicht geeignet ist, eine nach den tatsächlichen Umständen zu beurteilende Wohnsitzbegründung i.S. des § 8 AO zu ersetzen (BFH-Urteil vom 8. Mai 2014 III R 21/12, BStBl II 2015, 135).
29
c) Es steht auch nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte.
30
aa) Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand gemäß § 9 AO dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Aus dem Wortlaut des Gesetzes („den“ gewöhnlichen Aufenthalt) folgt, dass eine Person nicht gleichzeitig verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, sondern zu einer bestimmten Zeit immer nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann (BFH-Urteil vom 27. April 2005 I R 112/04, BFH/NV 2005, 1756, Rn. 10 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BFH spricht bei einem beruflich bedingten Auslandsaufenthalt von mehr als sechs Monaten eine Vermutung für die Aufgabe des bisherigen inländischen gewöhnlichen Aufenthalts; bei einem Auslandsaufenthalt von mehr als einem Jahr kann ein Fortbestehen des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland nur ausnahmsweise angenommen werden (BFH-Urteil vom 27. Juli 1962 VI 156/59 U, BStBl III 1962, 429). Diese Beurteilung beruht u.a. darauf, dass nach § 9 AO ein Aufenthalt im Inland regelmäßig nach Ablauf von sechs Monaten (Satz 2) und in Sonderfällen nach Ablauf eines Jahres (Satz 3) zum „gewöhnlichen“ wird. Auch wenn die genannten Regelungen den Fall des Auslandsaufenthalts nicht unmittelbar betreffen, verdeutlichen sie doch die Vorstellung des Gesetzgebers, dass die dort bestimmten Fristen die Grenze zwischen dem nur vorübergehenden und dem „gewöhnlichen“ Aufenthalt markieren. Der erkennende Senat schließt sich deshalb der zitierten Rechtsprechung an.
31
bb) Allerdings besagt diese Rechtsprechung nicht, dass ein bestehender gewöhnlicher Aufenthalt im Heimatland durch einen Auslandsaufenthalt – hier arbeitsbedingte Aufenthalte in Deutschland – von mehr als einem Jahr in jedem Fall beendet wird. Vielmehr kann er in einem solchen Fall fortbestehen, wenn der Steuerpflichtige in verhältnismäßig kurzen Abständen immer wieder in sein Heimatland zurückkehrt, weil er sich hier „zu Hause“ fühlt. Das setzt jedoch voraus, dass die Abwesenheit nicht zu einer wesentlichen Lockerung des Bandes zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Heimatland geführt hat (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juli 1962 VI 156/59 U, BStBl III 1962, 429). Dabei sind für den Fortbestand einer hinreichenden Verbindung umso engere Beziehungen zum Heimatland notwendig, je länger die tatsächliche Abwesenheit andauert; im Zweifelsfall sind die Abwesenheitszeit einerseits und die für die Beibehaltung des gewöhnlichen Aufenthalts andererseits sprechenden Umstände untereinander zu gewichten (BFH-Urteil vom 27. April 2005 I R 112/04, BFH/NV 2005, 1756, Rn. 13 m.w.N.).
32
cc) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Gericht auch Zweifel, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Familie in P. aufgegeben und stattdessen einen in Deutschland begründet hatte.
33
Denn dieser setzt nach § 9 S. 2 AO einen zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt des Klägers im Inland von mehr als sechs Monaten voraus. Eine solche zusammenhängende Aufenthaltsdauer im Erdinger Zimmer während des Streitzeitraums konnte vom Kläger nicht belegt werden. Selbst wenn man die Angaben der eingereichten handgeschriebenen Rechnungen zugrunde legen und außer Acht lassen würde, dass über diese Eigenbelege hinaus vom Kläger keinerlei Nachweise vorgelegt wurden, aus denen sich Rückschlüsse auf eine tatsächliche Leistungserbringung im Inland durch den Kläger ziehen lassen könnten, reichen die Zeiträume der behaupteten inländischen Tätigkeiten nicht aus, um von einem inländischen gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Streitzeitraum auszugehen.
34
In 2017 war der Kläger seinen Angaben zufolge an 95 Tagen im Inland beschäftigt. Es handelt sich dabei nicht um zusammenhängende Zeiten im Inland. Vielmehr gab der Kläger an, regelmäßig für zwei Wochen beschäftigt und dann mehrwöchig nicht gearbeitet zu haben. Im Sommer und Winter waren längere Unterbrechungen (s.o.) zu verzeichnen. Die vom Kläger dargelegten Zeiten der Tätigkeiten im Inland weisen damit nicht auf einen zusammenhängenden mehr als sechsmonatigen Aufenthalt im Inland hin.
35
Auf die melderechtliche Situation des Klägers kommt es nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1978 VI R 127/76, BStBl II 1979, 335 Rn. 11 m.w.N.). Melderechtliche Angaben und Gewerbeanmeldungen sind kein hinreichender Beleg für einen auf längere Zeit angelegten Aufenthalt im Inland. Sie belegen nur, dass der Betroffene einmal bei dem Meldeamt und einmal bei dem Gewerbeamt der Gemeinde erschienen ist und sich dort angemeldet hat.
36
Da sich die Ehefrau und Kinder des Klägers weiterhin in dessen Heimatland befanden und der Kläger auch sonst keine Umstände vorgetragen hat, die darauf schließen lassen könnten, dass er seinen Lebensmittelpunkt von Polen nach Deutschland wegverlagert hat, ist nicht von der Begründung eines inländischen gewöhnlichen Aufenthaltes auszugehen.
37
2. Es kommt auch kein Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG in Betracht.
38
a) Die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt voraus, dass der Anspruchsteller aufgrund eines entsprechenden Antrags vom zuständigen Finanzamt nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (BFH-Urteil vom 5. September 2013 XI R 26/12, BFH/NV 2014, 313). Anders als bei § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG macht das Gesetz bei § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG die Anspruchsberechtigung von der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Antragstellers abhängig (BFH-Urteil vom 24. Mai 2012 III R 14/10, BStBl II 2012, 897, Rn. 13). Der Anspruch besteht zudem nur in den Monaten des betreffenden Kalenderjahrs, in denen der Anspruchsberechtigte inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt hat (BFH-Urteil vom 5. September 2013 XI R 26/12, BFH/NV 2014, 313, Rn. 29 m.w.N.). Entscheidend für die Zuordnung ist der wirtschaftliche Zusammenhang mit der inländischen Betriebsstätte, also wann der Kindergeldberechtigte an seiner inländischen Betriebsstätte i.S.v. § 12 Satz 2 Nr. 1 AO tätig geworden ist (BFH-Urteile vom 14. März 2018 III R 5/17, BStBl II 2018, 482, Rn. 22; vom 28. Oktober 2009 I R 28/08, BFH/NV 2010, 432, Rn. 57).
39
b) Der Aussage des Finanzamtes Or.zufolge wurde die Veranlagung für das Jahr 2017 nach § 1 Abs. 3 EStG durchgeführt. Der Anspruch für die streitigen Monate Juli und September 2017 scheitert jedoch deswegen, weil der Kläger in diesen Monaten nach eigenen Angaben keiner inländischen Tätigkeit nachgegangen ist. Hinsichtlich der übrigen streitigen Monate (Mai, Juni und August 2017) sieht der Senat eine Tätigkeit im Inland als nicht erwiesen an. Zwar hat der Kläger diesbezüglich Rechnungen vorgelegt. Insoweit handelt es sich jedoch um sog. Eigenbelege. Weitere Unterlagen, welche die tatsächliche Leistungserbringung durch den Kläger in den jeweiligen Monaten (z.B. Bestätigung der Auftraggeber) hätten belegen können, wurden nicht vorgelegt. Die Feststellungslast geht auch insoweit zu Lasten des Klägers (s.o.).
40
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
41
4. Es erscheint als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90 FGO).