Titel:
Abgrenzung der sachlichen von der örtlichen Zuständigkeit der Behörde
Normenketten:
FGO § 63 Abs. 1 Nr. 2, § 65
FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11
AO § 6 Abs. 2 Nr. 6, § 16
Leitsatz:
Zu den Rechtsfolgen des Verstoßes gegen die sachliche und örtliche Zuständigkeit. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auslegung einer Klageschrift, Abgrenzung der sachlichen von der örtlichen Zuständigkeit der Behörde, Rechtsfolgen des Verstoßes gegen die sachliche und örtliche Zuständigkeit, Kindergeldrückforderung, Klageschrift, Auslegung, örtliche Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Passivlegitimation
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44317
Tenor
1. Der Ablehnungsbescheid vom 15. Juni 2018 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2018 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten für die Klägerin ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Entscheidungsgründe
1
Die Beteiligten streiten über den Erlass einer Kindergeldrückforderung, betreffend des Zeitraumes von Juni 2008 bis einschließlich Januar 2010 sowie des Erlasses von Säumniszuschlägen hierzu.
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Die Familienkasse P der Bundesagentur für Arbeit hatte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 18. Januar 2012 die Kindergeldfestsetzung ab dem Monat Juni 2008 aufgehoben und das für die Tochter der Klägerin M überzahlte Kindergeld zurückgefordert, da M seit dem 1. Juni 2008 in einem eigenen Haushalt lebt und der Kindsvater den überwiegenden Barunterhalt leiste. Der Inkasso-Service der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, die Agentur für Arbeit R. (im Folgenden Inkasso-Service) lehnte den von der Klägerin beantragten Erlass des Rückforderungsbetrages mit Bescheid vom 15. Juni 2018 ab und führte zur Begründung aus, dass eine Unbilligkeit nicht gegeben sei. Bereits die Erlasswürdigkeit scheitere an der Verletzung der sich aus § 68 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebenden Mitwirkungspflichten. Mit Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2018 wies die Familienkasse N.-W. N. der Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden Familienkasse N) den dagegen erhobenen Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung ihrer gegen die Familienkasse N erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflicht nicht vorliege.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. Juni 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2018.
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Die Beklagte beantragt,
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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1. Die Klage ist zulässig. Sie ist dahingehend auszulegen, dass sie sich gegen den Inkasso-Service als Beklagte richtet.
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Werden in einem Besteuerungsverfahren – wie dem vorliegendem – von vorneherein unterschiedliche Behörden im Ausgangs- und im Rechtsbehelfsverfahren tätig, ist die dagegen gerichtete Klage gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – gegen die Ausgangsbehörde zu richten (Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 25. Februar 2021 – III R 36/19, BStBl II 2021, 712, Rz. 14 ff.).
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Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klageschrift u.a. den Beklagten bezeichnen. Bestehen Zweifel, wer Beklagter sein soll, ist die Klageschrift auszulegen. Die Klageschrift ist eine Prozesshandlung, für die die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches gelten (BFH-Beschluss vom 16. August 2001 – V B 51/01, BStBl II 2001, 767). Dabei verpflichtet der Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – GG –) das Gericht, den wirklichen Willen zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (BFH-Urteile vom 18. September 2014 – VI R 80/13, BStBl II 2015, 115 und vom 22. Januar 2004 – III R 26/02, BFH/NV 2004, 792, m.w.N.). Maßgebend ist nicht nur die Wortwahl des Klägers, sondern der gesamte Inhalt seiner Willenserklärung (z.B. BFH-Beschluss vom 7. November 2007 – I B 104/07, BFH/NV 2008, 799). Auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände können berücksichtigt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 16. April 2007 – VII B 98/04, BFH/NV 2007, 1345). Dabei kann als Auslegungshilfe der Gesichtspunkt dienen, dass die Klage im Zweifel nicht gegen den falschen, sondern gegen den nach dem Inhalt der Klage richtigen Beklagten gerichtet sein soll (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 792, m.w.N.).
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Der Antrag auf Erlass der Kindergeldrückforderung wurde nicht durch den Bescheid der Familienkasse N abgelehnt, sondern durch Bescheid des Inkasso-Service, d. h. durch die Beklagte. Zwar wurde die Klägerin durch die Rechtsbehelfsbelehrungin der Einspruchsentscheidung dahingehend belehrt, dass die Klage „gegen die oben bezeichnete Familienkasse“ zu richten sei, womit offenbar die auf S. 1 der Einspruchsentscheidung angegebene Familienkasse N gemeint war. Über die sog. Passivlegitimation entscheidet jedoch nicht eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung, sondern die Regelung in § 63 Abs. 1 Nr. 2 FGO.
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Da im Interesse der Klägerin davon auszugehen ist, dass sich die Klage gegen den nach § 63 FGO richtigen Beklagten richten soll, ist sie dahingehend zu verstehen, dass sie sich gegen den Inkasso-Service richtet.
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2. Im wohlverstandenen Interesse der nicht anwaltlich vertretenen Klägerin ist die Klage ferner dahingehend auszulegen, dass sie sich auf die Aufhebung des Bescheids vom 15. Juni 2018 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2018 beschränkt.
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Aufgrund der oben genannten Entscheidung des BFH kann von der beklagten Familienkasse nur die Aufhebung der Erlassablehnung gefordert werden, nicht jedoch der Erlass der Rückforderungsbeträge. Die Klage hat daher nur Erfolg, soweit sie sich lediglich auf die Aufhebung des Bescheids vom 15. Juni 2018 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2018 richtet.
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Hinsichtlich des bislang darüber hinaus verfolgten Zieles auf Erlass des Rückforderungsbetrages hätte die Klage keine Aussicht auf Erfolg. Eine rechtschutzgewährende Auslegung dahingehend, dass sich die Klage insoweit gegen die richtige Ausgangsbehörde richtet, würde der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen, da insoweit das darüber hinaus erforderliche Vorverfahren fehlen würde.
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3. Die Klage ist auch begründet. Der ablehnende Bescheid vom 15. Juni 2018 und die Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2018 waren aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und die Klägerin somit in ihren Rechten verletzen (§ 101 Satz 1 FGO). Denn der Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung wurden von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen und sind deshalb verfahrensfehlerhaft und rechtswidrig (vgl. § 130 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung – AO –).
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a) Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Erlass bestimmt sich nach der Verwaltungshoheit, welche sowohl die im Festsetzungsverfahren als auch die im Erhebungsverfahren zu treffenden Entscheidungen umfasst (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 227 AO Rn. 117). Die sachliche Zuständigkeit der Finanzbehörden richtet sich gemäß § 16 AO – soweit nichts anderes bestimmt ist – nach den einschlägigen Regelungen des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG). Hinsichtlich des hier strittigen Erlasssbegehrens greift die Zuständigkeitsregelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 1 FVG ein, die vorsieht, dass dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 31, 62 bis 78 EStG obliegt. Die Bundesagentur für Arbeit stellt dem BZSt zur Durchführung dieser Aufgaben ihre Dienststellen als Familienkassen zur Verfügung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 2 FVG). Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit kann innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der AO über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG). Entsprechend bestimmt § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO, dass auch die Familienkassen Finanzbehörden im Sinne der AO sind.
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Die sachliche Zuständigkeit beschreibt gegenständlich den Tätigkeitsbereich einer Behörde, also die Zuordnung einer bestimmten Aufgabe des materiellen Sachrechts an eine Verwaltungseinheit (Henneke in: Knack, VwVfG, 11. Aufl., vor § 3 Rn. 6; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 21 Rn. 47). Sie bestimmt Gegenstand, Inhalt und Umfang der zugewiesenen Aufgaben; dabei kann es sich um die Zuordnung einer bestimmten Aufgabe oder eines beschränkten oder umfassenden Aufgabenbereichs an eine Behördenart oder an eine einzelne Behörde handeln (Schmieszek in: Gosch, AO, § 16 Rn. 2). Aus der sachlichen Zuständigkeit folgen das Recht und die Pflicht einer Behörde, innerhalb des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs tätig zu werden (Wackerbeck in: HHSp, § 16 AO, Rn. 5; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 16 AO Rn. 3). Eine Behörde ist nur für den ihr zugewiesenen Aufgabenkreis zuständig und darf nur im Rahmen ihrer sachlichen Zuständigkeit tätig werden (BFH-Urteile vom 29. Oktober 1986 – VII R 82/85, BStBl II 1988, 359, unter II.2.b und vom 26. Juli 1988 – VII R 194/85, BStBl II 1989, 3).
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Die sachliche Zuständigkeit muss wegen des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und als wesentliche Regelung des Verwaltungsverfahrens in einem grundrechtlich geschützten Bereich – wie er im Fall des Familienleistungsausgleichs vorliegt – durch Gesetz i.S. des § 4 AO geregelt werden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. November 1990 – 1 BvR 402/87, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 1471, unter B.II.2.a; BFH-Urteil vom 11. Januar 2012 – I R 25/10, BFHE 236, 318, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2012, 616, Rn. 28; Schmieszek in: Gosch, AO § 16 Rn. 2; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 16 AO Rn. 11; Wackerbeck in: HHSp, § 16 AO Rn 5).
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Demgegenüber ergibt sich aus den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden der gleichen hierarchischen Stufe eines Verwaltungsträgers die Verwaltungstätigkeit durchzuführen hat (Wackerbeck in HHSp, § 17 AO Rn. 2; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 17 AO Rn. 1). Die örtliche Zuständigkeit ist die Kompetenz, in einem räumlich begrenzten Wirkungsbereich (Bezirk) tätig werden zu dürfen und zu müssen, wobei sich die konkret örtlich zuständige Finanzbehörde erst anhand der Regelungen über den Sitz und den Bezirk der jeweiligen Finanzbehörde feststellen lässt (Wackerbeck in: HHSp, § 17 AO Rn. 2). Für die örtliche Zuständigkeit gilt nach neuerer Rechtsprechung des BFH der Grundsatz der Gesamtzuständigkeit (BFH-Urteil vom 19. März 2019 – VII R 27/17, BStBl II 2020, 31, Rn. 18, m.w.N.; Wackerbeck in: HHSp, § 17 AO Rn. 11; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 17 AO Rn. 5). Umfasst werden daher grundsätzlich alle Verwaltungstätigkeiten der Finanzbehörde, die sich aus dem gesamten Besteuerungsverfahren ergeben (Festsetzung, Rechtsbehelfsverfahren, Erhebung und Vollstreckung; Schmieszek in: eKomm ab 01.01.2015, § 17 AO, Rn. 2 [Aktualisierung vom 16.05.2018]).
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b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Beklagte nicht für die Ablehnung des beantragten Erlasses zuständig gewesen.
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Die sachliche Zuständigkeit für die Durchführung der sich im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 31, 62 bis 78 EStG zu erfüllenden Aufgaben obliegt gemäß § 16 AO i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Sätze 1 und 2 FVG dem BZSt, das sich hierfür der von der Bundesagentur für Arbeit eingerichteten Dienststellen bedient. Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit kann innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG). Entsprechend bestimmt § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO, dass auch die Familienkassen Finanzbehörden im Sinne der AO sind. Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit hat von dieser Ermächtigung durch Beschluss vom 14. April 2016 (15/2016, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Monatsheft Mai 2016, veröffentlicht im Internet unter www.....de >Statistik nach Themen< amtliche Nachrichten der BA) Gebrauch gemacht. Nach dieser Organisationsentscheidung bestanden im Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheids 14 Familienkassen. Diese waren deshalb sachlich zuständig (vgl. BFH-Urteil vom 19. Januar 2017 – III R 31/15, BStBl II 2017, 642, Rn. 15).
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Da somit für Kindergeldangelegenheiten im Allgemeinen mehrere sachlich zuständige Behörden gleicher hierarchischer Stufe vorhanden waren, bestimmen die Regelungen über die örtliche Zuständigkeit, welche die für die Klägerin im Speziellen zuständige Familienkasse ist. Örtlich zuständig ist grundsätzlich die Familienkasse, in deren Bezirk der Kindergeldberechtigte seinen Wohnsitz hat (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO; BFH-Urteil vom 25. September 2014 – III R 25/13, BStBl II 2015, 847, Rn. 21). Im Fall der Klägerin war dies, infolge ihres Wohnsitzes in S., die Familienkasse P. Aufgrund des Grundsatzes der Gesamtzuständigkeit umfasste die Zuständigkeit der Familienkasse P nicht nur die Zuständigkeit für die Festsetzung des Kindergeldes, sondern u.a. auch für Entscheidungen im Rahmen des Erhebungsverfahrens nach dem Fünften Teil der AO, wie vorliegend für die Entscheidung über einen Erlass nach § 227 AO. Daraus folgt zugleich, dass andere Familienkassen für die Klägerin sachlich und örtlich unzuständig waren.
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Nichts anderes ergibt sich aus den auf § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG gestützten Beschlüssen des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit (BFHUrteil vom 25. Februar 2021 – III R 36/19, BStBl II 2021, 712, Rn. 30 ff.), die auch nicht durch eine andere gesetzliche Grundlage gestützt werden (BFH-Urteil vom 25. Februar 2021 – III R 36/19, BStBl II 2021, 712, Rn. 36 ff.).
23
c) Der Verstoß gegen die Regelungen über die sachliche Zuständigkeit führt nicht zur Nichtigkeit der betreffenden Verwaltungsakte nach § 125 Abs. 1 AO. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO oder § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO können Verwaltungsakte aufgehoben oder geändert werden, wenn sie von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden sind. Da die Aufhebbarkeit einen wirksamen Verwaltungsakt voraussetzt, folgt aus den Vorschriften, dass sachlich unzuständiges Handeln grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit führt (von Wedelstädt in: Gosch, AO § 125 Rn. 61). Auch sind im Streitfall keine Umstände ersichtlich, die für einen besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler sprechen. Insbesondere werden Aufgaben im Bereich des Familienleistungsausgleichs üblicherweise von Stellen wahrgenommen, die bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelt sind (BFH-Urteil vom 25. Februar 2021 – III R 36/19, BStBl II 2021, 712).
24
d) Da auch die Familienkasse N für die Rechtsbehelfsentscheidung sachlich unzuständig war, braucht nicht weiter auf die Frage eingegangen zu werden, ob eine durch die sachlich unzuständige Ausgangsbehörde getroffene Entscheidung durch eine nachfolgende, von der sachlich zuständigen Behörde getroffene Einspruchsentscheidung gemäß § 126 Abs. 2 AO geheilt werden kann (BFH-Urteil vom 25. Februar 2021 – III R 36/19, BStBl II 2021, 712).
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e) Der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes steht auch § 127 AO nicht entgegen, da dieser nur Verstöße gegen die örtliche Zuständigkeit betrifft – nicht, wie vorliegend – Fälle sachlicher Unzuständigkeit (BFH-Urteil vom 19. April 2012 – III R 85/11, BFH/NV 2012, 1411, Rn. 13, m.w.N.; von Wedelstädt in: Gosch, AO § 127 Rn. 7). Überdies handelt es sich bei der Entscheidung über den Erlass um eine Ermessensentscheidung, auf die § 127 AO grundsätzlich keine Anwendung findet (vgl. BFH-Urteil vom 19. April 2012 – III R 85/11, BFH/NV 2012, 1411, Rn. 11).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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6. Es erscheint als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90 a FGO).