Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 30.09.2022 – 33 O 174/22
Titel:

Materielle Einwendungen gegen die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2, Abs. 5
VAG § 157 Abs. 3 S. 2
MB/KK 2009 § 8b
Leitsätze:
1. Im Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung muss das Gericht dem ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "ins Blaue hinein" oder "aufs Geratewohl" erhobenen Einwand des Versicherungsnehmers, dem Treuhänder seien die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig vorgelegt worden, nicht nachgehen. (Rn. 31 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ohnehin ist einzig entscheidend, ob der Treuhänder aufgrund relevant veränderter Rechnungsgrundlagen der Prämienanpassung zustimmen musste. Selbst wenn dem Treuhänder die Unterlagen nicht vollständig vorgelegen hätten, wäre die Prämienanpassung mithin nicht unberechtigt, wenn er bei Vorlage der vollständigen Unterlagen zustimmen hätte müssen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, Treuhänder, Mitteilung der maßgeblichen Gründe
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 07.03.2023 – 8 U 3056/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 44290

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 8.688,44 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Prämienerhöhungen aus der beklagten privaten Kranken-/Pflegeversicherung des Klägers.
2
Die Kranken-/Pflegeversicherung hat der Kläger für sich abgeschlossen.
3
Der Kläger wendet sich gegen folgende Beitragsanpassungen der Beklagten:
- im Tarif CompactPRIVAT Optimal 1200 A
zum 01.01.2018
zum 01.01.2019
zum 01.01.2020
4
Der Kläger hat auf die Beitragserhöhungen inkl. des gesetzlichen Zuschlags gezahlt.
5
Hinsichtlich des jeweiligen Inhalts der Begründungsschreiben wird auf die Anlagen … umfassend Bezug genommen.
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Der Kläger behauptet, dass die Beitragsanpassungen nicht ordnungsgemäß erfolgt seien. Die Beitragsanpassungen seien bereits formell unwirksam, da die Begründung der Prämienanpassungen jeweils nicht den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 203 VVG entsprochen habe. Aus der Begründung müsse hervorgehen, welche der nach § 203 Abs. 2 S. 1 und 3 VVG zu betrachtenden Rechtsgrundlagen sich gegenüber der ursprünglichen Kalkulation verändert habe. Zudem müsse die konkrete Höhe dieser Veränderung mitgeteilt werden. Um dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle zu ermöglichen, sei diesem die Zusammensetzung der Prämienänderungen mitzuteilen.
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Der Kläger macht auch die materielle Unwirksamkeit aller Beitragsanpassungen des Tarifs geltend. Grund dafür sei die Unwirksamkeit der entsprechenden Rechtsgrundlage, § 8 b MB/KK 2009.
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Der Kläger macht zudem geltend, dass aus den dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen ersichtlich sei, dass bei der Prüfung der Verteilung der erfolgsunabhängigen Beitragsrückerstattungen die gesetzlichen Voraussetzungen des § 150 Abs. 4 S. 1 VAG eingehalten worden seien. Zudem sei nicht erkennbar, ob einzelne Tarifgruppen bei der Verwendung vom Limitierungsmitteln bevorzugt oder vernachlässigt wurden.
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Die Ansprüche des Klägers seien zudem nicht verjährt, da die Verjährungsfrist erst zu laufen beginne, wenn der Klägerseite eine korrekte, im Hinblick auf die maßgeblichen Gründe der Beitragserhöhungen hinreichende Begründung zugegangen sei. Auch sei die Beklagte nicht entreichert.
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Der Kläger beantragte zuletzt:
1.
Es wird festgestellt, dass die Prämienerhöhung in dem Tarif „CompactPRIVAT Optimal 1200 A“ inklusive des gesetzlichen Zuschlags zum 01.01.2018, zum 01.01.2019 und zum 01.01.2020 unwirksam sind und die Klägerseite nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet ist.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.224,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3.
Festzustellen, dass die Beklagte
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Die Beklagte beantragt Klageabweisung.
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Die Beklagte erhebt in Bezug auf die Rückzahlungsansprüche der Klägerin die Einrede der Verjährung.
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass die streitgegenständlichen Beitragserhöhungen sowohl formell als auch materiell wirksam gewesen seien. Nach dem BGH müsse nur angegeben werden, welche Rechnungsgrundlage – Versicherungsleistungen, Sterbewahrscheinlichkeit oder beide – die Neufestsetzung der Prämien veranlasst habe. Die konkrete Höhe der Veränderung sei dagegen nicht mitzuteilen. Auch die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, müsse nicht angegeben werden. Die Mitteilungspflicht habe zudem nicht den Zweck, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen.
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Zudem sei vom Kläger eine spätere Beitragsanpassung im Tarif CompactPRIVAT Optima 1200 A zum 01.01.2022 nicht angegriffen worden. Daher sei das Feststellungsinteresse entfallen. Der Kläger habe im Jahr 2019 und 2021 zudem Beitragsrückerstattungen erhalten …. Insoweit sei die Klageforderung schon überzogen.
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Die Beklagte legte die Kalkulationsunterlagen per USB-Stick vor. Zudem reichte sie ein kommentiertes Inhaltsverzeichnis zu den Kalkulationsunterlagen ein, ….
16
Das Gericht bestimmte mit Verfügung vom 29.07.2022 Termin zu Übergabe der Kalkulationsunterlagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zudem wurde die Anwesenheit der Hauptbevollmächtigten des Klägers im Termin angeordnet. Im Termin vom 29.08.2022 erschien der Kläger sowie ein Unterbevollmächtigter. Die Klagepartei erklärte mit Schriftsatz vom 26.08.2022, dass eine Übergabe der Kalkulationsunterlagen an den Kläger nicht notwendig sei und das Gericht die Kalkulationsunterlagen ohne Termin zur Geheimhaltung an einen gerichtlichen Sachverständigen zur Überprüfung schicken könne.
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Im Übrigen wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlungen vom 18.07.2022 und 29.08.2022.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
19
Sie ist zulässig.
20
Der Feststellungsantrag zu 1 ist als Zwischenfeststellungsantrag grundsätzlich gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung ist eine Vorfrage für den Leistungsantrag auf Rückzahlung der zu Unrecht an die Beklagte bezahlten Prämien (Klageantrag zu 2) und geht inhaltlich zugleich über das im Zahlungsantrag erfasste Rechtsschutzziel der Klägerin hinaus (so BGH, Urteil vom 19.12.2018, Az. IV ZR 255/17 = NJW 2019, 919).
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Auch hinsichtlich des Antrags zu 3a, der auf die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Nutzungsherausgabe gerichtet ist, ist die Feststellungsklage zulässig, da die von der Beklagten gezogenen Nutzungen aus den nach Auffassung der Klägerin rechtsgrundlos gezahlten Prämienanteilen für ihn im Zeitpunkt der Klageerhebung nur teilweise bezifferbar waren und es daher an der Zumutbarkeit der Erhebung einer Leistungsklage fehle (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2018, Az. IV ZR 255/17, juris Rn. 18-20). Ein Vorrang der Leistungsklage besteht nur, wenn dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar ist und diese das Rechtsschutzziel erschöpft, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017, Az. XI ZR 467/15, NJW 2017, 1823 Rn. 14; Urteil vom 10. Oktober 2017, Az. XI ZR 456/16 = NJW 2018, 227 Rn. 12; jeweils m.w.N.).
22
Dies gilt auch hinsichtlich des Feststellungsantrags zu 3b.
II.
23
Die Klage ist unbegründet.
24
Alle angegriffenen Beitragsanpassungen zum 01.01.2018, 01.01.2019 und 01.01.2020 sind wirksam.
25
1. a) Die formellen Erfordernisse der Beitragsanpassungen wurden eingehalten.
26
Wie der BGH (IV ZR 294/19, VersR 2021, 240; IV ZR 191/20) entschieden und im Einzelnen begründet hat, erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben (BGH IV ZR 294/19 Rn. 26).
27
In der Beitragsanpassung zum 01.01.2018 hebt die Beklagte auf die gesetzliche Verpflichtung zur Beitragsanpassung ab. Im dazugehörigen Beiblatt … wird das gesetzliche Verfahren gut verständlich erklärt …. Dort ist auch erklärt, dass für jeden Tarif ein Vergleich der kalkulierten mit den tatsächlichen Versicherungsleistungen angestellt wird. Zudem wird der entsprechende Schwellenwert genannt.
28
In den Beitragsanpassungsschreiben zum 01.01.2019 und 01.01.2020 wird schon im Anschreiben ausdrücklich die Versicherungsleistungen und der entsprechende Schwellenwert als Begründung für die Beitragsanpassung genannt.
29
b) Die formell wirksamen Beitragsanpassungen sind auch materiell wirksam.
30
aa) Die Beklagte war berechtigt, die Beitragsanpassungen vorzunehmen, wenn der Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 5 % ergeben hat. Das Gesetz verlangt in § 157 Abs. 3 Satz 2 VAG eine Abweichung von mehr als 10 %, sofern nicht in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ein geringerer Prozentsatz vorgesehen ist. Letzteres ist hier der Fall. Die Wirksamkeit von § 8 b MB/KK ist zwischenzeitig höchstrichterlich bestätigt.
31
bb) Der Vortrag der Klagepartei zur fehlerhaften Überprüfung der Beiträge durch den Treuhänder der Beklagten führt nicht zur materiellen Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen. Der Vortrag ist erfolgte ohne Bezug zum streitgegenständlichen Verfahren und ist deshalb als unzulässige Ausforschung zu werten. Dies wird aus mehreren Gründen deutlich. Dabei wurde seitens des Gerichts auch das Informationsgefälle berücksichtigt, welches grundsätzlich zugusten der Beklagten besteht.
32
Stellt eine Partei zum Beweisantritt tatsächliche Behauptungen ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „ins Blaue hinein“ oder „aufs Geratewohl“ auf, so liegt nach gängiger Terminologie eine Erscheinungsform des sog. Ausforschungsbeweises vor. Gleiches gilt, wenn bestimmt aufgestellte Behauptungen „erkennbar aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen“ (Musielak/Voit/Stadler, § 138 ZPO Rn. 6).
33
Der ursprüngliche Vortrag zur Unvollständigkeit der vorgelegten Unterlagen erfolgte auf Grundlage eines Beschlusses des OLG Stuttgart vom 06.06.2019 ohne Bezug zum hier Beklagten Versicherer. Die Klagepartei führt in keiner Weise aus, weshalb der dortige Sachverhalt mit den Überprüfungen durch die Beklagte bzw. ihren Treuhänder in Zusammenhang steht.
34
Das pauschale materielle Bestreiten ist zwar grundsätzlich zulässig. Denn der Versicherungsnehmer hat grundsätzlich keine Kenntnis über die Kalkulation und Berechnungsgrundlagen der Beklagten. Folgerichtig wurde die Beklagte zur Vorlage der Kalkulationsunterlagen aufgefordert. Dadurch, dass sich die Klagepartei aber ersichtlich nicht mit den von der Beklagten vorgelegten Kalkulationsunterlagen auseinandergesetzt hat und sogar auf ihr rechtliches Gehör verzichtete in die Unterlagen Einsicht zu nehmen, ist die Klagepartei ihrer Darlegungslast für ein fehlerhaftes Überprüfungsverfahren durch die Beklagte im streitgegenständlichen Fall nicht nachgekommen. Die Weigerung sich mit den vorgelegten Unterlagen der Beklagten im Einzelfall auseinanderzusetzen wurde darüber hinaus dadurch bekräftigt, dass die Hauptbevollmächtigte entgegen richterlicher Anordnung nicht persönlich zum geplanten Geheimhaltungstermin erschien, was die Übergabe der Unterlagen vereitelte.
35
Durch Vorlage der Kalkulationsunterlagen beseitigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Informationsgefälle. Es ist sodann Aufgabe der Klagepartei zur konkreten Beitragsanpassung und deren Fehlerhaftigkeit vorzutragen. Die von Klageseite angestrebte Überprüfung durch das Gericht, ohne dass sie Kenntnis von den zu überprüfenden Unterlagen hat, macht deutlich, dass der Vortrag „aufs Geratewohl“ erfolgt, weil in einem anderen Verfahren mit anderen Parteien, Fehler festgestellt wurden. Gründe dafür, dass die Sachverhalte miteinander vergleichbar sind, werden nicht angeführt. Dies verhinderte die Klagepartei aus eigenem Entschluss, indem sie darauf verzichtete, dass sie Einsicht in die Kalkulationsunterlagen erhält.
36
cc) Darüber hinaus stellt die Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen kein Tatbestandsmerkmal dar, das im Rahmen der Berechtigung einer Prämienanpassung zu prüfen ist (vgl. BGH NJW 2019, 919 Rn. 30 ff. für das Merkmal der Unabhängigkeit des Treuhänders). Das Gericht prüft dabei die Voraussetzungen des § 203 Abs. 2 VVG. Dazu gehören das Bestehen einer Krankenversicherung ohne ordentlichem Kündigungsrecht (1), eine nicht nur vorübergehende Änderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage (2) sowie Überprüfung und Zustimmung des Treuhänders (3). Die Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen ist indes keine Voraussetzung. Einzig entscheidend ist, ob der Treuhänder aufgrund relevant veränderter Rechnungsgrundlagen der Prämienanpassung zustimmen musste. Selbst wenn dem Treuhänder die Unterlagen nicht vollständig vorgelegen hätten wäre die Prämienanpassung nicht unberechtigt, wenn er bei Vorlage der vollständigen Unterlagen zustimmen hätte müssen. Diese Frage kann entsprechend der gerichtlichen Vorgehensweise aber nur durch Sachverständigengutachten geklärt werden. Dieser Vorgehensweise verschließt sich aber wiederum die Klagepartei.
37
dd) Darüber hinaus trägt auch der pauschal erhobene Einwand der Klagepartei nicht, dass die Erstkalkulation durch den Treuhänder bei einer Beitragsanpassung überprüft werden muss. „Ob eine frühere Prämienerhöhung war, ist für die Wirksamkeit der Neufestsetzung und den daraus folgenden erhöhten Beitragspflichten des Versicherungsnehmers ohne Bedeutung“ (BGH NJW 2021, 378). Hieraus ergibt sich, dass die Erstkalkulation eines Tarifbeitrags nicht erforderlich ist, denn die Beitragsanpassung hat stets eine vollständige Neukalkulation zur Folge.
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2. Mangels Rückzahlungsanspruches bestehen weder Nebenforderungen noch ein Anspruch auf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten.
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3. Der Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.